22. Sonntag nach Pfingsten
Vom Zweck der Kirche
Geliebte Gottes!
Jede Sache lernt man am besten kennen, wenn man weiß, zu welchem Zweck sie dient und bestimmt ist. Ja, viele – sogar die meisten – Sachen bekommen auch vom Zweck, dem sie dienen, ihren Namen. Ein Messer, das zum Gebrauch bei den Mahlzeiten am Eßtisch dient, heißt Tafelmesser; ein anderes, das zum Schlachten dienen soll, Schlachtmesser; ein anderes, das zum Gebrauch im Urwald, im Dschungel dient, Buschmesser; und schließlich ein zusammenklappbares, leicht in der Hosentasche verstaubares Messer nennt man Taschenmesser. Jedes dieser Messer hat den Zweck, zu schneiden. Aber jedes von ihnen ist in spezieller Weise, so beschaffen, daß es jene Dinge schneiden kann, die es schneiden soll.
Wenn wir uns dieselbe Frage nach dem Sinn und Zweck im Hinblick auf die katholische Kirche stellen, so werden wir zwei Dinge lernen:
- Den Zweck, wozu die katholische Kirche von Christus gestiftet worden ist. Und
- die spezielle Beschaffenheit bzw. Ausrüstung der katholischen Kirche, damit sie diesen Zweck erreichen kann.
Der Daseinszweck der katholischen Kirche
Wozu hat Christus die Kirche gestiftet? – Er hat sie gestiftet, um durch sie alle Menschen heilig zu machen und sie zur ewigen Seligkeit zu führen.
Die Kirche soll die Menschen heilig machen. Unser irdisches Ziel besteht darin, heilig zu werden. Dazu sind wir von Gott erschaffen. Das ist die Antwort auf die erste Katechismusfrage: „Der Mensch ist dazu geschaffen, Gott zu erkennen, zu lieben und Ihm zu dienen.“ Kurz: Er ist dazu geschaffen, ein heiliges Leben zu führen. Denn in der Liebe und im Dienste Gottes besteht ja die Heiligkeit.
Der hl. Paulus sagt: „Er hat uns in Ihm erwählt vor der Grundlegung der Welt, daß wir heilig und untadelig vor Ihm seien in Liebe.“ (Eph. 1,4). Zur Heiligkeit fordert uns Gott auf: „Ich bin der Herr, euer Gott, seid heilig, weil Ich heilig bin.“ (Num. 1,44). „Wer heilig ist, der werde noch heiliger.“ (Offb. 22,11). Heilig werden ist das irdische Ziel des Menschen. Und es ist die Aufgabe der Kirche, dem Menschen die Heiligkeit zu vermitteln, weil er alleine dazu nicht in der Lage ist. Sie soll uns heilig machen.
Die Heiligkeit ist jedoch nicht das letzte Ziel. Der Heiligkeit folgt in der Konsequenz auch die ewige Glückseligkeit in Gott. Der hl. Paulus bezeugt: „Gott will, daß alle Menschen selig werden.“ (1. Tim. 2,4). Wir sollen nach glücklich vollendeter Pilgerreise in die himmlischen Freuden eingehen, Gott von Angesicht schauen und das daraus erwachsende Glück ewig genießen. Selig zu werden ist also unser allerletztes Ziel. Und die Kirche soll uns dazu verhelfen, es zu erlangen.
Das ist also die Aufgabe der Kirche: Sie soll die Führerin der Menschheit zum Himmel sein. Ihre Aufgabe beginnt auf Erden und endet im Himmel. Darum wurde sie vom Heiland in Seinen Gleichnisreden mit Vorliebe „Himmelreich“ genannt. Die Kirche ist ein Reich, das den Zweck hat, die Menschen zum Himmel vorzubereiten und in den Himmel einzuführen.
Welch eine Aufgabe! Welch eine schwere Aufgabe! Schwer schon wegen der außerordentlich großen Zahl derer, die zum Himmel geführt werden sollen. Alle Menschen! Der hl. Paulus schrieb an die Gemeinde von Korinth: „Für alle ist Christus gestorben“ (2. Kor. 5,15). Für die Menschen aller Orte und aller Zeiten. Als „der Retter aller Menschen“ (1. Tim. 4,10) trägt Christus sie alle in Seinem göttlichen Herzen. Er will, daß sie alle die Früchte der Erlösung erhalten und alle ihr Glück finden hier und im Jenseits. Alle, die leben und leben werden, bis zum Ende der Welt.
