Die Gaben des Heiligen Geistes

Geliebte Gottes!

Seit geraumer Zeit versuchen wir uns eingehender mit dem übernatürlichen Organismus unserer Seele zu befassen; mit dem was man „ewiges Leben“ nennt. Dabei haben wir festgestellt, daß das ewige Leben schon am Tag unserer Taufe begonnen hat, als wir übernatürlich wiedergeboren wurden im Wasser und im Heiligen Geist, als wir Anteil an dem ewigen Leben Gottes empfingen und seitdem die drei göttlichen Personen – Vater, Sohn und Heiliger Geist, in unserer Seele wohnen wie in einem Tempel.

Doch ist das ewige Leben im Neugetauften keineswegs bereits vollkommen ausgewachsen. Es verhält sich, verglichen mit dem ewigen Leben, welches die Engel und Heiligen im Himmel führen, wie der Keimling zum ausgewachsenen Baum. Wir heißen zwar Kinder Gottes und sind es, aber das ewige Leben in uns ist noch gefährdet, schwach und unterentwickelt. Wir erkennen Gott im Dunkel des Glaubens, aber schauen Ihn noch nicht unmittelbar von Angesicht zu Angesicht, wie es die Heiligen des Himmels tun. Weil wir Gott noch nicht schauen, wie Er sich selber sieht, deshalb lieben wir Ihn auch noch nicht so vollkommen, wie Er sich selbst liebt und wie ihn die Heiligen des Himmels jetzt lieben. Auch ist das ewige Leben, solange wir hier auf Erden sind, zerbrechlich. Eine einzige Todsünde genügt, um den gesamten übernatürlichen Organismus mit einem Schlag zu vernichten.

Zusammenspiel der natürlichen und der eingegossenen Tugenden

Wie jedes Leben durch die Betätigung erstarkt, wächst und zur Reife gelangt, so ist es auch beim ewigen Leben. Das Gnadenleben erstarkt u.a. durch die übernatürlichen Werke, in denen es sich betätigt. Damit das Gotteskind aber überhaupt auf seinem Weg zur ewigen Vollkommenheit übernatürlich tätig werden kann, sind der Seele mit dem Leben der heiligmachenden Gnade gleichzeitig auch die übernatürlichen Tugenden eingegossen worden. Wir haben die eingegossenen Tugenden zuletzt mit den Ruderriemen eines Schiffes verglichen. Ohne Ruder ist ein Schiff den Launen der See ausgeliefert. Ohne Ruder kann es nicht vorwärts kommen, geschweige denn auf ein bestimmtes Ziel zugesteuert werden. Wie es dem Schiff erst durch seine Ruderriemen ermöglicht wird Kurs zu halten, gefährliche Untiefen zu umschiffen und sich kraftvoll, Zug um Zug, dem angestrebten Ziel zu nähern, so wird es dem Gotteskind erst durch die eingegossenen Tugenden möglich, dem Ziel der Vollkommenheit näher zu kommen.

Damit sich die Ruderriemen eines Schiffes jedoch tatsächlich bewegen, müssen kräftige, ausdauernde Ruderer an den Ruderbänken sitzen, und die Riemen betätigen. – Wenn etwa einem trunksüchtigen Menschen, aufgrund seines Lasters die natürliche Tugend der Mäßigkeit ermangelt, so kann er durch eine reuevolle Beichte zwar den Gnadenstand und alle eingegossenen Tugenden, darunter auch die eingegossene Mäßigkeit, zurückerlangen. Doch muß er sich dringend darum bemühen, durch wiederholte Übung im Maßhalten, auch die natürliche Tugend der Mäßigkeit zu erwerben. Denn ohne die erworbene Mäßigkeit fehlt der kräftige Ruderer, welcher den Riemen der eingegossenen Mäßigkeit bedient.

