5. Sonntag nach Ostern
Der Trost des Gebetes
Geliebte Gottes!
Rührender hätte unser Herr Jesus Christus die Apostel nicht auf Sein baldiges Scheiden und Sein „Gehen zum Vater“ vorbereiten können, als Er es in Form Seiner Abschiedsreden beim letzten Abendmahl getan hat. Wie soeben, so haben wir schon an den beiden Sonntagen zuvor einige kurze Auszüge daraus gehört.
Das Evangelium des dritten Sonntags nach Ostern schloß mit der göttlichen Versicherung, auf eine „kleine Weile“ des Leidens und der Trauer, in welcher unsere Wiedergeburt für das ewige Leben zustande kommen soll, werde ein Zustand größter Seelenfreude folgen, der niemals endet, der ewig währt. Das war der erste Trost. Der Trost der „kleinen Weile“.
Am vierten Sonntag nach Ostern fügte der Heiland einen weiteren hinzu, indem Er den Heiligen Geist als „Tröster“ verheißt, der die Apostel durch Seinen unfehlbaren Beistand in das Reich der göttlichen Wahrheit einführen wird; der sie zuverlässig auf den „Weg zum Vater“, welchen Christus vorausgeht, anführt und sie die Wege des Unglaubens und der Ungerechtigkeit der Welt verurteilen läßt. Es war der Trost des „Geistes der Wahrheit“, der allen Zweifel, alle Unklarheit im Lichte vollkommener Erkenntnis verschwinden macht und den Jüngern des Herrn eine unverbrüchliche Sicherheit im Glauben und im sittlichen Handeln liefert. „An jenem Tag werdet ihr Mich um nichts mehr fragen“ (Joh. 16,23), so verheißt Er ihnen den Trost des „Geistes der Wahrheit“, der sie in alle Wahrheit einführen wird.
Doch die Bedrängnis des Geistes, die Unvollständigkeit und Unsicherheit in der Erkenntnis ist nicht die einzige Not, unter welcher der Mensch in diesem irdischen Jammertal leidet. Es gibt neben ihnen noch tausenderlei andere Mühsale, die den Menschen mutlos und trostlos machen. – Auch den Aposteln lag die Furcht des Auf-sich-alleingestellt-seins als schwere Last auf dem Herzen. Wie sollten sie ohne den zum Himmel auffahrenden Meister bestehen? – Diese zitternde Angst der Apostel nimmt der Herr hinweg, indem Er ihnen einen dritten Trost aufzeigt: Das Gebet! Denn an das Gebet knüpft der Heiland die große Verheißung: „Bittet, und ihr werdet empfangen, und eure Freude wird vollkommen sein.“ (Joh. 16,24).
Um dem Trostcharakter des Gebetes nachzuspüren, wollen wir uns drei wesentliche Gedanken über das Gebet ins Gedächtnis rufen und in uns lebendig halten. Nämlich:
- das Wesen des Gebetes,
- die Einteilung des Gebetes und
- die Notwendigkeit des Gebetes.
Das Wesen des Gebetes
Was heißt beten? – In seiner klassischen Definition beschreibt der hl. Johannes von Damaskus das Gebet als eine „elevatio mentis ad Deum“ – als eine „Erhebung des Geistes zu Gott.“ Beten heißt also, seinen Geist zu Gott erheben.
Um die Bedeutung dieser Wesensbeschreibung richtig zu verstehen, müssen wir die einzelnen Begriffe genauer klären und uns fragen: Was ist hier unter „Geist“ zu verstehen? Wie kann der Geist „erhoben“ werden? Wie kann der Geist „zu Gott“ erhoben werden? Indem wir diese Fragen beantworten, schreiten wir in der Wesenserkenntnis des Gebetes voran.
