„Sie beobachteten Ihn“

Geliebte Gottes!

Wir treffen unseren Herrn Jesus Christus heute dabei an, wie Er in das Haus eines angesehenen Pharisäers zum Sabbatmahl eintrat. Der Gastgeber und alle anderen geladenen Pharisäer konzentrierten ihre ganze Aufmerksamkeit auf unsren Herrn; heißt es doch von ihnen: „Sie gaben genau acht auf Ihn.“ Alle Augen waren auf Christus gerichtet. Ihre Ohren lauschten auf jedes Seiner Worte. All ihre Sinne waren fixiert auf Jesus, um Sein äußeres Benehmen – all Sein Tun und Lassen – genau zu beobachten.

Nun wäre es an sich ja eine löbliche Sache, auf Christus zu schauen und auf jedes Wort Seiner Lehre genau hinzuhören, um sich von Seinem Vorbild und von Seiner unerschöpflichen Weisheit erbauen und ganz durchdringen zu lassen. Das entspräche genau der Absicht des Schöpfers, der dem Menschen diesen Naturtrieb eingeschaffen hat, daß er auf den anderen schaut, um von ihm zu lernen, um so im Guten bestärkt und zum Besseren angeeifert zu werden. Doch verhält es sich mit dieser Neigung, wie mit jeder anderen natürlichen Eigenschaft, die der Schöpfer in uns hineingelegt hat: An sich kann und soll damit sehr viel Gutes bewirkt werden. Doch nicht selten wird die Anlage der Natur zu einer Dienstmagd des Teufels herabgewürdigt und so zu einer Schlinge des Verderbens. – Entscheidend, ob uns der Blick auf den Nächsten zum Heil oder zum Verderben gereicht, ist die Motivation, die uns dazu antreibt. – Ist es ein liebender, behütender oder lernbegieriger Blick auf den Nächsten? Ein wohlwollendes Hinhören? Oder ist es ein argwöhnischer, scheelsüchtiger Blick; ein spitzfindiges Hinhören, ohne Wohlwollen?

Letzteres war ganz offensichtlich bei den Pharisäern der Fall. „Sie beobachteten Ihn“, um irgendeinen Makel an Christus auszumachen, um irgendetwas aus Seinen Worten herauszuhören, was sie in ihren freventlichen Vorurteilen bestätigen, was ihre ablehnende, feindselige Haltung gegen unseren Herrn rechtfertigen könnte; und vor allem, was sich ausschlachten ließe, um auch dem Ansehen Jesu beim Volk zu schaden. Ausdrücklich heißt es in der Parallelstelle beim hl. Markus: „Sie aber gaben acht auf Ihn, ob Er am Sabbat heilen würde, damit sie Ihn anklagen könnten.“ (Mk. 3,2). Das war ihre Motivation. Sie blickten nicht zu Christus auf, sondern schauten aus scheelsüchtigem Herzen verächtlich auf Ihn herab. Sie observierten ihn, wie David im 36. Psalm das Verhalten eines haßerfüllten Feindes beschreibt: „Der Frevler lauert auf (observabit) dem Gerechten, er fletscht die Zähne wider mich. … Der Frevler lauert auf den Frommen, und sucht ihn zu töten.“ (Ps. 36,12.32).

Solch argwöhnische Observierung blieb leider nicht auf die damaligen Pharisäer beschränkt. Der hl. Paulinus sagt: „Es gibt nur wenige, die von diesem Laster ganz frei sind, und du wirst nicht viele finden, die ein so reines Leben führen, daß sie anderen nicht gerne zu nahe treten.“ – Welches ist nun aber die Triebfeder des scheelsüchtigen Beäugens des Nächsten? Die Ursache ist der Neid!

Das Wesen des Neides

Was ist Neid? Neid ist die Traurigkeit der Seele, welche von einem Gut herrührt, das eine andere Person besitzt. – Entweder einer Person ist etwas Gutes widerfahren; sie hat etwas Gutes erreicht, ist glücklich und zufrieden; oder sie hat eine bestimmte gute Eigenschaft, die sie über andere hinausragen läßt; bzw. die sie bei anderen Menschen beliebt oder (hoch)angesehen macht. Dieses Gut des Nächsten verursacht in der vom Neid angegriffenen Seele Traurigkeit. Diese Traurigkeit rührt daher, daß der Mensch denkt, das Gute, welches er an seinem Nächsten wahrnimmt, verringere seine eigene Vorzüglichkeit, stelle ihn in Schatten; und das sei ein Unrecht. Diesen Umstand nimmt er sodann dem Nächsten übel und wird auf diese Weise neidisch.

