Die Einteilung der Sünden

Geliebte Gottes!

Die Fastenzeit hat begonnen, die Zeit des Ernstes, der Selbstüberwindung, des geistlichen Kampfes. Der Heiland verheißt denen das Reich Gottes, die es mit Eifer suchen. Er sagt: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt gebrauchen, reißen es an sich.“ (Mt. 11,12). Wir müssen uns aufraffen und die schlechten Gewohnheiten angreifen, mit denen wir einen falschen Frieden geschlossen haben. Auch in diesem Sinne dürfen wir dieser Tage das Wort des Herrn verstehen: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt. 10,34). Es gilt das Schwert des Geistes zu ergreifen, um uns durch dessen Schärfe von allen Dingen loszumachen, die uns zur Sünde hinziehen; um uns auch der erlaubten Dinge zu enthalten, die uns jedoch Anlaß zur Sünde werden können.

Das heutige Evangelium zeigt uns, wie Christus das Schwert des Geistes führt und das Bollwerk des Satans zerstört. Er fastet. Er betet. Und er übt die Nächstenliebe, denn Er tut das alles nicht für Sich, sondern für uns. – Gebet, Fasten und Almosen, das sind die drei gezielten Hiebe, mit denen auch wir, das Bollwerk Satans zerschlagen können. Das Bollwerk des Satans aber ist die Sünde.

Haß gegen die Sünde

Wer einen Feind bezwingen will, der muß ihn gut kennen. Deshalb wollen wir uns – wie schon am vergangenen Sonntag – so auch heute und an den kommenden Sonntagen mit dem vielschichtigen Thema der Sünde befassen. Die genauere Kenntnis der Sünde wird uns nicht nur dazu dienen, sie bei unserer Gewissenserforschung leichter ausfindig zu machen, sie zu enttarnen; sondern die tiefere Erkenntnis der Sünde soll uns auch dazu verhelfen, einen größeren Abscheu, ja einen Haß gegen die Sünde zu entwickeln. Haß und Abscheu gegen die Sünde, sind nämlich ein hervorragender Schutzschild eben gegen dieselbe. – Dabei verhält es sich mit dem Haß genauso wie mit der Liebe. Liebe und Haß sind die einander entgegengesetzten Leidenschaften in unserem Herzen. Je größer die Liebe, um so größer ist automatisch der Haß des Gegenteils. Je mehr wir Gott lieben, um so mehr werden wir die Sünde hassen. Und umgekehrt: Je mehr wir die Sünde hassen, um so sicherer ist unsere Gottesliebe. Deshalb sündigen wir oft so leichtfertig, weil wir die Sünde zu wenig hassen. Und wir hassen die Sünde zu wenig, weil wir oft gar nicht wirklich begreifen, was wir da eigentlich tun, wenn wir sündigen.

Wiederholung: Was ist die Sünde?

Wir haben diese Frage zwar schon letzten Sonntag ausführlich behandelt, wollen aber das Gesagte nochmals kurz wiederholen, weil es grundlegend ist. – Was ist die Sünde? Der hl. Apostel Johannes gibt in seinem ersten Brief die kurze Antwort: „Jeder, der die Sünde tut, übertritt das Gesetz.“ (1. Joh. 3,4). Oder wie es der Katechismus ausdrückt: „Die Sünde ist die freiwillige Übertretung des göttlichen Gesetzes.“

Zu jeder Sünde gehören drei Dinge: 1. Das Gesetz. 2. Die Übertretung des Gesetzes. 3. Die Freiwilligkeit der Übertretung. Fehlt eines, so liegt keine Sünde vor.

Diese drei Merkmale bestimmen das Wesen der Sünde und finden sich schon bei der ersten Sünde der Stammeltern. Adam und Eva kannten das Gebot Gottes. Indem sie von dem verbotenen Baum aßen, haben sie das göttliche Gesetz übertreten. Und diese Übertretung geschah wissentlich und willentlich. Gewiß, die Schlange hat ihnen dazu geraten. Aber die Stammeltern wurden nicht dazu gezwungen. Sie haben freiwillig das Gesetz Gottes übertreten und damit aus eigenem Antrieb gesündigt.

