„Die zweifache Geburt Christi“

Geliebte Gottes!

„Christ der Retter ist da!“ So singt heute die gesamte Christenheit. Gottes Sohn ist Mensch geworden. Er ist gekommen, um uns von den Banden der Sünde und des Todes zu erlösen. Das ist die Frohbotschaft, die uns in der heiligen Weihnacht von den Engeln des Himmels verkündet und von der Kirche in die weite Welt hinausgetragen wurde.

Im Paradies hatte sich der Mensch in die Sünde verstrickt und war dem Tod anheimgefallen. Der Sündenfall nahm seinen Anfang, durch einen Akt des Unglaubens und des Ungehorsams gegen Gott, indem die Stammeltern den Lügen Satans Glauben schenkten und Gottes Gebot mißachteten. Sie fehlten durch Unglauben. Denn sie glaubten nicht, daß sie sterben würden, wie es ihnen Gott angedroht hatte, für den Fall, daß sie von der verbotenen Frucht kosten würden. Und sie saßen dem absurden Irrglauben auf, sie würden durch den Genuß derselben gottgleich werden. Als ob die Kraft einer geschaffenen Frucht dazu imstande wäre den Menschen dem Ewigen und Unerschaffenen gleich zu machen. Auf dem Un- und Irrglauben folgte der Ungehorsam und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Wenn also der Sündenfall in einem Akt des Unglaubens und des Ungehorsams seinen Ausgang nahm, mußte da nicht das Heilmittel genau im Gegenteil von alledem bestehen? So wie der Arzt die Hitze des Leibes durch Kühlung und die Unterkühlung durch Wärme heilt? Genauso steht am Beginn der Erlösung von der Sünde der Akt des Glaubensgehorsams als notwendige Bedingung. Der Mensch muß seinen Unglauben sühnen durch einen Akt des Glaubens. Er muß seine Rebellion wiedergutmachen durch gehorsame Unterwerfung. So lehrte es der hl. Apostel Paulus, in der gestrigen Vigilmesse, daß seine Aufgabe als Apostel darin besteht, „alle Völker dem Glauben gehorsam zu machen“ (Röm. 1, 5).

Der Glaube an die zweifache Geburt Christi

Wir alle suchen Erlösung und Heil. – Von wem? Von unserem Erlöser, Jesus Christus. An Ihn müssen wir glauben. Ihm müssen wir uns unterwerfen. – Was wird uns befohlen von Christus zu glauben? Wir müssen an die zweifache Geburt Christi glauben: Einmal wurde Er geboren, allein aus dem Vater, ohne eine Mutter. Das ist die ewige Geburt des Gottessohnes vor aller Zeit und vor aller Schöpfung. Von dieser Geburt heißt es im weihnachtlichen Festtagsevangelium. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Schon im Anfang war es bei Gott. Durch das Wort ist alles geworden. Und nichts, was geworden ist, ist ohne das Wort geworden“ (Joh. 1, 1 ff.) Mit diesen Worten ist die ewige Geburt des wesensgleichen Gottessohnes aus dem Vater beschrieben, noch vor aller Schöpfung. Denn wenn alles, was erschaffen worden ist, durch das Wort ins Dasein gerufen wurde, dann muß das Wort präexistent, unerschaffen, ewig, also immer schon dagewesen sein. Von der zweiten Geburt heißt es wenige Verse später: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Hier ist die Rede von Seiner zweiten Geburt allein aus der Mutter ohne einen Vater.

Damit wir beides begreifen – Seine ewige Geburt aus dem himmlischen Vater und Seine irdische Geburt aus einer menschlichen Mutter – wollen wir jeweils einige Fragen stellen und auf diese eine Antwort versuchen. Wir wollen uns zuerst mit der ewigen Geburt des Gottessohnes befassen. Die erste Frage lautet:

