Der Siegeszug des hl. Rosenkranzes

Geliebte Gottes!

Wenngleich die Entstehung des Rosenkranzgebetes in der Form, wie wir sie heute pflegen, erst im 16. Jahrhundert im Rahmen der Gegenreformation zu suchen ist, so ist es seit den frühesten Jahrhunderten bei Christen gebräuchliche Praxis, gewisse Gebete – namentlich das Vaterunser – in bestimmter Anzahl zu verrichten, und dabei nach Kügelchen oder dergleichen abzuzählen.

Geschichtliche Entwicklung

Der Kirchenhistoriker Sozómenos berichtet im 5. Jahrhundert von einem Mönch, der täglich 300 Vaterunser zu beten pflegte und dieselben durch Steine abzählte, die er aus seinem Schoß fallen ließ. Bald darauf begegnet man dem Brauch, die Vaterunser anhand von Kügelchen abzuzählen, die an einer Schnur aufgefädelt sind, weshalb diese Gebetsketten zunächst „Pater noster“ genannt wurden.

Die Bezeichnung „Rosenkranz“ scheint ebenfalls auf diese frühe Zeit zurück zu gehen. In der Väterzeit war es nämlich offenbar üblich, die Muttergottes an ihren Festen durch aus Rosen geflochtene Weihekränze zu ehren. Die Königin der Blumen sollte den Ruhm der „Königin aller Heiligen“ mehren, ihre Schönheit widerspiegeln und den Duft ihrer Tugenden versinnbilden. Der hl. Kirchenlehrer Gregor von Nazianz soll sich durch diese Weihegaben der Gläubigen veranlaßt gesehen haben, der Himmelskönigin einen geistlichen, aus Gebeten bestehenden Kranz zu „flechten“. Von da ab habe dann eine bestimmte Abfolge von Lobgebeten zur Ehren der Gottesmutter den Namen „Rosenkranz“ erhalten.

Im 13. Jahrhundert wurde diese Gebetsweise durch den hl. Dominikus nach Inhalt und Form vervollkommnet und durch seine Predigt zu einer immer allgemeineren Andacht in der ganzen Christenheit. – Im Jahr 1208 wurde der hl. Dominikus von Papst Innozenz III. nach Südfrankreich gesandt, um gegen die sich dort ausbreitende Sekte der Albigenser zu predigen, um dem Volk die in Verfall geratene katholische Glaubens- und Sittenlehre wieder bekannt zu machen. Unwissenheit und Lasterhaftigkeit machten es den Sektierern leicht, das Evangelium zu fälschen, die erhabensten Geheimnisse des Glaubens zu lästern, die Sakramente zu schänden und das Volk gegen die Bischöfe aufzustacheln. Sie griffen zu den Waffen, raubten und brandschatzten, zerstörten Kirchen und Klöster, vergossen Blut in Strömen. – Nach drei mühevollen Jahren hatte der hl. Dominikus die Quelle des Übels zwar klar in der allgemeinen Unkenntnis des katholischen Glaubens ausgemacht, doch vermochte er nicht viel dagegen auszurichten. Deshalb zog er sich vor Toulouse in die Einsamkeit der Wälder zurück, legte sich dort schwerste Bußwerke auf und flehte zum Himmel um Erleuchtung, welches Mittel zur Anwendung gebracht werden solle, um der Häresie wirksam zu begegnen. Nach drei Tagen war er völlig entkräftet. Da erschien ihm die allerseligste Jungfrau und sprach zu ihm: „Du weißt, mein Sohn, welche Mittel Gott gebraucht hat, um das Menschengeschlecht zu erlösen. Das Erste war der Gruß, den mir der Erzengel brachte; darauf folgte die gnadenreiche Geburt und das heilige Leben Jesu Christi; dann Sein bitteres Leiden und Sterben; endlich Seine glorreiche Auferstehung und Himmelfahrt. Damit wurde die Welt erlöst und der Himmel eröffnet. Diese Geheimnisse des Lebens und Leidens Jesu Christi, umschlossen von dem Gruß des Engels und dem Gebet des Herrn, sind mein Rosenkranz. Verkündige diesen meinen Rosenkranz den Abtrünnigen. Das wird der Anfang ihrer Bekehrung sein.“

