Ich will Gott schauen!

Geliebte Gottes!

Es mutet vielleicht ein klein wenig sonderbar an, wenn wir nach dem vergangenen Sonntag, als wir Christus fastend, betend und die Versuchungen des Teufels abwehrend in der Wüste vorgestellt bekommen haben, Ihn nun heute auf dem Tabor im Glanz Seiner göttlichen Herrlichkeit sehen. Das scheint auf den ersten Blick nicht recht zum Ernst der Fastenzeit zu passen. Warum dieser abrupte Wechsel von der bitteren Bußstrenge zur ekstatischen Verzückung? Wozu diese Abwechslung? Weil offensichtlich die heilige Kirche, vom Heiligen Geiste gelenkt, uns die Herrlichkeit Jesu schauen lassen will, damit wir den Zweck all unserer Anstrengungen im Kampf gegen unsere ungeordneten Leidenschaften und Sünden, sowie das Ziel unseres Lebens überhaupt, nicht aus dem Blickfeld verlieren. Damit wir im Glauben an Seine Gottheit gestärkt würden und schlußendlich durch den verklärten Herrn auch einen ersten Eindruck von der Herrlichkeit unserer eigenen Auferstehung am Ende der Zeiten erhielten.

So werden wir einerseits davor bewahrt, das Fasten und die anderen Bußübungen, derer wir uns derzeit befleißigen, mit der christlichen Vollkommenheit selbst zu verwechseln. Sie sind nur Mittel zum Zweck. Notwendige Mittel zwar, wie wir gleich sehen werden, aber eben nur Mittel. Andererseits erhalten wir durch die Vorstellung des herrlichen, wonnevollen Zieles, welches uns in der Verklärung Christi in Aussicht gestellt wird, einen noch größeren Antrieb den mühseligen Aufstieg auf dem steilen Weg der Abtötung und der Selbstverleugnung eifrig fortzusetzen.

Die Auswahl Gottes

Ganz am Anfang, sowohl in der heutigen Evangelienperikope, als auch auf unserem Weg zum ewigen Heil, steht zunächst die Gnadenwahl Gottes: „In jener Zeit nahm Jesus den Petrus, den Jakobus und dessen Bruder Johannes mit sich und führte sie abseits“ (Mt. 17, 1). Christus erwählte drei Seiner Apostel, indem Er sie von den restlichen absonderte. „Nicht ihr habt Mich erwählt, sondern Ich habe euch erwählt“ (Joh. 15, 16). Das darf jeder von uns auch auf sich beziehen. Gott hat mich erwählt. Warum? Weil es Ihm so gefallen hat. Nur deshalb bin ich Christ, nur deshalb bin ich Katholik. Aufgrund Seiner liebenden Gnadenwahl hat Er jeden von uns ausgesondert und „abseits geführt“. Abseits von denen, die Er nicht erwählte. Das Christsein und das Katholisch-Sein ist eine Auszeichnung! Nicht als ob wir es verdient hätten. Nicht aufgrund irgendwelcher persönlicher Vorzüge, die Gott dazu bewegt, oder aufgrund irgendeiner Leistung, die wir erbracht hätten. Nein! Es ist einzig die ungeschuldete Wahl der göttlichen Liebe, der wir die Erwählung zur Nachfolge Christi zu verdanken haben. Und diese Auswahl der Liebe Gottes fordert eine Erwiderung unsererseits. Die Liebeswahl verlangt nach einer Liebesantwort.

Die Wahl des Herrn fiel dabei auf drei ganz bestimmte Apostel. Auch an zwei anderen Stellen – nämlich bei der Totenerweckung der Tochter des Jairus und später im Ölgarten – sind es jedes Mal nur diese drei Zeugen: Petrus, Jakobus und Johannes. Ihnen wollte Christus eine besondere Kenntnis und Teilnahme an Seinen Geheimnissen schenken. – Die Wahl unseres Herrn hat auch ihre Bedeutung für uns, wenn wir Christus auf dem Tabor die Antwort unserer Liebe geben wollen.