Die Ruderer, sind also unsere natürlichen, durch Übung erworbenen Tugenden, welche die tausend alltäglichen Handlungen unseres ganzen sittlichen Lebens regeln. Für sich genommen sind ihre natürlichen Kräfte wertlos für die Ewigkeit, so wie die Muskelkräfte der Ruderer alleine, ohne Ruderriemen, nichts nützen. Die Arme der Ruderer sind zu kurz. Sie reichen nicht bis ins Wasser und können das Schiff nicht vorwärts bringen. Aber durch die Ruderriemen, werden die Arme der Ruderer verlängert und ermöglichen es ihnen ihre Kräfte mit Hebelwirkung ins Wasser zu übersetzen und das Schiff voranzutreiben. Entsprechend ermöglichen es die eingegossenen Tugenden den erworbenen, ihre an sich natürlichen Kräfte auf die Ebene der Übernatur zu übersetzen, und die Seele dem Hafen der Vollkommenheit entgegen zu ziehen.

An Bord des Seelenschiffes arbeitet also die erworbene Tugend der Mäßigkeit am Ruderriemen der eingegossenen Mäßigkeit, der erworbene Starkmut am Riemen des eingegossenen Starkmutes, die erworbene Demut am Riemen der eingegossenen Demut, usw. Die eingegossenen, übernatürlichen Tugenden übersetzen also die Anstrengungen unserer erworbenen Tugenden, auf die Ebene der Übernatur. Obwohl es wirklich übernatürlich gute Handlungen sind, tragen sie doch den Stempel unserer menschlichen Urheberschaft an sich. Es sind unsere Handlungen, unsere guten Werke. Es sind übernatürlich gute, und damit verdienstliche Werke. Nichtsdestotrotz haftet ihnen jedoch eine gewisse Unvollkommenheit an.

Notwendigkeit der Gaben des Heiligen Geistes

Christus fordert jedoch von den Söhnen Gottes: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt. 5, 48). Um dem Ideal der Gotteskindschaft zu entsprechen, müssen unsere Handlungen also nicht nur „übernatürlich gut“ und „verdienstlich“, sondern darüber hinaus auch „vollkommen“ sein! Weil die Vollkommenheit unserer guten Werke jedoch vom Grad der erworbenen Tugenden abhängig ist, so bleiben unsere guten Werke stets unvollkommen, schwach, schwerfällig und armselig. Die tägliche Erfahrung beweist, daß es unseren Werken oft an vernünftiger Überlegung und an Tugendkraft ermangelt und wir für gewöhnlich nichts Großes fertigbringen, daß wir also wie ungeübte Ruderer im Zick-zack-Kurs dahinfahren, statt direkt und zielstrebig die Vollkommenheit anzustreben. Der hl. Thomas sagt: „Die menschliche Vernunft, selbst die durch die göttlichen Tugenden vervollkommnete, vermag nicht alles zu erkennen, was zu wissen wichtig wäre, noch auch sich vor aller Verirrung [stultitia = Dummheit] zu bewahren. Nur der Allwissende und Allmächtige kann unsere Unwissenheit, Schwerfälligkeit, oder geistliche Torheit, Herzenshärte und andere Fehler dieser Art heilen“ (S.th. I-II, q. 68, a. 2, ad 3).

Um nun der Forderung – „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ – gerecht werden zu können, müssen folglich noch solche übernatürlichen Seelenkräfte angenommen werden, welche über die eingegossenen Tugenden hinausragen. Kräfte, die im Menschen übermenschlich, vollkommen, ja, göttlich wirken. Kräfte, bei denen der Heilige Geist selbst, der ja in der Seele wohnt, in den Vordergrund tritt und unseren Handlungen den Stempel Seiner göttlichen Vollkommenheit aufdrückt. Diese überragenden Seelenkräfte, welche die sieben Haupttugenden vervollkommnen, sind das, was wir die „sieben Gaben des Heiligen Geistes“ nennen.

