Die Leidensgefährtin

Geliebte Gottes!

„Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“ (Gen. 2,18). Das ist ein Wort, das von Gott in die Situation des Paradieses hineingesprochen wurde; also in den Zustand unendlicher, herrlicher Freude. Adam war umgeben von der Fülle der ganzen Schöpfung: von Tieren und Pflanzen, belebten und unbelebt Seienden. So Vieles gab es da für ihn zu entdecken. Alle Dinge sollen von Adam erkannt und benannt werden. Und dennoch: Er fand in der ganzen Schöpfung Gottes nichts, was ihm, als Mensch, entsprochen hätte. Kein Geschöpf, mit dem ein wirklicher Austausch, so wie er zur menschlichen Natur gehört, möglich wäre. Da sprach der Schöpfer: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“ Und deshalb erweckte Ihm der Allmächtige eine Gefährtin – die Eva. Von seinem eigenen Fleisch und Bein wurde sie genommen. So fand Adam in ihr die ersehnte Ergänzung. Mit Eva sollte und konnte Adam fortan die unermeßlichen Freuden des Paradieses teilen.

Aber was geschah? – Wir wissen es alle. Sie wurden sich gegenseitig zum Verhängnis. Die Gemeinschaft des ersten Menschenpaares, die so verheißungsvoll begann, sackte ab: Versuchung, Verführung, Sünde. Als Straffolge davon: der Tod. Und auf dem Wege dorthin: Leiden über Leiden!

Unfreiwillig wurde Eva, die ja eigentlich die Gefährtin der Freude des Adam sein sollte, zur Gefährtin seiner Leiden. Wohlgemerkt: Nicht von unschuldigen, von erlösenden Leiden; sondern von Leiden, denen die Schuld anhaftete, also von Strafleiden.

Geteiltes Leid ist halbes Leid

„Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“ Wenn dieses Wort seine Gültigkeit im Bereich der Freude hat, so gilt es erst recht, wenn es um das Leiden geht. Schmerzen sind ja schon für sich genommen schwer zu ertragen. Aber verschlimmert und verschärft wird diese Last durch die Einsamkeit. Schon die Alten sagten: „Vae soli“ – „Wehe dem Vereinzelten.“ „Wehe dem, der allein dasteht.“ „Wehe dem, der niemanden hat.“ Alles Schwere wird dann unerträglich, wenn gar niemand da ist, dem man seine Bedrängnisse mitteilen kann. Wenn niemand sich bei einem befindet, der an alledem Anteil nimmt. Die Zeit erscheint elend lang. Der einsam Leidende hat den Eindruck, diese niederdrückende Last, diese unerträgliche Bürde kaum noch ertragen zu können. Das Buch der Psalmen schildert diesen Zustand mit erschütternden Worten: „Ich hielt Ausschau nach einem, der mich tröstet, doch fand ich keinen.“ (Ps. 68,21).

Auf dem Hintergrund dieser Tatsache verstehen wir zum Beispiel die Bedeutung von Zeichen der Anteilnahme am Leiden anderer. Beispielsweise bei Krankenbesuchen, die ja immerhin eines der sieben Werke der Barmherzigkeit darstellen. „Ich war krank und du hast Mich besucht.“ Oder: „Du hast Mich nicht besucht“, spricht der Herr. Nicht daß man einem Kranken, den man besucht, in jedem Fall irgendeine konkrete Hilfe bringen könnte. Aber dennoch ist der kleine Blumenstrauß, der vitaminreiche Saft oder das kleine Kunstwerk, das ein Kind für den Kranken gemalt hat, oder was man auch sonst als kleine Gabe mitbringt, ein Symbol dafür, daß man Anteil nimmt, daß man also etwas von dem Leiden dieses Menschen mittragen möchte. Und das richtet den Leidenden, sofern er ein offenes Herz hat, auf. Das tröstet ihn. Das gibt ihm einen Auftrieb. „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, sagt nicht umsonst der Volksmund.

