„Ich werde Gnade erweisen, wem Ich gnädig bin“

Geliebte Gottes!

Noch sind keine vierzig Tage seit dem Geburtsfest unseres göttlichen Erlösers verstrichen und schon richtet die Kirche unseren Blick auf das große Werk der Erlösung, zu dem unser Herr Jesus Christus Fleisch angenommen hat und in die Welt gekommen ist. Mit dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg werden wir herbeigerufen, um uns auf die mühevolle Arbeit unserer Bekehrung einzustimmen, zu der wir während der Fastenzeit ganz besonders aufgerufen sind.

Gott ist der Eigentümer des Weinberges. Der Weinberg ist die Kirche bzw. unsere Seele. Die berufenen Arbeiter, das sind selbstverständlich wir. Der Tag ist die Lebenszeit. Der in Aussicht stehende Lohn ist der Denar der ewigen Glückseligkeit des Himmels, der am Ende des Arbeitstages ausgezahlt wird. Doch worin genau besteht die Arbeit? Unsere Arbeit im Weinberg besteht darin, das Unkraut der Laster auszurotten und die Weinstöcke der Tugenden einzupflanzen und zu pflegen.

Wie man in einem Weinberg gräbt, so muß man auch im geistigen Weinberg graben. D.h. man muß den Tod betrachten, die Demütigungen des Lebens tapfer ertragen und sein Gewissen fleißig nach Schädlingen durchsuchen.

Wie an den Weinstöcken das, was überflüssig ist, ausgeschlagen oder abgeschnitten wird, so müssen auch wir unsere schlechten Neigungen und üblen Gewohnheiten durch wahre Buße, Gebet und Werke der Nächstenliebe beschneiden und ausrotten.

Schließlich müssen wir unseren Drang nach Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit aufgeben, und unseren Willen – wie die Weinrebe – an die Pfähle der Gebote Gottes anbinden lassen.

Wenn wir auf diese Weise eifrig und beharrlich arbeiten, werden wir, wenn einst der Feierabend über unser Leben hereinbricht, den Denar der Auserwählung als unseren ewigen Lohn ausbezahlt bekommen. Abgesehen davon, lehrt uns das Gleichnis der heutigen Messe jedoch ganz besonders zwei Dinge:

  1. Ohne Gnadenstand ist es unmöglich ewige Verdienste zu erlangen. Und
  2. Gott gibt Seine Gnade wem Er will.

Der Gnadenstand als Voraussetzung des Verdienstes

Die Arbeiter im Gleichnis konnten einen Denar als Lohn für die Arbeit beanspruchen, welche sie den Tag über im Weinberg geleistet hatten. Er wurde ihnen nicht geschenkt. Sie haben ihn sich wirklich verdient. Der Grund jedoch, warum sie ihn sich verdienen konnten, und deshalb auch einen wahren Anspruch auf Entlohnung hatten, war einzig allein die Tatsache, daß sie vom Eigentümer des Weinberges berufen und als Arbeiter eingestellt wurden. Wären sie nicht angestellt worden, so hätten sie auch keinen Anspruch auf den Lohn.

Von hier ausgehend, können wir die Bedingung für das übernatürliche Verdienst verstehen. Der Gnadenstand, d.h. die Freundschaft mit Gott, bewirkt durch den Stand der heiligmachenden Gnade, ist gleichbedeutend mit der Anstellung in Seinem Weinberg. – Nur unter dieser Voraussetzung trägt selbst das kürzeste Gebet, die niedrigste Arbeit und das scheinbar unbedeutendste gute Werk einen übernatürlichen Wert in sich. Selbst das Abspülen nach den Mahlzeiten, das Bügeln der Wäsche, die anfallenden Putz- und Reinigungsarbeiten und andere alltägliche Standes- und Berufspflichten sind verdienstlich, wenn sie im Stand der heiligmachenden Gnade verrichtet werden.