  1. Wann ist die ewige Geburt geschehen?
    Auf diese Frage kann man nur antworten: Sie ist geschehen, als es noch gar keine Zeit gab, und sie hält an bis zum Ende der Zeit und bis in alle Ewigkeit. Die Geburt des Sohnes aus dem Vater ist ein fortwährender Zustand des göttlichen Sohnes. „Im Anfang“, heißt es im Johannesprolog, „war das Wort bei Gott.“ Das ist der Anfang aller Anfänge. Das ist die zeitlose Ewigkeit. Das ist eine Wirklichkeit, die mit dem Nacheinander und der Aufeinanderfolge von Augenblicken nichts zu tun hat. Dieser Anfang ist vor allem irdischen Anfang. Es ist die zeitlose Ewigkeit, die in dem Psalmwort anklingt: „Mein Sohn bist Du, heute habe Ich Dich gezeugt“ (Ps. 2, 7). Heute! Das ist das ewige Heute Gottes. – „Heute habe Ich Dich gezeugt.“ Sein Dasein vor aller Zeit betonte der Herr besonders vor seinen Gegnern, als Er sprach: „Ehe Abraham ward, bin Ich“ (Joh. 5, 58). Und schon im alttestamentlichen Buch der Sprüche gebraucht die göttliche Weisheit die geheimnisvollen Worte: „Der Herr besaß Mich am Anfang Seiner Wege, von Ewigkeit her bin Ich bei Ihm.“ Von Ewigkeit bin Ich bei Ihm. Da ist die Rede von einer zweiten Person, die von Ewigkeit her bei Gott ist. Das ist der Sohn, der fortwährend aus dem Vater geboren wird.

  2. Wo geschah die ewige Geburt?
    Auch das ist eine Frage, deren Antwort weit über unseren menschlichen Denkkategorien zu finden ist. Denn die ewige Geburt des Sohnes Gottes geschah im Vater, und der Vater ist mit räumlichen Maßstäben, mit Ausdehnungsbegriffen nicht zu fassen. „Das Wort war bei Gott.“ Die ewige Geburt geschieht in der Wirklichkeit Gottes, in der einen Gottheit; und diese ist erhaben über jeden Raum und über jede Ausdehnung.

  3. Von wem geschah die ewige Geburt?
    Sie geschah aus dem Vater. Der Vater war der Ursprung der ewigen Geburt. Er ist der ursprungslose Ursprung des Sohnes. Er selbst ist ursprungslos, aber der Sohn hat Seinen Ursprung im Vater. Das ist der einzige Unterschied zwischen der Person des Vaters und der Person des Sohnes, die ansonsten beide gleich ewig sind; gleich allwissende, gleich allmächtig, gleich allweise, etc. – Christus sagt: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh. 10,3 0). Sie besitzen gemeinsam ein und dasselbe göttliche Wesen. Lediglich in einem unterscheiden sich die beiden Personen. Der Vater ist ursprungslos, nicht so der Sohn. Der Sohn ist aus dem Vater geboren. Im Glaubensbekenntnis sprechen wir diese Wahrheit mit den Worten aus: „Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott.“

  4. Wie geschah die ewige Geburt?
    Das ist eine wichtige Frage! Sie geschah durch Zeugung. Dabei dürfen wir uns den Begriff „Zeugung“ wiederum nicht nach irdischen Vorstellungen ausmalen. Die Geburt des Sohnes aus dem Vater ereignet sich nicht durch einen physischen Zeugungsakt. Es ist eine keusche, geistige Zeugung. Das Wort „Zeugung“ ist von den Vätern des Konzils von Nicäa gegen die Irrlehre des Arius gewählt worden, im Gegensatz zum Schaffen. „Gezeugt, nicht geschaffen“, so bekennen wir im Credo. Der Gottessohn, das ewige Wort, kann ja unmöglich geschaffen sein, wie der hl. Augustinus nachweist: „Es trete nun irgendein ungläubiger Arianer auf und behaupte, das Wort Gottes sei geschaffen. Wie ist es möglich, daß das Wort Gottes geschaffen ist, wenn Gott durch das Wort alles geschaffen hat? Wenn das Wort Gottes selbst geschaffen ist, durch welches andere Wort ist es dann geschaffen worden? Wenn du nun sagst, es sei ein Wort des Wortes, durch das jenes Wort geschaffen ist, so nenne ich dieses Wort den eingeborenen Sohn Gottes. Wenn du aber nicht von einem Wort des Wortes sprichst, dann gib zu, daß das nicht geschaffen sein kann, durch das alles geschaffen ist. Aber auch aus sich selbst konnte das nicht werden, durch das alles gemacht worden ist“ (Tract. 1 in Joan.). Denn jedes Wort – so auch das göttliche – ist in seiner Existenz stets abhängig von demjenigen, der es spricht. Das Wort muß erzeugt werden im Geist des Sprechenden. Es besteht aus derselben geistigen Substanz wie der Geist, der es bildet. So spricht der Vater im Psalm: „Ich habe Dich aus Meinem Schoß [d.h. aus Mir selbst] gezeugt noch vor dem Morgenstern“ (Ps. 109, 3). Weil also bei der Erzeugung einer Idee der Geist seine eigene geistige Substanz an die geistige Idee weitergibt, so spricht man von einer Zeugung. Wenn etwa der Geist die Ideen „Liebe“, „Schönheit“ oder „Sehnsucht“ erzeugt, so sind diese Idee zwar jeweils verschieden vom zeugenden Geiste, kommen jedoch mit ihm in ihrem geistigen Wesen überein. Die gezeugten Ideen bleiben sodann auch im Geiste. Sie lösen sich nicht los; sie nabeln sich nicht ab, wie das Kind von der Mutter beim Vorgang der Geburt. Die Idee ist verschieden vom Geist aber niemals losgelöst. Jedes geistige Wort bleibt im Innern des Geistes und wird von ihm im Dasein gehalten.

