Von der Notwendigkeit der Gewissensbildung

Geliebte Gottes!

Der Heiland warnt uns im heutigen Evangelium vor zwei Gefahren – einer äußeren und einer inneren.

Die äußere Gefahr, die das Leben unserer Seele bedroht, faßt der Herr in das Bild der „falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind.“ (Mt. 7,15). Würden die Gegner der wahren Religion allein mit klaren Parolen gegen Gott, Christus und die katholische Kirche zu Felde ziehen, so wäre die Gefahr, die von ihnen ausginge, vergleichsweise gering. Jeder Katholik würde sich entschieden von ihnen abwenden. Aber die Gefahr liegt eben in der Täuschung. Der gefährlichste Kampf gegen den göttlichen Glauben und das göttliche Sittengesetz wird mit religiösen Formeln und heuchlerischem Augenaufschlag geführt. – Das war schon im Alten Bund so gewesen. Gott klagte durch den Propheten Jeremias: „Lügen weissagen die Propheten in Meinem Namen; Ich habe sie nicht gesandt und ihnen nicht geboten und nicht zu ihnen geredet; erlogene Gesichte, Wahrsagerei, Betrug und ihres eigenen Herzens Wahn weissagen sie euch.“ (Jer. 14,14). Nichtsdestotrotz waren diese falschen Propheten erfolgreich in ihrem Geschäft, sagt doch der nämliche Prophet: „Die Propheten weissagen Lügen, und die Priester klatschen dazu in die Hände; und Mein Volk liebt es so.“ (Jer. 5,31).

Heute brauchen wir nur nach Rom zu schauen. Kaum ist der alte Wolf ins Grab gesunken, erhebt sich ein noch gefährlicherer. Im Schafspelz des Papstkleides und sympathischer Leutseligkeit weissagt Prevost, wie seine Vorgänger, Lüge. Und die Priester klatschen Beifall dazu. Und das Volk liebt es so. Warum liebt das Volk es so. Weil sie die Täuschung der „falschen Päpste“ und die ganze Staffage von Gewändern, prächtigen Gebäuden und frommklingenden Worten nicht durchschauen. Das ist also die erste Gefahr, vor der uns der Heiland heute warnt: Die äußere Täuschung durch „falsche Propheten“.

Die andere Warnung Christi lautet: „Nicht jeder, der zu Mir sagt: ‚Herr, Herr!‘, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen Meines Vaters tut, der im Himmel ist, der wird in das Himmelreich eingehen.“ (Mt. 7,21). Diese Worte richten sich gegen eine innerliche Gefahr. Sie besteht in der Selbsttäuschung. – Wer den Heiland „Herr“ nennt, ist zweifelsohne ein Gläubiger. Aber es ist eben nicht genug, zu glauben. Es ist auch nicht genug, für Jesus Liebe zu empfinden oder sich von Jesus geliebt zu fühlen. Der Christusglaube darf nicht nur einen Mund haben zum Bekenntnis und ein empfindsames Herz, sondern muß vor allem Hände haben, um die Werke des Evangeliums im Stande der heiligmachenden Gnade zu vollbringen. Bloße Zungenbekenntnisse und fromme Gefühlsergüsse werden sonst zur Selbsttäuschung. „Nicht jeder, der sagt, sondern „wer den Willen Meines Vaters tut, der wird in das Himmelreich eingehen.“

Welche Mittel stehen uns zur Verfügung, um weder den „falschen Propheten“ noch der Selbsttäuschung zu erliegen? Es sind eine ganze Reihe. Zuallererst sind freilich die übernatürlichen Mittel zu nennen – das Gebet und die hl. Sakramente. Sodann ist auch unser Schutzengel beständig am Wirken, um uns von schädlichen Einflüssen fernzuhalten. Aber das vielleicht notwendigste Mittel, das wir gerade als Katholiken in der heutigen papstlosen Zeit ergreifen müssen, ist das der Gewissensbildung. Ein geschultes Gewissen ist für die genannten Mittel gewissermaßen die Grundvoraussetzung. Es ist der beste Schutz gegen Verführung und Selbsttäuschung.

Was ist das Gewissen?

Bei einem Streit wurde ein Mann erschlagen. Niemand der Beteiligten wollte den Mord begangen haben. Da es keine verläßlichen Zeugen gab, fand der Richter einen anderen Ausweg. Er ließ die am Streit beteiligten Männer einzeln kommen und legte sein Ohr an die Brust eines jeden. Das Herz mehrerer der Verdächtigen schlug ruhig, nur das eines einzigen pochte stürmisch. Ernst sah der Richter dem Mann ins Gesicht und sagte zu ihm: „Du bist der Mörder.“ Der Mann brach zusammen und bekannte seine Tat.

