Von der Bosheit der Sünde

Geliebte Gottes!

Im Römerbrief schreibt der hl. Paulus: „Verabscheut das Böse!“ (Röm. 12,9). Zu dieser Stelle bemerkt der hl. Kirchenlehrer Johannes Chrysostomus: „Er [der Völkerapostel] sagt nicht: ‚Enthaltet euch!‘, sondern: ‚Hasset!‘, und nicht einfach: ‚Hasset!‘, sondern: ‚Hasset heftig! Verabscheut!‘ Weil es viele Menschen gibt, die zwar nichts Böses tun, aber doch das Verlangen danach haben, darum sagt der Apostel: ‚Verabscheut!‘ Denn er will, daß auch unser Inneres rein gehalten werde und daß wir Feindschaft, Haß und Krieg gegen die Sünde führen. Meinet nicht, will er sagen, daß mein Gebot ‚Liebet einander!‘ so weit geht, daß ihr auch mit den Schlechten zusammenarbeiten sollt! Nein, gerade das Gegenteil gebiete ich! Nicht bloß von der bösen Tat, sondern auch von der Neigung zum Bösen sich freizuhalten! Ja, nicht nur dazu von der Neigung sich freizuhalten; nein, ihr sollt euch mit allem Abscheu davon abkehren und es hassen.“ (Hom. in Ep. ad Rom. 22,2). – Die vom hl. Paulus erhobene Forderung, nach dem Haß gegen die Sünde, ist durch und durch einleuchtend, dennoch birgt sie eine große Schwierigkeit.

Wir haben in den letzten Wochen zwar kennengelernt, was die Sünde ist: eine freiwillige Übertretung des göttlichen Gesetzes. Sie beinhaltet eine Abwendung von Gott und eine ungeordnete Hinwendung zum Geschöpf. Wir haben die Sünde nach ihren verschiedenen Gesichtspunkten eingeteilt. Wir haben gesehen, daß die Sünde das schlimmste Übel ist, das den Menschen treffen kann. Sie knechtet und quält den Menschen schon in diesem Leben, macht ihn zum Sklaven seiner niederen Triebe und seines selbstsüchtigen Stolzes. Und im jenseitigen Leben stürzt die Sünde in den „zweiten Tod“, den niemals endenden Tod der ewigen Verdammnis.

Trotz all dieser Kenntnisse wird sich vermutlich nicht schon bei allen von uns ein großer Haß oder gar ein inniger Abscheu gegen die Sünde eingestellt haben. Und das ist auch nicht verwunderlich. Warum? – Weil wir die Bosheit, die schon in einer einzigen Sünde steckt, nicht leicht einsehen. Die Bosheit ist nichts Sichtbares, sondern etwas Abstraktes. Deshalb behält die Sünde für uns etwas Geheimnisvolles an sich. Sie gibt das „Geheimnis der Bosheit“ (2. Thess. 2,7), das in ihr steckt, nicht ohne weiteres preis.

Um trotz dieser Schwierigkeit einen großen Abscheu vor der Sünde entwickeln zu können, müssen wir methodisch vorgehen. Um der Bosheit, die schon in einer einzigen Sünde steckt, nachzuspüren, müssen wir zwei Überlegungen anstellen:

  1. Wie verhält sich der Sünder gegen Gott?
  2. Wie verhält sich der gerechte Gott gegen den Sünder?

Wie verhält sich der Sünder gegen Gott?

Aus der Perspektive des Sünders enthält jede schwere Sünde eine dreifache Bosheit. Sie ist 1. eine schwere Beleidigung der höchsten Majestät Gottes. Sie ist 2. ein schändlicher Undank gegen die Güte Gottes. Und 3. ist sie ein Verrat an Christus, dem wir im Taufgelübde unverbrüchliche Treue gelobt haben.

Da würde ein Modernist schon den ersten Einwand erheben: Ja, kann denn der Mensch Gott, den Transzendenten, den über alles Erhabenen, den Unbegreiflichen und Unangreifbaren überhaupt beleidigen? – Gewiß nicht in dem Sinne, als wenn die Beleidigung für Gott irgendeinen Schaden, einen Schmerz oder sonst eine Beeinträchtigung nach sich ziehen könnte. Aber doch so, daß die Sünde in Wirklichkeit und in ihrem innersten Kern eine Beleidigung Gottes ist.

