„Seht, der Bräutigam kommt! Auf, Ihm entgegen!“

Geliebte Gottes!

Die heute anbrechende Adventszeit hat ihren Namen von dem lateinischen Wort „adventus“, was soviel bedeutet wie „Ankunft“. Gemeint ist die Ankunft des Erlösers, die wir am Weihnachtsfest begehen und auf die wir uns in den vor uns liegenden Tagen des Advents vorbereiten müssen. Denn die Ankunft eines angekündigten Gastes, erst recht eines so hochstehenden, wie die des göttlichen Erlösers Jesus Christus selbst, will gut vorbereitet sein.

Das dreifache Geheimnis der Adventszeit

Um uns in rechter Weise auf die Ankunft Christi vorbereiten zu können, müssen wir zuerst das dreifache Geheimnis Seines Kommens, und damit das Mysterium des Advents, verstehen. Der hl. Bernhard von Clairvaux sagt: „In Seiner ersten Ankunft, kommt Er im Fleisch und in der Schwachheit; in Seiner zweiten kommt Er im Geiste und mit Macht; in Seiner dritten in Glorie und Majestät“ (serm. 5 in adv.).

Und Petrus von Blois, ein Zeitgenosse des hl. Bernhard, führt näher dazu aus: „Dreimal kommt der Herr zu uns hernieder. Das erste Mal im Fleisch, das zweite Mal im Geist, das dritte Mal als Richter. Die erste Ankunft fand mitten in der Nacht statt, nach den Worten des Evangeliums: ‚Mitten in der Nacht ertönte ein Rufen!‘ Die erste Ankunft ist bereits vorüber. Christus ist auf Erden im Fleische gewandelt und hat mit den Menschen verkehrt. … Daß die dritte Ankunft stattfinden wird, ist über allem Zweifel erhaben, sehr ungewiß aber die Zeit, wann sie stattfinden wird; wie ja auch nichts gewisser ist, als der Tod und nichts ungewisser, als der Tag desselben. ‚Im Augenblicke, wo man von Frieden und Sicherheit sprechen will,‘ sagt der Weise, ‚erscheint plötzlich der Tod, wie die Wehen der Geburt im Schoße des Weibes, und niemand kann ihm entfliehen‘“ (Blois; serm. 3 in adv.).

Dreifach ist also das Geheimnis des Advent, denn dreifach ist die Ankunft Christi in der Zeit. Die erste Ankunft im Fleische bei Seiner Geburt aus der Jungfrau Maria in Bethlehem ist das Urbild; jenes Ereignis, das die Geschicke der Welt verändert hat, indem durch die Menschwerdung des Gottessohnes die Erlösung von den Sünden eingeleitet wurde. Es war ein einmaliges Ereignis, das vor gut 2000 Jahren stattgefunden hat und längst abgeschlossen ist.

