„Das Liebeswerk der Zurechtweisung“

Geliebte Gottes!

Nachdem wir uns am vergangenen Sonntag einen Überblick verschafft haben, wie wir dem Nächsten in den Werken der leiblichen und geistlichen Barmherzigkeit unsere Liebe zeigen können, wollen wir uns heute daran machen ein bestimmtes Werk der geistlichen Barmherzigkeit eingehender zu betrachten, das aufgrund seiner Schwierigkeit von vielen vernachlässigt wird, bzw. wenn es denn geübt wird, oft fruchtlos bleibt. Gemeint ist das dritte Werk der geistlichen Barmherzigkeit: Sünder zurechtweisen.

Die Zurechtweisung – Begriff und Notwendigkeit

Was versteht man darunter? Die Zurechtweisung ist das Aufmerksam-machen eines anderen auf einen Fehler oder auf eine Sünde. Weil die Sünde dem Sünder in seinem höchsten Gut – nämlich dem Heil seiner Seele – den größten Schaden zufügt, ist es auch eines der größten Beweise der Nächstenliebe, das Werk der Zurechtweisung zu üben. Der hl. Thomas von Aquin sagt: „Von jemandem ein Übel wegnehmen ist dasselbe, wie ihm ein Gut zuwenden. Das Wohl des Nächsten fördern gehört aber zur Tugend der Liebe, durch die wir den Freunden Gutes wollen und tun. Daher ist auch die brüderliche Zurechtweisung ein Akt der Liebe, weil wir durch sie das Übel des Bruders austreiben, nämlich die Sünde“ (S.th. II-II q. 33, a. 1).

Auch die Notwendigkeit der Zurechtweisung läßt sich leicht begreifen. Es wäre grausam einen Blinden, der am Rande eines Abgrundes steht, nicht zurück zu reißen. Der Sünder steht im Begriff sich durch sein Tun ewig in den Schlund der Hölle zu stürzen. Der hl. Johannes Chrysostomus sagt: „Weise den Mitbruder zurecht, nimm seine Feindschaft auf dich aus Liebe zu Christus, aus Liebe zu ihm selbst. Hindere ihn daran, sich in den Abgrund zu stürzen. … Wir wollen den Freunden solche Geschenke machen, daß wir ihre Seele vor dem Zorne Gottes retten. Sehen wir sie im Feuerofen des Lasters liegen, so wollen wir sie daraus emporheben“ (Hom. in Eph. 18, 6). Es ist unsere Verantwortung für unsere Brüder in Christus, die uns zwingt, Zurechtweisung zu üben. Wer es vernachlässigt, den anderen zurechtzuweisen, der hat Anteil an seiner Sünde.

Brüderliche & väterliche Zurechtweisung

Man unterscheidet nun die „brüderliche Zurechtweisung“ von der „väterlich-autoritativen Zurechtweisung“. Die brüderliche Zurechtweisung entspringt der Liebespflicht, weshalb alle Menschen dazu aufgerufen sind. Die brüderliche Zurechtweisung erstreckt sich in die Horizontale, d.h. sie wird geübt unter Gleichgestellten.

Die väterliche, autoritative Zurechtweisung hingegen entspringt der Gerechtigkeitspflicht, und ist deshalb eine Angelegenheit der Vorgesetzten, die auch über die Strafgewalt gegenüber ihren Untergebenen verfügen. Sie erstreckt sich vertikal, von oben nach unten.

Die Heilige Schrift weist an vielen Stellen auf die brüderliche und auf die autoritative Zurechtweisung hin. Von der brüderlichen Zurechtweisung heißt es im Alten Bunde: „Du sollst deinen Bruder nicht in deinem Herzen hassen, sondern ihn offen zurechtweisen, damit du keine Sünde auf dich ladest“ (Lev. 3,17). Wir sehen, die Pflicht zur Zurechtweisung kann so ernst sein, daß man schuldig wird, wenn man sie unterläßt. Zurechtweisung kann Pflicht sein! Auch im Evangelium ist immer wieder von der Zurechtweisung die Rede. Christus sagt: „Wenn aber dein Bruder wider dich gesündigt hat, so gehe hin, und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht auf dich hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit jede Sache auf der Aussage zweier oder dreier Zeugen feststehe. Wenn er auch auf diese nicht hört, so sage es der Kirche“, also den Vorgesetzten. „Wenn er aber auf die Kirche nicht hört, so sei er dir wie ein Heide und ein Zöllner“ (Mt. 18, 15-17).

