19. Sonntag nach Pfingsten
Der Aufstieg zur Weisheit – 3. Teil: Die Gabe der Stärke
Geliebte Gottes!
Vor einigen Wochen hatten wir damit begonnen, unter der Führung des hl. Augustinus den vom Propheten Isaias vorgezeichneten Weg zum Gipfel der Weisheit mit Hilfe der sieben Gaben des Heiligen Geistes zu erklimmen. Dabei haben wir bereits die drei ersten Gaben genauer kennengelernt: die Gabe der Gottesfurcht, die Gabe der Frömmigkeit und die Gabe der Wissenschaft. Diese drei unterstützen vor allem die Bekehrung der Anfänger, die sich aus dem Tal der Sünde und des Todes durch die Rechtfertigung im Tauf- oder Bußsakrament erhoben haben; die das „alte Leben“ der Todsünde hinter sich gelassen und statt dessen ein „neues Leben“, das Gnadenleben, das „ewige Leben“ begonnen haben. Noch ist die übernatürliche Liebe in ihnen zart und schwach. Deshalb müssen die Kleinsten in der Gottesliebe vor allem darauf bedacht sein, alles hinweg zu räumen, was mit der übernatürlichen Liebe unvereinbar ist. In dieser ersten Phase des übernatürlichen Lebens müssen sie sich reinigen; nicht nur von der Todsünde, sondern auch von der freiwilligen läßlichen Sünde, von den Gelegenheiten zur Sünde und von der verführerischen Anziehungskraft der Geschöpfe. Die Seelen auf dem Reinigungsweg müssen sich sorgen und plagen, daß das übernatürliche Gnadenleben nicht durch die ungeordnete Zuneigung zum Geschöpf wieder aus ihrem Herzen verdrängt wird. Der Heilige Geist begleitet und unterstützt diese erste Läuterung durch die erwähnten drei Gaben: Die Gottesfurcht läßt die Seele vor der Sünde zurückschaudern. Die Frömmigkeit nährt und vermehrt die bisher noch sehr kalte, sterile und oberflächliche Gottes- und Nächstenliebe. Die Gabe der Wissenschaft belehrt die Seele, wie die geschaffenen Dinge im Lichte Gottes richtig zu bewerten und zielführend zu gebrauchen sind.
Die „zweite Bekehrung“
Hat sich die Seele auf diesem Weg bewährt und einen gewissen Grad der Läuterung von der Eigenliebe und der Unwissenheit erreicht, so hat sie eine mehr oder weniger deutlich erkennbare Prüfungsphase zu durchlaufen; eine zumeist schwere Krise, während der Gott sich scheinbar von der Seele zurückzieht, indem Er ihr die süße Milch der fühlbaren Tröstungen entzieht. Außer dem unbestrittenen Nutzen für den Anfänger haben die fühlbaren Tröstungen nämlich durchaus auch so manches Übel im Gefolge: Die vom fühlbaren Trost ergriffene Seele neigt dazu natürliche Regungen fälschlich für göttliche Eingebungen zu halten; ihr Eifer ist zu ungestüm; sie hält sich für frömmer, als sie tatsächlich ist. Deshalb müssen ihr die Tröstungen entzogen werden; nicht immer zur Strafe, sondern zur Vervollkommnung. In dieser Phase der inneren Trockenheit, die oft begleitet ist von starken Versuchungen und einem großen Widerwillen gegen die Werke der Frömmigkeit, muß die Seele beweisen, ob sie auch ohne den Lohn des fühlbaren Trostes und der wonnevollen Gottinnigkeit in unverbrüchlicher Treue fortfährt, auf dem eingeschlagenen Weg voranzuschreiten. Diese Prüfung der passiven Reinigung der Sinne durchlaufen nicht alle frommen Seelen gut. Viele fallen durch ihre eigene Nachlässigkeit in alte Muster zurück, werden lau und bleiben in ihrer geistlichen Entwicklung auf der Strecke. Die Seelen, die sich jedoch durch Treue auszeichnen, durchschreiten die „Nacht der Sinne“ an deren Ende die sog. „zweite Bekehrung“ steht. Diese zweite Bekehrung markiert gleichzeitig den Eintritt in den zweiten Abschnitt des Aufstiegs zur Vollkommenheit. Sie ist der Beginn des Weges der Erleuchtung.