Die dritte Ankunft Christi, am Ende der Welt, steht uns noch bevor. Wir gehen ihr Tag für Tag entgegen, wobei der große Weltuntergang und die Wiederkunft Christi zum Weltgericht, wie Er sie uns im heutigen Evangelium verkündet hat, eine Vorwegnahme findet, in der plötzlich über uns hereinbrechenden Todesstunde. Der Tod ist der ganz persönliche Weltuntergang, der Weltuntergang im Kleinen. Ein ebenso einmaliges, aber für uns allesentscheidendes Ereignis. Unsere Ewigkeit hängt davon ab. Denn wir haben nur dieses eine Leben! Wir können nicht sagen: „Wenn ein guter Tod nicht gleich auf Anhieb gelingen will, dann habe ich noch ein zweites, ein drittes, … ein siebtes Leben, um es wieder und wieder zu versuchen, bis es schon irgendwann einmal gelingen wird.“ Nein, das Leben ist kein Computerspiel. Wir haben nur dieses eine; nur diese eine Chance. Und am Ende unserer Tage wird Christus in Herrlichkeit kommen, uns zu richten. Sind wir für diese Seine Ankunft wohl vorbereitet, so ist alles gewonnen. Findet uns der Herr jedoch unvorbereitet, so ist alles verpfuscht – für immer und ewig. Weil wir also nur einen Versuch haben, und dieser unbedingt gelingen muß, so liegt zwischen der ersten Ankunft Christi in Bethlehem und der letzten Ankunft zum Gericht, eine „zweite Ankunft“. Über diese zweite Ankunft sagt Petrus von Blois: „Wir sind jetzt in der Zeit der zweiten Ankunft. Sehen wir uns daher wohl vor, daß wir stets in einem Zustand sind, daß Er zu uns kommen könne. Denn Er [Christus] hat gesagt: ‚Wenn wir Ihn lieben, wird Er zu uns kommen und in uns wohnen.‘ (vgl. Joh. 14, 23)“ (ebd.). In Seiner „zweiten Ankunft“ kommt Christus mittels der übernatürlichen Liebe auf geistige Weise zu uns, um in unserer Seele Wohnung zu nehmen. Es ist Seine unsichtbare, verborgene, geheimnisvolle Ankunft durch die göttliche Gnade. – Wie Er sich schon bei Seiner „ersten Ankunft“, im Schoß der Jungfrau Maria verbarg und so in Bethlehem Unterkunft und Aufnahme suchte, so geschieht es jedes Jahr aufs Neue bei Seiner „zweiten Ankunft“ an Weihnachten, wo Er unsichtbar durch die Gnade an die Tür unseres Herzens anklopft, und Einlaß begehrt. Doch welche sind es, die Ihn nicht wie die Bethlehemiten von der Türschwelle ihres Herzens abweisen, sondern Ihn freudig aufnehmen? – Es sind jene, die Ihn lieben; die Sein Wort halten; die Ihm durch Gehorsam nachfolgen, sagte Er doch: „Bleibt in Meiner Liebe! Wenn ihr Meine Gebote haltet, bleibt ihr in Meiner Liebe, so wie auch Ich Meines Vaters Gebote gehalten habe und in Seiner Liebe bleibe“ (Joh. 15 ,9 f.). „Wenn einer Mich liebt, wird Er Mein Wort halten, und Mein Vater wird ihn lieben, und Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh. 14, 23). – Jene Seele, die in liebevollem Gehorsam bereit erfunden wird, dem wird sich der Erlöser am Weihnachtstag wie ein enger Freund gnadenhaft mitteilen und schenken. Wer aber Christus zum Freund hat, der hat Sein Kommen als Richter nicht zu fürchten. Ist es doch der Vertraute des Herzens, der im Tode anklopft, um Seinen Freund ganz zu Sich zu holen. „Im Hause Meines Vaters sind viele Wohnungen. … Habe ich einen Platz für euch bereitet, dann komme ich wieder und werde euch zu Mir nehmen, damit, wo Ich bin, auch ihr seid“ (Joh. 14, 2 f.) Was wird die liebende Seele also anderes tun, als dann zur Türe zu eilen, um dem Geliebten zu öffnen, wie der hl. Papst Gregor d. Gr. sagt: „Der Herr kommt, wenn Er zum Gerichte eilt; Er pocht an, wenn Er durch schmerzliche Krankheiten die Nähe des Todes ankündigt. Wir tun Ihm sogleich auf, wenn wir Ihn mit Liebe aufnehmen. Denn derjenige will dem anklopfenden Richter nicht auftun, der davor zittert, den Leib zu verlassen und nur mit Schrecken daran denkt, den als Richter zu sehen, den er als Erlöser verachtet hat. Wer aber in Seiner Hoffnung und Seinem Wirken [in liebendem Gehorsam] sicher ist, öffnet sogleich dem Anklopfenden, weil er voll Freuden den Richter erwartet. Und er jubelt in der Todesstunde seiner herrlichen Vergeltung entgegen“ (hom. 13 in Evang.). In der alljährlichen „zweiten Ankunft“ Christi zu Weihnachten können und sollen wir uns also üben, damit in Seiner einmaligen „dritten Ankunft“ für uns der ewige Festtag anbreche und nicht jener nimmer endende Tag ewiger Pein und Klage.

