„Gott selber wird kommen und euch erlösen!“

Geliebte Gottes!

Seit der ersten Sünde der Stammeltern wurde das Menschengeschlecht nicht nur aus dem Paradies hinaus in die Ödnis vertrieben, sondern die Menschheit war gleichsam selbst zu einer geistigen Wüste geworden.

Die erste Sünde Adams ist als Erbschuld auf ihre gesamte Nachkommenschaft übergegangen, „weil alle in ihm gesündigt haben.“ (Röm. 5,12). Weil mit der Erbschuld auch die Folgen der ersten Sünde auf das ganze Menschengeschlecht übergegangen waren, waren ausnahmslos alle Menschen der ewigen Verdammnis geweiht. Wenn sich Gott nicht erbarmt hätte, so hätte kein Mensch selig werden können.

Das Schicksal des gefallenen Menschengeschlechtes

Warum konnte kein Mensch im gefallenen Zustand selig werden? Die Sache ist sehr einfach. – Kann jemand lesen, der keine Augen hat? Niemals! Auch wenn man ihm das schönste Buch gäbe; eine Prachtausgabe mit den schönsten Bildern, der schönsten Schrift und den interessantesten Texten. – Kann jemand fliegen, der keine Flügel hat? Dumme Frage. Natürlich nicht! Und wenn er sich auch mit Händen und Füßen auf das äußerste anstrengen würde. – Kann jemand sich bewegen, der tot ist? Ausgeschlossen. Ganz und gar nicht.

Nun, was ist notwendig, um zur ewigen Seligkeit zu kommen? Dazu gehört, daß man ein Kind Gottes ist; daß man wie ein Kind das Leben seiner Eltern in sich trägt. – Gott ist unser himmlischer Vater. Um seine Kinder zu sein, müssen wir Sein göttliches Leben in uns tragen. Was aber ist das göttliche Leben? Es ist das Gnadenleben oder die heiligmachende Gnade. Das „Gnadenleben“ nämlich ist nichts anderes als das Samenkorn des „ewigen Lebens“.

Nun hatte Adam für sich und in ihm für alle seine Nachkommen die heiligmachende Gnade verloren. – Folglich konnte kein Mensch selig werden, wenn Gott die Menschen sich selbst überlassen hätte; war doch schon der Keim des ewigen Lebens in ihnen vernichtet. Jeder Mensch der seitdem geboren wurde, kam aufgrund der Ermangelung des göttlichen Gnadenlebens, gleichsam als geistige Todgeburt zur Welt.

Das Erbarmen Gottes

Aber Gott hat die Menschen nicht sich selbst überlassen, sondern hat sich ihrer erbarmt. Wie erbarmte sich Gott der Menschen? – Er erbarmte sich der Menschen in drei Stufen: Gott versprach ihnen einen Erlöser. Er bereitete sie auf den Erlöser vor; und Er sandte ihnen den Erlöser.

Die Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Menschen zeigte sich zunächst darin, daß Er ihnen einen Erlöser versprach. – Wann geschah das? – Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als gerade die erste Sünde begangen worden war. Ja, früher noch, als sich überhaupt die ersten Zeichen der Reue bei den Stammeltern gezeigt hatten. Noch bevor die ersten Menschen aus dem Paradies vertrieben, noch ehe das Strafurteil über sie ausgesprochen worden war. Da schon wurde der künftige Erlöser und die kommende Begnadigung angekündigt. – Welch ein Erbarmen! Welche vorauseilende Barmherzigkeit Gottes! Sie war schneller bereit den Weg zur Erlösung von der Sünde in Aussicht zu stellen, denn dieselbe zu strafen. So gütig ist Gott! So voll erbarmender Liebe!

Mit welchen Worten stellte Gott die Erlösung in Aussicht? Mit den Worten, die Gott zur teuflischen Schlange sprach: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Sie wird dir den Kopf zertreten, während du ihrer Ferse nachstellst.“ (Gen. 3,15). In diesen knappen Worten skizziert und verspricht der Allmächtige Gott einen Nachkommen des Weibes, der eines Tages der Schlange gerade in dem Augenblick den Kopf zertreten wird, da die Schlange zum tödlichen Biß auf die Ferse des Erlösers ansetzt.

