Der Stammbaum Christi und Mariä

Geliebte Gottes!

Wohl die wenigsten, die das heutige Festtagsevangelium anläßlich des Geburtsfestes der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria hören, werden sich darauf verstehen, daraus für sich einen geistlichen Nutzen zu schöpfen. Es handelt sich dabei ja nur um eine trockene Aneinanderreihung bloßer Namen von Personen, die den meisten von uns größtenteils unbekannt sind. Und dennoch finden sich in dem Stammregister des Heilandes, wie es uns der hl. Matthäus liefert, zahlreiche, schöne und sehr tiefe Lehren.

Ja, das Geschlechterregiester des Herrn trägt in sich auch eine große Beweiskraft, daß unsere Religion kein bloßes Hirngespinst, kein Produkt der religiösen Empfindungen der sog. „Urchristen“ ist und weder auf Mythen noch auf Wundergeschichten beruht, sondern auf historisch nachprüfbaren Tatsachen.

Der Stammbaum Christi ist eine Urkunde, in welcher die Erfüllung des göttlichen Ratschlusses zur Erlösung des Menschengeschlechtes nachgewiesen wird. Das Christentum ist etwas Positives, etwas historisch Verwirklichtes. Die aufgezählten Namen bilden eine geschlossene Kette von Beweisen für die Güte, Treue und Weisheit der göttlichen Vorsehung, mit welcher Gott trotz aller scheinbaren Schwierigkeiten und menschlichen Hindernissen Seine Verheißungen treu erfüllt und Seine weisen Absichten zielsicher verwirklicht hat.

Der Sohn Davids, des Sohnes Abrahams

Wenn der Prophet Isaias vom kommenden Messias sagt: „Wer kann sein Geschlecht erklären?“ (Is. 53,8), so gilt das freilich zunächst von Seiner göttlichen Abstammung aus dem Schoß des Vaters, die für jeden geschaffenen Geist ein staunenswertes, aber gleichzeitig unbegreifliches Wunder darstellt. Aber auch die Menschwerdung und die zeitliche Geburt des ewigen Gottessohnes sind ein unaussprechlich großes Geheimnis.

Dieses Geheimnis beschreibt der hl. Evangelist Matthäus im ersten Vers seines Evangeliums mit den Worten: „Buch der Abstammung Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“ – Der Name „Jesus“ – wir wissen es – hat die Bedeutung „Erlöser, Retter, Heiland“ und weist auf dessen menschliche Natur hin. Denn nur als Mensch konnte uns der Sohn Gottes Erlöser und Retter werden. Nur als Mensch konnte Er als einer von uns Sein Blut zur Sühne der Sünden am Kreuz vergießen und Sein Leben für uns hinopfern. Durch den Zusatz „Christus“, was soviel heißt wie „Messias, Gesalbter“, betont Matthäus gleich im selben Atemzug die anfangslose, ewige Gottheit Jesu, die allein vom himmlischen Vater herstammt. Die Menschheit Christi ist mit der ewigen Gottheit gesalbt.

Als Mensch aber wird Er als „Sohn Davids, des Sohnes Abrahams“ eingeführt. Warum steigt der Evangelist von Jesus sofort zu den Stammeshäuptern hinauf und erwähnt vorerst allein David und Abraham? Weil Gott vor allem diesen beiden Patriarchen die ausdrückliche Verheißung gab, daß aus ihrem Geschlecht der Messias hervorgehen würde. Zu Abraham sprach der Herr: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.“ (Gen. 12,3). Und noch einmal: „In deiner Nachkommenschaft sollen alle Völker der Erde gesegnet werden, weil du Meiner Stimme gehorcht hast.“ (Gen 22,18). Dem David gab Gott die Verheißung: „Wenn deine Tage vollendet sind und du zu deinen Vätern entschlafen bist, will Ich dir einen Nachkommen erwecken, der aus deinen Lenden stammen soll, und will Sein Königtum befestigen. Er soll Meinem Namen ein Haus bauen und Ich werde den Thron Seines Königtums fest gründen auf ewig.“ (2. Kön. 7,12 f.). Und später erklärte Gott dem David noch genauer, daß jener verheißene Davidssohn wahrer Gottessohn sein werde: „Er wird Mir Sohn und Ich werde Ihm Vater sein.“ (1. Chr. 22,10).