Die Traurigkeit, die den Neid gebiert, macht die Seele innerlich rastlos und aufgewühlt, bitter und unzufrieden, niedergedrückt und depressiv. Vermeintlich ins Unrecht gesetzt, verspürt sie, in vertrauter Opferrolle, ein unstillbares Verlangen, sich über andere auszulassen, sich zu beklagen und zu beschweren. Selber vermag sie jedoch keine Zurechtweisung, ja nicht einmal den geringsten Vorwurf zu ertragen, sondern reagiert nicht selten heftig und zutiefst verletzt, sollte es jemand wagen, sie zu korrigieren.

Wie der Stolz, so ist auch der Neid überaus fruchtbar. Er ist dazu fähig alle möglichen Sünden hervorzubringen. Deshalb wird er auch zu den „sieben Hauptsünden“ gezählt, aus deren Wurzeln alle denkbaren Sünden hervorsprießen, bzw. auf die sich alle erdenklichen Sünden zurückverfolgen lassen. – Mehr noch! Der Neid in seiner ausgewachsenen Form zersetzt die Grundlagen des religiösen Lebens. Er zerstört nicht nur die Nächstenliebe, sondern auch die Gottesfurcht, die Sorge um eine gute Sterbestunde und den Gedanken an die Rettung der eigenen Seele. Er beraubt die Seele mehr und mehr der Kraft unvoreingenommen zu urteilen und gerecht zu entscheiden. Der hl. Cyprian sagt: „Wenn die Eifersucht unsern Sinn verblendet und das Innere unseres Herzens in ihren Bann zwingt, wird die Furcht Gottes verschmäht, die Lehre Christi mißachtet, wird an den Tag des Gerichtes nicht mehr gedacht.“ (de invid. 6-10). Deshalb stärkt der Neid auch alle anderen schlechten Anlagen im Menschen. Er verdirbt und vergiftet die Seele von innen heraus.

Die Sündhaftigkeit des Neides

Der Neid ist eine Sünde, weil er in der Ablehnung dessen besteht, was von Natur aus gut ist. Unser Wille ist von Natur aus dazu geschaffen, das Gute anzustreben, dem Guten zuzustimmen und das Gute sowohl für sich, als auch für den Nächsten zu wollen und zu wünschen – in der Weise wie Gott es will! Und umgekehrt ist der Wille von Gott dazu geschaffen, alles Falsche, Böse und Schlechte abzuweisen und von sich zu stoßen. – Wenn wir also eine Aversion, eine Abneigung, gegen etwas haben, das an sich gut ist, dann wird dadurch offenbar, daß irgendetwas in unserer Seele in die falsche Richtung läuft. Denn unser Wille soll das Gute wollen; nicht nur das Gute „für mich“, sondern das Gute „an sich“ – also auch das Gute für den Nächsten, selbst wenn uns dieses Gut überstrahlt und in den Schatten stellt. Wenn unser Wille sich angesichts des Gutes eines Mitmenschen betrübt, sich darüber grämt, so liegt ganz offensichtlich eine Unordnung vor.

Mit unserem Willen verhält es sich dabei, wie mit dem Körper, wenn er erkrankt ist. Wenn wir krank sind, geschieht es, daß die Speise, die an sich für unseren Körper gut ist, ihren Geschmack verliert; ja, daß das vorzüglichste Mahl dem kranken Magen zum Abscheu wird. Er begehrt dagegen auf, rebelliert, übergibt sich und speit die Nahrung aus. – Dasselbe geschieht, wenn wir am Neid erkrankt sind. Die guten Eigenschaften anderer Menschen oder irgendeines ihrer Güter – ihr Glück, ihr Erfolg, ihr Ansehen, ihr Besitz – wecken einen krankhaften Abscheu in uns. Der Gedanke wird als unerträglich und bitter empfunden. Der Neid ist eine geistliche Krankheit, die uns jeder echten Freude beraubt. – Schlimmer!

Wenn unseren Freunden gutes widerfährt, oder wenn wir oder andere an ihnen gute Eigenschaften wahrnehmen, sollten wir uns eigentlich der göttlichen Ordnung gemäß „für sie“, besser noch, „mit ihnen“ freuen. Wir dürften nicht traurig sein. Aber das nagende Gefühl des Neides stürzt die rechte Ordnung um. Es verkehrt die zufriedene Stimmung unserer Seele in ihr Gegenteil. Das Gute, das wir an anderen wahrnehmen macht uns unzufrieden, traurig und bitter, bis hin zur Niedergeschlagenheit und Depression.

a) Das Gefühl des Neides

Man könnte nun den Einwand erheben: Wie kann Neid eine Sünde sein, wenn es sich dabei lediglich um ein Gefühl handelt, das in uns aufsteigt, ob wir nun wollen oder nicht. Als Menschen, von den Folgen der Erbsünde gezeichnet, haben wir viele Gefühle, die sich ungebeten regen. Wir haben – anders als die Stammeltern vor dem Sündenfall – über unsere Gefühlsregungen keine vollkommene Kontrolle.

