8. Sonntag nach Pfingsten
Von der Klugheit des „ungerechten Verwalters“
Geliebte Gottes!
Kein Gleichnis unseres göttlichen Erlösers hat eine so umfangreiche Literatur hervorgerufen wie das „Gleichnis vom ungerechten Verwalter“. Nicht wenige haben Anstoß daran genommen, daß uns darin von Christus ein geriebener Betrüger als nachahmenswertes Beispiel vorgestellt wird. Die rationalistische Bibelkritik hat deshalb sogar danach verlangt, daß dieses Gleichnis als „fremdartiger, dem Geiste Jesu widersprechender Bestandteil aus der Bibel gestrichen oder stillschweigend übergangen werden müsse“. (vgl. Adolf Rücker, „Über das Gleichnis vom ungerechten Verwalter“; Herder 1912, S. 2 ff.).
Wir hingegen wissen: Die Heilige Schrift ist das geoffenbarte Wort Gottes. Eine Zensur verbietet sich daher von selbst, denn darin kann sich gar nichts befinden, was dem Geiste Gottes und damit dem Geiste Christi widerspricht. Wenn wir also meinen, auf eine Aussage der Heiligen Schrift zu stoßen, die auf uns den Eindruck erweckt, als sei sie mit der göttlichen Offenbarung unvereinbar, dann kann der Fehler weder auf Seiten der heiligen Schriftsteller, welche das Wort Gottes niedergeschrieben haben, noch bei der hl. Kirche zu finden sein, die uns dasselbe unter dem Beistand des Heiligen Geistes getreu überliefert hat, sondern an unserem falschen Verständnis.
Die Kritiker des heutigen Gleichnisses stolpern über die Worte Jesu: „Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ (Lk. 16,8). Daraus ziehen sie fälschlicherweise den Schluß, Christus erkläre sich irgendwie einverstanden mit dem Verhalten des Verwalters; Er heiße den Betrug an dem reichen Mann gut. Doch das ist ein einziges Mißverständnis!
Das Gleichnis
Nicht der reiche Mann – ein Großgrundbesitzer, wie es sie in der Zeit Jesu vor allem in Galiläa gab –, nicht der reiche Mann ist die Hauptgestalt des Gleichnisses, sondern der Verwalter!
Dieser war ein Angestellter des reichen Mannes. Die Großgrundbesitzer der damaligen Zeit pflegten nämlich ihre riesigen Latifundien nicht selber zu bewirtschaften. Stattdessen verpachteten sie ihre weiten Ländereien an Kleinbauern, die ihnen die Pacht in Naturalien abliefern mußten. Da die Großgrundbesitzer meist nicht auf ihren Landgütern, sondern weit weg in den Städten lebten – vielleicht im Staats- und Kriegsdienst standen –, stellten sie Ökonomen an und übertrugen ihnen die Oberaufsicht und damit auch die Aufgabe, von den Kleinbauern die zu entrichtenden Abgaben einzutreiben.
Ein solcher Ökonom war auch der „ungerechte Verwalter“ aus dem Gleichnis. Er wurde nun bei seinem Herrn beschuldigt, daß er durch schlechte Verwaltung dessen Besitz veruntreut habe. Ob diese Anklage berechtigt war oder nicht, bleibt unklar, ist aber auch für das Gleichnis unwichtig. Wichtig ist nur, daß der Herr der Anklage Glauben schenkte. Dem Verwalter hingegen gelang es nicht, dessen erschüttertes Vertrauen wiederzugewinnen. Er wird seines Amtes enthoben und zur Rechenschaftsablegung aufgefordert. Er sollte also alle Rechnungen, Schuldscheine und Ausgaben zur Prüfung vorlegen. Wie es scheint, hatte sich der Herr zuvor nie darum gekümmert, sondern sich auf die Umsicht des Verwalters verlassen.
Der Verwalter überlegte nun, wie er aus der Klemme kommen könnte. Er wußte, daß er in Kürze seine Stelle verlieren würde. In einem Selbstgespräch erwägt er, wie es in der Zukunft mit ihm weitergehen soll. Durch flehentliches Bitten bei seinem Herrn, etwas zu erreichen, sieht er offenbar als aussichtslos an.