Der erste Erwählte ist der hl. Petrus, der Felsenmann. Er ist der Mann des Glaubens, der gerade in der vorangegangenen Szene des Matthäusevangeliums bei Cäsarea-Philippi, die Gottsohnschaft Jesu ausdrücklich bekannt hat. „Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“ (Mt. 16, 13). So lautete die Frage des Heilandes. „Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt. 16, 16) woraufhin der Herr den Glauben des Petrus lobte: „Selig bist du, Simon, Bar-Jona; denn nicht Fleisch und Blut hat dir dies geoffenbart, sondern Mein Vater, der im Himmel ist“ (Mt. 16, 17). Der Apostelfürst repräsentiert also die übernatürliche Tugend des Glaubens, derer wir bedürfen, um zusammen mit Jesus auf den Berg der Beschauung emporzusteigen. Der übernatürliche Glaube ist die erste Voraussetzung, um Gott die geschuldete Liebesantwort zu geben.

Sodann wurde als zweites der hl. Jakobus erwählt. Er wird der erste unter den Aposteln sein, der die Gottherrlichkeit Christi durch die Vergießung Seines Blutes bezeugen und Ihm in die lichte Herrlichkeit des Himmels nachfolgen wird. Jakobus repräsentiert die Tugend der Hoffnung. Denn keine andere Tugend ist dem Märtyrer neben der Tugend des Starkmutes so notwendig wie die Hoffnung. Die Hoffnung befähigt den Blutzeugen nämlich, das größte Übel dieses irdischen Lebens – den Tod – auf sich zu nehmen, einzig in dem erwartungsvollen Vertrauen den von Gott dafür verheißenen ewigen Lohn zu empfangen, obwohl er denselben noch nicht sieht. Sie ist die zweite Tugend die wir betätigen müssen, um uns Gott zu nahen und Ihm die geforderte Liebesantwort zu geben.

Diese übernatürliche Liebe steht schließlich stellvertretend im hl. Apostel Johannes vor uns. Er ist der Lieblingsjünger, der ganz Reine, der Jungfräuliche, der im Abendmahlsaal an der Brust des Herrn ruhte, und als einziger der Apostel den Weg hinauf nach Golgotha und unter das Kreuz Seines Meisters gefunden hat. Glaube, Hoffnung und Liebe, dieser drei Tugenden bedürfen wir, um Christus auf dem königlichen Weg des Kreuzes nachzufolgen, und in den Lichtkreis der göttlichen Herrlichkeit einzutreten.

Der Aufstieg zu Gott

Christus führt Seine Apostel hinauf auf den hohen Berg Tabor; abseits vom Volk. – Wenn man die Herrlichkeit Jesu schauen will, dann muß man vom Volk, von der Masse, von der Geschäftigkeit der Welt abseits gehen. Man muß sich von der Welt zurückziehen. Man muß sich möglichst vom Irdischen, vom materiellen Ballast, loslösen. Das Hinaufsteigen auf den Berg, das Hinaufsteigen zu Gott, in Seine Nähe, ist das Programm des gesamten christlichen Lebens und insbesondere dieser Fastenzeit. Wir müssen auf den Berg steigen, d.h. eine Anstrengung auf uns nehmen. – Beim hl. Lukas erfahren wir, was Christus oben auf dem Berg zunächst zu tun beabsichtigte: „Da nahm Er den Petrus, Johannes und Jakobus mit sich und stieg auf den Berg, um zu beten“ (Lk. 9, 28). Damit ist gesagt, wenn wir beten wollen, dann dürfen wir nicht in den Niederungen des Weltlichen, nicht in den Sorgen und Nöten dieses Lebens versunken bleiben, sondern müssen unseren Geist daraus erheben und mit dem Psalmist beten: „Zu Dir erhebe ich meine Seele, o Herr“ (Ps. 24, 1). – Hier nun erkennen wir den Sinn unserer Bußübungen. Unsere Seele wird durch sie von ihrer Erdenschwere befreit, wird leicht wie ein Vogel, der sich zum Himmel aufschwingt, der sich zu den höheren, geistigen, göttlichen Dingen erheben kann. Die Seele erlangt außerdem eine gewisse Erhabenheit über alles Irdische, über das sie hinausgewachsen ist bzw. das sie unter sich gelassen hat. So wie die Höhe des Tabor eine herrliche und einzigartige Fernsicht über ganz Nordpalästina bietet, und die Welt dem Betrachter gleichsam zu Füßen liegt, so liegen der vom Irdischen losgelösten Seele die niederen Kräfte ihrer Natur zu Füßen. Wir fasten also nicht nur um Buße zu tun, sondern auch, um unsere Seele zum Gebet zu stimmen. Denn dazu ist innere Sammlung und Aufmerksamkeit notwendig.

