Von der Versuchung

Geliebte Gottes!

Wir sind am Aschermittwoch in die vierzigtägige Übung des heiligen Fastens eingetreten. Jeder hat hoffentlich wirkkräftige Vorsätze gefaßt, damit wir dem Herrn mit Hilfe der Gnade unsere Liebe und den Willen zur Bekehrung beweisen. Wir wollen uns während dieser „Zeit der Gnade“, wie sie der hl. Paulus in der Epistel nennt, von den geschaffenen Dingen lösen und unseren Geist zu den übernatürlichen und ewigen Gütern erheben.

Vierzig – die hl. Zahl der irdischen Vollkommenheit

Vierzig Tage wollen wir durch Gebet, Abbruch und Werke der Nächstenliebe unser Herz reinigen. Vierzig Tage, das ist ein ganzer „Welttag“ lang. Denn die Zahl vier ist bekanntlich in der christlichen Zahlensymbolik die Zahl für die geschaffene Welt; für all das, was geworden ist. Denn am Anfang war nur die Dreizahl – Vater, Sohn und Heiliger Geist – der dreifaltig-eine Gott. Als Er die Welt erschuf, trat die Schöpfung hinzu: als drei plus eins.

Die Vier-Zahl ist die Zahl für die geschaffene Welt: vier Himmelsrichtungen, vier Elemente, vier Ströme im Paradiesgarten, vier Jahreszeiten, vier Temperamente, vier Kardinaltugenden etc.

Die Zahl zehn ist die Zahl irdischer Vollkommenheit. Die Zählung der Zahlen erfolgt in Zehnern. Die Zählung der Zeit in Dekaden. Diese Bedeutung leitet der hl. Beda Venerabilis von den Zehn Geboten her. Der Dekalog trägt die Vollendung der irdischen Ordnung in sich.

Führt man nun die Zahl der geschaffenen Welt und die Zahl der irdischen Vollkommenheit zusammen – vier mal zehn –, so ergibt sich daraus die heilige Zahl vierzig. Sie ist die Steigerung der Vier, die Erhebung der Vier ins Vollkommene: Vierzig Tage hatte Moses auf dem Sinai gefastet, um die Gesetzestafeln, das vollkommene natürliche Sittengesetz von Gott, zu empfangen. Vierzig Jahre zog das auserwählte Volk Israel durch die Wüste, bis es gereinigt und so weit vervollkommnet war, daß es in das gelobte Land einziehen konnte. Vierzig Tage hatte auch Elias auf dem Weg zum Gottesberg Horeb gefastet, um dort der Begegnung mit Gott im Säuseln des Windes würdig erachtet zu werden.

Die heilige Zahl vierzig will also das Irdische zur Vollendung führen. Hinsichtlich unseres Fastens ist damit ausgedrückt, daß unser Fasten unsere ganze Seele und unser ganzes Leben vollkommen durchwirken soll. Ein hochherziger, freudiger Anfang ist hierzu vonnöten.

Vom guten Geist getrieben

Wir wollen dem Beispiel unseres Herrn Jesus Christus folgen. Im Markusevangelium heißt es, daß sich unser Herr gleich nach Seiner Taufe am Jordan auf Antrieb des Hl. Geistes in die Wüste begab, nicht nur um zu fasten, sondern auch um vom Teufel versucht zu werden: „Alsbald trieb Ihn der Geist hinaus in die Wüste. Und Er war in der Wüste vierzig Tage und vierzig Nächte. Und Er ward von dem Satan versucht.“ (Mk. 1,12.13). Die Vollkommenheit im Dienste Gottes kann nicht nur erreicht werden allein durch den Abbruch an der Speise; sie muß auch erstritten werden im Kampf der Versuchung.