Das Gebet ist eine Erhebung des Geistes. Was aber ist Geist? Das Wort ist bekannt, aber seine Bedeutung ist ziemlich weit bzw. mehrdeutig. Was ist hier mit „Geist“ gemeint? Wir sagen der „Geist“ eines Menschen, das ist nichts anderes als die Seele. – Aber besteht gar kein Unterschied, ob man sagt: Seele, oder ob man sagt: Geist? Durchaus! Es besteht ein Unterschied. – Zur Veranschaulichung einige Beispiele: Was ist der Wind? Woraus besteht er? Aus Luft! Besteht nun ein Unterschied zwischen Wind und Luft? Ja, es besteht ein Unterschied. Unter dem Wind verstehen wir die Luft, aber die Luft in ihrer Bewegung. – Was ist der Sturm? Woraus besteht er? Aus Luft, aber aus der Luft, die in heftiger, schneller Bewegung dahinfährt. – Was ist die Flut? Sie besteht aus Wasser, aber aus dem Wasser, das in Bewegung ist, das beständig ansteigt. – Ähnlich ist hier das Wort „Geist“ zu fassen. Er ist nichts anderes als die Seele selbst, aber die Seele in Bewegung.
Aber kann denn die Seele in Bewegung geraten? Freilich nicht so, wie körperliche Dinge sich bewegen, wie etwa ein Auto oder eine Gewehrkugel; nicht so wie wir unseren Arm oder unseren Fuß bewegen. Die Seele hat jedoch durchaus Bewegungen in ihre verschiedenen Richtungen: zu Liebe und Haß; zu Hoffnung und Furcht; zu Staunen und Ekel; zu Bewunderung und Verachtung; zu Mitleid und Rachsucht. Kurz: zu tausend Bewegungen, guten und bösen, freiwilligen und unfreiwilligen, heftigen und mäßigen Bewegungen, die wir in der Umgangssprache auch „Gemütsregungen“ nennen.
Nun haben wir uns den Weg zu der Erklärung gebahnt, wie der Geist „erhoben“ werden kann. – Auch bei der Erhebung des Geistes im Gebet ist keine körperliche Erhebung gemeint. Wir können die Hände zum Himmel erheben. Das ist eine körperliche Erhebung. Aber wir sagen auch – und die Heilige Schrift drückt sich ebenso aus – daß wir die Augen zum Himmel, zu den Sternen erheben. Werden dabei die Augen wirklich körperlich in die Höhe gehoben? Natürlich nicht. Die Augen bleiben, wo sie sind, aber der Blick der Augen richtet sich nach oben, zum Himmel, zu den Sternen.
Wenn der Geist sich aufschwingt zu Gott, dann bleibt er, wo er ist. Aber die Bewegung des Geistes richtet sich weg von der Welt, nach oben zu Gott. – Darum singt König David im 24. Psalm: „Zu Dir, o Herr, erhebe ich meine Seele.“ (Ps. 24,1). David hat seinen Geist abgewendet vom Berge Sion, vom Heiligtum der Bundeslade, von seinem Heer, von seinen Feinden, seinen Kämpfen, seinen Siegen, von seinem Volk, von seinem Königreich, von allem, was auf der Welt ist, und hat die Bewegung seines Geistes nach oben gerichtet, auf Gott. „Zu Dir, o Herr, erhebe ich meine Seele.“
Ja, beim Gebet ist die Seele wirklich „zu Gott“ erhoben! Denn obwohl Gott allgegenwärtig und folglich in der Seele selber zugegen ist, – wie der hl. Paulus sagt: „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ (Apg. 17,28) – so ist Er doch das höchste Wesen, der Allerhöchste, das höchste Gut und an Vollkommenheit über alles erhaben, was in der Welt ist; unendlich erhaben! Darum muß die Seele und muß der Geist des Menschen die Niederungen des Irdischen verlassen und sich im Gebet aufschwingen, um sich zu Gott zu erheben. Sie muß aufwärts steigen, hoch, sehr hoch steigen; im Geiste in den Himmel hinaufsteigen. – „Wunderbar, überaus wunderbar“, so sagt wiederum König David im 92. Psalm, „überaus wunderbar sind die Erhebungen des Meeres.“ (4) – Zuweilen liegt das Meer da, wie ein glatter Spiegel. Die Sterne spiegeln sich in ihm. Zuweilen sind seine Wellen leicht gekräuselt. Die Schiffe schaukeln darauf, wie das Kind in der Wiege. Aber gewaltig und furchteinflößend sind die Bewegungen des Meeres im Sturm. Die Wogen steigen turmhoch, berghoch, als wollten sie die Sterne vom Himmel in ihren Fluten ertränken. Überaus wunderbar sind die Erhebungen des Meeres. Aber noch weiter hinauf reichen die Erhebungen des Geistes, wenn die Seele im Gebet ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre Sorgen, ihre Befürchtungen auf Gott den Allerhöchsten richtet; Ihn zu bewundern; Ihn anzubeten; Ihm zu danken; Ihn um Gnade zu bitten. – Beten heißt seinen Geist zu Gott erheben, um Ihn zu loben, Ihm zu danken oder Ihn um Gnade zu bitten.
