Von der Todsünde

Geliebte Gottes!

Zuletzt haben wir gesehen: Die Sünde ist eine freiwillige Übertretung des göttlichen Gesetzes. Sie besteht wesentlich in der freien Zustimmung zu etwas, von dem man weiß, daß es unerlaubt ist. In der Zustimmung zum Bösen besteht das Wesen der Sünde. Darin kommen alle Sünden miteinander überein.

Die Sünden unterscheiden sich jedoch in der Art und Weise, wie sie begangen werden. Man kann sündigen durch die Tat oder durch Unterlassung. Durch die Tat sündigen wir, wenn wir unsere Zustimmung geben, zu sündhaften Gedanken, Worten oder Werken. Durch Unterlassung sündigen wir, wenn wir etwas Gebotenes nicht tun.

Nicht alle Sünden sind gleich schwer. Es gibt schwere Sünden und leichte Sünden. Das geht aus den Worten Christi im Gleichnis vom Splitter und vom Balken hervor (vgl. Mt. 7,3). – Außerdem machte Er den Pharisäern an anderer Stelle den Vorwurf: „Ihr blinden Führer! Ihr siebt die Mücke, das Kamel aber verschluckt ihr.“ (Mt. 23,24). Die Mücke ist klein und wird kaum wahrgenommen. Das Kamel ist groß und unübersehbar. Beide waren nach dem jüdischen Gesetz unreine Tiere, deren Verzehr verboten war. Um nicht etwa eine Mücke zu verschlucken, gossen die Pharisäer deshalb den Wein durch ein Leintuch. Während sie aber kleine und kleinste Fehler gemieden haben, begingen sie durch ihre Heuchelei und ihre Mordpläne gegen Christus Sünden, die so ungeheuerlich groß gewesen sind, daß sie damit gleichsam ein Kamel verschlungen haben. – Auch der hl. Johannes unterscheidet schwere von leichten Sünden in seinem ersten Brief, wenn er sagt, daß der eine „zum Tode sündigt“, hingegen ein anderer „nicht zum Tode sündigt“ (1. Joh. 5,16). – Schließlich zeigen auch die Lasterkataloge des hl. Paulus, daß es unter den unzähligen Sünden bestimmte Verfehlungen gibt, die im Unterschied zu den übrigen so groß sind, daß sie vom Himmelreich ausschließen. So erklärt er etwa im Galaterbrief: „Offenkundig sind die Werke des Fleisches, welche sind: Unzucht, Unlauterkeit, Unschamhaftigkeit, Unkeuschheit, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Streitigkeiten, Eifersucht, Zorn, Hader, Zerwürfnisse, Spaltungen, Mißgunst, Mordtaten, Trunkenheit, Schwelgerei, und diesen ähnliches, wovon ich euch voraussage, wie ich es schon ehedem gesagt habe, daß die, welche solches tun, das Reich Gottes nicht erlangen werden.“ (Gal. 5,19-21). Und im ersten Korintherbrief schreibt der Völkerapostel: „Weder Unzüchtige, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Lüstlinge, noch Knabenschänder, noch Habsüchtige, noch Geizige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Raubsüchtige werden das Reich Gottes erben.“ (1. Kor. 6,9 f.).

Es gibt also schwere und leichte bzw. läßliche Sünden. Die Schwere einer Sünde bemißt sich nach dem Maß, in dem sie die göttliche Ordnung verletzt. Die durch eine Sünde verursachte Unordnung kann größer oder geringer sein, schwer oder läßlich. Deshalb wollen wir uns heute eingehender mit der schweren Sünde befassen und uns drei Fragen stellen:

  1. Was ist das Wesen der schweren Sünde?
  2. Wie kommt die schwere Sünde zustande?
  3. Wird die schwere Sünde mit Recht „Todsünde“ genannt?

1. Das Wesen der schweren Sünde

So gewiß ein Unterschied zwischen schwerer und läßlicher Sünde besteht, so schwer ist es, diesen Unterschied zu erklären. Noch viel schwerer ist es zu bestimmen, wo im konkreten Fall die läßliche Sünde aufhört und die schwere Sünde beginnt. Nichtsdestotrotz wollen wir, der Definition des hl. Thomas von Aquin folgend (vgl. S.th. I-II q. 87 a.4 corp.), versuchen das Wesen der schweren Sünde zu verstehen.