Neuer Adam – Neue Eva

Für Adam war es nicht gut, allein zu sein. Deshalb schenkte ihm Gott in Eva eine ebenbürtige Gefährtin. Aus der Gefährtin in der Freude wurde durch den Sündenfall die Gefährtin in den schuldhaften Leiden. Was eigentlich zur Vermehrung der Freude Adams gedacht war, wurde so wenigstens zur Milderung ihrer Leiden.

Nun spricht aber der hl. Apostel Paulus von unserem Herrn Jesus Christus als von dem zweiten, dem neuen Adam. Durch das Erlösungswerk ist unser göttlicher Erlöser tatsächlich der Stammvater des neuen Gottesvolkes geworden. Aber zu dem neuen Adam gehört dann auch eine neue Eva. Auch Er braucht eine Ihm entsprechende Gefährtin. Es ist auch für den Gottmenschen nicht gut, daß Er allein sei.

Im Vergleich zur ersten Eva verhält es sich bei Maria in Vielem genau umgekehrt. „Evas Namen wende!“, so fordert schon die Kirche in dem bekannten Hymnus „Ave Maris Stella“. Evas Namen wende! Dann wird nämlich aus dem sündenbelasteten Namen „Eva“ in einem schönen Wortspiel der die Erlösung verheißende Gruß „Ave“.

Das Entsprechende und Unterscheidende zwischen Eva und Maria springt jedem leicht in den Blick. – Eva war aus Adam genommen. Bei Maria verhielt es sich umgekehrt. Denn Jesus ist aus Maria hervorgegangen. Der neue Adam aus der neuen Eva. Und dennoch stammt Maria letztlich aus Ihm, da Er ja ihr Gott und Schöpfer ist. Und auch der Gnade nach stammt Maria aus der geöffneten Seite Seines göttlichen Herzens, das am Kreuz Blut und Wasser hervorquellen ließ. Aber noch ein weiterer Unterschied. Eva war zunächst Gefährtin in der Freude Adams und zog dann mit ihm zusammen hinab in das Tränental eines schuldhaften Leidens. Maria hingegen ist von Anfang an dazu bestimmt, die Gefährtin des neuen Adam in dessen Leiden und Schmerzen zu sein. In unschuldigen Leiden und in unschuldigen Schmerzen! – Und gerade dadurch, daß sie Seine Gefährtin im Leiden wurde, ist sie in der Folge auch buchstäblich mit Ihm hinaufgezogen in die ewigen Freuden des Himmels, die noch viel größer sind als jene des Paradieses am Schöpfungsmorgen. Maria war also Gefährtin der Schmerzen Jesu.

Unter allen sonstigen Menschen aber – wo Er auch Ausschau hielt, ob da einer sei, der Ihm entspricht; und der das Übermaß Seines Leidens mit Ihm tragen könnte – unter allen anderen Menschen wurde Er nicht fündig. Nur bei Maria, die in ihrer jungfräulich reinen und zugleich mütterlich-gütigen Liebe Ihm vollends zugetan war und Ihn gleichsam in allem, was Er spricht und tut, umfängt und in ihrem Herzen aufnimmt, fand Christus jene Leidensgefährtin. Denn auch für Ihn gilt: „Es ist nicht gut für den Menschen, daß er allein sei.“

Die Leidensgefährtin

Ihre Zusage zu dieser Gefährtenschaft hatte die Gottesmutter schon in der Stunde der Verkündigung gegeben. Ihre Einwilligung war einschlußweise in dem Wort „Fiat“ – „Mir geschehe nach deinem Wort“ bereits enthalten. Maria wollte vom ersten Augenblick ihrer Mutterschaft an den Weg des Leidens zusammen mit ihrem göttlichen Kind beschreiten. Und so ist es dann ja auch geschehen. Nicht erst am Ende des öffentlichen Wirkens Christi – in jenem Teil des Lebens Jesu, den wir als Seine Passion bezeichnen – sondern von Anfang an ist Maria die Gefährtin Seiner Mission, die im Zeichen des Leidens steht.

