Vom Leben aus dem Glauben

Geliebte Gottes!

Der Herr lobte im heutigen Sonntagsevangelium den großen Glauben des Hauptmanns von Kapharnaum – eines Heiden! Dieser Heide – von dem, im Gegensatz zu den Juden, eigentlich kein Glaube zu erwarten gewesen wäre – hatte nämlich erkannt, daß Gottes Allmacht nicht auf die unmittelbare Reichweite der von Ihm angenommenen Menschennatur beschränkt ist, sondern daß ein Willensakt des Gottmenschen, egal wo Er sich aufhält, genügt, um zu bewirken, was Er will. Der Hauptmann war sich dessen bewußt, daß Jesus nicht eigens in sein Haus eintreten müsse, dem Kranken die Hände auflegen oder ihn sonstwie berühren müsse, um ihn zu heilen, sondern daß ein Befehl, ein Wort aus Seinem göttlichen Mund genüge, wie ja auch ein Wort ausreichend war, um die ganze Schöpfung ins Dasein zu rufen.

Gott ist der Herr von allem und alles muß sich Seinem Willen beugen. Wie sich der Hauptmann dem Willen des Feldherrn und sich der einfache Soldat dem Willen des Hauptmannes zu beugen hat, so folgt jede Naturgewalt, jede Krankheit, ja sogar der Tod dem allmächtigen Willen des Schöpfergottes.

Voll Erstaunen über diese tiefe Einsicht eines Heiden rief der Heiland aus: „Wahrlich, Ich sage euch, einen so großen Glauben habe Ich in Israel – also unter denen, von welchen Ich eigentlich Glauben erwarten dürften – nicht gefunden.“ – Würde ihn der Herr wohl bei uns finden?

Leben aus dem Glauben

Nun wird freilich jeder von uns von der Tatsache überzeugt sein, daß Jesus nicht persönlich an einem Ort in Erscheinung treten muß, um ein Wunder zu wirken, sondern schon ein Wort – im Himmel gesprochen – genüge. In dieser Einsicht kommen wir mit dem Hauptmann überein. Und dennoch müssen wir uns prüfen, ob wir tatsächlich in den alltäglichen Begebenheiten unseres Lebens von der Allgewalt und von der allgemeinen Oberherrschaft Gottes über alle Dinge überzeugt sind; ob unser Glaube so groß ist, daß er in alle Lebenslagen hineinreicht.

Wie dieser lobenswerte Glaube in die alltägliche Praxis übersetzt aussehen muß, davon liefert uns die heutige Epistel einen kurzen Abriß. Im zweiten Teil des Römerbriefes gibt der hl. Apostel Paulus, nachdem er im ersten Teil die Rechtfertigung aus dem Glauben behandelt hat, den Christen allgemeine Vorschriften, wie sie ein Leben aus dem Glauben führen sollten.

Fundament seiner Ausführungen ist der Glaube an die Oberherrschaft und Allmacht Gottes, dem wir dienen und uns unterwerfen müssen, wie das schon der Hauptmann von Kapharnaum erkannt hat. Jeder Satz der Epistel ist gleichsam eine praktische Schlußfolgerung aus dieser grundlegenden Erkenntnis, die sich entsprechend auf unser alltägliches Leben auswirken muß. Gehen wir die einzelnen Konsequenzen Satz für Satz durch. Es sind die goldenen Regeln zum Leben aus dem Glauben.

Kein eitles Vertrauen auf das eigene Urteil

„Haltet euch nicht selbst für klug!“ So beginnt der Völkerapostel. Er will sagen: „Bildet euch nichts ein auf eure Einsichten, auf eure Intelligenz, auf eure Bildung und auf euer Glaubenswissen. Seid nicht stolz, sondern demütig! Bewahrt euch den demütigen Sinn eines Schülers. Nicht Meister seid ihr, sondern Lehrlinge; nicht Leuchttürme, sondern Erleuchtete. Sonst würde euch Wissen und selbst das Glaubenslicht zum Fall gereichen, wenn ihr euch in seinem Schein über andere erhebt und euch einbildet, als bestünde die Heiligkeit schon in der Erkenntnis, statt in der Verwirklichung des Erkannten. Glaubt also nicht, daß ihr alles besser wißt!“, so ruft uns der hl. Paulus zu, denn „den Stolzen widersteht Gott, den Demütigen gibt Er Seine Gnade.“