Der Aquinate sagt, die schwere Sünde besteht in einer gänzlichen Abwendung von Gott zugunsten einer ungeordneten Hinwendung zu einem geschaffenen Gut als letztes Ziel, wodurch die Gottesliebe in der Seele zerstört wird. Wie jede Sünde, so ist die schwere Sünde eine ungeordnete Bewegung: eine Abkehr von Gott, durch eine die göttliche Ordnung schwer verletzende Hinneigung zu einem Geschöpf. Sei es zu einer Person, einer Sache oder einem Genuß. Bei der schweren Sünde ist die Abwendung von Gott so groß, daß das Geschöpf im Herzen des Sünders an die Stelle Gottes tritt und durch die verbotene Tat gleichsam zum letzten Ziel erklärt wird.

Sobald der Mensch erkennt, daß mit der ungeordneten Hinwendung zu einem geschaffenen Gut, gleichzeitig der Verlust des höchsten Gutes verbunden ist – etwa, weil Gott die Verletzung eines bestimmten Gebotes mit dem Ausschluß vom Himmelreich bedroht – so ist die Wahl des irdischen Gutes eine tatsächliche Verachtung Gottes als das höchste und letzte Ziel. Dann ist der Mensch nämlich bereit, um eines Geschöpfes willen, Gott aufzugeben. Tatsächlich erklärt der Mensch mit einer solchen Wahl, daß das Geschöpf, bzw. das ungeordnete Verlangen nach ihm, für ihn höher steht als Gott. Das Geschöpf rückt somit an die Stelle Gottes, was eine schwere Unordnung darstellt.

Am schwersten sind deshalb die Sünden, in denen die Abwendung von Gott und die Feindschaft gegen Gott klar ausgedrückt wird. Das bedeutet jedoch nicht, wie einige fälschlich meinten, daß um schwer zu sündigen, ausdrücklich die geballte Faust der Empörung oder des Hasses gegen Gott erhoben werden, oder eine bewußt hartnäckige, verstockte Widersetzlichkeit gegen die göttliche Wahrheit und Gnade vorliegen müsse. Es genügt, zu wissen, daß die Kirche etwas als Todsünde beurteilt oder eine Pflicht unter schwerer Sünde auferlegt. Diese Erkenntnis genügt, um zu wissen, daß die jeweilige Handlung oder Unterlassung mit der Liebe zu Gott nicht vereinbar ist. Wer sie trotzdem setzt, stellt Gott in dieser wichtigen Sache hintan und sündigt schwer. So erklärte Papst Alexander VII. in seinem Dekret gegen die Laxisten ausdrücklich, daß zu einer Todsünde bei Übertretung des Fastengebotes keineswegs eine ausdrückliche Verachtung oder Auflehnung gegen Gott notwendig sei (vgl. DH 2043).

Die schwere Sünde ist also eine ungeordnete Hinwendung zu einem Geschöpf, zu einer Sache, zu einem Genuß, und zwar von solcher Tragweite, daß die übernatürliche Gottesliebe damit nicht bestehenbleiben kann. Der Mensch wendet sich in seiner ungeordneten Hinwendung zur Kreatur, gänzlich von Gott ab.

2. Das Zustandekommen der schweren Sünde

Das führt uns zu der zweiten, für uns nicht ganz unbedeutenden Frage: Woran erkennt man die schwere Sünde? Wie kommt sie zustande? Wann hat man schwer gesündigt? – Im Katechismus lesen wir: „Man vollbringt eine schwere Sünde, wenn man das göttliche Gesetz in einer wichtigen Sache und ganz freiwillig übertritt.“

Die wichtige Angelegenheit

Zur Todsünde gehören also zwei Dinge. Das erste ist die Übertretung des göttlichen Gesetzes „in einer wichtigen Sache“.

a) an sich

Es gibt Angelegenheiten, die „an und für sich“ so wichtig sind, daß sie immer eine schwere Unordnung enthalten und keine Geringfügigkeit zulassen. Wer darin fehlt, der verfehlt sich ohne jeden Zweifel in einer wichtigen Sache.

Dazu zählen Sünden, die sich unmittelbar gegen Gott richten, wie die Gotteslästerung, die Häresie, das Sakrileg oder der Meineid.

Sünden, die sich gegen die geordnete Fortpflanzung des Menschengeschlechtes richten, also die Unkeuschheit, der Ehebruch oder die Empfängnisverhütung. Wer daher eine unzüchtige Handlung wie Selbstbefriedigung, vorehelichen oder außerehelichen Geschlechtsverkehr, oder aber den Mißbrauch der Ehe vollzieht, der sündigt in einer wichtigen Sache.