Und in der Tat! Die Verbreitung der neuen Gewohnheit, in den Rosenkranz die wichtigsten Begebenheiten aus dem Leben, Leiden und Triumphieren des Heilandes und Seiner unbefleckten Mutter einzuflechten, wurde zur wirksamsten Waffe des hl. Dominikus. Dabei beschränkte man sich nicht allein auf die 15 Geheimnisse, die wir heute in Zehnerreihen zu betrachten pflegen. Bei jedem Ave wurde vom Vorbeter ein neues Ereignis aus dem Leben Jesu eingefügt. Dominikus erklärte die Hauptgeheimnisse des Glaubens mit unwiderstehlicher Beredsamkeit und ließ dieselben in öffentlichen Gebetsübungen öfter wiederholen und betrachten. So prägte er sie dem Herzen des Volkes wieder ein.

Zwei Dinge wurden also durch den Rosenkranz erreicht. Erstens: Der Beter wird durch den Rosenkranz dazu angeleitet, sich selbst zu predigen; sich das Werk der Erlösung und die ewigen Wahrheiten zu vergegenwärtigen; Herz und Leben danach zu gestalten. Kurz: Das Rosenkranzgebet bringt den fleißigen Beter dazu, die drei göttlichen Tugenden in seiner Seele zu begründen und in der Folge sein sittliches Verhalten an das Tugendbeispiel Christi und an das Vorbild Mariens anzugleichen. Zweitens: Seine prägende Kraft entfaltet der Rosenkranz durch die oftmalige Wiederholung. Die Wiederholung ist ja bekanntlich die „Mutter der Studierenden.“ Die häufige Wiederholung prägt den Inhalt der selbstgehaltenen Predigt dauerhaft der Seele ein, wodurch der geheimnisvolle Inhalt der Glaubenswahrheiten seine heiligende Kraft im Beter entfalten kann. Das Rosenkranzgebet ist also ein psychologisches Meisterwerk!

Die vom hl. Dominikus erhoffte und von der Gottesmutter verheißene Wirkung blieb nicht aus. Durch die Unterweisung des hl. Dominikus trat der Rosenkranz seinen ersten Siegeszug an und übertraf mit der Rückgewinnung der Städte Toulouse, Montpellier, Carcassonne usw. alle Erwartungen, so daß man sich auch in Rom darüber erstaunt zeigte. Das Volk versammelte sich in Scharen, um miteinander den hl. Rosenkranz zu beten. Massen drängten sich um die Kanzeln, um die Erklärung der Geheimnisse zu vernehmen. Die Kirchen wurden zu eng, um die Beter zu fassen. Kaum 50 Jahre nach der Predigt des hl. Dominikus waren Tausende Häretiker in den Schoß der Kirche zurückgekehrt, und Tausende von Sündern hatten den Weg der Buße beschritten, um ihre Verbrechen zu sühnen.

Der hl. Alfons von Liguori schrieb einige Jahrhunderte später: „So schnell fielen auf den Trompetenschall des Josue die Stadtmauern Jerichos nicht zusammen, als die Irrlehrer auf das Gebet des hl. Rosenkranzes verschwanden. Der Bethesda-Teich zu Jerusalem war nicht so heilsam für die körperlich Kranken wie die Rosenkranzandacht für die seelisch kranken Sünder. Ja, der Prophet Elisäus hat nicht so viele Leichname belebt, als der hl. Dominikus durch dieses Gebet im Laster und Irrtum erstarrte Seelen erweicht und wieder zum Leben der Gnade erweckt hat.“