Warum hämmerte das Herz des einen, des Schuldigen, so laut? Weil in seinem Herzen eine Stimme rief: „Was hast du getan? Du magst dich verstellen, du magst heucheln, du magst lügen, der Frevler bist du doch.“ Und diese Stimme im Inneren nennen wir das Gewissen.

a) Die Übertragung des allgemeinen Gesetzes auf die augenblickliche Situation

Manche Theologen nennen das Gewissen die „Stimme Gottes“ in der Seele. Doch diese Ausdrucksweise ist verfänglich, da Gott durch das Gewissen nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar zu uns spricht. Würde Gott unmittelbar durch das Gewissen zu uns sprechen, dann wäre es unfehlbar und könnte nicht irren. Letzteres ist aber, wie wir noch sehen werden, möglich und nicht selten der Fall.

Besser ist es, zu sagen: Das Gewissen ist das Organ, welches uns das göttliche Sittengesetz nahebringt. Es ist ein Mittler. Das Gewissen ist nicht das göttliche Gesetz selber, sondern es bringt das allgemeingültige Gesetz Gottes zur Anwendung auf die konkrete Situation in der ich mich hier und jetzt befinde.

Man kann die Arbeitsweise des Gewissens vergleichen mit einer logischen Schlußfolgerung. Bei einem logischen Schluß gibt es einen Obersatz, einen Untersatz und eine Schlußfolgerung. Der Obersatz ist das allgemeine göttliche Gebot; der Untersatz ist die konkrete Lage, in der ich augenblicklich stehe. Der Schlußsatz ist das Gewissensurteil, wie ich mich in dieser konkreten Lage gemäß dem göttlichen Gebot verhalten muß.

Ein Beispiel: Das göttliche Gebot sagt, daß man nur im Gnadenstand die hl. Kommunion empfangen darf. Wer sich im Stand der Todsünde befindet, darf sie nicht empfangen. Das ist der Obersatz, also das allgemeingültige göttliche Gebot. Der Untersatz ist die konkrete Lage. Entweder ich kann von mir sagen: „Ich bin mir keiner schweren Sünde bewußt, die noch nicht durch das Bußsakrament nachgelassen worden wäre.“ Dann folgt daraus der Schluß für mein Handeln: „Also kann ich die hl. Kommunion empfangen.“ – Oder im gegenteiligen Fall: Wenn ich also erkenne, daß ich seit meiner letzten Beichte eine schwere Sünde begangen habe, die folglich auch noch nicht nachgelassen wurde, dann folgt daraus der praktische Schluß: „Ich darf die hl. Kommunion nicht empfangen, sondern muß zuvor von der Todsünde losgesprochen werden.“

b) Ein Urteil der praktischen Vernunft

Das Gewissen ist also ein Urteil des praktischen Verstandes über die Sittlichkeit des eigenen Handelns. „Praktische Vernunft“ bedeutet, daß es das theoretische, allgemeine Gebot Gottes in die Praxis übersetzt. Es spricht: „Das mußt du tun, weil Gott es gebietet.“ „Das darfst du tun, weil Gott es zuläßt.“ Oder es spricht: „Das kannst, das darfst du nicht tun, weil Gott es verbietet.“

Dabei begleitet das Gewissen unsere Handlungen in ihrer zeitlichen Abfolge. Man unterscheidet ein vorangehendes, ein begleitendes und ein nachfolgendes Gewissen. Das vorangehende Gewissen sagt uns: „Das darfst du tun“; oder „Das darfst du nicht tun.“ „Das mußt du tun“; oder „Das ist dir verboten.“ – Das begleitende Gewissen spricht uns während der Tat Lob oder Tadel zu. Es lobt uns, wenn die Tat recht ist, es tadelt uns, wenn sie schlecht ist. – Und schließlich, nach der Tat, ist das Gewissen ein Richter. Unbestechlich und ungefragt gibt es sein Urteil ab, ob wir recht oder unrecht getan haben. Mögen uns alle Gerichtshöfe freisprechen, das Gewissen ist in uns mit seinen Gewissensbissen. Und mögen alle Menschen uns verurteilen, wenn wir recht gehandelt haben, spricht uns das Gewissen frei.

Das Gewissen soll also der Bote und Herold Gottes sein. Wenn das Gewissen recht gebildet ist und richtig spricht, dann ist es ein „wahres Gewissen“; dann ist es tatsächlich, wie die Theologen sagen, die „Stimme Gottes“. Das „wahre Gewissen“ trägt den Willen Gottes zu uns. Es darf deswegen auch nicht übergangen werden. Was das Gewissen nach reiflicher Prüfung gebietet, das muß der Mensch tun. Wenn er gegen sein Gewissen handelt, sündigt er.