Im Alten Testament heißt es im Buch Jesus Sirach von den Sündern, daß sie „die Furcht Gottes verachten.“ (Sir. 49,6). Und Gott Selber macht den sündigen Israeliten den Vorwurf: „Kinder habe Ich aufgezogen und groß gemacht; sie aber haben Mich verachtet.“ – Im Neuen Testament sagt der hl. Paulus dem Sünder: „Durch die Übertretung des Gesetzes verunehrst du Gott.“ (Röm. 2,23).

Wenn es also aus der göttlichen Offenbarung feststeht, daß die Sünde und vor allem die Todsünde eine Beleidigung, eine Verachtung Gottes ist, so ist es unsere Aufgabe, zu bedenken und zu erwägen, wie schwer, wie groß, wie tief, wie tödlich diese Beleidigung ist.

a) Das verschiedene Gewicht einer Ohrfeige

Jede Beleidigung ist um so schwerer, je höher die Person steht, welche beleidigt worden ist. – Ein Kind hat ein anderes grundlos ins Gesicht geschlagen. Das ist eine Beleidigung, gewiß! Aber wer wird darum viel Aufhebens machen? Es war bloß ein Kind, welches den Schlag einstecken mußte. Ein Tadel, eine kleine Strafe und es ist wieder gut.

Was würde man jedoch sagen, wenn der erwachsene Sohn seinen alten Vater ins Gesicht schlägt? – Eine schwere Beleidigung! Sie wurde im Alten Bund mit schmählichem Tod bestraft, ja Gott droht solchen Kindern Fluch und Verwerfung an. Warum? – Weil der Vater hoch über dem Sohn steht. Der Sohn verdankt ihm seine Existenz, sein Dasein, sein Leben. Er wäre ohne ihn nicht zustande gekommen, würde ohne ihn nicht sein. Deshalb ist der Vater für den Sohn fast die ehrwürdigste Person auf der ganzen Welt. Und aufgrund der hohen Würde des Vaters, wiegt die Beleidigung desselben um so schwerer!

Wenn nun aber ein Bürger es wagen sollte und gegen das eigene Staatsoberhaupt handgreiflich würde, so sehen die Gesetze vieler Staaten noch heute die schwersten Strafen vor. Warum das? Weil mit einem Angriff nicht nur das Staatsoberhaupt als Einzelperson beleidigt wird, sondern in ihm gleichsam der ganzen Nation ins Gesicht geschlagen worden ist. Die Würde des Staatsoberhauptes reicht weit über die des Familienvaters hinaus. Als Repräsentant eines ganzen Volkes, einer Nation steht die Würde des Staatsoberhauptes für die Würde von Millionen von Menschen.

Dreimal ist es ein und dieselbe Tat. Dreimal ist es eine Ohrfeige. Aber jedes Mal wird weiter hinauf geschlagen, weil die Würde der beleidigten Person jeweils eine höhere ist. Je höher die Würde der beleidigten Person, um so schwerer wiegt die Beleidigung; um so größer die Bosheit der Beleidigung!

b) Die göttliche Würde

Wen trifft nun die Sünde? Sie ist gleichsam eine Ohrfeige ins Gesicht Gottes. Eine schreckliche Beleidigung! – Wie groß ist ihre Bosheit? Sie verhält sich proportional zu der Würde Gottes. – Wie beschaffen ist die Würde Gottes? Gott steht keinesfalls auf Augenhöhe mit uns, wie die Geschwister. Auch überragt Seine Würde die des Familienvaters, ist Er doch der Schöpfer und Vater allen Lebens. Ferner überragt die Würde Gottes die eines jeden Staatsoberhauptes; ja, die Würde aller Könige und Präsidenten zusammengenommen, denn Er ist „der König der Könige und der Herr der Herren“ (1. Tim. 6,15). Er ist Herr der ganzen Schöpfung: „Er sprach, und sie waren gemacht, Er befahl, und sie waren da.“ (Ps. 32,9).

Gott überragt die Schöpfung. Denn die Schöpfung hat einen Anfang und ein Ende. Sie ist endlich. Gott allein ist unendlich. Alles an Ihm ist unendlich; auch Seine Majestät, Seine Würde. Deshalb lobpreisten die Heiligen des Himmels die unendliche Würde Gottes ohne Unterlaß. Der hl. Evangelist Johannes hat es in seiner Himmelsvision auf Patmos gesehen: „Die vierundzwanzig Ältesten fielen nieder vor dem, der auf den Throne saß, und legten ihre Kronen vor Seinem Throne nieder und sagten: Du bist würdig, o Herr, unser Gott, zu empfangen Herrlichkeit und Ehre und Macht, denn Du hast alles geschaffen.“ (Offb. 4,11).