Schließlich begründen auch solche Gebote eine „wichtige Angelegenheit“, die ihrer Natur und ihrem Zweck nach unteilbar sind, die also nur ganz oder gar nicht erfüllt werden können. – So beschaffen war etwa das Verbot Gottes im Paradies. Dazu zählt ferner das Gebot, die autoritative Lehrverkündigung der Kirche gläubig anzunehmen. Außerdem das kirchliche Nüchternheitsgebot vor dem Empfang der hl. Kommunion, oder das Verbot der Abtreibung, sowie der aktiven Sterbe-„Hilfe“, selbst bei Sterbenden, die schwer leiden.

Man kann einen Menschen nämlich nicht nur zum Teil ermorden. Das Leben eines Menschen ist unteilbar und unwiederbringlich. Da gibt es keine Geringfügigkeit in der Sache. – Man kann auch nicht ein bißchen nüchtern sein. Man ist nüchtern oder man ist es nicht. Wer nicht nüchtern ist und trotzdem kommuniziert, verfehlt sich in einer wichtigen Sache. Auch kann man den katholischen Glauben nicht nur zum Teil besitzen. Der Glaube ist ein integrales Ganzes. Man hat ihn entweder ganz oder gar nicht. Wer nur einen einzigen Glaubenssatz zurückweist, hat damit den ganzen katholischen Glauben verworfen, was selbstverständlich von eminenter Bedeutung, also eine wichtige Sache ist.

b) durch gesteigertes Maß

Sodann gibt es Sünden, die zwar eine Geringfügigkeit der Sache zulassen, aber doch Todsünde bleiben, wenn sie in einem „höheren Maß“ vollbracht werden.

Die Schwere des Diebstahls bemißt sich etwa nach dem Schaden, den die Einzelperson oder das Allgemeinwohl leidet. Solange das Diebesgut nämlich von geringem Wert und dem Nächsten damit kein schwerer Schaden verursacht wird, handelt es sich dabei um eine geringfügige Sache. Ein kleiner Diebstahl ist daher nur eine läßliche Sünde. – Erreicht der Wert des Diebesgutes jedoch den Wert eines Tagesverdienstes, so ist damit jenes „höhere Maß“ erreicht, welches aus der geringfügigen Sache, eine wichtige Sache werden läßt. Denn der Wert eines Tageslohnes – also der Wert von ca. 200 EUR – ist eine wichtige Angelegenheit. – Dieses „höhere Maß“ wird aber auch erreicht, wenn jemand beabsichtigt, sich durch kleinere Diebstähle eine größere Summe zusammenzustehlen. Die kleineren Diebstähle addieren sich auf bis zum Wert eines Tageslohnes und werden so zur schweren Materie. Ferner kann das „höhere Maß“ gegeben sein, wenn durch eine an sich geringfügige Sache, dem Nächsten ein großer Schaden verursacht wird. So kann auch ein kleiner Diebstahl leichter eine schwere Sünde werden, wenn die bestohlene Person arm oder in Not ist. Eine Verletzung der Nächstenliebe kann leichter eine schwere Sünde werden, wenn die verletzte Person selbst schon in Schmerz, Elend oder dergleichen ist.

Das „gesteigerte“ Maß kann also aus einer an sich geringfügigen Sache eine wichtige – und damit eine schwere Materie – machen.

Weitere Beispiele für das „gesteigerte Maß“ wären: Wenn einer seinen Nächsten nicht einfach nur ohrfeigt, sondern ihn schwer mißhandelt; wenn jemand sich so stark betrinkt, daß er nicht mehr Herr seiner selbst ist; sich in den Zorn derart hineinsteigert, daß er ganz außer sich gerät; wenn jemand an einem Sonn- oder Feiertag, obwohl er könnte, nicht zur hl. Messe geht; oder an Abstinenztagen Fleischspeisen genießt. Auch wenn Kinder ihren Eltern in einer wichtigen Sache nicht gehorchen, oder deren heftigen Zorn heraufbeschwören oder ihnen bitteren Kummer bereiten fehlen in jenem „höheren Maß“, der eine schwerwiegende Angelegenheit aus dem Vorkommnis macht.

c) durch die Umstände

Die Sache kann jedoch nicht nur „an sich“ oder durch „gesteigertes Maß“ wichtig sein. Sie kann auch durch „die Umstände“ schwerwiegend werden. Das kann sich auf verschiedene Weise ergeben.