Eine die natürlichen Kräfte übersteigende Aufgabe
Welch eine schwere Aufgabe, insbesondere wenn man bedenkt, wer geführt werden soll. Menschen, die so eigenwillig, so rechthaberisch, so ungehorsam und zum Teil so stolz sind, daß sie von niemandem als von ihrer eigenen Einsicht, von ihrem eigenen Urteil, von der eigenen Leidenschaft geleitet werden wollen.
Eine schwere Aufgabe, wenn man ferner bedenkt, von woher die Menschen in den Himmel geführt werden sollen. Von der Erde! Von der Erde, die so verführerisch ist; an welche die Menschenherzen mit tausend Ketten gefesselt sind; an die Genüsse der Erde, an die Güter der Erde, an das Leben auf Erden.
Eine schwere Aufgabe, wenn man des Weiteren bedenkt, wohin die Menschen geführt werden sollen. In den Himmel! In den Himmel, den sie nicht sehen, der so hoch, so erhaben über ihnen und gänzlich übernatürlich ist; und der nur mit Gewalt erobert werden kann. Der Herr sagt: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ (Mt. 11,12). Und zwar die Gewalt gegen ihre eigenen Fehler, Sünden und Laster. Gewalt gegen die eigenen schlechten Neigungen, gegen die eigene Bosheit und gegen die ungeordnete Eigenliebe.
Alles in allem ist es eine überaus schwere Aufgabe, die der Kirche und der Kirche allein anvertraut worden ist. Eine Aufgabe, die sie deshalb auch nicht von sich auf andere Gemeinschaften abwälzen, gleichsam auf andere Schultern übertragen könnte. Trotz der Schwierigkeiten – oder vielleicht auch gerade wegen derselben – ist es eine ungemein erhabene Aufgabe, die der Kirche gestellt ist.
Wo ist eine andere Gesellschaft auf Erden, die eine so erhabene Bestimmung hätte? Etwa der Staat? Nun, der Staat hat eine große und schwere Aufgabe. Aber wenn man alles zusammenfassen will, was der Staat zu tun hat, so müßte man sagen: Er hat lediglich für das irdische Gemeinwohl, für das zeitliche Glück seiner Untertanen, also nur für das „natürliche Wohl“ zu sorgen. Freilich gehört es auch zu seinen Pflichten, den Staatsbürgern durch eine christliche Gesetzgebung die Erlangung des ewigen Heiles zu erleichtern. Durch gesetzliche Gebote und Verbote kann der Staat, als bloß natürliche Gesellschaft, im besten Falle der Kirche jedoch nur zuarbeiten. Es fehlen ihm die Mittel, seine Bürger tatsächlich in den Himmel zu führen. Gleiches gilt von den anderen menschlichen Gemeinschaften: von der Familie, vom Volksstamm. Sie alle können ihre Glieder nicht dem ewigen Ziel des Menschen zuführen. Denn dieses Ziel ist ein übernatürliches Ziel.
So hoch wie der Himmel über der Erde steht, so hoch steht die Aufgabe und damit der Zweck der Kirche über den Zwecken und Aufgaben des Staates, des Volkes, der Familie oder sonst einer rein natürlichen Vereinigung.
Die Fortsetzung des Erlösungswerkes Christi
Doch gehen wir etwas tiefer und fragen wir: Woher nimmt die Kirche die Kraft, dieses alle menschlichen Kräfte übersteigende Werk zu meistern? Worin gründet das Vermögen, daß die Kirche vermag, was andere Gemeinschaften nicht vermögen; nämlich, die schwierige Aufgabe zu vollbringen, die Menschen heilig und selig zu machen? Der Grund findet sich im Geheimnis der Menschwerdung.
Der Zweck der Menschwerdung des göttlichen Wortes besteht ja in der Vereinigung der Menschen mit Gott im übernatürlichen Leben der heiligmachenden Gnade. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh. 10,10), sagt der Heiland. Deshalb ist das Wort Fleisch geworden. Deshalb hat der Sohn Gottes eine menschliche Natur angenommen: „Um unseres Heiles willen“, wie wir im Credo beten.
