Der Erntetag der Gottesmutter

Geliebte Gottes!

In den Psalmen, also in den vom Geist Gottes selbst verfaßten Lobliedern, heißt es: „Die in Tränen säen, werden in Freuden ernten. Sie gehen weinend hin und streuen ihren Samen aus. Sie kehren jauchzend heim und tragen ihre Garben“ (Ps. 125, 5-6). – Heute, am Fest der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel, an die Ernte zu denken, scheint sehr passend zu sein. Maria, die unbefleckte Tochter des ewigen Vaters, die jungfräuliche Mutter des eingeborenen Sohnes, und die makellose Braut des Heiligen Geistes; das kostbarste Geschöpf der gesamten Schöpfung; die wertvollste Frucht, die der Erde entsprossen ist, wird heute heimgeführt, auf den Armen der Engel empor getragen, hinein in die Herrlichkeit Gottes.

Da der Tod eine Strafe der Sünde ist, so scheint es zunächst, daß die unbefleckte Jungfrau und Gottesmutter Maria, ganz heilig und makellos rein von jeder ererbten oder persönlichen Schuld, nicht dem Tod hätte unterworfen sein dürfen und nicht das gleiche Los der vom Gift der Sünde an­gesteckten Adamskinder hätte tragen sollen. Weil aber Maria nach Gottes Willen in allem Jesus gleichen sollte, so war es angemessen, daß wie der Sohn, auch seine Mutter den Tod kosten solle. Und da Gott den gerechten Seelen ein Vorbild eines Ihm kostbaren Todes geben wollte, so ließ Er Maria sterben, aber eines ganz süßen, glückseligen Todes, welcher die Bezeichnung „Tod“ eigentlich gar nicht verdient.

Deshalb findet sich am heutigen Tag nirgends auch nur eine Spur von Trauer, ob der Trennung von der geliebten Mutter, die wir Menschen normalerweise empfinden, wenn das Herz der Familie aus deren Mitte gerissen wird. Keine Träne, keine Klagerufe, kein Anzeichen des Schmerzes über den Verlust ist aus dem Mund der Kirche zu hören, sondern lauter Freude. Schon im Introitus der hl. Messe heißt es: „Singt dem Herrn ein neues Lied“ (Ps. 97, 1). Und im Allelujavers jubiliert die Kirche bereits: „Aufgenommen ist Maria in den Himmel es freut sich das Heer der Engel. Alleluja.“

Der hl. Kirchenlehrer Alfons Maria von Liguori nennt drei Ursachen der Trauer beim Tod eines Menschen und erklärt, daß sich keine einzige davon beim Heimgang Mariens fand. Er sagt: „Drei Dinge pflegen den Tod bitter zu machen: Die Anhänglich­keit an die Welt, die Unruhe des Gewissens und die Ungewißheit des Heiles. Der Tod Mariens aber war von diesen Bitterkeiten ganz und gar befreit; dagegen von drei überaus erhabenen Vorzügen begleitet, die ihn im höchsten Grad kostbar und lieblich machten. Sie starb unbe­rührt von jedem irdischen Gut, wie sie dies durch ihr ganzes Leben ge­wesen, sie starb im höchsten Frieden des Gewissens, sie starb mit der Gewißheit der ewigen Herrlichkeit.“