Die Ausleger pflegen auch noch andere Gründe geltend zu machen, warum gerade David und Abraham als Stammhäupter Christi gleich zu Beginn des Stammbaumes ausdrücklich hervorgehoben werden. Es soll dadurch angedeutet werden, wie der Erlöser und Seine unbefleckte Mutter all jene Tugenden in sich vereinigen würden, welche jene leiblichen Stammväter auszeichneten.

Der hl. Anselm macht außerdem noch einen mystischen Grund geltend. Abraham steht aufgrund seines Glaubens stellvertretend für die Gerechten des Alten Bundes, wie der hl. Jakobus in seinem Brief bezeugt: „Abraham aber glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.“ (Jak. 2,23). Christus ist als Sohn Gottes „der Gerechte“ schlechthin. – David hingegen war ein reumütiger und bußfertiger Sünder. Weil Christus aber gekommen war, nicht um Gerechte, sondern Sünder zur Buße zu rufen, ließ sich Jesus nach dem hl. Anselm auch „Sohn Davids“ nennen. Christus ist als „der Gerechte“ gekommen für die Sünder. Genauer: Er ist gekommen, um aus Sündern Gerechte zu machen. Deshalb wird der göttliche Erlöser vom hl. Matthäus als „Sohn Davids, des Sohnes Abrahams“ eingeführt.

Einzelne Äste und Zweige des Stammbaums Christi

Die sich nun anschließende Ahnenreihe Christi durchläuft drei Zeitabschnitte, die von Abraham und David bestimmt werden. Die erste etwa 1000-jährige Periode erstreckt sich von Abraham bis König David, dessen Salbung zum König auf ca. 1000 v. Chr. zu datieren ist. Die zweite Periode umfaßt die Königszeit von David bis zur babylonischen Gefangenschaft (ca. 600 v. Chr.). Und schließlich bildet die dritte Epoche die nachexilische Zeit von rund 530 bis Christi Geburt. Der Evangelist selbst erklärte: „Daher sind alle Geschlechter von Abraham bis David vierzehn Geschlechter, und von David bis zur Wegführung nach Babylon vierzehn Geschlechter, und von der Wegführung nach Babylon bis auf Christus vierzehn Geschlechter.“ (Mt. 1,17).

Mit der Betonung der dreimal vierzehn Geschlechter weist der Evangelist auf die Zahlensymbolik des Stammbaumes Christi hin. Die Drei und die Sieben galten als heilige Zahlen. Umso mehr die doppelte Sieben in dreimaliger Wiederholung, also die dreimal Vierzehn.

Die Drei symbolisiert den allheiligen Gott, dem die Chöre der Engel das dreimal „Heilig“ singen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott Sabaoth! Die ganze Erde ist voll Seiner Herrlichkeit.“ (Is. 6,3).

Die Verdopplung der heiligen Zahl Sieben zur Vierzehn weist Christus zum einen als den „Heiligen der Heiligen“ aus und als den „Gesalbten des Herrn“; zum anderen verbirgt sich in der Vierzehn auch ein Hinweis auf die zweifache Natur Christi in der Einheit Seiner göttlichen Person – nämlich die Einheit Seiner allheiligen Gottheit (7) und Seiner heiligsten Menschheit (7).

Auch ergibt sich aus den Buchstaben des Namens „David“ im Hebräischen der Zahlenwert Vierzehn. Denn das Hebräische kennt nur Konsonanten, keine Vokale. Der Name David besteht also nur aus drei Buchstaben, nämlich Dalet (ד), Vav (ו) und nochmals Dalet (ד). Dalet ist der vierte Buchstabe des hebräischen Alphabets, hat also den Zahlenwert vier. Vav ist der Sechste. Vier plus Sechs plus Vier ergibt Vierzehn.

