2. Sonntag im Advent
„Jesus von Nazareth ist der Messias“
Geliebte Gottes!
Johannes der Täufer hatte dem Heiland längst viele seiner eigenen Jünger mit Freuden zugeführt, allen voran die ersten Apostel, Andreas und Johannes. Durch seine Bußpredigt hatte er für Christus geworben. Sein Zeugnis hat stets auf Jesus hingewiesen.
Die Skeptiker
Doch gab es Johannes-Jünger, die sich schwer damit taten, sich diesem Jesus von Nazareth anzuschließen (vgl. Joh. 3, 25 ff.). All das, was sie an Johannes bewunderten – seine hagere Erscheinung, sein härenes Gewand, seinen abgetöteten Lebenswandel in der Einsamkeit der Wüste, seinen leidenschaftlichen Eifer, in dem er die Sünde, ungeachtet der Person, gnadenlos geißelte und dabei selbst nicht vor den Mächtigen und Einflußreichen zurückwich. Ja, ein Held war er, der für seinen unerschrockenen Bekennermut, mit dem er den Ehebruch des Herodes Antipas anklagte, in den Kerker geworfen wurde. Alles, was in ihren Augen den Messias, den gottgesandten Erlöser Israels, ausmachen würde, das fanden sie an Johannes dem Täufer, nicht aber an Jesus von Nazareth. Dieser mußte ihnen eher als durchschnittlich erscheinen; zu lasch, zu unauffällig. Und dieser Jesus sollte der Messias sein? Er übte doch kein strenges Fasten, lebte nicht in der kargen Einöde, ernährte sich nicht von Heuschrecken und wildem Honig. Er kleidete sich wie alle sich damals kleideten, ging bis vor kurzem sogar einem gewöhnlichen Handwerk nach. Er stammte aus Nazareth, einem unbedeutenden, ja verrufenen Nest in Galiläa und war scheinbar von sanftem Wesen. – Johannes der Täufer erkannte die große Gefahr, die in diesen selbstaufgestellten Messias-Kriterien und rein menschlichen Vorbehalten lag. Es war zu befürchten, daß sich seine verschworensten Anhänger ab dem Tag, da er – Johannes – nicht mehr da wäre, mit großer Wahrscheinlichkeit den „strengen“ und „gesetzestreuen“ Pharisäern anschließen würden. Also den heuchlerischen Feinden Jesu.
Richtige und falsche Maßstäbe
Dem Täufer blieb nicht mehr viel Zeit, das zu verhindern, spürte er doch, daß er das Verlies des Vierfürsten Herodes wohl nicht mehr lebendig verlassen würde. Erschwerend kam hinzu, daß ihn die Kerkerhaft daran hinderte, weiterhin persönlich Überzeugungsarbeit bei seinen Schülern zu leisten. Auch konnte er sie nicht mehr persönlich mit Jesus bekannt machen, damit sie Ihn durch seine Vermittlung aus nächster Nähe hätten besser kennenlernen können. Freiwillig würden die skeptischen Jünger niemals auf Jesus zu gehen. Also blieb nur eines übrig: eine offizielle Gesandtschaft im Namen des Täufers.
Johannes sandte zwei seiner Jünger zu Jesus. Vertrauenswürdige Jünger, die vor den anderen in hohem Ansehen standen und deren Wort in ihrem Kreis etwas galt. Zwei an der Zahl; da nach dem Gesetz zwei Zeugen zur Beglaubigung einer Aussage notwendig waren. Diesen Jüngern legte Johannes die entscheidende Frage in den Mund: „Bist du es, der da kommen soll, oder haben wir auf einen andern zu warten?“ (Mt. 11, 3). Bist du der Messias? Nicht Johannes wurde von dieser Frage umgetrieben. Nein, er ließ sie nur ausrichten, um seine Jünger zu zwingen, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Er ließ sie ausrichten in der Hoffnung, daß sich die Skeptiker anhand der Antwort, die Jesus darauf geben würde, von dessen Messianität überzeugen ließen.
