2. Sonntag nach Erscheinung
Der Weg zum Eheglück
Geliebte Gottes!
In der öffentlichen Meinung scheint der einzige Maßstab und Zweck für die Ehe das gemeinsame Glück der Eheleute zu sein. Man sucht das Glück in der Ehe, und wenn es nicht gefunden wird, dann trennt man sich eben wieder und setzt die Suche nach dem „Glück in der Liebe“ von neuem an.
Die Lehre der Kirche verwehrt es nicht, in der Ehe das Glück zu suchen, sie hat sogar in ihrem Recht Sicherungen eingebaut, die sicherstellen wollen, daß der Bund fürs Leben nicht ohne die unerläßlichen Voraussetzungen eingegangen wird, damit die Gatten zusammen glücklich werden können. Die Hauptsicherung besteht gerade in der Unauflöslichkeit der Ehe. Sie verpflichtet die Eheleute dazu, ihr Glück immer wieder aufs Neue zusammen und nie getrennt voneinander zu suchen. Dabei ist freilich klar, daß das persönliche Glücksgefühl nicht die Grundlage der Ehe sein kann, sondern daß man sich das gemeinsame Glück erarbeiten muß. Das gilt für das ganze Leben. Wir sind nicht auf Erden, um hier eine ununterbrochene Glückseligkeit zu genießen. Wir sind auf Erden, um Gott zu dienen und uns dadurch für den Himmel zu bereiten. Wir sind auf der Erde, um uns das ewige Glück zu verdienen. Dieses Mühen zeitigt ein zeitliches Glück, das nicht mit dem leichten Glücklich-Sein gleichgesetzt werden kann. Auch und gerade die eheliche und familiäre Gemeinschaft ist ein solches Arbeitsfeld. Das geht schon aus den Bezeichnungen hervor, welche die Kirche für den Ehebund gebraucht.
Das Wesen der Ehe
Die höchste Instanz für die kirchliche Rechtsprechung – die Rota Romana – gebrauchte in ihren Urteilen bisweilen das Wort „servitus“ für die Ehe. Und was heißt servitus? Das heißt Knechtschaft, Dienstbarkeit; Früher wurde damit auch die Sklaverei bezeichnet.
Die heidnischen Römer, die auch schon ein weitgehend mit dem Naturrecht übereinstimmendes Eherecht ausgebildet hatten, bezeichneten die Ehe als „coniugium“, d.h. Zusammenjochung, Verbindung unter einem Joch, so wie man zwei Lasttiere unter dem Joch einspannt, damit sie den Wagen ziehen. Auch diesen Begriff hat die Kirche übernommen.
Ja, und die Gläubigen, aber auch die Ungläubigen tauschen bei der Eheschließung Ringe aus. Aber die Ringe sind lediglich Glieder in einer Kette. Die Brautleute tragen die Ringe, weil sie sich damit aneinanderketten.
Knecht sein in der Ehe bedeutet: Dem Herrn dienen, der die Ehe geschaffen hat. Sie stammt nicht von Menschen, sie stammt von Gott. Gott ist der Urheber der Natur und Gott ist der Wiederhersteller der Natur. Er hat die Ehe durch Gesetze gesichert, gefestigt und erhoben. Diese Gesetze können und dürfen nicht durch das Gutdünken der Menschen umgestoßen werden.
Denn die Ehe ist eine wichtige Einrichtung. Sie ist von Gott im Paradies geschaffen und von unserem göttlichen Erlöser Jesus Christus als ein Abbild Seiner eigenen Verbindung mit der hl. Kirche zur Würde eines Sakramentes erhoben worden. Die Ehe ist eine heilige und unauflösliche Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau, die in Form eines Vertrages dem jeweils anderen Gatten das Recht auf den eigenen Körper zum Zweck der Zeugung von Kindern überträgt. Es sind daher die Brautleute selbst, die einander das Ehesakrament im Angesicht Gottes spenden und es voneinander empfangen. Sie tun es, indem sie – was zur Gültigkeit erforderlich ist – vor ihrem Pfarrer oder einem bevollmächtigten Priester und zwei Trauzeugen erklären, daß sie einander zur Ehe nehmen wollen. Durch das hl. Sakrament der Ehe empfangen Braut und Bräutigam die übernatürlichen Gnaden, die sie dazu befähigen, einander heiligmäßig zu lieben, treu zusammenzuleben und ihre Kinder christlich zu erziehen.