Also nicht nur die Blutlinie, sondern sogar die Zahl der Generationen weist Christus als den dreimal heiligen Sohn Davids aus. Darauf will uns der hl. Matthäus hinweisen, wenn er die dreimal vierzehn Generationen zwischen Abraham und Christus ausdrücklich hervorhebt.

So betrachtet fängt auch die sonst so dürr und saftlos scheinende Aneinanderreihung der Namen im Stammbaum Christi zu sprechen und zu sprossen an.

a) Grundvoraussetzungen der Erlösung: Glaube und Gehorsam

Lassen Sie uns nun einige Namen aus dem Stammregister des Heilandes und ihre Bedeutung für uns herausstellen.

Wie gesagt bildet Abraham den Wurzelstock des Stammbaumes Christi beim hl. Matthäus. „Abraham zeugte Isaak.“ – Welch große Erinnerungen knüpfen sich an diese zwei Namen! In Abraham erblicken wir das ausgezeichnete Werkzeug der göttlichen Vorsehung. Abraham wurde von Gott so sehr ausgezeichnet, weil er inmitten eines sündigen Volkes noch gerecht erfunden wurde; weil sein Glaube wie all seine Tugenden selbst die schwersten Prüfungen bestand.

Bis zu seinem hundertsten Lebensjahr ließ ihn Gott mit der Verheißung eines Nachkommens warten; und Abraham wurde weder ungeduldig noch wankte sein Glaube, als das Greisenalter und die Unfruchtbarkeit seiner Frau Sahra ihm menschlich gesprochen keine Hoffnung auf einen legitimen Sohn ließen. Da erfüllte sich das Wort des Herrn und Sahra gebar ihm den Isaak.

Aber bald kam eine noch schwerere Prüfung in dem Befehl Gottes: „Nimm deinen einzigen Sohn, den du liebhast, … und bringe ihn Mir zum Opfer dar!“ Im Glauben, daß Gottes Macht seinen geopferten Sohn vom Tode wieder auferwecken könne oder ihm einen weiteren Sohn schenken würde, zögerte Abraham keinen Augenblick, dem göttlichen Befehl Folge zu leisten. So stark war sein Glaube. So heldenmütig sein Gehorsam. Damit treten an Abraham die beiden Grundtugenden hervor, ohne die prinzipiell keine Erlösung möglich ist und ohne die niemand erlöst werden kann: Glaube und Gehorsam.

b) Würdige und unwürdige Söhne

„Isaak zeugte den Jakob; Jakob aber zeugte den Judas und seine Brüder.“ Es ist auffallend, daß bei den drei unmittelbar auf Abraham folgenden Generationen die göttliche Verheißung nirgends auf den Erstgeborenen überging. Isaak war ja nicht der erst-, sondern der zweitgeborene Sohn des Abraham. Die Sklavin Hagar hatte ihm zuvor den Ismael geschenkt, den er aber auf Gottes Befehl hin zugunsten Isaaks vertreiben mußte. Denn jener zweite Sprößling war der Sohn der Verheißung, den sich Abraham durch Glauben und Tugend verdient und den er nicht in sinnlicher Lust, sondern in gläubig-frommer Gesinnung gezeugt hatte. Denn nach Gottes Willen sollte aus keuscher und heiliger Ehe ein heiliges Geschlecht erzeugt werden und sich der Segen Gottes von heiligen Eltern auf deren Kinder vererben. So wurde auch die Jungfrau Maria als Tochter der Verheißung in unbefleckter Gnadenfülle von heiligen Eltern – nämlich vom hl. Joachim und der hl. Anna – empfangen.