Welche Antwort erhielten nun die Gesandten des Johannes? Jesus antwortete ihnen: „Geht hin, und verkündet dem Johannes, was ihr gehört und gesehen habt: ‚Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird die frohe Botschaft verkündet‘ und selig ist, wer sich an Mir nicht ärgert!“ (Mt. 11, 5).
Da mag einer fragen: Warum redet der Heiland um den heißen Brei herum? Warum sagt Er nicht einfach: „Ja! Ich bin der Messias!“? Das wäre doch eine klare, unmißverständliche Antwort gewesen. Aber so? – Doch Vorsicht! Was auf uns beim ersten Hinhören wie geheimnisvolles Drum-herum-Gerede vorkommt, das ist in Wirklichkeit eine Antwort von einzigartiger Klarheit und Unmißverständlichkeit; eine Antwort von solcher Weisheit, die des wahren Messias überaus würdig ist. Ein plumpes „Ja! Ich bin der Messias.“ hätte doch rein gar nichts bewiesen. Jeder kann von sich behaupten, er sei der Messias. Und so haben es ja auch tatsächlich viele vor Christus und nach Christus vollmundig getan. Jesus aber verweist mit Seiner Antwort auf den Propheten Isaias. Dieser hatte nämlich vom Messias geweissagt: „Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, und die Ohren der Tauben aufgetan werden; dann wird der Lahme wie ein Hirsch springen, und die Zunge der Stummen wird gelöst werden“ (Is. 35, 5 f.). Und noch auf eine andere Isaias-Stelle spielt Jesus an. Dort heißt es: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat; um den Armen frohe Botschaft zu künden, sandte Er mich, um zu heilen, die zerknirschten Herzens sind, und den Gefangenen Nachlaß, den Eingeschlossenen Befreiung zu verkünden“ (Is. 61, 1).
Wenn die Johannes-Jünger die Weissagungen des Isaias kannten – wovon auszugehen ist – dann war der Verweis eben darauf eine Antwort, die an Unmißverständlichkeit nicht zu überbieten war. Denn, vom hl. Evangelisten Lukas wissen wir, daß Jesus „zur selben Stunde“, als die Johannes-Jünger zu Ihm kamen, „gerade viele von Krankheiten, Plagen und bösen Geistern heilte und Blinden das Augenlicht schenkte“ (Lk. 7, 21 f.). Wenn die Skeptiker, dem Befehl des Heilandes folgend, dem Johannes berichteten, was sie vom Propheten Isaias „gehört“ und hier mit eigenen Augen „gesehen“ haben, dann mußten sie ehrlich zugeben, daß eben jenes Isaias-Wort an diesem beargwöhnten Jesus von Nazareth tatsächlich wahr geworden ist. Mit Seiner Antwort liefert Jesus aber nicht nur einen Beweis für Seine Messianität, sondern Er gibt gleichzeitig auch eine Belehrung darüber, welches die eigentlichen und entscheidenden Kriterien sind, an denen der wahre Messias zu erkennen ist. Nicht an irgendwelchen mehr oder weniger beeindruckenden Äußerlichkeiten ist der Messias zu erkennen. Nicht an seiner Kleidung. Nicht an seiner Bußstrenge. Nicht an seinem Wohnort. Nicht an seinem Temperament. Sondern daran, daß die Weissagungen der Propheten an ihm in Erfüllung gehen! Das Eintreten und die Erfüllung der alten Prophetien sind die Kennzeichen des wahren Messias. Nicht nur das Eintreten einer Prophetie, sondern aller Prophetien, das ist die Meßlatte, an der sich nur der wahre Messias messen kann. Derjenige ist also der Erlöser, an dem alle vorhergesagten Kennzeichen zutreffen.