Die Gaben des Heiligen Geistes in der Heiligen Schrift

Sowohl aus dem Alten wie aus dem Neuen Testament gewinnt man den unbeirrbaren Eindruck, daß der Geist Gottes im Gerechten lebt und wirkt, um dessen sittliches Leben leichter, sicherer und vollkommener zu gestalten. Die Lehre von den sieben Gaben des Heiligen Geistes ist hauptsächlich in der Weissagung des Propheten Isaias enthalten. Sie lautet: „Es wird auf Ihm ruhen der Geist des Herrn; der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Wissenschaft, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn“ (Is. 11, 2 f.). Die Väter haben das Ruhen des Heiligen Geistes und seine siebenfältige Wirkungsweise primär auf den Messias gedeutet und sodann, in einer Art Teilnahme, auch auf alle Gotteskinder, denen Christus ja die Sendung des Heiligen Geistes versprochen hatte. Christus selbst, der menschgewordene Sohn Gottes, ist das Urbild, das in der Folge in allen gnadenhaft angenommenen Söhnen Gottes seine Nachbildung findet. Konkret erfüllte sich die Isaias-Prophetie bei der Taufe Jesu im Jordan. Als Jesus aus dem Wasser stieg, da „erscholl eine Stimme aus den Himmelsräumen: Du bist Mein geliebter Sohn, an Dir habe Ich Mein Wohlgefallen“ (Mk. 1, 11). Gleichzeitig mit dieser öffentlichen Sohneserklärung erschien der Heilige Geist sichtbar über Jesus in Gestalt einer Taube (vgl. Mt. 3, 16; Mk. 1, 10; Lk. 3, 22), was der hl. Johannes der Täufer selbst bezeugt hat: „Ich sah den Geist wie eine Taube aus dem Himmel herabschweben, und Er blieb auf Ihm. … Ich selbst habe es gesehen und bin Zeuge dafür geworden. Dieser ist der Sohn Gottes“ (Joh. 1, 32. 34). Die Gaben des Heiligen Geistes sind also etwas den Söhnen Gottes eigenes und bleibendes.

Ferner beschreiben die Synoptiker, wie sich die Wirkungen der Geistesgaben unmittelbar an der Seele Christi bemerkbar machten. Der hl. Matthäus schreibt: „Darauf [nach der Taufe] wurde Jesus vom Geist in die Wüste hinausgeführt, um vom Teufel versucht zu werden“ (Mt. 4, 1). Der hl. Markus unterstreicht dabei den kraftvollen Antrieb wenn er sagt: „Gleich darauf trieb Ihn der Geist in die Wüste hinaus“ (Mk. 1, 12). Wie durch einen Sturmwind wird Jesus vom Heiligen Geist in die Wüste hinausgetragen. Der hl. Lukas schließlich schreibt: „Jesus aber kehrte voll des Heiligen Geistes vom Jordan zurück. Dann wurde Er vom Geist in der Wüste umhergeführt, vierzig Tage lang, wobei Er vom Teufel versucht wurde“ (Lk. 4, 1 f.). Aus den lukanischen Worten klingt nicht nur das einmalige, sondern vor allem das fortwährende Einwirken des Heiligen Geistes auf die Seele unseres Herrn heraus.

Später hat Christus im Abendmahlsaal verheißen, wem Er Anteil am Gottesgeist geben werde: „Wenn ihr Mich liebt, haltet Meine Gebote.“ Das ist die Bedingung. Die übernatürliche Liebe, die sich im Halten der Gebote beweist – also der Gnadenstand. Und Christus fuhr fort: „Und Ich will den Vater bitten, daß Er euch einen anderen Tröster sende, damit Er bei euch bleibe [!] für ewig, den Geist der Wahrheit … Er wird in euch sein … Der Heilige Geist, den der Vater euch in Meinem Namen senden wird, wird euch alles lehren und euch alles eingeben [!], was immer ich euch gesagt habe“ (Joh. 14, 16-26). An Pfingsten wurde diese Verheißung an den Aposteln und Jüngern verwirklicht und seitdem bei jeder Taufe und Firmung, wo sich über der Seele gleichsam der Himmel öffnet und die Stimme des Vaters erschallt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Und dabei der Heilige Geist herabsteigt: „Der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Wissenschaft, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn.“

Das Wesen der Gaben des Heiligen Geistes

Um nun einen klaren Begriff von den Gaben des Heiligen Geistes zu bekommen und zu erkennen, inwiefern sie sich von den Tugenden unterscheiden, sagt der hl. Thomas von Aquin: „Um die Gaben von den Tugenden zu unterscheiden, muß man der Redeweise der Heiligen Schrift folgen, die sie nicht eigentlich Gaben nennt, sondern ‚Geister‘. So heißt es bei Isaias: ‚Es wird auf Ihm ruhen der Geist der Weisheit und des Verstandes …‘ usw. Diese Worte geben uns klar zu verstehen, daß die sieben dort aufgezählten ‚Geister‘ in uns sind durch eine göttliche Einhauchung oder eine von außen kommende [höhere] Bewegung des Heiligen Geistes“ (S.th. I-II q. 68, a. 1).