Das göttliche Gebot ist vielfältig. Wir kennen die Zehn Gebote, die Gott am Berg Sinai geoffenbart hatte. Unser Herr Jesus Christus hat sodann im Evangelium Gesetze erlassen, welche die alttestamentlichen Gebote vervollkommnet und vollendet haben. Durch das vierte Gebot ist sodann all das durch den göttlichen Willen gedeckt, was die rechtmäßige Obrigkeit in Kirche und Staat, in Familie und am Arbeitsplatz anordnet. Die Vorgesetzten sind Stellvertreter Gottes. Wer sich gegen ihre rechtmäßigen Anordnungen verfehlt, der sündigt. Denn, wer sich gegen die Vorgesetzten auflehnt, der lehnt sich gegen Gott auf, dessen Stelle sie vertreten. Die Sünde ist Auflehnung gegen Gott und gegen die von Gott gesetzte Ordnung. Sie ist eine Beleidigung Gottes, denn sie entzieht Gott die Ehre. Dies geschieht in dem Maß, als die Sünde die göttliche Ordnung stört.

Eine Sünde begeht aber nur, wer wissentlich und willentlich ein Gebot Gottes übertritt. Wer ohne sein Verschulden über ein Gesetz und seine Geltung in Unkenntnis ist, begeht keine Sünde. Wohl gemerkt: Ohne eigenes Verschulden! – Gerade gewissenhafte Menschen tragen schwer daran, daß sie in früheren Abschnitten ihres Lebens häufig und schwer gesündigt haben; manchmal ohne es zu wissen, daß etwas eine Sünde ist. Wenn sie es nicht besser wissen konnten; wenn sie sich also bemüht haben, den Willen Gottes zu erkennen, ihn aber dann doch nicht erkennen konnten, dann lag keine Sünde vor. Sie waren in unverschuldeter Unkenntnis. – Anders ist es bei jenen, die aus Nachlässigkeit oder gar Vorsatz ihre Pflichten gegen Gott, ihre Pflichten gegen den Nächsten und ihre Pflichten gegen sich selbst nicht kennen. Wer in der Predigt nicht aufpaßt, den Warnungen seines Gewissens nicht nachgeht und sich durch Nachfragen beim Beichtvater oder durch Nachlesen im Katechismus Klarheit verschafft; wer nie ein geistliches Buch zur Hand nimmt, um darin zu lesen, dessen Unkenntnis ist selbstverschuldet. Wir haben die Pflicht, gut und böse unterscheiden zu lernen und unser Gewissen zu bilden. Wer das versäumt, der ist, obwohl er in dem Augenblick, da er sündigt, die Sünde nicht erkennt, dennoch schuldig. Denn er ist selber schuld an seinem Unwissen!

Ebensowenig ist die Sünde vorhanden, wenn man nicht einwilligt. Wenn man durch Gewalt zu einer Sünde gezwungen wird, ohne dabei die innere Zustimmung zu geben, so liegt keine Sünde vor. Auch wenn einen der Satan mit schlechten Gedanken angreift, ist das solange keine Sünde, als man nicht darin einwilligt. Jeder Mensch wird angegriffen durch schlechte Gedanken: Gedanken der Schadenfreude, Gedanken des Neides, Gedanken der Habsucht, Gedanken der Wollust, Gedanken der Abneigung. Solange wir nicht einwilligen, sind die Gedanken unschädlich. Sobald wir aber auch nur einen Augenblick eingewilligt haben, ist die Sünde geschehen. Selbst dann, wenn auf den Gedanken keine weitere Tat folgt. Durch die Einwilligung ist die Sünde vollbracht.

Ferner kann von Sünde keine Rede sein, was während des Schlafes oder im Traum geschieht. Das Unterbewußtsein des Menschen arbeitet ja im Schlaf weiter. Da wird alles Mögliche aufgerührt; auch Dinge von denen wir nichts wissen wollen, die wir zutiefst ablehnen. Im Schlaf sind wir unzurechnungsfähig. Weil unser freier Wille während des Schlafes jedoch keine Kontrolle über die Träume hat, ist all das, was darin geschieht, nicht gewollt, nicht freiwillig und damit nicht sündhaft.