Im Paradies hat die Schlange gesiegt. – Aber einst wird ein Nachkomme, der Sohn des Weibes, die Schlange besiegen. Die Ferse des Erlösers, seine schwache, ungeschützte Stelle, ist Seine leidensfähige Menschheit. Sie konnte gepeinigt, gequält und zu Tode gebracht werden. Doch genau in dem Moment, als die Schlange dies am Kreuze zuwege gebracht haben werde, würde sie gerade dadurch vom Erlöser zertreten und besiegt werden. – Mit welcher Freude mögen die ersten Eltern diese Nachricht vernommen haben! Das war ein Trost für sie, als sie das Paradies verlassen mußten, ein Trost bei ihrer Arbeit, ein Trost in ihren Leiden, ein Trost im Tod; ein Trost, den sie gewiß ihren Kindern hinterlassen und tief eingeprägt haben.

Es war der Auftakt der langdauernden Vorbereitungszeit auf die Ankunft des Erlösers; das erste Hoffnungsflämmchen in der viertausendjährigen Epoche des Weltadvent, der wir alljährlich gedenken, wenn wir die erste der vier Kerzen auf dem Adventskranz entzünden.

Es war gleichsam der Aufbruch der Menschheit, die einer Karawane gleich, durch die glühende Wüste menschlichen Sündenelendes ziehen mußte, dem an der Schwelle des Paradieses verheißenen Erlöser entgegen. Die Sehnsucht der alttestamentlichen Patriarchen und Propheten, während ihres Wüstenzuges durch die Jahrhunderte, fand seinen vollkommensten Ausdruck in dem Ruf des Propheten Isaias: „Tauet Himmel von oben, Wolken regnet ihn herab. Die Erde tue sich auf und sprosse den Heiland hervor.“ (Is. 45,8).

Die prophetische Schau des Isaias

Reisende, die schon einmal in der Wüste waren, erzählen bisweilen von einem sehr bedrückenden Schauspiel. – Rings um sie her lagert die Stille der Einsamkeit. Der gelbe Wüstensand und felsiges Gestein ist das einzige, was das Auge sieht. Die Zunge klebt vor Durst am Gaumen. Langsam schleicht die Karawane ihres Weges dahin. Kein Laut durchdringt das Schweigen. Kaum ein Lüftchen regt sich. Doch während die Sonne sich allmählich zum Abend rüstet, zeigt sich auf einmal am Horizont ein glänzendes Bild. In schwachen Umrissen zuerst und von Minute zu Minute immer deutlicher und schärfer tritt eine liebliche Oase aus der Wüste heraus. Wasserquellen sprudeln hervor und Palmen rauschen im Abendwind. Menschen und Tiere lagern im Schatten bei der erquickenden Wasserflut.

Das physikalische Phänomen einer Luftspiegelung, einer sog. Fata Morgana, hat dieses wunderbare Bild aus weiter Ferne herbeigeholt und an den Horizont des abendlichen Himmels gemalt. Wie gebannt bleibt der Wanderer stehen; sein Auge ist berauscht von all der Schönheit einer Zuflucht, mitten in der lebensfeindlichen Wüste. Sein Herz jubelt auf, angesichts der herbeigesehnten Wasserquellen, die für den ermatteten Geist und den ausgetrockneten Leib Erfrischung und Erquickung versprechen. Aber die Hand greift umsonst danach, und der Fuß vermag die schattige Oase nicht zu erreichen, mag er auch noch so schnell laufen. Ein Viertelstündchen, und das Bild ist langsam wieder verblaßt und verschwunden. Der Himmel ist glühend und bleiern wie zuvor.