Die Offenbarung des Alten Testaments macht uns darauf aufmerksam: „Mein Sohn, wenn du dich anschickst, Gott zu dienen, mache dich bereit auf Versuchungen!“ (Sir. 2,1). So lautet ein Satz aus dem Buche Jesus Sirach. Versuchung ist Anreiz zur Sünde. Versuchung ist nicht die Sünde selbst, sie ist Anreiz dazu. Sie lockt uns durch Reize, das Sündhafte für etwas Gutes zu halten, damit wir darin einwilligen und so sündigen. Bezüglich der Versuchung wollen wir uns heute vier Fragen stellen und zu beantworten versuchen.

  1. Welches ist der Ursprung der Versuchungen?
  2. Was beabsichtigt Gott mit den Versuchungen?
  3. Wie können wir Versuchungen vorbeugen?
  4. Wie müssen wir uns in Versuchungen verhalten?

Der Ursprung der Versuchungen

Die erste Frage lautet: Welches ist der Ursprung der Versuchungen? – Zunächst einmal ist offenkundig, daß Versuchungen eine alltägliche Erscheinung sind. Wir lesen schon auf den ersten Seiten der Heiligen Schrift, im dritten Kapitel des Buches Genesis, von der Versuchung der Eva. Das heutige Sonntagsevangelium berichtet uns von der Versuchung des Heilandes in der Wüste, auf der Tempelzinne und auf dem hohen Berge. Die ganze Heilsgeschichte sowohl des Alten als auch des Neuen Bundes meldet Versuchungen. Alle Heiligen wurden versucht, ohne Ausnahme: Der hl. Hugo von Grenoble litt unter Versuchungen, die ihn zu gotteslästerlichen Gedanken trieben. Der hl. Franz von Sales wurde von der Versuchung heimgesucht, er sei von Gott zur ewigen Verdammnis vorherbestimmt. Der hl. Benedikt litt unter Versuchungen gegen die Reinheit. Er warf sich in die Dornen. Ebenso der hl. Franz von Assisi. Er warf sich in den Schnee. Viele Heilige hatten Versuchungen gegen den Glauben, so etwa der hl. Vincenz von Paul. Kurz: Versuchungen sind eine alltägliche Angelegenheit. Sie sind kein Hindernis für die Heiligkeit. Im Gegenteil! Sie sind für die Erreichung dieses Zieles unerläßlich.

Die Wurzel aller Versuchung ist eine dreifache. Es ist die Wurzel der dreifachen Konkupiszenz, also die böse Begierlichkeit, die aus der Erbsünde stammt und die auch, wenn die Erbsünde durch die hl. Taufe getilgt wird, nicht aus dem Menschen verschwindet. Die böse Begierlichkeit ist das ungeordnete Verlangen nach vergänglichen Gütern. Sie ist in den Menschen verschieden stark, betätigt sich aber bei jedem auf drei Gebieten: Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens. So sagt der hl. Johannes: „Denn alles, was in der Welt ist, ist Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens.“ (1. Joh. 2,16).

Die Augenlust drängt in ungeordneter Weise danach, möglichst viel zu haben; Die Fleischeslust strebt nach Genüssen und ist gegen die Mäßigkeit gerichtet. Die Hoffart des Lebens strebt im Übermaß nach der eigenen Größe und Vorzüglichkeit. Sie äußert sich in Stolz, Angeberei und Ehrgeiz. Diese drei Felder der Begierlichkeit sind ein nie austrocknender Sumpf, der Nährboden aller Versuchungen.

Daneben aber gibt es auch „den Versucher“. In der heutigen Stelle aus dem Matthäusevangelium wird der Teufel „der Versucher“ genannt, denn es ist sein Beruf, Versuchungen zu bereiten. Er tut dies, indem er in den Menschen sinnliche Vorstellungen erweckt oder sie vermehrt, indem er die Begierlichkeit anreizt, gegen die Vernunft, gegen die von Gott gesetzte Ordnung, vergänglichen Gütern nachzustreben. Zwar kommt nicht jede Versuchung vom Teufel. Aber der Teufel kann den Verstand und den Willen des Menschen für das Böse zu disponieren versuchen. Er kann den Menschen durch sein Wirken dafür empfänglich machen.

