Jungfrau und Mutter

Geliebte Gottes!

Seit der Geburt Christi ist nun schon der achte Tag angebrochen. Die achttägige Festfeier der Menschwerdung des Gottessohnes erfüllt sich heute. Der Stern, welcher die Weisen leitet, nähert sich bereits Bethlehem. In fünf Tagen wird er über der Stätte stehen, wo das göttliche Kind ruht. An den Ort, wohin uns die Kirche heute erneut führt zur Krippe des Erlösers, den der Prophet Isaias bereits mit herrlichen Titeln angekündigt hat: „Wunderrat, Starker, Gott, Vater künftiger Zeitalter, Friedensfürst.“ – Einer dieser Titel leuchtet am heutigen Neujahrestag besonders hell auf: „Pater futuri saeculi – Vater der künftigen Zeitalter“ wird dieses Kind genannt. Kaum geboren, wird dem Krippenkind auch schon eine Vaterschaft zugesprochen. Und das mit vollem Recht! Hat uns doch die Geburt des Jesuskindes ein Neues Jahr, eine neue Zukunft beschert – das Jahr 2022. Seine Geburt markiert eine Zeitenwende. Nicht nur damals vor 2000 Jahren, als man anfing, die Jahre nach Seiner Geburt zu zählen, sondern jedes Jahr beginnt an der Krippe eine neue Zeitrechnung, ein neues Jahr. Denn der Gottmensch Jesus Christus ist gekommen, um dem hoffnungslos verlorenen Menschengeschlecht in Seiner Erlösung eine neue Zukunft, eine nicht enden wollende Zukunft, eine ewige Zukunft bei Gott, in Gott und für Gott zu bescheren; mit einem Wort: die ewige Glückseligkeit. Und wodurch? Durch die Vergießung Seines kostbaren Blutes.

Deshalb soll das neue Jahr, welches für die neue Zukunft steht, auch in dieser Hl. Messe durch die Vergießung des Erlöserblutes feierlich eingeweiht werden. – Der jüdischen Sitte gemäß feiert die Liturgie heute die Beschneidung des neugeborenen Menschensohnes, wobei Ihm der Name „Jesus“ gegeben wurde; jener Name, der nichts anderes heißt als „Retter“, „Heiland“. Durch das erste Opfer Seines unschuldigen Blutes in Verbindung mit der bezeichnenden Namensgebung soll die Gnade der Erlösung, gleichsam sakramental, über das neue Jahr 2022 ausgegossen und ausgesprochen werden: Jesus! Gott rettet. In Ihm ist ewiges Heil! So werde das Jahr 2022 für jeden von uns ein Jahr des Heiles, durch das wir der Ewigkeit entgegengehen.

Das Paradoxon der hl. Weihnacht

Noch einmal bestaunen wir das göttliche Paradoxon, das sich in der Heiligen Nacht offenbart hat. Der schwacher Menschengeist kann den scheinbaren Widerspruch weder fassen noch vollends auflösen: „Das ewige Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (vgl. Joh. 1, 14). Staunend führt uns der hl. Augustinus die Gegensätze im Wunder der Menschwerdung vor Augen, wenn er sagt: „Mein Mund verkünde das Lob des Herrn. Durch Ihn ist alles geworden, und Er selbst wurde einer inmitten von allen. – Er ist die Offenbarung des Vaters und der Schöpfer der Mutter. Sohn Gottes, der aus dem Vater hervorgeht ohne Mutter. Und Menschensohn, der aus der Mutter hervorgeht ohne einen Vater. (…) Das göttliche Wort vor aller Zeit, menschgewordenes Wort zur festgesetzten Zeit. Der Schöpfer der Sonne, geschaffen unter der Sonne. (…) Der Urheber des Himmels und der Erde, auf der Erde erschienen unter dem Himmel. Der unaussprechlich Weise, in aller Weisheit ein lallendes Kind. Den die Welt nicht fassen kann, Er liegt in einer engen Krippe. Der die Sterne lenkt, saugend an der Mutterbrust. So groß in Seiner göttlichen Gestalt, ganz klein in Knechtsgestalt.“ Selbst am achten Tag von Weihnachten, ja bis in alle Ewigkeit wird der Menschengeist das Wunder der Menschwerdung Gottes nicht begreifen können.

Der Ruhm Mariens

Aber dieser Tag ist nicht allein dem Geheimnis der Inkarnation und der Beschneidung Christi geweiht. Nein, der achte Tag des Weihnachtsfestes wendet sich vor allem derjenigen zu, ohne deren Mitwirken das Wunder der Heiligen Nacht gar nicht möglich gewesen wäre. Und so wollen auch wir unseren Blick heute zusammen mit der Liturgie ganz besonders auf Maria lenken – auf sie, die in dieser Heiligen Nacht Gottesmutter wurde, und zugleich doch makellose Jungfrau blieb.