So wie den Reisenden, ist es auch dem großen alttestamentlichen Adventsprediger einst ergangen, dem hl. Propheten Isaias, der sieben Jahrhunderte vor Christus wirkte. – Und siehe, plötzlich zeigt sich den Augen des Isaias ein herrliches Bild: Dort fließt der Jordan und Palmen stehen an seinen Ufern und wiegen ihre Wipfel im Abendwind. Unter den Palmen wandelt ein Mann, von ungefähr dreißig Jahren, auf dessen Gesicht und Gestalt eine göttliche Hoheit liegt. Viel Volk ist um Ihn versammelt. Und durch die Volksscharen drängen zwei Männer an Ihn heran und stellen so laut, daß jedermann es hören kann, die Frage an Ihn: „Bist Du es, der da kommen soll oder sollen wir auf einen andern warten?“ (Mt.11,3). Den Mann, den Isaias aus weiter Zeitferne sieht, ist kein anderer als unser Herr Jesus Christus. Die zwei Fragenden kommen von Johannes dem Täufer gesandt, der bereits gefangen im Kerker liegt. Und unser Herr gibt ihnen zur Antwort: „Geht und saget dem Johannes, was ihr gesehen und gehört: Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium verkündet, und selig, wer keinen Anstoß nimmt an Mir.“ (Mt. 11,4 ff.).

All dies sieht und hört Isaias. Nicht eine Luftspiegelung ist es, die ihm das alles vorzaubert, sondern der Heilige Geist selber hat ihn die ferne Zukunft schauen lassen. Jetzt weiß er, daß er den Himmel und die Wolken mit seinem „Rorate caeli“ nicht umsonst bestürmt hat. „Gott selbst kommt“, so schreibt es Isaias im 35. Kapitel seines Prophetenbuches nieder, fast mit den gleichen Worten, wie es heute im Sonntagsevangelium zu lesen ist: „Gott selber wird kommen und erlöst euch. Dann öffnen sich die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben tun sich auf. Dann springet wie ein Hirsch der Lahme und die Zunge der Stummen löst sich; denn aufgebrochen sind in der Wüste Wasser, und Ströme in der Öde. Und das dürre Land wird zum See, und der lechzende Boden zu Wasserquellen.“ (Is. 35,4 ff.). So darf es Isaias heute laut verkünden.

Eindeutige Identifikation des verheißenen Erlösers

Woran aber wird der göttliche Erlöser, der einst den Kopf der Schlange zertreten wird, zu erkennen sein? Woher wissen wir, daß Jesus von Nazareth tatsächlich der verheißene Erlöser ist, den der Prophet Isaias geschaut hat? Wie können wir uns sicher sein, daß wir in Jesus keiner Halluzination, keinem Trugbild hinterherlaufen?

Wir wissen, daß Jesus Christus der verheißene Erlöser ist, weil an ihm alles in Erfüllung gegangen ist, was die Propheten vom Erlöser vorhergesagt haben. Nicht nur diese eine Vorhersage des Isaias, sondern alle Vorhersagen. Nicht nur alle Vorhersagen des Isaias, sondern die Vorhersagen aller Propheten mußten an Jesus von Nazareth in Erfüllung gehen. Und sie sind in Erfüllung gegangen! – Wie wir das nachvollziehen und in der Frage nach der Identität des verheißenen Erlösers zur Gewißheit gelangen können, das soll uns ein Beispiel aus dem Evangelium zeigen.

Kurz vor seinem Leiden schickte Jesus zwei Apostel, den hl. Petrus und den hl. Johannes, in die Stadt Jerusalem, um dort ein Obergemach für das letzte Abendmahl vorzubereiten. Wo aber sollte das geschehen? Der Heiland nannte keine Straße und kein Haus und noch weniger den Namen des Hauseigentümers. Wie sollten also die beiden Jünger das richtige Haus finden? Sie sollten einem Mann folgen. Sie sollten in das Haus eintreten, wo der Mann eintritt. Sie sollten den Herrn des Hauses bitten, den nötigen Raum für das Pascha-Mahl herzugeben. Aber wie sollten sie unter den Tausenden, die sich auf den Straßen Jerusalems bewegten, den Mann herausfinden, dem sie folgen mußten? – Jesus bezeichnete ihnen den Mann, nicht durch Nennung des Namens, sondern durch die Angabe bestimmter Kennzeichen.