Die dritte Quelle der Versuchung ist „die Welt“. Damit ist gemeint die im Argen liegende Welt, also die Lockungen, der Güter dieser Welt, die uns dazu reizen, sie zu selbstsüchtigem Gebrauch, also gegen die Vernunftordnung, zu mißbrauchen. Natürlich zählen hierunter auch die bösen Menschen, welche die anderen zu verführen suchen. Es gibt Verführer unter den Menschen.

Diese drei Quellen der Versuchung stürmen also auf den gläubigen Menschen ein – die dreifache Begierlichkeit, der Teufel und die böse Welt –, und wir sollen angesichts der Versuchungen zwei Dinge nicht tun! Wir sollen uns vor der Versuchung nicht ängstigen. Und wir sollen uns von der Versuchung nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wer Angst vor der Versuchung hat, der ist eine leichte Beute der Versuchung, denn die Angst lähmt und treibt in die Verzweiflung. Zum einen wissen wir, daß Versuchungen kommen müssen. Und zum anderen wissen wir, daß wir in der Versuchung nicht alleine sind. Gott ist mit uns. Und Gott ist stärker als die Versuchung. Deswegen darf man sich vor der Versuchung nicht ängstigen. – Man darf sich von der Versuchung aber auch nicht den Frieden des Herzens rauben lassen, denn in panischer Unruhe kann man die rechten Mittel zur Abwehr der Versuchung nicht mehr finden. Wer in der Versuchung panisch wird und den inneren Frieden verliert, dem geht es wie einem Vogel, der in ein Netz geraten ist. Je mehr er um sich schlägt, umso mehr verfängt er sich in dem Netz.

Der Zweck der Versuchungen

Die zweite Frage lautet: Was beabsichtigt Gott mit den Versuchungen? Noch einmal sei es gesagt: Versuchungen kommen über jeden Menschen. Sie kommen sogar über die guten Menschen häufiger als über die schlechten! Das ist aus ihrem Zweck ersichtlich. Der Teufel ist natürlich bestrebt, durch die Versuchungen die Menschen in seine Fänge zu ziehen. Diejenigen, die er schon hat, braucht er nicht mehr zu versuchen. Umso mehr Energie muß er hingegen in die Versuchung jener investieren, welche er noch nicht zu Fall gebracht hat, die ihm widerstreben, die ihn bekämpfen. Deswegen werden die Heiligen von Versuchungen besonders heftig heimgesucht.

Im Umkehrschluß gilt daher auch der furchtbare Satz, den der hl. Pfarrer von Ars einmal gesagt hat: „Nicht versucht zu werden, das ist der Zustand jener, die der Teufel bereits für die Hölle zubereitet hat!“ Und auch der hl. Ignatius sagt aus seiner Erfahrung als Seelenführer und Ordensgeneral, daß ein unfehlbares Vorzeichen für den unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch das sorglose Wohlergehen ist, hingegen die erfolgversprechenden Werke Gottes stets vom Kreuz und vom Kampf gegen Versuchungen gekennzeichnet sind.

Wenn Gott Versuchungen zuläßt, dann verfolgt Er damit eine bestimmte Absicht: Er will uns erproben! Er will uns Gelegenheit bieten, zu zeigen, daß wir treu sind, daß wir Ihn und Seine Ordnung und Sein Gebot mehr lieben als uns selbst. Außerdem will Er uns gestatten, durch den Sieg über die Versuchung einen Anspruch auf Belohnung bei Ihm zu erwerben.

