„O Herr, ich bin nicht würdig.“

Geliebte Gottes!

Die tiefe Demut des Hauptmanns im heutigen Evangelium verdient in der Tat unsere Bewunderung. Der göttliche Heiland bietet sich ihm an, persönlich in sein Haus zu kommen, um seinen Knecht gesund zu machen. Allein er, ein Heide, der viele Knechte und Soldaten unter sich hatte, lehnte diese Ehre mit den Worten ab: „Herr, ich bin nicht würdig, daß Du eingehst unter mein Dach.“ (Mt. 8,8). Das Beispiel des Hauptmanns mahnt uns zur Demut, welche die Voraussetzung für jenen großen Glauben gewesen ist, den der Herr lobte, weil Er einen solchen in Israel noch nicht gesehen habe. Und das, obwohl der Hauptmann als Heide die Schule des Evangeliums noch nicht durchlaufen haben konnte.

Der Heiland selbst wird ja erst später zu den Aposteln sagen: „Lernet von Mir!“ (Mt. 11,29). Ja, was sollten sie lernen? – Nicht eine Welt aus Nichts erschaffen, sollten sie lernen; nicht alles Mögliche – Sichtbares und Unsichtbares – ins Dasein rufen; nicht über den See wandeln, nicht Wasser in Wein verwandeln, nicht dem Sturm gebieten oder Berge versetzen; nicht Wunder wirken und Tote erwecken. Nein, sondern: „Lernet von Mir, denn Ich bin sanft und demütig von Herzen.“

Die Demut ist nicht die größte und auch nicht die verdienstvollste unter allen Tugenden. Aber sie ist die fundamentalste! So sagt der hl. Augustinus: „Willst du groß werden? Dann fang ganz klein an! Gedenkst du einen großen, hochragenden Bau aufzuführen? Dann denke zuerst an das Fundament, die Demut! Je höher das Gebäude werden soll, das jemand errichten will, je höher der Bau sein soll, desto tiefer gräbt er das Fundament. Wird der Bau aufgeführt, dann wächst er in die Höhe. Doch wer das Fundament aushebt, muß in die Tiefe hinab. Der Bau wird also, bevor er emporwächst, in die Tiefe hinabgesenkt. Erst nach der Erniedrigung wird das hohe Gebäude errichtet.“

Wie die Tiefe des Fundamentes die Höhe eines Bauwerks begrenzt, so ist die Tiefe der Demut der begrenzende Faktor für das mögliche Wachstum der Tugenden. – Ohne Demut gibt es gar keine Tugend, die dieser Bezeichnung wert ist. Eine geringe Demut läßt nur geringe Tugendhaftigkeit zu. Erst eine tiefe Demut ermöglicht ein hohes Wachstum aller übrigen Tugenden. Je weiter die Demut hinabreicht, um so größer kann die Gottes- und Nächstenliebe, die Klugheit, die Gerechtigkeit, die Mäßigkeit, der Starkmut und all ihnen verwandten Tochtertugenden wachsen. Ja, könnte es nicht sein, daß wir deshalb keine merklichen Fortschritte in der Tugendübung machen, weil wir uns zu wenig darum kümmern in dieser einen Tugend, in der Demut gleichsam in die Tiefe zu wachsen? Das sollte sich ändern. Denn der hl. Augustinus fährt fort: „Wie hoch ist der Bau, den wir aufführen wollen? Wie hoch soll die Spitze des Gebäudes sein? Ich sage es kurz: Bis zur Anschauung Gottes! Ihr wißt, was es Erhabenes und Großes ist, Gott zu schauen. Wer sich danach sehnt, der versteht, was ich sage.“

Schon diese kurze Belehrung des hl. Kirchenvaters sollte uns klar machen, wie wichtig für uns der Besitz dieser Tugend und das Wachstum in derselben ist. Besitz und Wachstum in der Demut setzen jedoch die genaue Kenntnis voraus, was Demut ist und was nicht.