„Hochmut kommt vor dem Fall!“ Das weiß schon der Volksmund. Genau so war es bei den Schriftgelehrten und den Pharisäern. Und nicht anders ist es heute und bleibt es bis zum Ende der Welt. – Seien wir also demütig, insbesondere im Hinblick auf die hl. Lehre. Einzig das Lehramt der Kirche wird unfehlbar geleitet vom Heiligen Geist. Deshalb müssen wir uns in dieser papstlosen Zeit an die Vorgaben und Einrichtungen der Päpste, der kirchlichen Gesetze und Vorschriften halten, auch wenn sie uns vielleicht unzeitgemäß oder längst überholt vorkommen. Die Kirche hat stets einen Grund für ihre Gebote und Verbote, für ihre verbindlichen Gesetze und gutgeheißenen Bräuche. Und dieser Grund ist stets im Glauben zu finden.

Würden wir nur jene Vorschriften befolgen, welche uns einleuchten, welche wir als nützlich oder zeitgemäß erachten, was für ein Glaube wäre das? Auch der Rationalist, der gar keinen Glauben hat, tut ja stets nur das, was ihm vernünftig erscheint, was ihm einleuchtet.

„Haltet euch nicht selbst für klug.“ Das heißt auch, sich eines Besseren belehren zu lassen. Es gibt Menschen, die in ihrem Leben immer alles richtig gemacht haben; die sich selbst nichts vorzuwerfen haben. Und es gibt Menschen, die ein Leben lang dazulernen. Die ersteren verharren in ihrer Selbstgerechtigkeit, die anderen lernen dazu und werden durch das ehrliche Eingeständnis, falsch gelegen zu haben, demütig. Auf beide trifft zu, was der Prophet Isaias sagt: „Des Menschen stolze Augen werden gedemütigt, und gebeugt wird werden der Männer Hochmut. … Ein Tag des Herrn der Herrscharen bricht herein über jeden Stolzen und Hochmütigen.“ (Is. 2,11 f.). Demütigungen treffen jeden Menschen. Denn jeder von uns ist stolz. Aber dem einen gereicht die Demütigung zum Fall, weil er sich selbst für klug hält, den Fehler vor sich selbst verbirgt und behauptet: „Ich bin unschuldig. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Während der andere gedemütigt an die Brust klopft, den Fehler bekennt und als Schüler der Wahrheit in Wahrhaftigkeit voranschreitet. Die Demütigung hat ihn zur Einsicht, die Einsicht zur Buße, die Buße zur Besserung und die Besserung zur Läuterung geführt. Mit dem Psalmisten kann er sprechen: „Es ist gut, Herr, daß Du mich gedemütigt hast, damit ich Deine Gebote lerne.“ (Ps. 118,71).

Keine Rachsucht

„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem“, so fährt der hl. Paulus fort. Damit mahnt er uns zur Feindesliebe und verbietet die Rachsucht. Wir Menschen sind ja leicht geneigt, wenn uns ein wirkliches oder vermeintliches Unrecht widerfährt, entweder selbst Vergeltung zu üben und mit gleicher Münze zurückzuzahlen oder wenigstens den Wunsch danach in uns zu hegen. Davor warnt der Apostel, weiß er doch, daß auch viele Katholiken wie folgt denken: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ – „Wie du mir, so ich dir!“ – „Vergeltung ist nur gerecht. Und was gerecht ist, das ist keine Sünde!“

Und doch ist es Sünde, denn das Böse ist nie gerecht! Wir dürfen nicht Böses mit Bösem vergelten. Wenn der andere niederträchtig handelt, dürfen wir es ihm nicht gleichtun. Erfahrenes Unrecht ermächtigt uns nicht dazu, selber Unrecht zu tun oder zu wünschen, daß dem anderen Unrecht getan wird.