Denn alle im Gnadenstand erbrachten guten Werke beinhalten einschlußweise einen Akt der Gottesliebe. Sie sind alle von der übernatürlichen Gnade, die ja nichts anderes als die Gottesliebe ist, durchdrungen und durchweiht. Der Mensch im Gnadenstand gleicht einer Kohle, die von der Feuerglut der Gottesliebe ganz durchdrungen ist. Alles, womit eine glühende Kohle in Berührung gebracht wird, wird automatisch heiß und zum Glühen gemacht. So werden auch alle guten Werke eines Menschen, der sich im Stand der heiligmachenden Gnade befindet, vom Feuer der Gottesliebe erfaßt, wodurch sie Gott wohlgefällig und für die Ewigkeit verdienstlich werden.

Wenn der Mensch hingegen gute Werke im Stand der Todsünde verrichtet, so sind alle diese Akte zwar „gut“. Denn es ist gut, wenn auch ein Sünder etwa ein Kind vor dem Ertrinken rettet, ein Almosen an Bedürftige entrichtet, oder ein Gebet spricht. Es sind gute Werke, keine Sünden. Nichtsdestotrotz sind sie aber nicht verdienstlich. Denn sie entstammen nicht der übernatürlichen Gottesliebe, sondern sind dann aus einem anderen, rein natürlichen Motiv heraus getan. Ohne die Glut der Gottesliebe bleiben auch die besten Werke des Menschen kalt und unvollkommen; eben wie ein bloßes Stück Kohle.

Stellen wir uns zur konkreten Veranschaulichung einen katholischen Familienvater vor, der jeden Tag zur Arbeit geht. Und stellen wir uns andererseits einen notorischen Ehebrecher vor, der in gleicher Weise jeden Tag zur Arbeit geht. Der Familienvater, von dem wir annehmen, daß er sich im Gnadenstand befindet, verdient jeden Tag durch die berufliche Arbeit und die Erfüllung seiner sonstigen Standespflichten übernatürlichen Lohn, aufgrund des Gnadenstandes, in dem er sich befindet. – Der Ehebrecher hingegen verdient aufgrund des Mangels an heiligmachender Gnade rein gar nichts für die Ewigkeit. Selbst wenn er die gleiche Arbeit verrichtet, ja, selbst wenn er viel gewissenhafter und fleißiger arbeiten sollte als der Familienvater; er würde dafür kein ewiges Verdienst bei Gott erlangen.

Man muß sich unbedingt im Stand der heiligmachenden Gnade befinden! Man muß „gedungen“ sein! Man muß in einem freundschaftlichen Dienstverhältnis zu Gott stehen. Dann ist man in Seinem Weinberg angestellt. Und nur dann lohnt sich die Arbeit für die Ewigkeit.

Denken wir uns einen jungen Mann, der in Ihrer Nachbarschaft den Leuten den Rasen mäht. Stellen Sie sich vor: Auf einmal klingelt es am Samstagmittag bei Ihnen an der Tür. Als Sie öffnen, steht der junge Mann vor Ihnen und sagt: „Ich habe gerade Ihren Rasen gemäht.“ Und prompt hält er Ihnen die offene Hand hin: „Das macht 25 Euro!“ – Da werden Sie völlig zu Recht sagen: „Ich habe Sie nicht darum gebeten. Sie haben keinen Anspruch auf Entlohnung, weil ich Sie nicht damit beauftragt habe, mir den Rasen zu mähen.“ – Anders verhält es sich, wenn Sie den jungen Mann, während er vielleicht gerade beim Nachbarn zugange ist, ansprechen und zu ihm sagen: „Hören Sie, wenn Sie fertig sind, dann könnten Sie doch vielleicht auch bei mir noch den Rasen mähen. Ich gebe Ihnen 25 Euro dafür.“ Nur auf diese Weise entstünde ein Dienstverhältnis, das einen Anspruch auf Entlohnung herstellt. Und genau das ist der springende Punkt!

Wie wir uns nicht selber, aus eigener Anstrengung, bei irgendeiner Firma einstellen können; wie es uns unmöglich ist ohne Arbeitsvertrag ein wahres Recht auf Entlohnung verschaffen können, genausowenig können wir im übernatürlichen Bereich aus eigener Anstrengung das Prinzip des ewigen Verdienstes verdienen.