Das kommt klar zum Ausdruck in dem heutigen Fest von den sieben Schmerzen Mariens. – Man könnte mühelos auch zehn, zwanzig oder analog zu den Kreuzwegstationen vierzehn Schmerzen Mariens zusammenstellen. Und so ist es im Vorfeld der Entwicklung des heutigen Festes auch tatsächlich geschehen. Die Verehrer der Schmerzen Mariä aller Zeiten fanden in frommer Betrachtung eine Vielzahl von leidvollen Erfahrungen im Leben der Gottesmutter. Aber die Siebenzahl ist eben besonders bedeutungstief, weil sie die Vollkommenheit ausdrückt. Die Siebenzahl steht also in erster Linie für das vollkommene Maß der Schmerzen, welches das Herz Mariens getroffen hat. Die konkrete Zuordnung auf sieben schmerzreiche Ereignisse im Leben der allerseligsten Jungfrau erfolgte erst später durch Papst Benedikt XIV.; und diese wiederum geschah in Anlehnung an die sieben Väter des Servitenordens.

Sieben Schmerzen, sieben Etappen, die uns zeigen sollen, daß Maria von Anfang an die Gefährtin in Christi Leiden war. Und wie die Leiden des Gottessohnes notwendig waren, um uns von der Sünde zu erlösen, so haben letztlich auch die sieben Schmerzen Mariens nur diesen Sinn und Zweck – die Erlösung von den Sünden. Die Schmerzen Mariä als Leiden an den Leiden ihres göttlichen Sohnes sind wesentlich ein Leiden wegen der Sünde. Sieben Schwertstiche verehrt die römische Liturgie. Sieben Schwertstiche werden uns heute von der Kirche zur Verehrung nahegelegt.

Die sieben Schwertstöße

Den ersten Schmerz verspürte die Gottesmutter schon am vierzigsten Tage nach der Geburt des Christkindes, bei der Darstellung im Tempel. In der Freude ihres Mutterglücks sprach der Greise Simeon zu ihr: „Auch deine Seele wird ein Schwert durchbohren.“ Die Gottesmutter war ja zweifelsohne von Anfang an voller Vorahnungen, daß Vieles auf sie zukommen würde. Aber hier bekam sie das blanke, das schneidende, das spitze Schwert erstmals in seiner ganzen Wucht zu spüren. Denn Simeon weissagte: „Siehe, Dieser ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. Und auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen, auf daß die Gedanken vieler Herzen offenbar werden.“ (Lk. 2,34). Der Sohn Mariä würde Widerspruch erfahren. Er würde abgelehnt und gehaßt werden. Diese Kunde mußte das Herz der Gottesmutter tief betrüben.

Ein zweites Mal wurde ein Schwert in die Seele Mariens gestoßen. Es geschah bei der Flucht nach Ägypten. Ihr Sohn mußte fliehen. Die Häscher des Herodes trachteten Ihm nach dem Leben. Ja, und dabei würde es nicht bleiben. Er war Zeit Seines Lebens oder wenigstens Zeit Seines öffentlichen Wirkens ein Verfolgter. Und so nahm eben auch Seine Mutter als Gefährtin Seines Leidens an diesem Zustand des Verfolgtseins teil. Maria erlebte, wovon wir alle gar keine Ahnung haben! Sie erlebte, wie fürchterlich der Zustand eines Menschen ist, der verfolgt ist, der um sein Leben bangen muß und der alles aufgeben und zurücklassen muß, um Sein Leben zu retten, während andere, unschuldige, ja unschuldige Kinder an Seiner Stelle blutrünstig dahingemordet werden.