An wem finden sich nun diese Zeichen? Zwei Antworten wollen wir auf diese Frage geben:
- Alle Kennzeichen finden sich an Jesus von Nazareth. Und:
- Sie finden sich an keiner andern Person und können sich an keiner anderen finden.
Alle Prophetien erfüllen sich in Jesus
Alle Merkmale des künftigen Erlösers finden sich vorhergesagt in den Büchern des Alten Testamentes, die lange vor der Geburt Jesu geschrieben waren und die noch heute von den Juden gelesen werden. Das Leben Jesu Christi findet sich aufgezeichnet in den Büchern des Neuen Testamtens, v.a. in den Evangelien.
Nehmen wir also das Alte Testament zur Hand und suchen wir die Kennzeichen, die dort in den prophetischen Büchern, dem künftigen Erlöser beigelegt werden. In die andere Hand nehmen wir das Neue Testament. Wir lesen das Evangelium, die Lebensgeschichte Jesu Christi, und vergleichen. Ja, vergleichen wir genau! Was werden wir finden? Genau das, daß im Leben des Jesus von Nazareth alles erfüllt wurde, was Gott durch die alttestamentlichen Propheten über den künftigen Erlöser vorhergesagt hatte. Gehen wir ins Einzelne.
… in Seiner Geburt und Seinem Leben
Wie wird der Erlöser im Alten Testament beschrieben? Aus welchem Volke wird der Erlöser sein? Ein Sohn Abrahams, sagt die Schrift (Gen. 22, 18). – Aus welchem der zwölf Stämme Israels und von welchem Geschlecht wird er abstammen? Aus dem Stamme Juda (Gen. 49, 10). Er wird ein Sohn Davids sein (2. Sam. 7, 14) und damit von königlichem Geblüt. – Was für eine Mutter wird er haben? Eine Jungfrau, die ihn auf wunderbare Weise empfangen und gebären wird (Is. 7, 14). – Wo soll er geboren werden? Sein Geburtsort wird Bethlehem sein (Mich. 5, 1). – Wann wird er geboren werden? Wenn das Zepter von Juda gewichen ist, d.h. wenn das Volk Israel von einem ausländischen König beherrscht wird (Gen. 49, 10). Wer wird ihm als Herold vorausgehen, um ihn in die Welt einzuführen? Er wird einen Vorläufer haben, der ihm die Wege bereitet (Is. 40, 3).
Ist es nötig, zu sagen, daß sich all diese Kennzeichen bei Jesus finden? Jedes Kind weiß ja, wer Sein Vorläufer, wer Seine Mutter war, wann und wo Er geboren wurde, und daß König Herodes, als ein Idumäer, der erste nichtjüdische König war. Gehen wir also weiter.
Was sagt das Alte Testament vom Leben des Erlösers? Wie wir gerade vorhin beim Propheten Isaias gesehen haben, wird er die Armen und Unwissenden lehren. Er wird in seinem Erbarmen das geknickte Rohr nicht zerbrechen, den glimmenden Docht nicht auslöschen (Is. 42, 3). Er wird Wunder tun ohne Zahl an Lahmen, Blinden, Tauben, Besessenen, Toten (s.o.). Er wird auf einer Eselin in Jerusalem einziehen (Zach. 9, 9). Dann schauen wir ins Neue Testament. Fehlt im Leben des Heilandes auch nur das Geringste, um dieses Bild vollständig zu erfüllen? Rein gar nichts fehlt!