Das Evangelium bietet einen ergreifenden Fall einer Zurechtweisung. Am Kreuze hingen neben dem Heiland zwei Verbrecher. Der zur Linken Christi gekreuzigt war, lästerte den Herrn mit den Worten: „‘Bist Du nicht der Christus? So hilf Dir selbst und uns!‘ Der andere aber nahm das Wort, verwies es ihm und sagte: Fürchtest auch du Gott nicht, da du doch die gleiche Strafe erleidest. Wir freilich mit Recht. Denn wir empfangen, was unsere Taten verdient haben. Dieser aber hat nichts Böses getan“ (Lk. 23, 39-41). Das war eine Zurechtweisung im Angesicht des Todes.

Auch von der väterlichen Zurechtweisung berichtet uns die Heilige Schrift. Das Alte Testament erzählt von den frevlerischen Priestern Ophni und Pinchas (vgl. 1. Sam. 2, 12 ff.). Sie waren Söhne des Hohepriesters Heli von Schilo und durch und durch ruchlose Menschen. Sie sorgten sich nicht um Gott, sondern nutzten ihre Stellung als Priester dazu aus, um sich aus dem für das Opfer bestimmten Fleisch die besten Happen für ihren eigenen Tisch zu beschaffen. Ihre Verachtung gegenüber dem göttlichen Kult erregte Ärgernis bei den Gläubigen. Aber Heli, der sowohl als Hohepriester und als ihr Vater auf doppelte Weise in der Pflicht gestanden wäre eine autoritative Zurechtweisung zu erteilen, war zu nachsichtig, wofür ihn Gott tadelte und schwer bestrafte. Er ließ ihm durch einen Gottesmann sagen: „Warum achtest du deine Söhne mehr als Mich, so daß ihr euch mästet von den besten Teilen aller Gaben meines Volkes Israel?“ (1. Sam. 3, 29). Und der Herr kündigte ihm als Strafe die Verwerfung seines Hauses vom Hohepriesteramt und den baldigen Tod seiner beiden Söhne an. Heli wurde somit zu einem Beispiel für die vernachlässigte autoritative Zurechtweisung.

Auch beim heiligen Paulus findet sich die väterlich-autoritative Zurechtweisung, indem er seinen Schüler Timotheus, der ja Bischof in Ephesus war, befahl: „Weise die Sünder zurecht im Angesichte aller, damit auch die übrigen sich fürchten“ (1. Tim. 5, 20). „Künde das Wort, steh dafür ein, sei es gelegen oder ungelegen. Rüge, mahne, weise zurecht in aller Geduld und Lehrweisheit“ (2. Tim. 4, 2).

Pflicht und Empfehlung zur Zurechtweisung

Außerdem unterscheidet man die „Pflicht“ zur Zurechtweisung von der bloßen „Empfehlung“ der Zurechtweisung. Die Pflicht ist selbstverständlich strenger als die bloße Empfehlung.

Im Allgemeinen besteht die Pflicht zur Zurechtweisung nur bei Sünden. Aber nicht nur bei schweren Sünden. Auch läßliche Sünden können sich auswachsen und zu Todsünden werden. Deswegen sind wir, jedenfalls unter bestimmten Umständen, auch angehalten, bei läßlichen Sünden Zurechtweisung zu üben. Wie, das werden wir noch sehen. Aber die Zurechtweisung kann eine Pflicht sein, nicht nur bei schweren, sondern auch bei läßlichen Sünden.

Als Empfehlung geht die Zurechtweisung viel weiter. Sie ist eine notwendige Maßnahme der Erziehung. Wie soll jemand erzogen werden, ohne daß er zurechtgewiesen wird? Also auch wo keine Sünde vorliegt, bedürfen die Menschen der Zurechtweisung. Man denke an die Tischsitten, an die Körperpflege, an die Sauberkeit und Angemessenheit der Kleidung, an die Umgangsformen mit den Menschen, an die Gepflogenheiten der Höflichkeit. Träger der Zurechtweisung ist jeder Mensch ohne Ausnahme. Alle sind wir gehalten, Zurechtweisung zu üben. Allerdings sind einige sehr wichtige Dinge dabei zu beachten!