Wie Jesus Christus zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch ist, so besteht auch die Kirche aus einem göttlichen und einem menschlichen Element. Man kann die Kirche zwar nicht in jenem höchsten und eigentlichen Sinn wie das fleischgewordene Wort „gottmenschlich“ nennen, aber doch in einem analogen (ähnlichen) Sinn. – Die Kirche ist mit Christus und dem Heiligen Geist notwendig und unauflöslich vereinigt. So wenig der Schöpfer von Seiner Schöpfung oder der göttliche Logos von der Menschheit Christi getrennt werden kann, ebenso unmöglich ist es, daß die Kirche von Christus und Seinem Heiligen Geist getrennt wird. Wo die Kirche ist, da ist auch der Heilige Geist. Und wo der Heilige Geist ist, da ist auch die Kirche.
Papst Leo XIII. fragt in seiner Enzyklika „Satis cognitum“ über die Einheit der Kirche: „Was hat Christus der Herr mit der Stiftung der Kirche bezweckt, was wollte Er? Dieses: Er wollte dasselbe Amt und denselben Auftrag, den Er selbst vom Vater empfangen hatte, der Kirche übertragen, um ihn fortzuführen.“ Der Zweck der Kirche ist also der, das Erlösungswerk Christi fortzusetzen. Er ist kein anderer als die Entsündigung und Heiligung der Menschheit und die Einführung derselben in die übernatürliche Vollendung und Seligkeit des Himmels. Was Christus an übernatürlichen Gütern erworben hat, das soll und kann die Kirche den Menschen zuwenden. Deshalb ist die Kirche keine bloß „natürliche Gemeinschaft“, wie etwa der Staat, sondern eine übernatürliche Gesellschaft, eine „societas supernaturalis“.
Die übernatürliche Ausrüstung der katholischen Kirche
Wenn Christus Seiner Kirche eine so schwere und erhabene Aufgabe gestellt hat, dann hat Er sie gewiß auch mit all den Vollmachten und Ämtern ausgerüstet, die zur Erreichung dieses Zieles, zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendig sind.
Wer ein Schiff aussendet, damit es jenseits des Ozeans, sozusagen am Ende der Welt, in einen bestimmten Hafen gelangen soll, der tut nicht genug, das leere Schiff auf das Wasser zu setzen. Er muß ihm auch den Kompaß mitgeben, damit es den Weg finden kann. Er muß ihm Segel geben oder einen starken Maschinenantrieb, damit es fahren kann. Er muß ihm einen erfahrenen Kapitän, Navigator und Steuermann mitgeben; er muß Nahrung und Wasservorräte bereitstellen, damit die Besatzung während der Reise weder Hunger noch Durst leiden muß.
Wer eine Armee von Soldaten ins Feld schickt, um einen siegreichen Krieg gegen einen ebenbürtigen Feind zu führen, der wird sie gewiß nicht mit leeren Händen schicken, sondern sie mit dem besten Kriegsmaterial und den besten Waffen ausrüsten, die verfügbar sind. Er wird den Soldaten eine jahrelange Ausbildung angedeihen lassen; aus den Besten wird er die Offiziere und aus den Erfahrensten wird er die Generäle auswählen.
Kurz: Jeder, der einen Auftrag erteilt oder der eine Aufgabe stellt, muß dafür Sorge tragen, daß derjenige, der sie erfüllen soll, auch über die notwendigen Mittel verfügt, um die Aufgabe erfüllen zu können. Jedes Ding muß für seinen Zweck eingerichtet und ausgerüstet sein.
Wie hat der göttliche Heiland, die ewige Weisheit, nun Seine Kirche eingerichtet? Welche übernatürliche Ausrüstung hat Er ihr gegeben, damit sie das zuwege bringe, was keine natürliche Gemeinschaft vermag, nämlich die schwere Aufgabe zu erfüllen, die Menschen heilig und selig zu machen? – Wie aus den Worten Papst Leos XIII. hervorgeht, hat Christus Seine drei Ämter auf die Kirche übertragen, damit in ihr das Erlösungswerk Christi fortgesetzt werde. Welche Ämter sind das? Das Lehramt, das Priesteramt und das Hirtenamt.
a) Das Lehramt
Wenn die Menschen zum ewigen Leben gelangen sollen, so ist vor allem notwendig, daß sie alles glauben, was Gott geoffenbart hat. Der hl. Paulus schreibt im Hebräerbrief: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Denn wer zu Gott kommen will, der muß glauben.“ (Heb. 11,6). Die absolute Heilsnotwendigkeit des Glaubens hat auch der Heiland selbst mehrmals unterstrichen: „Wer glaubt … wird gerettet werden.“ (Mk. 16,16). „Wer an Ihn [den Sohn Gottes] glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet.“ (Joh. 3,18). „Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ (Mk. 16,16).
