Der brennende Dornbusch

Geliebte Gottes!

Die Sünde der Stammeltern ist auf alle Menschen übergegangen. Der Mensch, der aus dem Lehmboden des Paradiesesgartens makellos geschaffen worden war, ist durch die erste Sünde gleichsam dürres Ödland geworden. Der Fluch Gottes über den Erdboden, sollte den ersten Menschen sichtbar und erfahrbar machen, was aus ihnen selbst geworden war, da der Fluch der Sünde auf ihnen lastete. Deshalb sprach Gott: „So sei die Erde verflucht ob deiner Tat … Dornen und Disteln soll sie dir tragen.“ (Gen. 3,17 f.).

Der Brand der Erbsünde

Wie ein einziger Funke genügt, um an dem ausgetrockneten Gestrüpp der Steppen und Savannen ein Feuer zu entfachen, das mit zerstörerischer Gewalt immer weiter um sich greift, und alle verdorrten Gewächse und Dornbüsche erfaßt und aufzehrt, so war der Funke einer einzigen Sünde – der „ersten Sünde“ – ausreichend, um einen Flächenbrand über dem gesamten Menschengeschlecht zu entfachen, der sich als Erbsünde weiter und weiter ausdehnte, alles erfaßte, alles aufzehrte, alles einäscherte.

Anders als das irdische Feuer, welches wieder verlischt, nachdem es seine vertrocknete Beute verschlungen hat, brennt das geistige Feuer der Sünde, nachdem es den Leib des Sünders durch Tod und Verwesung eingeäschert hat, an der sündigen Seele in Form des Höllenfeuers weiter, bis in alle Ewigkeit.

Die Unbefleckte Empfängnis

Nur eine Seele ist mitten im allgemeinen Verderben unbefleckt geblieben: die Seele der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria. Maria wurde vom ersten Augenblick ihrer Existenz, also schon im Augenblick ihrer Erschaffung, von dem verheerenden Brand der Erbsünde bewahrt. Dieses Wunder der unbefleckten Empfängnis Mariens feiert die Kirche mit dem heutigen Fest.

Papst Pius IX. hat in der Bulle „Ineffabilis Deus“ von 1854 feierlich definiert: „Wir erklären, verkünden und bestimmen, daß die Lehre, welche festhält: daß Maria, die allerseligste Jungfrau, im ersten Augenblick ihrer Empfängnis vermöge einer besonderen Gnade und Bevorzugung von Seiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeglichem Makel der Erbschuld unverletzt bewahrt wurde, von Gott geoffenbart und eben deshalb von allen Gläubigen fest und beständig zu glauben ist. Sollten einige, was Gott verhüte, sich unterfangen, anders gesinnt zu sein, als von uns entschieden worden ist, so mögen sie erkennen und demnach wissen, daß sie durch ihr eigenes Urteil sich verdammt und im Glauben Schiffbruch erlitten haben und von der Einheit der Kirche abgefallen sind.“ (DS 2803 f.).

Die makellose Unversehrtheit der Seele Mariens ist ein geoffenbarter Glaubenssatz, der unter Androhung der ewigen Verdammnis von allen unerschütterlich geglaubt werden muß.

Der Brennende Dornbusch

Das Wunder der Unbefleckten Empfängnis Mariens, wurde bereits im Alten Testament auf verschiedene Weise vorgebildet. So etwa im „Brennenden Dornbusch“, auf den Moses in der Sinai-Wüste aufmerksam wurde. In jenem Dornstrauch also, dem die verzehrenden Flammen des in der Wüste alltäglichen Steppenbrandes, nichts anhaben konnten.

Im Buch Exodus können wir lesen: „Moses aber weidete die Schafe Jethros, seines Schwiegervaters, des Priesters von Madian; und als er einst die Herde tief in die Wüste trieb, kam er an den Gottesberg Horeb. Da erschien ihm der Herr in einer Feuerflamme, die aus einem Dornbusch hervorschlug, und er sah, daß der Dornbusch brannte, und doch nicht verbrannte. Und Moses sprach: Ich will doch hingehen, und dieses große Gesicht schauen, warum der Dornbusch nicht verbrennt.“ (Ex. 3,1-3).