Mit anderen Worten: Wir können nichts tun, was Gott in die Lage brächte, daß Er uns die Anstellung in Seinem Weinberg, also die erste Gnade schuldet; daß wir Ihm gegenüber Anspruch auf die heiligmachende Gnade erheben könnten und Er gezwungen wäre, sie uns zu geben. Nein, Gottes Gnade ist stets ungeschuldet. Er muß sie uns nicht schenken, wie der Eigentümer des Weinberges im Gleichnis nicht gezwungen war, alle diese Tagelöhner einzustellen. Wir haben vor Gott kein Recht auf die Möglichkeit, uns das ewige Heil zu verdienen. Wir verdanken allein schon die Möglichkeit einzig der ungeschuldeten Gnadenwahl Gottes.

Wenn wir aber einmal in den Besitz des Gnadenstandes gelangt sind, dann können wir wirklich eine Vermehrung der Gnade verdienen, indem wir zusammen mit der übernatürlichen Gnade durch unsere Anstrengung mitwirken. Aber wir können nicht aus unseren bloß natürlichen guten Werken heraus, uns einen Anspruch auf die „erste Gnade“ verdienen. Gott muß auf uns zukommen. Er muß uns die „erste Gnade“ schenken, uns in Seine Dienste nehmen; genauso wie Sie auf den jungen Mann zugehen und zu ihm sagen müssen: „Mähen Sie bitte meinen Rasen!“

Es wäre Häresie, wollte einer behaupten, der Mensch könne aus sich heraus, allein durch seine natürlichen guten Werke, die erste Gnade verdienen und sich den ewigen Lohn von Gott ertrotzen. Das wäre die Häresie des Semi-Pelagianismus, welche im 6. Jahrhundert auftrat und von der Kirche feierlich verurteilt wurde. Dabei handelt es sich um eine Form des Naturalismus.

Wie wir aber schon öfters gesagt haben genügt es nicht, um in den Himmel zu kommen, daß wir natürlich gute Menschen sind. Natürlich-gute Werke vermag auch der Ungläubige, der Mohammedaner und der Jude zu tun. Sie alle können natürlich-gute Werke tun. Vielleicht sogar bessere, als der Katholik im Gnadenstand. Aber es genügt eben nicht für den Himmel, denn das ewige Leben in der liebevollen Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht übersteigt die menschliche Natur. Das Leben in der Liebesgemeinschaft Gottes ist übernatürlich. Und deswegen müssen alle, die daran teilnehmen nicht nur natürlich-gute Menschen, sondern übernatürlich-gute Menschen sein! Das ist ein riesiger Unterschied!

Ein Unterschied, der auch in der heutigen Auseinandersetzung eine maßgebliche Rolle spielt! Denn die Modernisten leugnen den Unterschied von Natur und Gnade. Sie leugnen die Ungeschuldetheit der Gnade. Deshalb spielt es für sie keine Rolle, welcher Religion der Einzelne angehört, welchen Glauben er hat, welche sittlichen Normen er einhält. Es genügt, wenn er nur ein „guter Mensch“ ist. Daher der häretische Heilsoptimismus der Modernisten; bis hin zur Allerlösung.

Das entscheidendste Anliegen

Demgegenüber hat die katholische Kirche immer gelehrt, daß wir und die „erste Gnade“ nicht verdienen können, sondern daß sie uns von Gott geschenkt werden muß. Gleiches gilt sodann auch für die „letzte Gnade“; für die alles entscheidende Gnade, für die sog. „Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende“. Die Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende, ist im Wesentlichen Sache des freien göttlichen Willens und Seiner ewigen Vorsehung. Ob der Einzelne im Gnadenstand sterben wird, das ist von Gott vorhergesehen von Ewigkeit her. Unsere Geburt, unser Leben, unser Tod, und alle Umstände zwischen diesen beiden Polen, alles ist von Gott vorhergesehen, gewollt, zugelassen, geplant. Unsere Erlösung ist von Gott geplant. Wie an einem Flugzeug alles geplant und auch dessen Flugroute genauestens berechnet ist, so ist die Erlösung jedes Menschen von Gott von Ewigkeit her vorhergesehen und geplant. Und darin eingeschlossen sind auch die Todesumstände eines jeden von uns.