Tagtäglich machen wir diese Erfahrung. Die Gerüche, die aus der Küche in unsere Nase steigen, wecken irgendein Gefühl – ein gutes oder ein schlechtes. Der plötzliche Anblick eines bekannten Gesichtes weckt in uns ein Gefühl – Sympathie oder Antipathie. Melodien und Lieder, die wir hören, wecken ein Gefühl des Wohlgefallens oder des Mißfallens.

Und in der Tat kommt es vor, daß sich in uns Gefühle des Neides regen. Das kommt vor. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht in dem Augenblick, da uns plötzlich bewußt wird, wie gut jemand ist, wie groß seine Überlegenheit ist; wie gut es jemand hat; daß er etwas besitzt, was uns vorenthalten bleibt. Wenn wir an die guten Eigenschaften und Begabungen eines anderen denken, so steigt ganz ungebeten und zunächst auch völlig unbemerkt ein Gefühl in uns auf. Diese und unzählige andere Gelegenheiten können in uns das schlummernde Gefühl des Neides wecken, ohne daß wir etwas daran ändern können. Wenn wir also keine vollkommene Kontrolle über solche Regungen haben, wie können sie dann sündhaft sein? Die Antwort finden wir, wenn wir die Vorgänge in unserer Seele genauer in Augenschein nehmen.

b) Der Aufstieg des Neides von der Versuchung zur Sünde

Wie gesagt, erheben sich die Gefühle in uns oft sehr schnell und unvorhergesehen, ohne vorherige Aufmerksamkeit unseres Verstandes. In diesem frühen Stadium, wenn unsere Gefühle plötzlich aufflackern, hat der Verstand noch keine Möglichkeit gehabt die Situation zu bewerten, ob es sich dabei um eine geordnete oder um eine ungeordnete Gefühlsregung handelt. Folglich kann er auch nicht dafür zur sittlichen Verantwortung gezogen werden. Das muß man ganz klar zugestehen. – Wenn also bei einer Person in dieser frühen Phase, plötzlich und unvorhergesehen Gefühlsregungen des Neides aufflammen, dann kann das unmöglich als Sünde bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um eine ungeordnete Regung der Seele, aber noch nicht um eine Sünde. Es ist eine Versuchung zum Neid. Noch nicht mehr.

Sobald aber der Verstand auf das in der Seele aufsteigende Gefühl des Neides aufmerksam wird, sobald uns dieses Gefühl also bewußt wird, ist unser Wille dazu aufgerufen irgendetwas dagegen zu unternehmen. Er muß einschreiten. – Wenn nun aber der Wille an diesem Punkt nicht eingreift. Wenn er den Neid nun gar nicht oder nur halbherzig bekämpft, wenn er ihn nicht nachdrücklich zurückweist und den ungeordneten Gefühlen aus Nachlässigkeit einfach freien Lauf läßt, sodaß sich die Seele in ihrer Mißgunst, Eifersucht und Bitterkeit suhlt, dann handelt es sich bereits um eine Sünde durch Unterlassung. Denn der Wille hätte die Möglichkeit, ja sogar die Pflicht, einzugreifen, um die innere Ordnung durch die Bekämpfung des Neides wiederherzustellen, aber er hat es unterlassen. Dafür ist er verantwortlich! Das ist der Punkt, wo aus der Versuchung Sünde wird. Denn die Unterlassung des Guten ist sündhaft.

Doch das war erst die unterste Sprosse der Leiter. Wenn der Verstand die Gefühlsregung des Neides wahrnimmt und als etwas Schlechtes erkannt hat, und der Wille es jetzt nicht nur einfach unterläßt das Unrecht des Neides zu bekämpfen, sondern ihm auch noch zustimmt, ihn bejaht, ihn in der Seele weiter aufstachelt und fördert, dann handelt es sich nicht mehr um eine Unterlassungssünde, sondern schon um einen positiv gewollten Akt. Durch die Zustimmung macht sich der Wille die ungeordnete, böse Regung zueigen und wird dadurch selbst ungeordnet und böse, wofür er natürlich selber voll verantwortlich ist. Die Sünde des Neides ist schon als Gedankensünde vollentwickelt da, ohne daß sie sich äußerlich irgendwie zeigen müßte. Je klarer die Einsicht und je nachdrücklicher die Zustimmung, um so schwerer die Sünde. Im Falle des Neides handelt es sich bei klarer Kenntnis und voller Einwilligung sogar um eine Todsünde.