Der Name „Moses“ heißt übersetzt: „Der-aus-dem-Wasser-gezogene“, und ist damit ein Vorbild für alle getauften Christen. Denn jeder Christ ist als auserwähltes Gotteskind aus dem Taufwasser gezogen worden. Und wie Moses, so wollen auch wir uns dem brennenden Dornbusch des Neuen Testamentes nahen und „schauen, warum der Dornbusch nicht verbrennt“.

Dazu müssen wir wie Moses gleichsam den Gottesberg Horeb besteigen, also uns vor Augen halten, daß es sich bei der Unbefleckten Empfängnis Mariens um ein riesiges Geheimnis handelt, dem wir uns nur nahen können, wenn wir die Tugend des übernatürlichen Glaubens betätigen.

Maria – der makellose Dornstrauch

Warum kann Maria mit einem Dornstrauch verglichen werden? – Im Gebetschatz der Kirche findet sich seit alters her ein Gesang, der alljährlich am Fest der „Beschneidung des Herrn“ angestimmt wird. Dieser lautet: „In dem Dornstrauch, den Moses unversengt erblickte, erkennen wir deine unversehrte, lobwürdige Jungfräulichkeit, Muttergottes.“

Der berühmte Exeget Cornelius a Lapide SJ erklärt, warum der Vergleich der Reinheit Mariens, ausgerechnet mit einem Dornstrauch, so zutreffend ist. Er sagt: „Passend wird gerade die Jungfräulichkeit einem Dornbusch verglichen, da sie durch Demut und Lebensstrenge bewahrt werden muß. Denn bei üppigem Leben wie auch beim Stolz ist die Jungfräulichkeit gefährdet.“ Die Dornen sind also im Bezug auf Maria Zeichen der Verachtung und der Abwehr all dessen, was der Welt begehrenswert erscheint.

Die Reinheit Mariens, erschöpft sich jedoch nicht in ihrer körperlichen Jungfräulichkeit, wie man das vielleicht zunächst von der „lobwürdigen Jungfräulichkeit“ der Gottesmutter annehmen möchte. Ihre Reinheit geht nach der Deutung des Heiligen Vaters Pius IX. tiefer. Ja, die körperliche Unversehrtheit der Jungfrau und Gottesmutter Maria ist nur eine Konsequenz ihrer seelischen Makellosigkeit. Maria ist von ihrem ganzen Wesen her jungfräulich, unangetastet, ungeschwächt, makellos rein und heilig. Nicht nur körperlich sondern vor allem an ihrer Seele. Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens hatten an Maria nie den geringsten Anteil, weshalb ihr der Feuerbrand der Sünde auch nichts anhaben konnte. Sie ist unangreifbar für die Glut der Sünde.

Papst Pius IX. sagt: „Den ausnehmend großen und einzigartigen Triumph der Jungfrau und ihre hocherhabene Unschuld, Reinheit und Heiligkeit, sowie ihre von jedem Makel der Sünde reine Unversehrtheit und ihren großen Reichtum an allen himmlischen Gnaden, Tugenden und Vorzügen sahen die Kirchenväter vorgebildet in jenem Dornbusch, den an heiliger Stätte Moses schaute als einen Strauch, der ganz in Flammen stand und doch inmitten der prasselnden Feuerflammen keineswegs verbrannte oder auch nur den geringsten Schaden litt, sondern schön in Grün und Blüten stand.“ (ebd.).

Maria – umfangen vom Liebesbrand des Heiligen Geistes

Wenn wir uns dem brennenden Dornbusch des Neuen Bundes gläubig nähern, so erkennen wir, daß es sich bei den Flammen, die wir über Maria auflodern sehen, gar nicht um den Brand der Sünde handeln kann. Es ist ein anderes Feuer, das Maria ganz und gar ergriffen hat, und das gerade dafür Sorge trug, daß ihr die Erbsünde nicht schaden konnte.

Es ist das göttliche Gnadenfeuer des Heiligen Geistes, das im Herzen Mariens brannte, wie aus dem Grußwort des Erzengels hervorgeht: „Sei gegrüßt du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir. Du hast Gnade gefunden bei Gott.“ (Lk. 1,28.30). Von Ewigkeit her hat sich Gott, der Heilige Geist, die allerseligste Jungfrau zur Braut erkoren, weshalb er nicht zuließ, daß sie vom Fluch der Erbschuld, und damit vom Zündstoff der Sünde, angesteckt würde.