Überall in der lateinischen Welt hielt der Rosenkranz Einzug. Es bildeten sich Vereine in den Städten und Dörfern. Die ersten Bruderschaften, mit allgemeinen und besonderen Statuten, bildeten sich und wurden durch Papst Urban IV. im Jahr 1261 gut geheißen und bestätigt. Seither ist die Rosenkranzandacht von fast 30 Päpsten ausdrücklich empfohlen und durch Gewährung von Ablässen gefördert worden. Die Marienverehrung nahm einen neuen segensreichen Aufschwung und an allen Orten sah man Kapellen und Altäre „zu Ehren Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ entstehen.

Die Päpste empfahlen den Rosenkranz nicht nur. Sie pflegten ihn auch selber mit großem Eifer und ließen sich selbst in die Rosenkranzbruderschaften einschreiben. Namentlich waren dies die Päpste Innozenz V., Benedikt XI., der hl. Pius V., Gregor XIII., Paul V., Alexander VII., Klemens IX., Benedikt XIII., Pius VII. und der große „Rosenkranzpapst“ Leo XIII., der während seines Pontifikates nicht weniger als neun Enzykliken über den hl. Rosenkranz veröffentlichte sowie die Anweisung gab, im Monat Oktober täglich in den Pfarrkirchen den dritten Teil des Rosenkranzes – also 5 Gesätze – öffentlich zu beten, wodurch der Oktober seither zum offiziellen „Rosenkranzmonat“ erklärt wurde.

Kaiser, Könige und Fürsten, Heilige, Bischöfe und Ordensleute, Missionare und Laien, hohe Gelehrte und einfache Kinder, Arbeiter, Künstler und arme Leute – die Vertreter aller gesellschaftlichen Stände griffen zum Rosenkranz und ließen seine Perlen durch ihre Finger gleiten. Alle haben sie Gnade um Gnade aus dem Rosenkranzgebet gezogen und ihr ewiges Heil damit gewirkt, indem sie den steilen Weg, der ins Leben führt, mit der Gebetskette des hl. Rosenkranzes in der Hand sieghaft in Angriff nahmen.

Ja, man kann sagen: Jeder, der den Rosenkranz bis zu seinem Tod treu betet, der wird seine Seele retten. Entweder er wird seine Seele retten oder er wird den Rosenkranz wieder weglegen. Die Verdammten werden darin übereinkommen, daß sie den Rosenkranz entweder gar nicht gebetet haben – weil sie ihn nie kannten oder weil sie ihn verachteten – oder daß sie ihn zwar eine Zeitlang gebetet haben, dann aber aus Nachlässigkeit und Überdruß wieder damit aufgehört haben.

Man wird keinen Heiligen in den letzten Jahrhunderten finden, der den Rosenkranz nicht besonders geliebt und durch denselben große Gnaden von Gott erhalten hätte. Alle schöpften sie daraus „das Heil vom Herrn.“ (Spr. 8,35). Gleiches sollen auch wir durch das Beten des hl. Rosenkranzes tun. Denn der Rosenkranz hat nicht nur in seiner Geschichte einen Siegeszug hingelegt, er selbst beinhaltet den Weg zum Triumph der ewigen Glückseligkeit.

Die drei Wege des Rosenkranzes

Gehen wir auf diesen Gedanken noch etwas genauer ein. Der Rosenkranz beinhaltet den Weg zum ewigen Heil, weil die drei Teile der Rosenkranzgeheimnisse – die freudenreichen, die schmerzhaften und die glorreichen Geheimnisse – die drei Wege des geistlichen Lebens vorzeichnen, welche wir durchlaufen müssen, um in den Himmel zu kommen. Dieser Gedanke stammt von einem französischen Dominikaner, der sich folgendermaßen ausdrückte: „Ich meine, es gibt drei Wege, [und] diese drei Wege sind vorgezeichnet … durch die Rosenkranzgeheimnisse: … den Weg der Freude, den Weg des Kreuzes und – ich wage nicht zu sagen den Weg der Herrlichkeit, denn die Herrlichkeit schließt den Begriff des Weges aus; die Herrlichkeit findet sich am Ende des Weges – sagen wir also einfach den Weg des himmlischen Wandels.“ Während die Herrlichkeit ein Ruhen im Besitz Gottes ist, so ist unter dem dritten Weg, dem „Weg des himmlischen Wandels“, die vertrauteste Freundschaft mit Gott gemeint, also das Leben in der größtmöglichen Einigung mit Gott hier auf Erden.