Manche sagen: „Ich vertraue auf mein Bauchgefühl.“ Das ist schlecht. Denn das Gefühl kann nicht die Norm für unser sittliches Handeln sein. Warum nicht? Weil das Gefühl nicht von der Vernunft, sondern von der Leidenschaft geleitet wird. Es ist subjektiv, undurchsichtig, triebgesteuert, ohne objektives Maß und selbstsüchtig. Das Gefühl kann keine feste, bleibende Anordnung geben, weil es dauernd im Wandel begriffen ist. Nicht das Gefühl, sondern das Gewissen ist das Organ, welches uns unter der Voraussetzung, daß es richtig gebildet ist, den Willen Gottes hier und jetzt kundtut.

c) Eine Anlage der menschlichen Natur

Das Gewissen ist eine Anlage der menschlichen Natur, wie der hl. Paulus im Römerbrief betont. Er sagt, daß auch die Heiden, die das göttliche Gesetz aus der Offenbarung des Alten und Neuen Testaments nicht kennen, eine Anlage in sich tragen, die ihnen sagt, was vor Gott Recht und Unrecht ist, was vor Ihm tugendhaft und was sündhaft ist. Wörtlich schreibt der Völkerapostel: „Denn wenn die Heiden, welche das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was zum Gesetz gehört, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Zeigen sie ja, daß das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist, indem ihnen ihr Gewissen Zeugnis gibt und sich die Gedanken untereinander anklagen oder auch verteidigen.“ (Röm. 2,14 f.). Jeder Mensch weiß von Anfang an: Das Gute ist zu tun, das Böse ist zu unterlassen. Der Kern des göttlichen Gesetzes ist jedem Menschen ins Herz geschrieben. Darauf baut sich nach und nach das Wissen um die einzelnen Gegenstände des sittlichen Handelns auf. Und aus diesem Wissen entspringt das praktische Werturteil im Einzelfall. Das Gewissen ist also das letzte praktische Urteil, was hier und jetzt gemäß dem Willen Gottes zu tun ist.

Selig, wenn wir es in die Tat umsetzen, denn, wie der Herr sagt: „Wer den Willen Meines Vaters tut, der im Himmel ist, der wird in das Himmelreich eingehen.“

Welche Entartungen des Gewissens gibt es?

Ganz offensichtlich verfügt aber nicht jeder Mensch über ein „wahres Gewissen“. Es gibt verschiedene Arten und Entartungen des Gewissens, die voneinander zu unterscheiden sind. Alle Entartungen werden unter der Bezeichnung „irriges Gewissen“ zusammengefaßt.

a) Das „unüberwindlich“ und das „überwindlich“ irrende Gewissen

Der Irrtum ist ein falsches Urteil infolge von Unwissenheit. Während das „wahre Gewissen“ als gut beurteilt, was objektiv gut ist, und als böse, was tatsächlich böse ist, beurteilt das „irrende Gewissen“ das als gut, was objektiv böse ist, und das als böse, was an sich gut ist.

Als Beispiel für ein „irriges Gewissen“ wies der Heiland die Apostel auf ihre künftigen Verfolger hin: „Es kommt die Stunde, da jeder, der euch tötet, meint, Gott einen Dienst zu erweisen.“ (Joh. 16,2). Die Verfolger werden die Apostel ermorden in der irrigen Meinung, damit Gottes Willen, also eine gute Tat auszuführen. Das ist ein „irriges Gewissen“.

Man unterscheidet nun zwei Arten des Irrtums, nämlich den „unüberwindlichen“ und den „überwindlichen“. Der „unüberwindliche Irrtum“ besteht darin, daß das Gewissen so vollständig von der irrigen Ansicht eingenommen ist, daß es keine Möglichkeit hat, sie abzulegen. Trotz aller Aufrichtigkeit und Sorgfalt kann der Irrtum nicht eingesehen und beseitigt werden. Der Irrtum ist unüberwindlich, wenn er als solcher gar nicht erkannt wird, weil die Möglichkeit zur Belehrung durch eigenes Nachdenken oder durch Autorität fehlt.