Wir schwingen uns im Gebet gleichsam mit dem in den Himmel auffahrenden Heiland über alles Irdische, Niederdrückende, Beschwerliche, Mühsame empor. So ist das Gebet ein Trost. Jedes Gebet ist in gewisser Weise eine Himmelfahrt unserer Seele; ist ein Vorauseilen unseres Geistes in das himmlische Vaterland. Es verbindet uns mit Gott.
Und wenn wir im „Namen Jesu“ beten, d.h. wenn wir aus den Motiven und Absichten Jesu beten, wenn wir auf die Art und Weise Jesu beten und wenn wir vertrauensvoll auf Seine Verdienste gestützt beten, so wird uns das Erbetene mit Gewißheit zuteil werden. So verheißt es der Heiland im heutigen Evangelium: „Wenn ihr den Vater in Meinem Namen um etwas bitten werdet, so wird Er es euch geben.“ Das heißt jedoch nicht, daß wir alles erhalten, was wir uns wünschen, sondern daß wir unfehlbar das erhalten, was Gott in Seiner unendlichen Güte und weisen Vorsehung uns „im Namen Jesu“ zu geben beschlossen hat.
Der hl. Augustinus führt dazu erklärend aus, daß derjenige, welcher zwar bittet aber nicht erhält, nicht „im Namen Jesu“, sondern nur in seinem eigenen Namen gebetet hat; daß er um etwas bittet, das in Wahrheit dem Heil seiner Seele zuwider ist. Deshalb erhält er es nicht. Denn wer etwas Minderwertiges oder gar Schädliches erbittet, der bittet unmöglich im Namen Christi. Er hat nicht die Gebetsmeinung Christi, sondern bittet allein in seinem rein menschlichen Interesse. Weiter führt der hl. Kirchenlehrer aus: „Wer aber die Meinung Christi hat, der bittet wirklich in Seinem [Christi] Namen und wird auch das, worum er bittet empfangen, sofern er nicht zum Schaden seines ewigen Heiles bittet.“ (in Joan. trac. 102) Über den Zeitpunkt des Empfangens fügt der hl. Augustinus sodann noch eine wichtige Bemerkung hinzu: „Er empfängt aber erst dann, wenn er das Empfangene nötig hat. Denn manches wird uns nicht gerade versagt, wohl aber hinausgeschoben und uns erst zur gelegenen Stunde gegeben.“ Ferner weist der hl. Kirchenvater in Seiner Erklärung darauf hin, daß sich das unfehlbarer Empfangen der erbetenen Gaben nur auf das bezieht, was wir für unser persönliches Heil erbitten. Hingegen kann nicht zwangsläufig das gewährt werden, was wir für andere erflehen, weil der andere dem, was wir für ihn bei Gott erbitten, womöglich ein Hindernis setzt, das verhindert, daß er die erbetene Gabe – etwa die Bekehrung zum katholischen Glauben – von Gott empfangen kann: „Das Wort: ‚Er wird es euch geben‘, ist so zu verstehen: Es soll damit auf jene Gnaden hingewiesen werden, welche die Bittenden persönlich angehen. Denn alle Heiligen werden erhört, wenn sie für sich selbst etwas erbitten, aber nicht immer, wenn sie für ihre Freunde oder Feinde oder für sonst jemand bitten; denn es heißt nicht schlechthin: ‚Er wird es geben‘, sondern ‚Er wird es euch geben.‘“
Die Verheißung der Erhörung unserer Gebete ist ein großer Trost! Wenn wir „im Namen Jesu“ beten, dann beten wir uns hinein in den Willen Gottes, der nicht einfach nur Gutes, sondern stets das für unser Heil Beste geben will und geben wird. – Doch fragen wir uns weiter nach der Einteilung des Gebetes.