Gottes Sohn hat die Wahrheit vom Himmel gebracht und sie während Seines dreijährigen Lehramtes der Welt verkündet. Er hat die Offenbarung bis zum Tod des letzten Apostels durch den Heiligen Geist vollendet. Diesen Schatz der göttlichen Wahrheit hat Er dann für alle zukünftigen Zeiten in der Kirche hinterlegt, damit er in ihr aufbewahrt bleibe.
Von diesem in der Kirche deponierten Glaubensgut – dem „depositum fidei“ – ist in der Heiligen Schrift öfters die Rede: „O Timotheus! Bewahre, was dir anvertraut ist“ (1. Tim. 6,20), mahnt der Völkerapostel seinen Schüler. Und an anderer Stelle: „Bewahre das hinterlegte Gut.“ (2. Tim. 1,14).
Weil das Heil der Menschen vom wahren Glauben abhängt, muß die geoffenbarte Wahrheit treu und unverfälscht bewahrt werden. Weil aber die göttliche Wahrheit die natürliche Fassungskraft des menschlichen Verstandes bei weitem übersteigt und außerdem der Mensch aufgrund der durch die Erbsünde bedingten geistigen Schwäche zum Irrtum und wegen seiner Trägheit und Bosheit zur Fälschung neigt, hat Christus den Heiligen Geist über die Kirche ausgegossen und ihr die Gabe der Unfehlbarkeit verliehen. Darum schrieb der hl. Paulus an Timotheus nicht nur: „Bewahre das hinterlegte Gut“, sondern er fügte auch hinzu, wie dies geschehen soll, nämlich: „durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt.“ (ebd.).
Erst unter dieser Voraussetzung war die Kirche in die Lage versetzt, die göttliche Wahrheit durch ihr Lehramt aller Welt zu verkünden. „Predigt von den Dächern.“ (Mt. 10,27). „Lehret alle Völker.“ (Mt. 28,19). „Geht in die ganze Welt und predigt das Evangelium allen Geschöpfen.“ (Mk. 16,15).
Aber nicht nur im Namen Christi zuverlässig zu lehren und zu predigen ist die Aufgabe des kirchlichen Lehramtes, sondern auch autoritativ von den Menschen aller Völker und Nationen unter Androhung der ewigen Verdammnis den Glaubensgehorsam zu fordern.
Wenn also die Kirche die Aufgabe hat, die Menschen zur ewigen Seligkeit zu führen, dann muß sie die amtliche Vollmacht haben, ihnen alles, was Gott geoffenbart hat, mit unfehlbarer Gewißheit und absoluter Zuverlässigkeit zu glauben, vorzulegen und vorzuschreiben. Und in der Tat hat Christus der Kirche Sein Lehramt übertragen, damit durch dasselbe die göttliche Wahrheit treu bewahrt und aller Welt bis zu Seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten zuverlässig verkündet werden kann.
b) Das Priesteramt
Der Glaube ist die absolute Grundbedingung – die „conditio sine qua non“ –, damit der Mensch heilig und selig werden kann, aber der Glaube allein genügt nicht. Ohne die göttliche Gnade kann der Mensch nicht zum Himmelreich gelangen. Das ist schlechthin unmöglich. Denn durch die übernatürliche Gnade wird der Mensch über seine geschöpfliche Beschränktheit hinausgehoben. Durch die Gnade erst empfängt er Anteil am Leben und an der Natur Gottes.
Als der Prophet Elias zum Berg Horeb berufen und auf seinem langen Weg durch die Wüste ans Ende seiner Kräfte gekommen war und nur noch zu sterben wünschte, da sandte ihm Gott auf wundersame Weise Brot und Wasser. Und nachdem sich der Prophet damit gestärkt hatte, heißt es von ihm: „Und in der Kraft dieser Speise ging er vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.“ (3. Kön. 19,8). Gott hatte den Elias auf den Weg geschickt, darum sorgte Er auch für ihn.