Ob wir im Gnadenstand sterben, oder im Stand der Todsünde, Gott weiß es bereits jetzt! Er weiß, ob wir bis zum Lebensende treu mit der von Ihm geschenkten Gnade mitwirken werden oder nicht. Er weiß, ob wir in Seinen Augen würdig sind, das Geschenk der „Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende“ zu empfangen oder nicht. – Wenn es nun geschieht – was wir alle hoffen – daß wir im Stand der heiligmachenden Gnade verscheiden, dann handelt es sich dabei nicht um unser Verdienst, sondern um ein unverdientes Geschenk; um eine ungeschuldete Gnade.

Wir können nur und müssen jeden Tag um diese Gnade bitten. Das tun wir, sooft wir etwa andächtig das „Ave Maria“ beten. Dabei sprechen wir: „Heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.“ – In gleicher Weise betet die Kirche bei jeder heiligen Messe im Kanon um eben diese allesentscheidende Gnade. Im Gebet „Hanc igitur“ betet der Priester: „Bewahre uns gütig vor der ewigen Verdammnis und reihe uns ein in die Schar Deiner Auserwählten.“

Jeder von uns muß darum beten, daß er einst im Stand der heiligmachenden Gnade sterben darf. Das ist das wichtigste Gebetsanliegen unseres ganzen Lebens! – Wir alle werden ja sterben. In hundert Jahren wird niemand von uns mehr da sein. Wir werden gestorben sein. Unser Leib wird irgendwo begraben und zu Staub zerfallen sein. Unsere Seele wird gerichtet sein. Wir werden uns entweder im Himmel oder in der Hölle befinden; vielleicht auch noch eine gewisse Zeitspanne im Reinigungsort des Fegfeuers. – Kurz: Unser ewiges Heil wird unabänderlich und auf ewig entschieden sein. Dann wird uns alles andere, was uns jetzt so wichtig erscheinen mag, wofür wir uns auf die Knie werfen und Gott darum anflehen, nicht mehr interessieren. Für uns wird nur noch eines von Bedeutung sein: Ob wir im Gnadenstand gestorben sind, oder im Stand der Todsünde.

Bedeutung der helfenden Gnade

Die heiligmachende Gnade wird erlangt durch die „helfende Gnade“ – auch „aktuelle Gnade“ genannt.

Was ist die „helfende Gnade“? Im Unterschied zur „heiligmachenden Gnade“, welche der Seele die Seinsqualität der Heiligkeit dauerhaft, gleichsam zuständlich, mitteilt, ist die „helfende Gnade“ eine augenblickliche Hilfe Gottes, für unsere Handlungen, für unser Tun und Lassen. Die „helfende Gnade“ ist eine momentane Hilfe Gottes, die unseren Verstand erleuchtet und unseren Willen bewegt das Gute zu tun und das Böse zu meiden.

Am Anfang jedes verdienstlichen Werkes steht eine Erleuchtung des Verstandes und eine Bewegung unseres Willens durch die helfende Gnade. Dies geschieht aber auf eine derart sanfte Weise, daß dadurch die Freiheit unseres Willens nicht beeinträchtigt wird. Wir werden nicht ferngesteuert durch die Gnade, sondern nur zum Guten angeregt; so unscheinbar, daß wir es meist gar nicht bemerken.

Der zum ewigen Verdienst erforderliche Gnadenstand ist nun die Wirkung jener sanften Bewegung, durch die wir von Gott angetrieben werden, solche Akte zu setzen, die dazu geeignet sind, um die Freundschaft mit Gott zu begründen. Damit wir also überhaupt übernatürliche Akte und übernatürlich gute Werke wirken können, müssen wir dazu von Gott auf eine übernatürliche Weise bewegt werden. – Schon die zum Empfang der heiligmachenden Gnade vorbereitenden Akte sind Werke, die unter dem Einfluß der übernatürlichen Gnadenhilfe Gottes stehen. – Stellen Sie sich die Seele wie ein Segelschiff vor, das vom Wind bewegt wird. Ein Segelschiff verfügt von Natur aus über keine Ruder. Es kann sich nicht aus eigener Kraftanstrengung fortbewegen. Es verfügt allein über Segel, welche die Kraft des Windes – der weht wann und wo er will – auffangen und das Schiff auf diese Weise antreiben. Die helfenden Gnaden sind wie der Wind, mit dem Gott eine Seele auf übernatürliche Weise bewegt.

