„Der Mensch ist, was er in den Augen Gottes ist.“

Geliebte Gottes!

Man sollte meinen, wenn man betet, dann spräche man zu Gott. Ob in der Kirche oder daheim im stillen Kämmerlein, ob laut oder leise, ob in Versen oder in schlichten Worten, das ist nicht entscheidend.

Da zeichnet unser Herr Jesus Christus in Seiner anschaulichen Sprache zwei Männer, beide im Tempel. Wir würden heute sagen: in der Kirche. Die erste Gestalt fängt in gewichtiger Haltung an zu sprechen. Christus sagt, daß dieser Mann nicht wirklich betet, sondern „er sagte zu sich selbst“. Es ist ein lautes Selbstgespräch im Tempel. Im Tempel sollte man mit Gott reden – und wer Selbstgespräche führt – und dazu noch laut – der ist nicht ganz normal. Er beginnt zwar: „Gott, ich danke Dir“ (Lk. 18, 11), aber er sagt das nicht dem lieben Gott, sondern er sagt sich selbst etwas vor, was ihm „guttut“. Darum handelt es sich dabei nicht um ein Gebet, sondern um das Selbstlob; um ein Selbstlob eines nicht ganz normalen Menschen. Daß er weder ein Räuber, noch ein Betrüger, noch ein Ehebrecher ist, wollen wir ihm gerne glauben. Aber darauf braucht man sich noch nichts einzubilden. – Ganz häßlich wird sein Gerede jedoch, als sein schweifender Blick auf einen bestimmten anderen Menschen fällt, der sich gerade mit ihm im Tempel befindet „ ... auch nicht wie dieser Zöllner“ (Lk. 18, 11). – Woher will er denn wissen, daß er besser ist als dieser Zöllner? Weil er fastet, was der Zöllner wahrscheinlich nicht tut? Weil er den Zehnten, also materielle Unterstützung für die Kirche gibt, was der Zöllner bestimmt nicht tut? Als ob die Taten allein schon etwas beweisen. Man kann auch fasten, damit die Leute voll Bewunderung sagen: „So ein frommer Mann!“ Man kann den Zehnten geben, um zu den „großen Wohltätern“ gerechnet zu werden. Man kann es auch tun, nur um sich selbst zu schmeicheln, daß man ein „selbstloser Ehrenmann“ sei. Aus Liebe zu Gott kann man all das auch tun! aber dann macht man kein Aufhebens davon. Das ist immer das Kennzeichen echter Liebe und echter Demut unter Menschen und Gott gegenüber, daß man die Gaben und Geschenke ganz schlicht, ganz bescheiden gibt. Man will ja Freude machen, nicht wichtig tun.

Der Pharisäer liebt nicht Gott, sondern sich. Darum schaut er überhaupt erst auf den Zöllner, um sich über dessen „minderwertigen“ Lebenswandel zu entrüsten, um sich in seiner eigenen moralischen Überlegenheit selbst zu bestätigen.

Ein Gleichnis!

Keiner schüttle schmunzelnd den Kopf über diesen Pharisäer. Auch sage keiner, es sei ja „nur“ ein Gleichnis. Um so schlimmer, daß es ein Gleichnis ist! Wäre es ein ganz bestimmter Mensch gewesen, von dem Christus da sprach, dann hätte man sagen können: So einen Menschen, der wie dieser Pharisäer nicht ganz normal ist, kommt nur einmal vor. Aber ein Gleichnis meint immer etwas Häufiges, etwas immer Wiederkehrendes. Wenn wir uns selbst sehr aufmerksam kontrollieren – und dabei ehrlich zu uns selber sind –, finden wir vielleicht sogar eine Verwandtschaft zu dieser Karikatur eines Beters. Es brauchen ja nicht gleich alle Züge gestochen scharf übereinzustimmen, die Verwandtschaft kann auch nur dritten oder fünften Grades sein. Etwas davon muß sogar sehr wahrscheinlich in den meisten von uns diesem Pharisäer entsprechen, weil uns der Herr in Seinem Gleichnis doch ganz offensichtlich einen Spiegel vorhalten wollte. Vielleicht ist es die unbewußte Neigung, unsere guten Werke aufzuzählen, um uns darin zu bestätigen ein guter, gottesfürchtiger Mensch zu sein. Vielleicht auch nur der Mangel echter, selbstloser Gottesliebe beim Gutestun. Oder aber wir verdrängen unser Schuldbewußtsein durch den Vergleich mit anderen, die zweifellos Dinge auf dem Kerbholz haben, die wir uns nicht vorwerfen müssen. Frei nach dem Motto „Ich bin zwar kein Engel, aber so wie diese Person da ...“ – Alles in allem fehlt es an der rechten Demut.