Wir haben gesagt, die Tugenden sind jene erworbenen Fertigkeiten, durch die der Mensch befähigt ist, aus sich selbst (!) heraus schnell, leicht, und freudig das Gute zu tun. Sein Tun und Lassen wird dabei von der Tugend der Klugheit gelenkt. Die Klugheit überlegt und denkt beständig darüber nach, ob und wann und wie diese oder jene Tat gut und angemessen sei. Das notwendige Überlegen der Klugheit gibt den menschlichen Handlungen jedoch eine gewisse Schwerfälligkeit, Zögerlichkeit und Unentschlossenheit. Angesichts einer indiskreten Frage weiß selbst die eingegossene Tugend der Klugheit nicht sofort, was sie antworten soll. Sie ist unentschlossen, wie sie das Geheimnis hüten kann, ohne dabei zu lügen. – Um diese Unvollkommenheit zu beheben, wirkt der Gottesgeist von außen mit Seinem siebenfältigen Hauch auf die Seele ein, um sie selbst unmittelbar anzutreiben. Um die Seele für diese siebenfache Einwirkung empfänglich zu machen, ist das Gotteskind mit den sieben Gaben, gleichsam mit sieben Instinkten, ausgestattet. Mit bleibenden Fertigkeiten also, die den Menschen befähigen, ohne nachdenken zu müssen, willig, schnell, und freudig der Lenkung des Heiligen Geistes Folge leisten (!) zu können. In diesem Sinne sagt der hl. Paulus: „Alle, die vom Geiste Gottes getrieben werden, sind Kinder Gottes“ (Röm. 8, 14).

Der hl. Thomas betont jedoch in seinem Kommentar zu dieser Stelle, daß „instinktiv“ nicht heißen soll, daß durch die Gaben die menschliche Freiheit aufgeboben würde. Der Mensch wird nicht zum Tier degradiert, sondern zur vollkommensten Freiheit erhöht, um den göttlichen Hauch, von aller Hemmung und Unschlüssigkeit befreit, aufnehmen und in die Tat umsetzen zu können. Der hl. Thomas sagt von der passiven Bewegung des menschlichen Willens durch die Gaben: „Ähnlich neigt auch der übernatürliche Mensch weniger aus der Eigenbewegung seines Willens, als vielmehr aus dem Antrieb des Heiligen Geistes zur Tat, nach jenem Wort bei Isaias: ‚Denn er kommt wie ein reißender Strom, den der Geist des Herrn daherjagt …‘ (Is. 59, 19) und nach Lukas [wo gesagt wird,] daß Christus vom Geist in die Wüste geführt worden sei. Jedoch wird damit nicht ausgeschlossen, daß der übernatürlich eingestellte Mensch mit Wille und Freiheit handelt, denn gerade die Bewegung des Willens und der Wahlfreiheit verursacht in ihm der Heilige Geist nach [den Worten des hl. Paulus] Phil. 2, 13: ‚Denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen wie auch das Vollbringen bewirkt‘“ (super ep. ad Rom. 8, 14, lect. 3).