Zuerst kommen ihm zwei Wege in den Sinn, wie er sich nach der Entlassung zukünftig seinen Lebensunterhalt auf redliche Weise verdienen könnte. Er könnte „graben“, also einer schweren körperlichen Arbeit nachgehen. Doch dieses Mittel scheidet für ihn aus. Entweder fehlt ihm dazu aufgrund seiner körperlichen Befindlichkeit die physische Kraft oder aber der ernste Wille, dieselbe zu mobilisieren. „Graben kann ich nicht“, sagt er sich. An zweiter Stelle denkt er an den Erwerb des Lebensunterhaltes durch das „Betteln“ um milde Gaben. Aber auch diesen Gedanken weist er von sich. Bettler sind eine geringgeschätzte Schicht der Bevölkerung. Zu ihnen möchte er nicht gehören. „Zu betteln schäme ich mich.“
Da kam ihm plötzlich ein rettender Gedanke, dessen Ausführung ihm über alle Zukunftssorgen hinweghelfen würde. Er war mit absoluter Skrupellosigkeit dazu entschlossen, auf Kosten seines bisherigen Herrn sich selbst zu helfen. Dazu nutzte er die kurze Frist, die er noch hat; denn er mußte ja bald die Papiere vorlegen. Und seine Überlegungen führten ihn zu der Erkenntnis, daß alles darauf ankäme, seine Vollmacht, die er noch für kurze Zeit besaß, für die Sicherung seiner Zukunft zu benutzen. Er machte es so, daß er die Schuldner seines Herrn, mit denen abzurechnen ja immer noch seine Aufgabe war, kommen ließ und ihnen weitgehend entgegenkam. Er ließ also die Schuldner seines Herrn zu sich rufen, und zwar alle. Die beiden von Christus angeführten sind nur beispielhaft genannt. Er ließ sie einen nach dem anderen, also einzeln, kommen; denn solche Geschäfte, wie er sie vorhat, schließt man nur unter vier Augen ab.
„Wieviel schuldest du meinem Herrn?“, fragt er jeden von ihnen. Diese Frage diente nicht zu seiner eigenen Information, denn er hat ja die Schuldscheine in Händen, sondern gehörte zu seinem Plan, sich die Schuldner seines Herrn zu verpflichten. Er ließ sie selbst ihre Schuld aussprechen, um ihnen klar vor Augen zu stellen, wie viel sie dem Verwalter für den drastischen Nachlaß, den er ihnen verschaffen würde, zu danken hätten. Damit erhoffte der Verwalter bei den Kleinbauern keine wirkliche, aber doch eine moralische Schuld ihm gegenüber aufzubauen, die er dann, wenn er seines Amtes endgültig enthoben wäre, bei ihnen „eintreiben“ könnte, indem er sich als Gegenleistung für seinen schlauen Betrug die Aufnahme in ihre Häuser ausbedingen würde.
Der erste Schuldner schuldete seinem Herrn 100 Bat Öl. Ein Bat ist ein Flüssigkeitsmaß, das etwa 36,5 Litern entspricht. Hundert Bat sind der Jahresertrag von 160 Ölbäumen. Das ist keine Kleinigkeit! Der Verwalter setzte die Schuld auf die Hälfte herab. 50 Bat Öl, also die gewaltige Menge des halben Jahresertrags von 160 Ölbäumen, konnte der Kleinbauer fortan für sich selbst behalten. Und bei dem anderen war der Wert des Schuldennachlasses nicht geringer: Der zweite Schuldner schuldete dem Herrn 100 Kor Weizen. Auch ihn forderte der Verwalter auf, einen neuen Schuldschein auszustellen, auf dem zwanzig Kor weniger stehen. Der Schuldenerlaß, den der Verwalter dem zweiten Schuldner gewährte, war zwar prozentual geringer, aber mengenmäßig viel größer. Ein Kor besteht nämlich aus 10 Bat. Zwanzig Kor entsprechen also 200 Bat. Das ist die vierfache Menge des nachgelassenen Öls. Jedoch waren dem Wert nach die beiden erlassenen Schuldbeträge wiederum ungefähr gleich, denn der Preis des Öls war viel höher als der des Weizens.