Die Voraussetzungen zur Zurechtweisung sind die folgenden:

  1. Die Zuständigkeit Wie gesagt: Prinzipiell sind wir alle dazu aufgerufen einander zurechtzuweisen. Jedoch sind wir nicht für alle in gleichem Maß verantwortlich. Es ist eine Reihenfolge der Zuständigkeit einzuhalten. Es gibt Menschen, die uns mehr anvertraut sind als andere: Ehemann und Ehefrau, die Kinder, die uns zur Erziehung befohlenen, die Eltern, die Verwandten, die Freunde, die Glaubensbrüder, die Arbeitskollegen, die Landsleute, die Fremden.
    Das alles sind Menschen, denen wir die Zurechtweisung schulden. Je näher sie uns stehen, um so größer ist die Pflicht, daß wir sie von Sünden abzuhalten suchen, sie auf ihre Fehler aufmerksam machen und sie zum Guten ermahnen. Jeder Mensch ist dazu angehalten.
    Wenn der Fehlende selbst auf seine Fehler aufmerksam wird, oder wenn andere, die ihm näher stehen als wir, diese Aufgabe übernehmen, dann dürfen wir die Zurechtweisung unterlassen. Ja, die Zurechtweisung wird in aller Regel auch leichter angenommen, wenn sie aus dem Munde des Zuständigen kommt, wie der hl. Johannes Chrysostomus sagt: „Anders nimmt man es [die Kritik] auf vom Freunde, anders vom erstbesten. Gegen einen Fernstehenden wird man vielleicht mißtrauisch sein, ja selbst gegen den Lehrer, nicht aber gegen den Freund“ (Hom. in Eph. 18, 6).
    Aber häufig ist niemand da, der die undankbare Aufgabe der Zurechtweisung auf sich nimmt. Man will sich mit niemand anlegen, man möchte friedlich und harmonisch mit allen zusammenleben. Und um das zu erreichen, schweigt man zu Fehlern und Fehltritten des anderen. Deswegen stellt sich für den gewissenhaften katholischen Christen häufig die Pflicht zur Zurechtweisung. Vor allem aber die Vorgesetzten müssen Zurechtweisung üben. Sie müssen von ihrer gottgegebenen Autorität Gebrauch machen und eingreifen, wenn sie unordentliches Verhalten an ihren Untergebenen finden und dem durch ihre Macht entgegensteuern.
    Wie wir am Beispiel des Heli soeben gesehen haben, ist die Unterlassung der Zurechtweisung die spezifische Versuchung der Vorgesetzten. Warum? – Alle Menschen wollen beliebt sein und alle Menschen wollen Frieden haben. Durch Zurechtweisung wird man nicht beliebt. Man macht sich unbeliebt. Durch Zurechtweisung erwirbt man sich keine Freunde. Die Menschen wollen aber Freunde haben. So liegt die Versuchung nahe, die Zurechtweisung zu unterlassen, zu schweigen und so zu tun als wäre nichts gewesen. Auf diese Weise wird man beliebt und scheint man sich Ruhe zu verschaffen. Aber dagegen erhebt der hl. Benedikt von Nursia in seiner Regel Einspruch, wo er dem Abt einschärft: „Auf keinen Fall darf er darüber hinwegsehen, wenn sich jemand verfehlt; vielmehr schneide er die Sünden schon beim Entstehen mit der Wurzel aus, so gut er kann. Er soll daran denken, daß ihm sonst das Schicksal des Priesters Heli von Schilo droht. … Wer es auf sich nimmt, Menschen zu führen, muß sich bereithalten, Rechenschaft abzulegen. Er sei sich darüber ganz im Klaren: Wie groß auch die Zahl der Brüder sein mag, für die er Verantwortung trägt, am Tag des Gerichtes muß er für sie alle dem Herrn Rechenschaft ablegen, dazu ohne Zweifel auch für sich selbst. Immer in Furcht vor der bevorstehenden Untersuchung des Hirten über die ihm anvertrauten Schafe, sorgt er für seine eigene Rechenschaft, wenn er sich um die anderen kümmert. Wenn er mit seinen Ermahnungen anderen zur Besserung verhilft, wird er selbst von seinen Fehlern geläutert“ (Reg. c. 2).