Demut und Begabung

Die Demut ist jene Tugend, durch die der Mensch in unbestechlicher Selbsterkenntnis klein wird in seinen eigenen Augen. Demütig sein heißt, sich selbst so erkennen und so erkannt sein wollen, wie es die Wirklichkeit verlangt, also nicht klüger, nicht vornehmer, nicht einflußreicher, nicht gebildeter, nicht besser scheinen wollen, als man selbst tatsächlich ist. Sich selbst gleichsam mit den unbestechlichen und wahrhaftigen Augen Gottes sehen und beurteilen. Das ist Demut. „Der Mensch ist das, was er in den Augen Gottes ist; nicht mehr und nicht weniger.“ So brachte es der hl. Pfarrer von Ars, dessen Gedächtnis wir heute feiern, auf den Punkt.

Die Gaben, welche den Menschen zuteil werden, sind verschieden. Wir wissen, daß nach dem Gleichnis von den Talenten den Menschen sehr verschiedene Begabungen von Gott zuteil werden, dem einen mehr, dem anderen weniger. Wer mehr und größere Gaben empfangen hat, der muß wissen, daß das Gottes Geschenke sind, nicht seine eigenen Verdienste. Der hl. Apostel Paulus fragt: „Was hast du, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber empfangen, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ (1. Kor. 4, 7) An einer anderen Stelle schreibt er: „Wer glaubt, etwas zu sein, da er doch nichts ist, betrügt sich selbst“ (Gal. 6, 3). Vielfach gehen wir in die Irre, wenn wir uns mit den anderen Menschen vergleichen. Wissen wir, wie groß und wie zahlreich die Begabungen und die Gnadenhilfen sind, die unser Mitmensch empfangen hat? Vielleicht sind ihm viel weniger Zuwendungen von Gott zuteil geworden als uns. Vielleicht hätte er mit den Gaben, die wir empfangen haben, viel besser gearbeitet als wir es getan haben und tun. Vielleicht hätte er viel intensiver mitgewirkt mit der Gnade Gottes. Vielleicht wäre er zu einem höheren Stand der Vollkommenheit und der Tugend gelangt, als wir es sind. Das eigene Versagen kennen wir nur zu gut. Das Zurückbleiben des anderen können wir wegen Mangels des Einblicks in sein Inneres nicht beurteilen!

Demut und Leistung

Ähnlich verhält es sich mit der Leistung. Die Leistungen der Menschen sind sehr verschieden, das wissen wir alle. Und wenn wir uns sagen dürfen, daß wir mehr geleistet haben als andere, so ist das kein Grund zur Selbstüberhebung; denn auch bei unseren Leistungen, bei unserem Tun hat Gott uns beigestanden. Wir haben günstige Voraussetzungen vorgefunden – geistige, materielle, körperliche, soziale –, wir haben wohlwollende Vorgesetzte gehabt, die uns gefördert haben. Vielleicht hätten andere mehr und Besseres geleistet als wir, wenn sie unter denselben Voraussetzungen hätten arbeiten können, wie wir es tun konnten. Ja, obwohl das Arbeitsergebnis des anderen im äußeren Vergleich tatsächlich minderwertiger sein mag als das unsere, so kann doch die innere Leistung des anderen größer sein als die unsere. Denn wir wissen nicht, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hatte, welche Anstrengungen er machen mußte, die uns erspart bzw. nicht abverlangt wurden. Wir wissen nicht, wieviel Kraft, wieviel guten Willen er hat aufbringen müssen, um das Wenige zu vollbringen, das er vollbracht hat. Das wissen wir nicht. Nichts führt uns deshalb sicherer zu einem falscheren Urteil über den Mitmenschen, als wenn wir ihn nach rein äußeren Kriterien zu bewerten suchen.

Die Quelle aller guten Gaben

„An Gottes Segen ist alles gelegen“, sagt der Volksmund. Und das mit vollem Recht! Der Erfolg unserer Arbeit ist Gott zu verdanken. Niemand hat das deutlicher ausgedrückt als der hl. Apostel Paulus, als er von der Missionsarbeit schreibt, der er mit seinem Mitapostel, dem Apollo, so segensreich gewirkt hat. „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, das Wachstum aber hat Gott gegeben. Darum kommt es weder auf den an, der pflanzt, noch auf den der begießt, sondern auf Gott, der das Wachstum gibt“ (1. Kor. 3, 6).