Die Schuldscheine wurden jetzt geändert, und zwar so, daß der alte Schein durch einen neuen ersetzt wurde. Der Verwalter ließ die alten Schuldscheine verschwinden. Stattdessen gewannen die neuen Schuldurkunden verpflichtende Kraft durch die Unterzeichnung für beide Beteiligte. Diese würde nun der Gutsbesitzer in die Hand bekommen und den nächsten Verwalter damit beauftragen, fortan nur 50 Bat Öl und 80 Kor Weizen einzutreiben. Dieser Betrug sicherte dem Verwalter die Zukunft, denn die Schuldner würden sich dank dieser Manipulation gedrängt fühlen, sich dankbar zu zeigen und ihn in ihre Wohnungen aufzunehmen. Er brauchte sich also über sein zukünftiges Auskommen keine Sorgen mehr zu machen.
Der Vergleichspunkt
Und nun kommt der für viele so unerträgliche Satz: „Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, daß er klug gehandelt habe.“ Wohlgemerkt! Er lobte ihn wegen seiner Klugheit, nicht wegen seiner Ungerechtigkeit. Er wird nicht umsonst der „ungerechte Verwalter“ genannt, weil der Herr an der Ungerechtigkeit überhaupt nicht rüttelt. Aber er lobt seine Klugheit, daß er seine Vollmacht benutzt hat in der kurzen Zeit, in der er noch darüber verfügen konnte, um für seine Zukunft zu sorgen. In der Klugheit und in nichts anderem liegt die Vorbildlichkeit seiner Handlung und auch der Vergleichspunkt des Gleichnisses. Das ist zumeist so bei den Gleichnissen unseres göttlichen Heilandes. Es ist ein einziger zentraler Punkt, auf den es ankommt. Und dieser Punkt, auf den es hier ankommt, ist die Klugheit des Verwalters.
Die Anwendung
Im Gleichnis des Heilandes folgt nun eine sentenzenartige Schlußfolgerung, d. h. eine allgemeine Begründung. Sie lautet: „Die Kinder dieser Welt sind im Verkehr mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes.“ Hier werden also zwei Gruppen von Menschen einander gegenübergestellt.
Einmal die „Kinder dieser Welt“. Wer ist damit gemeint? Nun, da wir wissen, daß nach dem Evangelium „die Welt“ im Argen liegt und daß der Teufel der „Fürst dieser Welt“ genannt wird, muß man annehmen, daß die „Kinder dieser Welt“ solche sind, die nur um dieses irdische Leben besorgt sind, die nur nach zeitlichen Gütern, fleischlichen Genüssen und vergänglichen Ehren streben und damit zumeist unwissentlich, manchmal aber auch wissentlich, dem Teufel als ihrem Herrn dienen. „Kinder dieser Welt“, das sind also die Weltmenschen.
Die -.„Kinder des Lichtes“-. dagegen sind jene, die sich vom Glauben haben erleuchten lassen, die aus der Finsternis der Sünde in das Licht der Gnade Christi eingetreten sind; die jetzt als „Kinder Gottes“ zu wandeln berufen sind und als solche nicht mehr dem „Fleische“ verpflichtet sind, sondern „die Werke des Fleisches töten“, wie sich der Völkerapostel in der Epistel aus dem Römerbrief ausdrückt. Auch die „Kinder des Lichtes“ haben ein Ziel, das erreicht werden muß. Ein Ziel, das ihnen im Licht des Glaubens vorgestellt wird, und auch die Mittel, welche sie ergreifen müssen, um es zu erreichen.
Die Mahnung, ja der Tadel, der aus den Worten des Heilandes durchklingt, ist nicht zu überhören: nämlich „die Kinder dieser Welt sind gegen ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts“.