… in Seiner Passion und Verherrlichung
Aber schauen wir nochmals ins Alte Testament. Es schildert uns auch das Leiden und die Verherrlichung des künftigen Erlösers. Vergessen wir einmal für einen Augenblick alles, was wir vom Leiden Christi wissen. Betrachten wir nur das Bild, welches das Alte Testament vom leidenden Erlöser zeichnet. Was erkennen wir da? – Einen Mann. Den Mann der Schmerzen (Is. 52, 13 - 53, 12). Von seinen Freunden verlassen (Is. 53, 3). Um dreißig Silberlinge verkauft (Zach. 11, 12). Von vielen Feinden umringt, geschlagen, verwundet, angespien, verspottet, zertreten, ein Wurm und kein Mensch mehr (Ps. 21). Eine einzige Wunde vom Scheitel bis zur Fußsohle (Is. 1, 6). Unter die Verbrecher gerechnet (Is. 53, 12). Seine Hände und Füße durchbohrt, seine Kleider geteilt und verlost (Ps. 21, 17. 19). Mit Galle und Essig getränkt (Ps. 68, 22). Von Gott verlassen (Ps. 21, 2). Und bei alledem geduldig wie ein Lamm (Is. 57, 7); für die Sünder betend (Ps. 108, 8). Getötet um unserer Sünden willen (Is. 53, 8; Dan. 9, 26). Glorreich auferstehend (Ps. 15, 10). Im Triumphzug der Erlösten auffahrend in den Himmel (Ps. 46, 6, Ps. 67, 19), dessen Tore sich vor ihm öffnen (Ps. 23, 7-10). Thronen zur Rechten Gottes (Ps. 109, 1).
Und nun schauen wir hinüber ins Neue Testament. Die Passionsberichte beschreiben uns dort den leidenden und sterbenden Herrn Jesus Christus, den Gekreuzigten. Das Osterevangelium zeigt uns den auferstandenen und zum Himmel auffahrenden Erlöser, der zur Rechten des Vaters thront. Ist es nicht genau dasselbe Bild, das die Propheten beschrieben haben? Ja, so ist es! Zug um Zug. Nichts fehlt daran.
Wenn es so ist, dann müssen wir notwendigerweise aus unserer Gegenüberstellung schlußfolgern: Jesus von Nazareth ist der im Alten Testament verheißene Erlöser. An Ihm ist alles erfüllt.
… in den auf Seine Ankunft folgenden Ereignissen
Im Alten Testament wird aber nicht bloß das Leben des künftigen Erlösers vorhergesagt, sondern auch noch einige Ereignisse, die auf das Leben des Erlösers folgen sollten: So etwa die Sendung des Heiligen Geistes (Joel 2, 28-31), der Untergang Jerusalems (Dan. 9, 26), die Ausbreitung eines neuen Gottesreiches über alle Grenzen der Herrschaft und der Völker hinweg (Ps. 71; Ps. 2, 8) und dessen allumfassende Größe und ewige Dauer (Ps. 44, 7; Ps. 144, 13). – Ist etwa nach der Himmelfahrt Christi der Heilige Geist nicht gekommen? Sichtbar und wunderbar! Ist Jerusalem nicht zerstört worden? Auf schreckliche Art und Weise. Ist das Reich Christi, d.h. die katholische Kirche, nicht bis an die Grenzen der Erde ausgebreitet worden? Kein Zweifel! Und das trotz aller Hindernisse und gegen alle menschlichen Erwartungen.
An Ihm scheiden sich die Geister
Da mag sich einer fragen: Wenn alle Kennzeichen des verheißenen Erlösers an Jesus Christus sichtbar wurden, wie war es dann möglich, daß so viele Juden, welche die heiligen Bücher besaßen und lasen; die auf den Erlöser warteten und auf Sein Kommen hofften, dennoch in Jesus Christus bis heute nicht den verheißenen Erlöser erkannt und anerkannt haben?