Die Versuchungen, die Gott über uns kommen läßt, haben nicht Ihn zum Urheber! Gott läßt sie nur zu. Und in diesem Sinne ist auch die sechste Vaterunser-Bitte zu verstehen: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Entgegen dem Wortsinn ist nicht Gott die treibende Kraft. Das sagt uns ganz deutlich der hl. Apostel Jakobus in seinem Brief: „Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung geführt. Denn Gott kann nicht in Versuchung kommen, Böses zu tun, und Er führt auch selbst niemand in Versuchung.“ (Jak. 1,13). Wir dürfen also nicht am Wortsinn kleben, sondern müssen – wie immer beim Gebet – mitdenken. Der Herr hat diese Bitte in der direkten Redeweise, wie sie nun im Judentum üblich war, formuliert: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Das heißt: „Laß keine Versuchung über uns kommen, die unserer Schwachheit Anlaß zum Fall wird!“ „Bewahre uns vor Versuchungen, die uns angesichts unserer Schwachheit in den Ruin führen können!“

Wenn Gott auch nicht Ursache der Versuchung ist, so dient dieselbe doch Seinen Absichten. Nach Gottes Willen dienen die Versuchungen der Bewährung. Im Buche Tobias sagt der hl. Erzengel Raphael zu dem greisen Tobias: „Weil du angenehm warst vor Gott, mußte die Versuchung dich bewähren.“ Weil du angenehm warst vor Gott, mußte die Versuchung dich bewähren!

Die Versuchung rüttelt uns auf aus der Lauheit. Sie erhält in uns die Wachsamkeit. Wir werden gewahr, daß wir nicht unentschieden sein können, sondern daß wir uns unausweichlich entscheiden müssen zwischen Gut und Böse. Es gibt keine Neutralität zwischen Gut und Böse! Die Versuchung macht uns sodann auch demütig. Theorie ist ja immer das eine, Praxis das andere. Denn wir machen in der Versuchung die Erfahrung, daß wir schwach sind in der Versuchung, und Demut ist die Wurzel aller Tugenden.

Die Versuchung reinigt uns von Unvollkommenheit und stärkt uns mit Tugendkraft. Es ist ähnlich wie mit dem Meer. Die Stürme müssen über das Meer kommen und die Wogen peitschen, damit der Sauerstoff in das Meer hineinkommt und die Fische haben, was ihnen zum Leben notwendig ist. Die Bäume werden durch den Wind gezwungen, ihre Wurzeln umso fester in das Erdreich hineinzugraben. Ähnlich ist es mit der Versuchung, mit der bestandenen Versuchung selbstverständlich. „Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker.“ Die Versuchung mehrt auch unsere Gottesliebe und unser Gottvertrauen; denn wir wissen: Wenn wir darin obsiegen, dann war Gott im Spiel, dann hat Er mittels Seiner Gnadenhilfe dazu die Kraft gegeben. Ferner büßen wir durch die bestandenen Versuchungen Strafen ab, die wir sonst im Fegefeuer abbüßen müßten. Und schließlich mehren die bestandenen Versuchungen unsere himmlische Herrlichkeit.

Der heilige Augustinus hat einmal so schön gesagt: „Du willst doch gekrönt werden. Niemand wird gekrönt, wenn er nicht gesiegt hat. Niemand kann siegen, wenn er nicht gekämpft hat. Niemand kann kämpfen, wenn er keinen Feind hat. Also muß es Versuchungen geben.“ Genauso ist es! Die Versuchungen haben in Gottes Plan über unserem Leben eine gewichtige Stellung, einen unerläßlichen Zweck.