Die „Kinder des Lichtes“ tun nämlich beklagenswerterweise weniger für ihr himmlisches, ewiges Ziel, als die Weltmenschen für ihr irdisches Ziel unternehmen. Sie sollten sich bei der ungleich wichtigeren, schwierigeren und opfervollen Aufgabe, nämlich für die Erlangung des ewigen Heiles zu sorgen, mehr mühen als bisher und sich an dem auf den Eigennutz ausgerichteten Verhalten der Weltmenschen in deren ausschließlich irdischen Angelegenheiten ein Beispiel nehmen. Sie sollten sich von dem nimmermüden Eifer, der wachen Voraussicht und Wendigkeit, der zielstrebigen Entschlossenheit und dem Geiz im Ausnutzen der sich bietenden Gelegenheit ein Stück abschneiden. Wie jene, die wie der „ungerechte Verwalter“ mit Eifer ihren eigenen Untergang betreiben, so sollten die „Kinder des Lichtes“ für ihr Heil besorgt sein. Sie sollen die ihnen noch verbleibende Lebenszeit nutzen, denn es kommt auch für sie der Tag, an dem der himmlische Herr ihnen die Verwaltung ihres Lebens entzieht und Rechenschaft von ihnen einfordern wird. „Erkaufet die Zeit“ (Eph. 5,15 f.), ruft uns deshalb der Völkerapostel zu. Seid klug wie die klugen Jungfrauen, die ihre Stunde nicht verpaßten! Das Himmelreich leidet Gewalt. Laufet so in der Rennbahn, daß ihr den Siegespreis erlangt!
Praktische Nutzanwendung
Die heutige Perikope schließt mit einer praktischen Nutzanwendung. Sie lautet: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit man euch, wenn es zu Ende geht, in die ewigen Wohnungen aufnimmt.“ Darin besteht die wahre christliche Klugheit:
Die Bedeutung des Wortes „Mammon“ will der hl. Hieronymus in diesem Zusammenhang aus dem Syrischen hergeleitet wissen, wo es so viel bedeutet wie „Reichtum“. Man muß den „Mammon“, also den irdischen Reichtum, die zeitlichen Güter und den Einfluß, den man in dieser Welt geltend machen kann, so benützen, daß man durch deren Einsatz „Freunde im Himmel“ gewinnt.
Das Wort „ungerecht“ vor dem Mammon zeigt an, daß einem beim Einsatz dieser weltlichen Mittel sehr leicht Unrecht unterlaufen kann. Wenn wir in unser Herz schauen, können wir vielleicht auch feststellen, daß wir bei dem Bestreben, Gewinn zu machen oder ein irdisches Ziel zu erreichen, nicht immer Gottes Willen getan haben. Deswegen die Bezeichnung des Mammons als „ungerecht“.
Mit ihm sollen wir uns Freunde machen. Wer ist denn damit gemeint? – Mit den „Freunden“ sind zum einen natürlich die Empfänger unserer Wohltaten gemeint: Also die Heiligen des Himmels, deren Ehre wir mit dem Einsatz unserer Güter fördern, und die Seelen der Verstorbenen, denen wir durch Gebete und hl. Messen zu Hilfe geeilt sind. Vor allem sind es aber die Bedürftigen, denen wir durch unsere Gaben und Spenden, durch unseren Beistand und Einsatz für ihre Angelegenheiten helfen. Die Verwendung der für das Heil unserer Seele oft so gefährlichen irdischen Güter zu Liebeswerken ist echte christliche Klugheit. Was man für andere aufwendet, ist häufig besser angelegt als was man für sich selbst verbraucht.
Man wird dabei den Einsatz aller irdischen Güter ganz im Allgemeinen – Besitz, Zeit, Einfluß – denken können, insofern sie gemeinverträglich und gemeinnützlich sind und so vor Gott bestehen können. Das Geben von Almosen ist jedoch besonders hervorgehoben, weil dasselbe nämlich keineswegs unserem eigenen Gutdünken überlassen ist.
Der hl. Augustinus ruft uns die Pflicht des Almosengebens ins Gedächtnis, mit den Worten: „Was bei standesmäßiger Nahrung und Kleidung übrig bleibt, das soll nicht zur Prachtentfaltung verwendet, sondern als Almosen in den himmlischen Schatz gelegt werden. Tun wir das nicht, so strecken wir unsere Hände nach fremdem Gute aus, denn was uns Gott mehr als wir notwendig haben, gegeben hat, das hat Er uns nicht für uns, sondern zur Verwendung von Almosen gegeben.“ Und an anderer Stelle sagt er: „Bist du nicht ein Dieb, wenn du das für dein Eigentum hältst, was du zur Spendung von Almosen von Gott empfangen hast? Es ist das Brot des Hungrigen, das du festhältst; das Kleid des Nackten … das Geld des Bedürftigen, das du vergraben hast. Darum versündigst du dich gegen ebenso viele Arme, wie du durch Unterstützung helfen könntest.“ (in Ps. 147).