Im Hohenlied Salomons spricht der Bräutigam, der Heilige Geist, zur seiner Braut: „Wie eine Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern.“ (Hld. 2,2). D.h. du, Maria, bist die makellose Lilie inmitten der Verwüstung der Sünde, wo die Erde nur Disteln und Dornen hervorbringt. In dir erblühen alle übernatürlichen Gnaden, Gaben und Tugenden. Verglichen mit dir, sind alle anderen Töchter Adams wie Dornengestrüpp.

Und an anderer Stelle heißt es von Maria: „Ganz schön bist du, Meine Freundin, und kein Makel ist an dir!“ (Hld. 4,7). Der Heilige Geist nennt sie „Meine Freundin“. Wie könnte Er das tun, wenn Maria nicht vollkommen unangetastet von der Erbsünde gewesen wäre? Sind doch alle anderen Menschen durch die Erbsünde vom Augenblick ihrer Empfängnis an „von Natur aus Kinder des Zornes“ Gottes, wie der hl. Paulus lehrt (Eph. 2,3). – Ferner nennt sie der Heilige Geist nicht nur Freundin, sondern gibt Zeugnis von ihrer überragenden Heiligkeit: „Ganz schön, ohne alle Makel“ ist sie. Wie wäre sie „ganz schön“, wenn die Erbsünde ihre Seele gleich anderen Menschen verunreinigt und verunstaltet hätte? Und wie sollte das wahr sein, daß „kein Makel“ an ihr gewesen wäre, wenn sie zu irgendeinem Augenblick den Makel des Sündenbrandes an sich getragen hätte.

Daß nun das flammende Liebesband zwischen Maria und dem Heiligen Geist auch tatsächlich vom allerersten Augenblick ihrer Existenz bestanden hat, das können wir jenem Vers entnehmen, den wir soeben in der Epistel gehört haben: „Der Herr besaß mich im Anfang Seiner Wege.“ (Spr. 8,22). Diese Worte wendet die vom Heiligen Geist geleitete Kirche auf Maria an. – Wenn Maria von Anfang an, vom ersten Moment ihres Daseins, Gott zu eigen war, wie hätte es dann geschehen können, daß Ihm Maria, auch nur für einen Augenblick, von der Erbsünde hätte entrissen sein können, was unfehlbar geschehen wäre, wenn Maria zusammen mit uns „allen in Adam gesündigt hätte“? (vgl. Röm. 5,12).

Wenn Maria von Anfang „Seiner Wege“ Eigentum und Besitz Gottes gewesen ist; von Anfang „Seiner Wege“ der Barmherzigkeit und Wahrheit, auf denen Er kommen wollte, die Menschen zu erlösen, so mußte Er sie auch von der Erbsünde bewahren. Denn wie würde Maria eine würdige Braut des Heiligen Geistes und ein taugliches Werkzeug für die Erlösung abgegeben haben, um die Menschen von der Sklaverei des Satans zu befreien, wenn sie selbst auch nur einen Augenblick lang eine Sklavin und damit Eigentum des Teufels gewesen wäre. Deshalb entfachte der Heilige Geist in Maria von Anfang an, das reine Feuer Seiner göttlichen Liebe, um die Pestilenz der Sünde von ihr fernzuhalten.

Zusammenfassend können wir also mit dem hl. Anselm festhalten: „Der Heilige Geist stieg persönlich in Maria herab, und nachdem Er dieselbe mit mehr Gnaden als alle anderen Geschöpfe bereicherte, ruhte Er in ihr und machte Seine Braut zur Königin des Himmels und der Erde.“

Die Liebesflammen des Heiligen Geistes um fingen Maria, wie die Arme eines Bräutigams, der seine geliebte Braut an sich zieht und sie vor jedem Schaden beschützt. So erkennen wir Maria vorgebildet in dem Brennenden Dornbusch, ganz von den Flammen der göttlichen Liebe eingehüllt; so daß sie „keineswegs verbrannte oder auch nur den geringsten Schaden litt, sondern schön in Grün und Blüten stand.“

Gott sprach aus dem Dornbusch zu Moses

Doch der brennende Dornbusch des Alten Testamentes ist nicht nur Vorbild für die Unbefleckte Empfängnis Mariens, sondern auch eine Offenbarung ihres Zwecks.