Bei einem ungetauften Erwachsenen zeigt sich die Einwirkung der helfenden Gnade etwa dadurch, daß er innerlich dazu bewegt wird, den katholischen Glauben anzunehmen, um sich taufen zu lassen und ein Glied der katholischen Kirche zu werden. In einem Konvertiten wird das Wirken der helfenden Gnade sehr deutlich sichtbar. Er ist angezogen von der Wahrheit. Er will die Glaubenswahrheiten gut kennenlernen. Er will sie studieren, verinnerlichen. Er will durch und durch katholisch sein. Auch will er die Gebote halten. Ausnahmslos alle Gebote! Voll Eifer, ohne Zugeständnisse.

Wenn es sich um einen Katholiken im Gnadenstand handelt, dann treten die Wirkungen der helfenden Gnaden insbesondere dadurch zutage, daß sie ihn dazu antreiben die Sünde zu meiden, den Stand der heiligmachenden Gnade zu bewahren, indem er die Gebote einhält. Wenn er sich im Gnadenstand befindet, fühlt er sich zum Gebet, zum Sakramentenempfang und zu guten Werken angetrieben, wodurch er Gnade und Verdienste mehrt.

An jedem Tag wirken auf den Menschen zahlreiche helfende Gnaden ein. Sie bewegen ihn immer und immer wieder zu guten Werken. Wie unzählige Windböen in die Schiffstakelage fahren, so werden der Seele im Gnadenstand täglich zahllose helfende Gnaden zuteil; etwa durch gute Gedanken, Warnungen und Mahnungen des Gewissens, Freude an guten Werken, auch wenn sie nicht ganz einfach sind, etc. Doch wie auf einem Segelschiff auch die Schiffsmannschaft mitwirken muß, indem sie die Segel setzt und dieselben am Wind ausrichtet, so ist auch die treue Mitarbeit des Menschen gefordert, damit aus den Anregungen der Gnade tatsächlich gute, für die Ewigkeit verdienstliche Werke werden können.

Säuglinge und kleine Kinder erlangen den Gnadenstand, indem sie von ihren Eltern zur Taufe gebracht werden. Die Entfaltung der Gnade in der Kinderseele ist in gewisser Weise davon abhängig, inwieweit die Eltern mit der ihnen gegebenen Standesgnade als Erzieher des Kindes mitwirken. Wenn sie es versäumen das Kind zur Taufe zu bringen, oder wenn sie es versäumen das getaufte Kind an die Ordnung, den Gehorsam und die Disziplin zu gewöhnen, welche der katholische Glaube fordert, und das Kind deshalb nicht zu einem guten Katholiken heranwachsen kann, dann haben die Eltern in ihrer wichtigsten Standespflicht versagt, weil sie von den helfenden Gnaden, die ihnen Gott für die Erziehung angeboten hat, nicht (genug) Gebrauch gemacht haben, um ihr Kind für Gott zu erziehen.

Wie wir gesagt haben: Die helfenden Gnaden wirken beständig auf uns ein. Sie sind wie eine sanfte Windbriese, die in die Segel bläst. Sie ist die Grundvoraussetzung. Aber es ist menschliche Mitwirkung notwendig, daß eine Seele in den Stand der heiligmachenden Gnade gelangt und sich darin erhalten kann. – Es bedarf der helfenden Gnade, um etwa einem schmutzigen Bild zu wiederstehen, es zu mißbilligen und sofort aus unseren Augen zu entfernen. – Die helfende Gnade bewahrt uns in der heiligmachenden Gnade. Erst recht ist die helfende Gnade aber notwendig für jede Bekehrung. Sie bewegt den Sünder, nachdem er die heiligmachende Gnade durch eine Todsünde verloren hat, zur Reue, damit er wieder in den Besitz derselben gelangen kann. Sie treibt ihn an zur Reue, zum festen Vorsatz sich zu bessern und zum aufrichtigen Sündenbekenntnis im Beichtstuhl. Erst recht handelt es sich dabei um ein offenkundiges Wirken der helfenden Gnade, wenn ein abständiger Sünder nach Jahren und Jahrzehnten wieder vor dem Priester niederkniet und seine Sünden bekennt.