Der Weg der Erleuchtung
Mit dem Eintritt in den Erleuchtungsweg lassen wir, um bei unserem Bild von der Bergbesteigung zu bleiben, gleichsam die Baumgrenze unter uns zurück. Solange die Seele auf dem Reinigungsweg war, hatten die hohen Wipfel der geschaffenen Dinge und die Schatten der Leidenschaften den Weg verdunkelt und nur wenig von dem göttlichen Licht in die Seele hineinstrahlen lassen. Mit der „zweiten Bekehrung“ ist der mächtige Einfluß des Sinnlichen auf Wille und Verstand gebrochen. Aber die Seele ist noch immer zur Sünde fähig, und zwar zur Sünde der Engel.
Darum versenkt Gott nach Überstandener Sinnesnacht den menschlichen Geist abermals in Nacht und Dunkelheit. Aber auf ganz eigenartige Weise. Er entzieht der Seele nichts. Im Gegenteil: Er gibt ihr Licht! Er gibt ihr Erleuchtung! Es wird vor den Augen der Seele ganz hell. Es ist wie wenn man aus der Dunkelheit eines dichten Waldes heraus ins grelle Licht der Sonne tritt. Die Augen sind geblendet und schmerzen sogar. Diese übernatürliche Helligkeit beleuchtet ein so schreckliches Bild, daß die Seele von seinem Anblick wie gebannt ist und scheinbar nichts anderes mehr zu sehen vermag. Es ist das Bild ihrer eigenen Niedrigkeit, Erbärmlichkeit und Sündhaftigkeit. Sie erkennt sich in einer noch nie zuvor dagewesenen Klarheit; ihre eigene Unvollkommenheit; die gewaltige Anstrengung, die noch notwendig ist, um Gott wirklich vollkommen zu dienen und Ihm allein zu gefallen. Die im Lichte Gottes gewonnene Selbsterkenntnis hat eine große Verunsicherung der Seele zur Folge. Sie ist verwirrt, erscheinen ihr doch selbst die kleinsten Fehler, die sie jetzt an sich wahrnimmt, als riesengroß vor der Heiligkeit Gottes, weshalb sie oft ratlos und ängstlich ist.
Zur Unterscheidung der Geister und um weiter voranschreiten zu können, bedarf die Seele einer besonderen Stärkung und Führung. Dazu muß der Heilige Geist eingreifen und tut es durch die beiden Gaben der Stärke und des Rates. Die Gabe der Stärke und die Gabe des Rates, die zwar auch auf dem Reinigungsweg schon manchmal hintergründig tätig geworden sein mögen, sind für die Seele auf dem Erleuchtungsweg von größter Bedeutung und gelangen hier zur vollen Entfaltung.
Die Gabe der Stärke
Für heute wollen wir uns nur dem Einfluß der vierten Geistesgabe zuwenden, der „Gabe der Stärke“. Der hl. Augustinus sagt: „Auf der vierten Stufe, gibt es Arbeit, wo man sich heftig anstrengt, damit sich der [menschliche] Geist von den Dingen losreißt, in die er wegen ihrer krankmachenden Süßigkeit verstrickt ist“ (De Serm. Dom. in mont. I, 3). Aufgrund dessen versichert uns der hl. Paulus: Es „nimmt sich aber auch der [Heilige] Geist unserer Schwachheit an“ (Röm. 8, 26).
Die lichtvolle Selbsterkenntnis allein und die Trauer über unsere ungeordnete Liebe zu uns selbst, lösen uns noch nicht von derselbigen los. Es bedarf einer großen sittlichen Anstrengung sich loszureißen von Selbstgefälligkeit, Bequemlichkeit und falschen Kompromissen. Das muß von unserer Seite aus aktiv in Angriff genommen werden, vor allem durch die Übung der Tugend des Starkmutes. Weil der Starkmut zur vollkommenen Loslösung jedoch nicht ausreicht, erfährt die Tugend ihre Vervollkommnung durch die „Gabe der Stärke“.