Was also ist die Demut? Fragen wir dazu am besten die Heiligen. Denn die Heiligen sind die tugendhaftesten Menschen, die jemals in dieser Welt gelebt haben. Ihnen wurde von der Kirche ein herausragendes, ja ein heroisches Tugendmaß zuerkannt. Sie leben alle heute in der den Glauben vollendenden Anschauung Gottes. Folglich sind sie alle im Besitz einer tiefen Demut und wissen, wovon sie sprechen. Was sagen sie über diese Tugend?

Die Weisheit der Heiligen

Der hl. Hieronymus sagt: „Es gibt nichts hervorragenderes und begehrenswerteres als die Demut. Denn sie ist die Beschützerin und Wächterin aller Tugenden.“

Der hl. Gregor vergleicht die Demut mit der Wurzel einer Blume. „Es ist die Wurzel, die der Blume das Leben spendet. Wenn die schöne Blüte von der Wurzel abgeschnitten ist, welkt sie schnell dahin. Die Wurzel liegt tief verborgen im Boden und hat keinerlei Schönheit an sich, aber sie ist der Ursprung für das Leben und die Nahrungsquelle der Pflanze.“

Wiederum sagt der hl. Augustinus, daß alle Tugenden, die nicht in der Demut gründen, keine wahren Tugenden sind, sondern nur den äußeren Anschein der Tugendhaftigkeit geben. Auch stolze Menschen vollbringen gute, tugendhafte Werke. Aber nur für weltliche Zwecke. Gott erkennt solche Scheintugenden und vergilt sie entsprechend allein mit den Gütern dieser Welt, weil die irdischen, im Vergleich zu den ewigen Gütern, auch nur Scheingüter sind. So verstehen wir, daß böse Menschen einiges Gute tun und dementsprechend in diesem Leben mit weltlichen Gütern belohnt werden.

Die hl. Margareta Maria Alacoque hat sich selbst folgende Regeln gegeben: „Ich werde mich bemühen alle die mich verachten oder schlecht von mir reden, als meine besten Freunde zu betrachten. Und ich werde ihnen soweit es in meinen Kräften steht, Gutes tun und ihnen jeden erdenklichen Dienst erweisen.“ Das entspricht genau den Forderungen des hl. Paulus in der heutigen Epistel. Doch weiter die hl. Margareta: „Ich will mich bemühen wenig von mir selbst zu sprechen; und wenn, dann nur sehr kurz. Wenn möglich niemals lobenswertes oder um mich zu rechtfertigen.“

Der hl. Philip Neri sprach, wenn er hörte, daß von jemandem ein Verbrechen oder eine schwere Verfehlung begangen worden war: „Gott sei Dank, daß ich nicht viel Schlimmeres getan habe!“ Er sagte auch oft: „Die Seitenwunde Christi ist breit, aber wenn Gott mir nicht so oft beigestanden wäre, dann hätte ich sie durch zahlreichere und größere Sünden noch viel breiter gemacht.“ Kurz vor seinem Tod sprach er in seiner letzten Krankheit: „Herr, wenn ich wieder gesund würde, so würde ich mehr Übel anrichten als je zuvor. Denn ich habe Dir schon so oft versprochen mein Leben zu bessern und habe mein Wort nie gehalten, so daß ich mir selbst alles Schlechte zutraue.“

Der hl. Franz von Sales sagt: „Die höchste Stufe der Demut besteht nicht darin, die eigene Unwürdigkeit und Kleinheit zu erkennen, sondern sie zu lieben und darin seine Freude zu finden. Und das wohlgemerkt nicht aus einer Kleinmütigkeit der Seele oder aus Feigheit des Herzens, sondern aus einem Verlangen die göttliche Majestät wie es sich gebührt über alles zu preisen und den Nächsten weit vor uns selbst zu bevorzugen.“

Der hl. Albert der Große sagt, daß derjenige, der sich die Demut aneignen will, ihre Wurzel in sein Herz einpflanzen muß. D.h. er muß seine eigene Schwäche und sein Elend studieren, um sich von der Tatsache der eigenen Bosheit und Schwäche zu überzeugen! Wobei es wiederum nicht genügt zu erkennen wie schwach und elend man ist, sondern darüber hinaus auch zu ermessen, zu welcher noch tieferen Schwäche der Mensch abgeglitten wäre, wenn Gott uns nicht vor so vielen Gelegenheiten zur Sünde bewahrt hätte, und uns in zahllosen Versuchungen beigestanden wäre.