Jedes Geschöpf fällt in diesen himmlischen Lobpreis Gottes ein, indem es gehorsam die Gesetze befolgt, die Gott einem jeden gegeben hat. – Vom winzigen Proton und Elektron bis zum gewaltigsten Gestirn. Vom primitiven Einzeller bis zum vollkommensten Engel aus dem Chor der Seraphim. Alle, alle folgen den ihnen von Gott gegebenen Naturgesetzen! Alle, außer der Sünder! – Er wagt es Gott zu entgegnen: „Ich diene dir nicht. Ich tue meinen Willen, nicht den Deinen!“ – Heißt das nicht, die Hand erheben gegen Gott? Heißt das nicht, sich so aufzulehnen, als wenn Gott nicht der Schöpfer und Herr wäre? Ja, sündigen heißt, Gott ins Angesicht schlagen, Ihn mit Dornen krönen, Ihm ins Antlitz spucken, Ihn mit Nägeln durchbohren, Ihn kreuzigen. Sündigen heißt, die unendliche Würde Gottes in den Staub treten.

c) Die menschliche Nichtigkeit

Noch abscheulicher erscheint das Unrecht, die Undankbarkeit und die Untreue, die Gott mit nur einer einzigen Sünde angetan wird, wenn man zu dem bereits erwogenen noch mit berücksichtigt, wer es ist, der es da wagt, Gott zu beleidigen. Denn eine Beleidigung wiegt um so schwerer, je tiefer derjenige steht, der sie sich zuschulden kommen läßt. Was wir uns nämlich von Höhergestellten oder von Gleichgestellten bisweilen gefallen lassen, das lassen wir uns keineswegs von solchen bieten, die unter uns stehen.

Ein bissiger Hund, der seinen Herrn anfällt, wird sofort erschossen. Warum? – Weil das Leben eines Menschen viel höher zu achten ist und ein toller Hund sein Leben verwirkt hat, wenn er nach dem Leben eines Menschen trachtet. Der Sünder gleicht einem Köter, der sich gegen Gott erhebt. Er hat sein Leben an sich verwirkt.

Was ist ferner einer aus uns, verglichen mit der ganzen Zahl der Bewohner einer Großstadt? Wenig, sehr wenig. Man vermißt ihn kaum, wenn er nicht mehr da ist. Was ist ein Mensch, verglichen mit der Zahl aller Menschen, welche die Erde bevölkert haben, jetzt bevölkern und noch bevölkern werden? Er ist so bedeutend wie ein Tropfen Wasser am Eimer, nicht einmal soviel! Was ist der Einzelne verglichen mit den ungezählten Herrscharen der heiligen Engel? Ein Wurm der Erde! – Und was ist er dann im Vergleich zu Gott? Vor ihm ist alles, was ist, wie Nichts. Und was ist dann erst der Sünder gegenüber Gott?

Wenn wir die nackte Wahrheit sagen wollen: Der Sünder ist ein Geschöpf, das Gott aus Nichts gemacht hat; ein Geschöpf, das Er in keiner Weise braucht; ein Geschöpf, an dessen Stelle Er tausend andere und bessere aus Nichts erschaffen kann; ein Geschöpf, das ohne Ihn nichts wäre und nichts könnte und nicht dasein würde; ein Geschöpf, das Ihm schlechthin alles zu verdanken hat; ein Geschöpf erbärmlicher als das Nichts, wenn Er es nicht erlöst hätte; unglücklicher als das Nichts, wenn Er ihm nicht verzeihen wollte; schlechter als das Nichts, denn was nicht ist, kann nicht sündigen; und wir haben gesündigt!

Allein wegen unserer allerersten Sünde – und selbst wenn es nur bei einer einzigen geblieben wäre – hätten wir nicht nur unser Leben verwirkt, wie ein tollwütiger Hund; nein, wir haben im Grunde unser Dasein verwirkt!

Wie abgrundtief böse ist es, daß ein Geschöpf, das aus dem nichts kommt, aus sich nichts ist, nichts kann und auch noch schlechter ist als nichts; daß ein solches Geschöpf es gewagt hat, es wagt und wagen will seine Hand zu erheben gegen das ewige Zepter des Schöpfers, des Erhalters, des Regierers, des Erlösers, des Königs des ganzen Kosmos. Ein Geschöpf, das Sein göttliches Gebot mit klarer Erkenntnis und vollem freien Willen übertritt! Welche Anmaßung, welche Überheblichkeit, welche undankbare und niederträchtige Bosheit, liegt doch nicht in der Sünde! Wie abgestumpft sind wir, daß wir uns dessen nicht bewußt sind!