Wenn wir für die Bekehrung der Sünder beten, dann beten wir im Grunde genau darum, daß Gott ihnen eben diese Gnadenhilfe gewährt und daß sie in der rechten Weise mit der helfenden Gnade mitwirken können, damit sie den Gnadenstand auch tatsächlich erlangen. Aus eigener Kraft kann sich kein Sünder bekehren. Ohne helfende Gnade ist er verloren.

Wenn Sie in ein tiefes Loch gefallen sind, dann sind Sie gefangen. Sie kommen da allein nie wieder heraus. Es muß Ihnen jemand von oben ein Seil herunterlassen, an dem Sie herausgezogen werden können. In gleicher Weise verhält es sich, wenn jemand in eine Todsünde fällt. Er kann sich nicht alleine daraus befreien. Er ist absolut hilflos und kann nur von Gott allein herausgezogen werden. Das geschieht einzig durch Seine Gnadenhilfe, die den Sünder zu Buße und Bekehrung bewegt.

Die freie Gnadenwahl Gottes

Die zweite Lehre des heutigen Gleichnisses betrifft sodann die freie Gnadenwahl Gottes. D.h. Gott allein bestimmt, wem er die Gnade gibt und wieviel Gnade er gibt. Kurz: Gott gibt die Gnade wem Er will!

Dabei begeht Gott kein Unrecht! Es ist kein Unrecht, wenn Er dem einen mehr Gnade gibt, als einem anderen. Denn – auch wenn es dem einen oder anderen nicht gefallen mag – Gott liebt manche Seelen mehr als andere! Gott liebt alle Seelen. Aber Gott liebt manche Seelen mehr als andere.

Das ist offensichtlich! Denn die Liebe Gottes zeigt sich in den Gütern, die Er einer Seele mitteilen will. Nun will Er aber ganz offenbar den einen mehr mitteilen als anderen. Und das ist ganz allein Seine Sache, wie Gott dem Moses gegenüber erklärte: „Ich werde Gnade erweisen, wem Ich gnädig bin, und werde Barmherzigkeit dem erzeigen, dessen Ich Mich erbarme.“ (Ex. 33,19).

Dabei handelt es sich um ein großes Geheimnis! Trotzdem ist es eine unleugbare Tatsache, daß ein Heiliger viel mehr begnadet ist als der Durchschnittskatholik. Heilige sind in vielerlei Hinsicht außerordentlich. Und warum? Weil sie in einer ganz außerordentlichen Weise von Gott geliebt sind. Die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria wurde in einzigartiger Weise von Gott mit übernatürlichen Gütern bevorzugt, und damit ganz offensichtlich mehr als alles andere von Ihm geliebt. Warum das so ist?

Der hl. Augustinus hat diese Frage aufgeworfen: „Warum wird der eine von der Gnade bewegt, aber der andere nicht?“ Und er antwortet darauf: „Urteile nicht, wenn du nicht irren willst!“ Urteile nicht, wenn du nicht irren willst! – Mit anderen Worten: Wir würden uns anmaßen in die innersten Motive des göttlichen Willens vorzudringen, wollten wir es wagen, einen Grund anzugeben, warum der eine mehr und der andere weniger Gnade erhält. Warum der eine sich sein Lebtag lang plagen muß, um sich im Gnadenstand zu erhalten, während anderen die Heiligkeit gleichsam in die Wiege gelegt wurde, das geht weit über unseren Erkenntnishorizont hinaus. Uns muß es genügen, daß es so ist. „Ich werde Gnade erweisen, wem Ich gnädig bin, und werde Barmherzigkeit dem erzeigen, dessen Ich Mich erbarme.“

Wir würden uns in äußerste Gefahr bringen, wollten wir, wie die Arbeiter im Weinberg, gegen die Zuteilung der göttlichen Gnadenerweise murren und bei Gott dagegen Beschwerde einlegen. Der Ursprung solchen Murrens ist teuflischer Neid! Und den Nächsten um der göttlichen Gnade willen beneiden, das ist eine der sechs Sünden „wider den Heiligen Geist“! Der hl. Paulus würde uns sofort in die Schranken weisen, wie er es im Römerbrief getan hat: „O Mensch! Wer bist du, daß du mit Gott rechten willst? Spricht etwa das Gebilde zu seinem Bildner: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat nicht der Töpfer Gewalt über den Ton, um aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere aber zur Unehre zu machen?“ (Röm. 9,20 f.). Es ist und bleibt nun einmal Sache des Töpfers, ob er aus dem Ton ein Trinkgefäß formt, oder einen Nachttopf.