Die Einteilung des Gebetes
Diese „Erhebung des Geistes zu Gott“, worin das Gebet besteht, kann nun aus verschiedenen Motiven, also aus einem unterschiedlichen Antrieb heraus geschehen. Es kann geschehen entweder um Gott zu loben, oder um Ihm für Seine Wohltaten zu danken, oder um Ihn um eine Gnade zu bitten. Hieraus ergibt sich die erste und gewöhnlichste Einteilung des Gebetes: in Lobgebet, Dankgebet und Bittgebet.
Mit Recht steht dabei das Lobgebet an erster Stelle. Denn es ist die Aufgabe aller Geschöpfe, sowohl in der Zeit als auch in der Ewigkeit, Gott den Herrn und Schöpfer aller Dinge zu loben, zu preisen und zu verherrlichen. Wenn die vernünftigen Geschöpfe diese Aufgabe erfüllen, dann beten sie, und ihr Gebet ist ein Lobgebet. Demnach kann man sagen, daß die heiligen Chöre der Engel und die Scharen der Heiligen im Himmel ununterbrochen mit dem Lobe Gottes – also mit dem Lobgebet – beschäftigt sind.
Zweitens: Alle Geschöpfe empfangen samt und sonders tagtäglich, stündlich, ja, jeden Augenblick aus der freigebigen Hand Gottes Wohltaten, seien es natürliche oder seien es übernatürliche Wohltaten. Dafür sind die vernunftbegabten Geschöpfe Gott Dank schuldig. Und wenn sie diesen Dank abstatten, so beten sie; also sie üben das Dankgebet.
Sodann bedürfen alle Menschen auf Erden, die noch auf ihrer irdischen Pilgerschaft zur ewigen Heimat der himmlischen Glückseligkeit unterwegs sind, stets neuer segensreicher Gnaden und Gaben Gottes, sowohl im Bereich der Natur und noch viel mehr im Bereich der Übernatur. Um diese für unser ewiges Heil notwendigen Wohltaten Gottes müssen die Seelen im Pilgerstand bitten. Und wenn sie das tun, so verrichten sie ein Bittgebet.
Außer der kurz umrissenen Einteilung in Lob-, Dank- und Bittgebet gibt es noch eine andere Einteilung, nämlich in das „innere“ und in das „mündliche“ Gebet.
Wenn die Seele sich zu Gott aufschwingt, so kann sie die geistigen Bewegungen des Lobes, der Bewunderung, der Freude, des Dankes, der Bitte, der Reue, der Liebe, der Hingabe, des Vertrauens – und wie sie alle heißen mögen – in sich erwecken, erhalten, darin verweilen und sich darin steigern, ohne dabei auch nur ein einziges Wort zu sprechen. Das ist das „innere“ oder „betrachtende“ Gebet.
Wenn hingegen die Bewegung des Geistes in Worte gekleidet und in Worten ausgedrückt wird, so haben wir es mit dem „mündlichen“ Gebet zu tun; egal ob sich dabei die Lippen bewegen.
Soviel soll uns über die Einteilung des Gebetes für heute genügen. Viel wichtiger ist es, uns den dritten Punkt klar zu machen: Die Notwendigkeit des Gebetes!
Die Notwendigkeit des Gebetes
Für alle Menschen, die den Vernunftgebrauch haben, ist das Gebet zur Seligkeit notwendig. Anders gesagt: Wer beten kann und nicht betet, der kann nicht selig werden. Das ist eine sehr ernste und sehr wichtige Wahrheit. Wie kann man sie beweisen?
a) … beweist das Beispiel Christi.
Erstens: Aus dem Beispiel Jesu Christi. – Was mag der Heiland während Seiner Kindheit und in den langen dreißig Jahren getan haben, die Seinem öffentlichen Leben vorausgegangen sind? – Unleugbar: Gebet! Vor allem Gebet. – Was tat Christus nach Seiner Taufe im Jordan, also unmittelbar bevor Er Seine öffentliche Lehrtätigkeit begann? – Er zog sich in die Einsamkeit der Wüste von Judäa zurück. Und was tat Er dort? Er fastete und betete. Gebet mit strengstem Fasten. Gebet vierzig Tage lang. – Wie verhielt Er sich während Seines öffentlichen Wirkens? – Am Tag: Arbeit, Predigt, Krankenheilungen. Nachts: Gebet. Ja, ganze Nächte brachte Er in der Einsamkeit und im Gebet zu. – Womit begann Er Sein heilbringendes Leiden? Mit dem Gebet im Ölgarten. – Womit schloß Er Sein Leiden und Sein irdisches Leben am Kreuz? Mit den Worten: „Vater, in Deine Hände befehle Ich Meinen Geist.“ (Lk 23,46). Das ist ein Gebet. Sein letztes Gebet.