Die Heilige Schrift preist die Toten: „Se­lig die Toten, die im Herrn sterben“ (Sir. 41, 1). Wer sind die, welche als Tote sterben? Es sind jene glücklichen Seelen, welche in diesem Leben von den vergänglichen Gütern losgeschält und jeglicher Anhänglichkeit an sie abge­storben sind; deren einziges Gut Gott ist. Selig, die der Welt gestorben, allein Gott leben und so in die Ewigkeit hinübergehen! Von ihnen ist Maria die Vollkommenste. Denn ihr war jede Form der Anhänglichkeit an ein geschaffenes Gut völlig fremd. Der heilige Apostel Johannes erblickte Maria als „die Frau mit der Sonne be­kleidet, den Mond unter ihren Füßen“ (Offb. 12, 1). Durch den Mond sind, nach Erklärung der Schriftausleger, die hinfälligen Güter bezeichnet; alles Veränderliche, das sich mehren läßt und verloren werden kann; alles was zunimmt und abnimmt wie der Mond. Maria hat derlei Dinge nie begehrt, sondern nur verachtet und unter ihren Füßen gehalten. Sie lebte in der Welt, ohne nach den vergänglichen Dingen zu verlangen und trat sie mit Füßen. So wurden ihr alle irdischen Dinge gleichsam zum Sprungbrett, um die höchsten Güter zu erreichen. – Die Geringschätzung und die Verachtung der geschaffenen Güter bewahrten ihr ein reines Gewissen und sicherten ihr die Gewißheit des ewigen Heiles. Deshalb herrscht heute eine allgemeine Feststimmung. Maria hat ihre irdische Pilgerschaft vollendet und ihr ewiges Ziel erreicht. Gott hat die reichste Ernte eingebracht.

Die Aussaat Mariens

Der Gedanke an die ewige Ernte bringt uns jedoch auch ein anderes Wort der Heiligen Schrift in Erinnerung. Der hl. Paulus sagt: „Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Wenn einer auf das Fleisch sät, wird er vom Fleisch Verderben ernten. Wer auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten“ (Gal. 6, 8). Die Werke, welche der Mensch in seinem Leben aussät, bestimmen, ob der Erntetag ein Freudentag wird, oder ein Tag des Jammers und der Klage.

Blicken wir also auf das Leben Mariens. Was hat Maria gesät? – Sie hat den Samen tugendhafter Werke ausgebracht. Wenn wir uns in die vielleicht bedeutendste Stunde des irdischen Lebens der allerseligsten Jungfrau hineinversetzen, nämlich in die Stunde der Verkündigung im Haus von Nazareth, dann sehen wir eine Zusammenschau der wichtigsten Tugenden, die Maria ihr Leben lang geübt hat.

Die erste Tugend Mariens, von der uns das Evangelium berichtet, ist ihre Frömmigkeit. Als der Erzengel in ihre Kammer in Nazareth eintrat, da war Maria allein. Sie war allein mit Gott. Allein in der Gegenwart Gottes. Mit Gott allein sein, das heißt für Maria beten und betrachten. Diese für sie ganz natürliche Haltung des Sprechens mit Gott in der Einsamkeit des Herzens, war in ihrem ganzen Leben ein fortdauernder Zustand, so daß es später im Evangelium wiederholt von ihr heißt: „Maria bewahrte alle diese Worte und überdachte sie in ihrem Herzen“ (Lk. 2, 19). Sie meditierte über die Geheimnisse und Heilstaten Gottes.

Zweitens säte Maria die Keuschheit. „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ so fragt Maria den Erzengel, nachdem ihr dieser den Willen Gottes eröffnete, daß sie Mutter Gottes werden solle. Sie hatte wohl schon von Kindesbeinen an ein Jungfräulichkeitsgelübde abgelegt, das einzuhalten sie offensichtlich fest entschlossen war.

Neben der Frömmigkeit und der Keuschheit brachte Maria in reichem Maße auch die Saat der Demut aus. „Siehe, ich bin die Magd des Herrn“, sprach sie. Die allerseligste Jungfrau machte um ihre eigene Person und um das, was sie Gutes getan hat, nicht viel Aufhebens. Zeitlebens blieb sie einfach, still und verborgen. Sie eiferte nicht ehrgeizig nach Aufmerksamkeit, suchte nicht Ansehen und Lob bei den Menschen zu erhaschen, obwohl sie es wie sonst niemand verdient hätte, beachtet, gelobt und gepriesen zu werden. Maria wußte, einzig das Ansehen bei Gott zählt. Gott sieht alles, auch das verborgenste Werk, das die Menschen übersehen oder geringschätzen. Nur bei Gott wollte sie Wohlgefallen finden, als „Magd des Herrn“, d.h. als Seine Dienerin, als Seine Sklavin, die ganz auf ihren eigenen Willen verzichtet und allein darin ihre Freude findet, daß der Wille Gottes an ihr geschehe.

Und da sind wir auch schon bei der nächsten Tugend, welche Maria in ihrem Leben als Saat für die Ewigkeit ausbrachte. Es ist die Tugend des Gehorsams. Die Magd tut nicht was sie will, sondern was ihr Herr will. „Siehe ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort.“ Maria unterwarf sich in allem dem heiligen Willen Gottes und auch den Anordnungen des hl. Joseph, ihres Gemahls, obwohl sie doch die höher Begnadete, ja die Höchstbegnadete, gewesen war. Sie wußte, durch den Gehorsam wird Gott am meisten verherrlicht.

Schließlich säte Maria die Liebe. Ihre Gottesliebe spiegelt sich am deutlichsten in ihrem herrlichen Lobgesang wider. Im Magnifikat preist sie die Größe, Güte und Barmherzigkeit Gottes: „Hochpreist meine Seele den Herrn und es jauchzt mein Geist in Gott meinem Heil.“ Ihre Liebe zu den Menschen trieb sie an, über das Gebirge zu eilen, um ihrer Base Elisabeth beizustehen; später der Not der armen Brautleute auf der Hochzeit zu Kana, denen der Wein ausgegangen war, abzuhelfen.

Frömmigkeit, Keuschheit, Demut, Gehorsam und Liebe. Das ist das Saatgut Mariens. Jeder Same muß, ob nun auf dem Feld oder im Garten, regelmäßig und in ausreichendem Maß bewässert werden, wenn man auf eine ertragreiche Ernte hoffen will. So war es auch im Leben der Gottesmutter. Der Same der Tugend mußte begossen werden. Dies geschah durch die Tränen ihrer Schmerzen und Leiden, die Gott ihrem unbefleckten Herzen abverlangte. Siebenfacher Schmerz war für sie die Quelle ewiger Fruchtbarkeit: Schon bei der Weissagung des greisen Simeon im Tempel, sodann auf der Flucht nach Ägypten und später bei der Suche nach dem 12-jährigen Jesusknaben in Jerusalem, mußte die makellose Jungfrau die Saat ihrer Tugendwerke mit den Strömen ihrer Tränen begießen; insbesondere aber bei der Passion ihres göttlichen Sohnes. So etwa bei der Begegnung mit dem geschundenen Heiland auf dem Kreuzweg; vor allem während der drei Stunden, da sie unter dem Kreuz ausharrte und dabei ihren göttlichen Sohn qualvoll sterben sah; wie sie dessen Leichnam nach Seinem Tod auf ihrem Schoß hielt und Ihn schließlich am Grab beweinte. „O ihr alle, die ihr vorübergeht, seht, ob ein Schmerz ist gleich meinem Schmerze“ (Klg. 1, 12).

Die Ernte Mariens

Was hat nun Maria nach dieser Aussaat geerntet? – Ganz klar: Den Himmel. Ja, mehr noch! Die Krone, den Königsmantel und Fußschemel, sowie den Thron der Königin des Himmels. Das bezeugt der hl. Johannes: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel: Eine Frau mit der Sonne umkleidet, der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.“ Maria ist von Gott mit Ehren überhäuft, und über alle geschaffenen Dinge erhoben worden. Doch nicht nur ihre Seele auch ihr Leib wurde verherrlicht, wie der hl. Johannes von Damaskus in den schönen Worten ausführt: „Wie sollte diese in Wirklichkeit selige Frau, die ihr Ohr dem Worte Gottes entgegenhielt und auf Wirkung des Heiligen Geistes Mutter wurde und auf die übernatürliche Begrüßung durch den Engel hin ohne sinnliche Lust und ohne männlichen Umgang den Sohn Gottes empfing und ohne jedes Weh zur Welt brachte und sich ganz Gott weihte, [wie sollte diese selige Frau] der Tod verschlingen? Wie sollte die Totenwelt sie zu sich nehmen? Wie sollte die Verwesung in jenen Leib eindringen, in den Derjenige einging, der das Leben ist? Ihr ist ein geradezu geebneter und leicht gangbarer Weg zum Himmel bereitet worden. Wenn nämlich Christus, der das Leben und die Wahrheit ist, sagt: ‚Wo Ich bin, da soll auch Mein Diener sein‘, wie wird nicht viel mehr die Mutter bei Ihm sein [die Seine treue Magd gewesen]?“

Unsere Aussaat und Ernte

Ja, Maria hat gesät. Maria hat begossen. Und Maria hat entsprechendes geerntet. Einen süßen Tod. Die unvergängliche Glückseligkeit ihrer Seele. Das ewige Leben ihres verklärten Leibes. – Wie sieht es bei uns aus? Sorgen wir uns um die Voraussetzungen einer reichen Ernte für die Ewigkeit. Säen wir Tugenden? Das ist unbedingt notwendig, sonst taugen wir nicht für das Reich Gottes. Denn: „Wer spärlich sät, wird auch spärlich ernten.“ Und wer gar nicht sät, wird gar nichts ernten! – Wir müssen also eifrig sein, insbesondere jene Tugenden zu üben, die unsere himmlische Mutter uns vorgelebt hat. Besonders die Tugenden, mit denen man vor den Menschen nicht glänzen kann, die jedoch dem allwissenden Auge Gottes nicht entgehen und gerade deshalb, weil nur Er sie sieht, einen besonders reichen Lohn erhalten werden. Auch wir müssen die Saat der Frömmigkeit, der Keuschheit, der Demut, des Gehorsams und der Liebe ausbringen. Wir müssen aber auch eine große Opferbereitschaft an den Tag legen und die Saaten unserer Werke mit dem Schweiß der Selbstüberwindung und mit den Tränen unserer Leiden und Opfer begießen. Auch uns verlangt das Leben so manches Weh, so manchen Seufzer und so manche Träne ab. Erkennen wir also im Glauben, daß unsere guten Werke durch alles Leid und durch jede vergossene Träne um so fruchtbarer gemacht werden, für die ewige Ernte.

Und schließlich: Seien wir wachsam! Wir dürfen uns weder vom Wohlleben und der eigenen Behaglichkeit, noch von einer niederdrückenden Traurigkeit angesichts des allgemeinen Niedergangs einschläfern oder lähmen lassen. Denn wenn wir nicht durch die regelmäßige Erforschung unseres Gewissens wachsam bleiben, dann geschieht das, was der Herr im Gleichnis angekündigt hat: „Während die Leute schliefen, kam der Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen“ (Mt. 13, 25).

Trägheit ist aller Laster Anfang. Lassen wir uns die gute Ernte nicht verderben, indem wir es aus Nachlässigkeit zulassen, daß der Teufel faule Früchte, d.h. schlechte, sündhafte Gewohnheiten, in unser Leben einschmuggeln kann. Ein fauler Apfel genügt, um die ganze Menge guter, schöner Früchte in Moder und Fäulnis zu verwandeln. Eine einzige Todsünde verwandelt unser ganzes Tugendverdienst in wertlose Asche. Seien wir also wachsam und bringen wir „würdige Früchte der Buße“ (Mt. 3, 8).

Möge uns die Himmelfahrt der Jungfrau Maria stets daran erinnern und uns dabei beständig das Vorbild unserer Mutter gegenwärtig sein: Maria hat in ihrem Erdenleben gesät und begossen. Am Tag ihrer Himmelfahrt hat sie einen süßen Tod und eine unüberbietbare Glückseligkeit geerntet. Wenn wir ihr nacheifern, wird sich auch in unserem Leben das Psalmwort verwirklichen: „Die in Tränen aussäen, werden in Freuden ernten. Sie gehen weinend hin und streuen ihren Samen aus; sie kehren jauchzend heim und tragen ihre Garben.“ Amen.

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