Zunächst ist darauf zu antworten, daß die Frömmsten, die Heiligsten unter dem auserwählten Volk der Juden in der Person Jesu Christi sehr wohl den Erlöser der Welt erkannt haben. Das gilt vom hl. Johannes dem Täufer. „Sehet“, so rief er seinen Zeitgenossen zu, „sehet das Lamm Gottes, welches hinweg nimmt die Sünde der Welt“ (Joh. 1, 29). Dasselbe gilt von den Eltern des Johannes, die hll. Zacharias und Elisabeth. Selbstverständlich hat auch Seine Mutter, die allerseligste Jungfrau Maria, und der hl. Joseph in Jesus den Erlöser erkannt. Auch fast alle Apostel, sowie die Jünger, darunter Nikodemus und Joseph von Arimathäa. Zuweilen rief sogar die ganze Volksmenge, wenn sie Zeugen Seiner göttlichen Wundermacht wurden: „Wahrlich, dieser ist der Prophet, der in die Welt kommen soll“ (Joh. 6, 14).
Aber im Großen und Ganzen hat das auserwählte Volk den Erlöser nicht erkannt – trotz aller eingetretenen Weissagungen. Es folgte dem Beispiel seiner damaligen Anführer; der Hohenpriester, der Pharisäer, der Schriftgelehrten und Ältesten. Aber sogar das war vorhergesagt (Is. 8, 14) und ist nur ein neuer Beweis, daß Jesus wirklich der Erlöser ist. Auch die Strafe für diese Sünde ist eingetroffen: Die Zerstörung der Stadt und des Tempels. Weil sie den wahren Messias nicht anerkannt haben, sind sie durch falsche Messiasse getäuscht und betrogen worden und hoffen noch immer – wenn auch vergeblich – auf das Erscheinen des Messias. Doch das wird nicht früher geschehen, als bis Sonne und Mond sich verfinstern, der ganze Erdkreis erschüttert wird (Ez. 32, 7; Joel 3, 14 ff.) und Jesus Christus wiederkommen wird in den Wolken des Himmels (Dan. 7, 13). Genau so wie es verheißen ist.
Alle Prophetien erfüllen sich NUR in Jesus
Zu der Tatsache, daß sich alle Weissagungen in Jesus erfüllt haben, kommt noch hinzu, daß außer Christus kein anderer der verheißene Erlöser sein kann. Nach den Zeiten Jesu Christi sind viele Personen aufgestanden, welche sich für den von Gott verheißenen Erlöser ausgegeben haben. Es wäre leicht zu zeigen, daß keiner von ihnen der wahre Messias gewesen ist. Doch es ist nicht nötig, da jetzt niemand mehr glaubt, daß irgendeiner aus ihnen der wahre Messias gewesen sei.
Aber auch in Zukunft kann der Messias nicht mehr kommen. Wenn der wahre Messias erst in Zukunft kommen sollte, wie das heutige Judentum behauptet, so müßte er doch aus der Familie Davids sein. Die Dynastie Davids ist aber unter Kaiser Vespasian (9-79 n. Chr.) ausgerottet worden, um dem jüdischen Aufbegehren gegen die römische Oberhoheit ein für alle Mal den Garaus zu machen. Der künftige Messias müßte ferner aus dem Stamme Juda sein. Der Stamm Juda aber ist mit dem Stamm Benjamin so vermischt worden, daß niemand mit Bestimmtheit sagen kann, aus welchem Stamm er nun wirklich gebürtig sei. Der Messias sollte sodann zu der Zeit des zweiten Tempels kommen und vor der Zerstörung der Stadt Jerusalem (vgl. Dan. 9, 26). Der Tempel ist längst geschleift. Keinen Stein haben die Römer im Jahre 70 n. Chr. auf dem anderen gelassen. Wenn also der Erlöser, wie die Juden sagen, noch nicht gekommen wäre, so muß man mit der größten Bestimmtheit sagen, daß er dann niemals kommen wird.
Wenn nicht Jesus Christus der verheißene Erlöser ist, so ist es auch kein anderer gewesen; und kein anderer kann oder wird es je sein. Dann wäre der Erlöser vergeblich verheißen, vergeblich vorhergesagt, vergeblich so lange und so heiß erwartet worden. Dann wäre unser Glaube töricht und unsere Hoffnung leer. Dann müßten die Bücher der Propheten eigentlich als Lügenbücher verbrannt werden! – Jedoch ist der verheißene Erlöser wirklich gekommen und zwar so gewiß, daß wer Augen hat zu sehen, sie schließen müßte, um nicht zu sehen, daß Er gekommen ist.
