Zweiter Fastensonntag
Das Kreuz im Lichte der Verklärung
Geliebte Gottes!
Am Sonntag Quinquagesima haben wir gehört, wie unser göttlicher Erlöser die Apostel auf Sein bevorstehendes Leiden vorbereitete, indem Er ihnen genau vorhersagte, was Ihm zur Erlösung der Welt in Jerusalem widerfahren werde: „Seht, wir ziehen hinauf nach Jerusalem. Dort wird alles in Erfüllung gehen, was die Propheten über den Menschensohn geschrieben haben. Er wird den Heiden ausgeliefert, verspottet, mißhandelt und angespien werden; man wird Ihn geißeln und töten; aber am dritten Tage wird Er wieder auferstehen.“ (Lk. 18,32 f.). Allein die Apostel verstanden nichts davon. Diese Rede war für sie dunkel und sie verstanden nicht, was damit gemeint war.
Das dunkle Geheimnis der Christusnachfolge
Ja, Petrus erhob sogar dagegen Einspruch. Er wagte es zwar nicht, dem Herrn offen Vorhaltungen zu machen, aber in einem ihm günstig scheinenden Augenblick sprach Er zu Jesus: „Gott bewahre, Herr! Nie und nimmer soll Dir dies widerfahren.“(Mt. 16,22). Darauf fuhr ihn Jesus heftig an: „Weiche! Zurück von Mir, Satan! Du bist Mir ein Ärgernis. Denn du sinnst nicht, was Gottes, sondern was der Menschen ist.“ (Mt. 16,23). Du sinnst nicht, was Gottes, sondern was der Menschen ist, so lautete der Vorwurf des Heilandes.
Aber ist das nicht verständlich? Wie sollte der Mensch, der nicht für das Leiden geschaffen ist und dem deshalb die Rede vom Kreuz und vom Leiden dunkel bleibt, denn dafür verständig sein? Und erst recht dann, wenn der Mensch auf einmal ganz unvermittelt dazu aufgerufen wird, dem Herrn nicht nur als gelehriger Begleiter nach Jerusalem hinauf zu folgen und Sein Leiden und Kreuztragen schadlos vom Wegesrand aus zu beobachten, sondern wenn der Mensch auf einmal persönlich in das Geschehen der Passion, des Kreuztragens, des Leidens und Sterbens hineingezogen wird. Denn der Herr verhehlte es weder Seinen Aposteln noch uns, daß das Kreuz seine Arme auch nach uns ausstrecken wird. Ja, daß wir nur dann wirkliche Jünger Christi sein können, wenn wir das uns so fremde Kreuz tragen: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert um Meinetwillen, der wird es finden.“ (Mt. 16,24 f.). Geht es uns da also nicht wie den Aposteln? Einerseits ziehen uns die Worte des Heilandes an. Natürlich wollen wir Seine Jünger sein. Wir wollen Ihm nachfolgen, wohin auch immer Er uns führen will. Aber der Schatten, den das Wort vom Kreuz auf uns wirft, läßt es uns doch mulmig werden. Das Kreuz bleibt uns doch rätselhaft, unheimlich und beängstigend.
Den Arbeitern im Weinberg wurde von ihrem Herrn dafür, daß sie „die Last und Hitze des Tages getragen haben“ (Mt. 20,13), vorab „ein Denar“ als Lohn in Aussicht gestellt. Die Arbeiter, die am Morgen in den Weinberg eintraten, wußten also genau, auf was sie sich eingelassen hatten. Jeder konnte sich unter einem Denar etwas Greifbares vorstellen. Und freilich: Auch der Heiland sprach von Seiner „Auferstehung am dritten Tag“ und verhieß denen, die Ihm in Sein Opfer nachfolgen, „ewiges Leben“ im Reiche Gottes. Doch im Gegensatz zu den Arbeitern im Weinberg haben wir keine konkrete Vorstellung davon, was das heißen soll, „das Leben finden“. So müssen auch wir bekennen: Das Wort vom Kreuz ist uns dunkel. Und das Wort vom himmlischen Lohn ist so überaus hell, daß wir davon geblendet sind.
