„Siehe, die Jungfrau wird empfangen“

Geliebte Gottes!

Der Prophet Isaias lebte im Jerusalem des 8. Jahrhunderts vor Christus. Diese Zeit war eine böse und schwere Zeit für das Königreich Juda. Der äußere Wohlstand des Landes hatte eine große Verweichlichung und Veräußerlichung des Volkes zur Folge.

Durch die Abhängigkeit von Assyrien kam auch ausländischer Götzendienst ins Land. Man betrieb Zauberei, Wahrsagerei, Totenkulte und andere Arten des Aberglaubens. Das Rechtswesen war völlig entartet. Die Priester und Propheten waren dem Laster verfallen. Nichtsdestotrotz brachte man reichlich Opfer dar und sprach viele Gebete. Doch diese ganzen Opfer- und Gebetsübungen waren in den Augen Gottes wertlos. Sie waren rein äußerlich, gewohnheitsmäßig, ohne religiöse Gesinnung, wie der krasse Götzendienst, der neben dem Jahwe-Dienst betrieben wurde, offenlegte. Man verehrte selbstverfertigte Götzenbilder, trieb unerlaubten Baumkult und legte heidnische Adonisgärten an.

Auch der Stamm Juda drohte – wie schon die Stämme des Nordreiches – vom Bund mit Gott abzufallen und mit den Götzen der Heiden geistigen Ehebruch zu treiben. Gegenüber der Predigt des Propheten Isaias war das Volk völlig gleichgültig, ja ungläubig; man glaubte sich vor dem kommenden Gericht sicher und gab sich einem übermütigen und ausgelassenen Schlemmerleben hin. – Da wurde das Land plötzlich vom syrisch-ephraimitischen Krieg erschüttert.

Der Unglaube des jüdischen Königs

Das 7. Kapitel des Prophetenbuches schildert uns, wie sich Pekach, der König des Nordreiches, und Rezin, der König von Damaskus, miteinander verbündeten, um gemeinsam in Judäa einzufallen und nach Jerusalem vorzurücken, um die davidische Königsdynastie endgültig zu stürzen und auszulöschen. – Alles in der Davidstadt war in Bestürzung und Verwirrung. Draußen vor den Stadtmauern, auf dem sogenannten Walkerfeld, hatte sich der Kriegsrat unter König Achaz versammelt. Aufgeregt wurde beratschlagt, wie man schnell die Festungsanlagen instand setzen und Jerusalem auf eine Belagerung vorbereiten könne. Hektisch wurden Eilboten an den vermeintlichen Bundesgenossen Assyrien mit der Bitte um Hilfe entsandt.

In diese Szenerie, beherrscht von Panik und Angst, tritt Isaias, von Gott zum König gesandt, um ihm zu weissagen: „Hab acht, daß du ruhig bleibst. Fürchte dich nicht und dein Herz verzage nicht!“ (Is. 7,4). Habe Vertrauen auf Gott! Was deine beiden Feinde Pekach und Rezin im Sinne haben, „es soll nicht zustande kommen, und solches soll nicht geschehen.“ (Is. 7,7). Sie werden bald aufhören zu herrschen. Jetzt schon gleichen sie zwei fast schon verzehrten und bald erlöschenden Feuerbränden. Sie qualmen zwar noch, d.h. sie sind dir und deinem Hause noch lästig, aber sie können dir nicht mehr gefährlich werden, wenn du auf Gott vertraust.

Für die Wahrhaftigkeit seiner Worte bietet Isaias dem König im Auftrag Gottes ein Wunderzeichen an: „Erbitte dir ein Zeichen von dem Herrn, deinem Gott, es sei in der Tiefe drunten oder in der Höhe droben.“ (Is. 7,11). Das Zeichen soll dir als Beweis dienen, daß der Herr dich und dein Volk erretten wird. So sicher wie das Wunder sich erfüllen wird, das du dir wählst, so gewiß wird der Allerhöchste sein Wort einlösen und Rettung vor den Feinden schicken. Dann brauchst du keine Bündnispartner aus dem fernen Assyrien herbeizurufen. Gott selbst will für dich streiten.

Doch König Achaz war kein würdiger Nachfahre Davids auf dem jüdischen Thron. Er war ein stolzer, gottloser König. Von seiner Gottlosigkeit zeugt, daß er nicht nur selbst dem heidnischen Höhenkult ergeben war, Baalssäulen errichten ließ und Menschenopfer zugunsten des Götzen Moloch einführte, wobei er nicht einmal davor zurückschreckte, den eigenen Sohn dem Feuertod zu überantworten.