Das Gotteskind liebt Gott also, weil es meint, nicht anders zu können. Aber es liebt Ihn mit bewußter, freier Liebe. Hierin besteht der Unterschied zum tierischen Instinkt, der unbewußt und zwanghaft ist. Die Gaben bewegen den Menschen also auf menschliche Weise. Papst Leo XIII. hat diese Auffassung der Gaben des Heiligen Geistes in seiner Enzyklika „Divinum illud munus“ bestätigt, wo er sagt: „Der Gerechte, der das Leben der Gnade hat und der durch die Tugenden als durch [neue] Fähigkeiten handelt, hat sieben Gaben absolut notwendig, die genauer Gaben des Heiligen Geistes heißen. Durch diese Gaben wird der Geist des Menschen erhoben und befähigt, leichter und rascher den Einsprechungen und Antrieben des Heiligen Geistes zu gehorchen. Daher sind diese Gaben auch von solcher Wirksamkeit, daß sie den Menschen zur höchsten Stufe der Heiligkeit führen; sie sind so ausgezeichnet, daß sie auch im Himmel bleiben, freilich in vollkommenerem Grade. Dank ihrer Hilfe wird die Seele angeregt und angeleitet, die [acht] Seligkeiten des Evangeliums zu erlangen.“

Wie kann man also die Gaben des Heiligen Geistes definieren? Was sind die Gaben des Heiligen Geistes? – Die Gaben des Heiligen Geistes sind jene heilsnotwendigen, bleibenden Fertigkeiten, welche die begnadete Seele befähigen, die Erleuchtungen und Eingebungen des Heiligen Geistes leicht, schnell und freudig aufzunehmen und zu tun, wodurch ihre Handlungen vollkommen werden.

Kraft der Gaben haben die Söhne Gottes ein instinktives Gespür für die Hand, und ein instinktives Gehör für die Stimme des Heiligen Geistes, dem sie ohne langes Überlegen prompt und bereitwillig gehorchen. Wodurch unterscheiden sich die Gaben von den Tugenden? – Die Tugenden erleichtern das vernünftige Handeln. Die Gaben lenken uns, das Gute zu tun. – Die Tugenden stehen unter der Leitung unserer Vernunft. Die Gaben stehen unter der Leitung des Heiligen Geistes. – Durch die Tugenden sind wir befähigt aktiv Gutes zu wirken. Durch die Gaben folgen wir passiv der Eingebung des Heiligen Geistes zum Vollkommenen. – Die Tugenden üben wir, wie wir es wollen. Die Gaben unterliegen nicht unserem Willen. – Die Tugenden sind Ruder. Die Gaben sind Segel. Und der Wind ist der Heilige Geist, der weht, wann und wie Er will.

Die Segel der Seele

Dieser letzte Gedanke führt uns zurück zu unserem eingangs gemachten Vergleich mit dem Schiff. Demnach wären die Gaben des Heiligen Geistes, gleichsam sieben Segel, welche das Schiff bereit machen, dem Antrieb eines günstigen Windes zu folgen. Durch diese Gelehrigkeit passiver Art helfen sie uns, jene vorzüglichen Werke zu vollbringen, an denen die menschliche Gebrechlichkeit allzuoft scheitert. Wie gesagt, verhält sich selbst die eingegossene Klugheit gegenüber einer indiskreten Frage zögernd. Sie weiß nicht recht, wie sie das Geheimnis bewahren kann, ohne zu lügen, während uns eine besondere Eingebung des Heiligen Geistes durch die Gabe des Rates aus der Verlegenheit befreit, wie es Jesus Seinen Jüngern angekündigt hatte: „Wenn sie euch aber überliefern, so macht euch keine Sorge, wie oder was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn nicht ihr seid es die da sprechen, sondern der Geist euers Vaters ist es, der in [!] euch sprechen wird“ (Mt. 10, 19 f.).

Die Heiligen sind in dieser Hinsicht wie große Segler, auf denen alle sieben Segel entfaltet sind und den Antrieb des Windes auffangen, so wie es sein muß und der sie viel schneller und müheloser der Vollkommenheit entgegenträgt, als dies durch angestrengtes, zielstrebiges Rudern möglich wäre. Die Kunst des Segelns lehrt, die Segel im günstigen Augenblick zu hissen und sie so zu spannen, wie es zur Ausnützung des günstigen Windes entsprechend ist, wie uns Christus lehrt: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst seine Stimme, aber du weißt nicht, woher er kommt oder wohin er geht; so ist es mit jedem, der aus dem Geiste geboren ist“ (Joh. 3, 8). Obwohl wir seine Stimme hören, kommentiert dazu der hl. Thomas, wissen wir nicht, woher genau der Wind kommt, der jetzt weht, noch auch, bis wohin er wehen wird. Ebenso wissen wir nicht, wo im Einzelnen eine aktuelle göttliche Eingebung ihren Anfang nimmt, noch auch, bis zu welchem Grad der Vollkommenheit sie uns führen würde, wenn wir ihr gegenüber ganz treu wären (vgl. super Joan. 3, 8).