Der Aufstieg auf den hohen Berg
Weil Christus um diese Schwierigkeiten wußte, wollte Er einerseits das Dunkel des Kreuzes aufhellen und dann sowohl den Aposteln als auch uns den verheißenen Lohn, soweit es in der bestehenden Ordnung möglich war, klarer vor Augen stellen. Deshalb „nahm Jesus den Petrus, den Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Dort ward Er vor ihnen verklärt.“ (Mt. 17,1).
Erstaunlich ist, warum der Herr nur drei der Apostel mit Sich nahm. Und warum genau diese drei? Nun zweifelsohne, weil sie sich vor den anderen Aposteln besonders ausgezeichnet hatten. Der hl. Petrus zeichnete sich besonders aus durch seine feurige Christusliebe, die auch im Folgenden auflodern wird. Johannes, weil er jungfräulich war und deshalb von unserem Herrn ganz besonders geliebt wurde. Und Jakobus zeichnete sich aus durch seine Strenge gegen sich selbst und einen großen Bußeifer, der ihn zusammen mit seinem Bruder sprechen ließ: „Wir können den Kelch [des Leidens] trinken.“ (Mt. 20,22). Später erschien er den Juden so eifrig und streng, daß ihnen Herodes durch seine Hinrichtung eine große Freude zu bereiten glaubte.
In den drei Aposteln sehen wir also drei Tugenden personifiziert. Im hl. Petrus erkennen wir die Tugend der übernatürlichen Gottesliebe, die ganz auf sich selbst vergißt. Im hl. Johannes tritt uns die Tugend der Keuschheit entgegen. Und in Jakobus die Tugend der büßenden Gerechtigkeit, die den Glanz alles Irdischen verachtet. Diese drei Tugenden sind die Voraussetzung, um den hohen Berg des Geheimnisses besteigen zu können.
Deshalb müssen auch wir uns diese Tugenden aneignen. Wir müssen zu Petrus werden, indem wir die ungeordnete Eigenliebe in uns bekämpfen. Denn die Eigenliebe verherrlicht sich in sich selbst, die Gottesliebe verherrlicht den Herrn. Die eine sucht ihre Ehre bei den Menschen, die andere die Ehre bei Gott, dem Zeugen unseres Gewissens. Die eine geht in stolzem Ehrgefühl erhobenen Hauptes einher. Die andere spricht zu Gott: „Du bist mein Ruhm, Du richtest mir das Haupt empor.“ (Ps. 3,4). Die Eigenliebe läßt sich, während sie siegt, von Selbstgefälligkeit und Herrschsucht besiegen. Die Gottesliebe hingegen ist vereint mit dem Nächsten in harmonischem Dienen und Gehorchen. Die Eigenliebe baut auf ihre eigene Kraft, auf ihr eigenes Urteil, auf ihre eigene Vorzüglichkeit. Die Gottesliebe spricht: „Herr, meine einzige Stärke [bist Du]! Dich will ich lieben!“ (Ps. 17,2).
Die Tugend des hl. Johannes erlangen wir, wenn wir die Worte des Völkerapostels über die Keuschheit beherzigen, die er soeben in der Epistel an uns richtete: „Das ist ja der Wille Gottes, eure Heiligung: daß ihr euch rein haltet von Unzucht, daß ein jeder von euch seine Ehefrau in Heiligkeit und Ehrbarkeit zu besitzen weiß; nicht in sinnlicher Leidenschaft wie die Heiden, die Gott nicht kennen.“ (1. Thess. 4,3-5).
