Heilszuversicht, nicht Heilsgewißheit

Geliebte Gottes!

In den letzten Wochen haben wir das übernatürliche Leben der heiligmachenden Gnade betrachtet. Es ist nichts Geringeres als die Anteilnahme am ewigen Leben des dreifaltigen Gottes, der schon jetzt in der Seele des gerechtfertigten Menschen Seine Wohnung aufschlägt, sie zu Seinem Tempel macht und den Menschen an Kindesstatt annimmt. Die heiligmachende Gnade macht die Seele dem eingeborenen Sohn Gottes ähnlich, indem ihr das göttliche Leben des ewigen Sohnes mitgeteilt wird. Sie ist der Lebenssaft, welcher aus dem Weinstock, der Christus ist, hervorgeht und in die Reben fließt, um dort Blüten und Früchte anzusetzen. Den übernatürlichen Lebenssaft der heiligmachenden Gnade zu bewahren und zu vermehren, davon hängt unser ewiges Glück oder Unglück ab.

Die Verlierbarkeit der heiligmachenden Gnade

Vor allem muß das übernatürliche Leben der Gnade bewahrt werden. Denn solange wir auf Erden sind, kann die heiligmachende Gnade verloren gehen. Sie geht verloren durch die Todsünde. Die Todsünde ist, wie der Name schon sagt, das Ende des Gnadenlebens. Der Heilige Geist weigert sich nämlich in einer Seele zu wohnen, die sich durch eine Todsünde zum Gefolgsmann Satans gemacht hat und sich durch diesen einen sündhaften Gedanken, durch diese eine böse Tat der Rebellion gegen Gott angeschlossen hat. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten: Entweder herrscht der Heilige Geist in der Seele oder der böse Geist. Entweder das ewige Leben der göttlichen Gnade oder der ewige Tod, den wir Todsünde nennen. Der Verlust der heiligmachenden Gnade wiegt jeden anderen Verlust an Schwere bei weitem auf. Er ist aufgrund seiner verheerenden Folgen schlimmer als jeder andere Verlust. Geld verloren – viel verloren! Ehre verloren – mehr verloren! Gott verloren – alles verloren! Man sagt, der hl. Thomas von Aquin sei einmal gefragt worden, was ihm im Leben am sonderbarsten begegnet sei. Er habe geantwortet: Am verwunderlichsten und merkwürdigsten sei es ihm erschienen, wie sich jemand abends zur Ruhe niederlegen könne, obwohl er weiß, daß eine Todsünde auf seiner Seele laste; daß er also in der Feindschaft mit Gott lebe und deshalb bereits mit einem Bein in der Hölle stehe. – Er wollte damit sagen, man müsse alles tun, um den Fall in die Todsünde zu vermeiden. Sollte es aber doch geschehen, daß einem dieses Unglück widerführe, dann gelte es, nicht lange darin zu verweilen, sondern alle Hebel in Bewegung zu setzen, um sich möglichst schnell, durch den Akt der vollkommenen Liebesreue und durch eine reumütige Beichte, wieder mit Gott zu versöhnen und erneut in den Stand der heiligmachenden Gnade zu gelangen. Es gibt eine Rettungsplanke nach dem Schiffbruch der Sünde und diese Planke ist das hl. Bußsakrament. Wer im Zustand der Todsünde lebt, dessen Seele ist gleichsam Tod. Das natürliche Leben der Seele ist selbstverständlich nicht tot. Die Seele lebt weiter, denn die Seele ist unsterblich. Aber das übernatürliche Leben der Seele, die Gottesliebe, die Gotteskindschaft, das ewige Leben, zu dem die Seele durch den Heiligen Geist erhoben worden ist, das ist tot. Wer in der Todsünde lebt, ist in großer Gefahr, ewig zugrundezugehen und mit dem körperlichen Tod auch den ewigen Tod der Hölle zu erleiden. Er gleich dem Rebzweig, der vom Weinstock getrennt ist. Christus sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige. Wer in Mir bleibt und in wem Ich bleibe, der trägt viele Frucht; denn getrennt von Mir könnt ihr nichts tun. Wenn einer nicht in Mir bleibt der wird hinausgeworfen wie der Rebzweig und verdorrt. Man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie brennen“ (Joh. 15 ,5 f.). – Ja, wir können dem hl. Thomas in seiner Verwunderung nur beipflichten. Seltsam ist es, wie Katholiken, die sich im Stande der Todsünde befinden, ruhig schlafen können. Doch noch seltsamer ist es, wenn das bei Priestern und Gottgeweihten der Fall ist. – Der hl. Bischof und Kirchenlehrer Alfons von Liguori mußte seinerzeit einen seiner Priester einbestellen, weil sich dieser mehr als einmal schwer verfehlt hatte. Als der Priester zu ihm kam, sah dieser, wie auf der Türschwelle des Audienzzimmers ein Kruzifix lag. Der Priester zögerte einzutreten. Da rief ihm der Bischof von innen heraus zu: „Nur zu! Was zögern Sie? Treten sie nur auf das Kreuz. Sie haben nun ja schon so oft auf den Heiland eingetreten. Das sollte ihnen doch keine Schwierigkeit bereiten.“ Diese Konfrontation mit seiner Sünde rüttelte den Priester auf. Er nahm sich jene anschauliche Lektion derart zu Herzen, daß er fortan seine Sünde unterließ.