Wir hören beim hl. Lukas, daß die Apostel während des Gebets eingeschlafen waren. „Petrus aber und seine Gefährten waren vom Schlaf übermannt“ (Lk. 9, 32). Vielleicht waren die Anstrengungen des Aufstieges auf den Berg für sie zu groß gewesen, so daß sie völlig ermattet waren. Sie hatten offenbar noch eine allzu schwache Kondition. Auch die Seele muß zu einem guten Gebet in der inneren Sammlung geübt sein; muß alle Müdigkeit und Trägheit des Geistes abschütteln, ehe sie sich zu Gott in der Betrachtung aufschwingt, sonst wird sie immer wieder in Träumereien abschweifen. – So vorbereitet, kann sich die Seele zu Gott erheben, und mit der Hilfe Seiner Gnade zur liebenden Beschauung Seiner Herrlichkeit gelangen.

Die Herrlichkeit Gottes schauen

Es heißt nämlich weiter: „Da ward Er vor ihnen verklärt“ (Mt. 17, 2). Dabei gilt es zu bedenken, daß der Zustand der Verklärung derjenige ist, der unserem Herrn Jesus Christus eigentlich ganz natürlich gewesen wäre. Es hätte sein ganzes Leben hindurch der lichte Abglanz Seiner Gottheit durch Seine menschliche Gestalt hindurch aufleuchten und strahlen müssen. Wenn dies nicht geschehen ist, dann nur durch eine wunderbare Zurückhaltung dieser Herrlichkeit. Das eigentliche Wunder war also nicht die Verklärung, wie die hl. Väter in ihren Auslegungen hervorheben, sondern das eigentliche Wunder bestand darin, daß diese Herrlichkeit gerade nicht das ganze Leben Jesu hindurch – von der Krippe bis zum Kreuz – Seine menschliche Natur durchstrahlt hat, wie es eigentlich normal gewesen wäre. Also müssen wir sagen, daß das Ereignis der Verklärung, welches im Bericht der Evangelien nur einmalig vorkommt, wohingegen andere Wunderzeichen von Christus wiederholt gewirkt wurden, zwar aus unserer Perspektive wunderbar erscheinen mag, aber eigentlich gar kein Wunder darstellt. Die Evangelisten berichten uns von zahlreichen Krankenheilungen und Teufelsaustreibungen; auch von mehreren Totenerweckungen. Wir hören von einer zweifachen Brotvermehrung. Alle diese Wunder kamen mehrfach vor, wobei die Verklärung nur ein einziges Mal berichtet wird. Wir müssen also sagen, daß dieses einmalige, aus unserem Blickwinkel wunderbare Ereignis der Verklärung, eigentlich gar kein Wunder gewesen ist, sondern einfach nur das offenbart hat, was Jesus von Natur aus ist – wahrer Gott und wahrer Mensch, die zweite Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.