Auf dieser Leiter steigt die Versuchung zum Neid – verursacht durch eine plötzliche Gefühlsregung – Sprosse für Sprosse hinauf zur immer schwerwiegenderen „Sünde des Neides“. Nicht das bloße „Gefühl des Neides“, sondern das Zulassen, das Unterhalten, ja das willentliche Vermehren dieses Gefühls ist Sünde. Bei der „Sünde des Neides“ versagt der Wille, insofern er es unterläßt das „Gefühl des Neides“ zu bekämpfen, oder schlimmer, indem er „das Gefühl des Neides“ sogar willentlich fördert. Noch einmal: Je klarer die Einsicht und je nachdrücklicher die Zustimmung, um so schwerer die Sünde.

Der soeben dargelegte Aufstieg vom ungeordneten Gefühl bis zur Todsünde hat übrigens nicht nur Geltung hinsichtlich des Neides, sondern hinsichtlich aller Sünden die aus unseren ungeordneten Leidenschaften aufsteigen: aus den Regungen des Stolzes, der Unkeuschheit, des Zornes, der Trägheit, der Unmäßigkeit, des Geizes. Sie alle steigen auf derselben Leiter von der sinnlichen Versuchung empor zur Todsünde.

c) Der intellektuelle Neid

Nicht alle Sünden des Neides rühren jedoch von Gefühlen her. Bisweilen können sie rein geistig sein, Erzeugnisse eines boshaften Willens. Das war der Fall beim Neid des Teufels. Der Teufel besitzt ja aufgrund seiner Natur als Engel keinen Leib und folglich auch keine Leidenschaften, keine Gefühle. Die Engel sind reine Geister. Sie verfügen über Verstand und Wille, aber kein Engel besitzt Gefühle.

Die erste Sünde Luzifers bestand im Stolz, aber auf denselben folgte schnell die Sünde des intellektuellen Neides. Wie ein Blitz fuhr er aus dem Himmel herab und „wurde auf die Erde geworfen“. – Er erblickte Adam und Eva im Paradies und er begann sie zu beneiden aufgrund der Tatsache, daß sie im Besitz der Gnade Gottes waren, daß ihnen alle übernatürlichen Gnaden und Gaben beschieden waren, die er für alle Ewigkeit von sich gestoßen hatte. Dieser Neid Satans war rein geistig – ohne jede Gefühlsregung. Sein Neid bestand in dem geistigen Widerstand, in dem Protest seines boshaften Willens gegen das Gut von Adam und Eva. Der Teufel erkannte glasklar, wie kostbar der Gnadenstand ist. Und als er sah, wie die ersten Menschen das Geschenk der heiligmachenden Gnade aus der Hand Gottes empfingen, wie glücklich sie damit waren, da wurde er daran erinnert, was er einst besaß, aber freiwillig von sich gestoßen hatte, zugunsten einer rebellischen Selbstherrlichkeit, für welche er bereitwillig die Qualen der Hölle in Kauf nahm. Die Erkenntnis des Glücks der ersten Menschen machte ihn traurig, versetzte ihn in rasende Wut und glühenden Haß. Von bitterer Eifersucht gequält, machte er sich daran ihnen dieses Glück zu entreißen und versuchte Eva.

Der hl. Thomas von Aquin sagt, daß die Dämonen allein aufgrund des Neides die Menschen zur Sünde verführen wollen. Sie verzehren sich vor Neid und Mißgunst aufgrund der klaren Erkenntnis, daß es da Geschöpfe gibt, welche jene Freundschaft mit Gott genießen, die sie einst selber genossen, aber zurückgewiesen haben. Sie verübeln es Gott, daß er die Menschen zu jenem Stande der Gnade erhoben hat, der einst der ihre war.