Auch ihr Geheimnis soll uns in Staunen versetzen und uns dazu veranlassen, die Größe dessen zu preisen, der sich in Maria verherrlicht hat. Nicht nur in Christus, der von Ewigkeit her Gottessohn ist und in der Zeit Menschensohn wurde, tut sich ein rätselhafter Gegensatz auf. Auch in Maria wird ein geheimnisvolles Paradoxon offenbar: Sie ist Mutter und zugleich Jungfrau. – Als Jungfrau wurde sie, ohne einen Mann zu erkennen, der Freuden der Mutterschaft gewürdigt. Als Mutter ging sie jedoch der Würde der Jungfräulichkeit nicht verlustig. Den, welchen die höchsten Engel nicht fassen; ja, den nicht einmal die Himmel fassen können, den hat Maria umfangen und in ihrem Schoß eingeschlossen getragen. Ihn, „der im unzugänglichen Lichte wohnt“; Ihn, „den kein Auge geschaut und kein Ohr gehört hat“; Ihn hat Maria sichtbar gemacht, Ihn hat sie hörbar gemacht. Sie hat das ewige Wort eingekleidet in Fleisch, damit wir Es sehen und hören, betasten und empfangen können. – Und Er, der Unermeßliche, das unendliche Gotteswort, ist hervorgegangen aus ihr, ohne ihren unberührten Leib zu verletzen. Maria war und blieb Jungfrau vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt. So lehrt es das katholische Dogma.

Jungfrau vor der Geburt

Vor der Geburt blieb sie Jungfrau, da der Gottessohn ohne Zutun eines Mannes, ohne die Mitwirkung des hl. Joseph, im unberührten Schoß Mariens gezeugt wurde. – Dies geschah nach dem hl. Thomas von Aquin zu dem Zweck, um die wahre Vaterschaft dieses Kindes sicher zu stellen. Denn die wahre und eigentliche Geburt des Sohnes ereignet sich seit Ewigkeit im Schoß des himmlischen Vaters. Von Ewigkeit her wird die Person des Sohnes aus dem Vater gezeugt. Der himmlische Vater allein ist somit Ursprung des Sohnes. Und so wollte Gottvater auch die alleinige Ursache der menschlichen Natur Seines göttlichen Sohnes sein. Christus sollte nicht zwei Väter haben – einen göttlichen und einen menschlichen – nicht den himmlischen Vater gemäß Seiner Gottheit und den hl. Joseph Seiner hl. Menschheit nach. Zwei Väter, das wäre ganz und gar widernatürlich! Nein, der Sohn sollte nur einen einzigen Vater haben – den, der Ihn noch vor der Morgenröte, im ewigen Heute Gottes gezeugt hatte (vgl. Ps. 109,4; Ps. 2, 7). Deshalb machte der himmlische Vater den Schoß Mariens fruchtbar, ohne daß dabei ihre Jungfräulichkeit angetastet worden wäre.

Jungfrau in der Geburt

Maria blieb Jungfrau auch in der Geburt. D.h. Christus wurde aus Maria geboren ohne Verletzung ihrer mütterlichen Jungfräulichkeit. Wie Er nämlich später, am Ostermorgen, zum Beweis Seiner Gottheit, im verklärten Licht der Auferstehung aus dem verschlossenen Grab hervorgehen würde, ohne dabei das Siegel des Grabes zu brechen; so wie Er am Osterabend zu Seinen Jünger bei verschlossenen Türen in den Saal eintreten würde; auf genauso wundersame Weise trat Er bei Seiner Geburt aus dem Schoß der allerseligsten Jungfrau Maria hervor und ließ diesen dabei völlig unversehrt. – Der hl. Augustinus fragt völlig zu Recht: „Warum hätte also der, welcher als Erwachsener durch verschlossene Türen eintreten konnte, nicht auch als kleines Kind durch unversehrte Geburtsorgane herauskommen können?“ So wie das Sonnenlicht, wenn es durch das Fenster in einen Raum hineinstrahlt, die feste Materie des Glases durchdringt, ohne dabei die Scheibe zu zerbrechen oder irgendwie zu beschädigen, genauso und wohl noch in erhabenerer Weise ist Christus, das „Licht der Welt“ (Joh. 8, 12), aus dem Schoß Mariens hervorgegangen, um in die Finsternis dieser Welt hineinzuleuchten. – So blieb Maria auch in dem Augenblick da sie Mutter wurde, gleichzeitig unversehrte Jungfrau. Sie mußte nicht wie alle übrigen Frauen das eine opfern, um das andere zu werden. Beides ist sie in der Geburt: Jungfrau und Mutter! Denn wie wiederum der hl. Augustinus sagt: „Es wäre nicht recht gewesen, daß durch die Ankunft dessen die Unversehrtheit versehrt würde, der doch gekommen war, Versehrtes zu heilen.“