Die Gesetze des Eheglücks: Ehetauglichkeit
Die Ehe ist jedoch – wie gesagt – nicht nur ein Liebesbund, sondern auch ein Arbeitsfeld. Für jede Arbeit muß man sich ausbilden und durch Fortbildung stets aufs Neue ertüchtigen. Auf die Ehe übertragen bedeutet das, daß man sich ehefähig machen muß und sich fortwährend in der Ehetauglichkeit erhalten muß. Man muß an sich arbeiten, daß man die Eigenschaften und tugendhaften Vermögen in sich ausbildet, die für das Zusammensein und für das Zusammenbleiben unerläßlich sind.
Wer heiraten und eine Familie gründen will, muß bestimmte Tugenden besitzen, muß sich Tugenden aneignen, welche die Ehe bereichern und so das gemeinsame Glück in der Ehe bereiten. Sie sind die unentbehrliche Grundlage für die harmonische Zweisamkeit, für das wahre Eheglück.
Nur kurz zur Erinnerung: Eine Tugend ist eine Fertigkeit des Willens zum Guten, die durch Wiederholung und Übung gewonnen wird. Wie in der Ertüchtigung des Leibes nur ein Wachsen der Kraft und der Geschicklichkeit erzielt werden kann, indem der Übende immer und immer wieder dieselben Übungen wiederholt, und wie diese Kraft und Fertigkeit durch Vernachlässigung der wiederholten Übung wieder verlorengeht, so verhält es sich auch bei den Tugenden. Die Tugend ist eine Fertigkeit, ist Geschicklichkeit, Gewandtheit, Geübtheit, sittliche Praxis. Wir wollen uns heute wieder einmal einige Tugenden, die für die Ehe unerläßlich sind, vergegenwärtigen und uns in nächster Zeit mit der Gnade Gottes besonders darum bemühen, unser Geschick darin auszubilden.
Die Selbstbeherrschung
An der Spitze aller notwendigen Qualitäten sollte die Selbstbeherrschung stehen. Kein menschliches Leben kann gelingen ohne Selbstbeherrschung.
Selbstbeherrschung ist die Fähigkeit, Bereitschaft und Haltung, das Äußern eigener Wünsche, Gefühle und Begierden zugunsten der Beobachtung sittlicher Normen, zugunsten der Erreichung höherer Zwecke und zur Sicherung des Gemeinwohles, zurückzustellen und einzuschränken. Man kann kurz sagen: Selbstbeherrschung ist die Tugend des Maßhaltens. Beherrscht ist, wer seinen Körper und seine Seele vollkommen in der Gewalt hat. Selbstbeherrschung meint die Herrschaft des Menschen über seine Kräfte und Sinne. Er soll sie verwenden nach Maßgabe der rechten Vernunft, also der Klugheit.
Das gilt zunächst für das eigene Leben, aber auch und erst recht für den Umgang mit anderen. Selbstbeherrschung braucht es zumal dann, wenn Menschen auf engem Raum zusammenleben und ein Leben lang zusammenbleiben sollen, wie es in Ehe und Familie der Fall ist. Ohne Selbstbeherrschung kann eine Ehe und ein harmonisches Familienleben nicht gedeihen. Deshalb müssen auch die Kinder schon von klein auf zur Selbstbeherrschung erzogen werden.
Selbstbeherrschung beginnt beim Gebrauch der Zunge. Wer Selbstbeherrschung gelernt hat, meidet vieles, allzu vieles Reden, drängt sich beim Reden nicht vor, versagt sich manche Bemerkung, spricht von sich selbst nur bei Notwendigkeit, fällt anderen nicht ins Wort, wählt seine Worte überlegt und hütet sich vor „unbedachtem Reden“ frei nach dem Motto „Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich rede“. Genau in umgekehrter Reihenfolge muß es sein! Erst denken, dann reden!
Selbstbeherrschung ist sodann gefordert bei Tisch. Wer Selbstbeherrschung übt, vermeidet es, außerhalb der drei täglichen Mahlzeiten zu essen. Man bemühe sich, den Tagesablauf so einzurichten, daß die Mahlzeiten in der familiären Gemeinschaft eingenommen werden können. Dabei nimmt der beherrschte Mensch die Speisen nicht gierig zu sich, ist nicht wählerisch, kritisiert nicht die vorgesetzten Speisen und übernimmt sich nicht im Essen oder Trinken.