Erscheinungsformen des Neides

Der Neid findet sich unter Kindern, die eifersüchtig sind auf ihre Geschwister, auf ihre Freunde oder Kameraden. Er findet sich bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Bei Sportlern, die einander beneiden, weil ein anderer gewandter, stärker oder schneller ist. Bei Schülern und Studenten. Sie sind neidisch aufgrund besserer Noten, besserer Abschlüsse, akademischer Grade, Titel und Ehrungen, die ein anderer erreicht hat. Man findet den Neid bei Erwachsenen. Etwa unter Arbeitskollegen und Bekannten, die einander um ihren Besitz, ihre Familie, eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung beneiden. Bisweilen kann es auch eine Gelegenheit zur Sünde des Neides werden, wenn der Freund einen guten Ehegatten findet und – vielleicht im Gegensatz zu einem selber – jetzt in einer glücklichen Ehe lebt. Kein Stand ist vom Neid ausgenommen! Auch nicht jener Stand, der sich dem Dienste Gottes geweiht hat. Die sog. „invidia clericalis“, also die „Eifersucht der Geistlichkeit“ ist nicht umsonst sprichwörtlich. – Ja, der Neid macht nicht einmal vor aufrichtig frommen Personen halt. Die Tatsache etwa, daß eine Person merkliche Fortschritte in der Tugend und auf dem Wege der Vollkommenheit macht, oder daß sie von Gott besondere Gnadengaben empfangen hat, kann für andere Anlaß zum Neid werden. Die Biographien zahlreicher Heiliger zeugen davon, daß ihr Lebensweg gesäumt war mit zahlreichen Neidern – Mitbrüder, Mitschwestern, Vorgesetzte oder Untergebene. – Die Gebiete und Formen, in denen der Neid auftreten kann, sind so zahlreich, daß wir hier nur einige Beispiele aufzählen konnten.

Vier Sprößlinge des Neides

Wie wir bereits erwähnt haben, beschränkt sich der Neid nur selten auf die beschriebene Traurigkeit über das Gut eines anderen im Innern der Seele. Für gewöhnlich bleibt es nicht dabei. Wie der Funke zur Flamme und die Flamme zur Feuersbrunst wird, so greift auch der Neid in unserem ganzen sittlichen Leben immer weiter um sich. Er bringt zahlreiche andere Sünden hervor. Vor allem vier Sünden wollen wir hervorheben. – Diese vier Sünden kommen zwar nicht zwangsläufig vom Neid. Oft aber wurzeln sie in ihm. Deshalb ist es notwendig, diese vier Sünden zu kennen, und sich eingehender auf deren Motivation hin zu prüfen, wenn sie uns unterlaufen sollten. War diese Sünde vielleicht von Mißgunst und Neid verursacht? Bisweilen kommt es vor, daß diese vier Sünden eine Frucht des Neides sind.

a) Abneigung bis hin zum Haß

Erstens: Die offensichtlichste Wirkung des Neides besteht im Haß, bzw. in dessen Vorstufe, nämlich der Abneigung, der Antipathie, der Aversion gegen eine bestimmte Person. – Das ist beispielsweise der Grund, warum jede wahre Freundschaft automatisch endet, wenn darin Neid aufkommt. Es gehört nämlich zum Wesen der Freundschaft, daß sich der Freund am Gut des Freundes – an dessen Glück, an dessen Gedeihen, an dessen Leistungen und Begabungen – mitfreut, als wäre es das eigene Gut. Der Neider ist jedoch betrübt über das Gute, das dem Freund widerfahren ist. Und eben diese Traurigkeit, dieser Kummer über das Gut des Freundes schlägt oft um, zuerst in Abneigung und schließlich in Haß. – Der Haß besteht wesentlich in dem Wunsch, daß es besser wäre, wenn die gehaßte Person, gar nicht da wäre! Quer durch die ganze Menschheitsgeschichte findet sich der Satz bewahrheitet: Der Neid ist der Zerstörer der Freundschaft.

Denken wir etwa an die Eifersucht Kains gegen seinen Bruder Abel. Erinnern wir uns, wohin ihn der Neid getrieben hat. Zum Brudermord! Kain beneidete Abel und begann ihn zu hassen. Er begann zu befinden, daß es besser wäre, wenn sein Bruder gar nicht da wäre, also sorgte er dafür und erschlug ihn.

Oder denken wir an den Neid, welchen die zehn Söhne Jakobs gegen ihren Bruder Joseph hegten. Ihre Rache gegen den Liebling des Vaters war furchtbar. Sie verkauften ihren jüngsten Bruder, ihr eigen Fleisch und Blut, in die Sklaverei nach Ägypten und brachen mit der Lüge, Joseph sei von einem wilden Tier zerrissen worden, das Herz ihres Vaters Jakob. Das ist die Frucht des Neides.