Woher aber bekommt der Mensch die übernatürliche Gnade, derer er bedarf, um den Horeb des Himmels zu erklimmen? Der Heiland hat ihm die Quellen der Gnade geöffnet, durch Sein Erlösungsopfer und besonders in den hl. Sakramenten.
Wenn also die Kirche die Aufgabe hat, die Menschen zu heiligen und sie zur ewigen Seligkeit zu führen, dann muß sie auch die Macht haben, über die Quellen des Heiles, also über die Wunden Jesu zu verfügen, die sie öffnet beim hl. Meßopfer, und über die hl. Sakramente, also über jene sieben hl. Gefäße, kraft derer die Erlösungsgnaden ausgeteilt werden sollen. Die Macht, sie zu bewahren, zu bewachen, zu spenden, sie zu öffnen, sie zu schließen. Diese Macht hat der Heiland seiner Kirche gegeben, indem Er ihr Sein Priesteramt übertrug: „Tut dies zu Meinem Andenken.“ (1. Kor. 11,24). „Denen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen. Denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ (Joh. 20,23).
Bei der hl. Messe werden den Menschen die Früchte des Kreuzesopfers ausgeteilt: Licht, Trost, Mut und Stärke. Ganz besonders die Gnade der Buße und die Versöhnung mit Gott. – Gleichfalls teilt Christus die heilsnotwendige Gnade aus bei der Spendung der hl. Sakramente. Die Sakramente sind die Quellen des Heiles. Das gilt im Allgemeinen für die fünf ersten Sakramente, an denen alle teilnehmen dürfen. Die Seele wird da entweder von Sünden gereinigt und aus einem Kind des Todes zu einem Kind Gottes umgeschaffen. Das geschieht durch den Empfang der hl. Taufe oder durch das hl. Bußsakrament. Oder die Seele wird im Gnadenstand erhalten und darin befestigt, was durch den Empfang der hl. Firmung, der hl. Kommunion und der hl. Ölung geschieht. – Im Besonderen sind die letzten beiden Sakramente, die nur für einzelne, besonders wichtige Stände eingesetzt sind, Heilsquellen der Menschen; nämlich die hl. Priesterweihe und das hl. Ehesakrament. Durch das Weihesakrament erhalten jene, die von Gott zum Dienst am Altar berufen sind, die Befähigung, ihr Amt treu zu verwalten und mit Eifer zum Heil der unsterblichen Seelen zu wirken. In dem letzten Sakrament empfangen jene, die den ehelichen Bund eingehen, den Beistand des Himmels, daß ihre Liebe ein vollkommenes Abbild der Liebe zwischen Christus und Seiner Braut, der hl. Kirche, sei; daß sie die erhabenen Kräfte der Weckung menschlichen Lebens im Sinne Gottes verwalten, damit sie in Frieden miteinander leben, ihr Kreuz tragen und ihre Kinder christlich erziehen können. Um diese heilsnotwendigen Gnaden und übernatürlichen Wohltaten fortwährend ausspenden zu können, hat Christus Seiner Kirche das Priesteramt übertragen.
c) Das Hirtenamt
Bleibt noch das dritte Amt unseres göttlichen Erlösers, das Hirtenamt. Wenn die Kirche die Aufgabe hat, alle Menschen zu heiligen und zur ewigen Seligkeit zu führen, dann muß sie auch das Recht und die Vollmacht haben, die Menschen zu führen und zu leiten. Und zwar nicht nur zu führen durch ihren weisen Rat, sondern sie wirklich mit Autorität zu führen; d.h. ihnen Vorschriften zu machen, welche Wege sie gehen müssen und welche Wege sie zu meiden haben. Sie muß das Recht und die Macht haben, diejenigen, die ihre Vorschriften nicht befolgen, zu strafen. Ja, das Recht und die Macht, diejenigen, die in ihrem Ungehorsam hartnäckig sind, aus ihrer Gemeinschaft auszuschließen.
Dieses Hirtenamt ist der Kirche absolut notwendig, um die ihr gestellte Aufgabe zu erfüllen. Und der Heiland hat es ihr übertragen: „Weide Meine Lämmer, weide Meine Schafe!“ (Joh. 21, 15.16.17). „Alles, was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt. 18,18).