Die Seele wird durch den Heiligen Geist von oben her erfaßt und mit einer besonderen Herrschaft über den Willen ausgestattet, um den geistigen Feinden ihres Heiles, also den Irrtümern des Verstandes und dem Stolz des Willens, zu trotzen. Ferner befähigt der Gottesgeist die Seele jene sich auftürmenden Ängste und Befürchtungen zu überwinden, die sie zu ängstigen und zu entmutigen suchen und hinter denen sich nicht selten eine finstere Macht verbirgt, die weit größer ist, als die der Leidenschaften und des Fleisches. Der hl. Petrus mahnt vor dieser einschüchternden bösen Macht eindringlich zu Stärke und Standhaftigkeit: „Seid nüchtern und wachsam, denn euer Widersacher, der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Widersteht ihm standhaft im Glauben“ (1. Petr. 5, 8 ff.). Der Löwe brüllt: Das schaffst du nie! Das ist zu schwer für dich! Nie wirst du diese oder jene Sünde, diesen oder jenen Fehler besiegen! Denke an die furchtbaren Opfer, die du dazu bringen müßtest! Das ist doch viel zu viel, was dazu verlangt wäre! usw. Die Furcht schrickt zurück vor der Schwierigkeit, dem Übel, dem Leid. Sie glaubt es nicht überwinden zu können und möchte es doch nicht auf sich nehmen. Sie veranlaßt den Menschen dadurch, das Gute zu unterlassen und der Schwierigkeit aus dem Weg zu gehen.
Mit der Tugend des Starkmutes allein kann in der Seele ein gewisses Zaudern, eine gewisse Furcht vor Hindernissen und Mißerfolgen bestehenbleiben. Die Gabe der Stärke aber verleiht sichere Entschiedenheit, Freude und zuversichtliche Hoffnung auf Erfolg. Dabei schaut die Seele nicht einzig auf ihre eigene Kraft, sondern baut auf die Hilfe Gottes, auf die „Kraft aus der Höhe“, die ihr zu Hilfe kommt. Der Beweggrund der Tugend des Starkmutes ist das sittlich Ehrenhafte. Der Beweggrund der Gabe der Stärke ist das letzte Ziel – nämlich Gott. Der Blick auf das ewige Ziel läßt sie festgewurzelt sein in Gott, wie es der hl. Paulus den Ephesern wünscht: „Der Vater unseres Herrn Jesus Christus … verleihe euch, daß ihr dem inneren Menschen nach mit Kraft gestärkt werdet, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne; und ihr in der Liebe festgewurzelt und gegründet seid“ (Eph. 3, 16 f.) Aus dem Festgewurzelt-Sein in Gott fließt der Seele durch die Gabe der Stärke, sowohl Tatkraft, als auch Leidenskraft zu.
Weil die Gabe der Stärke unerläßlich im geistlichen Kampf ist, deshalb befahl Christus den Aposteln erst die Ankunft des Pfingstgeistes abzuwarten, bevor sie aufbrechen sollten, um die Welt zu missionieren: „Ihr aber bleibt in der Stadt, bis daß ihr ausgerüstet seid mit der Kraft aus der Höhe.“ (Lk. 24,49). Die Gabe der Stärke läßt den Menschen göttlich handeln, mit göttlicher Kraft und mit göttlicher Zuversicht. Ihre Kraft kann darum nicht versagen, sie kann nicht unterliegen, sie erreicht unfehlbar ihr Ziel. Sie handelt ja göttlich. So ausgerüstet konnte der hl. Stephanus in unbezwingbarer Stärke seinen Gegnern standhalten: „Stephanus aber, [war] voll Gnade und Kraft, … weil er voll des Heiligen Geistes“ (Apg. 6, 8; 7, 55) gewesen ist. Er sah den Himmel offen und tat mutig den Schritt hinein, indem er tapfer den Tod des Blutzeugen annahm und eben dadurch über seine haßerfüllten Feinde triumphierte. Der Katechismus des hl. Pius X. definiert die vierte Gabe des Heiligen Geistes wie folgt: „Die Stärke ist eine Gabe, die uns Kraft und Mut einflößt, das heilige Gesetz Gottes treu zu beobachten und alle Hindernisse und Angriffe unserer Feinde zu überwinden“ (Nr. 922).