Jungfrau nach der Geburt

Ebenso blieb Maria schließlich auch Jungfrau nach der Geburt. Wenn wir im Evangelium von den „Brüdern und Schwestern“ Christi lesen (vgl. Mt. 13, 55 f.; Mk. 6, 3), so ist dies im damaligen Sprachgebrauch aufzufassen, wobei festzuhalten ist, daß die Begriffe „Bruder“ bzw. „Schwester“ nicht wie bei uns auf diejenigen Personen beschränkt sind, die von denselben Eltern abstammen. Vielmehr sind im Sprachgebrauch der damaligen Zeit auch Vettern und Cousinen als „Brüder und Schwestern“ bezeichnet worden. – Daß Maria später mit dem hl. Joseph ehelichen Umgang gehabt haben soll, ist ausgeschlossen. Das hätte nämlich ihre Würde gemindert! Warum? – Zum einen hätte sie dann mehrere Kinder von unterschiedlichen Vätern, die gleichzeitig leben – nämlich vom himmlischen Vater und vom hl. Joseph. – Außerdem hätte sie dann die Jungfräulichkeit, die bei der Geburt Christi so wunderbar in ihr bewahrt geblieben ist, freiwillig durch den ehelichen Verkehr preisgegeben. Beides ist mit der Würde ihrer Gottesmutterschaft unvereinbar. – Der hl. Thomas von Aquin gibt ferner noch zwei weitere Gründe, warum Maria auch nach der Geburt Jungfrau geblieben ist: Wie nämlich Christus von Ewigkeit der „Eingeborene des Vaters“, d.h. der einzige Sohn des himmlischen Vaters ist, so sollte Er in der Zeit auch der Eingeborene und einziggeborene Sohn einer Mutter sein. Außerdem wäre es eine Beleidigung des Heiligen Geistes gewesen; denn der Schoß der hl. Jungfrau, in dem der Heilige Geist das Fleisch Jesu Christi gebildet hat, war fortan dessen Heiligtum. Deshalb ziemte es sich nicht, daß der Schoß der Gottesmutter durch die Verbindung mit einem Manne verletzt würde.

So dürfen wir dieses Wunder bestaunen: Maria blieb Jungfrau vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt.

Die Kirche – Jungfrau und Mutter

Wir wissen, daß Gottes Wunder nicht einfach so geschehen. Seine Wunder haben immer eine tiefere Bedeutung. Deshalb werden sie ja auch „signa“, d.h. Zeichen, genannt. Die Wunderzeichen Gottes wollen demnach auch auf etwas anderes verweisen. – Was ist dieser tiefere Sinn des Wunders von der Jungfrau, die zugleich Mutter ist? Wozu das Zeichen der Mutter die doch immerwährende Jungfrau blieb?

Es ist wieder der hl. Augustinus, der uns darauf aufmerksam macht, daß Gott in Maria die heilige Kirche vorgebildet hat. Maria ist Vorbild und sichtbares Zeichen für die makellose Braut Christi. Die Beschaffenheit Mariens bezeichnet die Beschaffenheit der katholischen Kirche. Der hl. Apostel Paulus wird die Kirche später ebenfalls mit einer makellosen Jungfrau vergleichen, wenn er sagt: „Ich habe euch nämlich einem einzigen Manne angetraut, um euch als keusche Jungfrau Christus zuzuführen“ (1. Kor. 11, 2). In Nachahmung Mariens ist die heilige Kirche in gleicher Weise Mutter und Jungfrau! Der hl. Augustinus sagt: „Er, der bei Seinem Kommen der Mutter die Jungfräulichkeit nicht nahm, kam, um Seine Kirche durch die Erlösung von der Unzucht mit den Dämonen zur Jungfrau ‚ohne Fehl und Makel, ohne Falten und Runzeln‘ (Eph. 5, 27) zu machen.“ Die katholische Kirche ist die makellose, jungfräuliche Braut Christi. Sie ist makellos; weil sie heilig und unfehlbar ist, in ihrer Lehre. Weil sie heilig und unfehlbar ist, in ihren sittlichen Geboten. Weil sie heilig und unfehlbar ist, in ihren Gnadenmitteln. Ihre Heiligkeit und Unfehlbarkeit macht die Kirche zu einer unberührten Jungfrau. – Daran erkennen wir im Übrigen, daß die „konziliare Kirche“ nicht die katholische Kirche sein kann. Denn die Konzilskirche ist nicht heilig und unfehlbar in ihrer Lehre, sondern häretisch. Sie verkündet eine falsche, verderbliche Morallehre und feiert zweifelhafte und ungültige Sakramente. Damit ist die Konzilskirche nicht jungfräulich, sondern unzüchtig. Sie ist nicht die unberührte, heilige Braut Jesu Christi, sondern eine Dirne, welche Irrlehren und Sittenverderbnis in sich aufnimmt.