Von Isaak pflanzte sich der Segen nicht auf dessen Erstgeborenen, den Esau, sondern auf den jüngeren Jakob fort. Das erklärt sich, wie uns der Völkerapostel im Römerbrief (9,9 ff.) belehrt, zum einen aus der freien Gnadenwahl Gottes, die wir nicht ergründen, sondern nur anbeten können. Ferner strafte Gott den Leichtsinn des Esau, der die geistigen Güter – nämlich die göttlichen Verheißungen und das Erstgeburtsrecht – geringer schätzte als ein Linsengericht, auf das er nicht verzichten wollte und schließlich sogar des väterlichen Segens verlustig ging. An seine Stelle trat der jüngere Bruder Jakob. – Das ist ein Lehrstück für alle Zeiten, da doch so viele Menschen so oft die höchsten übernatürlichen Güter für ein pures Nichts einfach so wegwerfen – für einen sinnlichen Genuß, für einen vollen Magen, nur um auf nichts verzichten zu müssen. Ein Lehrstück besonders für Kinder: Daß sie den Elternsegen nie verscherzen oder gar durch ehrfurchtsloses Verhalten in Fluch verkehren.

Der hl. Thomas von Aquin weist darauf hin, daß der Stammbaum Christi die beiden Erstgeborenen Ismael und Esau nicht einmal erwähnt. Das läge darin begründet, daß sie ihren Nachkommen den wahren Glauben nicht genug eingeprägt haben und auf diese Weise die Stammväter ungläubiger Völker – nämlich der heidnischen Edomiter (von Esau) und der Beduinen, später der Mohammedaner (Ismael) – wurden, während die zwölf Stämme Israels trotz aller Verirrungen doch nie den Glauben verließen, sondern vielmehr über ihre Sünden stets wieder wahre Buße wirkten. Folglich stehen Gott der wahre Glaube und die aufrichtige Buße näher als der Adel der Erstgeburt oder irgendwelche irdischen Begabungen und Vorzüge.

Schließlich wurde auch unter den Söhnen Jakobs nicht der Erstgeborene Ruben, auch nicht Simeon der Zweite und nicht Levi der Dritte, sondern der vierte Sohn – Juda – zum Stammvater des Messias. Ruben hatte eine Schandtat gegen Vater und Mutter begangen. Darum prophezeite ihm der sterbende Vater: „Zerronnen bist du wie Wasser, nicht sollst du wachsen.“ (Gen. 49,4). Wer seine Eltern nicht ehrt, wie sollte den Gott ehren? Wie könnte einem solchen der Segen des vierten Gebotes blühen? – Simeon und Levi hatten eine grausame Bluttat verübt. Deshalb nannte sie Jakob „Kriegerische Werkzeuge des Frevels“ (Gen. 49,5). Ihre Gewalttätigkeit machte sie unwürdig, die Stammväter des „Friedensfürsten“ zu werden. – Erst Juda wurde der Bedeutung seines Namens gerecht. Juda heißt nämlich so viel wie „Lob und Dank“. Seine Mutter rief bei seiner Geburt aus: „Nun will ich den Herrn preisen.“ (Gen. 29,35) und der sterbende Jakob sprach zu ihm: „Juda, dich werden deine Brüder loben. Es wird das Zepter nicht von Juda weichen, der Heerführer nicht von seinen Lenden, bis Der kommt, welcher gesandt werden soll, auf den die Völker harren.“ (Gen. 49,8.10). Wie wir wissen, ist diese Weissagung in vollem Sinn eingetreten. Bis zum Untergang des auserwählten Volkes galt der Stamm Juda immer als der vornehmste, der dem Volk die Heerführer und Könige gab, dessen Ansehen sogar während der Gefangenschaft in Babylon nicht unterging, bis schließlich die Fülle der Zeiten kam und das Zepter von Israel wich, auf Herodes den Großen, auf einen Idumäer, einen Nicht-Juden, überging und bald darauf von den Römern gänzlich zertrümmert wurde.

c) Büßerinnen und Büßer

In den auf Juda folgenden Generationen finden vereinzelt Frauengestalten Erwähnung. Vier an der Zahl: Thamar, Rahab, Ruth und schließlich Bethsabee, die nicht namentlich, sondern nur als „Witwe des Urias“ genannt wird. Außer der Jungfrau und Gottesmutter Maria sind diese vier die einzigen Frauen, die im Stammbaum des Erlösers erwähnt werden.