Er wird euch begegnen. Er wird euch begegnen beim Eintritt in die Stadt. Er wird einen Wasserkrug tragen. Das waren die Kennzeichen, woran sie aus Tausenden den Mann herausfinden konnten und auch wirklich den fanden, dem sie folgen sollten.

Ganz ähnlich hatte Gott der Herr im Alten Testament von dem künftigen Erlöser nicht zwei oder drei, sondern Hunderte von Kennzeichen angegeben, an denen der Erlöser aus allen Menschen erkannt und herausgefunden werden konnte. Derjenige ist der Erlöser, an dem diese Kennzeichen alle zutreffen. An wem finden sich diese Zeichen? Zwei Antworten wollen wir auf diese Frage geben:

  1. Alle diese Kennzeichen finden sich an Jesus Christus. Und
  2. Sie finden sich an keiner anderen Person; und können sich an keiner anderen finden.

Die Prophetie des Isaias hat sich in Jesus von Nazareth erfüllt

Der Prophet Isaias weissagte: „Gott selbst kommt!“ Höre es, Volk Israel. Höre es du in deinen Nöten darniederliegende Menschheit. „Gott selbst kommt.“ Nicht irgendeinen anderen schickt Gott, keinen Engel und keinen Erzengel, und wäre es der Höchste aus der Schar der Cherubim und Seraphim.

„Gott selbst kommt.“ Er der Ewige. Er, der Himmel und Erde durch seine Allmacht ins Dasein gerufen hat. Er, den die Engel mit verhülltem Angesicht „dreimalheilig“ preisen. „Er selbst wird kommen und euch erlösen.“

Der sichtbarste Beweis für Christi Gottheit sind seine Wunder. Sie weisen Ihn als Gott aus. Aber wie? – Auch andere große Heilige haben Kranke wunderbar von ihren Leiden geheilt, ja sogar Tote auferweckt. Sie hätten sich dann auch als Gott ausgewiesen. – Nein! Denn all die Heiligen, welche Wunder wirkten, wirkten sie nicht im eigenen Namen, sondern unter Anrufung der Macht Gottes. Gott sollte durch sie das Wunder wirken. Ganz anders ist es bei unserem Herrn. Er wirkt Seine Wunder im eigenen Namen, aus eigener Kraft. „Ich will es, sei rein!“ (vgl. Mt. 8,2 f.), so sprach Er zum Aussätzigen und es geschieht. Nichts widerstand Seinem allmächtigen Willen: nicht jahrelange Krankheiten, noch der Teufel, noch der Tod, nicht einmal die Verwesung des Grabes! Wer, außer Gott selbst wäre imstande, solche Wunder zu wirken?

Und wo immer Er während seines irdischen Wandels einen Blinden oder einen Tauben oder Stummen oder einen Lahmen heilte, da brach sich die Begeisterung Bahn. Die Zeugen Seiner Wunder riefen: „Gott hat Sein Volk heimgesucht!“ (Lk. 7,16).

Als allmächtiger Wundertäter hat sich unser Herr Jesus Christus im Alten Bund durch den Propheten Isaias ankündigen lassen. Doch nur von Ferne durfte Isaias den Erlöser sehen und seinen Fußspuren folgen. Nur als Herold durfte er dem Heiland vorangehen und sein Kommen verkünden. Nur voraussagen das wunderbare „dann“, erleben durfte er es nicht. Isaias war Prophet, aber nicht Apostel.

Was aber ist nun wunderbarer? Wie der Heiland die Blinden sehend, die Lahmen gehend und die Aussätzigen rein machte und wie Er die Toten auferweckte; oder wie das alles schon mehr als siebenhundert Jahre vorher durch den Propheten geschaut und verkündigt worden war? Beides ist göttlich!