Eigenverantwortliche Mitwirkung

Letzteres würde Gott niemals von sich alleine aus tun, denn Er liebt alle Seine Geschöpfe. Wenn es aber bildlich gesprochen geschieht, dann ist nicht Gott dafür verantwortlich, sondern der Mensch. Denn wie der hl. Augustinus sagt: „Gott vergilt Böses mit Bösem, denn Er ist gerecht. Er vergilt Böses mit Gutem, denn Er ist gut. Er vergilt Gutes mit Gutem, denn Er ist gut, als auch gerecht. Aber Er vergilt niemals Gutes mit Bösem, denn Er ist nicht ungerecht.“

Deshalb kann kein Verdammter in der Hölle berechtigterweise sagen: „Ich bin ewig verloren, aber ohne meine Schuld. Gott ist es, der die Schuld dafür trägt.“ Eine Lästerung! Nein, Gott ist nicht ungerecht. Er vergilt nicht Gutes mit Bösem, sondern nur Böses mit Bösem. Und das weiß jeder Verdammte! Der hl. Robert Bellarmin sagt: „Keine Seele, die zur Hölle verdammt wird, ist darüber überrascht. Jeder Verdammte weiß, warum er die ewige Strafe leidet.“ Jeder kennt sein Gewissen. In diesem Leben unterdrücken wir bisweilen seine anklagende Stimme. Der Teufel treibt uns rastlos an, damit wir nicht zur Besinnung kommen. Er vernebelt unsere Urteilskraft durch wiederholte Sünden, bis wir nichts Anstößiges mehr an ihnen finden und sie nicht mehr bereuen und beichten können. Aber das persönliche Gericht, unmittelbar nach dem Tod, legt das Gewissen eines jeden glasklar offen. Deshalb weiß der Verdammte, daß ihm genau so vergolten wird, wie er getan hat. Gott ist nicht ungerecht.

Wer in den Himmel eingeht, der gelangt durch die Gnade Gottes dorthin; wer zur Hölle fährt, dem geschieht es aus eigener Schuld. In diesem einen Satz sind alle Prinzipien der Erlösungs- und Gnadenlehre enthalten.

Wenn wir in den Himmel kommen, haben wir es der Gnade Gottes zu verdanken. Werden wir verdammt, so geschieht es allein durch unsere Schuld, weil wir die angebotene Gnade nicht nutzen wollten. Gnade und Erlösung sind nichts, was uns Gott schuldet. Beides sind Geschenke Gottes, die Er uns als höchster Herrscher und in vollkommener Freiheit anbietet, wenngleich nicht jedem in gleichem Maß. Es ist unsere Pflicht, mit den Gnaden, die uns Gott in Seiner Liebe zugedacht hat mitzuwirken, damit wir damit unsere Erlösung verdienen. Gott gibt uns alles! Er gibt uns den Weinberg, die Anstellung, die Kraft zum arbeiten und am Feierabend, die Entlohnung. – Der Weinberg ist die Seele. Die Anstellung ist die heiligmachende Gnade. Sie ist die Basis allen Verdienstes. Die Arbeitskraft, ist die helfende Gnade, die uns antreibt gute Werke zu vollbringen. Und der Lohn ist die ewige Seligkeit, die in nichts anderem besteht, als in Gott selbst, der sich uns schenkt.