Einige Beispiele: Jemand stichelt absichtlich ein bißchen mit spöttischen Worten gegen den Nächsten. Nicht arg. Jedoch weiß er und sieht voraus, daß diese Kleinigkeit schon ausreichen wird, um das reizbare Gegenüber in heftigen Zorn zu versetzen, so daß dieser ausrastet und sich in häßlichen Fluch- und Lästerworten ergeht. Es ist der Umstand des Wissens um die extreme Empfindlichkeit des Gegenübers, welcher der Angelegenheit ein schweres Gewicht verleiht. – Oder: Jemand kleidet sich nicht unschicklich aber doch aufreizend, hat dabei aber die Absicht, eine Person des anderen Geschlechts zur Sünde zu verführen. Es ist der Umstand des gezielten Einsatzes von an sich geringfügigen Mitteln der Eitelkeit zur Erreichung eines schwer sündhaften Zwecks. – Oder jemand sucht Orte auf bzw. pflegt Kontakte, von denen er von vornherein weiß, daß er sich dabei heftigen Versuchungen oder gar der großen Gefahr des Falles aussetzt. Der Umstand, sich ohne Grund der nächsten Gefahr zur schweren Sünde auszusetzen, macht aus einer an sich geringfügigen Sache, eine wichtige. Wer so etwas tut, der sündigt bereits schwer. So etwa ein Trinker, der sich in schwermütiger Stimmung allein in ein Gasthaus begibt. – Und so weiter in vielen ähnlichen Fällen.

Ja, sogar der Umstand eines Irrtums kann einer an sich belanglosen Sache ein schweres Gewicht verleihen. So überlegt beispielsweise eine Person: „Soll ich heute Fleisch essen, obwohl Freitag ist?“ Die Person entschließt sich zum Fleischgenuß und verletzt das Kirchengebot. Sie hat schwer gesündigt. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Person nachher erfährt, daß sie sich im Tag geirrt hat und es in Wirklichkeit erst Donnerstag war, nicht Freitag. Trotzdem hat sie schwer gesündigt. Denn der Wille war im Augenblick der Wahl bereit, die Todsünde zu begehen und hat in das Vorhaben eingewilligt, am Freitag Fleisch zu essen; auch wenn es gar nicht Freitag war. – So wird die an sich unbedeutende Sache, am Donnerstag Fleisch zu essen, durch den Umstand der irrtümlichen Annahme, heute sei Freitag, auf die Ebene einer wichtigen Sache gehoben. – Als Faustregel müssen wir unbedingt festhalten: Wenn wir davon überzeugt sind, daß etwas Todsünde ist, dann dürfen wir es unter keinen Umständen tun! Auch nicht, wenn wir uns dabei in Wirklichkeit irren. Man darf nie gegen sein Gewissen handeln, selbst wenn dieses irrt! Vor Gott zählt unsere Absicht. Wer etwas irrigerweise für Todsünde hält und es trotzdem tut, der begeht auch eine Todsünde. Der Warnruf des Gewissens: „Achtung, das ist Todsünde!“ ist eine wichtige Sache.

Auch der Zweifel, ob etwas schwer sündhaft sei, ist ein Umstand, der von großer Wichtigkeit ist. Wer einen Zweifel darin hat, ob das, was er zu tun beabsichtigt, Todsünde ist, und es ohne den Zweifel vorher auszuräumen trotzdem tut, der sündigt schwer, weil er bedenkenlos in Kauf nimmt, schwer zu sündigen. – Ein Jäger begegnet im Wald einem Pilzsammler, ehe er sich auf den Hochsitz begibt, um dort dem Wild aufzulauern. Nach einiger Zeit sieht er, wie sich die Äste eines Gebüsches bewegen. Er legt das Gewehr an und zielt. Da kommt ihm der Gedanke: Halt, das könnte der Pilzsammler sein. Der Jäger zweifelt. Ist es der Pilzsammler? Oder ist es ein Wild? Er muß den Zweifel ausräumen. Wenn er das unterläßt und trotzdem aufs Geratewohl schießt, sündigt er schwer, auch wenn er damit nur einen Hasen erlegt hätte. Der Zweifel, ob etwas eine schwere Sünde ist oder nicht, ist eine wichtige Sache.