Das Geheimnis des dreifachen Advent zusammenfassend, sagt Petrus von Blois: „Die erste Ankunft war also demütig und verborgen, die zweite ist insgeheim und voll Liebe, die dritte offenbar und schrecklich. In der ersten Ankunft wurde Christus von den Menschen ungerechter Weise verurteilt; in der zweiten macht Er uns gerecht, indem Er uns Seine Gnade schenkt; in der dritten wird Er alles richten nach den Grundsätzen Seiner ewigen Gerechtigkeit. Ein Lamm in der ersten Ankunft, ein Löwe in der letzten, ist Er in der zweiten ein hingebender Freund“ (ebd.). Aus dem dreifachen Geheimnis des Advents ergibt sich sodann auch eine dreifache Bedeutung des Weihnachtsfestes. Das alljährliche Fest, am 25. Dezember, ist demnach: 1. der Gedächtnistag der „ersten Ankunft“ Christi in Bethlehem. 2. der Tag Seiner alljährlichen „zweiten Ankunft“ in der gnadenhaften Liebe. Und 3. der Platzhalter für den Tag Seiner „dritten Ankunft“ zum Gericht in unserer Todesstunde.

Die Jungfrauenparabel

Im Matthäusevangelium finden wir in die große endzeitliche Rede Christi, von der wir heute und schon am letzten Sonntag einen kleinen Auszug gehört haben, fünf Gleichnisse eingeflochten, die den Aposteln damals und auch uns heute, eben jene „dritte Ankunft“ des Herrn veranschaulichen sollen. Eines davon – nämlich das „Gleichnis von den zehn Jungfrauen“ – wollen wir zu Beginn dieser Adventszeit eingehender betrachten. In dieser bekannten Jungfrauenparabel ist die Wiederkunft Christi mit den Gebräuchen einer altorientalischen Hochzeit verwoben. Der Bräutigam zieht mit seinen Freunden abends zum Haus der Braut, wo er von deren Freundinnen in einem Lampenzug – vergleichbar etwa mit einem heutigen Fackelzug – empfangen werden soll. Vom Elternhaus der Braut führt der Bräutigam sodann seine Gemahlin, unter Begleitung aller Gäste, im Lichtschein der Öllampen in einem feierlichen Hochzeitszug durch die Nacht, heim in sein Haus, wo der Hochzeitssaal zur Festfeier bereitet ist.

Das Gleichnis hebt an mit den Worten: „Das Himmelreich gleicht zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und auszogen dem Bräutigam entgegen“ (Mt. 25, 1). Was auffällt ist, daß Christus in der Erzählung von den Jungfrauen Sein Kommen nicht so sehr mit dem des furchtbaren Weltenrichters vergleicht, sondern mit dem eines Bräutigams. Und zwar als Bräutigam der Gesamtkirche (vgl. Offb. 21, 2-9) und der einzelnen gläubigen Seele. Die Braut wird in der Parabel gar nicht persönlich genannt. Sie ist vertreten in ihren Freundinnen, von denen jede in einem geistigen, bräutlichen Verhältnis zum göttlichen Bräutigam steht. Die katholische Kirche mit ihren gläubigen Kindern ist sozusagen die „Sammelbraut“ des einen gottmenschlichen Bräutigams. Die Zahl „zehn“ versinnbildet dabei die Gesamtheit der Gläubigen in dieser Weltzeit. Um Jungfrauen handelt es sich, weil alle Katholiken durch das Bad der Taufe gegangen sind, und dabei die Gewänder ihrer Seele im Blut des Lammes gewaschen und weiß gemacht haben (vgl. Offb. 7, 14). Alle zehn Mädchen tragen irdene, schön geformte Lämpchen in Händen. An einer schnabelartigen Ausbuchtung steckt der Docht mit der brennenden Flamme.

Doch das Gleichnis unterscheidet zwei Gruppen von Jungfrauen: „Fünf von ihnen aber waren töricht und fünf klug“ (Mt. 25, 2). Diese Aufteilung will nicht mathematisch, sondern symbolisch verstanden werden. Im Schoß der Kirche finden sich kluge und törichte Seelen; solche, die den Sinn des zeitlichen Lebens verstanden, und solche, die ihn nicht verstanden haben. Keineswegs darf man aber daraus die Verdammung der Hälfte der Christenheit folgern! – Worin aber besteht nun die Torheit der einen? „Die törichten nämlich nahmen zwar ihre Lampen mit sich, aber kein Öl. Die klugen aber nahmen mit ihren Lampen auch Öl mit in den Krügen“ (Mt. 25, 3 f.). Die Törichten hatten nur ihre kleinen Lämpchen mit Öl gefüllt, obwohl sie doch wissen mußten, daß sich ein Hochzeitsempfang und der anschließende Festzug durch die Nacht sehr in die Länge ziehen kann. Sie waren also nicht vorausschauend und hatten es versäumt sich einen entsprechenden Ölvorrat zu besorgen, wie sie es die klugen Gefährtinnen tun sahen, deren Beispiel sie nur hätten nachahmen brauchen. Stattdessen hatten sie diese wegen ihrer übereifrigen Vorsorge womöglich sogar verlacht, daß sie es sich antun wollten, auch noch eigens ein beschwerliches, unhandliches Krüglein zur Reserve mitzuschleppen.