Das göttliche Wort aber empfängt vom Vater die Macht, die nur Gott besitzt, aus sich selbst existieren zu können. Das drückt der Heiland aus, wenn Er sagt: „Denn wie der Vater das Leben in sich selber hat, so hat Er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich selber zu haben“ (Joh. 5, 26). Weil der Sohn also die geistige Substanz der Gottheit aus dem Vater empfängt, deshalb ist er gezeugt aus dem Vater. Mit der Bezeichnung „Zeugung“ soll ausgedrückt werden, daß eine wesensgleiche Person aus dem Vater hervorgegangen ist, nicht etwas, was nur ein Geschöpf ist. Die Zeugung besagt den Hervorgang des wesensgleichen Sohnes aus dem Vater. Nicht ein Geschöpf, wie die Arianer behaupteten und auch kein zweiter Gott, wie es die Tritheisten wollten; nein, eine göttliche Person von derselben Würde, von derselben Majestät und von derselben Anbetungswürdigkeit wie der Vater. Die ewige Geburt steht freilich nicht im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes. Sie ist jedoch sein Ausgangspunkt. Weil es einen ewigen, wesensgleichen Gottessohn gibt, deswegen konnte Er auf Erden erscheinen. Wir müssen uns an Weihnachten vordringlich der irdischen Geburt zuwenden. Und auch hier wollen wir mit fünf Fragen versuchen, in das Geheimnis dieses Geschehens einzudringen.

  1. Wann wurde Er geboren?
    In der Fülle der Zeit. Als die Zeit, die Gott in Seiner Vorsehung bemessen hatte, abgelaufen war. Als die Zeit voll war, da ist der Sohn Gottes Mensch geworden und geboren worden in der Zeit. Um aber keinen Zweifel daran zu lassen, daß diese irdische Geburt, ein geschichtlicher Vorgang ist, deswegen verknüpften die hll. Evangelisten dieselbe in ihrer Berichterstattung mit historischen Tatsachen. Christus wurde geboren unter der Regierung es Kaisers Augustus. Dabei handelt es sich um eine große Persönlichkeit der Weltgeschichte, deren Existenz nicht in Zweifel gezogen werden kann. Von Augustus wissen wir sehr viel. Wir kennen seinen Großonkel Gaius Julius Cäsar, der ihn adoptiert hatte. Wir wissen, daß er von 31 v.Chr. bis 14 n.Chr. regiert hat. Wir kennen seine Lebensbeschreibungen. Augustus stellt also eine historische Persönlichkeit dar. Und eben in dieser Zeit wurde der Gottessohn geboren.