Nun stellt sich die Frage: Wozu betete Er – der Sohn Gottes – so viel? Hatte er es denn notwendig, um die Versuchungen zu überwinden? Nein, Er konnte nicht sündigen! – Mußte Er beten, um Gnaden zu erlangen? Nein, Er besaß alle Gnaden. Er ist ja die Quelle aller Gnaden. – Bedurfte Er des Gebetes, um einst in die beseligende Anschauung Gottes zu kommen? Nein, Seine Seele war beständig in der Anschauung Gottes. – Aber wozu betete Er dann? Wir werden keinen zwingenden Grund finden, außer diesen: Christus wollte uns mit höchstem Nachdruck ein Beispiel geben, um uns die Notwendigkeit des Gebetes in allen erdenklichen Lebenslagen einzuschärfen.
Mit dem Beispiel des Heilandes stimmen sodann auch Seine Worte überein. Wie oft hat Er nicht gesagt, daß wir beten, daß wir viel beten, daß wir ohne Unterlaß, also immer beten sollen? Daß wir durch das Gebet alles erreichen können! „Bittet, und ihr werdet empfangen; suchet, und ihr werdet finden; klopfet an, und es wird euch aufgetan werden.“ (Lk. 11,9).
b) … beweist die Lehre der Kirche.
Mit der Lehre Christi stimmt – zweitens – natürlich auch die Lehre der Kirche überein. Sie lehrt uns ja, daß das Gebet zur Seligkeit schlechthin notwendig ist. Auch das ist leicht zu beweisen.
Gehen wir aus von der Frage, ob es notwendig ist, daß wir ewig selig werden. Nun, wenn das nicht geschieht, dann bleibt nichts anderes übrig als die ewige Unseligkeit, die ewige Verdammnis; also ewige Qual, ewiges Verderben. Um dieses furchtbare Schicksal abzuwenden, bleibt nichts anderes übrig als selig zu werden.
Die ewige Glückseligkeit ist jedoch ein übernatürliches Gut, d.h. es übersteigt die Kräfte unserer menschlichen Natur. Es ist außerhalb unserer natürlichen Reichweite. – Um es zu erreichen bedürfen wir der übernatürlichen Gnadenhilfe Gottes; ja, die übernatürliche Hilfe Gottes ist uns absolut notwendig! Das ist Dogma: Niemand kann ohne die Gnade Gottes gerettet werden. Und Gott will uns die notwendige Hilfe auch schenken. Wir haben zwar keinen Anspruch darauf, aber Gott will uns die übernatürliche Gnade schenken. Was allein ist nun dazu notwendig, um die übernatürliche Gnade und vor allem die „Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende“ geschenkt zu bekommen? Die Bitte! Das Gebet! Folglich ist das Gebet notwendig.
Ja, kann man denn behaupten, es sei von Gott zu viel verlangt, wenn wir um selig zu werden, wenigstens darum beten sollen? Ist es zu viel verlangt, wenn wir Menschen in irdischen Angelegenheiten schon sagen, daß der Bedürftige, etwa ein Bettler, wenigstens um das Almosen, dessen er bedarf und das er begehrt, bitten und wenigstens die Hand ausstrecken soll, um es zu empfangen? – Niemand hat einen Anspruch, daß ihm alles, was er begehrt, automatisch zufällt oder hinterhergeworfen wird. Wenigstens muß er darum bitten. – Und so ist es auch bei Gott. Das Gebet ist also notwendig zur Seligkeit.
c) …beweist die Praxis.