Schutz vor Versuchungen

Nichtsdestotrotz darf man sich nicht selbst Versuchungen bereiten. Das wäre Vermessenheit. Auch darf man sich nicht leichtfertig jene Gelegenheiten schaffen oder dieselben aufsuchen, die uns zum Fall in die Sünde werden können. Man soll sich nicht mutwillig in Versuchungen begeben. Versuchungen sind kein Wert an sich, sondern wohl dem, der davon verschont bleibt. Aber da sie kommen und da sie unweigerlich kommen, müssen wir uns rüsten, sie zu bestehen. Aber nur wenn Gott sie über uns kommen läßt, können wir uns Seines gnadenhaften Beistandes sicher sein. Wir müssen uns der Versuchung gegenüber also passiv verhalten. Wir dürfen sie nur erdulden. Unser aktives Streben muß hingegen darauf ausgerichtet sein, so viel an uns liegt, alles Nötige zu tun, um der Versuchung aus dem Weg zu gehen. Darum die dritte Frage: Was kann man tun, um sich vor Versuchungen zu schützen? Was kann man tun, um vor Versuchungen bewahrt zu werden? Wir geben hier drei Mittel an.

Einmal die unablässige Arbeit. Die Arbeit ist für den Menschen so notwendig wie das Fliegen für den Vogel. Der Mensch ist zur Arbeit geschaffen. Selbst im Stand der Unschuld erhielten die ersten Menschen von Gott einen Arbeitsauftrag: „Da nahm Gott, der Herr, den Menschen und setzte ihn in das Paradies der Wonne, auf daß er es bebaue und bewahre.“ (Gen. 2,15). Seit dem Sündenfall ist die Arbeit ferner auch die von Gott auferlegte Buße: „Mit vieler Arbeit sollst du dich von ihr [der Erde] nähren, dein Leben lang … Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen.“ (Gen. 3,17.19). Wenn sich der Mensch der Arbeit aus eigener Schuld entzieht, dann betreibt er seinen Ruin. Er fördert durch das bequeme Leben die dreifache Begierlichkeit und macht es so dem Teufel leichter, ihn zur Sünde zu verführen: „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ Bei der Arbeit sei besonders betont: Der Mensch hat eine Seele und einen Leib, und wir sollten deshalb die körperliche Arbeit nicht geringschätzen. Gerade diejenigen, die Berufe mit geistiger Tätigkeit haben, sollten sich um körperliche Betätigung bemühen. Unablässige Arbeit ist eine unerläßliche Schutzwehr vor Versuchungen.

Das zweite Mittel ist das beständige Denken an Gott. „Wenn wir Gott im Herzen tragen, dann ist der Feind schon abgeschlagen.“ Wir sollten also den Ruf des Herrn beherzigen: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet!“ Beten, das heißt mit Gott reden, das heißt Gott unsere Sorgen und Ängste vortragen, das heißt Gott um Hilfe anrufen, etwa durch kurze Stoßgebete. – Die hl. Theresia von Avila hatte eine besondere Art des Gebetes gegen Versuchungen, nämlich sie gebrauchte das Weihwasser. Das Weihwasser hat ja durch das Gebet der Kirche eine exorzierende Kraft. „Der Teufel fürchtet sich vor dem Weihwasser“, sagt der Volksmund, und das ist wahr. Wenn wir also das Weihwasser benutzen, denken wir an Gott und schleudern ihm den über das Wasser gesprochenen Exorzismus entgegen. Schlagen wir ihn damit in die Flucht. Aber auch das Kreuzzeichen besitzt eine große Macht. „Der Hund flieht vor dem Knüppel, und der Teufel nimmt Reißaus vor dem Kreuzesstab.“ Wenn wir also das Kreuzzeichen machen und wenn wir rufen: „Mein Jesus, Barmherzigkeit!“, dann wird sich der Teufel angesichts des Zeichens, mit dem er und seine Macht überwunden wurde, mit Grausen von uns abwenden und von uns weichen müssen.