  2. Wo ist Er geboren worden?
    Er wurde geboren in Bethlehem. Nun gibt es aber in Palästina zwei Städte mit Namen Bethlehem, so wie es etwa in Deutschland zwei Orte mit dem Namen Frankfurt gibt. Und deswegen präzisierten die Schriftgelehrten auf Anfrage des Herodes und der drei Weisen aus dem Morgenland: „Zu Bethlehem im Stamme Juda“ (Mt. 2, 5). Also nicht in Bethlehem im Stamme Zabulon, ganz im Norden, sondern in Bethlehem im Stamme Juda, acht Kilometer südlich von Jerusalem.
    Es wird genau angegeben, wo die Geburtsstätte Jesu ist. Und selbstverständlich haben die Christen sie von Anfang an heilig gehalten. Der hl. Justinus, der aus Palästina stammte und um das Jahr 155 das Martyrium für Christus litt, gibt uns von der Verehrung der Geburtsgrotte Kunde. Und nicht nur er, auch der heidnische, dem Christentum feindlich gesonnene Kaiser Hadrian, der in den Jahren 117 bis 138 regierte, hat dafür gesorgt, daß die Geburtsstätte des Gottessohnes nicht vergessen wurde. Hadrian wollte zwar das Gedächtnis an Jesu Geburt austilgen, und errichtete zu diesem Zweck über der Geburtsgrotte ein Heiligtum des heidnischen Götzen Adonis. Aber gerade damit hat er – o wunderbares Spiel der Vorsehung – dafür gesorgt, daß die Geburtsstätte gerade nicht vergessen werden konnte und weiterhin eindeutig lokalisierbar blieb. Nachdem dann das Christentum aus den Katakomben emporstieg, hat Kaiser Konstantin sodann eine Basilika über der Geburtsgrotte errichten lassen, deren Reste noch heute zu bestaunen sind.

  3. Von wem wurde der Gottessohn geboren?
    Natürlich aus der Jungfrau Maria, wie uns das Credo lehrt: „Geboren aus Maria, der Jungfrau.“ Maria hat dem Gottessohn Einlaß in diese Welt gewährt. Auch Maria ist eine geschichtliche Persönlichkeit, die uns von den Evangelien verbürgt ist. Wir kennen ihre Heimat Nazareth, wir wissen von ihren Verwandten, von ihrer Base Elisabeth.
    Maria hat den Sohn Gottes durch ihr eigenes Fleisch und Blut, während neun Monaten, eingekleidet. Damit hat sie denjenigen, welchen die Himmel nicht fassen können, in ihrem keuschen Schoß umschlossen, den Unsichtbaren sichtbar, den Unfaßbaren faßlich, ja anfassbar gemacht. Wie die Sonnenscheibe aufgrund ihres blendenden Lichtes von unseren Augen nur gesehen werden kann, wenn sie von Wolken bedeckt wird, so wurde durch das sanfte Wirken Mariens den überhellen Gott für unsere Augen sichtbar gemacht.
    Aus Maria hat der ewige Sohn Gottes Fleisch angenommen. Und so ist Maria wahre Gottesgebärerin geworden. Seitdem geht ihre prophetische Voraussage in Erfüllung: „Von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter. Denn Großes hat an mir getan, der Allmächtige“ (Lk. 1, 48 f.).

  4. Wie wurde die irdische Geburt des Gottessohnes bewerkstelligt?
    Darüber gab der hl. Erzengel Gabriel Auskunft, indem er zur allerseligsten Jungfrau sprach: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten“ (Lk. 1, 35). Die Empfängnis des Gottessohnes im Schoße Mariens ist ein Wunder der göttlichen Allmacht. Was sonst der männliche Same erzeugt, das hat Gott, jenseits aller geschlechtlichen Vorstellungen, bewirkt.
    Darin besteht eben der Unterschied der Jungfrauengeburt, die wir bekennen, zu den Geburten von Göttersöhnen in den Mythen der Sagenwelt. Dort, in den Göttersagen, nahten sich die Götter in Gestalt eines Stieres oder eines Einhorns einer Jungfrau und führt dann den Zeugungsakt durch. Nein, „die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten, und deswegen wird das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden“ (ebd.). Die Mythen sind ungeschichtliche Märchen. Die wunderbare Empfängnis und Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau Maria ist Geschichte. Wunderbar war nicht nur die Empfängnis, sondern auch die Geburt. Wie das Licht durch die Fensterscheibe dringt, ohne das Glas zu zerbrechen, so trat der Sohn Gottes in die Welt, ohne den Schoß Seiner jungfräulichen Mutter zu verletzen. Daß Maria keine Geburtswehen litt geht aus der Bemerkung des Evangelisten hervor: „Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, und wickelte Ihn in Windeln, und legte Ihn in eine Krippe“ (Lk. 2, 7). Hätte Maria die Geburt solche Schmerzen bereitet, wie es bei jeder Gebärenden der Fall ist, so hätten ihr dazu zweifelsohne die Kräfte gefehlt. Ja, ein unbegreifliches Wunder der Allmacht Gottes hat sich hier zugetragen.