Nicht Böses sollen wir tun, sondern das Gute. Es genügt nämlich nicht, bloß das Böse zu meiden. Wir müssen auch Gutes tun. Gut ist, was den anderen in seinem natürlichen Dasein fördert oder ihn im Hinblick auf die Erlangung seines letzten Zieles, des ewigen Heiles, unterstützt. Deshalb schreibt der Völkerapostel weiter:

Gute Beispiel geben

„Seid darauf bedacht, Gutes zu tun, nicht allein vor Gott, sondern auch vor allen Menschen.“ Der hl. Paulus sagt nicht einfach: „Tut Gutes, wenn sich euch dazu einmal eine Gelegenheit bietet“, sondern „Seid darauf bedacht“! D.h. denkt daran, sucht selbst nach Gelegenheiten, seid aufmerksam, gebt euch Mühe, habt Eifer, Gutes zu tun, wie der Prophet Isaias sagt: „Lernet Gutes tun, trachtet nach dem, was recht ist, kommet dem Unterdrückten zu Hilfe, verschaffet der Weise ihr Recht, verteidigt die Witwe.“ (Is. 1,17).

Gute Werke müssen wir als Christen und Katholiken aufweisen. Sie sind die guten Früchte, an denen der gute Baum erkannt wird. Ein Glaube ohne gute Werke ist tot, wie der hl. Jakobus schreibt (vgl. Jak. 2,26). Und der Herr sagt selbst: „Ein Baum aber, der keine gute Frucht bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Mt. 7,19).

Nicht nur im Geheimen, im Verborgenen sollen wir Gutes tun, sondern auch vor den Menschen, in der Öffentlichkeit! Freilich nicht, um von den Menschen gelobt und bewundert oder sonstwie geehrt und ausgezeichnet zu werden – das wäre ja wiederum Pharisäertum (vgl. Mt. 6,1 ff.). Aber trotzdem sollen wir vor den Menschen Gutes tun; d.h. wir sollen ohne großes Aufhebens ein gutes Beispiel geben, durch unser Vorbild andere erbauen, unseren Glauben furchtlos vor anderen bekennen.

Das meint Christus, wenn Er fordert, wir sollen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern auf den Leuchter, „damit es allen Hausgenossen leuchte“. Die Welt soll an unserem alltäglichen Verhalten sehen, daß die Jünger Christi Gutes tun; soll sich daran erbauen, soll dadurch gebessert und zur Nachahmung ermuntert werden. „So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Mt. 5,16).

„Soviel an euch liegt!“

Ferner fordert uns der hl. Paulus dazu auf: „Wenn es möglich ist, bleibt, soviel an euch liegt, mit allen Menschen in Frieden.“ Das erste, was der Völkerapostel zum Frieden mit anderen fordert, ist unser guter Wille. Wir sollen alles tun, um mit allen Menschen in Frieden zu leben. An unserem guten Willen darf es nicht fehlen. Das ist die Grundvoraussetzung.

Nichtsdestotrotz genügt das bisweilen nicht. Wenn die anderen den Frieden nicht wollen, wenn diese trotz unseres guten Willens den Streit vom Zaun brechen bzw. die angebotene Versöhnung ausschlagen, dann ist kein Frieden möglich. Aber daran sind wir dann auch nicht schuld. Ein Sprichwort lautet: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

Der lebenserfahrene Apostel weiß natürlich, daß es Menschen gibt, die den Frieden nicht wollen, die immer Zank und Streit suchen, die von Bosheit und Feindschaft angetrieben werden; daher die Einschränkung: „Wenn es möglich ist“. Tatsächlich ist es eben nicht immer möglich.