Da es nun, wie uns der hl. Hieronymus versichert, bei den Juden unüblich war, weibliche Namen in die Stammregister aufzunehmen, stellt sich natürlich die Frage, warum unter den Vorfahren Christi gerade diese vier Mütter hervorgehoben werden. Hätten wir es mit dem Stammbaum eines bloßen Menschen zu tun, dann stünde zu erwarten, daß diese Namen besonders rühmliche Erinnerungen wachrufen müßten und daher in den Stammbaum eingeflochten seien, um den Glanz der Abstammung Christi zu erhöhen. Im umgekehrten Falle würde man die Nennung der Namen ja sorgfältig umgehen. Nun ist aber hier gerade das Gegenteil der Fall! Thamar befleckte sich mit Blutschande, indem sie sich durch Inzest den ersehnten Kinderwunsch realisierte. Rahab war eine kanaanitische Dirne, die das schamlose Geschäft einer öffentlichen Sünderin betrieb. Auch Ruth mußte als Moabiterin Gegenstand tiefsten Abscheus sein, denn ihre ganze Familie ging auf das Greul der Blutschande zurück. Und Bethsabee war „das Weib des Urias gewesen“, als sie mit König David Ehebruch beging. – Warum wurden ausgerechnet diese scheinbar unrühmlichen Frauen vom hl. Matthäus in den Stammbaum Christi eingefügt? Die Ausleger geben verschiedene Gründe an:

  1. Weil die Vorsehung Gottes in um so größeres Licht gestellt würde, da offensichtlich selbst die gräßlichsten Sünden und die tiefste Bosheit der Menschen die Erfüllung der göttlichen Absichten nicht nur nicht vereiteln konnten, sondern ihnen sogar dienen mußten.
  2. Damit der Stolz der Juden gedemütigt werde, sie sich ihres Sündenelendes bewußt würden und die Notwendigkeit eines Erlösers einsehen würden.
  3. Sagt der hl. Ambrosius: „Christus hat sich nicht geschämt, auch von sündhaften Vorfahren abzustammen, nachdem Er die Knechtsgestalt eines Sünders angenommen hat, damit auch wir uns nicht unserer geringen Herkunft oder unserer armen Eltern schämen sollen.“
  4. Schließlich sollte damit gezeigt werden, daß auch die größten Sünder sich bekehren und auserlesene Gefäße der Gnade werden können, wie diese vier Frauen. Darum soll niemand verzweifeln, sondern Buße tun. Gott wird jeden Büßer aufnehmen. Denn es gibt keine Sünde, so groß und entsetzlich sie auch wäre, die nicht Verzeihung erlangen könnte, als nur beharrliche Unbußfertigkeit oder blinde Selbstgerechtigkeit.
  5. Sagt wieder der heilige Hieronymus: „Es ist zu bemerken, daß in dem Stammbaum des Heilands keine von den heiligen Frauen aufgenommen worden ist, sondern solche, die die Heilige Schrift als sündhaft darstellt, um zu zeigen, daß derjenige, der um der Sünden willen gekommen war, als Nachkomme von Sündern in die Welt eingetreten, die Sünden aller tilgte. Darum wird auch im folgenden die Moabiterin Ruth genannt und die Frau des Urias Bethsabee.“

Die Geschichte der Ruth erteilt uns ferner die Lehre, daß niemand aufgrund seiner Herkunft verachtet werden darf. Zwar lastete auf Ruth durch ihre moabitische Abstammung der Makel der Blutschande. Aber Gott sah nicht auf die Sünde der Vorfahren, sondern auf die Tugend der frommen Ruth, die in rührender Liebe für ihre arme Schwiegermutter sorgte und eben deshalb vom reichen Booz zur Gemahlin genommen wurde. Denn Booz schaute bei seiner Heirat nicht auf Herkunft und Geld, sondern nur auf die Tugenden der Ruth. – Genauso erwählte sich der Heilige Geist die mit allen Tugenden in höchstem Maße gezierte Jungfrau Maria zur Braut. Und ebenso wählt sich auch Christus unter den Seelen jene als Bräute, an denen er wahre Tugend erblickt. Herkunft und Sündenbelastung der Eltern spielen dabei keine Rolle.