Es heißt, im Bericht des hl. Lukas, daß Sein Antlitz sich im Moment der Verklärung verändert habe: „Das Aussehen Seines Antlitzes wurde ein anderes“ (Lk. 9, 29). Es ging eine „Metamorphose“ – so wörtlich bei Matthäus und Markus – eine „Umwandlung“ bei Christus vor. „Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und Seine Kleider wurden weiß wie Schnee“ (Mt. 17, 2). Die umgestaltende Lichtkraft brach aus dem Inneren der Knechtsgestalt Christi (vgl. Phil. 2, 6 f.) hervor. Die „Fülle der in Ihm wohnenden Gottheit“ (Kol. 1, 19) ging von Seiner heiligen Seele über auf Seinen Leib und schlug über die Begrenztheit Seiner menschlichen Natur hinaus in dem herrlichen Glanz, der sichtbar zu sehen war. Wohlgemerkt! Nicht die Gottheit wurde sichtbar. Denn die Gottheit unseres Herrn ist rein-geistig und bleibt deshalb für Augen aus Fleisch und Blut stets unsichtbar. Nein, die „Herrlichkeit Seiner Gottheit“ brach sich Bahn; das Licht der Allerheiligsten Dreifaltigkeit; das Licht der zweiten göttlichen Person; jenes Licht, das in unsere Seelen eindringen muß und dort zum Licht des Glaubens wird. Und dieses Glaubenslicht soll sich bis zum Ende unseres Lebens voll entfalten, damit es nach dem Tod zum Licht der himmlischen Glorie werde, durch das unsere Seele (nicht unser Auge) den dreifaltigen Gott unmittelbar „von Angesicht zu Angesicht“ (1. Kor. 13, 12) schauen wird.

Wir erfahren ferner, wie selbst die Kleider von diesem Lichte erfaßt wurden. Der hl. Papst Gregor d. Gr. sagt, die Gewänder Christi seien strahlend geworden: „weil Ihm auf dem Gipfel des höchsten Glanzes alle Heiligen, leuchtend im Licht der Gerechtigkeit, anhängen werden. Mit dem Ausdruck ‚Gewänder‘ sind die Gerechten bezeichnet, mit denen Er sich umgeben wird“ (PL 76/640). „Mit all diesen wirst du wie mit einem Schmuck bekleidet werden“ (Is. 49, 18). Der hl. Gregor deutet in Anlehnung an den Propheten Isaias die strahlendweißen Kleider Christi auf die Gläubigen der Kirche. Sie sind durch den Glauben mit Ihm in Berührung, hängen Ihm an, werden selbst durch Ihn erleuchtet und verklärt. Wie die Gewänder Christi vom Licht der Verklärung durchstrahlt und umgewandelt werden, so sollen auch die Gläubigen, durch das beschauliche Nachsinnen im betrachtenden Gebet erleuchtet und eine Metamorphose, d.h. eine Umgestaltung erfahren, nämlich eine innere Umwandlung in „den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph. 4, 24). Alles soll von der Herrlichkeit Gottes durchdrungen, umgewandelt, erhoben, überstrahlt und gottähnlich werden. – Lassen Sie uns also gemeinsam hineinschauen in das verklärende Licht vom Tabor.

Gesetzgeber, Prophet, Priester

Als die Apostel erwachten, da sahen sie Christus verklärt und bei Ihm Moses und Elias, die ebenfalls mit Herrlichkeit bekleidet waren. Moses steht stellvertretend für das göttliche Gesetz, welches er nach vierzigtägigem Fasten auf dem Sinai auf zwei Steintafeln empfangen hatte. Elias ist der Vertreter der Propheten. Beide sind also nichts anderes als alttestamentliche Vorbilder Jesu Christi.

Unser göttlicher Erlöser ist ja selbst das lebendige Gesetz Gottes. Er ist die Verkörperung dessen, was Er uns verkündet hat: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, mit allen deinen Kräften und aus deinem ganzen Gemüt; und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lk. 10, 27). Das ist die Zusammenfassung des gesamten Gesetzes. So leuchtet uns die Erfüllung des alttestamentlichen Gesetzes, welches Moses verkündet hat, in der Liebe Christi zu Seinem himmlischen Vater und zu den Menschen in vollkommenster und strahlendster Weise auf. Unser Herr Jesus Christus ist jedoch mehr als nur die Erfüllung des Gesetzes. Aufgrund Seiner Gottheit hat jedes Seiner Worte und das Beispiel Seines Vorbildes Gesetzeskraft. Die Überlegenheit Christi gegenüber Moses zeigt sich ferner darin, daß Er selbst auch die Quelle der zur Gesetzeserfüllung notwendigen Gnaden ist. So sagt es der hl. Evangelist Johannes: „Denn das Gesetz wurde durch Moses gegeben; die Gnade und die Wahrheit kam durch Jesus Christus“ (Joh. 1, 17). Christus ist also der wahre Gesetzgeber und gleichzeitig, sowohl die vollkommene Erfüllung desselben, als auch die Kraftquelle für dessen Befolgung unsererseits.