Der dritte Schwertstoß ist abermals ein sehr tiefgehender. Maria erlebte das voraus, was ihr göttlicher Sohn am Kreuz durchleiden würde. Am Kreuz wird Jesus in tiefster Verlassenheit rufen: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Damals schon war es die Mutter gewesen, die, als sie ihren zwölfjährigen Sohn nicht mehr finden konnte, ausrief: „Mein Sohn, mein Sohn, warum hast Du mich verlassen! Warum hast Du uns so getan?“ Aber dieser ihr Sohn ist ja zugleich auch ihr Gott. Gerade an diesem dritten Schmerz der Gottverlassenheit erkennen wir, wie tief Maria mit hineingenommen war in das Leiden Christi; wie ähnlich die einzelnen Schmerzen, welche sie zu ertragen hatte, den Schmerzen ihres göttlichen Sohnes gewesen sind.

Der vierte Schwertstoß: Er traf die Gottesmutter bei der Begegnung mit ihrem Sohn auf dem Kreuzweg. Wir können sagen, daß sich hier ein ganz eigentümlicher Austausch ereignet. Die Mutter sieht das schreckliche Leid ihres Sohnes und leidet an diesem Leiden. Der Sohn wiederum sieht, wie Er Seiner Mutter durch den erbärmlichen Zustand, in dem Er sich befindet, Schmerzen zufügt, wodurch die Schmerzen in Ihm nur um so größer werden. Das aber nimmt wiederum die Mutter wahr. So kann man also sagen, daß sich Mutter und Sohn gegenseitig in ihren Schmerzen noch vertieften. Aber nicht in einer unseligen Spirale unerlösten Leides, sondern in einer einzigartigen Leidensspirale, die sich bis zum Übermaß steigert, wodurch aber ihr wechselseitiges Leiden in die Lage versetzt wird, das Übermaß der Sünde zu tilgen und die Welt zu erlösen.

Den fünften Schwertstoß mußte die Gottesmutter beim Kreuzestod Jesu hinnehmen. Hier traf sie das Schwert am allertiefsten. Während das Schwert des Todes die Seele ihres Sohnes von Seinem gequälten Leib schmerzlich trennte, da fuhr dasselbe auch durch ihre Seele hindurch. Dabei erlitt Maria, wie die Kirchenväter sagten, eine Art „mystischen Tod“ zusammen mit ihrem Sohn, so daß wir sie zurecht als die „Regina Martyrum“ – als die „Königin der Martyrer“ verehren. – Hier stehen wir vor einem Geheimnis, von dem wir vielleicht eine gewisse Ahnung empfangen können, das uns aber letztlich in seiner ganzen Tiefe verschlossen bleiben wird.

Der sechste Schmerz ereilte Maria, als sie bei der Kreuzabnahme den Leichnam ihres Sohnes auf den Schoß empfing. Auf jenen jungfräulichen Schoß, aus dem Er in der Heiligen Nacht hervorgegangen war. Maria hat uns ihren Sohn als das schönste aller Menschenkinder geschenkt. Bis zur Unkenntlichkeit entstellt geben wir Ihn ihr wieder zurück. Was die Pieta da betrachtet, die entsetzliche Verwüstung am Leibe Jesu Christi in Gestalt der unzähligen Wunden vom Scheitel bis zur Fußsohle, das ist unser Werk. Auch diese sechste Klinge wurde von uns geschmiedet. Und dieses Schwert traf sie zweifelsohne hart und tief.

Das siebente Schwert durchbohrt die schmerzhafte Leidensgefährtin bei der Grablegung. Das Licht der Welt wird ihren Augen entzogen, wird von der Finsternis des Grabes verschlungen. Ihr von Schmerz überfließendes Herz ruft aus: Warum läßt du mich alleine zurück? Warum läßt du mich nicht mit dir sterben? Auch wenn in Maria Glaube und Hoffnung niemals gestorben sind, so muß sie noch in diesem Moment etwas von der entsetzlichen Verlassenheit, Einsamkeit und Finsternis der Seele ertragen, die ihr Sohn am Kreuz erduldet hatte.