Anders sieht es aus, wenn man die Unzurechnungsfähigkeit freiwillig herbeiführt. Wer sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, um dann in diesem Zustand Dinge zu tun, die er im normalen Zustand nicht tun würde, der ist schuld an dem, was er in der Trunkenheit anrichtet, weil er die Ursache für diese unfreiwillig geschehenen Handlungen gesetzt hat. Er hat die Trunkenheit frei gewollt.

Das ist also die Sünde: Sie ist eine schuldhafte Verletzung der göttlichen Ordnung. Sie ist die freiwillige Übertretung eines göttlichen Gesetzes.

Die Einteilung der Sünden

Das Heer der Sünden ist unüberschaubar groß. Um sie besser bekämpfen zu können, ist es nützlich, wenn wir sie nach ihren Gattungen und Arten kennenlernen. – Wenn jemand etwa eine Abhandlung über die „Welt der Vögel“ schreiben wollte, so wird der Verfasser, nachdem er dargelegt hat, worin alle Vögel miteinander überein kommen – die Flügel, das Gefieder, das Fliegen – fortfahren, und die einzelnen Arten der Vögel behandeln: Die Raubvögel, die Singvögel, die Wasservögel, die Zugvögel, usw. In ähnlicher Weise wollen wir nun die Sünde nach ihren verschiedenen Arten einteilen. Dabei bieten sich viele Einteilungsmöglichkeiten.

a) Erbsünde – Persönliche Sünden

Eine Sünde findet sich bei allen Kindern Adams – mit Ausnahme der unbefleckten Gottesgebärerin – nämlich die „Erbsünde“. Sie bildet eine eigene Klasse für sich. Alle anderen Sünden, werden ihr gegenüber in eine andere große Gruppe zusammengefaßt, die als „persönliche Sünden“ bezeichnet wird. Im Gegensatz zur Erbsünde, die wir – wie der Name schon sagt – ohne unser persönliches Zutun, lediglich aufgrund unserer Abstammung ererbt haben, sind wir für unsere eigenen Sünden persönlich verantwortlich. Alle nun folgenden Einteilungen der Sünde sind Untergliederungen der „persönlichen Sünden“.

Der hl. Paulus teilt die persönlichen Sünden ein, in Sünden des Fleisches und Sünden des Geistes (vgl. 2. Kor. 7,1). Also in Sünden, die geschehen aufgrund der menschlichen Schwäche, die sinnlichen Leidenschaften zu beherrschen, und Sünden, die aus der Bosheit des Geistes heraus vollbracht werden. – Ferner unterscheidet man sechs „Sünden gegen den Heiligen Geist“ und sieben „himmelschreiende Sünden“. Auf diese werden wir später einmal zurückkommen.

b) Sünden gegen die Gebote bzw. Tugenden

Hauptsächlich werden die Sünden nach den Geboten oder Tugenden eingeteilt, welche durch die Sünde verletzt werden. Das ist die Einteilung der Sünden, wie wir sie aus dem Beichtspiegel kennen. Die Sünden werden nach dem jeweiligen Gebot klassifiziert und voneinander unterschieden, welches sie verletzen. Ein Beispiel: Alle Erscheinungsformen der Lüge, wie Täuschung, Heuchelei, Verleumdungen, etc. faßt man zusammen unter der Bezeichnung „Sünden gegen das achte Gebot“. Der Diebstahl hingegen fällt nicht unter diese Kategorie, weil er nicht das achte, sondern das siebte Gebot verletzt. – Gleiches gilt auf dem Gebiet der Tugenden. Geiz und Stolz sind der Art nach verschiedene Sünden, weil sie sich gegen verschiedene Tugenden richten. Der Geiz ist gegen die Freigebigkeit gerichtet, der Stolz gegen die Demut.

c) Fremde Sünden – Eigene Sünden

Eine ganz bedeutsame, aber weitgehend vergessene Unterscheidung ist die zwischen „fremden“ und „eigenen Sünden“. „Eigene Sünden“ sind jene, die wir selber begehen. „Fremde Sünden“ sind solche, die zwar andere begehen, an denen wir aber (mit) schuld sind. Man kann an fremden Sünden auf vielfache Weise schuldig werden. Etwa durch Befehlen, durch Anraten, durch Einwilligen, durch Loben, durch Unterstützen, durch Verteidigen, durch Reizen, durch Schweigen oder durch Verzicht auf die notwendige Strafe.