Im Buch Exodus heißt es dazu: „Da erschien ihm [dem Moses] der Herr in einer Feuerflamme, die aus dem Dornbusch hervorschlug, … Als aber der Herr sah, daß er hinging, um zu schauen, rief Er ihm aus dem Dornbusche zu, und sprach. (Ex. 3,3-4).

Gott erschien dem Moses „in einer Feuerflamme, die aus dem Dornbusch hervorschlug“. Die Erfüllung können wir den Worten des hl. Erzengels entnehmen: „Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ (Lk. 1,35) Das ist das göttliche Feuer, welches die makellose Jungfrau im Augenblick der Menschwerdung, noch inniger ergriff, sodaß aus dem Dornbusch eine Feuerflamme hervorschlug. Das erklärte der hl. Engel Gabriel der allerseligsten Jungfrau indem er zu ihr sprach: „Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden.“ (ebd.).

Im hebräischen Text des Buches Exodus wird die Person, die aus der Feuerflamme des brennenden Dornbusches zu Moses sprach, „Maleach Jahwe“ bezeichnet. Das bedeutet übersetzt „Engel Gottes“, „Bote Gottes“. Ohne uns weiter in die ausgiebige Untersuchung zu vertiefen, welche die Väter über die Frage anstellten, wer sich hinter dem Ausdruck „Maleach Jahwe“ verbirgt, wollen wir nur das für uns ohnehin naheliegende Ergebnis derselben festhalten. So sagt etwa der hl. Justinus: „Die Juden glauben, immer habe der Vater des Alls mit Moses geredet, während doch der Sohn Gottes, der auch Sein Bote und Gesandter heißt, mit ihm sprach … Der Sohn ist früher in Feuersgestalt und auch unkörperlich dem Moses und auch den übrigen Propheten erschienen, jetzt aber ist Er nach des Vaters Willen zum Heile Seiner Gläubigen durch eine Jungfrau Mensch geworden.“ (Apol. I, 63). Ähnlich der hl. Irenäus: „Der Sohn spricht zu Moses, wenn es heißt: ‚Ich bin herabgestiegen, dieses Volk zu retten.‘ Denn Er ist es, der herabstieg und hinaufstieg, die Menschen zu erlösen. Durch den Sohn also hat sich Gott [im brennenden Dornbusch dem Moses] geoffenbart.“ (Adv. haer. III, 6). Und schließlich sagt auch der hl. Ambrosius: „Nicht der Vater ist im Dornbusch …, sondern der Sohn hat mit Moses geredet.“ (De fide I, 13).

Der Sohn ist das ewige „Wort Gottes“, das von Ewigkeit bei Gott ist, das von Ewigkeit im Schoß des Vaters ruht und das, um uns Kunde von der Erlösung zu bringen, aus der unbefleckten Jungfrau und Gottesmutter Fleisch annehmen sollte, wie uns der Johannesprolog verkündet: „Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. … Und das Wort ist Fleisch geworden. … Gott hat niemand je gesehen; der eingeborene Sohn aber, der im Schoße des Vaters ist, Er hat uns Kunde gebracht.“ (Joh. 1,1.14.18). Der Sohn Gottes ist der göttliche Bote, der aus Maria hervorgegangen ist, wie die Flamme aus dem Dornbusch hervorschlug und zu Moses redete.

Und was redete das göttliche Wort? Welche Kunde hat es gebracht? Jene, die Er damals schon dem Moses brachte: „Ich habe die Bedrängnis Meines Volkes gesehen … und weil ich ihre Leiden kenne, bin Ich herabgestiegen, es aus der Gewalt der Ägypter zu erlösen und sie herauszuführen aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, das von Milch und Honig fließt.“ (Ex. 3,7-8).

„Ich kenne ihre Leiden“! Vom makellosen Blut Mariens in eine leidensfähige menschliche Natur eingekleidet, war das ewige Wort Gottes in der Lage nicht nur über die Leiden des gefallenen Menschengeschlechtes bescheid zu wissen, sondern sie aus eigener Erfahrung zu kennen. „Ich kenne ihre Leiden“, so spricht der, von dem später der Prophet Isaias sagt: „Er selbst nahm unsere Schwachheit auf sich und trug unsere Krankheiten.“ (Is. 53,4).