Alle Prophetien erfüllen sich in Jesus von Nazareth

Aber nicht nur diese eine Prophetie ist in Jesus von Nazareth in Erfüllung gegangen. Alle Kennzeichen des künftigen Erlösers finden sich ganz deutlich an Ihm. – Diese Merkmale des künftigen Erlösers finden sich vorhergesagt in den Büchern des Alten Testamentes, die lange vor der Geburt Jesu geschrieben waren und noch heute genauso von den Juden gelesen werden. – Das Leben Jesu Christi findet sich sodann aufgezeichnet in den Büchern des Neuen Testaments. – Nun also: Nehmen wir das Alte Testament in die Hand und suchen wir die Zeichen, die dort in den prophetischen Büchern dem künftigen Erlöser beigelegt werden. In die andere Hand nehmen wir das Neue Testament. Wir lesen das Evangelium, die Lebensgeschichte Jesu Christi und vergleichen. Ja, wir vergleichen sie genau! Was werden wir finden? Genau das, daß im Leben Jesu alles erfüllt wurde, was Gott durch die Propheten über den künftigen Erlöser vorhergesagt hatte.

Gehen wir ins Einzelne: Wie wird der Erlöser im Alten Testament beschrieben? Er wird einen großen Vorläufer haben. – Aus welchem Volk wird der Erlöser stammen? Ein Sohn Abrahams. – Aus welchem Geschlecht, also aus welchem der zwölf Stämme Israels? Er wird ein Sohn Davids, aus dem Stamme Juda, sein. – Was für eine Mutter wird Er haben? Eine Jungfrau. – Wo soll Er geboren werden? Sein Geburtsort wird Bethlehem sein. – Wann wird Er geboren werden? Wenn das Zepter von Juda gewichen ist, d.h. wenn das Volk Israel von einem ausländischen König beherrscht wird. – Ist es nötig, zu sagen, daß sich all diese Kennzeichen bei Jesus Christus finden? Jedes Kind weiß ja, wer Sein Vorläufer, wer Seine Mutter war, wann, wo und unter wessen Regentschaft Er geboren wurde.

Gehen wir weiter. Was sagt das Alte Testament vom Leben des Erlösers? – Er wird die Armen und Unwissenden lehren; das geknickte Rohr nicht zerbrechen, den glimmenden Docht nicht auslöschen. Er wird Wunder tun ohne Zahl an Lahmen, Blinden, Tauben, Besessenen, Toten. Auf einer Eselin wird Er in Jerusalem einziehen. – Schauen wir ins Neue Testament. Fehlt im Leben des Heilandes auch nur das Geringste, um dieses Bild vollständig zu erfüllen? Rein gar nichts fehlt.

Aber schauen wir nochmals ins Alte Testament. Es schildert uns auch das Leiden des künftigen Erlösers. Vergessen wir einmal für einen Augenblick alles, was wir von dem Leiden des Heilandes wissen. Betrachten wir nur das Bild, welches im Alten Testament vom leidenden Erlöser entworfen wird. Was erkennen wir da? – Einen Mann, den Mann der Schmerzen, von seinen Freunden verlassen, um dreißig Silberlinge verkauft, von vielen Feinden umringt, geschlagen, verwundet, angespien, verspottet, zertreten, eine einzige Wunde vom Scheitel bis zur Fußsohle; ein Wurm und kein Mensch mehr; unter die Verbrecher gerechnet; seine Hände und Füße durchbohrt; seine Kleider geteilt und verlost; mit Galle und Essig getränkt, von Gott verlassen. Und dabei geduldig wie ein Lamm. Für die Sünder betend. Getötet. Glorreich auferstehend. Auffahrend in den Himmel, dessen Tore sich vor Ihm öffnen. – Und nun schauen wir abermals hinüber ins Neue Testament. Die Passions- und Osterberichte beschreiben uns den leidenden und sterbenden Heiland, sowie den verherrlichten Herrn Jesus Christus. Ist es nicht genau dasselbe Bild? Ja, so ist es. Zug um Zug. Nichts fehlt daran. – Wenn es sich so verhält, dann müssen wir notwendigerweise aus unserer Gegenüberstellung schlußfolgern: Jesus von Nazareth ist der im Alten Testament verheißene göttliche Erlöser. An Ihm ist alles erfüllt.