Unser Herr selbst sagte zu den Juden: „Forschet in der Schrift, denn sie ist es, die von Mir Zeugnis gibt“ (Joh. 5, 39). Er wollte sagen: Lest in euren hl. Büchern, was dort vom Messias vorhergesagt ist, und ihr werdet finden, daß das alles in Mir erfüllt ist. Ihr werdet finden, daß Ich der Messias bin. – Als die Samariterin am Jakobsbrunnen zu Ihm sagte: „Ich weiß, daß der Messias kommen wird“, da antwortete ihr Jesus: „Ich bin es, der mit dir redet“ (Joh. 4, 25 f.). Zu den Jüngern, die nach Emmaus gingen, sprach der auferstandene Heiland: „Mußte nicht Christus dies alles leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk. 24, 26). Und angefangen von Moses und allen Propheten, legte Er ihnen die ganze Schrift aus, die über Ihn geschrieben war, d.h. Er zeigte ihnen, daß die Weissagungen der Propheten in Ihm – und zwar gerade in Seinem Leiden – erfüllt worden sind.
So steht also auch für uns fest: Jesus Christus ist der Erlöser, der im Paradies versprochen, den Vätern verheißen, in den Vorbildern gezeigt, von den Propheten vorhergesagt, von den Juden erwartet war. Das Alte Testament bezeugt es, das Neue beweist es, die Apostel lehrten es, die katholische Kirche glaubt es, Jesus Christus selbst sagt es.
Vom Nutzen der Schriftlesung
Um unseren Glauben an Jesus Christus zu vertiefen, unsere Hoffnung zu festigen und unsere Liebe zu verlebendigen, empfehlen die geistlichen Lehrer, allen voran der hl. Paulus, die „geistliche Lesung“; besonders die Lesung der Heiligen Schrift. In der heutigen Epistel schreibt der Völkerapostel: „Alles, was geschrieben ist, das ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch die Geduld und den Trost, den wir aus den Schriften schöpfen, Hoffnung haben“ (Röm. 15, 4). Und der Heiland selbst sagt: „Die Worte die Ich zu euch rede, sind Geist und Leben“ (Joh. 6, 63). In welchem Buch könnte man aber besser das Leben schöpfen, als in der Heiligen Schrift, deren Verfasser Gott selbst ist, der Quell des ewigen Lebens? – Doch die Heilige Schrift ist umfangreich und nicht immer leicht zu verstehen. Für den Laien genügt es, sie in ihrem wesentlichen Kern wieder und wieder zu lesen. Der wesentliche Kern ist vor allem das Neue Testament. Und da sind vor allem natürlich die Evangelien zu nennen. Man muß sich immer wieder besonders mit der Bergpredigt (Mt. 5-7) und mit den Gesprächen beim letzten Abendmahl (Joh. 13-17) beschäftigen. Auch das Meßbuch trifft im Laufe des Kirchenjahres eine weise Auswahl der wichtigsten Kapitel.
Wenn wir dabei die göttlichen Worte mit Demut, Glaube und Liebe lesen, so enthalten sie für uns eine besondere Gnade. Sie prägt uns das Bild Christi immer lebendiger in die Seele ein. Sie führt uns täglich mehr zur Nachahmung der Tugenden des Heilandes; Seiner Sanftmut; Seiner Geduld und Seiner heroischen Liebe am Kreuz. Mit der hl. Kommunion zusammen ist das Wort Gottes die wahre Nahrung der Heiligen.
Nach den Evangelien liefern uns die Apostelgeschichte und die Briefe der Apostel die beste Erklärung der Lehren des Heilandes und das anschauliche Beispiel der Jünger, wie sie das Evangelium vorgelebt und es den Gläubigen damals erklärt und ausgelegt haben. Nirgends sind die Pflichten aller Christen lebendiger ausgesprochen als in den Apostelbriefen.