Die Verborgenheit des Gnadenstandes

Daß es soweit kommen kann, daß die Menschen seelenruhig im Stande der Todsünde dahinleben, liegt daran, daß der Gnadenstand unseren Sinnen verborgen ist. Wir können ihn weder mit den Sinnen des Leibes, noch mit dem Auge des Geistes wahrnehmen. Die heiligmachende Gnade kann nicht gesehen, gespürt, oder sonstwie empfunden werden. Sie kann weder gemessen, noch gezählt, und auch nicht gewogen werden. Warum ist das so? – Weil sie übernatürlich ist. Weil sie die Kräfte unserer Natur, die Möglichkeit unserer natürlichen Wahrnehmung übersteigt. Es gehört zum Wesen der Gnade, daß der Gnadenstand verborgen ist. Man kann weder über deren Gegenwart in einer Seele, noch über ihre Abwesenheit, eine empirische, absolute Gewißheit erlangen.

Der hl. Johanna von Orléans wurde im 15. Jahrhundert von voreingenommenen Richtern der Prozeß gemacht, um sie auf den Scheiterhaufen zu bringen. Die Prozeßakten sind uns erhalten geblieben. Aus diesen geht hervor, daß die ungerechten Richter der hl. Jungfrau unter anderem die Fangfrage stellten: „Bist du im Stande der heiligmachenden Gnade?“ – Darauf antwortete das einfache Bauernmädchen, das weder lesen noch schreiben konnte: „Wenn ich im Zustand der Gnade bin, so bitte ich Gott, mich darin zu erhalten. Wenn ich nicht darin sein sollte, so bitte ich Gott, mich in den Gnadenstand zu versetzen.“ Mit dieser Antwort von großer Weisheit umschiffte das heilige Mädchen, die Klippe, an der sie ihre feindseligen Richter, zerschellen lassen wollten, um sie der Häresie zu überführen. Sie hat die Hoffnung und die Zuversicht geäußert, im Besitz der heiligmachenden Gnade zu sein, aber sie hat keine absolute Gewißheit von sich ausgesagt.

Die Lehre des Konzils von Trient

Ganz anders die sogenannten Reformatoren des 16. Jahrhunderts. Die Protestanten behaupten, es gäbe eine untrügliche Sicherheit und Gewißheit über den Gnadenstand. Sie bestünde im sogenannten „Fiduzialglauben“, also in dem unerschütterlichen Vertrauen auf Gottes Erbarmen, aus dem die persönliche Rechtfertigung – also der Gnadenstand – und die Heilsgewißheit erwächst. Der Protestant meint: „Wenn ich felsenfest an Gottes Barmherzigkeit glaube und darauf vertraue, dann deckt Gott meine Sünden zu und behandelt mich wie einen Gerechten, wie eines Seiner Kinder.“ Allein diese subjektive Glaubensüberzeugung bewirke die Rechtfertigung, brächte die Seele in den Gnadenstand. Und weil jeder genau wisse, ob er die Glaubensgewißheit und das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit habe oder nicht, deshalb könne jeder auch mit Gewißheit sagen, ob er sich im Gnadenstand befände oder nicht. Kurz: Wenn ich felsenfest daran glaube, daß ich im Stande der heiligmachenden Gnade bin, dann bin ich auch gewiß im Gnadenstand. Wenn ich mir hingegen nicht absolut sicher bin, dann bin ich sicher nicht im Gnadenstand, weil mir die dazu notwendige Glaubensgewißheit fehlt. – Wir sehen, wie die vermeintliche Gewißheit des Protestanten ausschließlich von dessen persönlicher, rein subjektiver Glaubensüberzeugung und damit vom eigenen Willen der Person abhängt. Es handelt sich dabei im Grunde um eine Art Selbsterlösung. Luther sagte: „Nun siehst du, wie reich der Christ oder der Getaufte ist, denn auch wenn er will, kann er sein Heil nicht verlieren, so groß auch seine Sünde sein möge, es sei denn er [!] wolle nicht glauben (d.h. sein Heil für nicht gewiß halten im Vertrauen).“ Es gäbe einiges hierüber zu sagen. Wir begnügen uns mit der Aussage: Das ist Häresie!