Ähnlich verhielt es sich bei König Saul. Nachdem der Hirtenjunge David der Not des Königs abgeholfen hatte, indem er den Hünen Goliath bezwang, sodann für Israel auf dem Schlachtfeld ruhmvolle Siege über die Philister errungen und ob seiner heldenhaften Tapferkeit die Liebe des Volkes erobert hatte, da ergrimmte Saul aus Neid gegen David. Der König wollte sich nicht freuen an dem großen Krieger, dem begabten Musiker, dem ansehnlichen Gemahl seiner Tochter und besten Freund seines Erben, der ihn, den König, in den Schatten stellte. Selber bei Gott in Ungnade gefallen, witterte er in David einen Konkurrenten um den Thron. Sein Neid mündete aus in Haß. Saul trachtete David nach dem Leben, indem er mehrmals, von zornigem Haß getrieben, seinen Speer nach dem Wehrlosen schleuderte. Und als David vom Königshofe floh, da zog ihm Saul mit Heeresmacht hinterher, um ihn zu jagen. Allein Gottes Vorsehung bewahrte Davids Leben vor dem Haß des Saul.

All diese anfänglich freundschaftlichen Verhältnisse wurden zerstört durch den Neid.

b) Ehrabschneidung bis zur Verleumdung

Die zweite Art von Sünden, die vom Neid herrühren können, sind die Zungensünden. Der Neider haßt die Tatsache, daß die Person, welche er beneidet, Ansehen genießt und Freunde hat. Freundschaften, Ansehen und Wertschätzung sind hohe Güter, die es dem Menschen erlauben in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft von Menschen, zu wirken. Aber der neidische Mensch kann es nicht ertragen, daß die Person, welche er beneidet und gegen die er Abneigung verspürt, irgendetwas Gutes hat und seine Wirksamkeit entfalten kann. Wie eine schwarze Regenwolke versucht er die Sonne zu verfinstern. Er trachtet danach, dem Beneideten Freundschaft und Wertschätzung bei den Menschen wegzunehmen, indem er durch üble Nachrede, Übertreibung von Fehlern, oder gar durch Verleumdung, dessen Ansehen beschädigt und so dafür sorgt, daß die anderen weniger gut über ihn denken. Der hl. Basilius der Gr. sagt von den Neidern: „Keine Tugendübung findet bei ihnen Lob. … Wie die Geier sich, im Flug hinweg über wonnige, duftige Plätze auf das Übelriechende stürzen; wie die Fliegen am gesunden Teil vorbeilaufen und das Geschwür aufsuchen, so sehen auch die Mißgünstigen über die Schönheit im Leben und die Großtaten [des Nächsten] hinweg und wenden sich dem Erbärmlichen zu. … Raffiniert wissen sie das Lobenswerte schlechtzumachen und zu begeifern und die Tugend durch das angrenzende Laster zu verleumden. So nennen sie den Tapferen verwegen, den Mäßigen gefühllos, den Gerechten grausam, den Klugen verschlagen. Den Großmütigen verleumden sie als Prunksüchtig, den Freigebigen als Verschwender, den Sparsamen als knickrig. Kurz: alle Arten von Tugenden finden bei ihnen die Bezeichnung mit den Namen der entgegengesetzten Laster.“ (serm. de invid. 5). Jedes gerechten Urteils unfähig geworden, versucht der Scheelsüchtige auf diese Weise einen Keil zwischen die Menschen zu treiben, den Ruf und das Ansehen der beneideten Person herabzuwürdigen und zu verdunkeln, um sie zu isolieren, oder wenigstens ihren Einfluß zu mindern.

c) Schadenfreude

Als drittes gebiert der Neid die Schadenfreude. Wir sagten, daß dem Neidischen jede wahre Freude abhanden kommt und so ist es. Eine Freude aber kennt er sehr wohl. Was die beneidete Person nämlich an Mißgeschick oder Unglück trifft, das weckt im Mißgünstigen die Schadenfreude. Wenn er von dessen Verletzung, Krankheit, Mißerfolg, Blamage oder finanziellem Verlust hört, so kommt in ihm Freude auf, bis hin zum Jubel über diese Übel. – Das kann sogar unter gläubigen und frommen Menschen der Fall sein. Wie gesagt, kann es in frommen Kreisen vorkommen, daß eine Person die andere beneidet aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit und Vorbildlichkeit. Wenn nun eben diese Person in eine offensichtliche Sünde fällt, so wird der Scheelsüchtige sich darüber erfreuen. Voll Genugtuung denken sie: „Ich wußte es bei dieser Person ja schon immer, daß sie gar nicht so tugendhaft und heilig ist, wie es den Anschein hatte.“ Dieser Zusammenhang beleuchtet am deutlichsten, wie krank die vom Neid vergiftete Freude ist. Es war gerade jene Freude, nach der die Pharisäer im heutigen Evangelium Ausschau hielten.