Die gänzlich freiwillige Übertretung

Damit nun aus der Übertretung des göttlichen Gesetzes in einer „wichtigen Sache“ eine schwere Sünde wird, muß dazu ein zweites hinzutreten, nämlich die gänzliche Freiwilligkeit. Die Zustimmung ist aber immer nur dann als gänzlich frei zu bezeichnen, wenn zwei Dinge zusammentreffen: a) Die hinlängliche Kenntnis und b) die volle Einwilligung.

a) hinlängliche Erkenntnis

Mit der hinlänglichen Kenntnis ist gemeint, daß man wissen muß, oder es wenigstens wissen sollte, oder wissen könnte, daß das, was man tut, eine schwere Sünde ist. Die Todsünde ist eine gänzliche Abwendung von Gott. Diese tritt nicht ein, wenn nicht der Mensch die schwere Sündhaftigkeit seiner Handlung klar erkennt. Man kann nicht aus Versehen eine schwere Sünde begehen! Auch das ist eine wichtige Faustregel: Schwere Sünde liegt nur dann vor, wenn man erkennt, daß in diesem konkreten Fall eine wichtige Sache vorliegt. Gott wägt nämlich unsere Schuld nach dem, was wir erkennen, wie wir im Herzen denken und was wir bei unserem Tun und Lassen für eine Überzeugung haben.

Darum, wenn eine Person etwas nur für eine läßliche Sünde hält und die Tat begeht, dann sündigt sie nur läßlich, selbst wenn es sich tatsächlich um eine schwere Angelegenheit handelt. Im Falle unverschuldeter Unwissenheit liegt keine schwere Sünde vor. Ja, es liegt keine schwere Sünde vor, wenn man es ohne Schuld einfach nicht besser weiß, es gar nicht besser wissen konnte; ja, es vielleicht auch gar nicht besser wissen müßte – wie das in manchen Fällen bei Kindern der Fall ist.

Keine Entschuldigung besteht jedoch bei schuldbarer Unwissenheit. Sie liegt vor, wenn sich jemand nicht viel darum kümmert, das göttliche Gesetz kennenzulernen, sein Gewissen zu bilden, sei es durch die Predigt oder geistliche Lektüre, der sein Gewissen so gut wie nie erforscht und sich im Zweifel auch beim Beichtvater keine Gewißheit verschafft. So jemand trägt selber Schuld an seiner Unkenntnis des göttlichen Gesetzes. Folglich verfehlt er sich auch dann schwer, wenn er etwas tut, was streng verboten ist, er es aber aufgrund seiner schuldhaften Unwissenheit nur für eine Kleinigkeit oder vielleicht sogar für gar keine Sünde hält.

Ferner liegt keine schwere Sünde bei solchen Handlungen vor, die bei unvollkommener Aufmerksamkeit vollzogen werden. Wenn man also im Halbschlaf, halbtrunken oder in großer Zerstreuung gehandelt hat. Man muß also klar erkennen, daß die Übertretung, die man zu tun beabsichtigt unsittlich und von Gott, von der katholischen Kirche oder vom persönlichen Gewissen als schwer sündhaft gewertet wird.

b) die volle Einwilligung

Wie ein Vertrag erst dann rechtskräftig wird, indem man durch die persönliche Unterschrift oder den Handschlag seine Zustimmung bekundet, so verhält es sich auch bei der schweren Sünde. Man muß zur Sünde die Zustimmung, und zwar die ganze Zustimmung geben.

Wer etwas als Todsünde erkennt und es trotzdem mit vollkommener Einwilligung vollbringt, der verfehlt sich schwer. Z.B. wenn einer genau weiß, daß die Sünde der Unkeuschheit von Gott als schwere Verfehlung beurteilt wird, er diese Handlung aber trotzdem aus freiem Willen alleine oder mit anderen tut, der sündigt unzweifelhaft schwer. Dasselbe ist der Fall, wenn einer weiß, daß die Trunkenheit schwer sündhaft ist und sich doch freiwillig betrinkt.

Die volle Einwilligung liegt immer vor, wenn man bei klarem Verstand eine äußere Tat setzt. Denn jede zurechnungsfähige Tat setzt einen Willensakt voraus, der die Tat angestoßen hat. Der Messerstich in den Bauch des Nächsten, die Entwendung des Diamantringes oder die unkeusche Handlung ist unter dieser genannten Voraussetzung stets ein eindeutiges Indiz dafür, daß die volle Einwilligung gegeben worden ist.