  5. Als was wurde der Gottessohn geboren?
    Als ein Mensch. „Er entäußerte sich, indem Er Knechtsgestalt annahm, den Menschen gleich geworden und im Äußeren als ein Mensch erfunden“ (Phil. 2, 6), so lehrt der hl. Paulus. Im Äußeren erfunden wie ein Mensch. Er hat es nicht für einen Raub an sich gehalten, Seine göttliche Natur zu verbergen, sondern Er hat eine menschliche Natur angenommen, also einen menschlichen Leib und eine menschliche Seele, und wurde im Äußeren erfunden wie ein Mensch, ein voller und ganzer Mensch. – Und auch hier nur mit einer einzigen Ausnahme: Die Person, welche Träger dieser menschlichen Natur ist, ist keine menschliche Person, sondern die zweite göttliche Person des Sohnes. Der ewige Gottessohn hat sich diese geschaffene Menschennatur vollkommen angeeignet. Der Sohn Gottes wohnt nicht nur in Jesus von Nazareth. Der Sohn Gottes ist Jesus von Nazareth. D.h. in Christus gibt es keine menschliche Person, kein menschliches Ich; nur ein göttliches Ich!
    Man hat eingewendet, daß die Menschwerdung Gottes unmöglich sei, weil Gott unveränderlich ist und die Annahme einer menschlichen Natur eine Veränderung bedeuten würde. Der hl. Bonaventura erklärte auf diesen Einwand anschaulich, indem er die Menschwerdung mit einem Kristall vergleicht, der in das gleißende Licht der Sonne gehalten wird. Was passiert? Der Kristall wird ganz von den Sonnenstrahlen durchdrungen. Er beginnt zu leuchten und wird gleichsam selbst zu einer kleinen Sonne. Ist aber dadurch die Sonne verändert worden? Nein. Die Veränderung liegt alleine auf Seiten der Kristallkugel. Genauso verhält es sich bei der Menschwerdung Gottes. Nicht die Gottheit wird verändert, sondern allein die Menschheit, indem sie von der Gottheit ganz durchstrahlt und durchherrscht wird. Beide Naturen Christi – Seine Gottheit und Seine Menschheit – sind vereinigt in der einen Person des Sohnes Gottes. Das griechische Wort für Person lautet „Hypostase“. Und weil Gottheit und Menschheit Christi in Seiner göttlichen Person zu einer Einheit, zu einer Union, verbunden sind, spricht man von dem Geheimnis der „hypostatischen Union“. In dem Krippenkind sind zwei Naturen, die göttliche, die Es nicht verloren hat, und die menschliche, die Es angenommen hat. Christus blieb, was er war Er nahm an, was Er nicht war. Er, der Reiche, ist um unseretwillen arm geworden, damit wir durch Seine Armut reich würden. Als Gott nur konnte Er uns von unserer unendlichen Schuld erlösen, aber als Mensch nur konnte Er die Erlösung durch Sein Leiden bewirken. Also mußte Er als Gott-Mensch auf dieser Erde erscheinen. Das ist also die irdische Geburt unseres Gottes und Heilandes.
    Beide Geburten des Gottessohnes müssen wir unter Androhung der ewigen Verdammnis glauben – die ewige Geburt ohne eine Mutter, allein aus dem Vater, vor aller Zeit; und die zeitliche Geburt allein aus der Mutter, ohne menschlichen Vater, in der Zeit. Jede Seite des Evangeliums bestätigt diesen Glauben, wie der hl. Ephräm der Syrer, in aller Ausführlichkeit darlegt. Er sagt:

Das ganze Leben Jesu gibt Zeugnis von Seiner Gottheit und von Seiner Menschheit

„Seine Werke bezeugen es, und Seine göttlichen Wundertaten belehren die Verständigen, daß Er wahrer Gott ist; und Seine Leiden beweisen, daß Er wahrer Mensch ist. Lassen sich die Geisteskranken [d. h. die Häretiker] nicht überzeugen, so werden sie an Seinem furchtbaren [Gerichts-]Tage dafür büßen müssen.