Der hl. Franz von Assisi sagte: „Ich bin davon überzeugt, daß der größte aller Sünder, wenn er die gleichen Gnaden erhalten hätte, die mir zuteil wurden, einen besseren Gebrauch davon gemacht hätte, als ich es getan habe. Und im Gegenteil glaube ich, wenn Gott Seine Hand nur einen Augenblick von mir zurückziehen würde, dann würde ich in die abscheulichsten Entartungen fallen und wäre der schlechteste aller Menschen. Deshalb erblicke ich mich als den größten und undankbarsten unter allen Sündern.“

Der hl. Thomas von Aquin definiert die Demut als jene Tugend, die das überbordende Streben des Menschen nach Hohem, Erhabenem und Vorzüglichem in Zucht nimmt (vgl. S.th. II-II, q.161). Diese mäßigende Inzuchtnahme setzt Selbsterkenntnis voraus. Nämlich die Kenntnis der eigenen Begrenztheit und Niedrigkeit. Dabei führt er den hl. Isidor von Sevilla an, der die Tugend der Demut von der lateinischen Wortbedeutung „humilitas“ herleitet. Das lateinische Wort „humilitas“ beinhaltet den Ausdruck „humus“, d.h. Erde, feuchtes Erdreich. Der hl. Isidor sagt: „Humilis (d.h. demütig) bedeutet, sich sozusagen zum Humus hinab neigen.“, d.h. sich so niedrig einschätzen, wie den Humus; wie den Staub der Erde; eingedenk der Worte des Schöpfers: „Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“

Die Demut besteht also ihrem Wesen nach in der innerlichen Anerkennung der eigenen Niedrigkeit und Nichtigkeit. Wesentlich ist dabei nicht ein äußerlich demütiges Getue, sondern die innere Überzeugung (!) von der eigenen Niedrigkeit vor Gott. So lehrt der Aquinate: „Die Demut als Tugend besagt ein lobenswertes Sich-zu-Boden-Werfen. Dies aber geschieht bisweilen durch äußere Zeichen nur dem Anschein nach. Das ist darum die ‚falsche Demut‘, von der Augustinus in einem Brief schreibt, sie sei ‚mächtiger Stolz‘, weil sie auf Selbstverherrlichung ausgeht.“ Es ist also ein Kennzeichen des Stolzes, wenn wir durch äußerliche, gekünstelte Bescheidenheit und demütiges Getue bei anderen als demütig gelten wollen. Nur dann ist die Demut echt, wenn sie aus wahrhaft innerer Selbsterkenntnis entspringt, wie der hl. Thomas erklärt: „Bisweilen geschieht es [das lobenswerte Sich-zu-Boden-Werfen] aber durch eine innere Bewegung der Seele. Dann handelt es sich um die eigentliche Tugend der Demut, denn Tugend besteht nicht im Äußeren, sondern hauptsächlich in einer inneren Entscheidung des Geistes, wie Aristoteles sagt.“ (S. th. II-II q.161 a. 1 ad 2).

Alle Personen, die wir hier angeführt haben, sind Heilige. Sie sind Heilige, weil sie ihre eigene Nichtigkeit verstanden haben. Und sie sprechen über ihre Hinfälligkeit ohne das geringste Zögern, ohne aufgesetzte Bescheidenheit, sondern mit vollem Ernst. Deshalb ist die Demut nichts anderes als tiefste – wenngleich nicht niedergedrückte, sondern freudige – Wahrhaftigkeit im Angesicht der Größe und Majestät Gottes, welche etwa die Gottesmutter zu ihrem bekannten Magnifikat-Gesang antrieb: „Hochpreist meine Seele denn Herrn … Denn Er hat herabgeschaut auf die Niedrigkeit (humilitatis) Seiner Magd.“ (Lk. 1,48) Und Abraham, den Vater aller Gläubigen, ließ die wahrhaftige Selbsterkenntnis der Demut sagen: „Ich will zu meinem Herrn reden, obwohl ich Staub und Asche bin.“ (Gen. 18,27).