Dabei gilt nun der erstaunliche Satz: Das unüberwindlich irrende Gewissen verpflichtet in derselben Weise wie das wahre Gewissen. Warum? Weil derjenige, der ein unüberwindlich irriges Gewissen hat, überzeugt ist, die Stimme Gottes in diesem Gewissen zu vernehmen, weil er dem Gewissensspruch so gehorcht, als ob es der wahre Wille Gottes wäre. – Der hl. Paulus hat uns ein Beispiel für die Pflicht überliefert, einem irrenden Gewissen zu folgen. Damals waren die Christen ja eine kleine Minderheit in einer heidnischen Welt. Die Heiden opferten den Götzen. Sie opferten ihnen Fleisch, Götzenopferfleisch. Den Juden war es verboten, von dem Götzenopferfleisch zu essen. Der Völkerapostel hob diese Speisevorschrift auf. Es gibt ja keine Götzen, argumentiert er, und folglich auch kein Götzenopferfleisch. Das Fleisch ist genau dasselbe wie anderes Fleisch. Man kann es also unbedenklich essen. „Aber“, sagt er, „nicht in allen ist diese Erkenntnis, sondern manche essen in ihrer bisher gewohnten [aber irrigen] Auffassung vom Götzen das Götzenopferfleisch und beflecken damit ihr Gewissen.“ (1. Kor. 8,7), weil sie damit gegen ihr Gewissen handeln. Wer also in der irrigen Überzeugung gefangen bleibt, durch das Essen des Götzenopferfleisches indirekt am Götzenkult teilzunehmen, oder wenn einer die Furcht hat, es könnte so sein, dann darf er nicht von dem Fleisch essen, weil er sonst gegen sein irrendes Gewissen handeln und damit sündigen würde. Dieser positive Zweifel muß erst gänzlich beseitigt worden sein, indem man sich davon überzeugt, daß die Argumentation des hl. Paulus völlig richtig ist. Erst dann konnte der Christ mit gutem Gewissen von dem Fleisch essen.

Dem „unüberwindlichen Irrtum“ steht der „überwindliche Irrtum“ gegenüber. Überwindlich ist ein Irrtum, bei dem das Gewissen zwar imstande und folglich auch verpflichtet wäre, den Irrtum einzusehen und abzulegen, aber es dabei an der nötigen Sorgfalt mangeln läßt. Der Irrtum könnte bei gehörigem Einsatz beseitigt werden, aber das Gewissen verschafft sich aus Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit oder Trägheit nicht die nötige Belehrung. Während der „unüberwindliche Irrtum“, also jener Irrtum, der trotz aller Bemühungen nicht beseitigt werden kann, keine Schuld nach sich zieht – man bezeichnet ihn auch als „unverschuldeten Irrtum“ –, verhält es sich beim „überwindlichen Irrtum“ anders.

Der Irrtum bleibt ja vorhanden, weil sich der im Irrtum Befindliche nicht die nötige Mühe gibt, zur Wahrheit zu gelangen, obwohl sie es könnten. Dadurch wird der überwindliche Irrtum auch zu einem „schuldbaren Irrtum“. Denn es wäre Häresie, zu sagen: „Allein mein Gewissen entscheidet.“ „Allein mein Gewissen ist die verbindliche Norm meines Handelns.“ Nein, die verbindliche Ordnung Gottes entscheidet! Diese sollen wir mit unserem Gewissen aufnehmen. Dieser sollen wir mit unserem Gewissen folgen. Wer das aus Trägheit oder Gleichgültigkeit unterläßt ist unentschuldbar. Und das umso mehr, je einfacher er sich anhand der kirchlichen Lehre vergewissern könnte. Ein Katholik kann sich niemals unter Berufung auf sein Gewissen gegen die verbindlichen sittlichen Weisungen der Kirche stellen. Denn der Katholik weiß nämlich, daß das Lehramt der katholischen Kirche im Namen Gottes spricht und die sittliche Norm dank des göttlichen Beistandes völlig zuverlässig verkündet. Der Katholik kann also niemals schuldlos sein subjektives Gewissensurteil gegen eine verpflichtende sittliche Norm der Kirche stellen, denn das Urteil der Kirche kommt von Gott! Und nach diesem Urteil haben wir unser Gewissen auszurichten.

Jeder, der also ein irriges Gewissen hat, wird einmal vor Gott darüber Rechenschaft ablegen müssen, wie es bei ihm zum Gewissensirrtum gekommen ist, verschuldet oder unverschuldet. Und er wird für alle Taten und für alle Unterlassungen sich verantworten müssen, die aus einem überwindlichen und damit schuldbaren Irrtum hervorgegangen sind.

b) Das „laxe Gewissen“ und das „skrupulöse Gewissen“

Die zweite Art neben dem „irrigen Gewissen“ stellt das „zarte Gewissen“ dar. Damit ist das gut gebildete Gewissen gemeint. Das Gewissen ist zart, wenn es nicht nur durch schwere Anstöße, also durch außergewöhnliche Situationen und grobe Fehltritte, sondern schon durch kleine Anlässe geweckt und zum Nachdenken angeregt wird. „Ist das gut, was ich da vorhabe?“ „War mein Verhalten richtig?“

Dem zarten Gewissen steht das „laxe Gewissen“ gegenüber. Es warnt nicht vor fragwürdigen Taten und macht auch nachher keine Vorwürfe. Das laxe Gewissen schwächt die sittlichen Forderungen ab. – Ein zartes Gewissen ist geneigt, auch die feinen Unterschiede in der Sittlichkeit zu beobachten. Der Mensch mit dem laxen Gewissen wird die Sittenregeln in weniger wichtigen Fragen abschwächen oder gar leugnen. „Das ist egal.“ „Es ist sowieso alles Wurscht.“ Ein zartes Gewissen ist eben die Folge davon, daß man Gott ernst nimmt, daß man Gott liebt und daß man auch in geringen Dingen sich weigert, ihn zu betrüben.