Angreifen und Standhalten
Wie schon die Tugend des Starkmutes, so erstreckt sich auch der Einfluß der Gabe der Stärke auf zwei Gebiete, nämlich auf „Angreifen“ und „Standhalten“. Angreifen und standhalten, anpacken und erdulden, selbst unter größten Schwierigkeiten, und das um den Preis von Anstrengungen, die zuweilen heldenhaft sind, das sind die beiden Akte, zu denen uns die Gabe der Stärke befähigt.
„Angreifen“, d.h. nicht mehr nur zu entfernen, was mit der Gottesliebe nicht bestehen kann, sondern darüber hinaus auch jeden Fehler, der ihre Glut mindert, auszumerzen. Angreifen, d.h. ohne Furcht und Zögern die schwierigsten Dinge unternehmen, z.B. in sehr bewegten, unruhigen, aufwühlenden Lebensumständen vollkommen die innere Gottverbundenheit zu bewahren, wie dies der hl. Vinzenz von Paul oder die hl. Teresa von Avila taten. In gefährlicher Umgebung die Keuschheit unversehrt bewahren, wie etwa der hl. Thomas von Aquin und der hl. Karl Borromäus. Trotz aller Ehrungen demütig bleiben, wie der hl. König Ludwig von Frankreich. Den Gefahren, Widerwärtigkeiten, Mühen, ja selbst dem Tod entgegengehen, aus Sorge um das ewige Heil der Seelen, wie ein hl. Franz Xaver auf seinen Missionsreisen. Die Menschenfurcht mit Füßen treten und die Ehren verschmähen, wie ein hl. Johannes Chrysostomus, der trotz seiner mächtigen politischen Feinde, nur eines fürchtete, nämlich die Sünde.
Heldenhaftes Angreifen zeigt sich vor allem in der Ausdauer. Manche fangen zwar kraftvoll an, aber sie bringen das Begonnene nicht fertig. Sie halten nicht durch. – Ein großer Feldherr meinte: „Die besten Truppen sind nicht die, welche im Gefecht am hitzigsten sind, sondern die, welche am ausdauerndsten sind in den Strapazen.“ Am Tag unserer Firmung sind wir zu Soldaten, zu Streitern Christi gesalbt worden. Die Gabe der Stärke befähigt uns das Gottesreich auf Erden auszubreiten.
Neben dem ausdauernden Angriff muß sich der Streiter Christi jedoch auch im „Standhalten“ auszeichnen. Es gehört ja zum Wesen des Christentums, daß wir mit Christus das Kreuz tragen. Das Geheimnis des Kreuzes ist aber die Überwindung der materiellen Übermacht durch die Schwäche des Leidenden. Das Ertragen eines Stärkeren und trotzdem nicht zu versagen, ist schwieriger, als das kraftvolle Anpacken heldenhafter Großtaten und sich dabei in die Gefahr zu stürzen. Denn einmal ist es viel schwieriger, der Schwächere als der Stärkere, der Angegriffene als der Angreifer zu sein. Sodann fühlt der Leidende das Übel gegenwärtig, der Angreifende mehr nur von der Ferne. Endlich zeigt das standhafte Ertragen eine gewisse längere Zeitdauer an, während das Angreifen vielleicht Sache eines Augenblickes ist. Um aber längere Zeit unerschütterlich zu bleiben gegenüber dem Angriff, der Gefahr und der Schmerzen, braucht es mehr Kraft und Stärke, als um sich plötzlich an ein schwieriges Werk heranzuwagen.
Die moderne Welt hat keinen Sinn für das christliche Heldentum der Geduld. Sie spottet über die sogenannten passiven Tugenden – Demut, Geduld und Gehorsam – als über etwas Unterwürfiges, Weichliches und Feiges. Nichts ist unsinniger als das!