Aber nicht nur sündhafte Frauen werden im Stammbaum Christi genannt. Die Abgründe der Sünde tun sich auch bei den Männern auf, bei Hirten wie bei Königen. Als besonders prominentes Beispiel wollen wir noch kurz auf König David eingehen.

Obwohl David schon in jungen Jahren zum König gesalbt worden war, so gelangte er doch erst nach mancherlei Verfolgung, Trübsal und Leiden in den Besitz des Reiches. – In ähnlicher Weise mußte auch seine unbefleckte Tochter Maria, obwohl sie durch den Ratschluß Gottes schon von Ewigkeit her zur Gottesmutter und damit zur Königin des Himmels auserwählt war, erst durch das Meer der bittersten Schmerzen hindurchgehen, ehe sie zu ihrer vollkommenen Glorie gelangte. Und wenn auch ihr göttlicher Sohn selbst auf dem Kreuzweg in Seine Herrlichkeit einging, wie können wir uns darüber verwundern, wenn auch uns ein ähnlicher Weg beschieden ist? „Der Schüler steht nicht über dem Meister und der Diener nicht über dem Herrn.“ (Mt. 10,24). Ja, auch wir sind schon in der Taufe gleichsam zu Königen gesalbt und zu Erben der himmlischen Krone erklärt worden. Aber wie David werden wir nur durch Selbstverleugnung und Geduld in ihren tatsächlichen Besitz gelangen.

David war ein eifriger Diener Gottes. Die Heilige Schrift ehrt ihn, indem sie ihn einen „Mann nach dem Herzen Gottes“ (1. Kön. 13,14) nennt und alle auf ihn folgenden Könige an ihm gemessen werden, aber nur einzelne seiner Gottesliebe gleich kamen. – Nichtsdestotrotz lud eben dieser herausragende König eine schreckliche Schuld auf sich, indem er das doppelte Verbrechen des Ehebruches und des Mordes an dem Hetiter Urias beging. Doch Gott ließ gerade den tiefen Fall seines Lieblings zu einem strahlenden Lehrbeispiel für alle folgenden Generationen gereichen. Was sollen wir aus dem Fall Davids lernen?