Die Selbstbeherrschung muß sich vor allem bewähren bei unvorhergesehenen, unangenehmen, Ärgernis und Zorn erregenden Vorkommnissen. Jederzeit kann Schlimmes, Peinliches, Verdrießliches über uns kommen. Der Mensch ohne Selbstbeherrschung reagiert unwillig, genervt, wird ärgerlich und das zum eigenen Schaden und zur Belastung seiner ganzen Umgebung. Der beherrschte Mensch zwingt sich auch bei peinlichen Vorkommnissen zur Ruhe. Er prüft die Lage, verschließt seinen Mund und versucht Lösungswege zu finden, statt sich in Kritik auszulassen oder der Wut die Zügel schießen zu lassen.
Der Gegensatz zur Selbstbeherrschung ist das Sich-gehen-lassen. Wer die Formen der Ordnung und des rechten Maßes nicht beachtet, der läßt sich gehen. Sich gehenlassen hat seine Ursache in der ungeordneten Anhänglichkeit an seine Launen und Begierden. Bei dem einen ist es Speise und Trank, beim anderen der Schlaf oder das Rauchen, wieder bei einem anderen sind es die Bequemlichkeiten. Das Sich-gehen-lassen kann sich auch in der Vernachlässigung der Körperpflege und der Haarpflege äußern, in der Kleidung, in den Eßgewohnheiten und in den Umgangsformen. Das Sich-gehen-lassen verrät mangelnde Achtung und Rücksichtnahme gegenüber anderen Menschen, vor allem gegenüber nahestehenden. Diese empfinden das Verhalten als unschicklich, taktlos, unwürdig. Ein solches ungeniertes Verhalten trägt den Keim des Zerwürfnisses in sich. In der Familie müssen sich alle zusammennehmen. Sie müssen darauf bedacht sein, vor dem scharfen Blick des anderen bestehen zu können, müssen sich stets unter Kontrolle halten, um dem anderen nicht zu mißfallen, um ihm nicht berechtigterweise Anstoß zu geben.
Die Hochachtung und Höflichkeit
Wir schulden einander Achtung und müssen darum auch die notwendige Selbstachtung haben. Achtung ist vor allem in der Ehe notwendig. Denn die erste, stürmische Begeisterung, das Verliebtsein, vergeht früher oder später. Was an die Stelle des Verliebtseins treten muß, um die wahre Liebe aufrechterhalten zu können, das ist die Hochachtung und der Respekt vor dem anderen. Sie ist das Motiv liebevollen Dienens, wie es in der Ehe zwischen den Gatten der Fall sein soll. Die Achtung in der Ehe darf sich nicht abschleifen. Das nahe Beisammensein und das intime Sich-Kennen bergen die Gefahr, daß die Achtung voreinander verlorengeht. Die Achtung muß in jedem Stadium der Entwicklung und unter allen Umständen gewahrt bleiben. Wenn Mann und Frau, die ja Tag und Nacht beisammen sind, die Achtung voreinander verlieren und den Anstand beiseite setzen, dann wird ihr Umgang miteinander bald zur Gemeinheit und zum Ekel. Die Achtung muß den familiären Umgang miteinander prägen.
Hochachtung gebietet die Höflichkeit. Höflichkeit ist die Form des Umgangs mit den Mitmenschen, die von gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme geprägt ist. Ehegatten und alle Glieder der Familie sollen einander höflich begegnen. Höflichkeit gebietet zum Beispiel, daß man sich einen „guten Morgen“ wünscht und einen Gute-Nacht-Gruß am Abend, vor dem Zubettgehen spricht. Die Höflichkeit verlangt, daß man beim Nachhausekommen seine Anwesenheit mitteilt und sich beim Verlassen der Wohnung abmeldet. Zur Höflichkeit gehört Rücksichtnahme; daß man etwa statt Türen zu schlagen oder geräuschvoll zu schließen aus Rücksicht auf die Ruhe der anderen die Türklinke benutzt. Höflichkeit bittet und dankt auch für selbstverständliche Dinge. Höflichkeit kommt dem anderen zuvor, ist aufmerksam auf seine Bedürfnisse und mündet in Hilfsbereitschaft aus. Höflichkeit kostet wenig und bewirkt sehr viel.