Hätte wohl der hl. Erzengel Raphael die Aufgabe erfüllen können, den jungen Tobias nach Medien zu führen, wenn der junge Tobias nicht die Pflicht gehabt hätte, seinem Führer zu folgen? Wenn der hl. Raphael nicht das Recht gehabt hätte, zu bestimmen, welcher Weg einzuschlagen sei? – Welch vortrefflicher und zuverlässiger Führer war dieser hl. Erzengel! Er kannte die Wege, sprach er doch: „Alle Wege bin ich häufig gegangen.“ (Tob. 5,8). Ich werde ihn gesund hin- und wieder zurückführen. Und so geschah es.
Freilich war der Erfolg nicht nur der Macht des hl. Erzengels geschuldet, sondern auch dem Gehorsam seines Schützlings. Jedem Wink seines Führers war er gehorsam. – Beide erfüllten die ihnen obliegende Pflicht – der Führer und der Geführte – und mit welcher Fülle des Glücks wurde der junge Tobias für seinen Gehorsam überschüttet! „Er hat mich gesund hin und her geführt, er hat selbst das Geld bei [dem Schuldner] Gabeäl erworben, er hat mir ein Weib verschafft, den Dämon von ihr vertrieben und ihren Eltern Freude gemacht; mich selbst hat er vom Verschlingen des Fisches gerettet, und dich [Vater] hat er das Licht des Himmels sehen gemacht. Mit allem Guten sind wir von ihm überhäuft worden.“ (Tob. 12,2 f.).
Soll der Mensch sein ewiges Ziel erreichen, so darf er nicht nach seinem eigenen Urteil und Gutdünken sich ohne Führer auf den Weg begeben. Bei den vielen Irrwegen, die sich im Laufe eines Lebens auftun, würde er sich mit nahezu unfehlbarer Sicherheit verlaufen und bald im Morast und Sumpf der Sünde steckenbleiben bzw. darin untergehen. Darum hat der Heiland dem Menschen die Kirche als Führerin an die Hand gegeben und ihr den Auftrag erteilt, Sein Hirtenamt auszuüben.
Das geschieht, indem die Kirche Gebote erläßt und auf deren Einhaltung drängt. – Welche Gebote? Gottes Gebote! Diese sind der wahre und einzige Weg zum Himmel. „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“ (Mt. 19,17). Sie einzuhalten ist der Mensch verpflichtet. Aber nicht nur die Gebote Gottes, sondern auch die konkrete Anwendung dieser Gebote im Allgemeinen und in Bezug auf die jeweiligen zeitlichen Verhältnisse. Diese konkrete Anwendung erfolgt durch die Kirchengebote und durch die Erlasse der kirchlichen Gesetze.
Gegenwärtig gibt es fünf Kirchengebote: 1. Gebot: Du sollst am Sonntag und an den gebotenen Feiertagen die hl. Messe hören. 2. Gebot: Du sollst während der vierzigtägigen Fastenzeit, der vier Quatember und der gebotenen Vigilien fasten. Du sollst an den Tagen, an denen es verboten ist, kein Fleisch essen. 3. Gebot: Du sollst wenigstens einmal im Jahr beichten und wenigstens zu Ostern in der eigenen Pfarre kommunizieren. 4. Gebot: Du sollst zur Bestreitung der Bedürfnisse der Kirche den Gesetzen und Gebräuchen entsprechend beisteuern. 5. Gebot: Du sollst zu Zeiten, zu denen es verboten ist, das ist vom ersten Adventsonntag bis Epiphanie, und vom ersten Tag der Fastenzeit bis zur Oktav von Ostern, nicht feierlich Hochzeit halten. (vgl. 474. Frage „Kompendium der christlichen Lehre des hl. Pius X.“, Mediatrix, 1981).
Die kirchlichen Gesetze finden sich sodann im Allgemeinen seit 1917 im Kirchlichen Gesetzbuch (CIC) und im Besonderen in den päpstlichen und bischöflichen Erlassen. Für den Gottesdienst in den Rubriken der liturgischen Bücher. Für die Ablässe in den amtlichen Sammlungen der päpstlichen Pönitentiarie.
Durch das Hirtenamt wird das gesamte kirchliche Leben geregelt und in jener Ordnung bewahrt, die es den Menschen, welche diese Gesetze befolgen, ermöglicht, zielstrebig auf den Wegen des Heiles zu wandeln.