Und er fährt fort: „Der Weg, den wir hier auf der Erde gehen müssen, hat diese drei Aspekte, welche in den Rosenkranzgeheimnissen so schön zum Ausdruck kommen: Freude, Kreuz, Herrlichkeit. Der Weg, der dem ersten Ansporn durch die göttliche Anziehungskraft entspricht [ist der Weg der Freude]. Der Weg, welcher der Losschälung der Seele entspricht, ist gleichsam die Auflösung unserer selbst, die notwendig ist, damit die göttliche Klarheit uns vollkommen durchdringen kann. [Das ist der Weg des Kreuzes]. Und schließlich der Weg des Himmels, der uns [schon hier auf Erden] entgegenkommt, der Jakobsleiter gleich … die nicht von der Erde aus hochragt, sondern [gnadenhaft] vom Himmel herabkommt.“

Wenn man einmal einen Moment darüber nachdenkt, kann man feststellen, wie wahr diese Erkenntnis ist. Wir können in unserem geistlichen Leben, in dem Leben unserer Seele, welches aufgrund seiner ewigen Dauer unser einzig wirklich wichtiges Leben ist, feststellen, daß sich diese drei Wege tatsächlich darin finden.

a) Weg der Freude

Zunächst der Weg der Freude. Das ist der Augenblick, wenn man Gott persönlich entdeckt; der Moment unserer Bekehrung. Von diesem Moment, in dem wir beginnen, den Weg der Freude zu beschreiten, sprach unser göttlicher Erlöser im Gleichnis: „Das Himmelreich ist gleich einem Schatz, der in einem Acker verborgen lag. Der ihn fand, hält ihn verborgen. Voll Freude geht er hin, verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.“ (Mt. 13,44).

Wir alle haben solche Momente erlebt. Wir alle sind irgendwann auf diesem Weg der Freude gewandelt, als wir zum Glauben gefunden haben, als wir in Gott unseren Daseinszweck und den Besitz Gottes als den Sinn unseres Lebens erkennen durften, als wir die Heilsmittel, die Gott uns geschenkt hat, hochschätzen gelernt haben: den Wert des Gebetes, der hl. Messe und der hl. Sakramente. Da hat uns eine freudige Begeisterung erfaßt. Es wurde ein großes Interesse geweckt, diesen Schatz, den wir da entdeckt haben, genauer kennenlernen zu wollen. Wir haben gebetet, gelesen und studiert. Mit Freude! – Die erste Freude hat es uns leicht gemacht, den ersten Verzicht, den der Glaube uns auferlegt, zu leisten. Nur wenn jemand voll Freude den übernatürlichen Schatz des Glaubens gefunden hat, geht er hin und verkauft alles. D.h., er veräußert alles, was dem Leben mit Gott entgegensteht, er trennt sich von der Sünde, er nimmt den Leib in Zucht, daß er nicht gegen Gottes Gebot aufbegehre. Er will nichts Unrechtes besitzen und sein Herz nicht an das klammern, was er gerechterweise besitzt. Er will seine Selbstsucht, seine Eigenliebe überwinden, sich aus Liebe zu Gott gerne unterordnen. Alle Katholiken – zumindest jene, die ihren Glauben praktizieren – kennen diesen Weg der Freude, weil allein dieser all die ersten Opfer verständlich macht, die ein jeder seinem Stande gemäß erbringen muß, um als Katholik in der heutigen Welt zu leben. Dieser Weg der Freude ist der erste Teil des geistlichen Lebens.