Wer recht verstehen will, was die Sünde ist, der müßte vollständig begreifen, wie hoch Gott steht und wie tief der Sünder steht. Die unendliche Würde Gottes ist gewaltig. Der Sünder steht als nichtiges, „tollwütiges“ Geschöpf unendlich weit unter Gott. Wie schwer wiegt dann eine einzige Sünde? Unendlich schwer! – Welche Bosheit findet sich also in einer einzigen Sünde? Eine unendliche Bosheit! Jede Sünde hat etwas Unendliches an sich, weil sich der Sünder an der unendlichen Majestät Gottes vergeht!

Ja, ein Blick auf das Kreuz offenbart, was die Sünde tun würde wenn es möglich wäre. Wenn es möglich wäre, würde eine einzige Sünde Gott töten! Gott töten!

Wie verhält sich Gott gegen den Sünder?

Einen noch vollkommeneren Zugang zu der Erkenntnis wie schlimm, wie abgrundtief böse und folglich wie verabscheuungswürdig die Sünde ist, liefert uns die Antwort auf die Frage wie Gott sich gegen den Sünder verhält.

Bedenken wir wohl! Gott ist die Liebe! D.h. Er liebt alle Seine Geschöpfe ausnahmslos. Sonst hätte Er sie ja gar nicht erschaffen. – Gott ist gerecht! D.h. Er straft nicht unverhältnismäßig. Ein Kind das in der Schule beim Abschreiben erwischt wird bestraft Er nicht mit der Todesstrafe; und einen Mörder läßt Er nicht damit davonkommen, lediglich ein Gedicht auswendig zu lernen. Gott ist gerecht. Er gibt jedem genau das, was er verdient. Daraus folgt, daß wir auf die Bosheit einer Sünde zurückschließen können, wenn wir erwägen, wie Gott – der Gerechte, der Allgütige, der Barmherzige, der Gott der die Liebe ist – sie straft.

a) Die Sünde der aufrührerischen Engel

Die Geheime Offenbarung des hl. Johannes berichtet uns von der ersten Sünde überhaupt. Die Sünde der Engel ist Glaubenssatz! Auf die Empörung Luzifers entbrannte ein gewaltiger Kampf zwischen den sündigen Engeln gegen Gott und Seine treugebliebenen Engel: „Es geschah eine große Schlacht im Himmel: Michael und seine Engel kämpften mit dem Drachen, und auch der Drache kämpfte und seine Engel; und sie behielten nicht die Oberhand, und ihr Platz im Himmel wurde nicht mehr gefunden.“ (Off. 12,7 f.). Die Sünde der aufrührerischen Engel muß eine Sünde des Stolzes gewesen sein. Das alles ist absolut gewiß. – Wenn man weiter fragt, worin dieser Stolz nun genau bestanden habe, so können die Erklärungen verschieden sein und gehen tatsächlich auseinander.

Wenn wir dem hl. Bonaventura folgen, so bestand der erste Schritt zur Sünde in einer stolzen Vermessenheit der sündigen Engel, indem sie sich einbildeten, wunder was zu sein, zu können oder zu vollbringen.

Der zweite Schritt war dann der vermessene Ehrgeiz, wodurch sie höher aufsteigen wollten, als Gott es für sie bestimmt hatte. Dies konnte entweder so geschehen, daß sie ihr ewiges Ziel nicht für Gott, sondern für sich selbst, d.h. nicht zur Ehre Gottes, sondern zu ihrer eigenen Ehre erreichen wollten; oder so daß sie zu ihrem Ziele gelangen wollten vor der von Gott bestimmten Zeit; oder nicht durch die Hilfe der Gnade Gottes, sondern aus den eigenen Kräften ihrer Natur.

Der dritte und letzte Schritt zur Vollendung der Sünde war dann die freiwillige Abwendung von Gott, die Verachtung Gottes. Alle diese drei Schritte konnten fast zugleich und innerlich, also bloß in Gedanken vollzogen werden! Die Sünde der Engel war also eine einzige Sünde. Und zwar eine einzige Gedankensünde!

b) Mögliche Milderungsgründe

Bevor wir die Strafe der gefallenen Engel erwägen, wollen wir noch kurz einen Augenblick nachdenken, in welcher Weise – rein menschlich gesprochen versteht sich – die aufrührerischen Engel hätten verteidigt werden können. Welche Milderungsgründe könnte man für die gefallenen Engel vorbringen?