  2. Tatsächliches Fehlverhalten Eine weitere Bedingung zur Zurechtweisung besteht darin, daß die Sünde zweifelsfrei feststeht. Es darf kein vernünftiger Zweifel daran bestehen. Man muß die Sünde so kennen, daß man überzeugt ist: Ja, sie liegt tatsächlich vor. Jemanden für ein Fehlverhalten zurechtzuweisen, das er gar nicht beabsichtigt oder getan hat, wäre eine ungerechte Beschuldigung. Es muß also sicher sein.
    Als Privatperson braucht man bei Gleichgestellten nicht nachzuforschen, aber als Autoritätsperson muß man nachforschen, muß man Aufsicht üben, muß man auch Kontrollen vornehmen.

  3. Die Aussicht auf Erfolg Im Allgemeinen braucht man die brüderliche Zurechtweisung nur vorzunehmen, wenn auf einen Erfolg zu hoffen ist. Besitzt die Zurechtweisung Aussicht, angenommen zu werden? Das darf man sich fragen. – Der Freund wird sich vom Freund etwas sagen lassen. Also ist man ihm gegenüber verpflichtet. Beim argwöhnischen Nachbarn, mit dem jede Begegnung in Streit zu enden droht, sieht es anders aus.
    Wenn es ganz aussichtslos ist, daß der Andere unseren Hinweis annimmt, sind wir nicht verpflichtet, die Zurechtweisung vorzunehmen; dennoch dürfen wir sie vornehmen. Es ist weiter eine Empfehlung, die bestehen bleibt. Aber die Pflicht hört nach der Meinung der meisten Moraltheologen auf, wenn kein günstiger Erfolg zu erhoffen ist. Das gilt aber nur für die Zurechtweisung unter Gleichgestellten, also etwa unter Geschwistern, Nachbarn, Klassenkameraden, Arbeitskollegen, Glaubensbrüdern, etc.
    Vorgesetzte müssen die Zurechtweisung auch dann üben, wenn kein Erfolg zu hoffen ist, denn die Zurechtweisung gehört zu den Pflichten des Amtes als Eltern, als Vorgesetzte im Betrieb, in der Kirche, im Staat.
    Wenigstens einmal muß die Zurechtweisung gemacht werden, um den Schuldigen unentschuldbar zu machen. D.h. es muß wenigstens dafür gesorgt werden, daß der Schuldige weiß, daß sein Verhalten sündhaft, falsch oder inakzeptabel ist. Auch wenn er die Zurechtweisung nicht annimmt, so soll er sich wenigstens nicht herausreden können, er hätte es nicht besser gewußt.

  4. Die Zumutbarkeit Schließlich besteht die Pflicht zur brüderlichen Zurechtweisung nur dann, wenn sie zumutbar ist. Sie darf für den Zurechtweisenden nicht eine allzu schwere Last sein, darf ihn nicht zu viel kosten, es dürfen ihm keine schwerwiegenden Konsequenzen aus seinem Liebesdienst erwachsen. Sie verpflichtet ihn nicht zu außerordentlichen Opfern. Aber die Entschuldigung von der Zurechtweisung darf auch nicht zu weit gehen, denn eine gewisse Peinlichkeit und Scheu ist bei jeder Zurechtweisung vorhanden. Der hl. Johannes Chrysostomus sagt: „Aber, so wendet man ein, er läßt sich nicht bessern. – Tu nur du das Deinige, dann bist du vor Gott gerechtfertigt. Vergrabe das Talent nicht: dazu hast du Vernunft, dazu Zunge und Mund, damit du den Nächsten zu bessern suchest. Nur bei den unvernünftigen Tieren kümmert sich keines um das andere, nimmt keines Rücksicht auf die anderen. Du aber, der du Gott ‚Vater‘ und den Nächsten ‚Bruder‘ nennst, du siehst, wie einer unzählig viel Böses tut, und läßt dir an seiner Gunst mehr gelegen sein als an seinem Seelenheil? Handle doch nicht so, ich bitte dich!“ (Hom. in Eph. 18,6). Wenn auch der Einzelne wegen der zu befürchtenden Konsequenzen schweigen darf, so gilt das wiederum nicht von den Vorgesetzten. Vorgesetzte müssen tadeln, mahnen, warnen, auch wenn dies zu ihrem Schaden ausschlägt. Die Machthaber bedrohen ja diejenigen, die sie zurechtweisen. Der hl. Johannes der Täufer büßte die Zurechtweisung, die er dem Herodes Antipas und seiner Konkubine, der Herodias, gab, mit dem Tode. Pater Rupert Mayer wurde dafür, daß er sich öffentlich gegen den Nationalsozialismus stellte, interniert. Auch im Zuge der sog. Corona-„Impfung“ haben wir gesehen, wie Wissenschaftler und Mediziner, die davor warnten und damit nur ihre Pflicht erfüllt haben, als „Schwurbler“ diffamiert und gecancelt wurden. – Doch nicht jeder ist dazu aufgerufen zum eigenen Schaden aufzustehen. Die Zurechtweisung muß zumutbar sein.