In geheuchelter Gottesfurcht antwortete Achaz dem Propheten: „Nein, ich will Gott nicht versuchen und kein Zeichen begehren von Gott.“ (Is. 7,12). Scheinheilig, vielleicht auch etwas spöttisch, rezitiert der König dabei das jüdische Gesetz (vgl. Deut. 6,16), das tatsächlich verbietet, Gott aus Vermessenheit auf die Probe zu stellen. Doch tat es Achaz nur, um seinen Unglauben fromm zu verbrämen. In Wirklichkeit wollte er zu verstehen geben, daß er es nicht auf Gottes Eingreifen ankommen lassen will, sondern lieber auf greifbare militärische Mächte zu bauen gedenkt. Achaz hat bisher nichts von Gott wissen wollen, vielmehr lieber auf seine eigenen Kräfte vertraut und weist darum Gott selbst in der Stunde, wo sein Reich und seine Krone auf dem Spiel steht, als Bundesgenossen zurück. – Gelangweilt durch den Propheten wendet er sich von Isaias ab und nimmt die Beratungen mit seinem Generalstab wieder auf.

Das verheißene Wunderkind der Jungfrau

Das angebotene kleine Zeichen Gottes hat der König verschmäht. Dafür gibt Gott jetzt ein anderes, ein großes Wunderzeichen, welches nicht nur dem Volk Israel gilt, sondern dem gesamten Menschengeschlecht. Isaias erhob seine Stimme und weissagte: „So höre denn, Haus Davids! Ist es euch zu wenig, Menschen lästig zu sein, daß ihr auch meinem Gott lästig seid?“ (Is. 7,13). Weil ihr das wunderbare Zeichen nicht bestimmen wolltet, so trifft Gott Selbst die Wahl. Es ist ein Garantiezeichen für den Fortbestand des Hauses David und zugleich ein Drohzeichen für seine ungläubigen Glieder: „Deswegen wird der Herr Selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und Seinen Namen wird man ‚Emmanuel‘ nennen.“ (Is. 7,14), das heißt: „Gott mit uns.“ (Mt. 1,23).

Dem geistigen Ehebruch und der götzendienerischen Unzucht Seines auserwählten Volkes, setzt Gott das Wunder der jungfräulichen Empfängnis entgegen, und damit die geheimnisvolle Fruchtbarkeit der Jungfrau. Gott selbst wird kommen, euch zu erlösen. Der göttliche Erlöser wird kommen als Kind, geboren aus einer Jungfrau. – Weil das Haus Davids Gott durch den Unglauben und die Untreue des Königs Achaz sehr schwer beleidigt hat, hebt der Prophet an: „Deswegen“, d.h. aufgrund deines Unglaubens, wird Gott dem Haus Davids einen würdigen König geben; einen König, der selber Gott sein wird. Dieser wird dem Menschengeschlecht die ersehnte Erlösung von seinen verschworenen Feinden bringen und daran zu erkennen sein, daß Er von einer Jungfrau empfangen und von einer Jungfrau geboren werden wird.

a) Die Bedeutung von „Almah“ – „die Jungfrau“

Die vorchristlichen Juden hatten diese Vorhersage des Propheten Isaias stets als eine messianische Weissagung aufgefaßt. Erst das Judentum der christlichen Ära versuchte die Bedeutung dieser Prophetie herunterzuspielen, ja sogar zu bekämpfen.

Die Juden behaupten bis heute, das hebräische Wort „עלמח“ (sprich: Almah), bedeute nicht „Jungfrau“ im strengen Wortsinn, sondern einfach nur „junges, heiratsfähiges Mädchen“. Eben diese Behauptung wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von den Modernisten dankbar aufgegriffen, um den Glauben an die Jungfrauengeburt zu zerstören. – Doch diese Deutung wiederspricht eindeutig dem Kontext der damaligen Ereignisse. Denn wo wäre dann das von Gott verheißene Zeichen? Wenn Isaias lediglich gesagt hätte: „Ein junges, heiratsfähiges Mädchen wird empfangen und einen Sohn gebären“, was wäre daran so einzigartig und wunderbar, daß man es als göttliches Zeichen erkennen könnte? Abertausende junge Mädchen haben in Israel ein Kind empfangen! Es ist doch etwas Alltägliches! – Isaias kündigte dem Achaz aber eindeutig ein Wunderzeichen an! „Gott selbst wird ein Zeichen geben.“ – Nein, die Deutung des postchristlichen Judentums ist eindeutig befangen durch die prinzipielle Ablehnung Jesus Christi als Messias und des Christentums, als die von Gott gestiftete, übernatürliche Religion, in der sich alle Heilsverheißungen erfüllt haben.