Das kostbare Lampenöl

Als „töricht“ werden hier jene Seelen beschrieben, die sich nur für den Augenblick, für das rein Äußerliche und für den bequemsten Weg begeistern lassen. Sie verlieren sich in weltliche Zerstreuung und in eitlem Wohlgefallen vor sich und vor den Menschen. Ihr Glaube ist lediglich auf steinigen Grund gesät; kann deshalb keine feste Wurzel ausbilden, keine Bodentiefe erreichen und auch keine saftigen Früchte zeitigen. Denn wie das Öl der Saft der Früchte ist, so ist die übernatürliche Gottes- und Nächstenliebe der Saft unserer guten Werke, die wir aus dem Glauben heraus wirken. Um dieses kostbare Lampenöl zu bereiten, sind, gemäß der Auslegung der hl. Kirchenväter, folgende Zutaten notwendig: besonders sind es die Werke der Barmherzigkeit und des Almosengebens; sodann die Werke der Abtötung und der Buße; das Leben in innerlicher Sammlung, sowie Nachtwachen und Gebet. – Origenes bezieht das Öl außerdem auf „die Worte des Unterrichts, womit die Gefäße der Seelen angefüllt werden. Denn nichts kräftigt den Glauben so, als eine Predigt, die das Öl des göttlichen Lichtes reicht“ (tract. 32 in Matth.). Wie das Öl die Flamme nährt, so nährt die Predigtverkündigung das Licht des Glaubens. – Der hl. Augustinus betont ferner, in Anlehnung an den 44. Psalm, vor allem die Freude als notwendigen Bestandteil der Öl-Rezeptur. Im Psalm heißt es: „Es salbe dich dein Gott mit dem Öl der Freude“ (Ps. 44,9). Der hl. Kirchenlehrer macht daraus die Anwendung, daß es nicht genügt, die gebotenen Tugendwerke aus rein äußerlichem Pflichtbewußtsein zu verrichten. Man müsse sie in jenem freudigen Eifer tun, der allein Gottes Wohlgefallen sucht. – Schließlich kommt hinzu, daß das Öl der Liebeswerke in einem unscheinbaren Krug mitgetragen werden muß. D.h. unsere guten Werke müssen, im Innern unseres guten Gewissens, vor dem Lob der Menschen verborgen werden. Der hl. Augustinus sagt: „Wer sich also nicht darum freut, daß er Gott innerlich gefällt, hat kein Öl bei sich. Denn er hat keine Freude weil er beständig nur im Lob der Menschen lebt. Die klugen aber haben Öl zusammen mit den Lampen, d.h. die Freude der guten Werke, in ihren Krügen, d.h. im Herzen und im Gewissen, weil der Apostel ermahnt: ‚Der Mensch prüfe sein eigenes Tun, und sodann mag er Ruhm vor sich selber haben und nicht vor den Menschen.‘ (Gal. 6, 4)“ (de verb. D. serm. 22). Und der hl. Papst Gregor d. Gr. sagt: „Es gibt viele, die enthaltsam leben, ihre sinnlichen Neigungen bezähmen und ihre ganze Freude am Geistigen haben, die ihr Fleisch kreuzigen und wahres Heimweh nach dem himmlischen Vaterland fühlen, ewigen Lohn erstreben und für all ihre Mühen kein Menschenlob verlangen. Diese suchen ihre Ehre nicht im Geschwätz der Menschen, sondern verbergen sie in ihrem Innersten. – Es gibt aber auch viele, die zwar in Enthaltsamkeit leben, für ihre Enthaltsamkeit aber nur das Lob der Menschen suchen“ (hom. 12 in evang.). Man bemühe sich also bei allen guten Werken, derer wir uns in dieser Adventszeit befleißigen, stets um die reine Absicht, Gott und Gott allein dabei gefallen zu wollen. Alles andere wäre töricht.