Den hl. Apostel Jakobus ahmen wir nach, wenn wir „würdige Früchte der Buße“ (Lk. 3,8) bringen, also Werke, aus denen unsere wahre Umkehr hervorgeht. Dazu müssen wir entschieden mit der Sünde und den Gelegenheiten dazu brechen. Denn wer fortfährt, die Gelegenheiten aufzusuchen, der fährt fort zu sündigen und dessen Buße ist eitel. Ferner muß unsere Buße eine angemessene Wiedergutmachung sein für die Sünden, die wir begangen haben. So lehrt der hl. Papst Gregor d. Gr.: „Bringt würdige Früchte der Buße! Es ist ein großer Unterschied, Früchte der Buße oder würdige Früchte der Buße zu bringen. Die Früchte guter Werke dürfen nicht gleich sein bei dem, der weniger, und bei dem, der viel gesündigt hat, oder bei dem, der nur in einige, und bei dem, der in zahlreiche Sünden gefallen ist. Durch die Mahnung: ‚Bringt würdige Früchte der Buße‘, wird dem Gewissen eines jeden eingeschärft, daß er sich befleißige, durch Buße an guten Werken wieder so viel zu gewinnen, als er durch Sünden verloren hat.“
In diesen drei Tugenden müssen wir dem Herrn insbesondere in dieser hl. Fastenzeit nachfolgen und uns wie die drei Apostel darin auszeichnen, damit wir würdig werden, den Berg der Verklärung zu besteigen, wo sich uns das Geheimnis des Kreuzes erschließt.
„Jesus ward vor ihnen verklärt.“
Als die Jünger vom Licht der Sonne geweckt wurden, da sahen sie, wie neben der irdischen Sonne eine andere Sonne aufgegangen war – eine Sonne, die Jesus durchdrang. Mehr noch: die aus Jesus hervordrang. Jesus stand verwandelt vor ihnen. „Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider wurden weiß wie der Schnee.“
Der hl. Evangelist Markus, der als Schüler des hl. Petrus dessen Augenzeugenbericht niederschrieb, berichtet: „Diese Kleider waren so weiß [wörtl.: überaus glitzernd weiß], wie kein Walker bleich machen kann.“ (Mk. 9,3). Das Gesicht, die Gestalt des Herrn erstrahlte in einem übernatürlichen, nicht von außen an Ihn herangebrachten Licht. Dieser Lichtglanz ist die Daseins- und Erscheinungsform der himmlischen Wesen.
Damit wurden die drei Apostel buchstäblich über die Wahrheit dessen aufgeklärt, was der hl. Petrus zuvor bei Cäsarea-Philippi auf eine Offenbarung des himmlischen Vaters hin von Christus bekannte: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt. 16,18). Jesus ist kein bloßer Mensch. Denn der Vater hat Ihm gegeben, daß die Fülle der Gottheit in Ihm wohne. „Er ist das Ebenbild Gottes, des Unsichtbaren, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.“ (Kol. 1,18). „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott.“ (Credo). Die Apostel sollten endlich sinnfällig begreifen, daß Jesus nicht bloß der Fremdling aus Nazareth ist, sondern der menschgewordene Sohn Gottes.
„Zwei Männer redeten mit Ihm“
Um die Tatsache der Gottheit Christi zu untermauern, blieb Jesus im Licht der Verklärung nicht allein. „Und siehe, es erschienen ihnen Moses und Elias.“ Warum aber ließ Er ausgerechnet diese beiden im Lichtkreis Seiner Herrlichkeit erscheinen? Dafür können mehrere Gründe angeführt werden.
Erstens: Manche Leute hielten Jesus für Elias, andere für Jeremias oder einen der Propheten (vgl. Mt. 16,14). Deshalb ließ Christus auf Tabor die vornehmsten Prophetengestalten des Alten Bundes erscheinen, um sich von ihnen abzugrenzen. Der eine ist Moses, der Gesetzgeber vom Berge Sinai, der charismatische Führer seines Volkes. Der andere ist Elias, der Fürst unter den Propheten, der die Unversehrtheit der wahren Religion mit Feuereifer verteidigt hat. Moses ist der Repräsentant des Gesetzes, Elias ist der Repräsentant der Propheten. Wenn sie jetzt erscheinen, dann bedeutet das, daß sich das Gesetz und die Propheten dem Evangelium, also Jesus, unterordnen. Damit wird offenbar, wer der Herr und wer die Diener sind.