d) Sinnlichkeit

Viertens schließlich erzeugt der Neid einen starken Hang zur Sinnlichkeit. – In dem Maß als die beneidete Person Erfolg nach Erfolg feiert und ihr Aufstieg voranschreitet, wird im Herzen des Mißgünstigen, durch den Neid, auch die Unruhe und eine gewisse Form der Ängstlichkeit vermehrt. Der Scheelsüchtige wird – vom Neid zerfressen – zunehmend mürrisch und verliert jede Freundlichkeit. Eindrücklich beschreibt wiederum der hl. Cyprian dessen Innenleben: „Welch nagender Wurm aber ist es für die Seele, welch verzehrende Seuche für die Gedanken, welch fressender Rost für das Herz, auf die Tüchtigkeit oder das Glück des Nächsten eifersüchtig zu sein, das heißt: dessen Verdienste oder die göttlichen Wohltaten an ihm zu hassen; eines anderen Güter zum eigenen Schaden zu kehren, wegen der Erfolge angesehener Männer sich abzuquälen, den Ruhm anderer zu seiner eigenen Pein zu machen, sozusagen Henker auf seine eigene Seele zu hetzen und für seine Gedanken und Sinne Folterknechte herbeizurufen, um sich von ihnen bis aufs Blut mit Martern zu zerfleischen, um sich von ihnen die geheimsten Tiefen seines Herzens mit den Krallen der Mißgunst zerreißen zu lassen!“ (ebd.). Eine solche Trostlosigkeit wird zur Qual. Folglich ist es nur natürlich, daß der Neider in seiner Niedergeschlagenheit nach Erleichterung sucht. Er findet sie bei den Geschöpfen, bei sinnlichen Genüssen. Er vergeudet seine Zeit mit nutzloser, vielleicht sogar schädlicher Unterhaltung; sucht seinen Frust durch übermäßigen Genuß von Speisen herunter zu schlucken, oder sucht Vergnügen und Ablenkung in nicht selten sündhafter, geschlechtlicher Lust. Wenn all diese Mittel keinen Trost mehr spenden, bleibt nur noch die innere Qual im Alkohol- oder Drogenrausch zu betäuben. Wiederum sagt der hl. Cyprian: „Keine Speise kann solchen Menschen schmecken, kein Getränk ihnen munden. Nur Seufzen und Stöhnen und Jammern hört man beständig, und da Mißgünstige ihren Neid niemals ablegen, so wird ihr Herz Tag und Nacht bedrängt und ohne Unterlaß zerfleischt. Die anderen Übel haben doch wenigstens ihre Grenze, und jedes Vergehen, das begangen wird, ist mit seiner Ausführung zu Ende. Die Eifersucht aber hat keine Grenze, sie ist ein ununterbrochen fortdauerndes Übel, eine Sünde ohne Ende, und mit je besserem Erfolg der Beneidete vorwärtskommt, zu desto mächtigerem Brand entzünden sich beim Neidischen die Flammen der Mißgunst.“ (ebd.).

Der Kampf wider die Anfechtungen des Neides

Der hl. Paulus sagt den Mißgünstigen voraus, daß sie das Reich Gottes nicht erben werden (vgl. Gal. 5,21). Ferner befiehlt er uns den Neid auf zweifacher Weise zu bekämpfen. Einmal sagt der Völkerapostel: „Die aber, welche Christus angehören, haben ihr Fleisch gekreuzigt, samt seinen Leidenschaften und Begierden.“ (Gal. 5,24). – Wie kann es helfen, durch die Abtötung den Neid zu bekämpfen? – Der vom Neid ergriffene Mensch, erblickt in demjenigen, den er beneidet, einen Feind. Wer hingegen sein Fleisch kreuzigt, der hat erkannt, daß er selbst sein erbittertster Feind ist, nicht der Nächste. – Ferner sind es gerade die unabgetöteten Leidenschaften und Begierden, welche in uns das ungeordnete Verlangen nach jenen irdischen Gütern wecken, die uns in Konkurrenz zu anderen setzen. Wer die Leidenschaften bezähmt, wer sein überbordendes Verlangen bändigt, der wird auch nicht begehren, was der Nächste hat. Er wird ihm nichts mißgönnen, weil er selbst kein Begehren danach verspürt und mit dem zufrieden ist, was er hat.