Das laxe Gewissen dagegen entsteht, wenn man die innere Selbstzucht vernachlässigt, wenn man großzügig ist gegenüber der sittlichen Forderung, wenn man sich den Sinnen überläßt und natürlich auch durch schlechte Erziehung. Im stark abgestumpften Gewissen erhebt sich sogar bei schweren Sünden kein fühlbarer, kein lebhafter Widerspruch.

Eine weitere Entartung des zarten Gewissens ist das „ängstliche“ bzw. „skrupulöse Gewissen“. Skrupulosität ist eine Verfassung des Gewissens, bei der aus Furcht vor der Sünde die Zartheit des Gewissens krankhaft übersteigert ist. Das „zarte Gewissen“ reagiert auf ernste, berechtigte Anlässe durch Aufmerken und Fragen, dagegen ist das „skrupulöse Gewissen“ ungesund erregbar. Es stellt sittliche Erwägungen über Dinge an, die gar keine Sünde sind, die zweifellos erlaubt sind und bereits durch Belehrung oder eigenes Urteil sichergestellt sind. Hier ist die Zartheit des Gewissens einseitig überspannt. Es wird regelmäßig das Schlimmere angenommen und grundlos werden Sünden und Sündengefahren vermutet. Die näheren Merkmale der Ängstlichkeit sind also Erforschung des Gewissens über kleinliche, oft lächerliche Dinge, ruhelose Wiederholung des Nachdenkens, unnötige Fragen an den Priester, ängstliches Abwägen vor der Tat, grundlose Annahme einer schweren Sünde oder einer ungültigen Beichte, allgemeine zaghafte Besorgnis Gott gegenüber. Nun sei nicht bestritten, daß auch ganz normale Menschen gelegentlich solche Skrupel haben können. Man kann sich fragen: „Habe ich alles richtig gebeichtet?“ „Ehrlich gebeichtet?“ „Vollständig gebeichtet?“ Aber was hier gemeint ist, dieser Zustand der Ängstlichkeit, also eine krankhafte seelische Erscheinung. Man könnte sie als Angstneurose bezeichnen.

Skrupulosität kann man bekämpfen und heilen. Das wichtigste Heilmittel für Skrupulanten ist der willige und vertrauensvolle Gehorsam gegenüber dem Seelenführer, also normalerweise gegenüber dem Beichtvater. Der Ängstliche soll das Urteil seines geistlichen Führers als sein eigenes wahres Gewissen betrachten. Weil sein Gewissen krank ist, muß er gewissermaßen stellvertretend das Gewissen des Beichtvaters als sein eigenes gelten lassen. Im Allgemeinen geschieht die Heilung durch Ablenkung des Geistes vom Ich. Denn manchmal sind Skrupulanten von einem geheimen Stolz erfüllt. Sie bilden sich etwas ein auf ihre Skrupulosität, sie sind eben besonders gewissenhaft, meinen sie; viel gewissenhafter als die anderen, die es sich „viel zu leicht machen“. Aber die Heilung muß statt des ängstlichen Strebens nach Heilsgewißheit die Ehre Gottes als Höchstes suchen, sie muß in ihrem Lichte sich ihrer kleinlich armseligen Haltung schämen. Die beste Ablenkung geschieht durch Arbeit, durch regelmäßige, fesselnde Arbeit.

Schließlich bleibt noch anzumerken, daß nicht alle Urteile eines skrupulösen Gewissens übertrieben ängstlich sind. Das Fehlurteil ereignet sich zumeist auf einem ganz besonderen Gebiet und rührt meist von einem ganz einschneidenden Fehltritt in der Vergangenheit her. So tauchen Skrupel oft in jenem Bereich der Sittlichkeit auf, in dem man vor der Bekehrung häufig und besonders tief in Sünde gefallen ist. So ist es durchaus möglich, daß das Gewissen ein und desselben Menschen auf dem einen Gebiet krankhaft skrupulös ist, auf einem anderen jedoch lax und abgestumpft. Diese Tatsache führt uns zur nächsten Entartung.

c) Das „pharisäische Gewissen“

Schließlich gibt es auch das sogenannte „pharisäische Gewissen“. Wir wissen, wer die Pharisäer waren. Es waren Menschen, die es im Kleinen sehr genau nahmen, aber im Großen die Absicht hatten, sich zu entschuldigen. Das pharisäische Gewissen ist eine Mischung aus Irrtum, Abgestumpftheit und Skrupulosität.