Doch dürfen wir nicht zu schnell über diesen Satz hinweggehen. Nachdenklich muß uns nämlich der Zusatz des Völkerapostels machen: „Soviel an euch liegt“. Es wird von keinem von uns verlangt, daß er Bekehrungswunder an seinen Mitmenschen vollbringt. Aber bis einer ehrlich von sich selbst sagen kann: „Soviel an mir liegt, habe ich alles geleistet, was zum Frieden notwendig war“, da muß er schon einen hohen Grad an Vollkommenheit erreicht haben. Denn wer kann schon mit Sicherheit sagen: „Also nein, ich hätte wirklich nicht noch geduldiger sein können; ich habe mich wirklich bis zum Äußersten bemüht, den anderen zu verstehen; ich habe mich aufmerksamst und schonungslos geprüft, ob ich nicht doch ungewollt und unbewußt falsch liege oder den anderen – dem Mann, der Frau, der Familie, dem Kollegen, der Nachbarin, dem Freund, den Eltern – mit meinem Verhalten auf die Nerven gehe.“ Wer hat schon um Erleuchtung gebetet, daß er sich selbst im rechten Lichte sehe, am besten so, wie Gott auf ihn sieht, um sich dann zu bessern und umgänglicher zu werden? Wer hat schon die Demut, der eigenen vermeintlichen Tugend zu mißtrauen? Das alles aber ist in dem einen Satz enthalten: „Soweit es an euch liegt.“ – Vielleicht können also gar nicht einmal so viele Menschen von sich behaupten: „Soweit es an mir liegt, lebe ich mit allen in Frieden.“ Wahrscheinlich könnte jeder von uns noch etwas mehr an Güte, Geduld, Rücksicht, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung, Nachgiebigkeit, Selbstverleugnung, Demut oder Opferbereitschaft aufbringen.

Wie dem auch sei: Die Forderung des hl. Paulus, mit allen Menschen im Frieden zu leben, kann nur bedingungsweise erfüllt werden, weil der Frieden stets vom guten Willen aller Beteiligten abhängt. Damit aber niemand denke, er habe im Falle des bösen Willens des Nachbarn, des Mitmenschen, ein Recht auf Vergeltung, betont der hl. Paulus gleich noch einmal:

Ergebenheit in Gottes Vorsehung

„Schafft euch nicht selbst Recht, Geliebte, sondern laßt dem Zorngericht Gottes Raum; denn es steht geschrieben: ‚Mein ist die Rache, Ich will vergelten‘, spricht der Herr.“ Mit diesen Worten verbietet der Völkerapostel nochmals ausdrücklich die Rache und „Selbsthilfe“.

Das bedeutet jedoch nicht, daß der Christ völlig wehr- und schutzlos seinen Verfolgern und Feinden ausgeliefert ist. Der hl. Paulus befiehlt den wahren Jüngern Jesu, anstatt auf die eigenen Kräfte, vielmehr auf Gott zu vertrauen. Gott selbst wird die Guten in Schutz nehmen und die ungerechten Verfolger bestrafen. Der Apostel erinnert hier an ein Wort, das Gott selbst einst gesprochen hat: „Mein ist die Rache, und Ich will vergelten zu seiner Zeit, auf daß ihr Fuß wanke; schon naht der Tag des Verderbens, und die Zeiten eilen schnell heran.“ (Deut. 32,35). Ja, Gott ist gerecht, unendlich gerecht! Wir brauchen nicht zu fürchten, daß Ihm ein Übeltäter entrinnt; auch nicht, wenn er heute das Richteramt bekleidet und dabei das Recht beugt; auch kein Politiker, dessen ungerechtes Tun vom System gedeckt wird. Gott wartet gewiß manchmal lange. Aber schließlich müssen alle vor Seinem Richterstuhl erscheinen. Darum der Ausruf: „Schafft euch nicht selbst Recht, Geliebte, sondern laßt dem Zorngericht Gottes Raum.“ Überlaßt das Urteil und die Strafe dem allwissenden und gerechten Gott!

Noch einmal: Das bedeutet nicht, daß man sich alles gefallen lassen muß und daß man alles „treudoof“ hinnehmen muß. Es ist dem Christen natürlich erlaubt, für sein Recht einzutreten und auch alle gerechten Mittel einzusetzen, um zum Recht zu gelangen. Aber wir dürfen uns nicht selber helfen, dürfen nicht zur Selbstjustiz greifen, wenn die erlaubten Mittel nicht zum Erfolg geführt haben. Noch einmal: Erlittenes Unrecht – das ja vielleicht auch nur ein vermeintliches ist, also nur subjektiv als ungerecht empfunden wird, in Wirklichkeit aber gar kein Unrecht darstellt … Das Erleiden tatsächlichen oder gar nur vermeintlichen Unrechts ermächtigt niemanden dazu, selbst Unrecht zu tun.