Gott will, daß wir demütig sind, denn er will, daß wir wahrhaftig sind. In Wahrheit aber kommt jedes Wollen und Vollbringen von Gott. Gott will, daß wir unsere Bedürftigkeit und unsere Abhängigkeit Ihm gegenüber anerkennen und bekennen. Gott will, daß wir uns ehrlich zum Spender aller Gaben bekennen. Er will, daß wir Ihm die Ehre geben und sie ihm nicht stehlen, indem wir unser Erfolge uns selbst zuschreiben. Der Demütige ist Gott angenehm, der Hochmütige mißfällt Gott, weil er ein Dieb ist. Er raubt Gott die Ehre. Was Wunder, wenn sich Gott von einem Dieb zurückzieht.

Das Übel der Selbstgefälligkeit

Es gibt zwei Formen eines solchen „Diebstahls“. Es gibt zwei Gegensätze, zwei besonders häufige Gegensätze zur Demut. Die erste Form des Diebstahls und damit der erste Gegensatz zur Tugend der Demut ist die Selbstgefälligkeit. Sie besteht darin, daß ein Mensch sich etwas einbildet auf seine Vorzüge, seine Herkunft, seine Bildung, seine Stellung, auch auf sein äußeres Erscheinen. Der Selbstgefällige gefällt sich selbst. Er ist mit sich und seinem Tun zufrieden, ja, er rühmt sich seines Könnens und seiner Leistung. Er ehrt sich selbst; er gibt sich selbst die Ehre. Er behält für sich, was Gott gehört. Das kann so weit gehen, daß er sich selbst anbetet. Ja, sich selbst anbeten ist der häufigste Götzendienst unserer Tage! Gegen Selbstgefälligkeit ist niemand gefeit, vor allem diejenigen nicht, die in der Öffentlichkeit arbeiten, die eine herausgehobene Stellung unter den Menschen haben, etwa wie Ärzte, Lehrer oder Priester.

Das Übel der Gefallsucht

Ein zweiter Gegensatz zur Demut ist die Gefallsucht. Das ist das unlautere Streben, von Menschen anerkannt, geschätzt, gelobt, ausgezeichnet zu werden. Der demütige Mensch arbeitet sachlich. Er sucht den sachlichen Anforderungen des Lebens gerecht zu werden. Er schielt nicht nach Beifall und zielt nicht auf das Lob von Menschen. Es geht ihm um das Werk, das ihm Gott aufgetragen hat. Der gefallsüchtige Mensch arbeitet für seine eigene Erhöhung, für seinen eigenen Ruhm, für den Anklang in der Gesellschaft oder wenigstens in seinem unmittelbaren Umfeld. Dadurch wird die Lauterkeit seines Tuns getrübt. Dadurch wird die Verdienstlichkeit seiner Werke zerstört. Es geht ihm nicht um die Aufgabe, es geht ihm um sich selbst. Der Apostel Paulus wußte um diese Gefahr. „Suche ich noch Menschen zu gefallen? Wenn ich Menschen gefallen wollte, wäre ich nicht Christi Diener“ (Gal. 1, 10). Das eine schließt das andere notwendigerweise aus. Demut und Gefallsucht können nicht zugleich bestehen.

Demut und Ehre

Um Mißverständnisse zu vermeiden muß an dieser Stelle gesagt sein: Ein jeder hat das Recht auf Ehre und Achtung. Ehre und Achtung ist die praktische Anerkennung des Wertes einer Person durch die seine Umwelt, durch die Menschen, die mit ihm leben. Die Ehre ist von großer Bedeutung, denn sie ist gewissermaßen die soziale Atmosphäre, in der wir uns entfalten können. Ein Mensch, der keine Ehre hat, ist in der Gesellschaft unfähig, etwas zu leisten. Er wird von allen gemieden. Die Ehre schützt aber auch die eigene Sittlichkeit. Wer Ehre hat, wer anerkannt wird, der wird sich bemühen, dieser Anerkennung gerecht zu werden. Er wird sich anstrengen, so zu handeln, daß alles Schäbige von ihm fernbleibt. Also die Ehre hat eine hohe Bedeutung! Jemandem Ehre zu bezeigen, ist also nicht nur gestattet, sondern sogar von Gott gefordert: „Ehre deinen Vater und deine Mutter!“ (Deut. 27, 16) „Ehre den Greis!“ So steht in der Schrift des Alten Bundes. Ehre, wem Ehre gebührt. Und der heilige Petrus schreibt: „Ehret alle, fürchtet Gott, ehret den König!“ (1. Petr. 2, 17). Nichts sei also gegen die dankbare Würdigung einer Person aus einsehbarem Anlaß gesagt.