Für gewöhnlich ist die göttliche Einwirkung durch die Gaben des Heiligen Geistes auf die Seele des Anfängers im geistlichen Leben zumeist verborgen, dabei aber ziemlich häufig. Er läßt an den sanften Windhauch denken, der nur die Arbeit der Ruderer erleichtert. Wir haben wohl alle bereits die Erfahrung gemacht, daß es Tage gibt, an denen es sehr mühsam ist gut zu beten, und Tage, an denen wir gleichsam auf einer Wolke der Andacht schweben. Die ersteren sind Flauten-Tage, an denen wir mühsam im Schweiße unseres Angesichts rudern müssen. An den anderen begleitet unser Rudern eine sanfte Briese, welche die Gabe der Frömmigkeit aufnimmt und uns das Rudern erleichtert. – Der hl. Johannes vom Kreuz sagt: „Sie [die Bewegung durch die Gaben] offenbart sich mitunter in einer so zarten und feinen Weise, besonders wenn sie zugleich rein, einfach, vollkommen und wahrhaft geistig innerlich ist, daß die Seele sie zwar wirklich besitzt, aber es nicht bemerkt und es nicht wahrnimmt“ („Aufstieg zum Berge Karmel“ II, 12). Hingegen ist es bei den Anfängern selten, daß die Wirkung der Gaben auffallend und wahrnehmbar in Erscheinung treten. – Bei den fortgeschrittenen und vollkommenen Seelen treten die Gaben dann häufig derart in Erscheinung, daß sich die Seele dieses Einflusses auch bewußt ist.

Alle geistlichen Schriftsteller stimmen überein, daß die Eingebungen des Heiligen Geistes, dem günstigen Windhauch vergleichbar, für gewöhnlich anfangs verborgen, fast nicht wahrnehmbar sind und daß sie, wenn man ihnen nicht widersteht, im allgemeinen stärker, drängender werden. Seien wir also nicht wie Segler, die aus Nachlässigkeit nicht auf den günstigen Wind achten und darum ihre Segel zusammengefaltet halten, wann sie ausgespannt sein müßten.

Voraussetzungen für die Entfaltung der Gaben

Doch an welche Bedingungen ist die Entfaltung der Gaben des Heiligen Geistes geknüpft, die für die Seele gleichsam wie sieben Segel sind?