Ist die Einwilligung hingegen nicht vollkommen, so begeht man nur eine läßliche Sünde. Das ist oft der Fall bei Gedankensünden. Es kommen einem beispielsweise unreine Gedanken in den Sinn, man wird von unkeuschen Vorstellungen belästigt. Einerseits stellt sich ein gewisses Wohlgefallen ein, andererseits mißfallen einem diese Gedanken auch, weshalb man wenigstens halbherzig gegen sie ankämpft. Damit aber liegt keine volle Einwilligung vor. Weil in diesem Fall aber keine volle Einwilligung gegeben wurde, liegt auch keine schwere Sünde vor, sondern, aufgrund der Nachlässigkeit die schlechten Gedanken entschlossen zu bekämpfen, lediglich eine läßliche.

Der hl. Franz von Sales lehrt in seiner „Philothea“ wiederum eine wichtige Faustregel, daß man keine Einwilligung, wie sie zur Todsünde erfordert wird, annehmen dürfe, solange man auch nur den geringsten Widerstand geleistet hat, darin standhaft ausgeharrt und nicht für einen Augenblick nachgegeben hat. Die ganze Aufmerksamkeit und die volle Zustimmung kann sich nämlich in einem einzigen Augenblick vollziehen, ohne daß es einer längeren Überlegung oder inneren Diskussion bedarf. Wer aber nur den geringsten Widerstand leistet, der hat nicht voll eingewilligt.

Der Unterschied zwischen schwerer und läßlicher Sünde

Halten wir schließlich fest: Zu einer Todsünde gehören drei Dinge: 1. eine wichtige Sache. 2. eine klare Erkenntnis des Bösen und 3. die volle Einwilligung, sei es auch nur für einen Augenblick.

Daraus folgt: Wo eines oder mehrere dieser drei Wesensmerkmale fehlt, da ist entweder gar keine Sünde oder nur eine läßliche Sünde.

Umgekehrt bedeutet das Gesagte: Läßlich sind all jene Sünden, worin das Gesetz Gottes nur in einer geringfügigeren Sache übertreten wird; oder wo die klare Erkenntnis des Bösen unverschuldeter Weise gefehlt hat; oder wo die volle Zustimmung des Willens nicht gegeben war.

Wie Sie aus alldem ersehen können, liebe Gläubige, ist es tatsächlich – wie der hl. Augustinus sagt (De civ. Dei lib. 21 cap.27,5) – in vielen Fällen nicht leicht, ja manchmal sogar unmöglich, genau anzugeben, wo die Grenze zwischen schwerer und läßlicher Sünde verläuft. Wenn darüber schon die Heiligen und Gelehrten klagen, wie könnten wir uns dann in dieser Frage ein sicheres Urteil zutrauen? Deshalb empfiehlt es sich, in der heiligen Beichte stets alle Sünden zu bekennen, derer wir uns bei der Gewissenserforschung bewußt geworden sind und sich nicht nur auf diejenigen zu beschränken, die wir klar als Todsünden erkennen.

3. Bedeutung des Wortes „Todsünde“

Als dritten Punkt wollen wir noch den Namen „Todsünde“ erklären. Warum werden die schweren Sünden so genannt? – Fragen wir erst: Warum heißen gewisse Gifte tödliche Gifte? Weil sie den Menschen töten, der sie einnimmt. Weil sie den Tod nach sich ziehen. Das gleiche gilt von gewissen Verletzungen. Man sagt sie seien tödlich, weil sie den Tod des Verletzten herbeiführen. Warum heißen gewisse Sünden Todsünden? Weil sie den Tod des Sünders herbeiführen. Welchen Tod? Den des Leibes? – Nein, denn der Todsünder ist oft nach seiner Sünde gesund, ja sogar frisch und munter. – Stirbt denn seine Seele? Nein, sie kann nicht sterben. Sie wird ewig fortfahren zu leben. Was stirbt dann? – Das übernatürliche Gnadenleben stirbt! Durch die Todsünde wird in der Seele des Sünders das übernatürliche Ebenbild Gottes ausgelöscht, der Keim des ewigen Lebens, welcher bei der hl. Taufe in die Seele eingesenkt wurde, wird getötet. Der Sünder ist für Gott und die Herrlichkeit des ewigen Lebens abgestorben. In der Geheimen Offenbarung spricht der Herr zu einem solchen Christen: „Du hast den Namen, daß du lebest, und bist tot.“ (Off. 3,1). Sein Leib lebt. Seine Seele lebt. Aber für das ewige Leben bei Gott ist die Seele tot. Hat gelebt. Sollte leben. Könnte leben. Lebt nicht mehr!