Damit der Kampf gegen die Leidenschaften und Begierden erfolgreich sein kann, gibt der hl. Paulus noch eine andere Anweisung: „Wandelt im Geiste, so werdet ihr die Gelüste des Fleisches nicht vollbringen.“ (Gal. 5,16). Wir wandeln im Geiste, wenn wir unseren Glauben betätigen. Bedenken wir mit gläubigem Sinn desöfteren folgendes: Wer ist denn der Geber aller Gaben? Ist es nicht Gott? Ja, es ist Gott! – Und darf Gott nicht einem jeden so zuteilen, wie es Ihm gefällt? So ist es! – Warum also jemanden beneiden, weil ihm dieses oder jenes Gut von Gott zugekommen, dieses oder jenes Glück von Gott beschieden worden ist? Bedenken wir sodann: Wem viel gegeben wird, von dem wird auch viel verlangt werden. Das bedeutet aber auch umgekehrt: Wem weniger zuteil wurde, der wird weniger streng gerichtet werden. Es kann also auch zum Vorteil sein weniger an Besitz und Verantwortung zu haben, als ein anderer.

Ferner müssen wir doch zugestehen, daß Gott besser weiß als wir, warum Er uns manches, was wir uns wünschen, verwehrt. Er weiß nämlich, was wir damit anstellen würden. Er weiß, was dieses oder jenes Gut oder Glück aus uns machen würde. Er weiß, daß wir demselben nicht gewachsen wären. Schließlich weiß Gott auch darum, was Er uns zur Rettung unserer Seele, zur Buße für unsere Sünden, und zu unserer größeren Heiligung an Kreuzen und Entbehrungen zumuten kann. Aber eben dieses Mehr an Kreuz und Zurücksetzung in diesem Leben, wird von Ihm auch mit einer größeren Herrlichkeit und Erhebung vergolten werden in der Ewigkeit.

Aus all diesen Erwägungen folgen drei Dinge:

  1. Daß wir dem Nächsten alles Gute von Herzen gönnen müssen. Das muß unsere Antwort auf die in uns aufsteigenden Gefühle des Neides sein: „Ich gönne es von Herzen, denn Gott hat es gegeben!“ Alles Gute kommt aus Gottes Hand. Der Neid wäre ja ein Vorwurf, der sich nicht nur gegen den Nächsten, sondern auch gegen Gott selber richtet, als habe Er Unrecht getan.
  2. Wir sollen für den Nächsten, angesichts des Guten, das er von Gott empfangen hat, und in dem er uns übertrifft, beten, daß er eben diese Gabe auch wirklich zur höheren Ehre Gottes und zum Heil seiner eigenen Seele zu nutzen verstehe; daß sie ihm auch im Gericht – dem Willen Gottes gemäß – zur Auszeichnung und nicht zum Anlaß der Verwerfung werde.
  3. Schließlich müssen wir uns unbedingt davor hüten, den Nächsten so zu beobachten, wie es die Pharisäer im heutigen Evangelium mit Christus getan haben. Hüten wir uns davor ablehnende, mißgünstige, spitzfindige, geringschätzige Gefühle gegenüber jemanden aufkommen zu lassen und ihn scheel zu beäugen, als seien wir dazu befugt und befähigt den Fall des Nächsten vor unseren Richterstuhl zu ziehen und zu bewerten.

Noch einmal: Gott teilt zu, wem Er will, und was Er will, und wieviel Er will, und wozu Er will. Gott macht keine Fehler! Beherzigen wir den Zuruf des hl. Basilius: „Fliehen wir dieses unausstehliche Laster! Es ist eine Lehre der Schlange, eine Ausgeburt der Dämonen, eine Saat des Feindes, ein Unterpfand der Strafe, ein Hindernis der Gottseligkeit, ein Weg zur Hölle, eine Beraubung des Himmelreiches.“ (ebd.).

„Die Liebe neidet nicht.“

Empfehlen wir uns schließlich gerade in den Versuchungen zur Mißgunst dem Unbefleckten Herzen Mariens, welchem die Regung des Neides ganz und gar fremd war. Die Liebe dieses makellosen Herzens war stets auf die übernatürlichen Güter, auf die geistigen Güter der himmlischen Welt gerichtet – also auf Gott; auf die Heiligkeit, die Gnade, die Gaben des Heiligen Geistes und die Tugend; auf die Liebe und Kenntnis der göttlichen Geheimnisse – auf geistige Güter also, die im Gegensatz zu den materiellen Gütern dieser Welt nicht nur von einer Person allein, sondern von vielen gleichzeitig, besessen werden können. Ein Haus, ein Amt, einen Ehegatten kann immer nur einer besitzen. Das Gut der übernatürlichen Liebe hingegen jeder. Nicht für die Irdischen, sondern eben für den Besitz dieser ewigen Güter sind wir geschaffen. Was soll also auf der Welt unseren Neid erregen? Alle sind wir Kinder eines Vaters und sollen uns als Brüder lieben. Von der Liebe aber sagt der Völkerapostel: „Die Liebe neidet nicht.“ (1. Kor. 13,4). Amen.

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