Die Heilige Schrift ist voll von Beispielen aller Arten von „fremden Sünden“: So befahl Herodes den Kindermord. Er hat nicht selbst getötet, aber er war verantwortlich dafür, daß andere getötet haben. Aaron willigte ein, als ihn das Volk bedrängte, das goldene Kalb zu verfertigen. Die Initiative ging vom Volk aus, aber er hat dieses Vorhaben nicht verhindert, sondern aufgegriffen und ihm zugestimmt. Das böse Weib des Job reizte ihren Mann in seinem Elend zum Fluchen. Er hat zwar nicht geflucht, doch seine Frau hat sich durch Reizen schuldig gemacht. Der Hohepriester Heli sah zu, wie seine Priestersöhne die frommen Israeliten bedrängten, ihnen die besten Fleischstücke zu überlassen, bevor sie auf den Brandopferaltar kamen. Für sein tatenloses Schweigen wurde er von Gott schwer gestraft. – Eltern, Arbeitgeber, Vorgesetzte, irdische Machthaber, Parlamentarier und Geistliche können sich leicht fremder Sünden schuldig machen. Das geschieht immer dann, wenn man in einer der genannten Weisen an dem Bösen schuld hat, das andere tun.

d) Tatsünden – Unterlassungssünden

Heute wollen wir noch auf zwei Einteilungen ausführlicher zu sprechen kommen. Einmal die Unterteilung, nach der jeweiligen Erscheinungsform, d.h. die Art und Weise „wie“ man sündigt. Zum anderen die Einteilung nach dem Gewicht der jeweiligen Sünde.

α) Die Tatsünden

Alle Sünden lassen sich in zwei Gruppen einteilen, auf die wir uns vor jeder Beichte erforschen müssen. Man sündigt entweder aktiv, durch eine böse Tat, oder passiv, indem man einer göttlichen Forderung durch Unterlassung nicht nachkommt. Man unterscheidet also die „Tatsünden“ von den „Unterlassungssünden“.

Aktiv sündigt man in Gedanken, Worten und Werken. Tatsünden können verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Sie nehmen stets ihren Ursprung in Gedanken. Das neunte und zehnte Gebot des Dekalogs – „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib“ und „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut“ – verbietet uns beispielsweise den unkeuschen Begierden, die in Form von Gedanken in uns aufsteigen zuzustimmen, genauso wie den Gedanken des Neides und der Habsucht, im Bezug auf fremdes Eigentum.

Bemerkenswert ist, daß man sich schon in Gedanken nicht nur versündigen, sondern auch schwer sündigen kann. Wenn wir nämlich in Gedanken unsere Zustimmung, unsere Einwilligung zu etwas schwer Sündhaftem gegeben haben, dann ist es, als hätten wir es schon in der Tat vollbracht. Deshalb warnt der Prophet Jeremias vor der „Bosheit der Gedanken“ (Jer. 4,4), und Christus erklärt, daß man in Gedanken einen Ehebruch verüben kann: „Ich sage euch, daß jeder, der eine Frau mit Begierde nach ihr anblickt, der hat schon im Herzen mit ihr die Ehe gebrochen.“ (Mt. 5,28). Wer der Begierde innerlich zustimmt, der „hat schon“ gesündigt!

Der böse Gedanke bahnt sich sodann seinen Weg nach außen, durch das böse Wort. Auch durch Worte kann man auf vielfache Weise sündigen. Etwa durch Lügenworte, Fluchworte und Lästerworte; durch Klatsch und Tratsch; durch Ehrabschneidung und Verleumdung. Sodann auch durch harte, verletzende Worte. Oder aber durch Schmeicheleien. Besonders schwerwiegend sind unzüchtige Worte, denn dadurch entfacht man ein Feuer im Herzen des Nächsten, das nicht selten einen verheerenden Brand anrichtet. Nicht umsonst sagt der Völkerapostel: „Böse Reden verderben gute Sitten“ (1. Kor. 15,33).