Tod, du Schlafes Bruder

Weiter heißt es im Gleichnis: „Als aber der Bräutigam ausblieb, nickten alle ein und schliefen“ (Mt. 25, 5). Für gewöhnlich kannte man den Weg, auf dem der Bräutigam heranzog und konnte sich ungefähr den Zeitpunkt seines Eintreffens ausrechnen. Nicht so bei unserem göttlichen Bräutigam. Mit einem „Dieb in der Nacht“ hat Er sich verglichen (vgl. Offb. 16, 15) und Seine Jünger ermahnt: „Ihr wißt weder den Tag noch die Stunde“ (Mt. 25, 13). „Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr es nicht vermutet“ (Mt. 24, 44). Der Durchschnittschrist muß sich auf ein längeres Wachen und Warten einstellen. Er muß für gewöhnlich ein mehrere Jahrzehnte währendes Leben „durchwachen“ und darf dabei im religiösen Eifer nicht erlahmen.

Das Einnicken und Einschlafen aller Jungfrauen, mag durchaus auch als Mahnung an die Selbst-„Klugen“ aufgefaßt werden, sich nicht in allzu selbstgefälliger „Klugheit“ den Mitmenschen gegenüber in der Tugend überlegen und sicher zu fühlen, als könnte nicht ein unvorhergesehener Windstoß auch ihre „Lampe“ auslöschen. Gerade das Leben eifriger Christen muß vorzüglich ein stetes Wachen, ein täglich neues Ausschauhalten, ein anhaltendes, liebendes Sehnen nach dem himmlischen Bräutigam sein. Einer wahrhaft liebenden Seele kann das Warten und Wachestehen eigentlich nie langweilig und einschläfernd werden. – Eben deshalb ist der Schlaf der zehn Jungfrauen – es schlafen ja auch die klugen ein – wohl weniger auf ein Nachlassen der Frömmigkeit, oder auf ein Eindämmern in die Fieberträume der Sünde hin zu deuten, sondern vielmehr auf den Todesschlaf, der jeden Menschen eines Tages erfassen wird. Der Tod, des Schlafes Bruder, ereilt ja unterschiedslos sowohl Sünder wie Heilige, Lasterhafte wie Tugendhafte, Nachlässige wie Eifrige, Törichte wie Kluge. So entschliefen also alle zehn Jungfrauen gleichermaßen.

„Der Bräutigam kommt!“

Plötzlich aber wird das Schweigen mitten in der Nacht zerrissen: „Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: ‚Seht, der Bräutigam! Kommt heraus, ihm entgegen!‘“ (Mt. 25, 6). Frohes Jauchzen und Singen erhebt sich allüberall, nachdem die Posaune der Gerichtsengel erschallt ist, wissen wir doch vom hl. Paulus: „Plötzlich, in einem Augenblick, beim Schall der letzten Posaune – denn erschallen wird die Posaune – und die Toten werden unverweslich auferstehen, und wir werden verwandelt werden“ (1. Kor. 15, 52). Bis in die Tiefen der Ozeane, der Gräber und Grüfte wird der Schall der Gerichtsposaune dringen und die längst zu Staub Zerfallenen zur Auferstehung rufen.