Stellen wir uns vor, in jenem Augenblick, da die aufrührerischen Engel besiegt waren, sei einer von den treugebliebenen Engeln auf der untersten Stufe des göttlichen Thrones niedergekniet, um im Namen aller guten Engel die Verteidigung oder Entschuldigung ihrer gefallenen Brüder bei Gott zu übernehmen. Was hätte er sagen können?

Er hätte vielleicht zuerst auf die erhabene Natur der sündigen Engel hingewiesen. „Herr, diese gefallenen Engel haben gesündigt; sie haben schwer gesündigt. Sie haben Strafe verdient! Niemand kann das bestreiten. Aber wirf doch, o Herr, einen Blick auf diejenigen, die du strafen willst. Wer sind sie? Es sind die Erstlinge Deiner allmächtigen Schöpferhand. Die Meisterwerke Deiner Allmacht. Voll Licht des Verstandes; ein herrlicher Abglanz Deiner Allwissenheit. Geschmückt mit Deinen übernatürlichen Gaben. Ein Abglanz all Deiner unendlichen Macht und Vollkommenheit. Die hellsten Sterne der geistigen Welt. Ehemals Deine Lieblinge! Habe Erbarmen mit ihnen! – Es ist wahr, sie haben Deinen Zorn und Deine Strafe verdient. Aber bedenke ihre große Zahl. Wie viele, wie viele haben gesündigt! Wenn sie alle gestraft werden sollen, dann wird Dein Himmel leer bleiben. Strafe einige, den Hundertsten, den Zehnten, den Luzifer, ihren Anführer, ihren Verführer; strafe die Urheber und Häupter der Empörung; doch schone die übrigen! – Fern sei es von mir die Sünde kleiner zu machen, als sie ist. Aber ihre Sünde ist doch nur eine reine Gedankensünde. Freilich, es war der Plan, sich gegen Dich zu empören – das muß in deinen Augen schwer wiegen, Herr; eine schwere Sünde. Aber was haben sie angerichtet? – Nichts! – Gar nichts! Es war nur eine einzige Sünde. Es war ihre erste Sünde. Niemand von ihnen hatte vorher gesündigt. Niemand von ihnen war bisher bestraft worden. Sie hatten noch kein Beispiel davon gesehen, wie schrecklich Dich die Auflehnung beleidigt. Schone ihrer, und wenn Du sie nicht schonen willst, dann schiebe doch die Strafe auf, gib ihnen Zeit zu bereuen und zu büßen. Sie werden Dich mehr lieben dafür, daß Du ihnen verziehen hast, als dafür, daß Du sie so vollkommen erschaffen hast. Und was wird geschehen, wenn Du ihnen Deine Verzeihung versagst? Sie werden sich in ihrer Sünde verhärten. Ewig werden sie Dich lästern. Alle anderen Geschöpfe werden sie, soweit sie können, zur Sünde verführen und in das gleiche Verderben ziehen. Erbarme Dich ihrer!“ So hätte das Plädoyer dieses Engels lauten können.

c) Die gerechte Strafe

Wir alle wissen, wie Gott mit den sündigen Engeln verfuhr. – Der hl. Apostel Petrus schreibt es in seinem zweiten Brief: „Gott hat die Engel, welche gesündigt hatten nicht geschont, sondern mit Ketten der Hölle gefesselt, und sie in den Abgrund zur Peinigung verstoßen.“ (2. Petr. 2,4).

All die soeben angeführten Milderungsgründe vermochten die Schwere dieser einen Sünde der abgefallenen Engel nicht aufzuwiegen. – Gottes Abscheu gegen die Sünde war so groß, daß Er die sündigen Engel ausnahmslos alle, und zwar sofort als die Sünde geschehen war in den ewigen Abgrund der Hölle stürzte. Die Strafe folgte so schnell auf die Sünde, daß zwischen dem Augenblick der Auflehnung und dem Augenblick der Strafe keine Lücke war, nicht der kleinste Zeitraum, um an Reue, an Buße, an Bekehrung zu denken. Unser göttlicher Erlöser, Jesus Christus selbst sagt: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ (Lk. 10,18).