Denn das Konzil von Trient hat, gegen diese Lehre Luthers, in seinem „Dekret über die Rechtfertigung“ feierlich drei Irrtümer verworfen: 1. Den Irrtum, daß der bloße Vertrauensglaube gleichsam den Gnadenstand bewirke: „Wer sagt, der rechtfertigende Glaube sei nichts anderes als das Vertrauen in die göttliche Barmherzigkeit, die um Christi willen die Sünden vergibt; oder es sei allein dieses Vertrauen, durch das wir gerechtfertigt werden: der sei mit dem Anathema belegt“ (Kan. 12; DS 1562). – 2. Den Irrtum, daß der Mensch an seine eigene Rechtfertigung glauben müsse, wie an eine Glaubenswahrheit: „Wer sagt, um die Vergebung der Sünden zu erlangen, sei es für jeden Menschen notwendig, fest und ohne jeden Zweifel … zu glauben, daß ihm die Sünden vergeben sind: der sei mit dem Anathema belegt“ (Kan. 13; DS 1563). – Und 3. den Irrtum, daß man ohne diesen Vertrauensglauben, gewiß nicht gerechtfertigt und im Gnadenstand sei: „Wer sagt, der Mensch werde deshalb … gerechtfertigt, weil er fest glaube, er werde … gerechtfertigt; oder in Wahrheit sei nur derjenige gerechtfertigt, welcher glaubt, er sei gerechtfertigt, …: der sei mit dem Anathema belegt“ (Kan. 14; DS 1564).

Hingegen ist es ein Dogma des katholischen Glaubens, daß niemand ohne eine besondere Offenbarung Gottes mit absoluter Sicherheit wissen kann, ob er im Gnadenstand ist oder nicht (vgl. DS 1540; 1566). Solche besonderen göttlichen Offenbarungen sind einigen Personen zuteil geworden. Drei Beispiele seien aus den hl. Evangelien angeführt. Jesus offenbarte etwa dem Gichtbrüchigen, daß er im Stand der heiligmachenden Gnade sei, indem Er zu ihm sprach: „Sei getrost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ (Mt. 9, 2). Wenn die Sünden vergeben sind, dann sind alle Hindernisse, welche der Gnade im Wege stehen könnten, entfernt. Folglich konnte der Gichtbrüchige in jenem Augenblick gewiß sein, im Stande der heiligmachenden Gnade zu sein. Dasselbe gilt von der Sünderin, die während des Gastmahls die Füße des Heilandes mit ihren Tränen wusch und mit ihrem Haar trocknete. Auch sie bekam die tröstlichen Worte zu hören: „Deine Sünden sind dir vergeben“ (Lk. 7, 47 f.). Schließlich sprach der Herr zum rechten Schächer am Kreuz: „Heute noch wirst du mit Mir im Paradiese sein“ (Lk. 23, 43). Im Paradies kann niemand sein, der nicht im Stand der heiligmachenden Gnade ist. Folglich war auch der hl. Dismas in jenem Augenblick gewiß im Gnadenstand. – Doch solche Offenbarungen ergehen nicht an jeden Menschen, nicht einmal an die meisten, nicht einmal an viele, sondern nur vereinzelt. – Freilich, könnte einer auf die allgemeingültigen Worte Christi verweisen: „Wer glaubt und sich taufen läßt, der wird gerettet“ (Mk. 16, 16). Aber das ist keine persönliche Zusicherung des Gnadenstandes, sondern lediglich eine Erklärung dessen, was zu tun ist, um in das ewige Leben einzugehen. Dieses Wort nennt nur die Bedingungen. Aber ob diese Bedingungen auch tatsächlich im Einzelfall erfüllt sind, das ist in diesem Satz nicht gesagt. Kurz: Es gibt keine absolute Glaubensgewißheit, daß sich jemand im Gnadenstand befindet!