Die Gefährtenschaft im Leiden

Die sieben Schmerzen Mariens beleuchten die Tatsache, daß sie die einzigartige Gefährtin im Leiden ihres Sohnes gewesen ist. Niemand sonst hat es mit einer solchen Reinheit, mit einem derartigen Fassungsvermögen der Seele, mit einer solch uneingeschränkten Liebe mittragen können. Und doch! Obwohl Maria die einzigartige Gefährtin des göttlichen Leidensknechtes ist, so ist sie doch nicht die einzige. Unter dem Kreuz erblicken wir schon den hl. Johannes, die hl. Maria Magdalena und die anderen Frauen, die soeben im heutigen Evangelium genannt wurden. Im Laufe der christlichen Jahrhunderte gesellten sich dann noch viele, sehr viele hinzu. Männer und Frauen, Junge und Alte, Unschuldige und bekehrte Sünder – alle Arten von Gefährten sind bei Ihm, dem leidenden Herrn.

Und wir? Sind auch wir mit von der Partie? Es ist ja tatsächlich unsere Berufung, Gefährten Christi zu sein, Ihm in allem gleichförmig zu werden. Der Herr fordert die Kreuzesnachfolge: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge Mir nach.“ Nicht zuletzt bis in Sein Leiden hinein! – Der Klassiker der Spiritualität – das Büchlein „Die Nachfolge Christi“ – erwähnt einmal die traurige Tatsache, daß immer viele dabei sind, wenn Jesus zur Hochzeitsfeier einlädt, aber nur wenige, wenn Er auf den Kreuzweg ruft. „Jesus hat jetzt viele, die Sein himmlisches Reich lieben, aber wenige, die Sein Kreuz tragen wollen; viele, die nach Seinem Trost verlangen, wenige, die Leiden begehren. An Seinem Tische findet Er Gäste genug, bei Seinem Fasten aber nur wenige. Alle möchten sich mit Ihm freuen, wenige nur wollen etwas für Ihn leiden. Viele folgen Jesus bis zum Brechen des Brotes, wenige bis zum Trinken des Leidenskelches. Viele verehren Seine Wunder. Wenige teilen sich mit Ihm in die Schmach des Kreuzes. Viele lieben Jesus, solange ihnen nicht Widriges begegnet. Viele loben und preisen Ihn, solange sie einige Tröstungen von Ihm empfangen. Wenn sich aber Jesus verbirgt und sich nur ein wenig von ihnen zurückzieht, verfallen sie in Klagen oder in große Trauer.“ (Nachf. Chr. I,11).

Deswegen das Anliegen des heutigen Festes, welches so schön von der Dichtung des „Stabat mater“ eingefangen worden ist: „Juxta crucem tecum stare, / Et me tibi sociare / In planctu desidero.“ – „Unterm Kreuz mit dir zu stehen, / Dort zu teilen deine Wehen, / Ist es, was mein Herz begehrt.“ Wie können wir diesen Wunsch konkret verwirklichen?

a) durch Kontemplation

Dieses mit Maria unter dem Kreuz Stehen geschieht einmal durch die Betrachtung, die Kontemplation, das betende Sich-Versenken in das Leiden Jesu. Wir sollten daher die kostbaren Tage der bevorstehenden Quatemberwoche nicht vorübergehen lassen, ohne das Betrachten der Leiden Christi zu üben: Sei es durch das Beten der Kreuzwegstationen, der schmerzhaften Rosenkranzgeheimnisse, der fünfzehn Gebete der hl. Birgitta, durch die Verehrung der fünf Wunden oder durch sonst eine der vielen Andachtsübungen zum Leiden des Herrn.