Es gibt aber auch Teile des Alten Testaments, die jeder Christ kennen sollte. Neben den Geschichtsbüchern, welche uns die Heilsgeschichte vom Schöpfungsmorgen bis zur Zeit der Makkabäer beschreiben, ist das das Buch der Psalmen besonders hervorzuheben. Es ist das Gebetbuch Gottes, sind doch die Psalmen vom Heiligen Geist selbst verfaßte Gebete, derer sich die Kirche in der hl. Messe und v.a. im kirchlichen Stundengebet bedient. Es beinhaltet Gebete sühnender Anbetung für den reuigen und demütig gewordenen Sünder, Gebete glühenden Flehens, der Danksagung und des Vertrauens. Wenn wir uns in die Psalmen hineinbeten, dann wird unser Mund gleichsam zur Harfe des Heiligen Geistes. Wir gebrauchen dabei die Worte zum Gotteslob, die von Gott selbst zu genau diesem Zweck eingegeben wurden. – In den Weisheitsbüchern finden sich sodann Mahnungen der unerschaffenen Weisheit zur Übung der hauptsächlichen Pflichten gegen Gott und den Nächsten.
Wenn man die Heilige Schrift ständig mit Ehrfurcht und Liebe liest – insbesondere das Evangelium, so findet man darin immer neue Erleuchtung und neue Kraft. Gott hat in Seine Worte nicht nur Wahrheit, sondern auch eine unerschöpfliche Kraft hineingelegt. Ein neuzeitlicher Theologe sagte einmal: „Wenn man am Ende seines Lebens viel gelesen hat und von fast allen Büchern ermüdet ist, kehrt man immer noch gern zum Evangelium zurück, dem wahren Widerschein jenes Lichtes, das die Seelen mit ewigem Leben durchstrahlt.“
Als Ergänzung zur Heiligen Schrift empfiehlt sich auch die Lektüre der Heiligenbiographien sowie die Lesung kleiner Werke, die aus der Feder bewährter Autoren oder der Heiligen selbst stammen. Um einige lesenswerte Titel zu nennen: Da ist etwa die „Nachfolge Christi“ von Thomas von Kempen, die „Philothea“ des hl. Franz von Sales, sowie die Schriften des hl. Alphons von Liguori, des hl. Ludwig Grignion von Montfort oder des Martin von Cochem.
Wie die „geistliche Lesung“ gemacht werden soll
Zu beachten ist, daß man die Heilige Schrift und geistliche Bücher nicht so lesen sollte wie einen Nachrichtenartikel oder einen Roman. Zu Beginn sollte der Glaubensgeist mittels eines kurzen Gebets geweckt werden. Dadurch vermeiden wir alle unnütze Neugier, geistige Eitelkeit oder die Neigung, das Gelesene zu kritisieren, anstatt Nutzen daraus zu ziehen.
Es empfiehlt sich, langsam zu lesen und die Bücher nicht zu verschlingen. Wie die Nahrung am besten verdaut werden kann, wenn sie in kleinen Happen aufgenommen und gut zerkaut wird, so soll man auch die geistige Nahrung nicht in sich hineinschlingen und sich damit vollstopfen. „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge“, sagt der hl. Ignatius, „sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen“ (Exer. 2). Man muß sich also mit dem durchdringen, was man liest.