Erste Lektion: Bewahrung des Goldstandards

Es ist wichtig für uns, in die Schule der Heiligen zu gehen. Dabei müssen wir uns die folgenden Grundsätze im Hinblick auf die Demut aneignen.

Erstens: Die Demut ist die Bedingung für jede wahre Tugend. Das heißt, daß es keine wahre Tugend in der Seele geben kann, noch nicht einmal eine natürliche Tugend, wenn die guten Werke von uns aus einem Motiv der Selbstgefälligkeit bzw. des Stolzes oder Ehrgeizes heraus getan werden. Ein tugendhafter Akt muß in all seinen Aspekten gut sein, damit er ein wirklicher Tugendakt ist. – Wenn etwa ein Mensch eine große Geldsumme für wohltätige Zwecke in der Absicht spendet, um von den anderen dafür bewundert oder wertgeschätzt zu werden, dann wäre das keine Tugend, sondern Sünde! Denn das an sich gute Werk, einer Not abzuhelfen, wird als moralischer Akt durch das Motiv des Stolzes verdorben. Selbstgefälligkeit, Stolz und Ehrgeiz sind der Ruin unserer guten Werke. Oder wenigstens werden sie dadurch in ihrem Wert gemindert. In den Fällen, bei denen Stolz und Eitelkeit nur in läßlicher Weise vorliegen, verringern sie den übernatürlichen Wert, die Güte und das ewige Verdienst unserer guten Handlungen.

Ein reiner tugendhafter Akt, ohne jegliche Verunreinigung durch Stolz oder Eitelkeit, ist vergleichbar mit purem Gold; mit Feingold von 24 Karat. Je mehr sich aber Stolz und Eitelkeit in den tugendhaften Akt hineinmischen, um so mehr sinkt der Goldanteil. Und wenn der an sich gute Akt komplett von selbstgefälligem oder ehrgeizigem Stolz verdorben ist, dann ist er nicht mehr wert, als ein Stück Blech. Die Demut allein schließt Stolz und Ehrgeiz aus. Deshalb ist sie die Schützerin und Bewahrerin aller Tugenden.

Zweite Lektion: Demut nur durch Demütigungen

Die zweite Lektion, die wir von den Heiligen lernen müssen ist, wie der hl. Bernhard v. Clairvaux sagt: „Der Weg zur Demut führt einzig und allein über Demütigungen.“ Wenn wir also darum beten, unseren Stolz zu überwinden – wie wir es jeden Tag tun sollten – so wird uns Gott dadurch erhören, daß er uns mit Demütigungen aller Art heimsuchen wird.

Die Demütigungen kommen über uns wie eine Lauge über verunreinigtes Metall. Wenn uns peinliche, widrige Dinge widerfahren, zischt und faucht es in unserem Innern. Unser hochfahrendes Wesen wird erniedrigt. Der Stolz wird durch die Demütigungen zerfressen und ausgelaugt. Und das ist gut! Es ist gut, wenn uns die Demütigung hart ankommt und uns weh tut. Gerade in diesem Schmerz besteht das einzige Heilmittel gegen den Stolz. Die Erniedrigung konfrontiert uns mit der Wirklichkeit, die unser Hochmut nicht wahrhaben will – nämlich mit unserer Niedrigkeit unserem Unvermögen und unserer Schwäche.

Der Mensch ist nämlich bedauerlicher Weise eher dazu geneigt physischen Schmerz zu ertragen, als Demütigungen hinzunehmen. Warum? – Weil unser Stolz, unsere ungeordnete Selbstliebe, unser übersteigertes Selbstbewußtsein, unsere selbstgefällige Eitelkeit für uns viel, viel wertvoller sind, als Speis und Trank oder sonst irgendein sinnlicher Genuß.