Ferner widerlegte Jesus durch das einvernehmliche Zusammensein mit Moses und Elias die Vorwürfe der Juden, die Ihn der Sabbatschändung anklagten: „Dieser Mensch ist nicht von Gott, da Er den Sabbat nicht hält“ (Joh. 9,18), so redeten die Pharisäer. Auch beschuldigten sie Ihn der Gotteslästerung. Sie begründeten den Versuch, Ihn zu steinigen, mit den Worten: „Weil Du, der Du ein Mensch bist, Dich zu Gott machst.“ (Joh. 10,33). Daß unser Herr in beiden Punkten unschuldig war, Seinem Vater in allem gleich war und sich keine Herrlichkeit anmaßte, bewies Er durch den Auftritt zweier Kronzeugen. Moses hatte den Juden das Gesetz Gottes gegeben. Er hätte es nicht hinnehmen können, einem Übertreter des Gesetzes die Ehre zu geben. Durch die Gegenwart des Moses wird also bewiesen, daß Christus als göttlicher Gesetzgeber über dem Gesetz steht; daß Er mit vollem Recht von sich sagen konnte: „Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat.“ (Mt. 12,8). – Elias hatte für die Ehre Gottes geeifert und unter Aufbietung all seiner Kräfte den Götzendienst bekämpft. Er hätte Christus auf dem Tabor nicht die Ehre gegeben, wenn der Vorwurf des Götzendienstes – sprich der Selbstvergötterung – berechtigt gewesen wäre. So wurde der Glaube der Apostel an Seine Gottheit durch die beiden Zeugen gestärkt.
Die Apostel sollten sodann lernen, daß Christus Gewalt über Leben und Tod hat und Ihm alles im Himmel und auf Erden unterworfen ist. Denn in Moses ließ Er einen Menschen erscheinen, der bereits gestorben war, während Elias den Tod noch nicht erfahren hatte, sondern bis zu seinem Auftreten zur Zeit des Antichrist am Ende der Welt an einem unbekannten Ort entrückt fortwährend lebte. Beide, Tote und wundersam Lebende, erschienen auf den Befehl dessen, der als Gott der einzige Herr über Leben und Tod sein kann.
Vor allem aber wollte Jesus zeigen, zu welcher Herrlichkeit Sein Kreuzestod führen werde. Aus dem Bericht des Lukasevangeliums geht nämlich hervor, daß Moses und Elias nicht schweigend erschienen sind. Denn im Lichtkreis der Verklärung „sprachen sie“. Wovon? „Von Seinem Ausgang, den Er in Jerusalem vollenden sollte“ (Lk. 9,31); d. h. von dem bevorstehenden Leiden und Sterben unseres Herrn und dessen herrlichem Ausgang in Seiner glorreichen Auferstehung, den Seine verklärte Tabor-Gestalt sinnlich wahrnehmbar vorwegnahm. Eine solche Gestalt wird Jesus nach Seiner glorreichen Auferstehung für immer besitzen. In solchem Glanz erscheint Er jedes Mal mitten unter uns bei der hl. Messe; freilich verborgen unter der Gestalt des Brotes und des Weines. Die Verklärung Jesu auf dem Tabor ist also eine Vorwegnahme Seiner Herrlichkeit, die Ihm nicht nur aufgrund Seiner Gottheit von Ewigkeit her zukommt. Nein, Er wird sie sich auch eigens verdienen. Wodurch? Gerade durch Sein Leiden und Sterben am Kreuz. Damit aber lehrte Er die Apostel und auch uns, daß es überaus lohnend ist, Ihm das Kreuz nachzutragen, ja „daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der zukünftigen Herrlichkeit, welche an uns offenbar werden wird“ (Röm. 8,18), wie der hl. Paulus sagt. Und mit dem Völkerapostel spricht nun wirklich einer, der, wie wir am Sonntag Sexagesima gelesen haben, in hohem und höchstem Maße gelitten hat; vielleicht von allen Aposteln am meisten! Trotz seiner zahlreichen und bitteren Leiden sagt der Völkerapostel, daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der zukünftigen Herrlichkeit, welche an uns offenbar werden wird.