Um Mitternacht wird das geschehen. Denn schon der hl. Hieronymus bezeugt uns die altchristliche Auffassung, daß Christus zum Weltgericht wirklich um Mitternacht erscheinen werde. Diese Annahme stützt sich darauf, daß Christus bei seiner „ersten Ankunft“ in Bethlehem zur mitternächtlichen Stunde geboren wurde und auch, daß schon zuvor das Gericht über Ägypten und die Erlösung der Hebräer aus der Knechtschaft des Pharao zur selben nächtlichen Zeit vonstatten ging (vgl. Ex. 12, 29-31). Das war im übrigen auch der tiefere Grund, warum die Christen der ersten Jahrhunderte ihre Vigilien vor den großen Herren- und Apostelfesten bis zur Mitternacht ausdehnten und diese Praxis, durch die Jahrhunderte hindurch, in den Klöstern fortlebte. Damit sie nämlich vom Bräutigam bei Seinem Kommen nicht schlafend sondern wachend vorgefunden würden, begaben sich die Mönche und Nonnen einst um Mitternacht in den Chor ihrer Klosterkirchen, um dort einen beträchtlichen Teil ihres Offiziums, gleich einem Jungfrauenchor, zu singen. Von den zehn Jungfrauen heißt es weiter: „Da standen alle jene Jungfrauen auf und machten ihre Lampen zurecht“ (Mt. 25, 7). Mit einem Mal wird es also wieder lebendig unter den Jungfrauen. Jede sucht ihre Lampe und schaut, ob sie noch brennt. Jetzt lohnt sich die vorausschauende Klugheit der fünf. Sie können aus ihren Krügen nachfüllen, so daß der erlöschende Docht wieder hell aufleuchtet. Die Törichten hingegen befällt ein großer Schrecken, als sie sehen, daß ihre Lampen erloschen sind. Ihre bequeme Saumseligkeit rächt sich jetzt. Sie möchten ihre Lampen bei ihren klugen Kameradinnen nachfüllen. Doch sie werden von diesen, die auch jetzt „klug“ sind, abgewiesen: „Es wird unmöglich für uns und euch reichen. Geht lieber zu den Krämern und kauft euch!“ (Mt. 25, 9). Die Antwort der Besitzenden klingt zunächst sehr unchristlich. Sie weigern sich zu teilen und sorgen scheinbar nur für sich selbst. – Doch ist das wirklich so? Mit dem Eintreffen des Bräutigams beginnt ja jetzt erst der eigentliche Fackelzug zum Hochzeitssaal. Wenn die Klugen den Törichten von ihrem Öl gäben, so würden die Lichter aller zehn Jungfrauen auf halber Strecke ausgehen. Der ganze Zug stünde mit einem Mal im Finstern da und der Zorn des Bräutigams darüber wäre berechtigt. Es ist also nicht Hartherzigkeit, wenn die klugen Jungfrauen ihre Gefährtinnen auf die Händler verweisen, sondern abermals vorausschauende Klugheit.

Endzeit = Ende der Zeit

„Welche Lehren sollen wir daraus ziehen?“, so fragt der hl. Johannes Chrysostomus, und gibt zur Antwort: „Daß uns dort drüben, wenn uns unsere Werke im Stiche lassen, niemand wird beistehen können, auch wenn er wollte, weil er eben dazu nicht imstande ist. So war es denn auch eine Unmöglichkeit, wozu die törichten Jungfrauen ihre Zuflucht nahmen“ (in Matth. hom. 78), als sie ihre klugen Gefährtinnen um ihr Öl baten. Und auch der hl. Hieronymus merkt dazu an: „Am Tage des Gerichtes können die Tugenden der einen die Sünden der anderen nicht mehr aufwiegen.“ Das ist der Kern der Parabel; und auch der Kern des Advent dieses irdischen Lebens. Es geht in dem Gleichnis eben nicht um Verständ­nis, Teilen und Mitleid, sondern es ist eine End-Zeit-Parabel. Am Ende zählt nur das Bereitsein und nichts anderes, wie uns durch das schauerliche Beispiel der törichten Jungfrauen sogleich vor Augen geführt wird.

Denn die Törichten eilen zu den Krämern. Jetzt, wo es zu spät ist, wollen sie tätig werden. Wer sind die Krämer? Es sind nach dem hl. Johannes Chrysostomus die Armen und Bedürftigen, bei denen man um den Preis der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit das Öl der übernatürlichen Liebe erwerben kann. Doch mit der allgemeinen Auferstehung gibt es keine Hilfebedürftigen mehr. Es fehlen die Gelegenheiten Barmherzigkeit zu üben. Gerade während der vergeblichen Suche nach den Krämern nimmt das Gericht Gottes über die Unklugen seinen Lauf. Nicht nur, daß es den Törichten unmöglich ist bei den Krämern Öl zu erwerben – das Evangelium berichtet auch nichts davon – sie versäumten währenddessen den Bräutigam, der just eintraf, als sie weggegangen waren, um zu kaufen. Und bis sie ihm sodann in tiefer Finsternis hinterher gestolpert waren, fanden sie das Portal zum Festsaal bereits verschlossen vor und das Fest in vollem Gange – ohne sie.