Wenn Sie also um die Tugend der Demut beten, machen Sie sich auf peinliche Demütigungen gefaßt! Denn ohne Demütigungen ist kein Wachstum in der Demut möglich.

Ferner sehen wir am Beispiel der Heiligen, daß sie alle Demütigungen, als von Gott stammend, willkommen geheißen haben. Das wäre die Vollkommenheit der Tugend der Demut, daß wir uns innerlich angesichts einer Peinlichkeit freuen können. – Warum freuten sich die Heiligen so sehr darüber? Nicht, als ob die Demütigung selbst ein Spaß und eine Freude für sie gewesen, oder etwas, das um seiner selbst willen begehrenswert wäre. Nein! Die Demütigungen schmerzten auch die Heiligen. Aber sie hießen die Demütigungen mit großer Seelenstärke willkommen, weil sie ihnen im Hinblick auf etwas anderes begehrenswert waren.

Und dieses Andere ist etwas sehr Wesentliches: Diese Heiligen sind so erfüllt von der Erkenntnis der Majestät Gottes, daß sie sich darüber freuen, ihre eigene Nichtigkeit zu erfahren – weil es die Wahrheit ist! Je mehr sie sich der Größe und Vollkommenheit Gottes annäherten, um so mehr erkannten sie sich vor Gott als winzig klein. Wenn man unmittelbar vor einem hohen Kirchturm – etwa vor dem Kölner Dom – vor einem riesigen Berg, oder vor einem Wolkenkratzer steht, so wird man sich seiner eigenen Kleinheit bewußt. Die Heiligen waren gänzlich erfüllt von der Majestät und der Herrlichkeit Gottes. Und angesichts der göttlichen Größe ist alles andere gering, niedrig, unbedeutend. Das ist die Wahrheit! Und der Mensch freut sich bekanntlich an jeder Wahrheit, die er entdeckt.

Unsere Nichtigkeit ist in demselben Maße wahr, als die Majestät Gottes wahr ist. Und insofern beinhaltet die Entdeckung der eigenen Niedrigkeit eine Freude an der Wahrheit. Die hl. Theresia sagt: „Demut ist Wahrheit.“ Wahrheit über das, was wir sind.

Die Heiligen erkannten sodann in den Demütigungen, in den Erniedrigungen, die ihnen widerfuhren, oder die ihnen von anderen zugefügt wurden, ihren Anteil am Kreuz Jesu Christi. Sie hatten Freude und Verlangen danach, denn sie haben das Gesetz der Erlösung verstanden. Dieses Gesetz lautet: In dem Maß als der Mensch Anteil am Kreuze Christi hat, insoweit er dem leidenden Christus ähnlich wird, in demselben Maße wird er auch einst dem verherrlichten Herrn gleichen. Der Anteil am Kreuz Christi, an der Erniedrigung Christi ist der entscheidende Faktor unseres Anteils an Seiner Herrlichkeit, an der Seligkeit des Himmels. Je mehr wir in diesem Leben dem erniedrigten Herrn ähnlich geworden sind, um so mehr werden wir einst dem Auferstandenen Christus verähnlicht werden.