  1. Der Gnadenstand: Genauso wie die eingegossenen Tugenden aus der heiligmachenden Gnade hervorfließen und deshalb mit einer einzigen Todsünde zugrunde gehen, so gilt das gleiche für die Gaben des Heiligen Geistes. Der Mast an dem die sieben Gaben gleich den Segeln eines Schiffes aufgehängt sind, ist die übernatürliche Liebe. Die Todsünde zerstört die übernatürliche Liebe und kommt somit einem Mastbruch gleich, der es fortan unmöglich macht, die Eingebungen des Heiligen Geistes aufzunehmen.
  2. Wachstum in den Tugenden: Um die hohe Lehre eines großen Meisters aufzunehmen, braucht es eine besondere Vorbereitung. Der Erstklässler ist außerstande die höhere Belehrung eines Mathematikprofessors entgegenzunehmen. Er verfügt noch nicht in hinreichendem Maß über die mathematischen Grundkenntnisse, die er sich erst im Laufe seiner Schullaufbahn aneignen muß. – Die Gaben sind, wie wir gesagt haben, zur Vervollkommnung der Tugenden gegeben. Der Grad, in dem nun die sieben Gaben des Heiligen Geistes ihren Einfluß auf das Leben der Seele ausdehnen können, bemißt sich folglich nach der Größe der vorhandenen Tugenden. Wie der hl. Thomas sagt, wachsen die Tugenden aufgrund ihrer Verbundenheit mit der übernatürlichen Liebe gleichmäßig, wie die fünf Finger einer Hand gleichmäßig wachsen (vgl. I-II, q. 66, a. 2). Demensprechend können sich die sieben Gaben in dem Maß entfalten, als die Tugenden zunehmen, bzw. die göttliche Liebe wächst.In unserem Bild, würde das heißen: Je höher der Mast emporragt, umso mehr Segel können gesetzt werden. Der Mast, so sagten wir, ist die übernatürliche Liebe. Je größer die Liebe ist, um so mehr von den sieben Gaben, können ihre Wirksamkeit entfalten. Bei den Anfängern sind zwar alle sieben Segel vorhanden, aber der Mast der übernatürlichen Liebe ragt noch zu wenig hoch auf, weshalb im wesentlichen nur die unteren drei Segel – nämlich die Gaben der Gottesfurcht, der Frömmigkeit und der Wissenschaft – ihre Wirkung entfalten können. Bei den Fortgeschrittenen kommen mehr und mehr die Gaben Stärke und Rat hinzu. Jedoch erst bei den Vollkommenen ist die Liebe groß genug, damit auch die Gabe des Verstandes und der Weisheit zur vollen Entfaltung kommen können.
  3. Inneres Schweigen: Man muß, wie die geistlichen Lehrer sagen, das innere Schweigen bewahren, um auf die Eingebung des Heiligen Geistes aufmerksam zu sein; sie zu vernehmen und sie dann von jener zu unterscheiden, die uns täuschen könnte. Die „Nachfolge Christi“ sagt mehrmals: „Merke dir dies, meine Seele, und verschließe die Tore deiner Sinnlichkeit, damit du hören kannst, was der Herr, dein Gott, in dir redet“ (III, cap. 1, 2, 3).
  4. Folgsamkeit: Die Gaben des Heiligen Geistes machen die Seele, wie wir sagten, geneigt zur Folgsamkeit gegen dessen Eingebungen und Erleuchtungen. Doch bedeutet das nicht, daß die Seele auch tatsächlich unfehlbar den Eingebungen des Heiligen Geistes Folge leistet. Die Gaben heben die Wahlfreiheit des Menschen nicht auf. Die Tugenden sind vereinbar mit gewissen Bedenken und Widerständen der Natur. Die Gaben hingegen dulden keine Diskussion, sondern verlangen gebieterisch die sofortige Zustimmung und getreue Folgsamkeit. Deshalb muß die Seele, wie bei der Tugend des Gehorsams offen und willig sein, den Willen eines anderen – nämlich den Willen des Heiligen Geistes – aufzunehmen, sich zu Eigen zu machen und treu in die Tat umzusetzen. Wenn sich die Seele hingegen nicht der höheren Lenkung auf gelehrige Weise öffnet, um sie aufzunehmen und danach zu handeln, wird sich der Heilige Geist dezent zurückhalten und die Seele ihrer eigenen, unvollkommenen Tätigkeit überlassen.

Mach Platz dem Heiligen Geist!

Die Gaben des Heiligen Geistes liegen keimhaft und wurzelhaft in jedem Getauften und Gefirmten, der in der heiligmachenden Gnade lebt. Im Taufritus befiehlt der Priester: „Da lócum Spirítui Sáncto Paráclito! – Mach Platz dem Heiligen Geist!“ Vertreiben wir also den Geist der Selbstsucht und des Eigenwillens. Bekämpfen wir den Materialismus und die Sinnlichkeit in uns. Dann werden wir innerlich leer; dann werden wir hungrig und durstig nach dem Geistigen; dann wachsen wir in der übernatürlichen Liebe, übergeben uns bedingungslos und widerstandslos der Führung des Heiligen Geistes. Dann sind die Segel gesetzt und alles andere macht sich von selbst.

So wollen wir also nicht nur an Pfingsten, sondern täglich beten: „Komm, o Geist der Heiligkeit aus des Himmels Herrlichkeit, sende Deines Lichtes Strahl! Vater aller Armen Du, aller Herzen Licht und Ruh‘, komm mit Deiner Gaben Zahl!“ Amen.

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