Das dritte Mittel, um Versuchungen vorzubeugen, ist die Selbstüberwindung. Wir müssen uns immer wieder an die Zügel nehmen. Wir müssen einhalten in unserer Neugierde, also in der ungeordneten Lust, etwas wissen zu wollen; in unserer Eßlust, in unserer Lust am Genießen; in unserer Lust am Reden – bei Klatsch und Tratsch –; in unserer Lust, vor anderen groß zu erscheinen, die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, den Vorrang einzunehmen; die Lust daran, daß man unsere guten Werke sieht und wertschätzt. Wir müssen Einhalt gebieten, unserer Habsucht, allen irdischen und vergänglichen Dingen, die man haben kann.  Ja, einfach allem, was es sonst noch an Lüsten im Menschen gibt. Dazu müssen wir zeitweilig in den erlaubten Dingen uns einen Abbruch auferlegen, damit wir der Lockung zum Unerlaubten unzugänglich bleiben können. – Selbstbeherrschung stählt den Willen, und gegen einen gestählten Willen wird der Teufel nur schwer ankommen.

Diese Mittel sollten wir gebrauchen, um uns vor Versuchungen zu bewahren.

Verhalten in der Versuchung

Die vierte und letzte Frage lautet schließlich: Wie sollen wir uns verhalten, wenn die Versuchung über uns kommt? Was sollten wir tun in der Versuchung? Wir wollen fünf Mittel dazu angeben.

Erstens sollen wir unsere Augen zu Gott richten und Ihn zu Hilfe rufen. Als die Apostel auf dem See Genezareth in den Seesturm geraten waren, da weckten sie den Heiland aus seinem Schlaf und riefen: „Herr, rette uns! Wir zugrunde!“ (Mt. 8,25). Und der Herr erhob sich, gebot dem Wind und den Wellen und es kehrte eine große Stille ein. Wir sollen es genauso machen. In der Versuchung beten! Jesus und Maria anrufen; ein Ave Maria beten, und unweigerlich wird der Stärkere den Starken überwinden. Denn der Herr ist stärker als der Versucher. Nichtsdestotrotz will Er sich bitten lassen. Deshalb gilt Seine Mahnung erst recht im Augenblick der Versuchung: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet!“ bzw. damit ihr nicht in der Versuchung fallet.

An zweiter Stelle kann uns der Gedanke an die Letzten Dinge helfen, die Versuchung zu überwinden. Wir sollen denken an den Tod, das Gericht, die ewige Verdammnis, an den Himmel. Diese Erinnerung kann uns von der Sünde, von der Einwilligung in die Versuchung abhalten. „Bei allem, was du tust, gedenke an dein Ende, so wirst du in Ewigkeit nicht sündigen.“ (Sir. 7, 40). Ja, im Angesicht des Todes schwindet der Reiz der Versuchung. Da werden die lächerlichen Vorstellungen und lockenden Vorspiegelungen, die uns der Teufel einzuflößen sucht, zu nichts zerrinnen.

Eine dritte Hilfe in der Versuchung besteht darin, daß wir uns den „Lohn der Sünde“ ins Gedächtnis rufen. Die Sünde ist nie ein Gewinn, sondern noch immer ein Verlustgeschäft gewesen. Die Sünde betrügt immer. Sie verheißt etwas, was sie nicht erfüllt. Sie verspricht etwas, was sie nicht einlöst. Am Ende müssen wir doch dafür büßen. Daran sollen wir uns erinnern, damit der Reiz der Versuchung überwunden wird. Ja, wir alle, die wir ja reumütige Menschen sind, wissen: Wir haben es letztlich doch immer bereut, wenn wir eingewilligt haben. Es hat sich nie gelohnt. Es war immer falsch, und es war niemals richtig, der Versuchung nachzugeben.

An vierter Stelle können wir es so machen wie der Heiland im heutigen Evangelium, indem wir dem Versucher befehlen: „Vade!“, „Fort von mir, Satan!“, „Weiche, Satan!“ Ja, wir können ihn vertreiben, so wie es der Priester tut, wenn er den Exorzismus betet. Er gibt den Befehl: „Weiche, verfluchter Verdammter!“ So können auch wir dem Satan befehlen, von uns zu weichen. Er wird dann das Feld räumen, wenn wir ihn verscheuchen und sein verführerisches Angebot mit tiefer Verachtung strafen.