Der letztlich entscheidende „Freund“ aber, den wir in diesem Leben mit dem „ungerechten Mammon“ gewinnen sollen, ist Gott selber. Er ist es, der an dem Tag urteilt, „wenn es zu Ende geht“; an dem Tag, an dem die große Inflation des Todes all unsere irdischen Güter entwertet, wie wir zu Lebzeiten mit dem Mammon umgegangen sind. Und wenn wir recht damit umgegangen sind, dann wird der Herr uns in die „ewigen Wohnungen“ aufnehmen. Und diese „ewigen Wohnungen“, von denen der Heiland bei anderer Gelegenheit spricht, stehen offenbar im Gegensatz zu den Wohnungen, in die der ungerechte Verwalter aufgenommen werden wollte. Wir streben nach den Wohnungen der Ewigkeit, die unser göttlicher Erlöser für uns unter Einsatz Seines Blutes und unter Hingabe Seines Lebens bereitet hat.
Nach welchem Maßstab aber wird der ewige Richter über den Einsatz unserer zeitlichen Güter urteilen? Hören wir, was der Richter am Jüngsten Tag sprechen wird: „Kommt, ihr Gesegneten Meines Vaters! Nehmt das Reich in Besitz, welches euch bereitet ist von Grundlegung der Welt. Denn Ich war hungrig, und ihr habt Mich gespeist. Ich war durstig, und ihr habt Mich getränkt. Ich war fremd, und ihr habt Mich beherbergt. Ich war nackt, und ihr habt Mich bekleidet. Ich war krank, und ihr habt Mich besucht. Ich war im Kerker, und ihr seid zu Mir gekommen. … Denn was ihr dem geringsten Meiner Brüder getan habt, das habt ihr Mir getan.“ (Mt. 25,34–36.40).
Aber nicht nur durch die Übung der Werke der Barmherzigkeit, sollen wir die Freundschaft Gottes erlangen. Wir sollen uns auch bei anderen Gelegenheiten als kluge „Kinder des Lichtes“ von den „Kindern dieser Welt“ abheben. Etwa bei Streitigkeiten um zeitlichen Besitz wird das „Kind Gottes“, von der Klugheit geleitet, leichter geneigt sein, nachzugeben, als der irdisch gesinnte Mensch. Er weiß ja, es gibt wichtigere Dinge als den Besitz, den Genuß und die Durchsetzung des (vermeintlichen) Rechtsanspruchs. – Der irdisch eingestellte Mensch dagegen beharrt unerbittlich auf seinen Forderungen. Es ist für ihn eine „Ehrensache“, nicht nachzugeben, sich nicht zu beugen.
Das „Kind des Lichtes“ wird es sodann, von der Klugheit geleitet, verstehen, um eines höheren Gutes willen, etwa um des Friedens in der Familie, in der Verwandtschaft, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, auf ein irdisches Gut oder einen anderen zeitlichen Vorteil zu verzichten. – Die „Kinder dieser Welt“ hingegen beharren bis zuletzt auf ihren Vorstellungen und verweigern sich jeder Übereinkunft und lassen so Zwietracht und Streit nie ein Ende finden.
Die Klugheit soll also nicht nur den Umgang mit dem irdischen Vermögen ordnen. Sie soll das gesamte Handeln des Christen bestimmen.