Wie sag ich’s meinem Kinde?

Nachdem wir nun wissen, unter welchen Umständen wir gehalten sind dem Nächsten das Liebeswerk der Zurechtweisung zu erweisen, fragt sich natürlich, auf welche Art und Weise wir dabei vorgehen sollen. Wie sag ich’s meinem Kinde fragen sich die Eltern – zurecht! Denn von der Art und Weise wie die Zurechtweisung erfolgt hängt zum größten Teil auch der Erfolg ab. Was ist dabei zu beachten?

  1. Die reine Absicht Zuallererst muß die liebevolle Absicht vorliegen, zur Besserung des Nächsten beizutragen; nicht um sich über den anderen zu erheben; nicht als argwöhnischer Kritikaster, der sich mit der Lupe auf die Suche macht, um etwas zu finden, das er beanstanden könnte; nicht aus Freude einem Fehler entdeckt und einen Grund zum Tadel gefunden zu haben; nicht aus Rache und Vergeltung für eine Zurechtweisung, die wir zuvor vom Nächste erhalten haben. – Es geht darum den Nächsten um Gottes Willen auf eine Gefahr aufmerksam zu machen, die seiner Seele droht. Die Zurechtweisung soll nur den Zweck haben, den Nächsten zu bessern.

  2. Der äußere Rahmen in dem die Zurechtweisung gegeben wird Die Klugheit gebietet es, auf einen geeigneten Moment zu warten, auf den passenden Augenblick, da der Schuldige am ehesten in der Lage sein wird unsere Zurechtweisung anzunehmen. Man wird einem Betrunkenen nicht Zurechtweisung wegen seiner Trunksucht angedeihen lassen, denn sonst wird er wild. Man wird warten, bis er wieder nüchtern ist. Und ähnlich ist es mit anderen. Man muß den geeigneten Zeitpunkt abpassen. Dabei muß auch auf die bei der Zurechtweisung anwesenden Personen geachtet werden. Wie wir gehört haben, lehrt uns das Evangelium ein dreistufiges Verfahren. Die erste Zurechtweisung soll unter vier Augen geschehen. Denn im Beisein anderer, sind die Menschen noch empfindlicher als sie sowieso schon sind und lassen sich noch weniger sagen, als unter vier Augen. Der hl. Ambrosius sagt: „Ist man wirklich gezwungen, wenn man am Freund einen Fehler gewahrt, hierüber zu sprechen, so übe man die Zurechtweisung geheim. Will er nicht hören, so weise man ihn offen zurecht. Denn Zurechtweisungen sind gut und manchmal besser als stumme Freundschaft“ (De offic. 3, 125-135).
    Schon vor jeder persönlichen Zurechtweisung zur vorgesetzten Stelle gehen, dürfen wir nur, wenn wir überzeugt sind, daß dies unbedingt notwendig ist, um das gefährdete Gemeinwohl zu schützen; etwa um einem Verbrecher das Handwerk zu legen. Handelt es sich aber um Sünden, die verborgen und nicht gegen das Gemeinwohl gerichtet sind, so muß die Ermahnung erst im geheimen geschehen. Die rechte Ordnung beginnt also damit, daß man einander unter vier Augen zurechtweist.
    Wenn das nicht fruchtet, dann mit einem oder mit zwei Zeugen. Wenn aber auch die offene Zurechtweisung vor anderen nichts hilft, dann soll man sich an die Obrigkeit, an die Vorgesetzten wenden und ihnen den Fall unterbreiten.