Der Mensch, der ein „pharisäisches Gewissen“ hat, hält Bedeutendes für gering und Unbedeutendes für groß. Der Herr sagt von solchen Menschen: „Ihr siebt die Mücken und verschlingt die Kamele.“ (Mt. 23,24). D. h., sie prüfen ihr Gewissen auf völlig nebensächliche Dinge und übersehen völlig die zahllosen freiwillig läßlichen, ja sogar die schweren Sünden. Vor allem verfährt das „pharisäische Gewissen“ bei der Beurteilung anderer heuchlerisch. Der Heiland hat es uns glänzend formuliert: „Ihr seht den Splitter im Auge des anderen, aber den Balken im eigenen Auge nicht.“ Der Mensch mit einem „pharisäischen Gewissen“ sieht in Äußerlichkeiten, in leeren Formeln und äußerem Schein entscheidende Kriterien des Sittlichen. Der Herr hat über diese Menschen sein „Wehe“ gerufen: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Zehnten gebt von [Nichtigkeiten wie] Minze, Dill und Kümmel und laßt das Wichtigste im Gesetz beiseite, nämlich das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben.“ (Mt. 23,23). Das ist das pharisäische Gewissen.

d) Das „zweifelnde“ und das „perplexe“ Gewissen

Wie soll man sich allgemein im Gewissenszweifel verhalten, wenn man sich nicht sicher ist: Darf man das tun? Darf man es nicht tun? Um sittlich einwandfrei zu handeln, ist es notwendig, daß das Gewissen zu der Folgerung kommt: Die Handlung ist unbedenklich, sie ist erlaubt. Es ist nicht gestattet, eine Handlung zu begehen, wenn man einen positiven Zweifel an der Erlaubtheit der Handlung hat! Der Ausdruck „positiver Zweifel“ besagt, daß für die Erlaubtheit und für die Nichterlaubtheit einer Handlung ungefähr gleichwichtige Gründe sprechen, also nicht das Nichtvorhandensein eines Grundes, der für die eine oder andere Handlungsweise spricht (negativer Zweifel). Bei einem positiven Zweifel hat man die Pflicht, diesen Zweifel zu beheben, bis man die Gewißheit erlangt hat. Im anderen Falle würde man sich der sittlichen Weisung des Gewissens entziehen und würde folglich unsittlich handeln. Denn auch das zweifelnde Gewissen weist auf einen Irrweg hin. Es erkennt die Möglichkeit der Sünde. Wenn der Mensch sein zweifelndes Gewissen bewußt einfach so beiseite schiebt, der setzt er sich auch bewußt der Gefahr der Sünde aus und das ist unsittlich. Nein, man muß den Zweifel beseitigen. Aber wenn es nicht möglich ist, ihn zu beseitigen, was dann? Kann der Zweifel nicht gelöst werden, muß man sich u. U. doch entscheiden. Dann ist der scheinbar sicherere Weg zu gehen, also der Weg, der mit größerer Wahrscheinlichkeit von Gott gewollt ist. Man muß, wenn man zwischen zwei Übeln zu wählen hat, das geringere Übel wählen.

Eine besondere Form des zweifelnden Gewissens ist das perplexe Gewissen. Dabei stellt der Gewissensspruch sowohl den Vollzug als auch die Unterlassung einer Handlung als Sünde hin. „Tue ich das eine, so sündige ich, tue ich das andere, so sündige ich ebenfalls.“ In diesem Fall besteht ebenfalls die Pflicht sich durch Nachprüfung zu orientieren, auf welcher Seite das Gewissen irrtümlich urteilt. Besteht zur Orientierung keine Möglichkeit, etwa, weil man augenblicklich entscheiden muß und keine Zeit zum Nachdenken bzw. -prüfen bleibt, dann darf bzw. soll man das wählen, was einem als die vorzüglichere Pflicht erscheint. Also welches Verhalten Gott wahrscheinlich eher zur Ehre bzw. welches in den Augen Gottes wahrscheinlich das geringere Übel darstellt.

Das sind also die verschiedenen Arten des „irrigen Gewissens“.

Wie ist das Gewissen zu bilden?

Gerade die verschiedenen Fehlbildungen des Gewissens zeigen uns deutlich, wie notwendig uns die Gewissensbildung ist. Ja, es gibt die Pflicht zur Gewissensbildung! Der Mensch muß sein Gewissen ausbilden, d. h. das Gesetz Gottes als objektive Norm kennenlernen, auf die Stimme Gottes hören. Zu diesem Zweck hat Gott, ob es dem Menschen nun gefällt oder nicht, eine Institution geschaffen: die katholische Kirche.