Auch Worte, die sich gegen den Glauben richten, sind hier anzuführen; Worte mit denen der Glauben kritisiert, verspottet oder angezweifelt wird; herabsetzende Worte über Priester, Predigt, Sakramente, kirchliche Gesetze und Einrichtungen. Dadurch erschüttert man den Glauben bei denjenigen, die solche Reden anhören. Ja, man fördert damit den Geist des religiösen Widerwillens, der den Keim der Auflehnung und der Revolution gegen Gott in sich trägt, der sich im schlimmsten Fall bis zum Glaubensabfall auswachsen kann. Damit aber wäre das Schlimmste geschehen und dem Herzen des Nächsten die tiefste Wunde geschlagen.

Der sündhafte Gedanke tritt jedoch am deutlichsten in Erscheinung, wenn er wirklich sichtbar, ja gleichsam handgreiflich wird. Das geschieht durch die bösen Werke. Damit sind alle von Gott verbotenen Handlungen gemeint: Unschamhafte Blicke, die Ausführung eines Diebstahls, der Unzucht, des Ehebruchs, der gewalttätigen Mißhandlung des Nächsten, der Trunkenheit und Völlerei usw.

β) Die Unterlassungssünden

Man kann jedoch nicht nur aktiv sündigen, durch die Tat, sondern auch passiv, durch Unterlassung des Guten. Wir sind verpflichtet gottgefällige Werke zu üben! Der hl. Petrus ruft uns zu: „Befleißigt euch, eure Berufung durch gute Werke gewiß zu machen.“ (2. Petr. 1,10). Ähnliches sagt der hl. Paulus, wenn er im Galaterbrief schreibt: „Lasset uns Gutes tun und nicht ermüden!“ (Gal. 6,9). Der Heiland sagt nun: „Jener Knecht aber, der den Willen seines Herrn gekannt, und sich nicht bereit gehalten, und nicht getan hat nach seinem Willen, wird viele Streiche bekommen.“ (Lk. 12,47). Und der hl. Apostel Jakobus bringt es auf den Punkt: „Wer nun Gutes zu tun weiß, und es nicht tut, dem ist es Sünde.“ (Jak. 4,17). Wer also das Gute unterläßt, der sündigt.

Die Unterlassung des Guten geschieht im Allgemeinen. Etwa wenn sich einem die Gelegenheit bietet, daß man ein Almosen geben kann und es nicht tut; wenn man in eine Situation kommt, wo man dem Nächsten eine Hilfe oder sonst einen Liebesdienst leisten könnte und es unterläßt; wenn sich die Zeit böte zum öfteren Gebet, zur guten Vorbereitung auf den Empfang der hl. Sakramente etc., man diese Zeit dann aber für unnütze Dinge gebraucht; wenn sich einem Gelegenheiten bieten, bei denen man die Gaumenlust überwinden oder sich eine Bequemlichkeit versagen könnte, und man diese Gelegenheiten ohne vernünftigen Grund ungenutzt verstreichen läßt.

Im Besonderen sündigt man durch Unterlassung des Guten aber dann, wenn zur sich bietenden Gelegenheit eine Pflicht des Standes oder des Berufes hinzutritt. Auch auf diesem Gebiet kann man sich durch Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit oft und u. U. auch schwer versündigen. Wiederholt heißt es von den Königen Israels in der Heiligen Schrift: „Er beseitigte die Götzentempel nicht.“ (4. Kön. 14,4). Ein solcher König sündigte durch Unterlassung, weil er dem ersten Gebot Gottes nicht gerecht wurde. Aufgrund seines Königtums hätte er nämlich nicht nur die Macht, sondern auch die Pflicht gehabt, den Götzendienst in seiner Einflußsphäre auszurotten.