Darüber hinaus ist Christus auch der wahre Prophet, der in diese Welt gekommen ist. Der Prophet ist jener, der die Botschaft Gottes den Menschen verkündet. Das Prophetenamt unseres Herrn wurde im Alten Bund vorgebildet durch Elias. Von diesem heißt es, daß er in der Kraft einer wunderbaren Speise vierzig Tage und vierzig Nächte hindurch zum Gottesberg Horeb gewandert war und dort einer wunderbaren Gotteserscheinung teilhaft wurde. Elias ist der Typ des Propheten, denn der Prophet muß eine Kenntnis von Gott haben. Unser Herr aber ist der wahre Prophet. Er selber sagt, daß niemand Gott geschaut hat, keiner in Seine Geheimnisse eingedrungen ist, keiner Seine Pläne je erkannt hat als der Sohn Gottes. „Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der an der Brust des Vaters ruht, - Er hat uns Kunde gebracht“ (Joh. 1, 18). Jesus ist also der wahre Prophet, der uns die ganzen Geheimnisse Gottes bekannt macht, sie uns aufschließt, und sie uns, soweit das möglich ist, verständlich macht.

Und die Apostel hörten, wie Moses und Elias mit unserem Heiland sprachen. Worüber haben sie denn gesprochen? „Sie redeten von Seinem Ausgang, den Er in Jerusalem vollenden sollte“ (Lk. 19, 31). Über Seinen Ausgang also redeten sie; wörtlich über Seinen „Exodus“, den Er in Jerusalem durch Seinen Opfertod am Kreuz, Seine glorreiche Auferstehung und Himmelfahrt vollbringen wird. Christus war ja nur in die Welt eingetreten, um durch Sein Erlösungsopfer der ausweglosen Lage des Menschengeschlechtes einen „Ausgang“ aus der Knechtschaft Satans zu verschaffen. Er ist der neue Moses, der durch den Stab des Kreuzesholzes das Meer der Sündenschuld spalten und Seinem auserwählten Volk einen Auszug, einen „Exodus“, in das gelobte Land des Himmelreiches bahnen sollte. – Sie unterhielten sich also über das wesentliche Ereignis, wodurch die Sendung Christi sozusagen auf den Punkt gebracht, und der Herr auch als ewiger Hohepriester ausgewiesen wurde. Somit sehen wir im Licht der Verklärung die drei großen messianischen Ämter unseres Herrn aufleuchten: als Gesetzgeber erscheint Er uns als der Hirt und Lenker Seiner Erwählten. Es leuchtet auf das Hirtenamt. – Als Prophet, der die Geheimnisse Gottes kundgibt, erscheint Er als der Lehrer der Menschheit – das Lehramt. Und als geopferter, gekreuzigter, tritt Er als Priester und makellose Opfergabe zugleich auf als der ewige Hohepriester, der durch Sein kostbares Blut die Menschen mit Gott versöhnt – das Priesteramt.

Wir haben hier keine bleibende Stätte

Von dem herrlichen Anblick hingerissen ergriff Petrus auf einmal das Wort und sagte: „Herr, hier ist gut sein für uns. Willst du, dann bauen wir hier drei Hütten. Eine für dich, eine für Moses und eine für Elias“ (Mt. 19, 4). Petrus erkannte, daß das göttliche Licht der Verklärung, das hier auf dem Tabor aufleuchtete, die eigentliche Bestimmung des Menschen ist; daß man hier, im Lichte Gottes eigentlich für immer bleiben müßte. Aber der Herr geht auf diesen Vorschlag überhaupt gar nicht erst ein, denn noch ist die Zeit nicht gekommen, in diesem Leben irgendwelche bleibenden Wohnungen zu errichten. Das ist alles dem Himmel vorbehalten. Es gibt keine bleibende Wohnung in dieser Welt. Wir sind nur Pilger und Fremdlinge. Wir sind hienieden Wanderer, „viatores“, die geistigerweise, nämlich durch die Akte einer immer vollkommeneren Liebe; also „mit den Schritten der Liebe“, wie der hl. Gregor sagt, zu Gott gehen müssen, wozu uns der hl. Paulus auch auffordert: „Wachset in der Liebe!“ (Eph. 4, 15). „Ich bete, daß eure Liebe mehr und mehr wachse“ (Phil. 1, 9). Und in der Geheimen Offenbarung heißt es: „Wer gerecht ist, werde noch gerechter, und wer heilig ist, werde noch heiliger!“ (Offb. 22, 11). Daraus müssen wir schließen, daß die Liebe hier auf Erden stets wachsen muß, daß es noch keinen Stillstand, noch kein endgültiges Ausruhen geben darf. Die Taborstunden dieses Lebens sind uns nur gegeben, um unseren Eifer erneut anzufachen, um im geistlichen Trost Kraft zu tanken für noch hochherzigere Akte der Liebe, die sich dann wiederum aber beweisen müssen im noch vollkommeneren Tragen des Kreuzes. Ohne dies würde der Christ in gewissem Sinne aufhören Pilger und „Wanderer“ zu sein. Er würde Halt machen, bevor er am Ziel Seines Weges wäre. Der Weg dieses zeitlichen Lebens ist aber zum Gehen gemacht, nicht um sich darauf häuslich einzurichten, nicht um darauf zu bleiben, oder um dort zu schlafen. Davor warnt auch der Herr, wenn Er sagt: „Wehe euch, die ihr satt seid, denn ihr werdet hungern!“ (Lk. 6, 25). Erst müssen wir die Rennbahn der Fastenzeit dieses Lebens durchlaufen, ehe der verklärte Ostertag anbrechen kann; jener Tag, der dann in Ewigkeit kein Ende nehmen wird.

Die Gegenwart Gottes

Petrus wurde das Wort abgeschnitten als auf einmal die ganze Szenerie von einer lichten Wolke überschattet wurde, aus der eine Stimme erscholl: „Dieser ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich Mein Wohlgefallen habe. Ihn sollt ihr hören“ (Mt. 19, 5). Die Wolke ist immer das Symbol der Gegenwart Gottes. Denken wir daran, wie Jesus später vor dem Hohen Rat sagen wird: „Von nun an werdet ihr den Menschensohn sehen sitzend zur Rechten der Macht [Gottes] und kommend auf den Wolken des Himmels“ (Mt. 26, 64). Und schon im Alten Bund begleitete Gott Sein erwähltes Volk durch die Wüste durch eine Wolkensäule, die sich auf dem Bundeszelt niederließ (vgl. Ex. 40, 34). So zeigt das Herabsinken der Lichtwolke nochmals symbolisch an, daß die menschliche Natur unseres Herrn Jesus Christus das wahre Bundeszelt, also der wahre Wohnort der Gottheit inmitten Seines Volkes ist. Damit über die wahre Gottheit Christi fortan nicht mehr der geringste Zweifel bestehen könne, legt auch die Stimme des himmlischen Vaters noch einmal deutlich Zeugnis für Seinen göttlichen Sohn ab.

Wie am Ende einer Betrachtung rückblickend ein zentraler Gedanke festgehalten werden soll, den wir uns besonders einprägen, der unser Denken, Reden und Tun leiten soll, so prägt uns die Stimme des Vaters den zentralen Gedanken der Verklärungsszene ein: „Dieser ist mein geliebter Sohn. Ihn sollt ihr hören.“ Wenn also dieser der „geliebte Sohn“ Gottes ist, dann ist jedes Wort von Ihm ein göttliches Wort, jede Tat eine göttliche Tat, jede Institution eine göttliche Einsetzung, insbesondere die katholische Kirche, das Glaubens- und Sittengesetz, die hl. Sakramente und das Priestertum. Auf Ihn sollen wir hören! Sein Wort, Seine Lehre, müssen wir mittels Seiner Gnade in unserem Leben umsetzen. Sie muß durch die übernatürliche Liebe in uns Fleisch annehmen. Sein Gesetz, das ein göttliches Gesetz ist, muß für uns höchster Maßstab sein. Wir müssen zu seinen Einrichtungen unsere Zuflucht nehmen. Das heißt: „Auf Ihn hören.“

Glauben statt Wundersucht

Nachdem die Stimme des göttlichen Vaters noch einmal das Geschaute zusammengefaßt hat und die Apostel, nachdem sie sich aus Furcht mit ihrem Antlitz zu Boden warfen, aufblickten, da sahen sie nur noch Jesus allein. Aller Glanz war verschwunden. Alles war wie zuvor. – Als nun Jesus mit den Aposteln den Berg wieder hinabstieg schärfte Er ihnen ein, niemandem von dem Gesehenen zu erzählen, bis Er von den Toten auferstanden sei. – Warum sollten sie keinem etwas davon sagen? Weil es niemandem genützt hätte. Ja, weil es die Menschen vielleicht auf eine abwegige Bahn im geistlichen Leben geführt hätte, hin zu einer falschen Frömmigkeit, die hier schon visionär schauen, die schon auf Erden den Himmel genießen will. Erst nach der Auferstehung waren sie dazu berufen auch das Ereignis der Verklärung jedermann zu verkünden, um so den Glauben an die Gottheit Christi und Seine Sendung als Erlöser in den Herzen der Menschen zu stärken. Die Verklärung sollte den Glauben stärken, nicht eine Erscheinungs- und Wundersucht fördern. – Trotzdem dürfen und sollen wir durch die Übung des betrachtenden Gebetes gläubig und immer wieder gerne, insbesondere in dieser hl. Fastenzeit, auf die Höhen des Tabor zurückkehren, um uns vom verklärenden, umwandelnden Lichte der Glaubensgeheimnisse in der Betrachtung derselben ganz erfassen und durchdringen zu lassen.

Ich will Gott schauen!