Insbesondere treten wir in die Gefährtenschaft Jesu und Mariä ein, wenn wir in Liebe das annehmen, was uns als Anteil am Kreuz Christi zugemutet wird. Mit der schmerzhaften Mutter, die selbst die ganze Wucht des Leidens getragen hat, wird es uns leichter sein, unseren Teil nicht nur in Form des Fastens und der Abstinenz zu tragen. Schauen wir deshalb noch einmal genau hin auf den Kalvarienberg, um von Jesus und Maria zu lernen, wie wir über das betrachtende Durchbeten der Passion im alltäglichen Leben ihre Gefährten im Leiden sein können.

b) durch tapfere Annahme der Leiden

Was zuerst auffällt: Jesus schwieg am Kreuz wie ein Lamm auf der Schlachtbank. Er hat Seinen Mund nicht aufgetan (vgl. Is. 53,7). Und auch auf Seine leidende Mutter trifft das Wort des Psalmisten zu: „Ich war wie ein Mensch, der nicht hört und der in seinem Munde keine Widerrede führt.“ (Ps. 37,15). Sie stand und schwieg. Sie stand unter dem Kreuz und trug schweigend. Das ist alles, was uns die Heilige Schrift von Maria sagt. So wurde Maria, die „Mutter der Schmerzen“, zur Gefährtin des „Mannes der Schmerzen“.

Dementsprechend sollen auch wir Gefährten ihrer Leiden werden, wenn wir in den Widerwärtigkeiten des Alltags und in unseren Leiden nicht klagen oder zürnen. Der Zorn verleitet ja zum Schimpfen, Klagen, Fluchen, Streiten und Lästern. Der Zorn verlangt nach Rache. – Die Annahme des Leides ist die einzig wahre Lösung! Weder streiten noch resignieren, sondern schweigend annehmen, das lehren uns Jesus und Maria am bzw. unter dem Kreuz.

Und glauben wir dabei nicht, daß wir die Leiden nicht verdienten; daß uns Unrecht geschähe, wenn uns Gott züchtigt. Wir alle sind Sünder. Wir hätten schon für eine einzige schwere Sünde die Hölle verdient. Und selbst wenn wir die Taufunschuld bis heute bewahrt hätten, müßten wir doch zugeben, daß der göttliche Leidensknecht und Seine unbefleckte Mutter aufgrund ihrer Sündelosigkeit viel größeres Unrecht traf und sie darin dennoch in tapferer Ergebenheit und in gleichmütiger Hingabe ausharrten.

c) durch würdiges Mitleiden

Gefährten Jesu und Mariä im Leiden werden, das geschieht zweitens, wenn wir aus den gleichen Motiven leiden wie sie. Jesus litt am Kreuz fremde Strafen. Er litt für Sünden, die Er selbst nicht begangen hatte, für unsere Sünden. „Er ist verwundet um unserer Missetaten willen, zerschlagen um unserer Sünden willen“ (Is. 53,5), so erklärt der Prophet Isaias das Leiden des Erlösers. Und warum litt Maria? Sie litt um der Schmerzen Jesu Willen. Jesus litt die Strafen der Menschen, weil Er ihr Erlöser war. Maria litt die Leiden Jesu, weil sie Seine Mutter war. Jesus nahm als Mittler des gesamten Menschengeschlechtes die Schuld aller auf sich, ganz allein. Und Maria war durch ihre Mutterschaft und Liebe ganz eins mit ihrem Sohn. Beide ganz unschuldig! Denn sie waren ohne Sünde empfangen und lebten ohne Sünde. Nichtsdestotrotz war Leiden hier auf Erden ihr Beruf.

Wenn wir die Glieder des mystischen Leibes Christi sind, dann muß Gleiches auch von uns gelten. Der hl. Apostel Paulus schrieb an die Gemeinde von Rom: „Wißt ihr nicht, daß wir alle, die wir in Christus Jesus getauft sind, auf Seinen Tod getauft worden sind?“ (Röm. 6,3). Und wenig später weist der Völkerapostel darauf hin, daß wir „Erben Gottes und Miterben Christi sind, wenn wir mit Ihm leiden, damit wir auch mit Ihm verherrlicht werden.“ (Röm. 8,17).