Manchmal könnten wir den Eindruck gewinnen unsere heilige Religion ist eine Art Geschäft mit Gott. Wir lassen eine hl. Messe lesen, wir beten den hl. Rosenkranz und tun andere gute Werke und erwarten dafür, daß Gott uns als Gegenleistung ein ruhiges, angenehmes Leben auf dieser Welt schenkt. – Sobald dann die Dinge für uns ungünstig laufen – wenn etwa wir selbst oder ein lieber Mensch schwerkrank wird, oder gar stirbt; wenn man sein Vermögen verliert oder einen sonstigen Schaden hinnehmen muß, dann heben wir schnell zur Klage an: „Wie kann Gott das zulassen? Ich bin doch ein gläubiger Katholik. Ich bete! Ich gehe zur Messe! Ich gebe Almosen! Ich beichte regelmäßig und empfange die hl. Kommunion! Ich faste und tue Buße.“ – Wenn bei niederdrückenden Ereignissen diese Gedanken unwidersprochen in uns aufsteigen sollten, dann haben wir das Kreuz unseres Heilandes noch nicht verstanden; dann haben wir den Weg der Erlösung, den Sinn der hl. Messe, ja den fundamentalsten Grundsatz unserer Religion noch nicht begriffen. Jenen Grundsatz, den der Herr wie folgt ausgedrückt hat: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach.“ Die von Christus geforderte Verleugnung des eigenen Ich steht dabei weit über dem Verzicht auf alle irdischen Güter durch die freiwillige Armut, wie der hl. Papst Gregor d. Gr. bemerkt: „Hier heißt es, wir sollen uns selbst entsagen. Vielleicht ist es für den Menschen kein Opfer, sein Eigentum herzugeben, dagegen ist es ein großes Opfer, sich selbst preiszugeben. Denn es bedeutet wenig, seinem Besitz zu entsagen, doch sehr viel, dem zu entsagen, was man selbst ist.“ Nur so können wir im Kampf mit dem Teufel bestehen, wie derselbe hl. Papst erklärt: „Wenn wir für den Glauben streiten wollen, müssen wir den Kampf mit den bösen Geistern aufnehmen. Diese besitzen nichts in dieser Welt. Nackt müssen wir also gegen die Nackten streiten. Wenn einer, der bekleidet ist, mit einem Nackten ringt, wird er schneller zu Boden geworfen, weil er eine Handhabe bietet, wo man ihn fassen kann. Was ist das Irdische denn anderes, als eine Überkleidung für den Leib? Wer also zum Kampf mit dem Teufel auszieht, muß seine Bekleidung ablegen, damit er nicht unterliebt.“ Dazu muß der Jünger Christi den „alten Menschen“ des Stolzes und der Selbstbehauptung abstreifen, was gerade durch Demütigungen geschieht.

Die Heiligen haben diese Zusammenhänge in der Schule der Demütigungen verstehen gelernt und eines Tages tatsächlich verstanden. Darin besteht die Weisheit der Heiligen.

Dritte Lektion: Alles Gute ist allein Gott zuzuschreiben.

Die dritte Lektion, die wir gut verstehen müssen, zielt auf die Wahrheit, daß alles Gute, das wir tun, in erster Linie von Gottes Gnade herrührt und folglich mehr Gott, als uns zuzuschreiben ist. Wir finden diese Wahrheit in den Worten des hl. Franz von Assisi: „Wenn mir Gott durch Seine Gnade nicht beistünde, wäre ich der schlimmste Sünder in der ganzen Welt.“ Die anderen Heiligen sagten ähnliches.

Sie haben verstanden, daß Gott allein die Quelle alles Guten ist. Sie haben verstanden, wie sehr wir Seiner Hilfe bedürfen, damit wir überhaupt irgend etwas Gutes tun können. Daß also alles, was durch uns an Gutem geschieht, einzig und allein von Gott kommt, und nicht in erster Linie von uns. Daß es also nichts gibt, worauf wir uns etwas einbilden könnten. Deshalb fragt der Völkerapostel im 1. Korintherbrief mahnend: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich als hättest du es nicht empfangen?“ (1. Kor. 4,7).