„Herr, Herr, tu uns auf“ (Mt. 25, 11), rufen sie unter lautem Pochen. So haben sie es in ihrem irdischen Leben oft gerufen – „Herr, Herr“ – haben aber nicht getan, was der Herr wollte. Dabei lehrte doch auch sie der göttliche Bräutigam: „Nicht jeder, der zu Mir sagt: ‚Herr, Herr‘, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen Meines Vaters tut. Viele werden an jenem Tage zu Mir sagen: ‚Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt, in Deinem Namen Dämonen ausgetrieben und in Deinem Namen viele Wunderwerke vollbracht?‘ Alsdann werde Ich ihnen erklären: ‚Ich habe euch niemals gekannt. Weichet von Mir ihr Übeltäter!‘“ (Mt. 7, 21-23). Genau diese schrecklichen Worte Christi schwingen mit, wenn es im Gleichnis aus dem Inneren des Festsaales herausschallt: „Ich kenne euch nicht!“ (Mt. 25, 12).

Ja, wenn die „Endzeit“ gekommen ist; sei es im Tod des Einzelmenschen, oder am Jüngsten Tag für die gesamte Menschheit, dann ist tatsächlich keine Zeit mehr, ist doch gerade das „Ende der Zeit“ gekommen. Entweder ist man dann bereit und gerüstet, oder man ist es nicht. Versäumtes kann dann nicht mehr nachgeholt werden. Was geistig verschlafen worden ist, kann in letzter Sekunde nicht mehr aufgeholt werden. Um Fehlendes zu ersetzen ist keine Zeit mehr. – Darum lautet die Advent-Forderung: Seid wachsam und stets bereit! Das gilt für jeden Katholiken. Es ist gefährlich, die Bereitung zum Jenseits hinauszuschieben. Denn vielleicht ist später keine Zeit mehr, um seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Der Mensch kann plötzlich sterben, schon in jungen Jahren. Er kann durch Gewalt, Unfall, Schlaganfall, plötzlichem Herztod oder sonstwie aus dem Leben gerissen werden. Und selbst wenn er noch kranke Tage auf seinem Sterbelager verbringt, so hat er dann vielleicht nicht mehr die geistige Kraft, sich umzustellen, sich zu sammeln, zu bereuen, zu beten; weil er es ja zeitlebens gar nicht gewohnt war. Er braucht die letzten Kräfte, um das Kranksein zu ertragen und den körperlichen Kampf gegen den würgenden Tod zu führen. Außerdem ist es doch auch Gottes unwürdig, wenn man die Vorbereitung auf die Ewigkeit auf die Tage des Alters verschiebt, um bloß noch den kläglichen Rest seines Lebens Gott zu weihen.

Der Bräutigam kommt!

Nutzen wir stattdessen diesen Advent als eine Zeit, in der wir uns auf das Kommen unseres Herrn, am Ende unseres Lebens, ernsthaft vorbereiten. Unser ganzes Leben ist ja ein Advent hinsichtlich der „dritten Ankunft“ des Herrn. Das Erlösungswerk Christi ist noch nicht vollendet. Unser Bräutigam ist zwar bei Seiner „ersten Ankunft“ Mensch geworden. Er hat Sein Blut um unserer Sünden willen vergossen und ist am Kreuz für uns gestorben. Er ist auferstanden und nun zur Rechten Gottes erhöht. Aber die Erlösung ist noch nicht vollendet, weil wir Christus noch nicht vollständig angezogen haben. Dazu reicht Er uns als wahrer Freund in dieser Bereitungszeit das jungfräuliche Gewand Seiner Gnade. Legen wir also ab die Werke der Finsternis: Schwelgereien und Trinkgelage, Unzucht und Ausschweifung, Zank und Eifersucht (vgl. Röm. 13, 13).