  1. Wachsamkeit und Demut. Wenn selbst so große, von Gott zu den erhabensten Zwecken auserwählte und begnadete Menschen so tief fallen können wie David, welch großes Mißtrauen müssen wir gegen unsere schwachen, sittlichen Kräfte an den Tag legen! Welche Furcht muß uns vor unserer Schwäche erfassen! Mit welcher Strenge und Wachsamkeit müssen wir unsere Gedanken, unsere Augen und Sinne bewachen! Wie vorsichtig müssen wir in unseren Urteilen sein! Mit welchem Eifer und mit welcher Andacht müssen wir Gott im Gebet darum anflehen, damit Er unserer Schwäche mit Seiner Gnade zu Hilfe eile, damit wir nicht fallen! Weil David das auf kurze Zeit unterließ, fiel er so tief. – Ferner müssen wir uns ehrlich eingestehen, daß es sündhafte Gefahren, Gelegenheiten und Anhänglichkeiten gibt, vor denen man sich nur durch Flucht retten kann; die man sich radikal aus dem Herzen reißen muß und sich ihnen nicht mehr zuwenden darf, um nicht ihren Lockungen zu verfallen. – Ja, schließlich lehrt uns der Fall Davids, allein in Jesus unser Heil zu suchen. Der hl. Johannes Chrysostomus sagt: „War sogar von jenen großen Männern das Gesetz nicht erfüllt worden, wie viel weniger wurde es beobachtet von den Geringeren. War aber das Gesetz nicht erfüllt, so haben alle gesündigt, und die Ankunft des Messias war unentbehrlich.“
  2. Die Lehre, die wir aus dem Fall Davids ziehen müssen, lautet: Aufrichtige Buße! Der hl. Ambrosius sagt: „Wieviel sündigt ein jeder von uns Stunde für Stunde! Und dennoch denkt keiner, nicht einmal vom gewöhnlichen Volke, daran, seine Schuld einzugestehen. … David sündigte, wie es bei Königen öfters vorkommt. Aber er tat auch Buße, weinte und seufzte, was bei Königen nicht oft vorkommt. Er bekannte seine Schuld, flehte um Verzeihung, am Boden liegend weinte er über sein Unglück. Er fastete, betete, gab seinem Schmerz offenen Ausdruck und hinterließ so für alle Zeiten die sichere Kunde von seiner Reue. Einfache Leute schämen sich, ihre Schuld einzugestehen, der König aber schämte sich nicht, dies zu tun. Die unter dem Gesetz stehen, wagen es, ihre Schuld zu leugnen, und wollen nicht um Verzeihung bitten. Er aber, der unter keinem menschlichen Gesetz stand, bat um Verzeihung. Fallen, das ist etwas Alltägliches, aber Buße tun, das kommt nicht jeden Tag vor. In Sünde fallen, ist eine Folge unserer schwachen Natur, sie wiedergut machen, das zeugt von Tugendkraft.“ (Lib. de Apol. Dav.). Ja, David war tief gefallen. Aber er tat auch entsprechende Buße. Wenn nun Gott seinen Lieblingen die Genugtuung nicht erließ, wie werden wir berechtigterweise hoffen dürfen, unsere Sünden seien mit ein paar nach der Beichte verrichteter Gebeten abgegolten? Ja, wenn wir mit geringer oder gar ohne Buße selig werden könnten, dann hätten alle Heiligen geirrt, von denen keiner wagte, ohne Buße dahinzuleben. - Wer sich hingegen mit Gottes Gnade wahrer Buße befleißigt, der darf hoffen, trotz seiner Vergehen noch viel Gutes stiften zu können, wie David. Ja, die bisherigen Fehltritte sollten gerade ein Ansporn sein, gegen Gott dankbar zu sein, der uns nicht unserer Sünden entsprechend vergolten hat.

Auch wenn wir die übrigen Äste und Zweige des Stammbaumes Christi überspringen müssen, so können wir doch zusammenfassend daraus ablesen: Menschen aller Zeiten und Zonen, aller Stände und Geschlechter, Gerechte und Sünder, Arme und Reiche können durch Glaube, Buße und Gnade in den Stammbaum Christi eingepfropft werden, um von „Kindern des Zornes“ zu „Kindern Gottes“ zu werden und als solche zu Erben der Erlösung und des ewigen Lebens.

Der Stammbaum Mariens

Das Geschlechterregister des hl. Matthäus endet mit der Auskunft: „Jakob aber zeugte den Joseph, den Mann Mariä, von welcher geboren wurde Jesus, der genannt wird Christus.“ Deutlich läßt der Evangelist mit Jakob, dem Vater des hl. Joseph, die natürliche Ordnung der Zeugung aufhören und mit „Maria, von welcher geboren wurde Jesus“, die übernatürliche, göttliche beginnen. Denn Maria hatte nicht auf dem ehelichen Weg durch die natürliche Mitwirkung des hl. Joseph, sondern durch die Kraft des Heiligen Geistes das göttliche Kind empfangen, wie der hl. Matthäus in seinem Evangelienbericht noch mehrmals ausdrücklich betonen wird (vgl. Mt. 1,18.20).

Da mag man sich fragen, welchen Sinn es dann überhaupt macht, in aller Kleinteiligkeit den Stammbaum des hl. Joseph aufzuführen, wenn der Heiland am Ende ja doch gar nicht aus dessen Same gezeugt wurde. Und wie kann der Evangelist den Stammbaum Josephs mit der Überschrift versehen „Stammbuch Jesu Christi“, wenn ersterer gar nicht dessen Vater gewesen ist.

Zum einen ist darauf zu antworten, daß es – wie wir schon sagten – bei den Juden Sitte war, Stammbäume nur für die männliche Linie zu führen. Hingegen war es nicht üblich, Geschlechterregister für Frauen anzulegen. Es blieb dem Evangelisten also gar nichts anderes übrig, als die Herkunft Christi über den Stammbaum Seines Pflegevaters herzuleiten.