Unsere Gewissensbildung ist angewiesen auf die Kirche als die Lehrerin der Wahrheit und Sittlichkeit. Es ist die Aufgabe der Kirche, die Wahrheit Christi und das Gesetz Christi zu verkündigen und autoritativ zu lehren und gleichzeitig die allgemeine Ordnung des Naturgesetzes zu präzisieren.

Ein Beispiel: Der Mensch hat einen Verstand und einen freien Willen. Er darf sich dieser Kräfte nicht berauben, indem er sich sinnlos betrinkt. Die Trunksucht ist schon durch das sittliche Naturgesetz verboten. Die Kirche stellt sich in den Dienst des Naturgesetzes, indem sie ausdrücklich lehrt, daß Trunksucht eine Todsünde ist. Sie hilft uns damit, die Wahrheit klar zu erkennen und zu begreifen.

Indem die Kirche durch autoritative Vorlage der Gebote Gottes dieselben zur sittlichen Norm erhebt, bindet sie an Gottes Gebot. Aber indem sie bindet, bildet sie gleichzeitig damit unser Gewissen.

a) Durch die Erziehung

Die konkrete Gewissensbildung vollzieht sich auf vielfache Weise, doch die Erziehung ist sicher der hauptsächliche Faktor bei der Gewissensbildung. Das Kind muß sein Gewissen entfalten. Es ist eine Grundanlage im Kind, die zur Gewissenhaftigkeit führt, aber es trägt nicht angeborene moralische Urteile in sich. Ganz allmählich, aufgrund der Erfahrung und Belehrung, werden im Kinde die Kräfte des Gewissens aufgebaut. Gebot und Verbot, Mahnung und Strafe, Lob und Tadel erschließen das verpflichtende „Du sollst“. Das Ziel der Erziehung ist jedoch nicht das Abrichten der Kinder. Sie darf nicht Dressur sein – sondern muß vor allen Dingen die Einsicht in die innere Wahrheit und Notwendigkeit der Pflichten vermitteln. Die Eltern sollen dazu versuchen, nicht nur die Geltung des Gesetzes, sondern insbesondere das Verständnis für das Heilsame, für das Notwendige im Gesetz im Kind zu erwecken. Dann werden die Kinder und Jugendlichen mit Überzeugung die Gebote Gottes und der Kirche annehmen, nicht weil sie äußerlich von einer häuslichen Autorität auferlegt sind. Nein, sondern weil sie sie als richtig, weil sie sie als heilsam, weil sie sie als notwendig begreifen. Die Gebote Gottes müssen in jedem Menschen zur inneren Überzeugung werden. Dazu sollen die Eltern dem Kind verhelfen.

b) Durch Studium und Vorbild

Die Gewissensbildung hört jedoch nie auf. Sie ist auch für die Erwachsenen wichtig, besonders für Seelsorger, Eltern, Erzieher und Menschen des öffentlichen Lebens. Insbesondere alle Menschen, denen die Führung anderer anvertraut ist oder die aufgrund ihres Standes oder Berufes öffentliche Aufmerksamkeit genießen, müssen sich vor Gewissensverbildung schützen. Aber auch alle anderen Menschen müssen um Gewissensbildung besorgt sein. Das kann nur geschehen durch Anschluß an die Lehre der Kirche durch das wiederholte Lesen im Katechismus und durch Gebet um göttliche Erleuchtung und Führung. Auf diese Weise bilden wir unser Gewissen und werden unserer Verantwortung vor den Mitmenschen gerecht. Denn wir tragen Verantwortung für unser tagtägliches Beispiel, mit dem wir die Gewissen der andern mit bilden, so wie unser Gewissen von dem Verhalten anderer beeinflußt wird. Durch unser gutes Beispiel können wir andere zur guten Nachahmung ermuntern. Durch unser schlechtes Vorbild hingegen können wir für andere Menschen zum „Wolf im Schafspelz“ werden.