Diese dem christlichen Glauben feindliche Auslegung wird sodann ganz klar widerlegt durch einen unbestechlichen Zeugen, nämlich durch die „Septuaginta“. Die Septuaginta ist eine Übersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen Urtext ins Griechische. Sie wurde lange vor Christi Geburt von siebzig jüdischen Gelehrten, um das Jahr 250 v. Chr., für die in der griechisch-sprachigen Diaspora lebenden Juden angefertigt, die offenbar inzwischen der hebräischen Muttersprache soweit entfremdet waren, daß sie einer griechischen Übersetzung der Heiligen Schrift bedurften. – Das bei der Isaiasstelle verwendete hebräische Wort „Almah“ wurde nun 250 Jahre vor Christi Geburt mit dem griechischen Wort „παρθένος“ (sprich: parthénos) wiedergegeben. „Parthénos“ bedeutet nun aber eindeutig „Jungfrau“ im strengen Sinne des Wortes. D.h. eine vom Manne unberührte junge Frau. Daß eine vom Manne unberührte Jungfrau ein Kind empfängt und einen Sohn gebiert, ist sehr wohl ein göttliches Wunderzeichen, das noch nie zuvor gesehen worden war und daher absolut einzigartig und unverwechselbar ist.

Ferner ist die Einzigartigkeit dieser Jungfrau im hebräischen Text dadurch hervorgehoben, daß Isaias den bestimmten Artikel gebraucht hat. Nicht „eine Jungfrau“, sondern „DIE Jungfrau“ wird empfangen und einen Sohn gebären. D.h. nicht irgendeine, sondern eine ganz bestimmte Jungfrau. Eine einzigartige Jungfrau.

b) Emmanuel

Was war damals, also auf dem Walkerfeld, vor den Stadtmauern Jerusalems geschehen? Isaias durfte in diesem Moment abermals Zeuge einer heiligen Begebenheit aus der Erlösungsgeschichte sein. In ferner Zukunft sah er, wie der hl. Erzengel Gabriel in das stille Haus der allerseligsten Jungfrau von Nazareth eintrat und ihr im Auftrag Gottes den Gruß überbrachte: „Ave gratia plena“ – „Gegrüßt seist du, Gnadenvolle!“ Isaias hörte, was in jener Stunde zwischen der Jungfrau und dem Erzengel an Rede und Gegenrede hin- und herging. „Siehe du wirst empfangen und einen Sohn gebären.“ – „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ – „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten. Darum wird das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden.“ (Lk. 1,28-35). Was das Ohr des Propheten dort vernommen, und was sein Auge geschaut hat, das verkündete er dem ungläubigen König Achaz und seinem Volk, ob es nun hören will oder nicht: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und seinen Namen wird man nennen ‚Emmanuel‘, das heißt Gott mit uns.“ D.h. durch Ihn und in Ihm wird Gott mit uns sein.

Die Fruchtbarkeit der Jungfräulichkeit

Wie aber kann das geschehen? Wie kann die freiwillig gewählte Unfruchtbarkeit zu solcher Fruchtbarkeit gelangen? Wie kann die Jungfräulichkeit Mariens den Sohn Gottes hervorbringen? Was ist das Geheimnis der Jungfräulichkeit Mariens?

a) Die Jungfräulichkeit Mariens

Die Jungfräulichkeit der allerseligsten Jungfrau Maria, erschöpft sich nicht nur in einer keuschen Naturanlage der Schamhaftigkeit. Diese ist zwar eine löbliche Neigung, die ihrem Wesen nach behutsam ist und schon in der Furcht vor der bösen Begierlichkeit einen gewissen Schutz bietet. Doch so lobenswert die Schamhaftigkeit ist, sie ist noch keine Tugend. – Die Keuschheit aber ist eine Tugend.

Die natürliche Tugend Keuschheit, wie sie im alten Rom von den heidnischen Vestalinnen geübt wurde, läßt in das durch die Erbsünde in Unordnung gebrachte Gefühls- und Sinnenleben des Menschen, das Licht der rechten Vernunft hineinwirken. Die Tugend der Keuschheit besteht darin, daß man sich alle unerlaubten fleischlichen Gelüste versagt. Sie umfaßt zuerst die äußeren Werke, dann aber auch die Gedanken, Wünsche und Worte.

Die höher stehende, eingegossene Tugend der übernatürlichen Keuschheit, baut auf der natürlichen Tugend auf und bedient sich ihrer, um alle sinnlichen Regungen des Menschen unter dem Einfluß der übernatürlichen Gnade zu ordnen.