Das Leiden ist die große, unleugbare Welttatsache. Wer wollte versuchen, die Krankheit den Hunger, den Tod, die Ungerechtigkeit, den Krieg, die Verleumdung, die üble Nachrede, die Verfolgung aus der Welt zu schaffen! Es gibt wohl Leiden, die man mit Liebe, Eifer und persönlichem Engagement aus der Welt schaffen kann, aber es gibt ebenso Leiden, die allem menschlichen Widerstand spotten. Ob man will oder nicht, man muß sie tragen. Sie gehören zum Leben wie das tägliche Brot, die Luft, das Licht und das Wasser. Das ist der Sinn der „passiven Tugenden“. Sie sind gerade so lebensnotwendig wie die „aktiven“; der Fleiß, die Ehrlichkeit, die Wahrhaftigkeit.
Die Gabe der Stärke tritt folglich nicht am deutlichsten hervor in aufsehenerregenden Großtaten, sondern im Ertragen langer, schmerzlicher Krankheiten und Leiden, wie etwa bei der hl. Dulderin Lidwina oder bei ihrem weitaus bekannteren alttestamentlichen Urbild, dem hl. Dulder Job. Ebenso beim Ertragen seelischer Prüfungen, die manche Seelen bei den passiven Reinigungen durchzumachen haben. Oder nur dabei, um während eines ganzen langen Lebens, entweder im Kloster alle Punkte der Ordensregel tadellos beobachten, oder in der Ehe alle Standespflichten treu erfüllen zu können.
Die Krone des Martyriums
Als die vorzüglichste Wirkung der Gabe der Stärke gilt jedoch das Martyrium. Und das mit Recht, reißt sich doch der Märtyrer von dem, woran er naturgemäß am meisten hängt und was ihm am Kostbarsten ist – nämlich das eigene Leben –, um Gottes willen los, um Christus durch sein Blut zu bekennen; eingedenk der Worte seines göttlichen Meisters: „Wer immer mich nun vor den Menschen bekennen wird, den will Ich auch vor Meinem Vater bekennen, der im Himmel ist. Wer Mich aber vor den Menschen verleugnet, den will auch Ich vor Meinem Vater verleugnen, der im Himmel ist“ (Mt. 10, 32 ff.).
Ein besonders eindrückliches Beispiel der Stärke bot zur Zeit der Reformation der englische Lordkanzler, Thomas Morus. Er wurde von König Heinrich VIII. zum Tod verurteilt, weil er sich weigerte den Suprematseid zu schwören, mit dem er, anstatt des Papstes, den britischen König als Oberhaupt der Kirche Englands anerkennen sollte. Thomas Morus hatte eine wohlsituierte Stellung. Er war verheiratet und er hatte Kinder. Vor seiner Hinrichtung ließ man seine Frau mit ihren Kindern in den Kerker. Zweifelsohne eine große Bewährungsprobe für ihn. Unter Tränen flehte ihn nämlich seine Gattin an: „Hab doch Erbarmen mit mir und deinen armen Kindern. Du machst uns durch deine Unnachgiebigkeit zu Bettlern. Wir könnten noch viele Jahre glücklich miteinander leben.“ Thomas Morus, der damals 55 Jahre alt war, entgegnete: „Wieviele Jahre könnten wir noch miteinander leben?“ Die Frau antwortete: „Jedenfalls noch 20 Jahre, vielleicht auch länger.“ Da erwiderte Morus: „Hättest du einige tausend Jahre in Aussicht gestellt, so ließe sich das noch hören. Aber auch da wäre man ein schlechter Kaufmann, wenn man für einige tausend Jahre eine selige Ewigkeit hingeben würde. Wie töricht wäre es, für ein 20-jähriges Leben das ewige preiszugeben! Ich bleibe daher standhaft. Für euch wird der liebe Gott schon sorgen.“ Thomas Morus starb 1535 unter dem Beil des Henkers. Seine letzten Worte waren: _„Ich sterbe im Glauben der heiligen katholischen Kirche, getreu dem König, getreu meinem Gott.“ _ Die Standhaftigkeit des hl. Thomas Morus zeigt uns, wie in manchen Fällen ein menschliche Kräfte übersteigender Heroismus und das Opfer des eigenen Lebens notwendig (!) werden kann, um der Versuchung zur Todsünde zu trotzen, um den Stand der heiligmachenden Gnade, also das „ewige Leben“, zu bewahren. Das kann nur gelingen durch die Gabe der Stärke.