Die moralische Gewißheit

Auch wenn wir keine absolute Gewißheit haben können, so sind wir doch auch nicht völlig im Ungewissen. Das Konzil von Trient wollte ja nicht, indem es die Glaubensgewißheit der Reformatoren verwarf, jegliche Gewißheit hinsichtlich des Gnadenstandes bannen, sondern es wollte nur an die Stelle der falschen Gewißheit die richtige setzen.

Man unterscheidet nämlich drei Formen von Gewißheit. Für die obersten Gesetze des Denkens gibt es eine „logische Gewißheit“. Also z.B. der Satz: „A kann nicht gleichzeitig B sein.“ – oder etwas anschaulicher: „Heribert kann nicht gleichzeitig Charlotte sein.“ Das ist ein Satz, der mit logischer Gewißheit wahr ist. Weil sich die Gesetze der Logik nicht ändern können, so sind die korrekt durchgeführten Schlußfolgerungen mit notwendiger Sicherheit absolut wahr. – Eine andere Gewißheit ist die „physische“ oder „empirische Gewißheit“. Sie leitet sich von der Konstanz der Naturgesetze her. Zu ihr gelangt man durch Messen und Wiegen, also durch objektive sinnliche Wahrnehmung. Diese beiden Gewißheiten kommen nicht für die Gewißheit hinsichtlich des Gnadenstandes in Frage. Man kann den Gnadenstand weder logisch erschließen, noch physisch messen. – Es gibt aber noch eine dritte Form der Gewißheit, die sogenannte „moralische Gewißheit“. – Was versteht man unter „moralischer Gewißheit“? Die moralische Gewißheit besteht darin, daß man sich auf das Wort eines zuverlässigen Zeugen, z.B. auf das Zeugnis eines Freundes, verläßt. Diese Gewißheit gründet auf der „moralischen“, also auf der sittlichen Zuverlässigkeit und Treue des Zeugen. Es gilt beispielsweise als „moralisch sicher“, daß der Freund seinen Freund nicht anlügt. Freilich, ist das nicht „absolut sicher“, weil der Freund durchaus lügen könnte. Aber die Aussage eines Freundes ist doch „moralisch sicher“, aufgrund der Zuverlässigkeit, Treue und Liebe, die er für seinen Freund hegt. Deshalb ist seine Aussage zu einem hohen Grad verläßlich. – Gottes Wort und Gottes Verheißungen von den Bedingungen, unter denen Er uns das Gnadenleben schenkt, sind absolut zuverlässig. Darauf können wir mit absoluter Gewißheit bauen. Doch wer gibt uns Gewißheit darüber, ob wir diesen Verheißungen und den Bedingungen, die an sie geknüpft sind, tatsächlich entsprechen? Wer ist der treue Freund, durch dessen Zeugnis wir mit „moralischer Gewißheit“ annehmen dürfen, im Stand der heiligmachenden Gnade zu sein? – Es ist das Gewissen. Es ist das ehrliche, das gebildete Gewissen, das uns ein zuverlässiges Zeugnis davon gibt, ob wir uns im Gnadenstand oder im Stand der Todsünde befinden. Das Gewissen ist der zuverlässige Zeuge. Es begleitet uns überall hin. Es kennt all unsere Gedanken und Absichten. Das Gewissen ist wie ein aufrichtiger Freund, der uns sagt, wie wir wirklich sind. Es ist wie ein Spiegel, der uns schonungslos zeigt, ob wir den Bedingungen entsprechen, unter denen Gott durch die heiligmachende Gnade in einer Seele wohnen will, oder nicht. Wohlgemerkt! Das Gewissen muß hierfür ehrlich sein. Der Mensch kann sich nämlich selbst betrügen, indem er – was nicht selten geschieht – das Böse für gut erklärt, die Schuld für Unschuld. Das Gewissen muß fein und gebildet sein, d.h. es muß die Forderungen Gottes kennen; Seine Gebote, die Weisungen Seiner Kirche und auch deren Urteil über bestimmte sittliche Handlungen. Je gebildeter das Gewissen ist, um so zuverlässiger ist sein Zeugnis davon, ob wir im Gnadenstand sind oder nicht. Es ist keine unfehlbare Glaubensgewißheit, weil die Möglichkeit der Täuschung und des Irrtums bestehen bleibt. Aber es ist eine „moralische Gewißheit“, die doch hinreichend zuverlässig ist, und die, wenngleich keine Heilsgewißheit, so doch eine Heilszuversicht erlaubt.