Die Jungfräulichkeit aber überragt nun wiederum die Tugend der Keuschheit. Sie ist eine noch höhere Tugend; denn sie schenkt Gott für das ganze Leben die Unversehrtheit des Leibes und der Seele als immerwährende Weihegabe.

Die Jungfräulichkeit Mariens war also nicht Selbstzweck, sondern zielgerichtet; zielgerichtet auf Gott; auf Gott allein. Es ging ihr nicht einfach darum, ihre leibliche Unversehrtheit und Reinheit für sich zu bewahren. Noch weniger war ihre Jungfräulichkeit eine Verachtung der Ehe.

Die Jungfräulichkeit Mariens war ganz und gar übernatürlich motiviert. Sie wurzelte in ihrer unermeßlichen Gottesliebe. Die ganze Liebe ihres unbefleckten Herzens sollte ausnahmslos Gott gehören. Sie wollte nicht, daß Gott sich ihr Herz mit irgendeinem Geschöpf teilen müsse. Ihre Jungfräulichkeit besteht also wesentlich in der Einfachheit und Ungeteiltheit ihres Herzens; in der Einsamkeit des Herzens. Maria war bewußt, was der Völkerapostel später lehren würde: „Wer unverheiratet ist, ist um das besorgt, was des Herrn ist, wie er Gott wohlgefallen möge. Wer aber verheiratet ist, ist um das besorgt, was von der Welt ist, wie er seinem Weibe gefallen möge, und ist geteilt.“ (1. Kor. 7, 32 f.). Nur Gott und Gott allein durfte das Heiligtum ihrer Herzensliebe besitzen. Und zwar ihr ganzes Herz, d.h. ihre ungeteilte und damit absolut reine Liebe.

Aber damit nicht genug. Nicht nur auf die anderen Geschöpfe wollte Maria verzichten, sondern auch auf sich selbst. Sie entsagte dem, was wir Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung nennen. Sie verzichtete auf die eigene Wirksamkeit. Mariens Herz war nur für Gott da, nicht für die Welt und – nicht für sich selbst. Diese geistig-seelische Jungfräulichkeit Mariens, welche in der Einsamkeit des Herzens und im Verzicht auf das eigene Ich, aus Liebe zu Gott, besteht ist der Motor für ihre leibliche Jungfräulichkeit.

Denn das jungfräuliche Herz Mariens will auch um Gottes willen auf die eigene Wirksamkeit des Leibes verzichten. Selbst auf ihr eigenes Wirken im Hinblick auf die Mutterschaft, verzichtet Maria, um ihre Wirksamkeit ganz Gott anheimzustellen. Maria will ganz Gott und nur Gott durch sich wirken lassen. Sie will sich ganz und gar Gott zur Verfügung stellen, daß Er, wenn Er es will, durch sie wirke. Und zwar wann, wo und wie es Ihm gefällt. Sie will nicht aus eigener Kraft wirksam sein, sondern will Mitwirkende sein, im Willen Gottes. Gott soll durch sie wirken. Sie will die „Magd des Herrn“ sein, wie sie es dem Engel zur Antwort gab, nicht die Herrin ihrer selbst, sondern eine an Gott hingegebene Sklavin.

Diese Haltung der liebevollen Dienstbereitschaft und Hingabe aus Liebe zu Gott ist die Wurzel der Jungfräulichkeit Mariens, ja die Wurzel der christlichen Tugend der Keuschheit und Jungfräulichkeit überhaupt. Die leibliche Keuschheit ist nur ein äußerer Ausdruck der Reinheit desjenigen Herzens, das Gott als seinen alleinigen König ansieht. Die Demut und Hingabe der Seele, angetrieben von der Liebe zu Gott, strömt dabei auf den Leib über.

b) Die Fruchtbarkeit Mariens

Der frei gewählten Unwirksamkeit Mariens verlieh Gott eine einzigartige und wunderbare Fruchtbarkeit. Die erste Frucht der Jungfräulichkeit Mariens erwächst aus der Einsamkeit des Herzens: Gott findet in Maria ein Herz, das nur Ihm in einzigartiger Weise offen steht. Ihre vollkommene Hingabe zieht Gott so stark an, daß Er sich wiederum Maria auf vollkommene Weise schenken wollte.

Gott teilt sich der Seele Mariens mit in der Unbefleckten Empfängnis und in der Gnadenfülle. Durch die Fülle des übernatürlichen Gnadenlebems will Gott in ihrer Seele so leben, wie Er es in keinem anderen Geschöpf tut.

Eine zweite und ganz einzigartige Fruchtbarkeit wurde der allerseligsten Jungfrau beschieden, indem sich Gott dieser Jungfrau auch dem Leibe nach schenken wollte. Er wollte aus ihr eine menschliche Natur annehmen. Gott wollte sich als Kind ganz von Maria abhängig machen. In einer neunmonatigen Kommunion ließ sich der Sohn Gottes aus dem makellosen Stoff des Fleisches und Blutes der unbefleckten Jungfrau in das Gewand einer vollkommenen Menschheit einkleiden. Sie sollte mitwirken dem Erlöser der Welt einen Leib heranzubilden. Das ist das vorzüglichste Werk, zu dem je ein Geschöpf gewürdigt wurde – Mutter Gottes zu werden. Durch Maria wird Gott, der Unbegreifliche sichtbar, greifbar und einer von uns; Er wird zum „Emmanuel“, zum „Gott mit uns“.

Die dritte Form der Fruchtbarkeit Mariens finden wir darin, daß sich Gott ihrer Wirksamkeit nach außen bedienen wollte. Gott konnte Maria als Werkzeug gebrauchen wie Er wollte. Er konnte ungehindert mit ihr zusammen und durch sie hindurch das Werk Seiner Erlösung wirken. Alle Kräfte Mariens standen Ihm zur Verfügung. Kein Eigensinn, kein Ehrgeiz und kein Stolz standen Seiner Wirksamkeit in Maria im Wege. Deshalb stand sie unerschütterlich unter dem Kreuz als Miterlöserin, wo sie die geistige Mutter aller Glieder jenes geheimnisvollen Leibes wurde, dessen Haupt sie selbst in ihrem Schoß gebildet hatte.

So konnte Gott durch Maria und mit ihr zusammen die Erlösung der Welt bewirken. Aufgrund ihrer einzigartigen Mitwirkung am Erlösungswerk Gottes wurde der jungfräulichen Gottesmutter der gesamte Gnadenschatz anvertraut, den ihr göttlicher Sohn am Kreuz verdient hatte. Wie Maria der Welt den Erlöser geschenkt hatte, so sollten auch alle Seelen aus ihrer Hand alle Erlösungsgnaden empfangen. Auf diese Weise wurde die Jungfrau Maria in einzigartiger Weise fruchtbar in ihrer Gnadenmittlerschaft, durch welche sie allen ihren Kindern das übernatürliche Leben spendet, welches durch die Sünde Adams verlorenging. Sie ist die Mutter aller Kinder Gottes. Welch eine Fruchtbarkeit! Maria ist Muttergottes und Mutter aller Gläubigen. Sie ist die „neue Eva“, die „Mutter aller übernatürlich Lebendigen“.

Das ist die dreifache Fruchtbarkeit der allerseligsten Jungfrau: Die Gnadenfülle, die Gottesmutterschaft und die Gnadenmittlerschaft.

Nachahmung der Jungfräulichkeit und Fruchtbarkeit Mariens

Als Kinder Mariens ist es unsere Berufung die Jungfräulichkeit Mariens in unserem Leben durch die Übung der standesgemäßen Keuschheit nachzubilden, damit auch wir, wie Maria, fruchtbar werden für das Himmelreich, damit Christus immer mehr in uns und in den anderen Gestalt annehme.

Wie bei Maria ist die Keuschheit kein Selbstzweck. Sie muß aus Liebe zu Gott geübt werden und so auf Gott ausgerichtet sein. Die Liebe strebt danach, dem Geliebten so ähnlich wie möglich zu werden. Gott ist reiner Geist. Die vollkommen geübte Tugend der Keuschheit läßt uns in sterblichem Fleische ein geistiges Leben führen, das gleichsam das Vorspiel des ewigen Lebens ist. Sie macht den Menschen in gewisser Weise den Engeln ähnlich. Sie befreit ihn vom Stoff, vergeistigt ihn und macht ihn immer einfacher. Ein Lehrer des geistlichen Lebens sagt: „So wie die seelische Haltung einer Weltdame kompliziert ist, so ist die einer Jungfrau einfach. Es gibt zwei ganz einfache Wesen: Das Kind, das noch nicht das Böse kennt, und den Heiligen, der das Böse vergessen hat, weil er es besiegte.“

Durch ihre zunehmende Einfachheit erlangt die keusche Seele immer mehr Ähnlichkeit mit Gott. Sie wird dabei immer stärker, lichtvoller und liebender. Besonders darin zeigt sich die Fruchtbarkeit dieser Tugend.

Erstens: Sie macht die Seele stark. Man braucht sich nur an den Mut der hl. Märtyrerjungfrauen erinnern, wie der hl. Cäcilia, der hl. Agnes, oder der hl. Lucia. Ihre Henker waren rascher ermüdet im Peinigen als sie im Dulden. Der Herr gab diesen Jungfrauen eine unbesiegbare Kraft. Und dadurch überwanden sie inmitten der schlimmsten Peinen alle Furcht, und ließen sich, standhaft im Glauben, freudig ihrem gekreuzigten Bräutigam auf blutige Weise gleichgestalten.

Zweitens, wird die Seele durch die Keuschheit immer lichtvoller. „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott anschauen.“ (Mt. 5,7). Der Adler unter den Evangelisten, der hl. Johannes, war jungfräulich. Der hl. Paulus ebenso. Der Größte unter den Gottgelehrten, der hl. Thomas von Aquin, wurde mit 16 Jahren von jeder fleischlichen Anfechtung befreit, damit er sein ganzes Leben hindurch frei der Beschauung der göttlichen Dinge obliegen könne, über die er die anderen belehren sollte. Diese von der Keuschheit herrührende übernatürliche Klargeistigkeit hat auch beschauliche Seelen ohne theologische Bildung mit einer hohen Weisheit ausgestattet, die sie wissen ließ, was sich sagen läßt und was unaussprechlich bleibt. Welche Gegenstände zu erörtern sind und welchen aufgrund ihres undurchdringlichen Geheimnisses Schweigen und Anbetung gebührt. – Die wahrhaft reine Seele beginnt im gewissen Sinne Gott zu schauen im Gebet, ebenso, wenn sie sich viel inniger mit Gott vereinigt mit der hl. Messe, mit der Konsekration und bei der hl. Kommunion. Sie beginnt die göttliche Vorsehung in ihren Lebensumständen zu schauen; denn „alle Dinge gereichen denen zum Guten, die Gott lieben.“ (Röm. 8,28). Wenn man auf dem Weg bleibt, so beginnt man endlich auch Gott zu schauen in den Seelen derer, die um uns sind. Mitunter entdeckt man unter einer dunklen, dichten Hülle immer mehr eine leuchtende Seele, die Gott viel mehr gefällt, als man anfangs gedacht hatte.

Drittens: Mit dem übernatürlichen Licht verleiht die vollkommene Keuschheit der Seele eine geistige Liebe zu Gott und dem Nächsten. Sie ist weit entfernt von aller schwärmerischen Sentimentalität, sondern schickt sich an in bodenständiger Nüchternheit das höchste Gebot vollkommen zu verwirklichen: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus all deinen Kräften und aus deinem ganzen Gemüte.“ (Lk. 10,27). Dabei kann die keusche Seele wahrhaftig sprechen: „Mein Geliebter ist mein und ich bin Sein.“ (Hld. 2,16). Es besteht vollkommene Gemeinschaft mit Gott im Denken, Empfinden, Wollen, Opfern und Wirken für das Heil der Seelen.

Auf diese Weise wird die reine und starke Gottesliebe auch der Ursprung einer geistlichen Vaterschaft oder Mutterschaft. Wie oft gebraucht nicht der jungfräuliche hl. Evangelist Johannes in seinen Briefen die Anrede „Kindlein“? Und der hl. Paulus schreibt mit väterlicher Liebe an die Galater: „Meine Kinder, von neuem leide ich um euch Geburtswehen, bis Christus in euch Gestalt gewonnen hat.“ (Gal. 4,4). Da haben wir die geistliche Fruchtbarkeit des jungfräulichen Lebens in ihrem ganzen Adel. Sie wiegt reichlicher als die zeitliche Elternschaft, auf welche die Apostel verzichtet haben. Sie gründeten keine bestimmte Familie, wo sich das natürliche Leben fortpflanzt, das nur 60, 70, 80 Jahre währt. Sondern sie arbeiteten daran, um in der großen Familie Gottes, in der Kirche, für den Herrn Seelen zu zeugen, um ihnen ein unvergängliches Leben mitzuteilen. So erfüllte sich das große Zeichen des Isaias im Laufe der ganzen Kirchengeschichte an den Gottgeweihten auf unzählige Weise: „Siehe, die Jungfrau wird einen Sohn gebären.“

Daraus erkennt man, wie erhaben der evangelische Rat der Keuschheit ist, wie erhaben die volle Verwirklichung dieses Rates ist; und wie notwendig die Keuschheit für die fruchtbare Weitergabe des Glaubens und der göttlichen Gnade auf die kommende Generation ist.