Das Übel des Personenkultes

Doch muß die Hochachtung vor einem Menschen auch auf einem wahren, d.h. gerechten Fundament ruhen. – Ganz schlimm wird es nämlich, wenn die Ehrungen von Personen in den Personenkult ausarten. Darunter ist die Überbewertung von Personen und ihrer Leistung zu verstehen, die Schmeichelei, die Speichelleckerei, die Lobhudelei. Der Personenkult sucht immer neue Gelegenheiten, um die (angeblichen) Qualitäten und die (angeblichen) Verdienste bestimmter Persönlichkeiten überhöht und übersteigert hervorzuheben. Im Personenkult wird die Wahrhaftigkeit verletzt, jenes Fundament worauf die Demut ruht. Es werden einer Person Eigenschaften und Leistungen zugeschrieben, die in Wirklichkeit gar nicht oder wenigstens nicht so vorhanden sind. Solchen Personenkult erleben wir heute überall. Wir finden ihn in der Medienwelt vor, wo Stars aus Politik, Medizin, Sport, Musik und sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens, die ein unmoralisches Leben führen, Ehre und Achtung erwiesen wird, die ihnen beileibe nicht zukommt. Aber auch in der sog. „Bewegung der kath. Tradition“ wird der Personenkult eifrig gepflegt, indem Idole zu „Heiligen“ und zu „sicheren Wegweisern in der heutigen Krise der Kirche“ hochstilisiert werden, ohne zu hinterfragen, ob diese „Wegweiser“ überhaupt auf dem Fundament des katholischen Glaubens gehandelt haben. Besonders widerlich ist gerade diese Art des Personenkults, der geweihten oder nichtgeweihten Personen erwiesen wird, und dann womöglich auch noch im Rahmen der hl. Messe.

Man darf Gott die Ehre nicht stehlen! Man darf nicht Menschen zuschreiben, was von Gott kommt! Ihm gebührt die Ehre und der Dank. Er hat das Wollen und das Vollbringen gegeben. Der Völkerapostel wußte um diesen Zusammenhang. Er schreibt in seinem ersten Korintherbrief: „Ich habe mehr gearbeitet als die anderen“ (1. Kor. 15, 10). Das ist zweifellos eine sehr selbstbewußte Feststellung. Aber dann folgt gleich der Satz: „Nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir.“ Das ist die katholische Haltung. Sie findet sich schon bei der Gottesmutter. In ihrem Magnifikat hält sie die Tatsache fest: „Von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter“ (Lk. 1, 48). Das ist ein großes Lob. Und es ist wahr! Doch handelt es sich dabei um kein überhebliches Selbstlob. Denn die allerseligste Jungfrau hat den Grund für ihre herausgehobene Stellung, derer sie sich durchaus bewußt war, bereits vorausgeschickt. Sie sagt: „Denn Er (Gott) hat herabgeblickt auf die Niedrigkeit Seiner Magd.“ Der katholische Christ, der demütig ist, spricht stets mit dem Psalmisten: „Herr, nicht uns, nicht uns, sondern Deinem heiligen Namen gib die Ehre!“ (Ps. 113, 9).

Das letzte Urteil

Über die Bedeutung der Demut für unser inneres Leben läßt der Herr am Ende des heutigen Evangeliums keinen Zweifel: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden. Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk. 18, 14). Das heißt: Der Herr blickt auf das Endgericht. Das letzte Wort über unser Tun und Lassen spricht kein Mensch und schon gar nicht das eigene Ich, sondern das letzte Wort spricht Gott. Er spricht das einzig gültige und endgültige Wort über unser Tun und Lassen. Am Tage des Gerichtes werden unsere Werke uns entweder zu Hilfe kommen, wenn sie in Gott getan waren, oder sie werden uns in die Tiefe ziehen, wenn wir sie für uns verrichtet haben. „Willst du wissen, wer dich lohnen wird, so frage dich, für wen du deine Werke tust.“ Das ist ein Sprichwort, das es sich lohnt, sich gut einzuprägen: „Willst du wissen, wer dich lohnen wird, so frage dich, für wen du deine Werke tust.“ Denn, um nochmals den hl. Pfarrer von Ars zu zitieren: „Der Mensch ist das, was er in den Augen Gottes ist; nicht mehr und nicht weniger.“ Amen.

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