Die wahre Klugheit
Der hl. Thomas von Aquin beschreibt die Klugheit (vgl. S.th. II-II, q. 47) als jene Fertigkeit, die uns in jeder Lebenslage immer, leicht und beständig die richtigen Mittel auswählen und ergreifen läßt, die zur Erlangung des erstrebten Zieles erforderlich sind. Er zitiert den hl. Isidor, der sagt: „Klug heißt, wer gleichsam weit sieht; denn er hat einen durchdringenden Blick und sieht das Eintreffen des Ungewissen.“ Die Klugheit zeigt uns, was zu tun und was zu lassen ist, um der sittlichen Ordnung und dem letzten Ziel des Menschen zu entsprechen, wie wiederum der hl. Augustinus sagt: „Klugheit ist die Kenntnis der zu erstrebenden und zu fliehenden Dinge.“
Dabei betätigt sich die Klugheit in den drei Akten – „Überlegung“ (consilium), „Entschluß“ (iudicium), „Umsetzung“ (imperium) –, die wir auch am „ungerechten Verwalter“ beobachten können. Unter Überlegen versteht man das Abwägen des Für und Wider in Bezug auf die vollziehende Handlung. Wir können sie beobachten in dem Selbstgespräch des Verwalters, in dem er alle ihm offenstehenden Optionen unter dem Gesichtspunkt prüft und gegeneinander abwägt: „Was soll ich tun, da mein Herr mir die Verwaltung nimmt?“
Der Entschluß bezeichnet das aus der Überlegung gewonnene Endurteil, was zu tun oder wie zu handeln ist. Der Verwalter entschließt sich zu einer der Möglichkeiten: „Ich weiß, was ich tue, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen.“
Bei der Überlegung und dem Entschluß hat sich die Vernunft nach der Wirklichkeit auszurichten, um ohne Voreingenommenheit und ohne Vorurteil, den vorliegenden Sachverhalt, unter Berücksichtigung möglichst aller seiner Umstände, zu bewerten.
Der dritte Akt der Klugheit ist sodann die Ausführung des Entschlusses. „Da sprach er: Nimm deinen Schuldschein, setze dich schnell und schreibe: fünfzig. … schreibe: achtzig.“ Die Umsetzung ist der Auftrag der Vernunft an den Willen zur Ausführung des durch das Urteil Beschlossenen. Diesem letzten Akt des „Sich-befehlen-könnens“ gibt der Aquinate gegenüber den vorausgehenden den Vorzug, weil erst durch ihn das erstrebte Ziel wirklich erreicht werden kann. Klug ist ja nur der, welcher klug handelt.
Die wahre Tugend der Klugheit unterscheidet sich jedoch von der falschen Klugheit des „ungerechten Verwalters“ dadurch, daß sie den Menschen bereitmacht, eher alles preiszugeben, als das eigentliche letzte Ziel zu verfehlen. Das letzte Ziel jedes Menschen liegt aber in der Erlangung der ewigen Seligkeit des Himmels. Deshalb lautet die wichtigste Überlegung der wahren Klugheit stets: „Was nützt mir das für die Ewigkeit?“
„Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt?“
Diese Frage hat sich so mancher spät oder zu spät gestellt. Kardinal Wolsey, Erzbischof von York in England, war ein skrupelloser Vollstrecker der häretischen und schismatischen Absichten des despotischen Königs Heinrich VIII. Dennoch fiel er zuletzt selber in Ungnade und wurde als Hochverräter an den Hof zitiert. Auf der Reise dorthin ereilte ihn das Ende. Eines seiner letzten Worte war: „Hätte ich Gott so eifrig gedient, wie ich dem König gedient habe, Er hätte mich nicht verlassen in meinen alten Tagen. Aber das ist der Lohn, daß ich nicht meinen Dienst gegen Gott, sondern nur das Wohlgefallen meines Fürsten vor Augen hatte.“
An uns alle ergeht also heute die Aufforderung, klug zu sein in der Besorgung unserer zeitlichen Angelegenheiten, auf daß wir Platz finden in den ewigen Wohnungen. Wir sollen mit unserer Zeit, mit unseren Gütern, mit dem Geld und mit unseren Rechtsansprüchen verantwortungsvoll umgehen, so daß wir es einmal vor dem Richterstuhl Gottes verantworten können. Dafür müssen wir uns zu der heiligen Welt der wahren und ewigen Werte aufschwingen und uns vor allem das unvergängliche Wort unseres göttlichen Erlösers einprägen: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden leidet an seiner Seele?“ (Mt. 16,26). Amen.