Wenn Er nicht Fleisch war, wozu wurde dann Maria ins Mittel gezogen? Und wenn Er nicht Gott war, wen nannte dann Gabriel Herr? Wenn Er nicht Fleisch war, wer lag dann in der Krippe? Und wenn Er nicht Gott war, wen priesen dann die herabgestiegenen Engel? Wenn Er nicht Fleisch war, wer wurde dann in Windeln eingewickelt? Und wenn Er nicht Gott war, wen beteten dann die Hirten an? Wenn Er nicht Fleisch war, wen beschnitt dann Joseph? Und wenn Er nicht Gott war, zu wessen Ehre eilte dann der Stern am Himmel dahin? Wenn Er nicht Fleisch war, wen stillte dann Maria? Und wenn Er nicht Gott war, wem brachten dann die Magier Geschenke dar? Wenn Er nicht Fleisch war, wen trug dann Simeon auf den Armen? Und wenn Er nicht Gott war, zu wem sagte dann dieser: Entlaß mich nun in Frieden? Wenn Er nicht Fleisch war, wen nahm dann Joseph und floh nach Ägypten? Und wenn Er nicht Gott war, an wem ging dann das Wort in Erfüllung: „Aus Ägypten berief ich meinen Sohn“? (Os. 11, 1; Mt. 2, 15.)

Wenn Er nicht Fleisch war, wen taufte dann Johannes? Und wenn Er nicht Gott war, zu wem sprach dann der Vater vom Himmel herab: „Dies ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich Mein Wohlgefallen habe!“? Wenn Er nicht Fleisch war, wer fastete und hungerte dann in der Wüste? Und wenn Er nicht Gott war, zu wem stiegen dann die Engel herab, um ihn zu bedienen? Wenn Er nicht Fleisch war, wer wurde dann zur Hochzeit nach Kana in Galiläa eingeladen? Und wenn Er nicht Gott war, wer verwandelte dann das Wasser in Wein? Wenn Er nicht Fleisch war, in wessen Händen lagen dann die Brote? Und wenn Er nicht Gott war, wer sättigte dann in der Wüste mit fünf Broten und zwei Fischen die Scharen, die, ohne die Frauen und die Kinder zu rechnen, Tausende betrugen?

Wenn Er nicht Fleisch war, wer schlief dann im Schiffe? Und wenn Er nicht Gott war, wer schalt dann die Winde und das Meer? Wenn Er nicht Fleisch war, mit wem speiste dann Simon, der Pharisäer? Und wenn Er nicht Gott war, wer verzieh dann die Vergehen der Sünderin? Wenn Er nicht Fleisch war, wer saß dann, von der Reise ermüdet, auf dem Brunnen? Und wenn Er nicht Gott war, wer gab dann der Samariterin lebendiges Wasser und warf ihr vor, fünf Männer gehabt zu haben? Wenn Er nicht Fleisch war, wer trug dann die Kleider eines Menschen? Und wenn Er nicht Gott war, wer wirkte dann die Kräfte und Wunder? Wenn Er nicht Fleisch war, wer spuckte dann auf die Erde und bereitete Lehm? Und wenn Er nicht Gott war, wer zwang dann durch den Lehm die Augen [des Blindgeborenen] zum Sehen? (Joh. 9, 6). Wenn Er nicht Fleisch war, wer weinte dann am Grabmal des Lazarus? Und wenn Er nicht Gott war, wer rief dann den seit vier Tagen Toten gebietend aus demselben heraus?