Die katholische Kirche ist jedoch nicht nur Jungfrau. Sie ist zugleich auch Mutter. Wir alle sind durch das Taufsakrament in ihrem Schoß geistig, also gleichsam jungfräulich, als Kinder Gottes geboren worden. Jeder von uns wurde der Gnadenordnung gemäß, wie Christus, jungfräulich empfangen und von der Kirche Gottes geboren. Denn wir alle wurden im reinen und reinigenden Wasser der Taufe „nicht aus dem Geblüt, auch nicht aus dem Willen des Fleisches, auch nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren“ (Joh. 1, 13). Durch diese übernatürliche Geburt sind wir Söhne Gottes, und damit Christus ähnlich geworden. Wie der Gottessohn durch Vermittlung Mariens zum Menschensohn geworden ist, so werden wir Adamskinder durch die Vermittlung der hl. Kirche gleichsam zu Kindern Gottes. Freilich, Kinder Gottes nicht wie Christus, gemäß der Natur, sondern durch gnadenhafte Annahme. „Kinder Gottes heißen wir und sind es auch!“ (1. Joh. 3, 1). – So findet sich in der jungfräulichen Gottesmutter Maria die heilige Kirche Christi vorgebildet. Denn auch die katholische Kirche ist zugleich Jungfrau und Mutter.

Marianische Jahreslosung

Schließlich müssen wir jedoch noch einen Schritt weiter gehen. Wir müssen die Anwendung auch auf uns selbst machen. Nicht nur die katholische Kirche ist Jungfrau und Mutter. Auch die Glieder der Kirche, also wir, sollen sowohl das eine als auch das andere sein. Freilich können wir nicht dem Fleische nach Jungfrau und zugleich Mutter sein. Das ist unmöglich! Aber dem Geiste nach, müssen wir beides sein. Wir sollen Jungfrau und Mutter sein. – Jungfrau, indem wir unser Herz reinhalten von aller Fäulnis der Sünde, von aller Befleckung durch die Irrtümer, die Lüste und ungeordneten Genüsse dieser Welt; von allem, was den Stolz hochfahren läßt, die Begierden reizt oder den Zorn zum Kochen bringt. Wir müssen jungfräulich sein, indem wir nur den tugendhaften, geistigen und übernatürlichen Dingen, nicht aber den fleischlichen, Einlaß in unser Herz gewähren. Allein Christus, der in den Schoß Mariens eintreten und hervortreten konnte, ohne denselben zu verletzen, Er allein soll in unserem Herzen Einlaß und Wohnung finden. So werden wir gleichsam Jungfrau sein. – Als Kinder Gottes müssen wir aber auch Mutter sein. Wir müssen Christus im Herzen durch den Glauben empfangen. Zum Glauben geselle sich die Hoffnung und vor allem die Liebe, aus der jedes Wort und jedes Werk aus uns gleichsam „geboren“ wird. Wir sollen in diesem Jahr fruchtbar werden an guten Gedanken, Worten und Werken, indem wir die Tugenden Christi gleichsam als unsere übernatürlichen „Kinder“ hervorbringen. – So können auch wir gewissermaßen Jungfrau und zugleich Mutter sein. Und deshalb wollen wir heute voll Staunen zusammen mit der ganzen Kirche das Lob der Jungfrau und Gottesmutter Maria künden: „Gesegnet und verehrungswürdig bist du, Jungfrau Maria, die du ohne Verletzung deiner Jungfräulichkeit Mutter des Erlösers geworden bist. Ich weiß nicht, wie ich dich preisen soll. Denn du hast den unter deinem Herzen getragen, den die Himmel nicht fassen können. Du bist gebenedeit unter den Weibern.“ Du, die du Jungfrau bist und Mutter. Amen.

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