Um diesen Lohn zu erlangen, müssen wir die Wichtigkeit der helfenden Gnade gut verstehen. Sie ist die unerläßliche Hilfe Gottes, damit wir Gutes tun und Böses lassen können. Ohne sie, oder – schlimmer noch – wenn wir die Mitwirkung mit ihr verweigerten, wäre alles verloren und die ewige Verdammnis würde unser Los sein. Deshalb müssen wir aufmerksam auf die unzähligen Gnaden sein, die uns Gott tagtäglich gewährt. Wir müssen darauf aufmerksam sein und diesen Anregungen gehorsam folgen.

Bedeutung des Gebetes

Dem Gebet kommt hierbei eine wichtige Rolle zu. Denn das Gebet disponiert uns, daß wir die Bewegungen durch die helfenden Gnaden schneller, leichter und vollkommener aufnehmen können. Das Gebet öffnet nicht nur unsere Seele zum Empfang der Gnade, sondern befähigt sie gleichzeitig zur besseren Mitwirkung.

Jedes unserer geistlichen (!) Probleme kann durch das Gebet gelöst werden. Wer andauernd in seine altbekannten Laster verstrickt bleibt, der betet entweder zu wenig; oder nicht gut genug; oder vielleicht beides.

Das Gebet ist der wichtigste Akt des Tages. Aber dabei ist es vielleicht die einzige unserer Tätigkeiten, die einen permanenten Defekt aufweist. Wir bemühen uns an einem Tag um viele, viele Dinge. Teilweise natürlich völlig zu Recht. Jeder versucht seine Pflichten so gut wie möglich zu erfüllen. Das ist gut. Genauso soll es sein. – Nichtsdestotrotz leidet unser Gebet andauernd unter irgendeinem Defekt. Zu selten, zu kurz, zu hastig, zu unandächtig, zu selbstsüchtig, zu unregelmäßig, zu automatisiert, zu wenig auf Gott vertrauend, usw. Am Ende aber wird all unser tagtägliches Mühen und Sorgen doch von der Inflation des Todes erfaßt werden und zu wertlosem Staub zerfallen. Nur das Gold der Gnade, welches durch unser Gebet fruchtbar gemacht wurde, wird seinen ewigen Wert bewahren.

Das vor uns liegende Arbeitsfeld

Wenn wir also mit dem heutigen Sonntag Septuagesima gerufen werden, um in der bevorstehenden Fastenzeit im Weinberg unserer Seele zu arbeiten, dann ist es zu allererst notwendig, daß wir uns durch eine gute, reuevolle Beichte in den Stand der heiligmachenden Gnade versetzen lassen. So stellen wir sicher, daß wir wirklich bei Gott „unter Vertrag stehen“, und nicht etwa, trotz all unserer Bemühungen um gute Werke, nur sinnlose Luftstreiche vollführen; am Ende des Lebenstages aber dann mit leeren Händen dastehen.

Dann aber wollen wir uns voller Eifer an die Arbeit machen und der Sünde, dem Laster, dem Hauptfehler beherzt zuleibe rücken, indem wir:

  1. großen Haß und Abscheu gegen den Hauptfehler erwecken.
  2. einen aufrichtigen und ernsten Willensentschluß fassen, diese Sünde tatsächlich auszutilgen, indem wir uns die dem besagten Laster entgegengesetzte Tugend vornehmen.
  3. uns durch geistliche Lesung unseren Verstand für die Anregungen der helfenden Gnade vorbereiten.
  4. alle Heiligen, die mit demselben Laster zu kämpfen hatten wie wir, um ihre Fürsprache bei Gott anrufen.
  5. wie der hl. Paulus unser Fleisch züchtigen und in Dienstbarkeit halten.
  6. uns bei der täglichen Gewissenserforschung am Abend Rechenschaft geben, wie wir mit den Anregungen der helfenden Gnade mitgewirkt haben; für Erfolge danken, Rückfälle bereuen und den Vorsatz erneuern.

Schließlich dürfen wir es auf keinen Fall unterlassen, regelmäßig, andächtig, ergeben, vertrauend und beharrlich zu beten. Insbesondere müssen wir dabei Gott um Sein Erbarmen anflehen. Denn wir bedürfen nichts dringlicher als jener Gnade und Barmherzigkeit von der Gott sprach: „Ich werde Gnade erweisen, wem Ich gnädig bin, und werde Barmherzigkeit dem erzeigen, dessen Ich Mich erbarme.“ Amen.

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