Wenn Er nicht Fleisch war, wer saß dann auf dem Eselfüllen? Und wenn Er nicht Gott war, wem zogen dann die Scharen mit Lobgesang entgegen? Wenn Er nicht Fleisch war, wessen bemächtigten sich dann die Juden, und wenn Er nicht Gott war, wer gebot dann der Erde und warf sie (die Häscher) dadurch auf ihr Angesicht nieder? Wenn Er nicht Fleisch war, wer wurde dann mit dem Backenstreiche geschlagen? Und wenn Er nicht Gott war, wer heilte dann das von Petrus abgehauene Ohr wieder an seine Stelle an? Wenn Er nicht Fleisch war, wessen Antlitz wurde dann angespien? Und wenn Er nicht Gott war, wer hauchte dann den Aposteln den Hl. Geist ins Angesicht? Wenn Er nicht Fleisch war, wer stand dann im Gerichtshause vor Pilatus? Und wenn Er nicht Gott war, wer erschreckte dann die Gemahlin des Pilatus im Traume? (Mt. 27, 19). Wenn Er nicht Fleisch war, wessen Kleider zogen dann die Soldaten aus und verteilten sie? Und wenn Er nicht Gott war, wie wurde dann die Sonne bei der Kreuzigung verfinstert? Wenn Er nicht Fleisch war, wer hing dann am Kreuze? Und wenn Er nicht Gott war, wer erschütterte dann die Grundfesten der Erde? Wenn Er nicht Fleisch war, wessen Hände und Füße wurden dann mit Nägeln angeheftet? Und wenn Er nicht Gott war, wie zerriß dann der Vorhang des Tempels, spalteten sich die Felsen und öffneten sich die Gräber?

Wenn Er nicht Fleisch war, wer rief dann: Mein Gott mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Und wenn Er nicht Gott war, wer sagte dann: Vater, verzeihe ihnen! Wenn Er nicht Fleisch war, wer hing dann mit den Schächern am Kreuze? Und wenn Er nicht Gott war, wie konnte Er dann zum Schächer sagen: Heute wirst du mit mir in Paradiese sein? Wenn Er nicht Fleisch war, wem reichte man dann Essig und Galle? Und wenn Er nicht Gott war, wessen Stimme hörte dann die Unterwelt und erbebte? Wenn Er nicht Fleisch war, wessen Seite durchbohrte dann die Lanze, so daß Blut und Wasser herauskam? Und wenn Er nicht Gott war, wer zertrümmerte dann die Pforten der Unterwelt und zerbrach die Fesseln, und auf wessen Geheiß kamen dann die eingekerkerten Toten hervor? Wenn Er nicht Fleisch war, wen sahen dann die Apostel im Obergemache? Und wenn Er nicht Gott war, wie kam Er dann bei verschlossenen Türen hinein? Wenn Er nicht Fleisch war, in wessen Händen betastete dann Thomas die Wundmale der Nägel und in wessen Seite das Mal der Lanze? Und wenn Er nicht Gott war, wem rief dann dieser zu: ,Mein Herr und mein Gott!‘? Wenn Er nicht Fleisch war, wer aß dann am See von Tiberias? Und wenn Er nicht Gott war, auf wessen Gebot füllte sich dann das Netz? (Joh. 21). Wenn Er nicht Fleisch war, wen sahen dann die Apostel und die Engel in den Himmel aufgenommen werden? Und wenn Er nicht Gott war, wem öffnete sich dann der Himmel, wen beteten dann die Mächte zitternd an und wen forderte dann der Vater auf: ‚Setze dich zu meiner Rechten!‘, wie auch David sagt (Ps. 109, 1): Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten usw.‘?

Wenn Er nicht Gott und Mensch war, dann ist unsere Erlösung nur Lüge und sind die Aussprüche der Propheten Lügen. Aber die Propheten redeten die Wahrheit, und ihre Zeugnisse sind ohne Trug. Was sie sagen mußten, das redete der Hl. Geist durch sie. Daher belehrte uns auch der keusche Johannes, der an der Brust des Feuers [Christus] lag, die Stimmen der Propheten bekräftigend, von Gott in den Evangelien sprechend, also: Im Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alles ist durch dasselbe gemacht worden, und nichts, was gemacht wurde, ist ohne dasselbe gemacht worden. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Der aus Gott ist, Gott das Wort, der eingeborene Sohn aus dem Vater, wesensgleich mit dem Vater, das ewige Wort das da ist aus dem, der ist, vor allen Zeiten auf unaussprechliche Weise ohne Mutter aus dem Vater gezeugt eben dieser wurde am Ende (der bestimmten Zeit) aus einer Menschentochter, aus Maria, der Jungfrau, ohne Vater geboren. Der fleischgewordene Gott nahm von ihr das Fleisch an und wurde Mensch, was Er vorher nicht war blieb aber Gott, was Er war, um die Welt zu erlösen. Dies ist Christus, der Sohn Gottes, der Eingeborene aus dem Vater und der Eingeborene aus der Mutter.