Zum anderen – und das ist das Entscheidende – ergibt sich aus der Tatsache, daß der hl. Joseph aus der königlichen Familie Davids stammte, gleichzeitig auch die Abstammung Mariens! Denn, wie wir wissen, war Maria das einzige Kind ihrer Eltern. Maria war eine sog. „Erbtochter“. Als eben solch eine Erbtochter war Maria durch das mosaische Gesetz in der Wahl ihres Gemahls festgelegt. Maria mußte einen Mann aus demselben Stamm heiraten, aus dem sie selber hervorgegangen war. Im Buch Numeri ist die Gesetzesbestimmung zu lesen: „Sie [die Erbtöchter] mögen heiraten, wen sie wollen, doch nur Männer ihres Stammes, damit der Erbbesitz der Söhne Israels eines Stammes nicht mit dem des anderen vermischt werde.“ (Num. 36,6). Wenn die allerseligste Jungfrau Maria als Erbtochter nun den hl. Joseph geehelicht hat, und dieser nachweislich aus dem Hause Davids stammte, dann ist damit automatisch bewiesen, daß Maria ebenfalls aus der königlichen Familie Davids war. – Das wird sodann bestätigt im Lukasevangelium, wo der hl. Erzengel Gabriel zu Maria sprach, daß Gott ihrem Sohn „den Thron Seines Vaters David [!] geben“ werde, und „Er über das Haus Jakob herrschen wird in Ewigkeit.“ (Lk. 1,32). Da Jesus Christus durch die Überschattung des Heiligen Geistes gezeugt allein von Maria herstammte, aber vom Erzengel als rechtmäßiger Thronerbe kraft Seiner Abstammung von König David bezeichnet wurde, folgt daraus notwendigerweise, daß auch Maria selbst eine Tochter Davids gewesen sein mußte.

Der Stammbaum des hl. Joseph, des Sohnes Davids, ist also gleichfalls der Stammbaum Mariens. Und wenn der Stammbaum Josephs der Stammbaum Mariens ist, dann ist es auch der Stammbaum des ewigen Wortes, das sich aus dem unbefleckten Fleisch und Blut der Jungfrau ohne menschlichen Vater einen makellosen Leib bereiten ließ.

Maria ist das wundersame „Reis aus der Wurzel Jesse“, welches das göttliche Kind, die den ganzen Stammbaum krönende Wunderblume, hervorgebracht hat (vgl. Is. 11,1). Auf diese Weise ist Maria zur zweiten Eva geworden, zur Mutter aller in Christus Lebendigen.

So erklärt sich der überschwengliche Jubel, mit dem der hl. Augustinus die Geburt der Jungfrau Maria feiert und in den wir heute mit einstimmen wollen: „Eva war voll Trauer, Maria voll Wonne. Eva trug Tränen, Maria trug Freude in ihrem Schoße; denn jene gebar einen sündigen Menschen, diese dagegen den Makellosen. – Die Mutter unseres Geschlechtes brachte Strafe über die ganze Erde, die Mutter unseres Herrn brachte das Heil in die Welt. – Eva war die Urheberin der Sünde, Maria die Urheberin des Verdienstes. Eva brachte den Tod und damit Verderben, Maria brachte das Leben und damit Segen. Jene hat uns verwundet, diese hat uns geheilt. An die Stelle des Ungehorsams tritt der Gehorsam, an die Stelle der Untreue die Treue.“ (serm. 18 de sanct.).

Ehren und lieben wir Maria als die wunderbare Blüte am Stammbaum Christi! Ehren wir sie als die Mutter unseres Erlösers und als unsere Mutter, indem wir jene Tugenden, die wir an den Vorfahren Mariens erkannt haben und die sie in eminenter Weise selbst geübt hat, als treue Kinder nachahmen! Dann wird sie auch uns zur Mutter unseres Heiles und ihr Geburtstag auch für uns ein Tag des Segens sein. Amen.

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