Ein noch ein fünftes sehr wertvolles Mittel, um die Versuchung zu überwinden. Es besteht darin, sich zu demütigen. Die Verdemütigung kann auf verschiedene Weise geschehen. Eine sehr wirksame Methode besteht beispielsweise darin, sich in der hl. Beichte der beschämendsten Sünden seines früheren Lebens anzuklagen. Obwohl diese Sünden nachgelassen sind demütigen wir uns durch ihr erneutes Bekenntnis. Und die Demut ist dem Teufel unerträglich. – Ferner ist es sehr hilfreich die Versuchung, von der man bedrängt wird, zu offenbaren. Zur „fünften Stufe der Demut“ sagt der hl. Benedikt in seiner Mönchsregel: „Der Mönch bekennt demütig seinem Abt alle bösen Gedanken, die sich in sein Herz schleichen, und das Böse, das er im Geheimen begangen hat, und er verbirgt nichts.“ (Reg. 7). Das heißt übertragen auf uns, wir sollen unsere Versuchungen aufdecken, indem wir sie gegenüber dem Beichtvater, dem Vorgesetzten oder einem Vertrauten offen aussprechen. Denn der Teufel will unbekannt bleiben, damit er sein finsteres Spiel in unserer Seele weiter treiben kann. Nichts fürchtet er mehr, als enttarnt zu werden. Sobald wir seine üblen Machenschaften mit denen er uns bedrängt ans Licht zerren, wird er Reißaus nehmen. Der Hochmut treibt uns dazu, uns zu erheben und die Achtung anderer zu suchen und infolgedessen ihnen unsere Fehler zu verheimlichen. Diesen Stolz macht sich der Teufel im Augenblick der Versuchung zunutze, indem er uns einflüstert: „Das sollst du niemandem sagen. Das ist zu beschämend. Das kannst du niemandem offenbaren. Das mußt du für dich behalten. Was wird der Priester von dir denken? Der kann dir sowieso nicht weiterhelfen. Was wird der schon sagen?“ – Das demütigende Aussprechen der Versuchungen eröffnet uns auch die Möglichkeit Ratschläge einzuholen, wie wir da wieder herausfinden können, wie wir uns der Versuchung entziehen, wie wir sie überwinden können. Und auch deswegen ist der Teufel daran interessiert, den Menschen zum Stillschweigen anzuhalten, statt daß er ihn seine Versuchungen, seine Kämpfe, seine Schwierigkeiten aussprechen läßt. Wie das Sonnenlicht das unter einem moosigen Stein hausende Ungeziefer zur hecktischen Flucht antreibt, sobald man seine Unterseite dem hellen Licht aussetzt, so ergreift der Teufel die Flucht, wenn wir den unschönen Teil unseres Charakters offenbaren und vor einem anderen aufdecken. Um uns dazu zu ermutigen, führt der hl. Benedikt noch mehrere Schriftworte an: „Eröffne dem Herrn [in Seinem Stellvertreter] deinen Weg und vertraue auf ihn.“ (Ps. 36,5). „Legt vor dem Herrn ein Bekenntnis ab; denn Er ist gut, denn Seine Huld währt ewig.“ (Ps. 117,1).

Bußzeit

Fastenzeit ist Bußzeit. In den vierzig Tagen sollen wir durch Bußwerke und den Kampf gegen die Versuchung die göttliche Ordnung in unserem Leben wiederherstellen, sie nach Möglichkeit auf ihre Vollkommenheit zurückführen.