Noch deutlicher ist der Ausspruch an Moses: „Ich bin herabgestiegen, sie zu erlösen.“ In der Menschwerdung aus Maria ist das Wort Gottes nicht nur zu uns gekommen, um uns Kunde von den göttlichen Geheimnissen zu bringen und unser Leid zu teilen, sondern vor allem um uns aus der Knechtschaft der Sünde zu erlösen. – Wie? Durch die Vergießung Seines göttlichen Blutes. Jenes makellos-reinen Blutes, das als einziger Lösepreis hinreichend war, um die Sündenschuld der Welt abzuwaschen und ihm das „Gelobte Land“ des Himmelreiches zu eröffnen. Jenes unbefleckte Blut, das der göttliche Erlöser aus der unbefleckten Jungfrau angenommen hatte.

Und darin finden wir den Zweck der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Maria wurde vom Brandmahl der Erbsünde im Voraus erlöst, damit sie dem göttlichen Erlöser ein geeignetes Werkzeug für Sein Erlösungswerk bilden konnte: Einen leidensfähigen, menschlichen Leib aus Fleisch und Blut, der aber gänzlich rein von der Erbschuld, als würdige Opfergabe zur Sühne für die Sünde der Welt dienen konnte.

Der Gottessohn ist also vom Himmel in den brennenden Dornbusch der Unbefleckten Empfängnis herabgestiegen, um durch die Vergießung seines kostbaren Blutes, den Brand der Sünde auszulöschen. Dabei war die Unbefleckte Empfängnis Mariens die erste Frucht Seines Opferblutes, mußte doch auch sie erlöst werden. Aber bei ihr geschah es ganz anders als bei allen anderen Menschen. Maria wurde im Hinblick auf die Erlöserverdienste ihres göttlichen Sohnes als einzige im Voraus erlöst und so von der Erbschuld bewahrt. So sagt der hl. Kirchenlehrer Robert Bellarmin: „Wenn Gott eine Seele nach der Sünde rechtfertigen und heiligen kann, warum nicht auch schon vor der Sünde und im Augenblick der Erschaffung?“ Genau das ist bei der Unbefleckten Empfängnis Mariens geschehen.

Da verhüllte Moses sein Angesicht

Nachdem wir uns durch das Vorbild des brennenden Dornbusches dem unfaßbaren göttlichen Geheimnis angenähert haben, geziemt es sich, uns auch ein Beispiel an der Unbefleckten Jungfrau und Gottesmutter zu nehmen.

Wenn Maria durch den brennenden Dornstrauch vorgebildet wurde, so müssen auch wir diesem Bild auf die uns entsprechende Weise ähnlich werden, wenn wir das göttliche Wort geistigerweise durch den Glauben und die Gnade, oder körperlicherweise in der hl. Kommunion empfangen wollen.

Nach dem Kommentar des Cornelius a Lapide bedeutet das Feuer im Dornbusch die Trübsal in einer heiligen, demütigen und abgetöteten Seele. Kommt nämlich die Trübsal über einen demütigen Menschen, so verletzt und verbrennt sie ihn nicht, sondern verklärt und stärkt ihn.

Eine weitere Auslegung mit einer etwas anderen Wendung lautet: Der Dornbusch in seiner minderwertigen und stacheligen Art bedeutet den demütigen und abgetöteten Menschen, in welchem Gott als ein Feuer wohnt und ihm Seine Geheimnisse offenbart.

Oder als dritte topologische Deutung: Der Dornbusch stellt den vollkommenen Menschen dar, in dem vereint ist das Feuer – d.h. die übernatürliche Liebe – mit dem Dornbusch – d.h. mit der Demut und Lebensstrenge. Der Vollkommene nämlich umfaßt in Liebe das Rauhe und Harte und nimmt es an; ja nicht nur das, er wirbt darum und greift heftig danach, im Sinne des hl. Paulus: „Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Es komme Trübsal, es komme Drangsal, es komme Hunger, Blöße, Schmach, – ich weiß sicher, daß weder Tod noch Leben …, nichts mich trennen kann von der Liebe Gottes.“ (vgl. Röm. 8,35 ff.).

Um dorthin zu gelangen, müssen wir den Befehl Gottes befolgen, den Gott dem Moses am brennenden Dornbusch gegeben hat: „Tritt nicht näher heran. Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliges Land. Und Er sprach: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Moses sein Antlitz, denn er scheute sich, auf Gott zu blicken.“ (Ex. 3,5 f.).