Spannungsfeld: Heilszuversicht – Ungewißheit

Von der Spannung zwischen der Heilszuversicht einerseits und dem verbleibenden Rest Ungewißheit über den eigenen Gnadenstand andererseits, ist das Neue Testament durchdrungen. Der hl. Apostel Paulus hebt an mehreren Stellen die Ungewißheit des Gnadenstandes deutlich hervor. Den Korinthern sagt er: „Mir liegt gar wenig daran, daß ich von euch gerichtet werde oder überhaupt von einem menschlichen Gericht. Doch auch nicht einmal über mich selbst fälle ich ein Urteil. Ich bin mir zwar nichts bewußt, doch deshalb noch nicht gerechtfertigt. Der mich richtet, ist der Herr. So richtet denn nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt. Er wird auch das im Finsteren Verborgene ans Licht bringen und die Gesinnungen der Herzen offenbar machen. Dann wird jeder von Gott sein Lob erhalten“ (1. Kor. 4, 4 f.). Der hl. Paulus ist sich keiner Schuld bewußt. Sein Gewissen ist rein. Aber er weiß, daß darin noch keine absolute Gewißheit für seine tatsächliche Unschuld besteht. Diese kann nur das Urteil Gottes liefern. – Und deshalb ermahnte er die Philipper: „Darum, Geliebte, die ihr allezeit gehorsam gewesen seid, wirket nicht bloß in meiner Anwesenheit, sondern noch weit mehr in meiner Abwesenheit, euer Heil mit Furcht und Zittern!“ (Phil. 2, 12). Selbst jene, die „allezeit gehorsam gewesen“ sind, müssen ihr „Heil mit Furcht und Zittern“ wirken. Furcht und Zittern eben deswegen, weil man letztlich nicht absolut gewiß sein kann, daß man das Gnadenleben besitzt und bis in alle Ewigkeit bewahren kann. – Das sind Stellen, welche die letztliche Ungewißheit des persönlichen Heiles aussprechen.

Das ewige Heil zuversichtlich zu erhoffen, erlauben uns aber zahlreiche andere Worte der Heiligen Schrift. Zuallererst die bereits genannten Worte des Heilandes: „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden.“ Das sind, wie gesagt, die Bedingungen. Freilich, ob wir sie erfüllen, das ist eine andere Frage. Aber wir wissen immerhin, was uns zur Erlangung des Gnadenlebens führt. Nämlich „glauben“ im umfassenden Sinn, so daß der Glaube auch unser praktisches Tun und alle unsere Lebensbereiche vollkommen beherrscht. Und „sich taufen lassen“, also sich in Christus, in Seinen mystischen Leib, eingliedern lassen. Das ist es, was zur Erlangung, zur Bewahrung und zur Vermehrung der heiligmachenden Gnade erforderlich ist. – Und im Römerbrief stimmt der Völkerapostel, der vorhin noch sich selbst und seinen Gläubigen eine Heilsgewißheit verwehrt hat, ein wahres Triumphlied auf die Heilszuversicht an: „Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Wer wird uns verdammen? Etwa Christus Jesus? Nein, Er ist gestorben, Er ist auch wieder auferstanden, Er sitzt zur Rechten Gottes und legt Fürsprache für uns ein. Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? … Aber in all dem überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben noch Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Mächte noch Höhe noch Tiefe noch irgendein Geschöpf vermag uns zu trennen von der Liebe Gottes, welche ist in Christus Jesus unserm Herrn.“ (Röm. 8, 35-39).