Die Pflege der Gabe der Stärke
Deshalb dürfen wir es auch bei dieser Gabe nicht versäumen, danach zu fragen, wie wir uns für die Kraft aus der Höhe empfänglich machen können. – Da unsere Kraft nicht von uns selbst kommt, sondern von Gott, so müssen wir uns zu ihrer Erlangung vor allem in der Erkenntnis unserer eigenen Ohnmacht, Schwäche und Unzulänglichkeit üben. Die göttliche Vorsehung bedient sich tatsächlich der schwächsten Werkzeuge. Nur müssen sie sich: 1. ihrer Schwäche bewußt sein; 2. dürfen sie sich nicht auf ihre Kräfte verlassen, sondern sich 3. nur auf Gott stützen, der sie allein stärken kann. Das ist der Sinn der Worte des hl. Paulus: „Was vor der Welt töricht ist, hat Gott auserwählt, um die Weisen zu beschämen, und das vor der Welt Schwache hat Gott auserwählt, um das Starke zuschanden zu machen … um das, was etwas ist, zunichte zu machen damit kein Mensch sich vor Ihm rühme“ (1. Kor. 1, 27 ff.).
Die Rechnung ist also einfach. Solange wir auf uns selbst vertrauen, solange wir an unseren Fähigkeiten Wohlgefallen haben, als hätten wir sie uns selbst zu verdanken, solange wir unsere Erfolge uns selbst zuschreiben; solange wird Gott uns zunichte machen, weil wir, und sei es nur insgeheim, – wie einst die stolzen Engel – glauben, etwas aus uns selbst zu sein, obwohl wir in Wahrheit doch nichts sind. Erst wenn wir aufhören uns zu rühmen, sei es im Vergleich mit anderen oder allein vor uns selbst; erst wenn wir uns selbst als völlig ohnmächtig erkannt haben, sind wir „töricht vor der Welt“ geworden und Gott kann unsere Stärke sein. Welch heiliges Paradoxon! Um stark zu werden, müssen wir in unseren (!) Augen erst schwach, ohnmächtig und töricht sein. Die hl. Kommunion ist hierfür das mächtigste Mittel, wenn wir uns denn darin üben, richtig zu kommunizieren, d.h. so kommunizieren, wie es in den Augen der Welt töricht erscheint. Wie müssen wir dazu kommunizieren? Wir müssen voll des Glaubens sein und in der kleinen weißen Hostie, in unserem so unscheinbar verborgenen Heiland Jesus Christus die alleinige Kraftquelle erblicken, derer wir bedürfen, um egal welches Hindernis zu überwinden. Leider mangelt uns dieser Glaube und deshalb ziehen wir so wenig Stärke aus der hl. Kommunion. Der hl. Chrysostomus sagt von den Christen der Märtyrerkirche, sie seien stark wie Löwen gewesen als sie von der hl. Kommunion kamen, weil sie an der Kraft Christi selbst teilhatten. So fordert er auch uns auf: „Laßt uns von jenem Tische zurückkehren gleich wie Löwen, mit feurigem Atem; dem Satan zum Schrecken“ (In Joan. hom. 56, 3).
Schließlich müssen wir sorgfältig die tausend kleinen Gelegenheiten des Alltags benützen, bei denen man sich durch fortdauernde Bemühung im Starkmut üben kann. Das tun jene, die sich freudig vom frühen Morgen bis zum späten Abend einer bestimmten Tagesordnung unterziehen und sich nicht von ihrer augenblicklichen Laune bestimmen lassen. Die ihre Gebete im Laufe des Tages aufmerksam und gesammelt zu verrichten trachten. Die Schweigen, wenn sie Lust haben zu reden. Die vermeiden, Dinge anzusehen, die unnütz sind und nur ihre Neugier wecken. Die ohne Klage die Rauheit der Jahreszeiten ertragen. Die solchen Menschen, die ihnen unsympathisch sind, freundlich begegnen. Die geduldig und demütig Vorwürfe, die man ihnen macht, annehmen. Die trotz ihrer Leiden stets heiter erfunden werden. Die sich dem Geschmack, den Wünschen, den Eigenheiten der anderen anpassen. Die ohne Reizbarkeit Widerspruch ertragen. Kurz: Die sich bemühen, ihre kleinen Leidenschaften zu besiegen und ihrer selbst Herr zu werden. Und das alles nicht nur einmal vorübergehend, sondern gewohnheitsmäßig; nicht nur geduldig, sondern gern. Das ist schon heldenhaft!