Und bedenken wir ferner, daß Gott aus guten Gründen bisweilen Unrecht über uns kommen läßt. Auf zwei Gründe sei kurz hingewiesen: Erstens – sofern wir unschuldig sind – um uns in der Tugend der Demut, der Geduld, der Sanftmut, der Langmut, des Verzeihens und der Feindesliebe, also in den „passiven Tugenden“, wachsen zu lassen. Diese Tugenden werden „passiv“ genannt, weil man sie nicht durch aktives Tun, sondern nur durch passives Erleiden erlangen kann. Niemand kann demütiger werden, ohne daß er gedemütigt wird. Unmöglich kann man seine Geduld unter Beweis stellen ohne eine Geduldsprobe, ohne das Ertragen von Leiden und Ungerechtigkeiten. Nie kann die Sanftmut entwickelt werden, ohne die Herausforderung unseres Zornes. Unmöglich kann die Milde glänzen, ohne die Möglichkeit zur Rache und den freiwilligen Verzicht darauf. Auch kann man nicht verzeihen, wenn es nichts zu verzeihen gäbe. Und der kann seinen Feind nicht lieben, der keinen hat, der ihn angreift. Das ist also der erste Grund, warum Gott das Unrecht nicht von uns fernhält oder bisweilen zuwartet, um uns Recht zu verschaffen. Wir sollen Christus verähnlicht werden. Christus aber wurde gedemütigt, doch Er murrte nicht, als Er litt. Ja, Er hat in den Qualen Seiner Passion den Feinden verziehen und sich für sie geopfert. Um der Verähnlichung mit dem Gekreuzigten willen mußten und müssen auch die Heiligen und Auserwählten leiden. Und deshalb müssen auch wir in die Schule der „passiven Tugenden“ eintreten und dürfen uns nicht selbst rächen.

Der zweite Grund, warum wir uns nicht selbst Recht verschaffen dürfen, ist der, daß wir durch das ergeben Ertragen von Leiden bisweilen eine gerechte Strafe für unsere Sünden erhalten; für Sünden, die noch nicht hinreichend eingesehen, bereut, gebeichtet und gebüßt sind. Gott vergilt ja nicht nur dem anderen gerecht, sondern auch uns! – Jedoch übt Gott die Gerechtigkeit, die wir für unsere Sünden verdienen, in diesem Leben stets in Barmherzigkeit. D.h. die willig angenommene Strafe in diesem zeitlichen Leben fällt immer milder aus, als wir es eigentlich verdienen. So betet der hl. Thomas von Aquin zu Gott: „Ich preise die Nachsicht, die Du mir schon so lange entgegenbringst; die Sanftmut, mit der Du Vergeltung nur zum Schein übst; die Milde, mit der Du mich rufst; das Wohlwollen, mit dem Du mich aufnimmst; die Barmherzigkeit, mit der Du meine Sünden vergibst; die Güte, mit der Du mich über meine Verdienste überhäufst; die Schonung, die der Beleidigungen nicht gedenkt; die Herablassung, mit der Du mich tröstest; die Geduld, mit der Du mich beschützest. … Den Sünder, der Buße getan hat, verachtest Du nicht und gedenkst nicht mehr der Dir zugefügten Beleidigungen. Du errettest ihn aus vielen Gefahren, Du erweichst das Herz des Reumütigen, Du erschreckst den Sünder durch Strafen, Du lockst ihn durch Verheißungen, Du weist ihn durch Züchtigungen zurecht, Du behütest ihn durch seinen Schutzengel.“

In diesem gläubigen Vertrauen auf Gottes liebevolle Formung sollen wir uns Seiner weisen Vorsehung und Leitung hingeben und tatsächliches oder vermeintliches Unrecht ohne Haß, ohne Bitterkeit, ohne Vergeltung und ohne Rachsucht hinnehmen.