Objektive Merkmale des Gnadenstandes

Abschließend sei noch auf die objektiven Merkmale hingewiesen, welche uns mit moralischer Gewißheit die Annahme erlauben, im Stand der heiligmachenden Gnade zu sein. 1. Etwa, wenn ein Mensch ergeben ist in den Willen Gottes; d.h. sich in Widerwärtigkeiten nicht auflehnt und sich nicht empört. 2. Wenn er Furcht hat, in Sünde zu fallen und deshalb die Gelegenheiten, die ihn in Sünden geraten lassen könnten, nach Kräften meidet. Und 3., wenn er opferbereite Liebe zeigt; gerne gibt ohne eine Gegenleistung zu erwarten, gerne verzeiht und selbst um Verzeihung bittet. Ein solcher Mensch darf all das als Zeichen ansehen, im Gnadenstand zu sein. Ergebenheit in den Willen Gottes; opferbereite Liebe und Furcht vor der Sünde. Das sind die Kennzeichen des Gnadenstandes. Denn ein guter Baum bringt gute Früchte, ein schlechter Baum, bringt schlechte Früchte hervor (vgl. Mt. 7, 17-20). – Freilich noch einmal: Es ist damit nichts zurückgenommen von dem, was vorhin von der Unmöglichkeit einer absoluten Heilsgewißheit gesagt worden ist. Es ist nur eine „moralische Gewißheit“ möglich, wobei diese um so belastbarer ist, als sie aus einem ehrlichen, gut gebildeten Gewissen hervorgeht.

Heilsame Ungewißheit

Schließlich ist eine letzte Ungewißheit über den Zustand unserer Seele auch heilsam für uns, so sehr wir uns freilich zu unserer Beruhigung eine absolute Gewißheit wünschen würden. Aber Gott will dem Pharisäertum von vorne herein Einhalt gebieten. Wenn jemand mit untrüglicher Gewißheit wissen könnte, im Stand der heiligmachenden Gnade zu sein, dann könnte er sich über die anderen erheben. Er könnte sich so verhalten wie die Pharisäer im heutigen Evangelium, oder wie jener Pharisäer der zum Tempel hinaufstieg und im Gebet auf die anderen herabblickte: „Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die anderen“ (Lk. 18, 11). Nicht wie die Ungläubigen, die Ehebrecher, Mörder, Diebe, etc. Er ist der einzige Gerechte, und die anderen sind alle Sünder. Der Pharisäer hatte diese an Hybris und Vermessenheit grenzende Überzeugung von seinem Gnadenstand. Das will Gott nicht! Und deshalb muß eine letzte Ungewißheit bleiben. Wir sollen uns in der Demut bewähren, die eben nicht auf die eigene Leistung und Vorzüglichkeit, sondern auf die Allmacht und Barmherzigkeit Gottes hofft und baut.

Ein zweiter Grund liegt darin, daß wir gerade durch die Ungewißheit gehalten sind, uns ständig neu und in zunehmendem Maß um die Liebe Gottes zu bemühen. Wir haben das ewige Leben, das übernatürliche Gnadenleben eben nicht wie einen festen Besitz auf dem wir uns ausruhen könnten; nicht wie ein Möbelstück, das wir in unserer Wohnung vorfinden. Sondern wir müssen uns ständig bemühen, daß wir im Gnadenstand sind und bleiben; daß wir in der Gnade wachsen; damit wir das große Gut der „Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende“ erwerben können. Dazu ist es notwendig, beständig in der Gottesliebe zu wachsen; d.h. sich beständig im Bußsakrament aufs Neue zu reinigen, sich beständig im Kommunionempfang aufs Neue zu stärken, sich beständig aufs Neue in tugendhaften Werken zu beweisen.

Ja, das Leben des Katholiken steht in der Spannung von Heilszuversicht und Ungewißheit, zwischen der Nähe zu Gott und einer gewissen Distanz, zwischen Liebe und Furcht. Die heilige Furcht bewahrt uns vor Selbstsicherheit und Sorglosigkeit. Die Liebe bewahrt uns vor Mutlosigkeit und Verzweiflung. In allem aber wollen wir die Worte des hl. Paulus beherzigen: „Wer zu stehen glaubt, der sehe zu, daß er nicht falle!“ (1. Kor. 10, 12). Und darum wollen wir heute mit der Kirche beten: „Gott, Du Beschützer aller, die auf Dich hoffen, nichts ist stark, nichts heilig ohne Dich; so laß denn Deine Barmherzigkeit in reicherer Fülle über uns walten, damit wir unter Deiner Leitung und Führung durch die zeitlichen Güter so hindurchgehen, daß wir die ewigen nicht verlieren.“ Amen.

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