Frucht und Seligkeit der Stärke
Wenn wir nun nach all dem Gesagten, wie wir es schon bei den ersten drei Geistesgaben getan haben, am Baum der „Zwölf Früchte des Heiligen Geistes“ nach dem Ertrag am Ast der „Gabe der Stärke“ suchen, so werden wir dort, ohne große Überraschung, insbesondere die Früchte der „Geduld“ (vgl. Eph. 5,22) finden, weil sich die Stärke vor allem im Ertragen von Widrigkeiten beweist.
Worin aber besteht der beseligende Lohn der Gabe der Stärke? Christus sprach zum seligen Heinrich Seuse: „Die Heiligen sind nicht mehr als andere unempfindlich für Schmerz … aber ihre Seele ist vor jeder Anfechtung sichergestellt, weil sie ja gerade nur das Kreuz sucht und liebt. … Ihr Leib leidet zwar, aber ihre Seele wird trunken von Gott und genießt in der Verzückung ein unaussprechliches Glück.“ Dieses Glück besteht in der zufriedenen Sättigung, den Willen Gottes getan zu haben, wie sie die vierte Seligpreisung verheißt: „Selig, die Hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden“ (Mt. 5, 5). Wir alle kennen es aus eigener Erfahrung, daß wir eine große Zufriedenheit verspüren, wenn wir nach einer großen Anstrengung, nach einem heftigen Kampf, nach einer schweren Prüfung sagen können: Ich habe getan was ich konnte. Ich habe alle Kräfte aufgeboten, um meine Pflicht zu erfüllen. Das Wissen, ein gerechtes Werk getan zu haben, sättigt die Seele. Sie ist der Lohn der Starken. Dazu bemerkt der hl. Augustinus: „Sie werden also gesättigt werden mit der Speise, von welcher der Herr selbst sagt: ‚Meine Speise ist es, den Willen Meines Vaters zu tun‘, das ist die Gerechtigkeit; und mit dem Wasser, von dem Er sagt, daß es in dem, welcher davon trinkt, ‚ein Quell des Wassers sein wird, das in das ewige Leben hinüberfließt.‘ … Hier also hungert und dürstet man nach der Gerechtigkeit; und Stärke ist sehr notwendig. Denn was man mit Lust behält [die Eigenliebe], gibt man nicht ohne Schmerzen auf. … Die Gabe der Stärke entspricht denen, die hungern und dürsten. Denn sie bemühen sich, Freude an den wahrhaft guten Dingen zu finden und ihre Liebe von den irdischen und körperlichen Dingen abzuwenden“ (De serm. Dom. in mont. I). „Daher steigen sie zur Stärke auf, damit ihnen die Welt gekreuzigt sei und sie der Welt; damit in der Verkehrtheit dieses Lebens und dem Übermaß der Bosheit die [übernatürliche] Liebe [in ihnen] nicht erkalte; sondern der Hunger und Durst der Gerechtigkeit ausgehalten werde, bis er zur Sättigung gelangt in jener Unsterblichkeit und Gemeinschaft der Engel und Heiligen“ (Serm. 347).
Nachdem wir die Bedeutung der Gabe der Stärke für das „ewige Leben“ einigermaßen umrissen haben, wollen wir den Heiligen Geist besonders um die Gabe bitten: „Komm, o Geist der Stärke, und nimm von uns ein furchtsames und verzagtes Herz. Stärke uns, daß wir mutig für den Glauben Zeugnis geben und bereit sind, um Christi willen Schmach und Leiden zu erdulden. Festige uns, daß wir in Prüfungen und Schwierigkeiten nicht wankelmütig werden, sondern jedem Ansturm der Finsternis standhalten.“ Amen.