Die Geduld
Der Höflichkeit benachbart ist die Tugend der Geduld. Die Geduld besteht darin, daß man geneigt ist, die Leiden dieses Lebens in Gottes Willen ergeben zu ertragen. Geduld muß darum von den Menschen insbesondere gegeneinander bewiesen werden. Wir müssen Geduld miteinander haben – mit dem Anderssein, mit dem Andersverhalten, mit dem Andersdenken des Mitmenschen. Der Apostel Paulus fordert im Brief an die Galater auf: „Einer trage des anderen Last und so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal. 6,2). Einer soll die Last tragen, die der andere bedeutet. Jeder Mensch hat nämlich etwas zu Tragendes, ja sogar etwas Unerträgliches an sich! Jeder Mensch hat etwas an sich, was anderen lästig ist: Eigenheiten, Eigenschaften, Angewohnheiten, welche anderen unangenehm, widerwärtig, vielleicht sogar unerträglich scheinen. Wir können den anderen nicht ändern! Wir sind ja nicht einmal dazu fähig, uns selbst zu dem Menschen zu machen, der wir gern sein würden. Um wieviel weniger können wir den anderen ändern. Aber wir müssen Geduld miteinander haben. Wir müssen die Last des anderen tragen.
Die Ungeduld bezieht sich im täglichen Miteinander sehr oft auf die Zeit. Entweder ist es die Zeitspanne, die sich vor die Erfüllung eines Wunsches einschiebt, also das lange Warten auf den anderen, welches unsere Ungeduld anstachelt. Die Ungeduld kann sich aber auch auf die Zeitdauer eines Übels beziehen. Das Andauern von Schmerzen kann ungeduldig machen. Die Ausdehnung langweiliger Gespräche, eine lästige Inanspruchnahme durch andere Menschen, das macht uns leicht ungeduldig.
Geduld ist vor allem nötig angesichts der Empfindlichkeit der Menschen. Man verzeihe das allgemeine Urteil, aber: Alle Menschen, d.h. konkret: Jeder von uns ist empfindlich! Verschieden ist nur das Maß der Empfindlichkeit. Die Empfindlichkeit bezeichnet eine Reizschwelle, bei der eine heftige Reaktion einsetzt. Je schwächer der Reiz ist, welcher eine ungeduldige, unwillige Reaktion auslöst, umso größer ist die Empfindlichkeit. Empfindliche Menschen sind bei jeder Gelegenheit gekränkt, fühlen sich zurückgesetzt, nicht genügend beachtet oder lieblos behandelt. Sie neigen dazu, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, alles Negative sofort auf sich zu beziehen und dem Gegenüber stets schlechte Absichten zu unterstellen. Empfindliche Menschen brauchen viel Fürsorge, Aufmerksamkeit, Rücksicht und Schonung. Der Empfindliche muß sich jedoch dringend darum bemühen, über seine Empfindlichkeit hinwegzukommen. Er muß an sich arbeiten, in dem Wissen, daß er seiner Umwelt eine gewaltige Last ist. Er muß an sich arbeiten, damit er nicht jeden Blick, jedes Wort, jede Handlung zum Anlaß nimmt, eingeschnappt, verstimmt oder wütend zu sein. Er muß sich vornehmen, viel zu übersehen, zu überhören, ohne zu reagieren. Er muß lernen, von seinem Gegenüber prinzipiell Wohlwollen anzunehmen, daß es der andere gut mit ihm meint. Der Empfindliche muß auch lernen, etwas wegzustecken, den unliebsamen Reiz unbeantwortet zu lassen, sich so zu verhalten, als wäre nichts geschehen.
Die Bescheidenheit
Gegensätzliche Anschauungen und Absichten, sogenannte Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei Menschen, sind keine Katastrophe. Freilich, bei vielen Dingen können Gegensätze nicht bestehen bleiben. Man muß sich einigen. Denken wir etwa an die Gestaltung des Sonntags bei einem Ehepaar: Der eine will etwas unternehmen, der andere will daheimbleiben. Es ist klar: Einer muß nachgeben. Es gibt Ehepaare, wo die Frau will, was der Mann nicht will, und was der Mann will, will die Frau nicht. Die Einigung kann nur dadurch gefunden werden, daß der eine dem Plan des anderen zustimmt, daß man also nachgibt, und das muß geschehen ohne Verbitterung und ohne Groll.
Man muß nachgeben, aus Einsicht oder aus Liebe, um des Friedens willen. Eine Ehe ohne den Willen zum Nachgeben kann nicht gelingen. Das sture Beharren auf der eigenen Ansicht oder dem eigenen Wunsch spaltet und vergiftet die Ehe. Es hilft wenig, wenn einer sich darauf beruft: „Das ist aber mein Recht.“ Es mag ja sein, daß es sein Recht ist, aber was nützt es, wenn der andere es nicht einsieht? In vielen Fällen – freilich nicht in allen, aber in vielen Fällen – ist es Gott wohlgefälliger, auf das eigene Recht zu verzichten, als es durchzusetzen. Wer nicht nachgeben kann, wer nicht nachgeben will, ist eheuntauglich! Man muß sich bescheiden können.