Der Todsünder ist ein geistiger Leichnam. Darin liegt die Häßlichkeit, die Folge der Todsünde ausgedrückt. Sowenig wie sich ein Leichnam selbst auferwecken kann, so wenig kann der Todsünder aus eigener Kraft zum Leben der Gnade wieder aufstehen. Das ist der erste Tod. Wenn der Todsünder in diesem unglücklichen Zustand stirbt, so fährt er zur Hölle. Und das ist der zweite Tod, der viel schlimmere Tod, der wahre Tod. Der Sünder ist tot und wird ewig tot bleiben.

Weil also die schwere Sünde diesen ersten Tod und oft auch den zweiten Tod nach sich zieht, heißt sie zu Recht „Todsünde“.

Es ist aber klar, daß die schwere Sünde diesen Tod nach sich zieht. Denn wer schwer sündigt, der setzt sich über den Willen Gottes hinweg. Und zwar in einer wichtigen Sache, mit klarem Blick und freiem Willen. Er macht kehrt und wendet sich entschieden von Gott ab. Der Sünder sagt: „Ich setze meinen Willen über den Deinen. Was Du willst, bedeutet mir nichts. Ich kündige Dir den Gehorsam. Das Geschöpf, dieser Genuß, dieser Besitz, diese Ehre, diese Bequemlichkeit ist mir wichtiger, als Du.“ Wer durch sein Tun und Lassen solches ausdrückt, der ist kein Kind Gottes mehr, kein Erbe des Himmels. Das Bild Gottes leuchtet nicht mehr in der Seele, die sich ganz von Ihm abgewendet hat. Sie ist tot.

Das größte Übel

Mit einem Gedanken wollen wir unsere heutigen Ausführungen schließen. Diesen Gedanken sollte sich jeder von uns tief ins Herz einprägen. Nämlich diesen: Die schwere Sünde ist das größte Übel, das es gibt. Sie ist nämlich das einzig wahre Übel. – Alle anderen Übel haben etwas Gutes oder können doch etwas Gutes haben. Man kann unter ihrem Einfluß in der Tugend wachsen und ewige Verdienste sammeln, oder wenigstens, durch sie gedemütigt, empfänglicher für die Gnade Gottes werden. – Alle Übel in diesem Leben nehmen mit absoluter Gewißheit irgendwann einmal ein Ende. Das Leiden, die Schmerzen, eine Krankheit, Kummer und Depression, der Verlust eines geliebten Menschen, Armut, Verachtung – sie alle enden mit dem Tod.

Nur dieses eine Übel – die Todsünde – pflanzt sich in die Ewigkeit fort, ja gelangt dort erst zu ihrer vollen, unerträglichen Schärfe. Denn dann ist die Abkehr von Gott endgültig und in Ewigkeit unumkehrbar. Was bleibt ist die Strafe durch die Geschöpfe. Nämlich durch die Qualen des Höllenfeuers und die Peinigung durch die Dämonen. Die Sünde ist also das einzige, wahre Übel das es gibt. Das wahre, das größte, das einzige Übel! Sollten wir sie nicht deshalb von ganzem Herzen verabscheuen und meiden? „Bei all deinen Werken denk an das Ende“, sagt der weise Jesus Sirach, „und du wirst in Ewigkeit nicht sündigen.“ (Sir. 7,36).

Wenn wir also das Unglück hätten, eine schwere Sünde auf uns geladen zu haben, dann zögern wir nicht. Machen wir uns mit dem verlorenen Sohn auf, um zu unserem himmlischen Vater zurückzukehren (vgl. Lk. 15,11-32). Er hält Ausschau nach uns und sehnt sich nach unserer Umkehr im Bußsakrament. Noch finden wir die Barmherzigkeit Gottes bereit, uns aufzunehmen und uns in alle unsere früheren Rechte und Güter als Gotteskinder wieder einzusetzen. Wollten wir das nicht tun, so müßten wir fürchten, daß sich die schrecklichen Worte des Psalmisten an uns erfüllen: „Er liebte den Fluch, so komme er über ihn.“ (Ps. 108,18). Amen.

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