Zu allem Überfluß kann auch noch als dritter Beweis die kirchliche Gebetspraxis angeführt werden. – Die Apostel stehen dabei ganz am Beginn dieser Praxis. Sie sind die zwölf Stammväter des neutestamentlichen Gottesvolkes. Aber auch sie mußten ihre Seele retten, wie wir. Was haben sie getan? Als echte Schüler Christi haben sie ähnlich wie ihr göttlicher Meister das Gebet geübt. – Die Apostel waren Männer des Gebetes. Das hoben sie hervor, als sie die sieben Diakone einsetzten, welche die Werke der tätigen Nächstenliebe – insbesondere der Armenspeisung – übernehmen sollten: „Es geht nicht an, daß wir vom Worte Gottes ablassen, und den Tisch besorgen.“ (Apg. 6,4). Das sollten fortan die Diakone übernehmen, damit die Apostel für ihre primäre Aufgabe frei sein konnten. Und welche vorrangigere Aufgabe ist das? „Wir aber werden bei dem Gebete und dem Dienste des Wortes [d.h. bei der Glaubensverkündigung] beharren.“
Ähnlich wie ihr göttlicher Meister, so haben die Apostel das Gebet allen Gläubigen empfohlen. „Wachet im Gebet“, schreibt der hl. Petrus (1. Petr. 4,7). Der hl. Paulus insistiert im Römerbrief: „Seid beharrlich im Gebet“ (12,12) und an die Thessalonicher richtet er die Forderung: „Betet ohne Unterlaß!“ (1. Thess. 5,17).
Ist es da ein Wunder, wenn von den ersten Christen in Jerusalem vor allem hervorgehoben wird, daß sie Liebhaber des Gebetes waren? Die Apostelgeschichte berichtet von ihnen: „Sie aber verharrten in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft des Brotbrechens und im Gebet.“ (Apg. 2,42).
Und wenn wir sodann aus der Zeit Christi und der Apostel hinaustreten in die darauf folgenden christlichen Jahrhunderte, so finden wir nichts anderes vor. Alle Heiligen, deren Leben bekannt, deren Heiligkeit von der Kirche bestätigt worden ist, sind ohne Ausnahme Liebhaber des Gebetes gewesen. Ein Heiliger ohne Gebet wäre wie ein Himmel ohne Gebet, wie eine Kirche ohne Gebet. Also völlig undenkbar!
Doch betrachten wir auch kurz noch die Kehrseite. Sehen wir auf diejenigen, die allmählich in ihrem anfänglichen Eifer im geistlichen Leben nachlassen, die in Lauheit, in die Sünde, ins Laster, in Unglauben, in Gottvergessenheit und schließlich in Verzweiflung fallen. Sind das diejenigen, die beten? Niemals! Eben weil sie das Gebet unterlassen, geraten die Sünder immer weiter voran auf dieser abschüssigen Bahn.
Wenn aber jemand, der auf „den breiten Weg, der ins Verderben führt“ (Mt. 7,13), geraten ist, sich davon bekehrt, dann läßt sich der Anfang seiner Bekehrung mit Sicherheit bestimmen. Es ist der Augenblick, da er anfing zu beten. Am Anfang jeder echten Umkehr und jeder wahren Lebensbesserung steht immer das Gebet. Und umgekehrt: Am Anfang jeder Verschlimmerung und jedes Abdriftens in die Todsünde steht immer die Vernachlässigung des Gebetes. – Der hl. Franz von Sales – ein großer Meister des innerlichen Lebens und des Gebetes – sagt: „Wer gut betet, ist ein guter Christ; wer schlecht betet, ist ein schlechter Christ, und wer gar nicht betet, ist gar kein Christ.“
Einüben für die Ewigkeit
Wir können unsere heutigen Überlegungen gar nicht anders schließen, als mit dem Vorsatz: Wir wollen das Gebet, diese dritte Quelle des Trostes, eifrig gebrauchen, unsere Seele aufschwingen zu unserem göttlichen Erlöser, der zur Rechten Gottes des Vaters sitzt, um für uns als Mittler und Fürsprecher einzustehen.
Wir wollen „in Seinem Namen“ beten mit der festen Hoffnung, daß wir unfehlbar das erhalten, was für unser ewiges Heil notwendig, ja, was das Beste ist.
Wir wollen beten in Glück und Unglück, in der Jugend und im Alter, in gesunden und kranken Tagen, im Leben und im Sterben. Im Gebet wollen wir in allen Lebenslagen unseren Trost suchen. Und dann werden wir einst in der Ewigkeit fortfahren, das ewige, das selige Loblied zu Ehre Gottes zu singen: „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geist.“ Amen.