Ja, der Völkerapostel geht sogar noch einen Schritt weiter: Nicht bloß keine Rache sollen wir am Feinde nehmen, sondern ihm sogar Wohltaten erweisen:

Kohlen aufs Haupt sammeln

„Wenn dein Feind hungert, so gib ihm zu essen; wenn ihn dürstet, so gib ihm zu trinken. Dann wirst du glühende Kohlen auf sein Haupt häufen.“ Diese Worte hat der hl. Paulus wörtlich aus dem alttestamentlichen Buch der Sprüche Salomons übernommen (vgl. Spr. 25,21 f.). Sie bedeuten: Wir sollen unserem Feind die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit erweisen, und zwar, wenn nötig alle, nicht bloß die zwei angeführten. Dann werden wir glühende Kohlen auf sein Haupt sammeln; d.h. der Feind wird die ihm in seiner Not erwiesenen Wohltaten derart stark empfinden, wie wenn ihm glühende Kohlen auf das Haupt gelegt würden; er wird tiefe Beschämung und Reue für sein feindseliges Verhalten verspüren und wird durch diesen Reueschmerz veranlaßt werden, sein böses und feindseliges Verhalten aufzugeben.

Ein Beispiel hierfür finden wir in König Saul. Dieser erste König Israels suchte seinen treuen Diener David auf jede erdenkliche Weise zu töten. Der Grund dafür bestand im Neid des Königs. David stand beim Volk in höherem Ansehen stand als er, der König. Deshalb trachtete Saul ihm nach dem Leben. David aber wiederum schonte König Saul, obwohl er ihn in einer Höhle der Wüste von Engaddi ganz in seiner Gewalt hatte und er den König leicht hätte töten können. Saul war darüber so gerührt, daß er weinte und gestand: „Du bist gerechter als ich, denn du hast mir Gutes erwiesen, ich aber habe dir mit Bösem vergolten.“ (1. Sam. 24; vgl. auch 26). Leider hielt diese Einsicht des Königs nicht lange an, bis ihn schließlich die Gerechtigkeit Gottes bei der Schlacht am Berg Gelboe ereilte. Doch selbst nachdem der haßerfüllte König gefallen war, betrauerte David seinen ungerechten Verfolger, vergoß Tränen über König Saul und strafte den Mörder seines Feindes. – So sollen auch wir unseren Feinden Gutes tun, um ihnen die Gegenstandslosigkeit ihrer Feindschaft vor Augen zu führen, in der Hoffnung, sie zu gewinnen; wie der hl. Augustinus sagt: „Du wirst feurige Kohlen der Liebe auf sein Haupt sammeln; denn nichts ist, was so zur Liebe bewegt, als einem mit Liebe zuvorkommen.“

Ein so großer Glaube

Der hl. Paulus schließt seine ernsten Ermahnungen zu einem christlichen Leben aus dem Glauben mit den Worten: „Laß dich nicht vom Bösen bezwingen, sondern bezwinge das Böse durch das Gute!“

Diese Worte sind gleichsam noch einmal eine Zusammenfassung des bisher Gesagten: Der Christ soll nichts Böses tun, sondern nur Gutes! Er soll sich vom Bösen nicht bezwingen lassen. D.h. er soll das Böse meiden, soll es überwinden, soll siegen über seine bösen Begierden, soll siegen über die bösen Leidenschaften, soll siegen über alles Schlechte und Gemeine. Wodurch kann und wird er siegen? Allein durch das Gute. Durch Barmherzigkeit und Milde in seinen Urteilen, durch Friedfertigkeit und Sanftmut in seinen Worten, durch edle Taten, gute Werke; durch Werke der Barmherzigkeit; durch Nächstenliebe; durch Feindesliebe.

Ja, wenn wir das fertigbrächten, wir würden ein staunenswertes Zeugnis für unseren Glauben geben. Für unseren Glauben an Gott, den obersten Herrn und Richter; für unseren Glauben an Gottes allmächtige und weise Lenkung aller Schicksale; für unser rückhaltloses Gottvertrauen auch in der Prüfung.

Bitten wir die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria um ihre mächtige Fürsprache bei ihrem göttlichen Sohn. Sie möge uns einen so großen Glauben erflehen, der in jede unserer Lebenslagen hineinreicht und uns auch in Anfeindungen stets geduldig in liebevoller Vereinigung mit dem göttlichen Willen ausharren läßt, eingedenk der Worte des Völkerapostels: „Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten gereichen.“ (Röm. 8,28). Amen.

Kategorie:

Veröffentlicht: