Das Ebenbild der Einfachheit Gottes

Geliebte Gottes!

Auf der Suche nach einer Haupteigenschaft des hl. Joseph könnten uns bestimmt verschiedene Begriffe einfallen. Und so wird er ja auch in den kirchlichen Gebeten, insbesondere in den sehr schönen und treffenden Anrufungen der St.-Josephs-Litanei ganz unterschiedlich angerufen und charakterisiert: natürlich als der Reinste, der Keuscheste, als der Gerechte. Und noch viele andere Eigenschaften des hl. Joseph werden dabei benannt. Aber vielleicht kann man in einem einzigen Begriff dieses Viele zusammenfassen.

Es fällt doch auf, daß wir vom hl. Joseph im Evangelium immer wieder lesen: Er vernahm etwas, das ihm z.B. im Traum gesagt, oder gezeigt wurde, und dann tat er es einfach. „Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht Maria zu dir zu nehmen“ (Mt. 1, 20). Und er nimmt sie zu sich. – „Steh auf, nimm das Kind und Seine Mutter und fliehe nach Ägypten“ (Mt. 2, 13). Und Joseph steht noch in der Nacht auf und tut es. Und nach Jahren wieder: „Steh auf, nimm das Kind und Seine Mutter und kehre zurück in das Land Israel, die dem Kind nach dem Leben trachten sind gestorben“ (Mt. 2, 20). Und wiederum, ohne ein Zögern stand er auf und handelte.

Es kommt einem dabei so vor, als wäre da für ihn überhaupt keine Schwierigkeit mehr zu überwinden gewesen, als ginge es um etwas rein Selbstverständliches. Also gleichsam um, das einfachste von der Welt: den Willen Gottes erfüllen. Gerade hierin finden wir die Eigenschaft, die den hl. Joseph vielleicht am besten charakterisiert: Die Einfachheit. Wir können den hl. Joseph als den „einfachen“ Menschen bezeichnen.

Wesen der Einfachheit

Wenn wir heute von einem Menschen sagen, dieser sei „einfach“, dann kommen uns sofort negative Gedanken. Man denkt dabei an einen „Simpel“, einen vielleicht primitiven Menschen; jemanden, der einfach gestrickt ist; der sich geistig auf einem niedrigen Niveau bewegt; oder der allzu blauäugig und naiv durch die Welt geht und sich ein X für ein U vormachen läßt. Aber das ist nicht die Einfachheit, von der wir hier sprechen.

Halten wir uns zunächst vor Augen, daß eine der wichtigsten Lehren über Gott, wie ihn uns die Kirche in ihrer ganzen Lehrtradition vorstellt, diese ist: „Gott ist absolut einfach!“ In ihm gibt es gewiß drei Personen. doch diese drei Personen sind in der einen und einzigen göttlichen Natur vereint. „Ich und der Vater sind eins“, sagt Christus. Die Wesenheit Gottes ist vollkommen einfach. Ohne ein Vielerlei. Ohne Spannungen. Ohne Konflikte und Widersprüche. Ohne Kompliziertheit! Und was man sich sonst noch alles, vom Menschen her betrachtet in Gott vorstellen könnte.

Während die heidnischen Gottesvorstellungen alles andere als einfach sind, ist die ewige Weisheit das unermeßliche Licht, das wir einmal in alle Ewigkeit schauen sollen, unendlich einfach. Und in diesem Kontext ist die Einfachheit eines Menschen nicht ein Negativum; nein, sie ist eine große Auszeichnung. Denn wer in einem hohen und edlen Sinne einfach ist, der ist gerade darin seinem Schöpfer und Herrn ganz besonders ähnlich. Beim hl. Joseph haben wir eine solche wunderbare Einfachheit vor Augen.

Woher rührt diese wahre Einfalt? – Wenn wir auf Gott blicken, so wissen wir, daß es zwar drei Personen in Gott sind, doch wir wissen auch, daß diese drei voneinander unterschiedenen Personen sich nur ein einziges göttliches Erkennen und ein einziges göttliches Wollen teilen. Menschlich gesprochen kommen Vater, Sohn und der Hl. Geist im Denken und Wollen vollkommen überein. Sie sind darin eins.

Die Einfachheit der Heiligen besteht nun darin, die drei göttlichen Personen gerade darin nachzuahmen. Das eigene Erkennen und Wollen vollkommen, ja restlos, dem göttlichen Erkennen und Wollen anzugleichen; durch einen erleuchteten Glauben und einen vollkommenen Gehorsam.

Das Gegenteil davon ist die Kompliziertheit einer Seele – da ist einerseits der Wille Gottes, den sie erkennt, aber da ist auch meine eigene Erwartung, das was ich wünsche, das was mein Eigenwille gerne hätte, was sich aber nicht in Deckungsgleichheit mit dem göttlichen Willen befindet. So führt die Kompliziertheit notwendig zu Spannungen und Konflikten.

Der Einfachheit entgegenstehende Hindernisse

Der Einfachheit und damit der Verähnlichung mit Gott stehen verschiedene Hindernisse entgegen. Einmal ist da der falsche Intellektualismus und jede falsche Übergenauigkeit anzuführen. D.h. das sich zu viel Gedanken machen; das grüblerische Nachsinnen; das übertriebene Problematisieren und sich ängstigen.

Jene Haltung also, die überall Bedenken anmeldet, die überall Probleme sieht, ja sich sogar Probleme konstruiert, wo eigentlich gar keine sind. Damit haben wir ja alle mehr oder weniger zu tun. – Wir haben da, wo wir uns viele Gedanken machen sollten, oft nur ganz wenige; und da wo wenige und einfache Ideen reichen würden einen ganzen Wust an Bedenken, eine Vielzahl an „Wenns“ und „Abers“ im Kopf, die dann das eigene Leben und auch das Zusammenleben mit den Mitmenschen alles andere als einfach sondern so richtig, richtig kompliziert machen.

Allzuoft trifft darauf dann auch das Wort Jesu auf uns zu: „Sie sieben die Mücken und schlucken das Kamel.“ Im Unbedeutenden sind wir übergenau, ja sogar akribisch. Und übersehen dabei einfach das Große, das eigentlich Wichtige. Und das ist der Einfachheit entgegengesetzt. Da kann man nicht mehr einfach vernehmen, etwas als Gottes Willen einfach erkennen und es sogleich in die Tat überführen. Dann wird alles zum Problem, ja zum Konflikt.

Der hl. Joseph ist ganz offensichtlich frei von dieser Krankheit eines falschen Intellektualismus, der alles noch einmal umdreht, und spiegelt und eine Sache da, wo eigentlich gar keine Fragen mehr zu stellen sind, noch einmal verkompliziert. Und deshalb funktionierte es bei ihm auch so einfach.

Die Einfachheit der schlichten Folgsamkeit

Übrigens ist diese Einfachheit überhaupt kein Gegensatz zu einer hohen Geistigkeit. Auch nicht zu einer großen Bildung!

Wir kennen unter den großen Heiligen manche, die in ihrer Zeit, als die gewaltigsten Geistesgrößen galten und es auch waren, die aber dabei doch ganz schlicht und einfach waren. – Als etwa der hl. Thomas von Aquin sein Leben beschloß; er, der die Spitze der Scholastik, also der Gottesweisheit des Mittelalters erklommen hatte, und noch einmal beichtete; da gab anschließend der Priester, der seine Beichte gehört hatte unter Tränen die Auskunft – nein, er hat damit nicht das Beichtgeheimnis gebrochen: „Es war die Beichte eines fünfjährigen Kindes.“ Thomas von Aquin war eine kindliche Seele, aber alles andere als ein kindischer Simpel. Er war eben, bei aller Gelehrtheit, zutiefst einfach und darin Gott ähnlich.

So ist uns die erste Weise des „Einfachseins“, die uns im hl. Joseph so leuchtend entgegentritt, klarer geworden: sein schlichtes „die Wahrheit als das Wahre annehmen“ und dann auch durchführen. Es ist die schlichte Folgsamkeit.

Die Einfachheit des Gottvertrauens

Wir stellen außerdem beim hl. Joseph noch eine zweite Weise des „Einfachseins“ fest. Als eine Eigenschaft von Kindern wird ja immer wieder ihre Vertrauensseligkeit hervorgehoben. Es ist wohl den Kleinen, durch das Wirken des hl. Schutzengels, und auch durch einen von Gott verliehenen Instinkt, die Gabe gegeben, daß sie verspüren, wem sie vertrauen können, und wem nicht. Und umso schlimmer natürlich, wenn ein Kind hinters Licht geführt, ja sogar zum Bösen verführt wird. – Diese kindliche Vertrauensseligkeit hört dann auf, wenn man entweder sehr enttäuscht wurde, oder wenn man zu viel auf sein eigenes Urteil gibt. Und auch da, wo man es beispielsweise mit einem offensichtlich guten Menschen zu tun hat, anfängt alles mißtrauisch zu hinterfragen, und den anderen gleichsam psychologisierend auf die Couch zu legen. Dann ist es mit dem Vertrauen aus.

Wie wunderbar ist in diesem Kontrast, das Vertrauen des hl. Joseph? Trotz all der Bedrängnisse, der Unwägbarkeiten, der Sorgen, der Dunkelheiten, in die er durch Gottes Vorsehung hineingestellt wurde; trotz der für den menschlichen Geist nicht mehr nachvollziehbaren Aufträge, die er von Gott erhält. Trotz alledem wird er nicht mißtrauisch und ängstlich, sondern er befolgt sie ganz einfach. Denn er weiß, – und zwar nicht nur in seinem Verstand, sondern auch im tiefsten Grund seines Herzens – daß er ganz und gar in der Hand Dessen ruht, der alles trägt; und dem nichts, aber auch gar nichts entgleiten kann. Diese Vertrauensseligkeit Gott gegenüber ist also die zweite Form der Einfachheit, die wir beim hl. Joseph erkennen.

Und daher ist ein echter, starker und tiefgründender Glaube immer einfach. Denn letztlich besteht er in einem schlichten „sich Gott übergeben“. Alles das annehmen, was Er uns sagt. Und auch in all Seine Fügungen – mögen sie auch noch so undurchschaubar, noch so dunkel sein – einwilligen. Denn wir wissen: Was Gott tut, das ist wohlgetan. Gott macht keine Fehler.

Die Einfachheit der Selbstvergessenheit

Und schließlich sei noch eine dritte Weise der Einfachheit, wie wir sie am hl. Joseph finden, hervorgehoben – die Selbstvergessenheit. Wir Menschen sind in unserem Inneren oft von Widersprüchen gekennzeichnet. Wir erstreben etwas Gutes und haben dabei vielleicht sogar eine grundsätzlich gute Gesinnung dabei, aber es mischen sich doch gleichzeitig auch andere widersprüchliche Motive, die oft unserer Selbstsucht, unserer Bequemlichkeit oder unserem Stolz entspringen, mit hinein.

Da hat beispielsweise jemand die hl. Fastenzeit mit großartigen Vorsätzen begonnen: „Ich werde dieses Jahr fasten, mehr als je zuvor, allein Dir zu Ehre, mein Gott!“ Aber es ist dabei doch gleichzeitig auch der Gedanke an die Gesundheit oder an die schlanke Linie damit verbunden. Vielleicht sogar so stark damit verbunden, daß die religiöse Motivation zuweilen ins Hintertreffen gerät. – Oder: Jemand faßt aus ehrlicher Nächstenliebe den Entschluß, jemandem, der seiner Unterstützung bedarf, der in Not ist, seine helfende Hand zu reichen. Aber es gesellt sich gleichzeitig der berechnende Hintergedanke hinzu, sich durch die geleistete Hilfe auch eine entsprechende Gegenleistung zu einem späteren Zeitpunkt, sichern zu können. Also die Absicht das Gute zu tun, um Verbindlichkeiten zu schaffen. – Oder jemand verbringt viel Zeit im Gebet, geht auch werktags in die Kirche, und ist doch dabei nicht ganz von dem Wunsche frei, von den anderen gesehen und für vorbildlich gehalten zu werden. Die Körperhaltung, die eine solche Person in der Kirchenbank einnimmt, ist nicht die gleiche, wenn sie sich alleine dort befindet, oder wenn gleichzeitig auch andere Personen im Gotteshaus zugegen sind. Hier erkennen wir eine dritte Art an Mangel an Einfachheit. Nämlich – die geteilte Gesinnung. Man dient nicht Gott allein, sondern mischt auch andere Absichten bei.

Eine Mystikerin hat einmal über den hl. Joseph gesagt: Gerade das habe ihn in den Augen Gottes so wohlgefällig, so wunderschön gemacht, weil er von leuchtend reiner und einfacher Gesinnung gewesen sei. Da ist nicht noch dieses oder jenes, was er „für sich selbst“ erstrebt; nein, es geht ihm um die Ehre Gottes; und zwar allein um die Ehre Gottes. Sich selbst, seine Wünsche und Erwartungen hat er ganz vergessen. Es geht ihm um diese wunderbare, von Gott erwählte Jungfrau, die ihm anvertraut ist. Es geht ihm um den Schutz dieses Kindes, das seinen Ursprung in Gott hat, das selbst der menschgewordene Gott ist. Jedoch darüber hinaus noch irgendwelche eigenen Interessen zu erstreben, sich einen großen Namen zu machen, etwas zu schaffen, worüber die Nachwelt noch staunen wird; von den Menschen bewundert zu werden, das fällt beim hl. Joseph weg. – Ja, es fällt nicht nur weg, sondern in seinem einfachen Blick auf Gott und dessen Willen, verliert er sich förmlich. Da kommen alle diese allzumenschlichen Gedanken gar nicht mehr in sein geistiges Blickfeld. Insofern ist er also wiederum der ganz einfache. Ein Abbild, der allesüberstrahlenden Einfachheit Gottes selbst.

Wenn wir uns also mit unseren Anliegen, mit unseren Sorgen an ihn wenden. Wenn wir den hl. Joseph das Wohl unseres Leibes und unserer Seele, und auch das Wohl der uns anvertrauten Menschen und unserer Kirche übergeben, dann wissen wir es gerade deshalb so gut bei ihm aufgehoben, weil er der ganz einfache ist: der schlicht Folgsame, der Vertrauensselige Gott gegenüber und der ganz Selbstvergessene.

Eine solche Einfalt vermag bei Gott geradezu alles zu erreichen. So ist es auch nicht verwunderlich, daß so viele gläubige Menschen es erleben dürfen, wie gerade die Anrufung des hl. Joseph in schweren, schwersten, und wenn es sich noch steigern läßt, in aller-schwersten Sorgen geholfen hat. Wenden wir uns also in einer solchen Einfachheit, Vertrauensseligkeit und Selbstvergessenheit an den, welchen der ewige Vater zum Nährvater seines Sohnes und zum Schützer der hl. Familie gemacht hat. Verehren wir ihn nicht nur mit schönen Gebeten und Litaneien, verehren wir ihn gerade dadurch, daß wir von ihm lernen, was es heißt, ganz einfach zu sein. Hl. Joseph, du Vorbild leuchtender Einfachheit – bitte für uns. Amen.

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