c) Durch die Übung der Gewissenserforschung

Zur Gewissensbildung muß die Gewissenspflege kommen. Das Gewissen muß gepflegt werden. Wodurch? Indem man auf die leisen Ausschläge des Gewissens achtet, indem man sich prüft, indem man Gewissenserforschung hält. Gewissenspflege ist Gewissenspflicht, und es gibt keine bessere Weise, das Gewissen zu pflegen, als regelmäßig zu beichten; denn die Beichte ist verbunden mit der Gewissenserforschung, und auf die Gewissenserforschung folgt die Reue und der Vorsatz. Pflegen wir also unser Gewissen! Denn das Gewissen ist immer gefährdet, von innen und von außen. Unsere Bequemlichkeit, unsere Scheu vor Anstrengung, die Meinung: „Das kann Gott mir nicht zumuten.“ „Das brauche ich nicht zu tun.“ „Das kann Er nicht von mir verlangen“, das ist die Gefährdung von innen, die Selbsttäuschung. Die Gefährdung von außen tritt hinzu. Wir neigen ja allzu leicht dazu, das zu tun und das zu übernehmen, was die meisten Menschen machen. Wenn es alle tun, so denken wir, dann kann es nicht falsch sein, dem kann ich mich anschließen. Aber das ist eben verkehrt. Es können alle Menschen falsch handeln und uns zu „falschen Propheten“ werden. Das Gewissen kann verbildet werden. Verbildung ist das Gegenteil von Bildung. Die Verbildung besteht darin, daß man für erlaubt hält, was verboten ist, und daß man für unerlaubt hält, was geboten ist.

Um das zu verhindern, ist es vor allem notwendig, Gewissenserforschung zu halten. Wir müssen jeden Abend, bevor wir uns zur Ruhe begeben, fragen: „Wie ist dieser Tag verlaufen? Was war recht, was war unrecht? Was habe ich getan, was habe ich unterlassen? Wo habe ich mich verfehlt?“ Gewissenserforschung ist jeden Abend notwendig. Und besonders natürlich vor der heiligen Beichte. Bevor wir zur hl. Beichte gehen, halten wir Gewissenserforschung. Es ist nicht Aufgabe des Beichtvaters das Gewissen des Pönitenten zu erforschen, indem wir uns von ihm ausfragen lassen. Nein, wir müssen selber unser Gewissen erforschen. Das ist der große Vorteil des Katholiken, daß er durch die Beichte zur Gewissensschulung und zur Gewissenserforschung angehalten wird. Wir müssen bei der Beichte die schweren Sünden nach Art und Zahl bekennen, also wie sie beschaffen sind und wie oft sie geschehen sind. Und dazu dient die Gewissenserforschung. Es ist das Anzeichen einer mangelnden Gewissensbildung, wenn einer vor der hl. Beiche gar nicht weiß, was er eigentlich beichten soll. Hingegen wird derjenige, der die Übung der täglichen Gewissenserforschung praktiziert, stets wissen, welcher Dinge er sich anzuklagen hat. Er wird immer gut auf die hl. Beichte vorbereitet sein. Die tägliche Gewissenserforschung kann vorgenommen werden, entweder durch eigenes Nachdenken – Wie war mein Verhältnis zu Gott? zum Nächsten? gegenüber meinen Pflichten? gegen mich selbst? – es empfiehlt sich aber regelmäßig auf einen guten Beichtspiegel zurückzugreifen, damit unsere Erforschung nicht zu routiniert und oberflächlich wird.

„Zeige Deine Wege mir, o Herr, und lehre mich Deine Pfade wandeln.“

Das zarte Gewissen ist ein großer Schutz sowohl gegen die „falschen Propheten“ als auch gegen die Selbsttäuschung. Aber ein zartes Gewissen fällt einem nicht in den Schoß; es muß ausgebildet werden. Wodurch? Indem man sich belehren läßt, indem man durch Erziehung das Gewissen schult, indem man die niederen Leidenschaften beherrscht, indem man edle Gefühle pflegt und indem man beharrlich der Stimme des Gewissens folgt. Zu diesen psychologisch ethischen Bedingungen kommt die religiöse Lebensführung. Wer von vornherein entschlossen ist, Gott zu dienen und zu folgen, der wird auch ein zartes Gewissen ausbilden. Wer regelmäßig Gewissenserforschung hält jeden Abend und vor jeder heiligen Beichte, wer sich prüft, der wird zu einem zarten Gewissen kommen. Um diese Gabe wollen wir Gott bei dieser hl. Messe bitten. Flehen wir dabei auch die Gottesmutter um ihre Fürbitte an, daß wir es vermögen unser Gewissen in rechter Weise zu bilden, immer auf seinen Urteilsspruch zu hören. Maria ist ja während ihres ganzen Lebens kein einziges Mal vom Spruch ihres Gewissens abgewichen, indem sie stets den Willen Gottes erkannte und in die Tat umsetzte. So wollen wir die Psalmverse beten, welche auch die Gottesmutter so oft in ihrem Leben zum Himmel sandte: „Zeige Deine Wege mir, o Herr, und lehre mich Deine Pfade wandeln. Den Weg der Wahrheit führe mich und lehre mich, denn Du, o Gott, bist mein Erlöser; den ganzen Tag harre ich auf Dich.“ (Ps. 24,2 f.). „Neige, o Herr, mein Herz zu Deinen Geboten.“ (Ps. 118,36). Amen.

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