Machen wir uns daran das Öl der Freude und der übernatürlichen Liebe zu bereiten. Noch einmal seien die kostbaren Zutaten genannt: Es sind die Werke der leiblichen und der geistigen Barmherzigkeit, die Werke der Abtötung und der Buße, das Leben innerlicher Sammlung und des Gebetes. Wenn wir das Öl unserer guten Werke sodann vor den Menschen verborgen pressen, mit dem Krug eines freudigen Herzens aufzufangen und dort allein für Gott aufzubewahren wissen, dann wird sich ein schöner Vorrat sammeln. Dann sind wir, wie die fünf klugen Jungfrauen, in adventlicher Wachsamkeit stets bereit für den Augenblick, wenn der Bräutigam in der Stunde unseres Todes kommt. In manchen Klöstern soll der Brauch bestanden haben, sich auf den Gängen immer dann, wenn ein Mitglied der Hausgemeinschaft im Sterben lag, um sich die Vorgänge im Sterbezimmer zu vergegenwärtigen, freudig mit den Worten zu grüßen: „Seht, der Bräutigam kommt! Auf, Ihm entgegen!“

So müssen auch wir den „Tag des Herrn“ herbeisehnen, wie die Kinder die Bescherung am Heiligen Abend. In manchen Familien besteht ja noch der Brauch, daß die Wohnzimmertür am Heiligen Abend fest verschlossen ist, und die Kinder vor der Tür im Dunkeln oder bei Kerzenlicht warten müssen, bis endlich das helle Glockenzeichen erklingt. Dann aber öffnet sich die Tür mit einem Mal und die Kinder werden hereingerufen in den weihnachtlich geschmückten, funkelnden Festsaal, wo sie mit staunend großen Augen, das ersehnte Geschenk in Empfang nehmen dürfen. Auch wir warten im Dunkel dieser Weltzeit, bis sich unter dem Klang der hellen Totenglocke die Pforten der Ewigkeit auftun und wir von Christus in den himmlischen Festsaal hineingerufen werden: „Kommt zu Mir ihr gesegneten Meines Vaters. Nehmt das Reich in Besitz, das von Anfang der Welt für euch bestimmt ist“ (Mt. 25, 34). Und mit staunen werden wir eintreten in die Pracht des himmlischen Hochzeitssaales und dort „das Geschenk“ schlechthin empfangen, das ja durch all die materiellen und irdischen Weihnachtsgeschenke schattenhaft vorgebildet werden soll. Als Gottes Kinder werden wir alles Bisherige darüber vergessen – „Gott wird alle Tränen von ihren Augen trocknen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Klage, noch Schmerz wird mehr sein“ (Offb. 21, 4). Auch werden wir uns in Ewigkeit nicht sattsehen können an der unvorstellbaren, und unüberbietbaren Gabe Gottes, denn „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, und was in keines Menschen Herz gedrungen ist, das hat Gott denen bereitet, die Ihn lieben“ (1. Kor. 2, 9) – Sich Selbst.

Die Anführerin des himmlischen Jungfrauenchores

Wer könnte uns schließlich eine sicherere Anführerin auf dem Weg zum himmlischen Hochzeitsfest sein, wenn nicht die „Königin der Jungfrauen“? Wen sonst, als die allerseligste Jungfrau Maria, die „Jungfrau der Jungfrauen“, sollten wir uns als unfehlbare Führerin durch die Finsternis dieses Weltadvent erwählen? Wer sich ihr im Gebet des Angelus und durch den Rosenkranz anschließt, der wird unter ihrer klugen Leitung, stets genug Gelegenheiten finden – und auch nutzen können – um das Öl der übernatürlichen Liebe zu vermehren. Maria ist ja die „Braut des Heiligen Geistes“ und trägt damit das göttliche Salböl selbst in dem nie versiegenden Krüglein ihres unbefleckten Herzens.

Wenn Maria in einer Seele Wurzeln geschlagen hat, wirkt sie dort Wunder der Gnade, wie nur sie es vermag. Maria hat im Verein mit dem Heiligen Geist das Größte hervorgebracht, was es je gegeben hat und geben wird, nämlich den Gott-Menschen Jesus Christus zu Seiner „ersten Ankunft“. Daher wird Maria auch in den Seelen derer, die sich ihr ganz hingeben, auf geheimnisvolle Weise Christus – den Gesalbten – ein weiteres Mal in Seiner „zweiten Ankunft“ nachbilden.

Wer aber selbst vom Salböl der göttlichen Gnade Christi erfüllt ist, der braucht nicht zu befürchten, daß er bei der „dritten Ankunft“ in der Todesstunde, mit erloschener Liebesflamme, gleichsam als ein Tor erfunden werden würde. – Nein, freudig wird eine solche Seele im Reigen Mariens zusammen mit den klugen Jungfrauen rufen: „Seht, der Bräutigam kommt! Auf, Ihm entgegen!“ Amen.

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