Durch Unterlassung sündigen Erzieher, Lehrer, Eltern die den Kindern alles durchgehen lassen; die den Religionsunterricht vernachlässigen oder absichtlich ganz unterlassen, ganz nach dem Motto: „Mein Kind soll später einmal selbst darüber entscheiden, welchen Glauben es annehmen will.“ Sodann fehlen Angestellte durch Unterlassung, wenn sie planen, während der Arbeitszeit private Dinge zu regeln. Ferner alle selbstverschuldeten Verspätungen, Ungenauigkeiten, Schlampereien, Nachlässigkeiten auf dem Gebiet der Pflichterfüllung sind Unterlassungssünden.

Je größer der dadurch verursachte Schaden, um so schwerer wiegt die Sündenschuld. Am offensichtlichsten freilich ist die Sünde bei unterlassener Hilfeleistung. Wenn man also einem Menschen, der sich in unmittelbarer Not, vielleicht sogar in Lebensgefahr befindet, die notwendige Hilfe verweigert und wie der Priester und der Levit im „Gleichnis vom barmherzigen Samariter“ buchstäblich an dem Notleidenden vorübergeht.

Unterlassungssünden bleiben bei der Gewissenserforschung oft unerkannt. Woran liegt das? Weil die Tatsünden in einem bestimmten Augenblick begangen sind und sich lebhaft dem Gedächtnis einprägen als die Unterlassungen, für die man kaum Tag und Stunde benennen kann und für die sich auch viel leichter Ausflüchte finden lassen, die unser Gewissen beruhigen. – Der Vater erinnert sich leicht, daß er seinen Sohn in der Hitze des Zornes über das rechte Maß hinaus gestraft hat, während er sich schwerlich erinnert, wie oft er die pflichtgemäße Zurechtweisung der Kinder aus Nachlässigkeit unterlassen hat.

e) Schwere Sünden – Läßliche Sünden

Die vielleicht wichtigste Einteilung der Sünden, die wir deshalb in den nächsten Wochen genauer vertiefen wollen, ist die Unterscheidung der Sünden nach ihrem Gewicht. Nicht alle Sünden sind gleich schwer. Man unterscheidet schwere von leichten Sünden.

Wenn man die Sünde in schwere und geringere Sünden unterscheidet, so nimmt man an, daß keineswegs alle Sünden gleich groß sind. Jeder sieht ein, daß es nicht dasselbe ist, eine Notlüge zu begehen oder einen Meineid zu schwören; daß es nicht dasselbe ist, jemand auf den Fuß zu treten oder krankenhausreif zu Prügeln. Hierin sind sich ja auch alle Gesetze, alle Gerichte und alle Richter einig. Sie haben Strafen von verschiedener Dauer und verschiedener Schwere für die verschiedenen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen: Haftstrafen, Gewahrsam, Geldstrafen, Fahrverbote, Eintrag ins Vorstrafenregister, Strafen ohne Bewährung und mit Bewährung, je nach der Schwere des begangenen Delikts.

Die Einteilung in unterschiedliche Schweregrade der Sünde geht auch aus den Worten Christi selbst hervor: „Was siehst du den Splitter in dem Auge deines Bruders, und den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht?“ (Mt. 7,3). Was wollte Jesus damit sagen? Offenbar doch dieses: Du bemerkst und tadelst an deinem Nächsten die kleinen Fehler, und deine eigenen großen Sünden bemerkst du nicht. Er vergleicht die Sünden mit Splittern und mit Balken. – Welcher Unterschied besteht zwischen Splittern und Balken? Sie sind beide aus Holz, vielleicht vom selben Stamm. Der Unterschied besteht darin, daß der Balken lang, vollkantig, scharf behauen und nicht zu übersehen ist, während der Splitter klein, dünn, von unbestimmter Gestalt, fast wertlos ist, und kaum beachtet wird. Wenn also die Sünden richtigerweise mit Balken und Splittern zu vergleichen sind, so sind sie unmöglich gleich, sondern die einen sind gering, die anderen schwer.

α) Die Todsünde

Man sündigt „schwer“, wenn man das Gesetz Gottes in einer wichtigen Sache übertritt. Die schwere Sünde hat vor Gott ein unendliches Gewicht. – Wollte man die Masse des Mondes, der Erde, des gesamten Kosmos wiegen, welch ein Gewicht käme dabei zustande! Nichtsdestotrotz wäre es ein endliches Gewicht. Es ließe sich mit Zahlen ausdrücken.