Wie uns der hl. Paulus als Anschauungsbeispiel vor Augen steht, so wurden den drei Aposteln durch Moses und Elias auf dem Tabor in gleicher Weise Vorbilder von Männern vorgestellt, die unsägliches Leid ertrugen und dafür von Gott einen herrlichen Lohn erhielten. Denn wie der hl. Paulus in der Christusnachfolge im Neuen Bund, so hatten diese im Alten Bund gewissermaßen ihr Leben verloren und es wieder gefunden. Beide – Moses und Elias – waren vor gottlose Herrscher hingetreten; der eine vor den Pharao in Ägypten, der andere vor König Achab von Israel; beide im Interesse von undankbaren und eigensinnigen Menschen. Beide waren von denen, für deren Rettung und Heil sie gearbeitet hatten, in die größte Gefahr gebracht worden; beide hatten sich abgemüht, das Volk dem Götzendienst zu entreißen; beide waren einfache Männer; der eine besaß eine schwere Zunge und eine schwache Stimme, der andere war etwas hart und unbeholfen in seinem Wesen. Bei beiden finden wir vollendete Armut, denn Moses war mittellos und Elias hatte kein anderes Eigentum als seinen Mantel. Und dafür wurden sie mit einem unvergleichlichen Lohn bedacht, denn sowohl Moses, der gestorben war, als auch Elias, der an einem paradiesischen Ort entrückt lebt, erschienen auf dem Tabor „in Herrlichkeit“ (Lk. 9,31). Daher das eherne Gesetz im Gottesreich: daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der zukünftigen Herrlichkeit, welche an uns offenbar werden wird. – Das sollte auch uns Mut machen, uns selbst zu verleugnen, täglich unser Kreuz auf uns zu nehmen und dem Heiland nachzufolgen.
„Laßt uns hier drei Hütten bauen!“
Was macht nun Petrus? Seit er gehört hatte, daß Jesus nach Jerusalem gehen wolle, um dort zu leiden, war ihm, trotz der Zurechtweisung, angst und bange um den geliebten Meister. Der Berg, die große Zurückgezogenheit und die Einsamkeit brachten ihn daher auf den Gedanken, hier wären sie ganz sicher vor den Feinden. Deshalb sagte Petrus: „Herr, hier ist gut sein für uns“, wo auch Moses und Elias sind. Mit Elias sind wir gesichert, denn er hat auf einem Berg Feuer vom Himmel fallen und in der Folge alle ihm feindlich gesinnten Baalspriester töten lassen. Sicher sind wir mit Moses, der auf dem Gipfel des Berges in die Wolke eintrat und mit Gott Zwiesprache hielt. Und keiner durfte den Fuß jenes Berges berühren, wollte er nicht des Todes sterben. „Herr, hier ist gut sein für uns.“ Hier sind wir gesichert. Keiner würde erfahren, wo wir sind. Wir bräuchten nicht mehr nach Jerusalem zu gehen. Wenn wir dort nicht hingehen, brauchst Du nicht zu sterben, denn nur dort sollen die Schriftgelehrten Hand an Dich legen.
Wir wollen nicht über den hl. Petrus die Nase rümpfen und unser Augenmerk nicht darauf lenken, daß die Art und Weise seiner Bitte ungeschickt war, sonst würden wir dabei übersehen, wie innig er Christus liebte. Bewundern wir stattdessen das Feuer der Liebe, das der hl. Petrus in seinem Herzen trug; wie er für Christus glühte! Daß er nämlich nicht aus Furcht und Sorge um sein eigenes Leben so redete, das geht aus den Worten des Apostelfürsten hervor, die er später sprach, als die Gefahr, ergriffen und getötet zu werden, für ihn weit größer war: „Ich werde mein Leben für dich opfern“ (Mk. 14,31), versicherte Er dem Herrn im Abendmahlsaal. „Und wenn ich mit Dir sterben müßte, nimmer werde ich Dich verleugnen“, beteuerte er auf dem Weg zum Ölgarten. Und auch angesichts der großen Übermacht, die Judas heranführte, ergriff Petrus keineswegs die Flucht, sondern zog sein Schwert und hieb auf den Knecht des Hohenpriesters ein. Ja, und selbst als nach der Gefangennahme Jesu alle Jünger flohen, so folgte Ihm doch Petrus von ferne bis in das Haus des Hohenpriesters hinein. Petrus dachte also nicht an sich, sondern bangte allein um denjenigen, den er aus ganzem Herzen, mit ganzer Seele und aus allen seinen Kräften liebte.