Der Geist dieses Rates ist nämlich nicht nur Sache des gottgeweihten Standes. Er hat mitunter auch die körperliche Vaterschaft oder Mutterschaft vollkommen umgewandelt. Eines der erhabensten Beispiele dafür ist die hl. Monika. Nachdem sie ihrem Sohn Augustinus das Leben geschenkt hatte, gebar sie ihn geistigerweise durch ihre Tränen und Gebete zum zweiten Mal. So erlangte die hl. Monika die Bekehrung ihres Sohnes. Sie wurde in zweifacher Weise seine Mutter: für seinen Leib und für seine Seele. Mögen alle katholischen Väter und Mütter in dieser zweifachen Weise mit der Würde der Elternschaft ihrer Kinder bekleidet sein.

Erlangung der Jungfräulichkeit

Bleibt noch die Frage, wie die vollkommene Keuschheit erlangt werden kann. Was ist zu tun? Welche Mittel sind anzuwenden? – Um diese Tugend zu erwerben und zu bewahren ist eine zweifache Abtötung notwendig: Erstens, die Abtötung des Leibes; und zweitens, die Abtötung des Herzens.

Die Abtötung des Leibes wird erreicht durch die Beherrschung der Augen. Wie nämlich der Dieb durch die Fenster in das Haus einsteigt, um zu plündern, so steigt die Unkeuschheit durch unsere Augen ein in unser Inneres und raubt uns die Herzensunschuld. Um nicht durch unachtsame Blicke unreine Gedanken in uns heraufzubeschwören, müssen wir die Neugier und die Augenlust bekämpfen und mit dem Dulder Job sprechen: „Ich habe einen Bund mit meinen Augen geschlossen, daß ich nicht etwa einen Gedanken auf eine Jungfrau richte.“ (Job 31,1). – Sodann sind auch Mäßigung und Bußübungen notwendig, um die Leidenschaften in Zaum zu halten. Dies geschieht durch eine geregelte Tagesordnung, die den Müßiggang verhindert und dabei den Willen und das Selbstwertgefühl stärkt, indem man sich selbst Disziplin, Pflichterfüllung und Leistung abverlangt. Ferner schreibt uns die Kirche durch die Quatembertage in dieser Woche Fasten und Abstinenz vor. Als weise Lehrmeisterin weiß sie, wenn man dem Körper jeden Genuß gewährt, wenn man ihn besonders durch unmäßiges Essen und Fleischgenuß, durch berauschende Getränke in seinen sinnlichen Trieben bestärkt, dann muß der erbsündlich geschwächte Mensch unzüchtig werden. Die vierteljährliche Übung der Quatemberfasten, sowie die beiden großen Bußzeiten – der Advent und die Fastenzeit – sollen diese Notwendigkeit in uns lebendig halten, um die Reinheit zu bewahren. Mit dem Völkerapostel müssen wir sagen: „Ich züchtige meinen Leib und bringe ihn in Botmäßigkeit, damit ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verworfen werde.“ (1. Kor. 9,27). – Zur Bewahrung der Keuschheit ist es schließlich vor allem notwendig jene Gelegenheiten zu meiden, wo die nächste Gefahr der Einwilligung in die Sünde besteht.

Doch zur Bewahrung der Keuschheit darf auch die Inzuchtnahme des zweiten Bereiches nicht vernachlässigt werden – nämlich die Abtötung des Herzens. Dadurch versagt man sich jede ungeordnete Regung des Gefühlslebens. Eine übergebührliche Zuneigung gegenüber einem Menschen zu unterhalten, wäre nämlich nicht nur ohne Nutzen, sondern schädlich. Sie würde uns einen gefährlichen Abhang hinabgleiten lassen. Durch süße Gefühle und Tagträumereien geschieht der sittliche Abstieg nur allzuleicht und oft sogar unbemerkt. Er kann sich verstärken und beschleunigen, je weniger man ihn vorhergesehen hat, und dann ist es sehr schwierig, wieder hinaufzusteigen. – Wieviele verlieben sich leichtfertig, ohne daß Aussicht auf eine Ehe besteht! Doch damit schmiedet man sich schwere Ketten und hat hernach keine Kraft mehr, sie zu zerbrechen. Nach der „Nachfolge Christi“ besteht das Merkmal, an dem eine ungeordnete Regung erkannt werden kann in der inneren Unruhe: „Sobald der Mensch anfängt, etwas in ungeordneter Weise zu lieben, wird er unruhig.“ Weil er die Person „für sich“ besitzen will, regt sich in ihm eine leidenschaftliche Eifersucht und Gefallsucht, die ihm den inneren Frieden raubt. Vom Heilmittel heißt es weiter: „In Widerstand gegen die Leidenschaften und nicht in der Nachgiebigkeit gegen sie findet man den wahren Frieden des Herzens. Er ist der Anteil des eifrigen und geistig gesinnten Menschen.“ (I,6). Und an anderer Stelle heißt es, daß eine zu große Vertraulichkeit mit den Menschen uns die Vertraulichkeit mit Gott verlieren läßt: „Es ist die Art deines Geliebten, daß Er keinen anderen duldet; Er will dein Herz allein besitzen und wie ein König auf Seinem ihm eignen Throne herrschen.“ (II,7). Deshalb: „Wünsche niemals, besonders gelobt und geliebt zu werden; denn das kommt Gott allein zu, der Seinesgleichen nicht hat. Entsage auch dem Wunsche, daß sich einer mit dir in seinem Herzen beschäftige, und auch du gib dem liebevollen Gedanken an einen anderen nicht zuviel Raum, sondern Jesus sei in dir und in jedem guten Menschen.“ (II,8).