  3. Die richtigen Worte Die Kunst der Zurechtweisung besteht jedoch vor allem darin, die richtigen Worte zu finden. Gerade hier werden vielleicht die meisten Fehler gemacht. Die Menschen sind alle empfindlich. Alle! Sie lassen sich nicht gern auf ihre Fehler aufmerksam machen. Deswegen muß man schonend vorgehen. Man muß möglichst sanftmütig zu ihnen sprechen. Es empfiehlt sich, zuerst etwas Lobenswertes zu sagen, dann die Zurechtweisung anzufügen und zum Schluß noch einmal eine Ermunterung zu geben. Wenn man es mit harten, scharfen Worten tut, dann nimmt der andere es nicht an. – Es verhält sich dabei wie mit dem Regen. Der Regen muß sanft kommen, langsam. Wenn er plötzlich kommt, also als Platzregen, dann befruchtet er die Erde nicht, dann fließt das Wasser rasch ab, es schwemmt die fruchtbare Bodenkrume hinweg, und der Schaden ist größer als der Nutzen.
    Hören wir dazu auch die Weisungen der Heiligen. Die „Ermahnung der hl. Theresa von Avila an ihre Nonnen“ legen dabei den Grundstein. Sie lautet: „Bist du über andere gesetzt, so weise niemand im Zorne zurecht, sondern erst, wenn der Zorn vorüber ist“ (Nr. 59). Wer aus Zorn zurechtweist, der weckt eher Rache als Reue! Auch die bittersten Wahrheiten können im Ton der Liebe gesagt werden. Ferner ermahnt die hl. Theresa: „Weise niemanden zurecht ohne Bescheidenheit, Demut und eigene Betretenheit“ (Nr. 8), d.h. nicht ohne dem Bewußtsein um die eigene Schwäche. Das letzte ist vielleicht das wichtigste, wie auch aus den Worten des hl. Basilius hervorgeht: „Sei nicht hart im Tadeln, sei nicht rasch und leidenschaftlich im Zurechtweisen: das verrät Anmaßung! Verdamme auch nicht wegen Kleinigkeiten, wie wenn du die Gerechtigkeit selbst wärest! Nimm dich der Fehlenden an und weise sie geistig zurecht, wie der Apostel uns mahnt: ‚Achte auf dich selbst, damit nicht auch du versucht werdest!‘ (Gal. 6,1)“ (Serm. de humil. 7). Man muß die Zurechtweisung geben, ohne dabei im Herzen auch nur den Schatten einer Leidenschaft zu haben.
    Und auch der hl. Benedikt mahnt den Abt mit der Strenge maßzuhalten: „Er hasse die Fehler, er liebe die Brüder. Muß er aber zurechtweisen, handle er klug und gehe nicht zu weit; sonst könnte das Gefäß zerbrechen, wenn er den Rost allzu heftig auskratzen will. Stets rechne er mit seiner eigenen Gebrechlichkeit. Er denke daran, daß man das geknickte Rohr nicht zerbrechen darf. Damit wollen wir nicht sagen, er dürfe Fehler wuchern lassen, vielmehr schneide er sie klug und liebevoll weg, wie es seiner Absicht nach jedem weiterhilft“ (Reg. c. 64).
    Der hl. Johannes Chrysostomus liefert uns einen sehr anschaulichen Hinweis, wie wir uns, gleich einem Arzte seinen Patienten gegenüber, einerseits sanft aber nicht minder zielstrebig bei der Zurechtweisung verhalten sollen. Auch er weist zunächst darauf hin: „Wer einen Verweis gibt, erlaube sich nicht einen spöttischen verletzenden Ton. Er tue es auch nicht öffentlich sondern unter vier Augen mit schonender Milde.“ Dann fährt er fort: „Wer zurechtweist, muß mit großer Freundlichkeit vorgehen, um so der schneidenden Rede gute Aufnahme zu bereiten. Seht ihr nicht, mit welch freundlichem Benehmen die Ärzte, wenn sie brennen und schneiden, ihre Kur vornehmen? Noch viel mehr müssen die Zurechtweisenden so handeln; denn die Zurechtweisung schmerzt empfindlicher als Feuer und Eisen und macht aufgeregt. Darum bieten die Ärzte alle Sorgfalt auf, um mit zarter Behutsamkeit und Schonung zu schneiden. Sie halten mitunter etwas ein, um dem Behandelten etwas Erholung zu gönnen. So sollen auch die Ermahnungen geschehen, damit die Betroffenen nicht gereizt zurückweichen“ (Hom. in Heb. 30, 2). Ja, selbst wenn unsere Mahnungen auf heftige Widerrede stoßen, sollen wir uns nicht entmutigen lassen, sondern in aller Güte fortfahren: „Wenn wir selber dabei geschmäht und empfindlich getroffen werden, wollen wir uns nicht dagegen wehren. Auch jene, an denen geschnitten wird, schelten sehr gegen die [Ärzte], welche das Messer ansetzen; doch diese achten nicht darauf, sondern haben nur die Genesung der Kranken im Auge. Auch hier soll alles so geschehen, daß die Zurechtweisung Nutzen bringt“ (ebd.).
    Wir müssen versuchen dem Nächsten unsere Kritik so hinzuhalten wie einen Mantel, so daß er leicht hineinschlüpfen kann. Der herbste Tadel läßt sich ertragen, wenn man fühlt, daß derjenige, der tadelt, lieber loben möchte; wenn man fühlt, daß der Zurechtweisende selber darunter leidet. So erinnerte sich ein ehemaliger Seminarist des hl. Pius X., als dieser noch nicht Papst sondern Bischof von Mantua war, an folgendes: „Er hatte uns gern, aber er ersparte uns nichts. … Wer einen Fehler begangen hatte, mußte zittern; denn da er uns so lieb hatte, wollte er, daß wir gut seien. Wer brav war und fleißig studierte, war gut daran; doch wenn sich jemand einbildete, mehr zu sein als die andern, weil er vielleicht ein bißchen mehr wußte, dann war er [Bischof Sarto] unerbittlich. … Doch eines Tages brach der Sturm los. Leichtsinnig, wie alle jungen Leute es sind, hatten wir eine schwere Widersetzlichkeit begangen. Tags darauf kam der Bischof in die Schule, ernst, mit blitzenden Augen. Der Sturm war nahe. Er legte die Faust auf den Tisch und sprach ganz langsam und nachdrücklich ein Wort, das uns fast zermalmte. Die Sache war ernst und wir zitterten, denn wir wußten nicht, wie sie ausgehen würde. Plötzlich hob er die Arme und den Blick: zwei große Tränen rannen über seine Wangen. Diese Tränen werden wir nie vergessen, waren sie doch das deutlichste Anzeichen für seine große Liebe zu uns. Er hatte uns so lieb, wie nur ein Vater liebhaben kann.“
    Damit unser Mund und das Herz des anderen von Gott, durch Gottes Gnade bereitet werden, empfiehlt es sich, vor der Zurechtweisung zu beten, den Himmel zu bestürmen, daß wir den rechten Ton treffen, und auch den Schutzengel des Bruders anzurufen, damit dieser sein Herz aufschließe und unser Wort darin Eingang finde.