Freilich war diese Liebe noch unvollkommen. Das erkennen wir an dem unbedachten Zusatz „Wenn Du willst, so wollen wir hier drei Hütten bauen. Dir eine, dem Moses eine und Elias eine.“ (Mt. 17,4). Der hl. Johannes Chrysostomus sagt dazu: „Was sagst du da, o Petrus? Hast du Jesus nicht erst kurz vorher weit über seine Diener [die Propheten] erhoben?“ Sagtest du nicht, Er sei „Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“? „Und nun stellst du ihn wieder auf dieselbe Stufe wie sie [wenn du Ihm eine Hütte bauen willst, wie den anderen beiden]?“ Der hl. Petrus hatte zwar bei Cäsarea-Philippi vom himmlischen Vater die Offenbarung von der Gottheit Christi empfangen. Doch war er noch nicht fest genug im Glauben verwurzelt und dachte nicht fortwährend an sie. Seine Liebe war noch flatterhaft, zu leidenschaftlich und zu wenig nüchtern. Deshalb ließ er sich von dem Schauspiel, das sich vor ihm ereignete, aus der Fassung bringen. Der hl. Markus hat der Verwirrung des hl. Petrus mit der Bemerkung Rechnung getragen: „Er wußte nämlich nicht, was er redete; denn sie waren von Furcht befangen.“ (Mk. 9,5).
„Dieser ist Mein geliebter Sohn.“
Welche Antwort erhielt der hl. Petrus auf seinen Vorschlag? Der Heiland selbst sprach kein Wort. Auch nicht Moses und Elias. Es ist der himmlische Vater selbst, der sich zur Gottheit Seines Sohnes bekennt, und dieses Mal nicht nur allein vor Petrus. Denn „Während er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke und siehe, eine Stimme ertönte aus der Wolke und sagte: ‚Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem Ich Mein Wohlgefallen habe. Ihn sollt ihr hören.‘“ (Mt. 7,5).
Warum sprach der Vater aus einer Wolke? Weil Gott sich im Alten Bund immer in der Wolke offenbarte. Die Wolke ist eine Erscheinungsform Gottes. Sie offenbart Gott und verhüllt Ihn gleichzeitig. In der Wüste erschien die Herrlichkeit des Herrn in einer Wolke. Bei der Tempelweihe, als Salomon den schönen, den herrlichen Tempel errichtet hatte, erschien wieder eine Wolke und erfüllte das Haus des Herrn.
Aus der Wolke erschallt also die Stimme. Warum? Damit die Apostel glauben, daß es Gott ist, der da spricht, hatte doch Petrus darauf vergessen und dem Sohn eine Hütte bauen wollen, als sei Er ein bloßer Mensch. Die Wolke ist die Antwort auf das Wort des hl. Petrus. Dieser hatte vorgeschlagen: „Laßt uns drei Hütten bauen.“ Dabei ist die „Wolke aus Licht“ das „Zelt Gottes“. Seine ewige Wohnung. Denn Gott, „der allein Unsterblichkeit besitzt, wohnt im unzugänglichen Licht.“ (1. Tim. 6,16). Weil Christus Gott ist, braucht Er keine materiellen Hütten und auch keine uneinnehmbare Burg auf einem Berggipfel als Zuflucht vor Seinen Feinden. Das Zelt des unermeßlichen Gottes überspannt die ganze Schöpfung. „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ (Apg. 17,28). Er selbst ist dem Menschen eine Zuflucht, wie uns der 17. Psalm lehrt: „Der Herr ist mein Fels, meine Festung und mein Erretter. Mein Gott ist mein Helfer, ich hoffe auf Ihn. Er ist mein Beschirmer und das Horn meines Heiles, Er nimmt sich Meiner an [in der Gefahr].“ (Ps. 17,3). So ist der lichte Schutz und Beistand Gottes nicht nur allezeit über dem kreuztragenden Sohn gleich dem Himmel eines Zeltes ausgespannt, sondern auch über denen, die in Seiner Nachfolge Zuflucht bei Ihm suchen.