Bescheidenheit, Nachgiebigkeit und Nachsicht sind eng miteinander verwandt. Die Nachsicht besteht in der Geneigtheit, Fehler und Versäumnisse zu übersehen, darüber hinwegzugehen, als ob nichts gewesen wäre, oder sie wenigstens milde zu beurteilen, sie nicht zum Gegenstand scharfen Tadelns oder gar der Bestrafung zu machen.
Eine ganz üble Angewohnheit gegen die Bescheidenheit ist es aber, immer wieder auf vergangene Fehler, Schwächen und Unzulänglichkeiten des anderen zurückzukommen. Ein solches Verhalten hält Wunden offen oder schlägt neue Wunden. Ein solches Verhalten verhindert den Wiederaufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses. – Ebenso schlimm ist es, wenn ein einmaliges Mißgeschick zum Anlaß für die Feststellung einer allgemeinen Unzulänglichkeit herangezogen wird, wenn also ein Fehler verallgemeinert wird, mit Worten wie: „Du kannst aber auch gar nichts.“ „Du taugst zu nichts.“ Eine ganz üble und zerstörerische Angewohnheit! Hierbei werden in Wirklichkeit alte Rechnungen beglichen. Angestauter Groll wird losgelassen. Und beides ist von verderblicher Auswirkung für das eheliche Glück und das familiäre Zusammenleben.
Die Dankbarkeit
Eine unerläßliche Tugend in Ehe und Familie ist die Dankbarkeit. Wir sollen dankbar sein, d.h. die empfangenen Wohltaten anerkennen, wertschätzen und nach Möglichkeit vergelten. Selbstverständlich soll jeder für große offensichtliche Geschenke dankbar sein und dies durch Danksagung ausdrücken. Es ist eine Pflicht der Ehrlichkeit und auch eine Pflicht der Höflichkeit, dem Wohltäter wenigstens der Gesinnung nach Vergeltung zu erweisen.
Man soll aber auch danken für Selbstverständliches, für die zahllosen kleinen Dienste, die Menschen in der Familie einander leisten. Die Danksagung, die wir dafür abstatten, zeigt die Aufmerksamkeit und die Zufriedenheit für die erwiesenen Verrichtungen und Gefälligkeiten an. Wer alles, was geschieht, als natürlich, als alltäglich, als üblich, als selbstverständlich ansieht, der verletzt das Feingefühl des anderen und nimmt ihm die Freude am Gutes tun.
Die Demut
Wenige Tugenden sind neben der Geduld so hilfreich und auch so notwendig in der Ehe wie die Demut. Demut ist die Anerkennung von Gottes Herrlichkeit und unserer eigenen Nichtigkeit. Der Demütige rühmt sich nicht seiner eigenen Vorzüge wegen, er genießt diese Vorzüge nicht. Er fühlt sich vielmehr unwürdiger und sündiger, ja sogar verächtlicher als andere Menschen. Er begibt sich an einen Platz, der noch unterhalb dessen ist, auf den er natürlicherweise Anspruch erheben kann. Er fühlt sich nicht besser und überlegen über andere.
Wenn der demütige Mensch einen anderen Menschen in Fehler oder gar in Sünden fallen sieht, dann denkt er bei sich: „Wer weiß, wo ich stünde, wenn ich denselben Gefahren ausgesetzt gewesen wäre wie dieser oder mich die Gnade Gottes in meinen Versuchungen nicht getragen hätte.“ – Demut ist „Dien-Mut“, also Mut als sittliche „Kraft zu dienen“. Dienen können erfordert eine größere Kraft, als sich mit Ellbogen durchzusetzen. In der Ehe, in der Familie muß jeder die Bereitschaft haben, dem anderen zu dienen. Ehe und Familie sind Dienstgemeinschaften.
Es kann in einer Zweierverbindung eine Überlegenheit des einen über den anderen geben. Sie kann geistig, emotional sein oder im praktischen Geschick oder im materiellen Vermögen begründet sein. Worin auch immer sie bestehen mag: Man darf seine Überlegenheit nicht auf Kosten anderer ausspielen. Man darf sie den anderen nicht spüren lassen. Es ist roh und verletzend, die Unterlegenheit des anderen auszunützen, um ihn zu demütigen. Je niedriger ein Wert steht, umso törichter ist es außerdem, sich auf die eigene Überlegenheit darin etwas einzubilden.