Zurechtweisung dankbar annehmen

Schließlich muß derjenige, welcher der heiklen Pflicht nachgeht, in Liebe zurechtzuweisen auch auf sich selbst schauen. Nur dessen Kritik wird gern angenommen, der auch selbst kritikfähig ist; der um seine eigene Schwachheit weiß und selber Zurechtweisung gerne annimmt. Auch hierauf weisen die hl. Väter hin. Der hl. Johannes Chrysostomus sagt: „Bitte ihn [den Freund], wenn er an dir einen Fehler bemerkt, auch dir zu helfen und dich zu bessern. Er wird sich selbst zurechtweisen, wenn er sieht, daß auch du einer Mahnung bedarfst und nicht den Vollkommenen oder den Lehrer spielst, sondern als Freund und Bruder hilfst. Sprich zu ihm: ‚Ich war dir zum Vorteil, indem ich dich an das mahnte, was dir frommt. Nimmst du nun an mir eine Untugend wahr, so setze dich dagegen zur Wehr und sei mir zur Besserung behilflich.‘ … Wollen wir Freunde sein; wollen wir in Wahrheit einander nützlich sein, so sollen wir uns dazu vereinigen; das führt uns zu einer heilbringenden Freundschaft. … Wer zurechtgewiesen wird, möge sich nicht darüber entrüsten; denn wir sind ja Menschen und haben alle unsere Fehler“ (Hom. in Heb. 30, 2).