Auf diesem Weg ist natürlich auch die allerseligste Jungfrau Maria gewandelt, wenngleich auf ganz andere Weise. Auch Maria kannte diesen unvorhersehbaren Moment, als Gott sich ihr offenbarte und sich ihr selbst geschenkt hat. Sie erlebte ihn vor allem in der gnadenreichen Stunde, als der hl. Erzengel Gabriel zu ihr kam und ihr ganz unvermittelt sagte, daß Gott sie auserkoren habe, die Mutter Seines ewigen Sohnes zu sein. In ihrem „Magnifikat“ drückt sie ihre überschwengliche Freude aus, und wir begleiten Maria durch alle freudenreichen Geheimnisse des Rosenkranzes dabei, wie sich ihre Freude mehr und mehr entfaltet und wie sie sich darin bewähren muß.

b) Weg des Kreuzes

Der Weg der ersten Freude ist jedoch noch nicht das Ziel! Das anzunehmen, wäre ein verhängnisvoller Irrtum. Nachdem sich uns Gott in der Freude geschenkt hat, möchte Er uns weiter an Sich ziehen. Das geht aber nur, wenn wir uns von uns selber lösen. Deshalb müssen unsere Schritte nach dem Verkosten der ersten Freude auf den Weg des Kreuzes gelenkt werden. Denn unser Herr sagt eindeutig: „Voll Freude geht er hin, verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.“ Durch die Erfahrung dieses zweiten Weges verstehen wir, was diese Worte bedeuten: „Er geht hin, verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.“ – Ja, wir müssen diesen Schatz kaufen, er wird uns nicht kostenlos gegeben. Der Moment seiner Entdeckung wird uns kostenlos gegeben. Um den Schatz jedoch zu besitzen, müssen wir „den Acker kaufen“, der ihn birgt. Und um den Acker zu kaufen, müssen wir so sein wie der Mann im Gleichnis, der alles verkauft, was er hat“.

Das ist der zweite Weg, der Weg des Kreuzes, die zweite Phase im geistlichen Leben. Auch die Gottesmutter wandelte auf diesem Weg. Ja, sie kannte ihn besser als jeder andere Mensch. Auch sie mußte alles geben und nichts wurde ihr erspart. Die schmerzhaften Rosenkranzgeheimnisse zeigen uns Schritt für Schritt, daß Maria das größte Opfer bringen mußte, das je einem Menschen abverlangt worden war und je abverlangt werden wird: Sie opferte ihren Sohn, der gleichzeitig Gott ist. Wie der Schatz, welcher ihr offenbart wurde, kostbarer war, so war auch der Preis, den sie zu zahlen hatte, ein höherer.

Die Betonung des Verzichtes auf dem zweiten Weg liegt auf dem „alles“! Um den Schatz zu besitzen, müssen wir „alles verkaufen, was wir haben“, alles, woran sich unser Herz klammert. Gott verlangt nach dem unumschränkten Primat in unserem Leben. Der Preis, das Gewicht dieses „alles“, variiert entsprechend Gottes Plan für jeden Einzelnen von uns. Dieses „alles“ kann für die unterschiedlichen Menschen ein Mehr oder ein Weniger bedeuten, abhängig davon, wie viel Gott ihnen geben will.

Alle müssen wir jedoch „alles“ geben, nicht unbedingt in der äußeren Wirklichkeit, aber doch in der inneren Hingabe an Gott. Unser Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Er will unsere Liebe. Er will in unserem Herzen die erste Stelle einnehmen und wird keine andere akzeptieren. Also müssen wir alle in unserem Leben viele Opfer bringen, weil wir Gott über alles lieben lernen müssen. Um Ihn zu haben, müssen wir alles verkaufen. Der bittere Schmerz erinnert uns daran, daß noch nicht alles in liebendem Opfer Gott dargebracht ist.

Die schmerzhaften Geheimnisse des Rosenkranzes lehren uns, in welcher Gesinnung wir den Weg des Opfers beschreiten müssen. Wir müssen dem Kreuzweg folgen, dürfen das Kreuz nicht abwerfen, dürfen nicht verzagt stehenbleiben und aufgeben. Nur wenn wir treu und beharrlich die Dunkelheiten durchstehen, werden wir auf den dritten Weg geführt werden können, auf den „Weg des himmlischen Wandels“, der zur Herrlichkeit führt. Denn strenggenommen gehört die Herrlichkeit nicht zum Weg. Die Herrlichkeit ist das Ziel. Sie besteht im Schauen des verborgenen Schatzes, im ewigen Genuß seines unendlichen Wertes. Die Herrlichkeit erwartet uns also erst am Ende des dritten Wegabschnitts.

c) Weg des himmlischen Wandels

Dieser dritte Weg ist aber eine Art Vorgriff, ein Vorgeschmack auf den Himmel. Nachdem wir den Schatz im ersten Weg – dem Weg der Freude – entdeckt haben, dann hingehen und wirklich alles, was wir haben, im zweiten Weg – dem Weg des Kreuzes – verkaufen, wird sich uns gnadenhaft der dritte Weg auftun – der Weg des himmlischen Wandels.

Dieser dritte Weg ist die Frucht unserer Treue im Befolgen der anderen beiden Wege; in der Umwandlung unserer Freude in Opfer; im Hingeben von allem, um alles zu erhalten. Schon in diesem Leben wird der Seele ein erster Anteil des himmlischen Schatzes zuteil, indem sich ihr Gott in einer bisher ungekannten und übernatürlichen Weise mitteilt. Weil die Seele den Preis auch wirklich und vollständig bezahlt hat, darf sie den Schatz im Acker ganz für sich besitzen. Solange die Seele in diesem Leben ist, bleibt es ein Schatz „im Acker“. Noch kann sie den Schatz nicht schauen, aber sie begreift, daß sich alle ihr abverlangten Opfer mehr als gelohnt haben. Der sichere Besitz schenkt der Seele vollkommenen Frieden und Freude, bis ihr Glück vollendet wird an dem Tag, da der Schatz im Acker gehoben wird; also wenn sich die Seele vom Leib trennt und sich der Blick wandelt in die verklärte Schau Gottes „von Angesicht zu Angesicht“.

Der hl. Paulus beweist uns seine Kenntnis des dritten Weges, wenn er sagt: „Ich bin ja überzeugt, daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der Herrlichkeit, die sich offenbaren soll an uns“ (Röm. 8,18). Auch der Völkerapostel durchlief die drei Wege. Die Erfahrung des ersten Weges machte er vor Damaskus, als ihm Christus erschien, um ihn von der Blindheit des Unglaubens zu heilen, indem Er ihn vorübergehend mit der Blindheit der Augen schlug. Von dem Weg des Kreuzes, den der hl. Paulus zu gehen hatte, erfahren wir alljährlich am Sonntag Sexagesima, wo uns die Epistel aus dem 2. Korintherbrief einen Abriß über seine Leiden in Form einer „Litanei der Schmerzen“ gibt (vgl. 2. Kor. 11,19-33; 12,1-9). Dabei hören wir jedoch auch von dem dritten Weg, den ihn der Herr führte; von dem „Weg des himmlischen Wandels“, als der hl. Paulus bis in den dritten Himmel entrückt wurde und im Paradies Worte vernahm, die auszusprechen einem Menschen unmöglich sind. (2. Kor. 12,4).

Auch die Allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria kannte diesen dritten Weg; und wiederum besser als irgendjemand sonst; besser selbst als der hl. Paulus. Maria war dafür ausersehen, nicht nur einfach in den Himmel einzugehen, sondern dessen Königin zu sein. Folglich war sie schon auf Erden in die Geheimnisse der Verherrlichung ihres göttlichen Sohnes bei Seiner Auferstehung und Himmelfahrt in einzigartiger Weise einbezogen. Sie durfte an Pfingsten eine Seligkeit genießen, die jedem anderen Geschöpf, außer der „Braut des Heiligen Geistes“, verschlossen bleiben mußte. Doch wurde auch die Seligkeit Mariens erst erfüllt an dem Tag, als sie ihren irdischen Lauf vollendet hatte und mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen und dort zur Königin gekrönt worden war. Maria kannte diesen dritten Weg besser als jeder andere, so wie sie auch die anderen beiden Wege besser als jeder andere kannte.

„Ich laufe also, aber nicht ins Ungewisse.“

Hier liegt der tiefe Sinn des Rosenkranzes, der auch der tiefe Sinn unseres Lebens ist. Der Sinn unseres Lebens als Christen, egal welchem Stand wir angehören, besteht in der Entfaltung des übernatürlichen Lebens in unserer Seele. Die Geheimnisse des hl. Rosenkranzes lehren uns die Grundwahrheiten unseres Glaubens. Sie zeigen uns alle Tugenden, die wir uns aneignen müssen, um auf dem dreigliedrigen Weg zur Herrlichkeit voranzuschreiten. Sie helfen uns, alle Versuchungen überwinden, die Sünde bekämpfen und die Macht der Laster brechen. Sie führen uns den Siegespreis der himmlischen Herrlichkeit vor Augen, für den es sich lohnt, alles, aber auch wirklich alles aufzugeben. Wenn wir die Rosenkranzgeheimnisse auf unseren Lippen führen, dann wird unser Leben immer mehr zu einem Echo, zu einem Widerschein des dreifachen Rhythmus des Lebens der Freude, des Leidens und des himmlischen Wandels, wie er sich am Leben des Heilandes und Seiner heiligsten Mutter findet.

Erinnern wir uns daran, wenn wir in diesem Monat hoffentlich täglich zum Rosenkranz greifen, um uns selber die Glaubenswahrheiten zu predigen, um sie durch häufige, aufmerksame Wiederholung unserem Geist und unserem Herzen einzuprägen.

Und mag man uns eines Tages auch alles nehmen. Seien es die Priester, die Möglichkeit, zur hl. Messe zu kommen oder die hl. Sakramente zu empfangen. Mag man uns das alles nehmen. Und darüber hinaus auch noch unseren Besitz, unsere frommen Bücher, die Heilige Schrift, den Katechismus, einfach alles, was wir besitzen. Eines kann man uns nicht nehmen. Unseren Rosenkranz! Der ist tief eingegraben in unserem Gedächtnis. Der Rosenkranz aber wird uns den Glauben bewahren helfen und die wahre Freude zeigen, die aus dem Glauben kommt. Er wird uns den Sinn und die Notwendigkeit des Kreuzes und der Leiden erschließen und in uns die übernatürliche Gottesliebe wecken, die uns bereit macht, alles für Gott hinzugeben. Schließlich wird er uns die ewigen Güter der Herrlichkeit vor das innere Auge stellen, damit wir auf deren verheißenen Besitz unsere unverbrüchliche Hoffnung gründen.

Wenn wir dem Pfad des hl. Rosenkranzes folgen, können wir mit dem hl. Paulus sagen: „Ich laufe also, aber nicht ins Ungewisse. Ich kämpfe, aber nicht indem ich Luftstreiche ausführe.“ (1. Kor. 9,26). Und durchdrungen von den Geheimnissen des Rosenkranzes dürfen wir dann auch in sieghafter Zuversicht in den letzten Kampf unseres Lebens ziehen, den Schlachtruf des Völkerapostels auf den Lippen führend: „Für mich ist Christus das Leben und Sterben ist mir Gewinn.“ (Phil. 1,21). Amen.

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