Aus uns selbst sind wir schwach und unbeständig. Ohne die Gnadenhilfe Gottes würden wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die schwersten Sünden und in die abscheulichsten Laster fallen. Folglich sollten wir Gott nicht nur für die „innerlichen Gnaden“ mit denen Er uns immer wieder beigestanden hat und beisteht danken, sondern auch für die vielen „äußeren Gnaden“ mit denen uns Gott durch den ewigen Ratschluß Seine Vorsehung ausgestattet hat. Dafür, wo ich geboren wurde; in welcher Familie und in welche Verhältnisse hinein ich geboren wurde; für die Eltern, die ich habe; die Priester und Lehrer, die mich im Glauben unterwiesen; für die Menschen die mir den richtigen Weg gewiesen haben; für die weichenstellenden Begebenheiten meines Lebens. Für den Katechismus, der mir zur Verfügung steht, um mich im Glauben zu vergewissern. Die Glaubenspraxis, die ich erlernen durfte; die mir vorgelebt wurde: von den Eltern, von Priestern, Ordensschwestern oder sonstigen Personen. Für die Predigten, die ich in meinem Leben schon hören durfte. Für den Freund, die Freundin, den Ehegatten, der mich durch sein Vorbild auf dem rechten Weg bestärkt hat. Die religiösen Schriften, die ich lesen konnte. – Das sind alles äußere Gnadenerweise Gottes! Sie unterstützen uns. Sie leisten uns Beistand. Sie sind dafür verantwortlich, daß wir uns heute, in dieser papstlosen Zeit, als Katholiken hier versammeln und Gott anbeten können. – Das alles ist nicht unser Verdienst. Gott allein gebührt Ruhm und Ehre dafür.

Diese äußeren Gnaden leisten einen großen Beitrag hinsichtlich unseres ewigen Heiles. All diese Dinge sind von Gott gewollt und geschenkt; gerade zu diesem Zweck. – Wo wären wir ohne diese Gnaden? Die Heiligen würden sagen, wir wären die größten Sünder! Und das ist kein frömmlerisches, devotes Gerede. Nein, die Heiligen haben recht! Es ist nichts als die Wahrheit!

Denken wir an die Milliarden Menschen, die in dieser Welt gelebt haben und diese Gnaden nicht hatten. An solche, die den katholischen Glauben nie kennengelernt haben und ihn nie kennenlernen werden. Die ihr ganzes Leben in totaler Unkenntnis über die wichtigsten Aspekte des menschlichen Daseins zubringen. Die ihr Leben fristen, ohne je irgendeinen blassen Schimmer davon gehabt zu haben, worin das wahre und ewige Glück des Menschen besteht; die einfach so dahinleben oder unermüdlich den vergänglichen Gütern dieser Welt nachjagen.

Denken wir dabei nicht nur an jene, die irgendwo im afrikanischen Urwald leben, sondern an solche, die gebildet und reich sind. Auch sie sind unwissend über die grundsätzlichsten und wichtigsten Dinge des Lebens, obwohl sie Doktorate besitzen und Lehrstühle an Universitäten inne haben.

Schauen wir auf die hunderte von Millionen Menschen, welche den Glauben von ihren Eltern empfangen haben. Hunderte von Millionen. Und die den wahren Glauben dann später, aufgrund des 2. Vatikanums und der dort gegründeten Novus-Ordo-Kirche, die sie fälschlich mit der katholischen Kirche identifizierten, abgestreift haben. Es geschah in der gleichen Weise, wie fünf Jahrhunderte zuvor unzählige Menschen den katholischen Glauben durch die protestantische Reformation aufgaben. Sie sind aufgewachsen als gute Katholiken. Später haben sie den Glauben verloren! Oft ohne es zu bemerken. – Nicht anders ist es seit dem Umsturz durch das 2. Vatikanum. Heute ziehen unzählige vermeintliche „Katholiken“ ihre Kinder in einer neuen und falschen Religion auf, genauso wie es die abgefallenen Katholiken zu Zeiten der Reformation getan haben. Sie erziehen ihre Kinder zu guten Protestanten, zu Lefebvristen, zu Liberalen, zu Modernisten. Auch und gerade in der sogenannten „Bewegung der Tradition“!

Danken wir Gott für die Gnaden, die wir empfangen haben. Und bilden wir uns bloß nichts darauf ein! Wir sind nicht besser als andere! Es ist nicht unser Verdienst, daß wir sehen, wofür andere blind sind! Es ist einzig die Güte und das Erbarmen Gottes, das uns zum katholischen Glauben geführt hat, oder uns daran festhalten ließ.