Was sagt nun die Stimme aus der Wolke? „Dieser ist Mein geliebter Sohn.“ Wenn Er also „geliebt“ ist, so braucht Petrus keine Furcht um ihn zu haben. Wenn Er der wesensgleiche „Sohn“ ist, dann ist Er auch im Besitz der Allmacht, wie der Vater. Und folglich ist Er mächtig genug, damit Ihm niemand Sein Leben entreißen kann. Er kann Sein Leben am Kreuz hingeben, wann und wie Er es will, genauso wie Er es in Seiner glorreichen Auferstehung wieder an sich zu nehmen vermag, wann und wie es Ihm gefällt (vgl. Joh. 10,18).
Diese Lehre ist auch wichtig für uns. Denn durch die heiligmachende Gnade haben wir Anteil am Leben Gottes, sind auch wir „geliebte Söhne“. Freilich, wir sind nicht wesensgleicher Sohn und daher nicht allmächtig. Aber wir sind „geliebte Söhne“. Deshalb sollen wir keine Furcht haben vor dem Kreuz, nicht mutlos werden, wenn die Last uns drückt. Denn die Liebe Gottes hat das Kreuz eines jeden von uns fein abgewogen, damit durch seine Last einerseits die Eigenliebe in unserer Seele zerstört werde und doch andererseits hundertfältige Tugendfrucht wachse. Und dabei wird diese Last stets so beschaffen sein, daß wir sie noch tragen können. Weil ihr „Geliebte Gottes“ seid, deshalb „wird Er euch nicht über eure Kräfte versuchen lassen, sondern der Versuchung auch einen solchen Verlauf geben, daß ihr sie bestehen könnt.“ (1. Kor. 10,13).
Noch ein letztes fügte die Stimme des Vaters hinzu: „Ihn sollt ihr hören.“ Christus ist das ewige Wort, das fleischgewordene Wort Gottes (vgl. Joh. 1,1.14). Wer dürfte sich Ihm also verschließen? „Ihn sollt ihr hören.“ Auch wenn Er gekreuzigt werden will, sollst du nicht dagegen sein. Und auch wenn Er will, daß du dich selbst verleugnest, dein Kreuz auf dich nimmst und Ihm nachfolgst, darfst du dich Ihm nicht verweigern. Sondern wie der junge Samuel sollst du sprechen: „Rede, Herr, denn dein Diener hört.“ (1. Sam. 3,9). Ihn sollt ihr hören!
„Fürchtet euch nicht!“
Die Jünger fielen auf ihr Angesicht nieder. Das Geschaute und Gehörte erfüllt ihre Seele mit grenzenloser Ehrfurcht. Die natürliche Reaktion des durch die Sünde von Gott entfremdeten Menschen auf eine derartige Gotteserscheinung ist die Furcht. Die Gewalt der Herrlichkeit Gottes, die Macht Seines Glanzes überwältigt den Menschen, drückt seinen schmalen Geist zu Boden und treibt ihn dazu an, sich zu verbergen. Adam verbarg sich vor Gott und selbst Moses wagte am brennenden Dornbusch nicht aufzuschauen (vgl. Gen. 3,8; Ex. 3,6). Als die Hebräer am Sinai unter Blitz und Donner die „Zehn Gebote“ empfingen, da bekam das Volk Angst. Zitternd standen sie in der Ferne und flehten Moses an: „Rede du mit uns. Aber Gott soll nicht mit uns reden, sonst müssen wir sterben.“ (Ex. 20,19). Furcht, heilige Furcht, Ehrfurcht ist die erste und richtige Reaktion auf die Erscheinung Gottes.
Entsprechend häufig kommt im Alten Testament dann aber auch der Zuspruch vor: „Fürchtet euch nicht!“ So auch jetzt auf dem Tabor. Sanft und liebevoll tastet Jesus an die Schulter der drei Apostel und sagt: „Steht auf, und fürchtet euch nicht!“ (Mt. 17,7). Das ist die Anrede des Guten Hirten an sein verängstigtes Schäflein.
„Sagt niemandem etwas davon.“
Und als sie ihre Augen erhoben, da waren sie mit Jesus ganz allein. Der herrliche Lichtglanz und die Wolke waren verschwunden. Die Stimme war verklungen. Auch Moses und Elias waren nicht mehr da. So wanderten sie den Berg wieder hinab. Denn unten warteten die übrigen Apostel. Und sie mußten jetzt den Weg nach Jerusalem fortsetzen. Noch während sie hinabstiegen aber gebot ihnen Jesus: „Sagt niemand etwas von der Erscheinung, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“ (Mt. 17,9). Er verschloß ihnen den Mund bis zu der Stunde, wo das Erlösungswerk vollendet sein würde.