Im Alten Testament wird nicht bloß das Leben des künftigen Erlösers vorhergesagt, sondern auch noch einige Ereignisse, die auf das Leben des Erlösers folgen sollten: Die Sendung des Heiligen Geistes, der Untergang Jerusalems, die Ausbreitung eines neuen Reiches und dessen Größe und Dauer. – Ist etwa nach der Himmelfahrt Christi der Heilige Geist nicht gekommen? Gewiß! Sichtbar und wunderbar! – Ist Jerusalem nicht zerstört worden? Auf schreckliche Art und Weise! – Ist das Reich Christi, die katholische Kirche, nicht bis an die Grenzen der Erde ausgebreitet worden? Ohne jeden Zweifel! Und das trotz aller Hindernisse und gegen alle Erwartungen.

Von der Krippe bis zum Grab, von seinem Ausgehen vom Vater bis zu seiner glorreichen Auferstehung und Himmelfahrt gehen die Propheten neben dem Heiland her und zeichnen seinen Weg voraus. Wer so in die Welt eingeführt wird, der ist der von Gott gesandte Messias; ja, der ist selbst Gott. Denn kein Mensch könnte sich in der selben Weise inszenieren.

Da mag sich einer fragen: Wenn alle Kennzeichen des verheißenen Erlösers an Jesus Christus sichtbar wurden, wie war es dann möglich, daß die Juden, welche die heiligen Bücher besaßen und lasen, welche auf den Erlöser warteten und hofften, dennoch in Jesus Christus bis heute nicht den verheißenen Erlöser erkannt und anerkannt haben?

Zunächst ist darauf zu antworten, daß damals die Frömmsten, die Heiligsten unter dem auserwählten Volk der Juden in der Person Jesu Christi sehr wohl den Erlöser der Welt erkannt haben. Das gilt von Johannes dem Täufer. „Sehet“, so rief er seinen Zeitgenossen zu, „sehet das Lamm Gottes, welches hinweg nimmt die Sünde der Welt.“ Dasselbe gilt von den Eltern des Johannes, Zacharias und Elisabeth. Hat die seligste Jungfrau in Jesus nicht den Erlöser erkannt? Ohne allen Zweifel. Und der hl. Joseph?Selbstverständlich. Auch die Apostel und Jünger. Auch Nikodemus und Joseph von Arimathäa. Zuweilen rief sogar die große Volksmenge, als sie Zeugen seiner Wundermacht wurden: „Wahrlich, dieser ist der Prophet, der in die Welt kommen soll.“

Aber das Volk im Großen und Ganzen, hat den Erlöser nicht erkannt. Es folgte dem Beispiel seiner Führer, der Hohenpriester, der Pharisäer, der Schriftgelehrten und Ältesten. Aber selbst das war vorhergesagt und ist nur ein neuer Beweis, daß Jesus wirklich der Erlöser ist. Auch die Strafe für diese Sünde ist eingetroffen: die Zerstörung der Stadt und des Tempels. Weil sie den wahren Messias nicht anerkannt haben, sind sie durch falsche Messiasse getäuscht und betrogen worden und hoffen noch immer, und zwar vergeblich, auf den Messias, der nicht kommen wird, bis Jesus Christus, wie Er vorhergesagt hat, wiederkommen wird in den Wolken des Himmels.

Alle Prophetien haben sich allein in Jesus von Nazareth erfüllt

Denn auch das ist richtig und wahr, daß außer Christus kein anderer der verheißene Erlöser sein kann. Nach den Zeiten Jesu Christi sind immer wieder Personen aufgestanden, welche sich für den von Gott verheißenen Erlöser oder als „Messias“ ausgegeben haben. Es wäre leicht, zu zeigen, daß keiner von ihnen der wahre Messias gewesen ist. Doch es ist nicht nötig, da jetzt niemand glaubt, daß irgendeiner von ihnen der wahre Messias gewesen sei.