Vierte Lektion: Die eigenen Sünden betrachten.

Die vierte Lektion um uns in der Demut zu befestigen, besteht darin, uns an unsere zahllosen eigenen Fehler und Sünden zu erinnern. Auch das gehört zur wahrhaftigen Selbsterkenntnis. „Laß mich recht erkennen wer ich bin und wer Du bist“, so betet der hl. Augustinus. Wir sollen nicht nur einsehen lernen, daß alles Gute in unserem Leben allein der Güte und dem Erbarmen Gottes zuzuschreiben ist, sondern auch, daß umgekehrt alles Sündhafte, Mangelhafte, Boshafte, einzig auf unsere Rechnung geht.

Wir sollen uns unsere vielen früheren Sünden ins Gedächtnis rufen. Ihre große Zahl. Ihre Abscheulichkeit. Unsere Bosheit. Unsere Schwäche. – Wir sollen sie so betrachten, wie Gott sie an uns sieht, wenn wir hier bei der hl. Messe vor Ihm knien.

Denken wir nur, wieviele Sünden wir an einem einzigen Tag begehen. – Die Heilige Schrift sagt: „Der Gerechte sündigt siebenmal am Tag.“ Der Gerechte! Gemeint ist hier der Gerechte im Vollsinn, also der Heilige. Auch der Heilige sündigt aufgrund der erbsündlichen Schwäche. Wer von uns aber kann von sich behaupten ein Gerechter zu sein? – Wieviele Sünden übersehen wir dann also? Wieviele Sünden rutschen durch die weiten Maschen unseres Gewissens? „Der Gerechte sündigt siebenmal am Tag.“

Multiplizieren wir die Siebenzahl mit 365. Und multiplizieren wir das Ergebnis mit unserem Lebensalter, minus sieben Jahre für die Zeit, da wir noch nicht richtig wußten, was wir tun. Welch immense Zahl! Allein schon, wenn wir schon immer als Gerechte gelebt hätten.

Rufen wir uns sodann die Worte unserer Beichten ins Gedächtnis zurück. Wie wir immer und immer wieder die gleichen Sünden beichten müssen. Wir sollen in dieser Erinnerung an unsere Sünden nicht nur unsere große Schuld erkennen, nicht nur unsere große Neigung zur Sünde, sondern vor allem unsere eigne Unbeständigkeit und unser Unvermögen. Schauen wir auf die Größe unserer Eigenliebe und auf die Kälte unserer Gottesliebe.

Die Gravitation der Wahrheit

Beten wir schließlich zu Gott, daß Er uns die Gnade einer tiefen Demut schenke, daß die Demütigungen den Stolz in unserer Seele wirklich auslaugen, damit wir ein kleinwenig in der wahren Demut wachsen können, wie es uns die Heiligen in ihren Aussprüchen gelehrt haben.

In Seinen Gleichnissen belehrt uns der Heiland, daß wir in einer Gesellschaft den letzten Platz wählen sollen. „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt. Wer sich aber selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ Bitten wir Gott, daß uns aus einer wahren Selbsterkenntnis heraus, in allen Bereichen unseres Lebens nicht der erste, sondern der letzte Platz anziehe. Nicht aufgrund einer aufgesetzten und gespielten Bescheidenheit, sondern so, wie ein Stein vom Erdboden angezogen wird; also durch das Gravitationsgesetz der Wahrhaftigkeit, das uns auf den Platz zieht, auf den wir wirklich hingehören.

Bitten wir um die Gnade, daß wir heute vor der hl. Kommunion in derselben Aufrichtigkeit wie der Hauptmann von Kapharnaum sprechen können: „O Herr, ich bin nicht würdig, daß Du eingehst unter mein Dach.“ Überzeugt davon, daß wir ohne die Gnade Gottes der schlechteste aller Menschen wären, wie der hl. Paulus von sich sagt: „Christus Jesus ist in diese Welt gekommen, die Sünder zu retten; und unter diesen bin ich der erste.“ (1.Tim. 1,15). Amen.

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