Die Taborstunden sollten die Apostel für die Kreuzesnachfolge stärken. Sie sollten ihnen Mut machen. Sie sollten in ihnen den Glauben stärken, daß Gott auch in Leiden und Kreuz mit Seinem Sohn ist und mit denen, die Ihm nachfolgen. Damit die Apostel und auch wir nicht an Ihm irre würden, hat Er sich ihnen in dieser Weise zu erkennen gegeben. Aber eben nur dafür hat der Heiland mit den Aposteln den Tabor bestiegen: um Kraft zu tanken. Kraft, die notwendig war, um jetzt das Kreuz zu tragen.
Mit dem Schweigegebot wollte der Heiland verhindern, daß das Kreuz aus dem Blickfeld gedrängt würde und der Eindruck entstünde, es könne in diesem Leben ein Zustand erreicht werden, der ohne das Kreuz sein könne. Manche Menschen sehnen sich nach dieser Illusion; nach einem Leben auf dem Tabor; nach einem Leben ohne Prüfung, ohne Versuchung, ohne Widrigkeiten, wo alles nach dem Wunsch unseres Willens laufen müsse. Diese Menschen machen Gott dann trotzig Vorhaltungen, wenn eben doch Kreuze über sie kommen, und bemerken dabei gar nicht, wie selbstsüchtig ihre Wünsche doch sind.
Wenn uns geistliche Tröstungen zuteilwerden, so sollen wir mit den Menschen, abgesehen vielleicht vom Beichtvater, nicht viel davon reden. Wir sollen Gott dafür danken, in dem Bewußtsein, daß sie uns Rüstzeug sein sollen, um uns für die kommenden Prüfungen zu wappnen. Auch dürfen wir im Zustand des Trostes nicht meinen, den Gipfel der Heiligkeit erklommen zu haben. Stattdessen sollen wir uns demütigen und Gott um die Gnade bitten, den von Ihm beabsichtigten Nutzen aus dem geistlichen Trost zu ziehen.
„Dein Stock und Dein Stab geben mir Zuversicht.“
Denn in jedem Leben kann und wird es Taborstunden geben. Stunden der Erhebung, der Ergriffenheit; Stunden, wo uns die Religion Freude macht; wo uns alles leicht fällt; wo wir dankbar sind, daß wir im heiligen Glauben und in der Gnade stehen dürfen. Aber diese Stunden können vergehen und werden vergehen. Sie sind nicht von immerwährender Dauer. Denn dazu sind sie nicht da! Es kann der Zweifel an uns nagen. Es können Leiden über uns kommen. Es besteht immer die Gefahr, daß wir irre werden an dem Menschlichen in der Welt und an dem erbärmlichen Zustand der kleinen Rest-Kirche, die wir heute vorfinden. In solchen Stunden sollen wir uns erinnern, daß unser Herr und Heiland als unser guter Hirte mit uns geht, ob auf den Berg Tabor oder auf den Ölberg. Selbst auf dem Kalvarienhügel unseres Sterbelagers hält Er bei uns aus bis zu unserem letzten Atemzug.
Deshalb wollen wir in dieser hl. Fastenzeit (und darüber hinaus) mit zuversichtlichem Vertrauen den 23. Psalm auf den Lippen tragen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Auf einem Weideplatz läßt Er mich lagern; an Wasser der Erquickung leitet Er mich. Er erquickt meine Seele; führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, um Seines Namens willen.“ Das sind die Klänge der Taborhöhe. Aber auch wenn der Herr uns nach Jerusalem zum Kreuztragen ruft, wollen wir, vom Licht des Tabor gestärkt, sprechen: „Ob ich auch mitten durch Todesschatten wandelte, so fürcht‘ ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir. Dein Stock und Dein Stab“ – das hl. Kreuz – „sie geben mir Zuversicht.“ Amen.