Buße tun heißt, sich bekehren und Genugtuung leisten für die Schuld. Sich bekehren besagt, eine Wende vornehmen, umkehren auf einem irrigen, auf einem falschen Wege, das Gegenteil von Sünde tun, also gute Werke vollbringen: Gottesliebe und Nächstenliebe üben, beten, fasten, Almosen geben. Es gibt Katholiken, die in der Fastenzeit jeden Tag privat die heilige Messe beten, obwohl sie aufgrund der heutigen Umstände keine Gelegenheit haben, persönlich der hl. Messe beizuwohnen. Sie vereinigen sich aus der Ferne ihres Wohnortes mit dem Geschehen am Altar. Und das mit dem wissen, daß es die Kraft des kostbaren Blutes Christi ist, die uns mächtige Hilfe leistet, die Versuchung zu überwinden.

Sodann: Verzeihen, Feindschaften abbauen, Frieden halten, Hilfe leisten, das sollen wir tun, um die Versuchung zu entkräften und zu überwinden. Und gleichzeitig sollen wir auch Genugtuung leisten. Das heißt, daß wir uns Strafen auferlegen: Enthaltung von Speisen, Verzicht auf Genüsse des Gaumens, Verzicht auf Alkohol oder Süßigkeiten, Verzicht auf Rauchen oder Schlaf. Insbesondere der Verzicht auf Bildschirm- und Unterhaltungsmedien sei sehr angeraten.

Die Gründerin des Karmels von Innsbruck hat einmal gesagt: „Der Unterschied zwischen Klöstern mit gutem Geist und solchen, wo er fehlt, besteht nicht darin, daß es in den ersteren keine Fehler gibt; sondern, daß hier die Fehler nicht geduldet, sondern wiedergutgemacht werden; in den anderen aber nicht.“ Dasselbe gilt im übertragenen Sinn auch für uns. Jedem unterlaufen Fehler. Doch während die Oberflächlichen geflissentlich darüber hinweggehen und sich darüber wundern, daß sie in noch größere und heftigere Versuchungen fallen, gestehen sich die Gutgesinnten ihre Fehler ein, leisten Wiedergutmachung durch Buße und dürfen feststellen, daß sie durch die Bußwerke den Versuchungen die Kraft entziehen.

„Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ (Mt. 11,12). Wir haben zwei Möglichkeiten: entweder uns selbst zu schonen, dann wird uns Gott nicht schonen; oder uns selbst nicht zu schonen, dann schont uns Gott. So sagt es der hl. Augustinus: „Willst du, daß Gott dich schone, so schone dich selbst nicht.“

Der Ursprung der Versuchungen

Der hl. Ephräm der Syrer sah einmal in einer Vision, wie in dem lasterhaften Gewusel einer Großstadt seiner Zeit nur ein einziger Teufel träge auf der Mauer saß. Und andererseits sah er in der wüsten Einöde bei einem Einsiedler ein ganzes Heer der verschlagensten Teufel, die ihn umgaben. Diese Vision bestätigt nochmals unsere eingangs gemachte Bemerkung: Wo die Sünde bereits eingezogen ist, da braucht es keine Versuchung mehr, denn das Ziel der Versuchung wurde längst erreicht. Wo aber wahre Heiligkeit ist, da ist auch der Versucher. Durch die Überwindung der Versuchungen wird nämlich der Heilige geboren. Deswegen dürfen wir uns nie in Sicherheit wiegen, denn wie es in der „Nachfolge Christi“ heißt: „Kein Stand ist so heilig, kein Ort so abgelegen, daß es keine Versuchungen gäbe.“ So ist es. Kein Stand ist so heilig und kein Ort so abgelegen, daß es keine Versuchungen gäbe. Folgen wir deshalb dem Rat des Weisen Jesus Sirach: „Mein Sohn, wenn du dich anschickst, Gott zu dienen, mache dich bereit auf Versuchungen!“ (Sir. 2,1). Und beherzigen wir die Warnung des Völkerapostels: „Wer zu stehen glaubt, der gebe acht, daß er nicht falle!“ (1. Kor. 10,12). Amen.

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