Aber auch in Zukunft kann der Messias nicht mehr kommen! Wenn in Zukunft der Messias kommen sollte, so müßte er doch aus der Familie Davids sein. Die Familie Davids ist aber unter dem Kaiser Vespasian ausgerottet worden. Der künftige Messias müßte sodann aus dem Stamme Juda sein. Der Stamm Juda aber ist mit dem Stamme Benjamin so vermischt worden, daß niemand mit Bestimmtheit sagen kann, aus welchem Stamm er nun wirklich gebürtig sei. Der Messias sollte ferner zu der Zeit des zweiten Tempels kommen und vor der Zerstörung der Stadt Jerusalem. Der Tempel ist längst geschleift. Keinen Stein haben die Römer im Jahre 70 n. Chr. auf dem anderen gelassen.

Wenn also der Erlöser, wie die Juden sagen, noch nicht gekommen wäre, so kann man mit der größten Gewißheit sagen, daß er niemals kommen wird! Wenn nicht Jesus von Nazareth der verheißene Erlöser ist, so ist es auch kein anderer gewesen; kein anderer kann und wird es sein. Dann wäre der Erlöser vergeblich verheißen, vergeblich vorhergesagt, vergeblich so lange und so heiß erwartet worden. Dann müßten die Bücher der Propheten als Lügenbücher verbrannt werden.

Jedoch ist der verheißene Erlöser wirklich gekommen und zwar so gewiß, daß, wer Augen hat zu sehen, sie schließen müßte, um nicht zu sehen, daß Er gekommen ist. – Unser Herr selbst sagte zu den Juden: „Forschet in der Schrift, denn sie ist es, die von Mir Zeugnis gibt.“ (Joh. 5,39). Er wollte sagen: Lest in euren hl. Büchern, was dort vom Messias vorhergesagt ist, und ihr werdet finden, daß das alles in Mir in Erfüllung gegangen ist, d.h. Ich bin der Messias! Als das samaritanische Weib am Jakobsbrunnen zu Ihm sagte: „Ich weiß, daß der Messias kommen wird“, antwortete ihr Jesus, „Ich bin es, der mit dir redet“ (Joh. 4,25 f.). Zu den Jüngern, die nach Emmaus gingen, sprach der auferstandene Heiland: „Mußte nicht Christus dies alles leiden und so in Seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk. 24,26). Und anfangend von Moses und allen Propheten, legte Er ihnen die ganze Schrift aus, die über Ihn geschrieben war, d.h. Er zeigte ihnen, daß die Weissagungen der Propheten in Ihm – und zwar gerade auch in Seinem Leiden – erfüllt worden sind. Mußte nicht Christus dies alles leiden!

So steht also auch für uns fest: Jesus Christus ist der Erlöser, der im Paradies versprochen, den Vätern verheißen, in den Vorbildern gezeigt, von den Propheten vorhergesagt, von den Juden erwartet worden war. Das Alte Testament bezeugt es, das Neue beweist es, die Apostel lehrten es, die unfehlbare Kirche glaubt es, Jesus Christus Selbst sagt es.

Selig, die sich nicht an Mir ärgern!

Nehmen wir uns schließlich auch die Mahnung des Heilandes zu Herzen, die Er den Jüngern des Täufers im heutigen Evangelium mitgegeben hat: „Selig, wer sich an Mir nicht ärgert.“ (Mt. 11,6). Selig, wer sich nicht stößt an der Niedrigkeit, die Gottes Sohn erwählt hat, an der armen irdischen Gestalt, die er angenommen hat. „Selig, wer sich an Mir nicht ärgert.“ Denn wir werden am Weihnachtstag nicht eine breite Treppe zum Königspalast in Jerusalem hinaufsteigen, sondern auf die Weiden Bethlehems hinausgehen und in einem kalten Stall unseren Erlöser suchen. Wir werden keine Krone auf seinem Haupt sehen und ihn nicht in Hermelin gehüllt, sondern nur in eine einfache Windel gewickelt und auf Stroh gebettet vorfinden. So werden auch die Probleme in unserem Leben, nicht alle von dieser Heiligen Nacht an verschwinden. Nehmen wir keinen Anstoß an Ihm.