Das Gewicht einer schweren Sünde ist hingegen unendlich. Die Last einer einzigen schweren Sünde ist erdrückend und reißt den Sünder für die unendliche Dauer der Ewigkeit in den Tod der Verdammnis. Aus diesem Grund wird die schwere Sünde auch mit dem Ausdruck „Todsünde“ bezeichnet. Sie bringt den „ewigen Tod“.

β) Die läßliche Sünde

Von der schweren Sünde unterscheidet man die leichte Sünde – auch „läßliche Sünde“ genannt. Man sündigt läßlich, wenn man das Gesetz Gottes in einer weniger wichtigen Sache übertritt. Vor Gott ist zwar auch die scheinbar unbedeutendste Sünde ein überaus ernst zu nehmendes Übel, zeigt doch selbst die läßliche Sünde, daß der Mensch irgend etwas mehr liebt, als den göttlichen Willen. Auch durch die läßliche Sünde wird die Ordnung der Liebe verletzt, was vor Gott ein größeres Übel darstellt, als wenn die ganze Schöpfung zugrunde gehen würde.

Der Name „leichte“, „kleine“ oder „läßliche Sünde“ wird deshalb nur gebraucht, weil diese Sünde im Vergleich zur schweren Sünde nur als gering erscheint; weil ihre Bestrafung zeitlich begrenzt ist; weil man, im Gegensatz zur schweren Sünde, vergleichsweise leicht die Verzeihung derselben erlangen kann: durch Reue, verbunden mit guten Werken; mit Leiden (u.U. erst im Fegfeuer); durch den Empfang der hl. Kommunion, der Letzten Ölung, der hl. Sakramentalien.

Aufrichtiges Sündenbekenntnis

Wenn wir aber die Sünde nachhaltig bekämpfen wollen, dann müssen wir uns vor allem Rechenschaft geben über die Gebote, über die Tugenden, über schwere und läßliche Sünden im Bußgericht. Es ist allerdings häufig nicht leicht, ja manchmal sogar unmöglich, genau anzugeben, wo die Grenze zwischen schwerer und läßlicher Sünde verläuft. Die größten Theologen – wie etwa der hl. Augustinus – haben sich außerstande erklärt, in jedem Fall genau eine Entscheidung über diesen Unterschied zu fällen. Wie werden wir es können, die wir weit, weit hinter diesen großen Seelenkennern an Wissenschaft, Erfahrung und Heiligkeit zurückstehen. Deshalb empfiehlt es sich, in der heiligen Beichte stets alle Sünden zu bekennen, nicht nur diejenigen, die wir als Todsünden erkennen, sondern auch jene, die wir als läßliche Sünden einordnen würden.

Zwei Extreme gilt es dabei zu meiden: Wer alles als Todsünde abstempelt, der treibt sich und andere Menschen in Verzweiflung. Wer aber umgekehrt die Todsünde nur in Ehebruch, Mord oder Götzendienst verortet, der läuft ebenso Gefahr, einst vor dem göttlichen Richterstuhl Schiffbruch zu erleiden.

Wir wollen uns deshalb bemühen, ehrlich vor Gott und Seinem Gesetz unsere Sünden zu erkennen, nichts zu verheimlichen, weder vor uns, noch vor dem Beichtvater, sondern die Eiterbeulen unseres Herzens aufschneiden und ausdrücken. Nur so können sie heilen. Wir wollen uns vor Gott und den Menschen demütigen. Und das ist ja nicht der geringste Gewinn einer guten hl. Beichte, daß wir uns darin wirklich so darstellen, wie wir wirklich vor Gott stehen. Vor dem Demütigen nimmt der Teufel Reißaus. Deshalb ist das beste und wirksamste Mittel, um den Teufel zu bezwingen und sein Sündenbollwerk in unserer Seele zu schleifen, der demütige und reuevolle Empfang des Bußsakramentes. Nach der Lossprechung könnte dann auch von uns, wie am Ende des heutigen Evangeliums, gesagt werden: „Hierauf verließ Ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen und dienten Ihm.“ (Mt. 4,11). Amen.

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