Dann wandelt sich die Lesung auch allmählich in Gebet, in eine vertrauliche Unterhaltung mit Gott, über das, was man da liest. Der hl. Bernhard sagt: „Das Gebet soll die Lesung unterbrechen, dann wird die Lesung wirklich eine geistliche Nahrung sein und zum Gebet geneigt machen.“ Ja, die „geistliche Lesung“ nährt unser Gebet! Wenn wir keine Neigung zum persönlichen und betrachtenden Gebet verspüren, ja vielleicht sogar einen Überdruß, so ist die Ursache dafür nicht selten darin zu finden, daß der Geist „unterernährt“ ist. Zu wenig geistige Nahrung! Das beste Mittel um den Gebetsgeist zu beleben ist die „geistliche Lesung“. Sie liefert uns zum Gebet anregende Gedanken und den Gesprächsstoff mit Gott.
Besonders wichtig ist aber folgendes: Wir müssen das Gelesene ohne Zögern auf uns selbst anwenden und zur Ausführung bringen. Sonst wäre die Lesung eitel und unnütz. Sagt doch Christus in der Bergpredigt: „Jeder, der diese Worte hört und sie tut, gleicht einem weisen Mann, der sein Haus auf Fels gebaut hat … Wer diese Meine Worte hört und sie nicht befolgt, gleicht einem törichten Manne, der sein Haus auf Sand gebaut hat“ (Mt. 7, 24). Und der hl. Paulus fügt hinzu: „Nicht jene, die das göttliche Gesetz hören, sind gerecht vor Gott, sondern die es tun“ (Röm. 2, 13).
Schließlich gilt auch von der „geistigen Lesung“: „Man muß viel lesen, aber nicht Vieles!“ Das Leben ist kurz. Deshalb soll man nur das Beste lesen und immer wieder lesen. Also nur die besten Bücher lesen und nicht die Zeit verlieren mit unnützer, oberflächlicher und bisweilen sogar gefährlicher Lektüre, wie es zumeist die im Netz abrufbaren sog. „Privatoffenbarungen“ sind, oder auch Werke neuerer Autoren, die zwar fromm klingen aber vom Modernismus durchdrungen sind. Es hat mehr Wert, sich tief von einem einzigen Buch, wie etwa von der „Nachfolge Christi“, das man wieder und wieder liest, ganz durchdringen zu lassen, als alle geistlichen Schriftsteller in oberflächlicher Weise zu lesen. Wenn wir das Gesagte beherzigen und einüben, dann wird die „geistliche Lesung“ reiche Frucht bringen: nämlich die Festigkeit im Glauben, eine auf Gott gründende Hoffnung und ein Wachstum in der übernatürlichen Liebe.
In Ihm allein ist Heil!
Vielleicht hat damals die durch Lesung erworbene Kenntnis des Propheten Isaias den Zweifel der Johannes-Jünger zerstreuen können, so daß sie tatsächlich zum Glauben gefunden haben, daß Jesus der Messias ist. Wir wissen es nicht. Das Evangelium schweigt sich über ihr weiteres Schicksal aus. Wir jedenfalls durften heute von ihrer Frage profitieren und unseren Glauben an unseren göttlichen Erlöser in den Worten der Heiligen Schrift bestätigt finden.
Wenn nun aber Jesus Christus der verheißene Erlöser ist, dann folgt daraus, daß Er derjenige ist, dem wir glauben müssen; derjenige, auf den wir alle Hoffnung des Heiles setzen müssen; derjenige, dem unsere ganze Liebe gehören muß. Dann ist Er auch derjenige, dem wir gehorchen müssen! Gehorchen Seiner gesamten Lehre! Gehorchen allen Seinen Geboten! Dann gilt auch tatsächlich, was der hl. Petrus einst ausrief: „In Ihm allein ist Heil; denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir selig werden können“ (Apg. 4, 12).
Wenn das alles so ist, dann müssen wir uns freuen, daß Jesus Christus, unser Erlöser, gekommen ist. Wir müssen für Seine erste Ankunft danken, Seine zweite Ankunft am baldigen Weihnachtsfest mittel der „geistlichen Lesung“ vorbereiten und im Gebet herbeisehnen, um auf diese Weise jederzeit vorbereitet zu sein für Seine dritte Ankunft zum Gericht. Amen.