Es ist die Ehrfurcht im Herzen des Moses, die hier angesichts solcher Geheimnisse zum Ausdruck kommt, wenn er auf Gottes Geheiß die Sandalen von den Füßen streift und in der Gegenwart des erscheinenden Gottessohnes das Antlitz verhüllt. Jeder, aus dem Wasser der Taufe wiedergeborene Christ muß diese Haltung nachbilden.

Was das Lösen der Schuhe geistigerweise bedeutet, das erklärt uns der hl. Ambrosius, wo er über den Befehl Jesu an Seine Jünger spricht, „weder Tasche noch Schuhe“ mit auf den Weg zu nehmen (vgl. Luk. 10,4): „Beides pflegt von der Haut eines toten Tieres hergestellt zu werden. Nichts Sterbliches aber will der Herr an uns. Deshalb auch spricht Er zu Moses: ‚Löse den Schuh von deinen Füßen! Denn der Ort, wo du stehst, ist heiliges Land.‘ Also das sterbliche und erdhafte Schuhwerk muß er auf Geheiß abstreifen, als er gesendet werden soll, das Volk zu befreien. Denn der Diener an einer solchen Aufgabe darf vor nichts sich fürchten und sich nicht durch Todesgefahr von der übernommenen Pflicht abhalten lassen. Er, Moses, war ja damals, als er aus eigenem Antrieb die Verteidigung seiner Brüder, der Juden, übernommen hatte, durch Furcht vor übler Nachrede von seinem Vorhaben abgebracht worden und aus Ägypten geflohen. Und weil der Herr seine Anhänglichkeit zwar erprobt, seine Leistungsfähigkeit aber schwach gesehen hatte, deswegen ordnete Er an, daß zum Schreiten des Herzens und des Geistes die sterblichen Schnürriemen abzulegen seien.“ (in Luc. VII,3).

Die Losgelöstheit von aller irdischen Anhänglichkeit und Menschenfurcht finden wir auch in der Darstellung der Unbefleckten Empfängnis vor. Sie wird stets barfuß dargestellt. Barfuß zertritt sie den Kopf der Schlange, weil sie aufgrund ihrer Makellosigkeit so stark ist, daß ihr nichts Irdisches gefährlich werden könnte. Deshalb müssen wir alle Anhänglichkeit an das Irdische abstreifen.

Schließlich, wollen wir, wie Moses, gleichsam unser Antlitz aus heiliger Scheu vor diesen erhabensten Geheimnissen unseres Glaubens verhüllen, die sich im Brennenden Dornbusch finden. Wie der hl. Stephanus in seiner Rede sagte, „erzitterte“ Moses, schauernd ob der göttlichen Gegenwart (vgl. Apg. 7,32). Nicht in Angst vor Strafe, sondern wie der hl. Benedikt in seiner Regel schreibt: um „in Liebe Gott [zu] fürchten.“

In der ehrfürchtigen Geste des Moses tat sich seine tief demütige Seelenhaltung kund, angesichts des allheiligen Gottes. Je mehr dem gläubigen Menschen Gottes erhabene Größe und unnahbare Heiligkeit offenbar wird, umso stärker wird seine Ehrfurcht sein. Denn die Ehrfurcht ist gleichsam der Widerhall göttlicher Begnadigung im Menschenherzen. Darum ist die demütige und liebeglühende Ehrfurcht auch immer das untrügliche Kennzeichen der echten Heiligkeit, also der echten Verwandtschaft mit der unbefleckt empfangenen Jungfrau, dem allzeit Brennenden Dornbusch, der Braut des Heiligen Geistes.

Die Festfeier der Unbefleckten Empfängnis, inmitten der adventlichen Bußzeit, möge uns dazu anspornen, wie Moses, durch Abstreifen alles Irdischen dem Vorbild Mariens nachzueifern. Dann wird sich auch der Heilige Geist würdigen, unser Herz mit der Glut Seiner göttlichen Liebe zu läutern, damit wir eine würdige Wohnstatt für das göttliche Wort werden, das durch die Weihnachtsgnade auch in uns herabsteigen möchte, um uns aus der Knechtschaft der Sünde zu erlösen. Amen.

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