Niemandem ist eine Zurechtweisung angenehm. Jedem ist sie peinlich, schmerzlich. Aber es ist notwendig, Zurechtweisungen anzunehmen. Wir brauchen selber die Einsicht, daß Zurechtweisungen notwendig sind. Sie führen uns zur Selbsterkenntnis. Sie geben uns Kraft, uns zu bessern und schützen uns vor Nachlässigkeit, vor dem Sich-gehen-lassen. Wer uns zurechtweist, tut uns etwas Gutes. Denn, wie es im Buch der Sprüche Salomons heißt: „Besser sind die Wunden seitens des Liebenden, als trügerische Küsse des Hassers“ (Spr. 27, 6).

Bereitet die Wege des Herrn!

Wenn wir das Gesagte beherzigen, dann wird es der sogenannte „Festtagsteufel“, der bekanntlich in den letzten Tagen vor Weihnachten und über die Feiertage ordentlich in unseren Familien zündelt und uns zum Zorn, zur Empfindlichkeit und zur Ungeduld aufstacheln will, in diesem Jahr nicht so leicht mit uns haben. Und vielleicht ergibt sich ja auch während der trauten Stunden im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis jener geeignete Augenblick, um in wirklich sanftmütiger Liebe und aufrichtiger Sorge um das Seelenheil des Gegenübers dieses heikle und doch so heilsame Werk der Barmherzigkeit zu üben. Freilich können und dürfen wir nicht versuchen etwas über das Knie zu brechen. Ja, davor müssen wir uns sogar hüten! Aber wenn sich tatsächlich die Gelegenheit bieten sollte, dann sollen wir nicht zögern den Mund zu öffnen und in aller Sanftmut zu mahnen.

Heiligen wir uns in dieser vierten Adventwoche für diese Aufgabe durch Gebet und Opfer, damit sich die Gelegenheiten ergeben und dann auch unsere Worte auf offene Herzen stoßen. Der Ruf ergeht ja heute an uns: „Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade Seine Pfade. Jedes Tal soll ausgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen werden! Was krumm ist, soll gerade, was uneben, soll ebener Weg werden! Und alles Fleisch wird schauen Gottes Heil“ (Lk. 3, 4-6). Füllen wir aus, das Tal unserer Gleichgültigkeit für das Heil des Nächsten. Tragen wir ab den Berg der Empfindlichkeit, der Ungeduld und der Selbstgerechtigkeit, welcher uns den Zugang zum Herzen des Gegenübers versperrt. Begradigen wir die Wege unserer Zunge, daß sie freimütig und direkt die Wahrheit sagt. Aber achten wir dabei, daß auch die Unebenheiten, alles rauhe, harte, lieblose an unserem Reden und Verhalten abgeschliffen sei, dann wären wir bereitet als Mitarbeiter des göttlichen Hirten, der kommt um „zu suchen und selig zu machen, was verloren war“ (Lk. 19, 10). So beten wir auch im Glaubensbekenntnis: „Qui propter nos homines et propter nostram salutem, descendit de caelis.“„Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist Er vom Himmel herabgestiegen.“ Das ist der Zweck der Menschwerdung Gottes; dazu hat Er aus dem Schoß der makellosen Jungfrau Maria Fleisch angenommen, um die Sünder zu gewinnen und ihnen das Heil zu vermitteln. „Sünder zurechtweisen“, das ist Mitarbeit am Seelenheil der anderen. Und das ist vielleicht das göttlichste aller göttlichen Werke: Mit Gott mitarbeiten zum Heil der Menschen. Ja, eine Seele der Sünde zu entreißen und für Gott gewinnen, das wäre gewiß ein schönes und verdienstliches Weihnachtsgeschenk für das göttliche Kind in der Krippe. Amen.

Kategorie:

Veröffentlicht: