20. Sonntag nach Pfingsten
Der Aufstieg zur Weisheit – 4. Teil: Die Gabe des Rates
Geliebte Gottes!
Als erster Abschnitt des geistlichen Lebens ist der Weg der Reinigung vom Kampf gegen die Sünde und von der Loslösung von den Gelegenheiten zur Sünde geprägt. Als Orientierungshilfe dienen dem Anfänger dabei die Zehn Gebote und die Gebote der Kirche. Sie ziehen mit ihrem „du sollst“ und „du sollst nicht“, „du darfst“ und „du darfst nicht“ eine klare Trennlinie zwischen „Gottesliebe“ und „Sünde“. In dieser scharfen Grenzziehung gibt der Weg der Gebote für die ganze Bandbreite der sittlichen Handlungen das absolute Minimum an. Die Gebote fordern das ein, was zumindest erforderlich ist, um das ewige Leben der göttlichen Gnade in der Seele zu erhalten. Sie verdeutlichen nicht das Ideal, sondern das Minimum.
Das christliche Ideal
Gott will aber nicht nur, daß wir den „alten Menschen“, den „sündigen Adam“, ablegen. Er will nicht nur, daß der Mensch sich von der Sünde bekehre, dann aber das restliche Leben damit verbringe auf dem schmalen Grad zu balancieren, sich alles erlaubend, was gerade keine Todsünde ist, um dann am Ende bloß nicht auf die falsche Seite zu fallen. Nein, Gott will, daß wir uns weiter erheben und den „neuen Menschen“ anziehen, wie es der hl. Paulus sagt: „Erneuert euch in eurer inneren Gesinnung und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph. 4, 23). Wahre Gerechtigkeit und Heiligkeit liegen aber weit über dem Minimum: „Seid heilig, wie euer Vater im Himmel heilig ist“ (Mt. 5, 48), so lautet die Forderung Christi. Der neue, wahrhaft gerechte, heilige und nach Gott geschaffene Mensch hat kein geringeres Vorbild und auch keinen geringeren Maßstab als den Gottmenschen Jesus Christus selbst.
Die Lebenszeit ist uns folglich nicht dazu gegeben, um uns mit dem Minimum zu begnügen, sondern um dem Ideal Christi nachzueifern. Wenn wir uns Gott nähern wollen, dann gibt es nur einen Weg und nur eine Lichtquelle, die diesen Weg beleuchtet: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh. 14, 6), sagt der Herr. „Ich bin das Licht der Welt. Wer Mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh. 8, 12).
Nachdem die übernatürliche Liebe in der Seele soweit erstarkt ist, daß sie gegen den Rückfall in die Todsünde gefestigt dasteht, darf sie sich also noch längst nicht zur Ruhe setzen, wie das jene Katholiken tun, die angesichts des Beichtstuhles sagen: „Ich habe keinen umgebracht, die Ehe nicht gebrochen und auch niemanden ausgeraubt. Was soll ich also beichten?“ Oder wie jene, die bei der Gewissenserforschung denken: „Was tut denn unsereins schon?“ – Beide gehen mit dem falschen Maßstab an die Sache heran, nämlich mit dem Maßstab des Anfängers, des „du sollst“ und „du sollst nicht“; d.h. mit dem Maßstab des Minimalismus. Wer nicht weiß, was er eigentlich beichten soll, der sollte sich an der Liebe Christi messen und fragen: „Habe ich mich genauso verhalten, wie es Christus an meiner Stelle getan hätte? Habe ich getan, was der Liebe möglich ist? Was hätte ich besser machen können?“ Wenn wir so fragen würden, dann würde uns mit einem Mal ganz viel einfallen und wir alle müßten uns an die Brust schlagen. Dann hätten wir alle Tage genug zu beichten. Wer das verstanden hat, daß es darauf ankommt Christus immer ähnlicher zu werden, der hat wieder Ideale. Ob er sie verwirklicht, ist eine andere Frage. Aber er hat wieder das echt christliche Ideal, das ihn vorwärts lockt, uferlos, immer weiter.
Nach durchlaufenem Reinigungsweg sind ja erst die gröbsten Ecken vom Marmorblock abgehauen, die Ähnlichkeit der Seele mit dem Ideal des göttlichen Künstlers ist erst in allgemeinen Umrissen hergestellt. Die Feinarbeit muß jetzt beginnen. Das ist die Hauptaufgabe auf dem Erleuchtungsweg. Dabei muß mit einem feineren Meißel gearbeitet, das Bild der Vorlage genauer nachgeformt und Ihm gleichförmig gestaltet werden. Dazu ist ein feineres, schärferes Auge, ein helleres Licht notwendig. Auf dem Erleuchtungsweg schenkt Gott der Seele dieses Licht.
Erkenntnis der Wirklichkeit
Dabei tritt vor dem Auge der Seele des Fortschreitenden die unendliche Größe, Heiligkeit und Vollkommenheit Gottes ins Zentrum der Erkenntnis, was jedoch eine große Schwierigkeit mit sich bringt. Gott wird so sehr als der einzig entscheidende und Wirkliche erkannt, daß alles andere im Licht dieser Erkenntnis auf sein richtiges Maß gebracht wird. – Eine inzwischen verstorbene Frau berichtete dem Priester, der sie zur Krankenkommunion besuchte, sie habe einmal in einem Traum in einiger Entfernung Jesus Christus gesehen, während sie Ihm mit großer Sehnsucht entgegengelaufen sei. Sie stellte jedoch mit erschrecken fest, daß jeder Schritt, mit dem sie sich Ihm näherte, sie selbst schrumpfen ließ. Sie wurde immer kleiner, kleiner und kleiner. Und in dem Augenblick, als sie bei Jesus angekommen war, war sie gleichsam ein Nichts. Dieser Traum sagt etwas sehr Wahres aus, über den zweiten Abschnitt des geistlichen Lebens, den Erleuchtungsweg. Wenn wir unseren Blick auf Gott richten und Ihn im übernatürlichen Licht des Glaubens in zunehmendem Maße als den erkennen dürfen, der Er wirklich ist, dann verlieren wir uns selbst, weil wir damit automatisch auch erkennen, was wir wirklich sind. Je klarer unsere Vorstellung von Gott ist, umso klarer erkennen wir uns auch selbst. Dann gelangen wir zu der für unsere stolze Eigenliebe sehr schmerzhaften Einsicht, daß wir nichts sind vor Ihm. Unser Herr sagte einmal zur hl. Katharina von Siena: „Ich bin der Seiende, und du bist diejenige, die nicht ist.“
Die Gabe des Rates
Die klare Selbsterkenntnis im Lichte der göttlichen Größe stürzt die Seele in große Verunsicherung. Sie ist verwirrt und wagt angesichts ihrer eigenen Sündhaftigkeit und Unvollkommenheit kaum zu Gott emporzuschauen. Sie befindet sich gleichsam allein in der öden Felswand des Hochgebirges, wo sie voll Furcht ist abzustürzen und oft auch ratlos, welcher der steilen Höhenpfade einzuschlagen sei, um den Gipfel zu erreichen. – Wie wir vergangenen Sonntag gesehen haben, hilft ihr die Gabe der Stärke dabei die Furcht zu meistern, den Schwierigkeiten mutig die Stirn zu bieten und in den Widrigkeiten tapfer standzuhalten. Doch muß die Seele in dieser Phase nicht nur standhalten, sondern auch wichtige Entscheidungen treffen. Verunsichert fragt sie: „Welchen Weg soll ich jetzt einschlagen? Wie soll ich mich jetzt entscheiden? Was soll ich wählen, um das Richtige zu tun und Gott nicht zu beleidigen?“ An sich ist es die Aufgabe der Tugend der Klugheit, im Lichte des Glaubens die allgemeinen Grundsätze des Evangeliums auf die konkreten Umstände des praktischen Lebens hier und jetzt anzuwenden. Mittels der Tugend der Klugheit überlegen und untersuchen wir sorgfältig, welche Mittel zur Erreichung eines Zieles die besten sind. Wir machen uns die Lehren der Vergangenheit, unsere persönlichen Erfahrungen und unsere gegenwärtige Erkenntnis zunutze, um eine kluge Entscheidung zu treffen. Doch vermag es die Klugheit nicht einmal in den natürlichen Dingen des Alltags immer völlig sicher in ihrem Urteil zu sein, weil sie unmöglich alle Einzelheiten und alle denkbaren Umstände überblicken und berücksichtigen kann. Auch Fachleute und Menschen mit großer Lebenserfahrung können sich, ihrer Expertise zum Trotz, täuschen und Fehler machen. Das ist schon in den Angelegenheiten der natürlichen Ordnung so – in der Technik, der Medizin, der Ökonomie. Um wieviel höher liegt folglich die Wahrscheinlichkeit zu fehlen und zu irren auf dem geheimnisvollen Feld der übernatürlichen Ordnung!
Folglich reicht die Tugend der Klugheit, auch die eingegossene Klugheit, hier nicht mehr aus. Die besondere Erleuchtung, die der Heilige Geist deshalb geben muß, erfordert eine besondere Gabe. Diese Gabe heißt nicht „Gabe der Klugheit“. Denn die Klugheit überlegt, urteilt, ordnet an. Unter dem Einfluß der Gabe aber handelt der Mensch nicht vermöge seiner eigenen Kraft. (Darin besteht ja das allgemeine Wesen aller Sieben Gaben des Heiligen Geistes, daß nicht der Mensch aktiv ist, sondern der Heilige Geist.) Nicht der Mensch, sondern ein anderer (!), nämlich der Heilige Geist, zeigt ihm gleichsam die praktische Anwendung der Grundsätze, gibt ihm die notwendigen Weisungen zur Tat. Die Weisung eines anderen aber nennt man Rat. Deshalb wird die fünfte Gabe des Heiligen Geistes „Gabe des Rates“ genannt. Und zwar, zuallererst nicht weil sie fähig macht Rat zu geben, sondern weil sie vor allem geneigt macht, den göttlichen Rat anzunehmen (vgl. S.th. II-II, q. 52, a. 1, ad 1&2).
Die Gabe des Rates befähigt die Seele die Erleuchtung des Heiligen Geistes aufzunehmen. Diese ist also nicht das Ergebnis einer schrittweisen Schlußfolgerung, sondern eine einfache glasklare Einsicht. Die Gabe gibt eine klare Erkenntnis, die über die menschlichen Kräfte hinausgeht und keinerlei Eigenbewegung des menschlichen Verstandes ist. Die Seele erkennt gleichsam mit göttlicher Erkenntnis. In Gott gibt es aber kein Nachdenken, kein Nacheinander der Gedanken. In Gott ist nur gleichbleibendes, überhelles Licht. Wie ein leuchtender Strahl dringt die Erkenntnis in die Seele ein und erhellt sie mit einem Licht, welches das Dunkel des Verstandes, seine Unsicherheit, sein Zaudern, verscheucht. Die Seele ist nicht mehr ängstlich und im Zweifel, nicht mehr ratlos. Sie sieht ganz klar den Weg, den sie einzuschlagen hat. Kurz: Der Hl. Geist spricht zur Seele; doch nicht in Worten, sondern wie durch einen Gedankenblitz und macht ihr in einem einzigen Augenblick begreiflich, was zu tun sei. So erfüllt sich das vom Heiland Seinen Aposteln gegebene Versprechen: „Wenn sie euch überantworten, so seid nicht besorgt, wie oder was ihr reden sollt. Denn es wird euch in jener Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt“ (Mt. 10, 19).
Im Lichte des Hl. Geistes erkennt die Seele glasklar, was zur bestimmten Zeit, am bestimmten Ort, unter bestimmten Umständen zu tun und zu lassen ist. Selber auf diese Weise vom Heiligen Geist beraten, weiß sie in einem zweiten Schritt auch, welche Ratschläge sie den ihr Anvertrauten oder den bei ihr ratsuchenden Seelen zu geben hat.
An sehr vielen Heiligen trat die Wirkung der Gabe des Rates besonders auffällig hervor. Die Märtyrer aller Jahrhunderte, darunter zahlreiche Kinder und Ungebildete, wurden durch diese Gabe befähigt ihren Anklägern schlagfertige Antworten zu geben und die Anschuldigungen gegen den katholischen Glauben so profund zu widerlegen, daß ihre Ankläger nichts mehr zu erwidern wußten, ja sich bisweilen sogar zum katholischen Glauben bekehrten.
Besonders ragt im Chor der Heiligen der hl. Antoninus hervor. Er besaß die Gabe des Rates in so hohem Masse, daß er so klug und geschickt Ratschläge zu erteilen wußte, daß ihm die Nachwelt den Beinamen des „guten Ratgebers“ „Antoninus consiliorum“ beilegte. Tatsächlich wurde er nicht nur von einfachen Gläubigen, sondern auch von Staatsmännern um Rat gefragt, insbesondere von Cosimo de Medici, der ihm verschiedene Male eine Gesandtschaft übertrug.
In ähnlicher Weise ist diese Gabe auch in der hl. Katharina von Siena zu bewundern. Trotz ihrer Jugend und ohne schulische Ausbildung, gab sie Fürsten, Kardinälen, ja selbst dem Papst weise Ratschläge. Ähnlich wundersam verhielt es sich bei der hl. Jeanne d’Arc, der Jungfrau von Orleans. Sie verstand als einfältiges Bauernmädchen nichts von der Kunst der Kriegsführung, entwarf jedoch Feldzugspläne, die damals den fähigsten Strategen Bewunderung abrangen. Sie gab auch an, wo sie ihre Kenntnis schöpfte. Sie sagte zu den Feldherren: „Ihr hieltet euren (Kriegs-)Rat, ich den meinigen.“
Ja, der Geist des Rates ist dort, und nur dort, wo der Heilige Geist ist. Der Heilige Geist aber ist dort, wo man sich Ihm zuwendet, mit Ihm Rat hält und sich nur von Ihm inspirieren läßt. Darum sind die größten Wohltäter der Menschheit, die „Menschen des guten Rates“, stets die Heiligen gewesen.
Notwendigkeit der Gabe des Rates
Nach all dem Gesagten leuchtet ein, daß diese Gabe nicht nur den Voranschreitenden auf dem Weg der Vollkommenheit, sondern allen Menschen notwendig ist. Insbesondere in den wichtigen und schwierigen Fällen, in denen es sich um das Heil der Seele oder deren Heiligung handelt, z. B. bei der Frage der Standeswahl: Soll ich heiraten, Priester werden oder ins Kloster eintreten? In welchem dieser Stände kann ich mit meinen Begabungen und Anlagen mehr der Ehre Gottes dienen und am besten meine Seele retten? Sollte ich im Hinblick auf mein ewiges Heil diesen oder jenen Mann/diese oder jene Frau heiraten, oder besser nicht? – Oder bei gewissen Lebensentscheidungen: Soll ich diesen Beruf ergreifen; diese Stelle annehmen; diese große Anschaffung tätigen oder nicht? Wird mir das zur Wahl stehende wohl eher zum Heil gereichen oder eher zu einer Gelegenheit zur Sünde werden? Von den Antworten auf diese Fragen kann unser ewiges Heil abhängen. Die menschliche Vernunft ist fehlbar und unsicher. Deshalb ist es von Wichtigkeit, in den entscheidenden Augenblicken des Lebens die Erleuchtungen des göttlichen Ratgebers zu empfangen, der mit einem einzigen Blicke alles überschaut und uns mit Sicherheit erkennen läßt, was wir in dieser oder jener schwierigen Lage zu tun haben.
Die Gabe der Wissenschaft hat der Seele die Einsicht in den Wert und den Nutzen der Geschöpfe als Mittel zur Erlangung der ewigen Glückseligkeit bei Gott gewährt. Mit der Gabe des Rates erhält die Seele die sichere Unterscheidungsgabe aus der verwirrenden Vielzahl der Mittel die geeignetsten für diese Situation, hier und jetzt, auszuwählen und zur Anwendung zu bringen. Durch die Gabe des Rates erkennt die Seele ihren Weg und wandelt auf ihm mit Sicherheit, wäre er auch rauh, öde und widerlich. Die Gabe lehrt sie auch, die günstige Stunde abzuwarten, um das notwendige zu tun.
Es muß jedoch unbedingt mit Nachdruck betont werden, daß der Rat des Heiligen Geistes nicht immer in einer unmittelbaren Einsicht besteht, welche die Lösung des Problems liefert. Es wäre ein gefährlicher Irrtum zu meinen, man könne die schwerwiegendsten Entscheidungen stets, im stillen Kämmerlein, mit sich und dem Heiligen Geist ausmachen. Die Gefahr, dabei die eigenen fixen Ideen mit den Eingebungen des Heiligen Geistes zu verwechseln ist groß und wäre fatal. Deshalb besteht die Einwirkung der Gabe des Rates zumeist allein darin, daß der Heilige Geist die Seele veranlaßt nicht aus eigener Überlegung zu handeln, sondern bei anderen, erfahreneren Menschen Rat einzuholen. Gerade der Fehler der Überstürzung ist der Gabe des Rates entgegengesetzt, weil er zur falschen Anwendung der allgemeinen Grundsätze führt. Schon oft hat göttlicher Rat eine Seele in ihren Zweifeln und in den quälenden Fragen ihres Heiles dazu bewegt, einen Ratgeber, etwa einen Priester, einen Beichtvater aufzusuchen. Göttlicher Rat schickte etwa den geblendeten Saulus vor Damaskus zum Priester Ananias (vgl. Apg. 9, 1-31), der ihm den Willen Christi kundtat. Göttlicher Rat schickte sodann den Hauptmann Kornelius zum hl. Apostel Petrus (vgl. Apg. 10, 1-48). Bei den wenigsten wird sich also der göttliche Ratgeber in einer formellen Anweisung äußern. Meist wird es ein innerer Drang sein, fremden Rat, eine andere Meinung zu der fraglichen Angelegenheit, hören zu wollen.
Sache des Beichtvaters, Seelenführers und Ratgebers ist es, der Seele bei der Unterscheidung der Geister zur Seite zu stehen, damit sie nicht vom falschen Geist irregeführt wird; damit sie den wahren Christus in sich nachbildet und nicht den Christus ihrer Launen. Wohlgemerkt: Es ist nicht die Aufgabe des Ratgebers, dem Ratsuchenden die Entscheidung abzunehmen oder ihm die eigene Meinung aufzudrängen, sondern ihm beizustehen, damit er (!) die richtige Entscheidung treffen kann.
Indem der Heilige Geist die Seele also antreibt, andernorts Rat einzuholen, schützt er sie vor dem Verhängnis der Selbsttäuschung, weil wir Menschen nur all zu leicht geneigt sind, plötzliche Ideen und Willensentschlüsse für Eingebungen Gottes zu halten, obwohl sie in Wirklichkeit nur das Produkt unserer natürlichen Phantasie oder unserer Launen sind.
Zusammenfassend wollen wir wieder die Definition des Katechismus des hl. Pius X. anführen. Sie lautet: „Der Rat ist eine Gabe, durch die wir in den Zweifeln und Ungewißheiten des menschlichen Lebens erkennen, was mehr zur Ehre Gottes und zu unserem Heil und dem Heil des Nächsten gereicht“ (Nr. 921).
Vorbereitungen auf den Einfluß der Gabe des Rates
Was können wir nun von unserer Seite aus tun? Wie können wir uns für den göttlichen Rat empfänglich machen? Dazu müssen gewisse Voraussetzungen gegeben sein.
Vor allem ist es notwendig, von der eignen Unzulänglichkeit zutiefst überzeugt und durchdrungen zu sein. Es ist klar, wer so sehr von sich selbst eingenommen ist und mit „toxischem Selbstvertrauen“ stets alles besser weiß und die ganze Welt erklären zu können glaubt, der braucht eigentlich gar keinen Rat. Und der göttliche Ratgeber wird sich einem solchen gewiß nicht aufdrängen. Stattdessen sollen wir uns oft, wie der Psalmist, demütig an den Heiligen Geist wenden, damit er uns Seine Wege lehre: „Herr, Deine Wege zeige mir; und Deine Pfade lehre mich“ (Ps. 24, 4). Dann wird Er es nicht unterlassen, uns mit Seinen Erleuchtungen zu Hilfe zu kommen, weil Er sich den Demütigen zuneigt: „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber schenkt Er Seine Gnade“ (1. Petr. 5, 7; Jak. 4, 6). Das wird besonders der Fall sein, wenn wir darauf bedacht sind, Ihn schon am Morgen für den ganzen Tag anzurufen, zu Beginn unserer hauptsächlichsten Handlungen und in jeder schwierigen Lage.
Zweitens gewöhne man sich daran, der Stimme des Heiligen Geistes Gehör zu schenken, alles in Seinem Lichte zu beurteilen, ohne Rücksicht auf menschliche Erwägungen, und Seinen leisesten Einsprechungen gehorsam Folge zu leisten. Findet Er in uns eine fügsame Seele, so wird Er viel häufiger zu unserem Herzen sprechen. Und dann können wir mit Seiner Hilfe auch anderen Menschen gute Ratgeber werden.
Leider sind gute Ratgeber verhältnismäßig selten. Der Grund ist nachvollziehbar: Bringen die wenigsten allein schon die soeben beschriebene innere Einstellung mit, um sich selbst dem Einfluß des göttlichen Ratgebers zu öffnen, so haben noch viel weniger das Rüstzeug, um anderen auf dem Weg zum Heil raten zu können. Um anderen raten zu können, müßten zusätzliche Voraussetzungen gegeben sein. Welche sind das?
Die erste Voraussetzung ist geistige Freiheit gegenüber den materiellen Gütern der Erde. Nur der innerlich Unabhängige kann ohne Bindung durch Vorurteile urteilen und raten. Der Materialist denkt rein materialistisch und kaufmännisch, nicht geistig. Das Buch Jesus Sirach schreibt dazu: „Die Weisheit des Schriftgelehrten gedeiht zur Zeit der Muße und weise wird, wer frei ist von Geschäften. Wie kann da weise werden, wer den Pflug lenkt und Rinder mit dem Ochsenstachel antreibt? Sein Sinn ist darauf gerichtet, Furchen zu ziehen, und seine Wachsamkeit gilt der Viehmast“ (Sir. 38, 25-27). So ist es auch bei anderen Berufen. Es sind ehrenhafte und notwendige Berufe. Aber Menschen, die von ihren Berufspflichten in Anspruch genommen sind und darin aufgehen, werden geneigt sein, in geistlichen Fragen die Klugheit der Geschäftswelt, also die Schlauheit der Welt zur Anwendung zu bringen, nicht den Rat Gottes. Der bekannte Staatsphilosoph des 19. Jahrhunderts, Donoso Cortés, führt dazu aus: „Wenn das menschliche Gesetz nicht unerbittlich dazu verurteilt wäre, die Realität verkehrt anzusehen, so würde es unter allen Menschen die Theologen zu Ratgebern wählen, unter den Theologen die Mystiker und unter den Mystikern jene, die, wie die Einsiedler, das von der Welt und den irdischen Angelegenheiten zurückgezogenste Leben geführt haben. Unter den Personen, die ich kenne, sind die einzigen, an denen ich einen unzerstörbaren gesunden Verstand, einen wahrhaften Scharfsinn, eine wunderbare Geschicklichkeit erkannt habe, um den schwierigsten Problemen praktische und weise Lösungen zu geben, oder in den verwickeltsten Angelegenheiten immer einen Ausweg zu finden, die, welche ein beschauliches und zurückgezogenes Leben geführt haben.“
Die Menschen des guten Rates müssen deshalb vor allem Menschen geistiger Sammlung sein, welchem Beruf sie auch sonst angehören mögen. Es muß sich dabei nicht zwangsläufig um Priester oder Gottgeweihte handeln, obwohl man es von ihnen am ehesten erwarten können müßte, gute Ratgeber zu sein. Da aber jeder Getaufte im Gnadenstand die Gabe des Rates besitzt, ist auch grundsätzlich jeder von ihnen, sofern er sich um ein Leben der inneren Sammlung bemüht, dafür ausgestattet hilfreiche Ratschläge geben zu können. Doch noch eine andere Voraussetzung muß gegeben sein, um sich für die Gabe des Rates empfänglich zu machen – die leidenschaftslose Ruhe. Leidenschaft ist parteiisch und trübt den Blick für das Ganze. Zorn macht blind und Nervosität macht voreingenommen. Der Mensch des guten Rates muß darum wie der Seismograph, der die kleinsten Erschütterungen wahrnehmen kann, abseits von der Aufregung des persönlichen Kampfes und des politischen Betriebes sein. Unbeeinflußt von irgendeiner Seite. Von nüchterner Sachlichkeit und von unbedingtem Gerechtigkeitssinn. Alles allein im Lichte des Ewigen und Göttlichen messend und wägend. Daraus ergibt sich, daß die Rolle des Ratgebers trotz ihrer ungeheuren Wichtigkeit und Notwendigkeit nur die Sache der Wenigen sein kann.
Früchte und Seligkeit des Rates
Gottes Erleuchtung konfrontiert uns mit der harten Wirklichkeit unserer eigenen Unzulänglichkeit und Armseligkeit. Damit zeigt uns Gott nicht nur, wie sehr wir fremder Führung bedürfen. Er zeigt uns auch, daß wir im Umgang mit dem Nächsten, der ja genauso ein schwacher Mensch ist wie wir, Nachsicht walten lassen müssen. Wer sich selbst aufrichtig in seiner Unzulänglichkeit erkannt hat, der wird nicht streng und hart urteilen, sondern mehr Verständnis und Sanftmut für die Schwächen des Gegenübers an den Tag legen können. Deswegen ist die erste von den zwölf Früchten des Heiligen Geistes, welche insbesondere von der Gabe des Rates hervorgebracht werden, die Frucht der Milde. – Aus der Erfahrung der eigenen Nöte, Zweifel und Drangsale erwächst sodann als zweites jenes Mitleid mit dem Nächsten, welches die Seele antreibt den Ratlosen in ihren Nöten mittels guter Ratschläge beizustehen, d.h. anderen Anteil zu geben an den Einsichten, die wir mit Gottes Hilfe gewonnen haben. Von dem Seinigen einem anderen mitzuteilen ist aber ein Werk der Güte. Deshalb sind, neben den Früchten der Milde, auch die der Güte der Gabe des Rates zuzurechnen.
Von den beiden Früchten der Milde und Güte ist es sodann nicht mehr schwer auf die Seligkeit zu schließen, die den Seelen zuteil wird, in denen die Gabe des Rates zur Vollendung gekommen ist. Der hl. Augustinus lehrt darüber: „Denjenigen, die in der Mühsal ausharren, wird ein Rat gegeben, wie sie sich davon befreien können. Denn wenn nicht jeder von einem Höheren unterstützt wird, ist er alleine auf keinen Fall in der Lage, sich aus so großen Verstrickungen ins Elend zu befreien. Aber es ist ein gerechter Rat, daß derjenige, der von einem Stärkeren [vom Heiligen Geist] unterstützt werden will, dem Schwächeren [dem Nächsten] in dem helfen soll, in dem er selbst stärker ist: … Die Gabe des Rates entspricht den Barmherzigen; denn das ist das einzige Heilmittel, um so großen Übeln zu entgehen, daß wir selbst vergeben, wie wir wollen, daß uns vergeben werde; und daß wir anderen helfen, soweit wir es können, wie wir selbst wollen, daß uns geholfen wird, wo wir es nicht können“ (De Serm. Dom. in mont. I). „Deshalb findet sich auf dem Weg, den wir durch Isaias lernen, der Rat als fünfte Stufe; so wie im Evangelium der Seligpreisungen an fünfter Stelle steht: ‚Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen‘“ (Serm. 347).
Komm, o Geist des Rates!
Die heutige Welt ist deshalb so hart und unbarmherzig, weil die wenigsten Menschen ihren wirklichen Zustand und ihre tatsächliche Armseligkeit noch sehen. Ja, mehr noch! Die scheinbare Rat- und Ausweglosigkeit der modernen Regierungen und Völker ist kein bloßes Nichtwissen und Unvermögen. Sie ist eine Sünde und eine Strafe der Völker. Sie entspringt dem Nicht-mehr-sehen-wollen und wird zum Nicht-mehr-sehen-können. Zur Verblendung und Verhärtung. „Weil sie die Tage der Heimsuchung nicht erkannt haben!“
Christus spricht von Sünden, die nicht vergeben werden. Es sind die Sünden wider den Heiligen Geist (vgl. Luk. 12, 10). Die Sünde derer, die nicht mehr sehen und hören wollen, wird dadurch gestraft, daß ein anderer Geist an die Stelle des Heiligen Geistes tritt. Nach einem geheimnisvollen Gesetz der Gnade bleibt in dem Fall, wo der Geist des Rates sich von den Menschen und der Welt zurückzieht, sein Platz nicht leer, es entsteht kein Vakuum, sondern er wird von dem ihm entgegengesetzten Geist eingenommen, dem dämonischen Geiste der Finsternis, der deshalb in unserer Zeit immer weiter um sich zu greifen scheint.
Deshalb ist es für uns um so notwendiger eindringlich zu beten: „Komm, o Geist des Rates, und überlaß uns nicht bangen Zweifeln und schlechten Ratgebern, die uns auf dem Weg des Heiles unsicher machen. Sei Du unser Lehrer und Berater in allen Fragen und Wirrnissen des Lebens, damit wir die Geister zu unterscheiden wissen und merken, was aus dem Geiste Christi kommt und was vom Widersacher stammt. Erleuchte unser Gewissen, daß wir Tag für Tag erkennen, was Gott von uns verlangt. Amen.“