Ferner muß man wachsam sein, daß man nicht fühlbare Tröstungen im Gebet in einer Art geistlicher Genußsucht um ihrer selbst willen sucht. Wer Gott nicht um Seiner selbst willen liebt, sondern um der fühlbaren Tröstungen willen, die er empfängt oder erwartet, hält nicht die rechte Ordnung ein. Er liebt zuerst sich selbst und dann erst Gott. So wie man eine Frucht liebt, die den süßen Geschmack gibt; so liebt man Gott wie eine Sache, die geringer ist, als man selbst. Das wäre eine Umkehrung der Ordnung. Wenn man die geistlichen Freuden um ihrer selbst willen sucht, so wecken sie die mühsam bezähmten Leidenschaften in unserem Herzen bald wieder auf. Anstatt den Weg einzuschlagen, den die Heiligen gegangen sind, gleitet man unmerklich den Abgrund hinab, auf den sich alle falschen „Mystiker“ haben ziehen lassen.

Alle genannten Mittel, um sich rein zu bewahren blieben letztlich nutzlos, wenn Gott nicht helfen würde. Deshalb müssen zu den soeben kurz umrissenen Dingen stets das Gebet und der Sakramentenempfang hinzutreten, um die Tugend der Keuschheit vollkommen zu erlangen und zu bewahren. Generell ist in diesem Anliegen die Andacht zur allerseligsten Jungfrau Maria dringend zu empfehlen. Aber auch die regelmäßige Beichte und Kommunion sind kraftvolle Mittel, um rein zu bleiben.

Letzte Vorbereitungen

Bemühen wir uns die Jungfräulichkeit Mariens nachzuahmen – jeder in dem Maße, wie es sein Stand verlangt oder zuläßt. Bemühen wir uns darum, daß die höchste Liebe in unserem Herzen allein Gott gehört und alles andere von uns nur um Gottes willen geliebt wird. Beleben wir in den letzten Tagen des Advents nochmals unseren hochherzigen Eifer, um uns von unseren ungeordneten Anhänglichkeiten loszureißen.

Entrümpeln wir dabei unser Herz und schaffen wir darin Raum in Stille, Sammlung und Gebet. Je mehr Platz unser göttlicher Erlöser in unserem Herzen an Weihnachten vorfinden wird, umso mehr wird Er sich uns in der Heiligen Nacht auf gnadenhafte Weise schenken.

Kämpfen wir zu diesem Zweck um eine immer reinere Absicht unsere Kräfte dem Wirken Gottes zur Verfügung zu stellen, wann, wo, und wie Er will. Stellen wir Ihm wie einst Maria einen Blankoscheck aus, damit Er ungehindert durch uns hindurch in die Welt hinein wirken kann. Drängen wir die Selbstsucht und den Ehrgeiz, den Stolz und vor allem unseren Eigensinn, entschieden zurück. Sprechen wir das „Ecce ancilla Domini – Siehe ich bin eine Magd des Herrn“ beim Angelus-Gebet voller Aufrichtigkeit.

Durch dienst- und opferbereite Hingabe ist Gott einmal durch die allerseligste Jungfrau in die Welt gekommen. Wenn wir Maria in ihrer jungfräulichen Hingabe ähnlich werden, so wird sich Gott würdigen, auch durch uns in die Welt hinein zu wirken. Bitten wir die allerseligste Jungfrau Maria, daß sie uns helfe in den uns noch verbleibenden Adventstagen die Gesinnungen ihres jungfräulichen Herzens in uns hervorzubringen und an ihrer einzigartigen Fruchtbarkeit teilnehmen zu dürfen, die schon durch den Propheten Isaias geschaut und verkündet wurde: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und seinen Namen wird man nennen ‚Emmanuel‘, das heißt Gott mit uns.“ Amen.

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