Also: Eine allgemeine Strafe, eine schnelle Strafe, eine ewige Strafe, die niemals gemildert oder aufgehoben werden wird, eine schwere Strafe. Gott hat der sündigen Engel nicht geschont, sondern sie mit „Ketten der Hölle gefesselt, und sie in den Abgrund zur Peinigung verstoßen.“

Wie gesagt: Gott ist gerecht. Er straft nicht unverhältnismäßig! Wie abgrundtief böse muß daher eine einzige Sünde sein, wenn Gott, der die unendliche Liebe und die liebende Gerechtigkeit ist, sie so hart und unerbittlich straft; ja, offensichtlich so unnachgiebig strafen muß!

Freilich, mag einer sagen, aber was geht das uns an? – Es geht uns sehr viel an! Können wir noch so leichtfertig sagen, eine Sünde habe soviel jetzt auch wieder nicht zu bedeuten, wenn wir wirklich von dieser Glaubenswahrheit erfaßt sind, daß ungezählte Scharen Engel wegen einer einzigen Sünde ewig verdammt sind? – Aber, das waren eben vollkommene Geister, die wußten was sie taten, wir sind schwache Menschen. – Der hl. Bernhard v. Clairvaux belehrt uns eines besseren! Er sagt kurz zusammengefaßt: „Wenn Gott der sündigen Engel nicht geschont hat, um wieviel weniger deiner, der du Fäulnis und nur ein Wurm bist, vom Staub der Erde genommen. Nach der ersten Sünde sind die bösen Geister der Strafe Gottes verfallen. Mit welchem Recht könnte Er gegen uns verfahren, die wir nicht nur einmal gesündigt haben, sondern mehr Sünden auf dem Kerbholz haben, als wir Haare auf dem Haupt tragen (vgl. Amos 2,4).“ Die wir die Sünde trinken wie Wasser – so oft, in so rauhen Mengen, so selbstverständlich, so durstig danach!

Niemals haben die sündigen Engel die Gnade der Bekehrung bekommen, und doch mußten sie die volle Strenge der Strafe in Empfang nehmen! Wer kann sagen, mit welchem Recht die Hölle diejenigen verschlingt, die nicht einmal, sondern wer weiß wie oft Verzeihung erlangt und doch stets aufs neue Gott beleidigt haben; die nicht bloß den gerechten sondern auch den barmherzigen Gott beleidigt haben! – Nicht bloß die Gerechtigkeit sondern auch die Barmherzigkeit Gottes verlangt, daß sie gestraft werden.

Wenn die Engel mit Recht bestraft wurden sind, die kein Abschreckungsbeispiel der Strafe gesehen hatten, die noch nie Verzeihung erhalten hatten, mit wieviel Recht werden dann Gottes Strafgerichte über einen unbußfertigen Menschen hereinbrechen, der an die Hölle glaubt, dem die Hölle verkündigt und gepredigt worden ist, dem die Gnade der Bekehrung angeboten wurde, der Verzeihung in der Taufe und im Bußsakrament gewährt bekam, für den Christus gelitten hat und gestorben ist!

Wie schlimm muß also eine einzige Sünde sein, wenn Gott, der die unendliche Liebe, Güte und Barmherzigkeit ist, sie so straft; ja, sie so strafen muß! Sie muß eine unendliche Bosheit in sich haben, da keine endliche Strafe genügt, um sie zu sühnen. Diese Bosheit der Sünde wollen wir, dem Befehl des Völkerapostels folgend, nach Kräften hassen und verabscheuen: „Verabscheut das Böse!“ (Röm. 12,9).

Bitte um die Gnade der Erkenntnis der Heiligkeit Gottes und des Hasses gegen die Sünde

Flehen wir deshalb den Heiligen Geist um eine möglichst hohe Erkenntnis der Majestät und Heiligkeit Gottes, aber auch um eine tiefe, demütige Selbsterkenntnis an, daß wir einen großen Abscheu vor der Sünde erlangen. Mit dem hl. Augustinus wollen wir deshalb beten: „Herr, laß mich recht erkennen, wer ich bin und wer Du bist. Verleihe, daß ich außer Dir nichts begehre; daß ich mich hasse, Dich aber liebe, und alles tue, um Dir zu gefallen; daß ich mich erniedrige, Dich erhöhe; daß ich mich abtöte, um in Dir zu leben; daß ich mich verleugne und Dir folge und Dir allezeit zu folgen wünsche. Verleihe mir, daß ich mir mißtraue, Dir aber vertraue und aus Liebe zu Dir immer gehorche. Sieh gnädig auf mich, damit ich Dich liebe; rufe mich, damit ich Dich sehe und in Ewigkeit Dich genieße.“ Amen.

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