Der in der Demut Geübte braucht keinen inneren Widerstand in sich zu überwinden, damit er sich dem anderen unterordnet. Mit einem Demütigen ist es schwierig, Streit zu bekommen, weil er bescheiden und bereit ist zum Nachgeben. Es bedrückt ihn nicht, in Dankesschuld zu stehen. Er ist gern zur Vergeltung durch Dienst und Hilfeleistung bereit. Er wird in seinem Frieden nicht gestört, wenn er sich in der schwächeren Position einem anderen gegenüber befindet. Es fällt ihm nicht schwer, sein eigenes Versagen, sein Unrecht vor dem anderen einzugestehen und um Verzeihung zu bitten.
Nur wenige Haltungen führen so leicht zur Versöhnung wie die Demut. Ein Mensch, der sich wegen seiner Fehler demütigt, ist leicht imstande, andere zu besänftigen und denen Genugtuung zu leisten, die zornig auf ihn sind.
Wer die Last sucht, findet das Glück
Wir haben einige Tugenden kurz überflogen, welche für das Glück in Ehe und Familie unerläßlich sind. Nicht jedem sind diese Tugenden anerzogen worden. Die Erziehung ist gewiß in erster Linie Aufgabe der Eltern. Sie sollen ihre Kinder zu brauchbaren Gliedern für Kirche, Staat und Gesellschaft heranbilden. Sie sollen weitergeben, was sie selbst an Lebenserfahrungen, Gesinnungen und Haltungen empfangen haben. Leider fällt die Erziehung durch die Eltern heute oft aus. Gerade das heutige Berufsleben verlangt den Eltern oft so viel ab, daß für die Erziehung nicht mehr viel Zeit, Kraft und Geduld bleibt. Das hat verhängnisvolle Folgen! Die Kinder werden nicht erzogen, sondern „wachsen auf“. Wie sollen aber die Kinder eines Tages ihren Kindern etwas weitergeben, was sie selbst nicht mehr empfangen haben? Wer selbst nicht erzogen worden ist, wie soll er später andere erziehen können?
Freilich ist dort, wo die Erziehung durch die Eltern ausgeblieben ist, nicht alles verloren. Man kann manches nachholen, was unterblieben ist. Zu der Fremderziehung durch das Elternhaus kann und muß ergänzend die Selbsterziehung hintreten. Es ist möglich, durch Selbsterziehung einiges auszugleichen, was in der familiären Erziehung unterblieben ist. Der Mensch ist imstande, sich bei anderen abzuschauen, wie man sein soll und wie man sich verhalten muß, um gerecht, gütig und liebevoll miteinander umzugehen. Die gesunde Nachahmung von Menschen, die eine glücklichere Jugend in einer intakten Familie erlebt haben und besser geformt worden sind, vermag manches zu ersetzen, was einem in der häuslichen Atmosphäre versagt geblieben ist. Es muß nur der entschiedene und zähe Wille da sein, an sich zu arbeiten, bis zum letzten Tage des Lebens.
Wenn aber nun der Mann will, daß seine Frau eine sehr gute Ehefrau sei, dann muß er danach streben, vor allen Dingen ein sehr guter Ehemann zu sein. Und wenn eine Frau will, daß der Mann ein sehr guter Ehemann sei, dann muß sie zuerst eine sehr gute Frau werden. Jeder von beiden muß zuerst an sich selber zu arbeiten anfangen.
Wir sprachen eingangs vom Glück und vom Streben nach dem Glück in der Ehe. Es gibt ein Gesetz, wie man das Glück findet, und das Gesetz lautet: „Wer die Last sucht, findet das wahre Glück. Wer hingegen das leichte Glück sucht, findet die Last.“ Das Glück ist nicht außerhalb von uns zu finden; auch nicht in uns, sondern in Gott. Wer aber findet Gott? Wer Seinen heiligen Willen tut, wer Ihm dient in der täglichen Arbeit der Tugendübung ohne Rücksicht auf seine persönlichen Befindlichkeiten, in Treue zu Seinen Geboten, in der Erfüllung des Auftrags, den Er uns auf dieser Erde gegeben hat.
Mit dieser Arbeit anzufangen ist zwar nie zu spät. Aber man kann auch nicht früh genug anfangen. Am besten heute noch! Amen.