Ich bekenne Ihn als vollkommenen Gott und als vollkommenen Menschen, der in den zwei hypostatisch oder zu einer Person vereinigten Naturen erkannt wird, und zwar ohne Trennung, ohne Vermischung und ohne Verwandlung, der Fleisch annahm, das durch eine vernünftige und verständige Seele belebt war, und der uns in allem, nur die Sünde ausgenommen, der menschlichen Natur nach gleich geworden ist. Er ist zugleich irdisch und himmlisch, zeitlich und ewig, beschränkt und unbeschränkt, zeitlos und der Zeit unterworfen, erschaffen und unerschaffen, leidend und leidensunfähig, Gott und Mensch, und zwar in beider Hinsicht vollkommen, Einer in zweien und in zweien Einer.“

(vgl. BKV Bd. 37)

Unterwerfung – „Kommt laßt uns anbeten!“

Ja, das Kind, das vor uns in der Krippe liegt ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Das müssen wir glauben, um Erlösung zu finden. Und wenn es so ist, dann bleiben für uns nur zwei Folgerungen, nämlich erstens: „Transeamus usque Bethlehem“ – „Laßt uns nach Bethlehem gehen und sehen, was da geschehen ist“ (Lk. 2, 15). Es gibt keinen anderen Ort, in dem wir das Heil der Welt finden können, als in Bethlehem. Es gibt keinen anderen Namen, in dem uns Heil geworden ist, als den Namen dessen, der in Bethlehem von der Jungfrau geboren wurde. Er ist unsere Hoffnung, unser Friede und unsere Versöhnung. „Laßt uns also zusammen mit den Hirten nach Bethlehem gehen.“ – Die Wortbedeutung des Namens „Bethlehem“ zeigt uns, wo konkret wir den Erlöser finden. Bethlehem bedeutet soviel wie „Haus des Brotes.“ Ein „Haus des Brotes“ ist unser Gotteshaus. Unsere Kapelle ist Bethlehem, weil hier der Gottessohn, in Seiner Gottheit und Menschheit, mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut, verborgen unter der Gestalt des Brotes im Tabernakel wohnt. Laßt uns also nach Bethlehem gehen, an die Krippe des Altares, an die Krippe der Kommunionbank.

Und was wollen wir da zweitens tun? „Flectamus genua“ – „Beuget die Knie!“ Wir müssen nicht nur glauben, sondern auch gehorchen, d.h. uns Ihm unterwerfen, damit der Fluch Adams von uns genommen werden kann. Anbeten müssen wir, denn der da im Stalle liegt, im Futtertrog der Tiere, das ist derselbe, der die Gestirne lenkt. Es ist der Sohn Gottes, wahrer Gott vom wahren Gott, verhüllt in irdischer Gestalt, aber deswegen nicht weniger wahr der Lenker der Geschichte und der Herr über die ganze Schöpfung. – „Sie knieten nieder vor ihm und beteten ihn an“ (Mt. 2, 11), so heißt es von den Weisen aus dem Morgenland. Das ist es, was wir tun müssen. Alles andere ist Getue, das nicht auf die Dauer standhält. Wer Jesus nicht als den menschgewordenen Gottessohn im Glauben bekennt oder sich Ihm nicht im Gehorsam unterwirft, der mag soviel reden wie er will, er hat nur herumgeredet; und der mag soviel tun wie er will, es bleibt nur eitel. Es kam einmal ein Kunstgelehrter nach Kopenhagen. In der Domkirche dieser Stadt steht die berühmte im klassizistischen Stil gefaßte Jesusstatue, die der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770-1844) geschaffen hat. Der Kunstgelehrte stand vor der Statue und sagte: „Ich kann ihr nichts Besonderes abgewinnen.“ Da sagte sein Begleiter: „Sie dürfen nicht stehenbleiben, Sie müssen niederknien!“ So muß man nach Bethlehem gehen. Man darf dort nicht stehenbleiben, man muß niederknien. Und wenn man niederkniet, demütig, gläubig und willig zum Glaubensgehorsam, dann erschließt sich einem das Geheimnis der Stillen und Heiligen Nacht; das Geheimnis von Bethlehem: „Christ der Retter ist da“! Amen.

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