Es ist ja in der Tat betrüblich, daß sich heutige Menschen für vieles begeistern lassen und stundenlang bei weltlichen Zerstreuungen sich unterhalten können, für das Religiöse jedoch nur Langeweile oder gar Überdruß empfinden. Ob nun der aktuelle Kino-Blockbuster, die Sportschau, die Polit-Talk-Sendung oder die neueste Serie des Streaming-Anbieters; all diese Dinge, die da über die Leinwände, Monitore und Flachbildschirme flimmern, schlagen Augen, Geist und Herz des Menschen in ihren Bann. Der „Engel des Lichtes“ versteht sich eben auch gut darauf die Seelen durch Lichtbilder in seine virtuelle Welt der Lüge und des Lasters zu entführen. – Begeben wir uns stattdessen immer wieder auf den Tabor, „um zu beten“. Man könnte das betrachtende Gebet ja in gewisser Weise auch „Kopfkino“ nennen. Dabei betrachtet man das Leben unseres Heilandes, indem man in seiner Vorstellung etwa die Rosenkranzgeheimnisse, die Stationen des Kreuzweges oder das Evangelium vom vergangenen Sonntag wie einen Film in seiner geistigen Vorstellung ablaufen läßt. Gerade jetzt in der Fastenzeit hat uns die Kirche im Meßbuch sogar für jeden Tag ein eigenes Evangelium ausgewählt. Jeden Tag eine neue Folge! Jeden Tag ein großer Kinofilm! Lesen wir dazu langsam Satz für Satz, Wort für Wort des hl. Textes und stellen wir uns dabei die Begebenheit lebendig im Geist vor; als würden wir sie gleichsam selbst miterleben. Dabei schaue man betend und erwägend auf die Personen, höre die Worte, beobachte die Handlungen, stets bemüht, aus allem, was wir an Jesus selbst und an den Reaktionen Seiner Umgebung wahrnehmen, einen Nutzen für unser geistliches Leben zu ziehen. – Wir sollen jedoch nicht nur über das geschaute nachdenken, sondern dabei auch mit Jesus sprechen. Das Gebet ist ja wesentlich ein Gespräch mit Gott. Was im Kinosaal und selbst im Wohnzimmer in der Regel den Unmut aller Anwesenden erregt, das ist beim betrachtenden Gebet ausdrücklich erwünscht, nämlich daß wir das Gesehene kommentieren und unseren Gefühlsregungen Ausdruck verleihen. Die Seele soll Gott gegenüber ausdrücken, was sie angesichts des im Geiste geschauten empfindet: Staunen, Anbetung, Dank, Liebe, Vertrauen oder Betroffenheit, Reue, Wille zur Umkehr, einen bestimmten Vorsatz etc. Das Gespräch bei der Betrachtung soll innerlich mit richtigen Worten gehalten werden, so wie ein Freund mit seinem Freund spricht. Die hl. Teresa von Avila bezeichnet das innere Gebet als „einen freundschaftlichen Austausch, bei dem wir oft vertraulich mit dem Zwiesprache halten, von dem wir wissen, daß Er uns liebt“ (Leben 8, 5). So entsteht eine lebendige Verbundenheit mit Christus, als ob wir an der Seite des Erlösers wären, Seine Worte mit eigenen Ohren hörten und Sein Tun mit eigenen Augen sähen. Dieser Anblick vermag in der Seele wunderbare Wirkungen hervorzubringen. Die Tugendkraft Christi strahlt durch das betrachtende Gebet in unsere Seele hinein und es wird in uns das Verlangen geweckt, Ihm ähnlich zu werden. So macht uns Seine Demut demütiger, Seine Reinheit rein, Seine Geduld, Seine Milde sanft und vor allem Seine Liebe wirken heiligend auf die Seele ein. Der hl. Alphons von Liguori sagt: „Viele beten den Rosenkranz und verrichten äußere Andachtsübungen, bleiben aber dennoch im Stande der Todsünde. Wer aber das betrachtende Gebet zu üben nicht unterläßt, der wird unmöglich in der Sünde fortleben. Entweder wird er die Sünde lassen, oder aber das Gebet aufgeben. Das betrachtende Gebet und die Todsünde können nicht nebeneinander bestehen“ (Braut Christi 15, 6). Treten wir deshalb vertrauensvoll hin zu Christus, dem „geliebten Sohn des göttlichen Wohlgefallens“. Berühren wir Ihn geistigerweise im betrachtenden Gebet, ähnlich wie jene Frau, die durch die Berührung des Saumes Seines Gewandes in gläubigem Vertrauen Heilung erfuhr (vgl. Lk. 8, 43 ff.). Nehmen wir uns die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria zum Vorbild. Sie war Christus am nächsten und am innigsten mit den Geheimnissen Seines Lebens vertraut. Wiederholt heißt es von ihr: „Maria bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Lk. 2, 19). – Lassen Sie uns also fortan täglich beherzt sprechen: „Ich will Gott schauen!“ Statt zur Fernbedienung lassen Sie uns lieber zum Schott, zum Neuen Testament, zur Nachfolge Christi oder zu einem Betrachtungsbuch greifen, um uns im Geiste einen „Film“ anzuschauen, wobei wir uns zu Gott aufschwingen und das Evangelium miterleben, als wären wir damals selbst zugegen gewesen. Verweilen wir bei den Punkten, die uns unmittelbar ansprechen und halten wir vertraute Zwiesprache mit dem Heiland; wie der Freund zu seinem Freund. So werden wir, statt vor dem Bildschirm Zeit zu verschwenden oder gar zu sündigen, durch die Gnade Gottes „verklärt“, d.h. von Innern heraus umgewandelt, umgeformt, geheiligt.

Bitten wir den Herrn, daß auch wir, so wie die Apostel, in das Licht der Verklärung eingetaucht und ganz davon durchdrungen werden; daß unser Geist erleuchtet, unsere Seele mit Gnaden erfüllt und im Glauben an Ihn, den Gottmenschen gestärkt werde. Im Glauben an Seine Gottheit und im Glauben an seine Sendung, als Gesetzgeber, Prophet und Hohepriester. Bitten wir auch darum, daß wir durch eine stets wachsende Liebe der Weisung des göttlichen Vaters Folge leisten können: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe. Ihn sollt ihr hören!“ Amen.

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