Unser Herr wirkt auch heute noch dieselben Wunder, durch die Er vom Propheten Isaias als Messias gekennzeichnet wurde. Die augenfälligen Wunder, die Jesus damals an den körperlichen Gebrechen wirkte, waren Bilder für die noch erhabeneren, wenngleich unauffälligeren Gnadenwunder, die Er seither insbesondere an den Seelen der Menschen wirkt.

Unsere Seele ist krank oder gar tot. Er macht sie gesund und wieder lebendig. Sie ist dem Teufel dienstbar. Er befreit sie durch die helfenden Gnaden, die Er uns mitteilt, um die lasterhaften Neigungen in unserer Seele zu überwinden und die Tugenden zu üben. – Unsere Seele ist blind und sieht nicht den rechten Weg, der zum Himmel führt. In erbarmender Liebe erleuchtet uns der Herr durch das Licht des katholischen Glaubens, durch das wir die rechten Ziele, Mittel und Wege erkennen. – Wir sind taub für die Stimme Gottes. Jesus öffnet uns das geistige Ohr und bewirkt, daß unsere Seele das göttliche Sittengesetz in der Stimme des Gewissens hört, liebt und befolgt. – Unsere Seele ist stumm. Der göttliche Erlöser ist es, der uns in rechter Weise beten lehrt; der unser Herz in heilsamer Reue zerknirscht und zum aufrichtigen Sündenbekenntnis fähig macht. – Durch unsere Trägheit und Eigenliebe sind wir lahm im Tun des Guten. Einzig durch die Gnade Christi können wir trittsicher auf dem Pfad der Gerechtigkeit wandeln, ohne nach rechts oder links abzuweichen. – Unsere Seele ist vom Aussatz der vielen Alltagssünden bedeckt. Jesus heilt sie so oft wir ihn nach der abendlichen Gewissenserforschung darum bitten. – Und sollte unsere Seele durch eine schwere Sünde tödlich getroffen sein, so ruft Er sie durch die Lossprechung im Bußsakrament zum übernatürlichen Gnadenleben zurück, das ganz Seinem Dienst und Seiner Liebe geweiht ist. So erfüllt sich noch heute die Prophetie des Isaias: „Gott selbst kommt und erlöst euch. Dann öffnen sich die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben tun sich auf. Dann springt wie ein Hirsch der Lahme und die Zunge der Stummen löst sich.“

Dabei dürfen wir Christus nicht mit rein-menschlichen Maßstäben messen und sagen: „Wärest du Gott, so würdest du mir mein Kreuz abnehmen.“ Nein, Er kommt nicht, um uns alle Kreuze abzunehmen, sondern um uns durch Sein Vorbild zu lehren, wie wir unser Kreuz geduldig tragen müssen, damit es uns zum Werkzeug der Erlösung wird. Er wird nicht das Kreuz aus unserem Leben verbannen, sondern uns das Kreuz vorantragen. Nehmen wir kein Ärgernis an Ihm!

Jesus Christus ist der verheißene Erlöser. Wenn Er aber der verheißene Erlöser ist, was folgt daraus für uns? Also ist Er derjenige, dem wir glauben müssen, derjenige, auf den wir alle Hoffnung unseres Heiles setzen müssen. Dann müssen wir uns freuen, daß Er gekommen ist. Dann müssen wir für Seine Ankunft danken. Ja, dann müssen wir Ihm auch gehorchen! Gehorchen seiner Lehre! Gehorchen seinen Geboten! Denn dann gilt es tatsächlich, was der hl. Petrus lehrte: „In keinem anderen ist Heil; denn kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, durch den wir selig werden sollen“ (Apg. 4,12), als der Name Jesu Christi, des Heilandes der Welt. Amen.

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