Aber das Hirtenamt schließt nicht nur die gesetzgebende Instanz in sich, sondern auch die exekutive und die judikative Gewalt. – Was nützten die Gebote, wenn sie nicht ausgeführt würden? Der hl. Paulus sagt: „Nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht vor Gott, sondern die Befolger des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.“ (Röm. 2,13). Darum drängt die Kirche auf die Erfüllung der Gebote. Sie mahnt und bittet ihre Kinder, daß sie den Willen Gottes vollziehen. Sie verkündet ihnen zeitlichen und ewigen Lohn, wenn sie die Gebote halten. Sie droht ihnen mit zeitlichen und ewigen Strafen, wenn sie die Gebote nicht halten. Ja, sie richtet und verhängt Strafen in dem Fall, wo mildere Mittel nichts nützen, und schließt am Ende die hartnäckig Widerspenstigen von ihrer Gemeinschaft aus, damit die Verächter der kirchlichen Autorität dadurch erschüttert in sich gehen und reuig in ihre mütterlichen Arme, die ihnen zu jeder Zeit offen stehen, zurückkehren, oder daß wenigstens die gesunde Herde vor dem schlechten Einfluß dieser räudigen Schafe geschützt bleibe.
Die zuverlässige Führerin zum ewigen Heil
Wie reich ist also die hl. Braut Christi ausgestattet! Das Lehramt, das Priesteramt und das Hirtenamt hat der göttliche Erlöser Seiner Kirche gegeben. Ihr Mund ist die Quelle, wodurch die göttliche Wahrheit kundgemacht wird. Aus ihrem Herzen entspringen die Ströme aller Gnaden Gottes, welche durch die Priester der Kirche gespendet werden. In ihrer Hand ist der Hirtenstab, der die Menschheit trittsicher auf dem schmalen und steilen Weg zum Himmel empor leitet (vgl. Mt. 7,13 f.). Nur so ist die Kirche tauglich als eine „übernatürliche Gesellschaft“, ihre schwierige Mission zu erfüllen und die Menschen heilig und selig zu machen.
Doch noch etwas Größeres hat der Heiland Seiner Kirche gegeben, wodurch dieses dreifache Amt erst seinen wahren Nutzen, man könnte sagen seinen himmlischen Wert erhält. Was würde der Menschheit sein Lehramt nützen, wenn seine menschlichen Träger irren könnten? Was würde der Menschheit sein Priesteramt nützen, wenn seine menschlichen Träger sakramentale Riten einführen könnten, die ungültig, die also die Gnade nicht zu vermitteln imstande sind? Und was würde es der Menschheit nützen, der Autorität von Hirten zu gehorchen, die sie durch ihre Gesetze in Irrtum und Sünde führen könnten?
Um das zu verhindern, hat der Heiland Seiner erwählten Braut Seinen Geist, den Heiligen Geist, versprochen und gegeben, damit sie bei der Verwaltung dieses dreifachen Amtes unterstützt werde: Sie besitzt das Lehramt. Und sie hat den Beistand des Heiligen Geistes. Was folgt daraus? Ihr Lehramt ist unfehlbar. – Sie hat das Priesteramt und den Beistand des Heiligen Geistes. Was folgt? Ihr Priestertum kann nie aussterben. Sie trägt die Gnade in Gefäßen, die nie zerbrechen, die nie leer werden, deren Inhalt nie schal wird. Ihre Sakramente bleiben immer unverfälscht echt, immer zuverlässig gültig. Ein Defekt ist absolut ausgeschlossen. Die Gnadenströme werden immer fließen und bleiben immer frisch. – Schließlich hat die Braut Christi das Hirtenamt. Sie führt den Stab des guten Hirten. Aber ihr Arm ist geleitet vom Heiligen Geist. Was folgt daraus? Sie kann uns keine Gesetze auferlegen, die sich für das Heil unserer Seele schädlich auswirken. Sie irrt sich nicht auf dem Weg, und die ihr folgen, gelangen unfehlbar zu den hellen und seligen Höhen des ewigen Lebens.
Möchten wir es nur an uns nicht fehlen lassen, möchten wir die Gnade benützen, welche uns angeboten wird. Möchten wir so glauben und so leben, wie uns die katholische Kirche zu glauben und zu leben befiehlt. Dann würden wir schnell und sicher an das selige Ziel gelangen und in jene Freude eingehen, „die kein Auge geschaut, kein Ohr gehört und keines Menschen Herz jemals empfunden hat.“ (1. Kor. 2,9). Amen.