Freilich können wir dabei nicht so unschuldig leiden, wie Jesus und Maria es getan haben. Aber wenigstens müssen wir dabei, um der Würde unserer Berufung zu entsprechen, im Gnadenstand sein. Denn ein Leiden im Stande der Sünde ist ein nutzloses Leiden. Es gleicht der Darbringung eines unreinen Tieres auf dem Brandopferaltar zu Zeiten des Alten Bundes. Das Schlachtopfer eines unreinen Tieres war Gott stets ein Greuel. – Wir sind also nur dann würdige Gefährten Christi in Seinem Sühneleiden, wenn wir im Gnadenstand leiden. Ansonsten wäre unser Leiden nur ein Strafleiden, wie das des ersten Adam, und letztlich nur ein Vorgeschmack auf die Leiden der Verdammten in der Hölle.

d) durch williges Leiden

Schließlich soll unsere Gefährtenschaft im Leiden noch eine dritte Gemeinsamkeit mit Jesus und Maria aufweisen: Jesus stieg nicht vom Kreuz herab – obwohl Er gekonnt hätte! Ihm war alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden (vgl. Mt. 28,18). Auch wären Ihm sofort zwölf Legionen Engel zu Diensten gestanden, wenn Er gewollt hätte. Und obwohl Seine Feinde Glauben und Bekehrung versprochen hatten, wenn Er vor Ihren Augen vom Kreuz herabsteige, blieb Er willig am Kreuz, solange der Leidenskelch von Ihm nicht bis zur Neige geleert war. Erst dann rief Er aus: „Es ist vollbracht!“ „Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil. 2,8). Gleiches gilt von der Schmerzensmutter. Auch Maria wich nicht von der Seite des gekreuzigten Heilandes. Sie stand da, wie ein Fels in der Brandung, den Blick auf Ihn gerichtet. Sie hätte ihre Augen von dem gräßlichen Anblick abwenden können. Allein sie tat es nicht.

In gleicher Weise dürfen auch wir das Kreuz nicht von uns schieben; selbst wenn es bisweilen in unserer Macht steht. Freilich, vieles müssen wir tragen. Es gibt Kreuze, denen man sich nicht entziehen kann. Aber es gibt auch andere, wo einem die Macht gegeben ist, gleichsam vom Kreuz herabzusteigen. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht jede Mühe, jede Arbeit, jede Überwindung, jeden Verzicht fliehen. Wir dürfen nicht die Pflichten unseres jeweiligen Standes unterlassen, wenn sie uns beschwerlich fallen. Wir dürfen uns dem Leidenskelch nicht entziehen, indem wir bei jedem kleinen Schmerz sofort zum Schmerzmittel greifen. Auch dürfen wir uns nicht, um den inneren Schmerz zu betäuben, am Taumelwein sündhafter Freuden berauschen. Als Christen sollen wir unseren Trost nicht bei den Geschöpfen, sondern beim Schöpfer suchen; nicht in endlosen Gesprächen mit Menschen, sondern im Gespräch mit Gott.

Unsere Leidensgefährtin

„Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“ Dieses Wort dürfen wir schließlich auch auf unser Leiden anwenden. Jawohl, wir haben in unseren Leiden und in unseren Schmerzen, in unseren bitteren Enttäuschungen und in verlassener Einsamkeit; wir haben dort alle eine Gefährtin. Nämlich unsere Mutter, die in voller Liebe an allem, was ihre Kinder betrifft, teilnimmt.

Dabei wird Maria auch dafür sorgen, daß unsere Leiden in diesem irdischen Tränental tatsächlich hinaufführen in die ewige Freude. So können wir gemeinsam mit der Gottesmutter zu unserem Herrn und Heiland sprechen: „Ich will mich so an Dich binden, mein Herr, daß Du mit mir hinabsteigen kannst, bis in die tiefste Finsternis des Leidens. Aber Du Herr, binde mich dann so an Dich, daß ich mit Dir hinaufgeführt werde in die höchste Freude der ewigen Glückseligkeit des Himmels.“

Ahmen wir also Maria nach als Leidensgefährtin ihres göttlichen Sohnes, und sie wird unsere Gefährtin in all unseren Leiden sein. Dann werden wir durch ihre mildtätige Hilfe auch zu Gefährten ihrer ewigen Freude werden. Amen.

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