Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit

Geliebte Gottes!

Das Wunder der Brotvermehrung führte zu zahlreichen Mißverständnissen. Das ist eigentlich nicht verwunderlich. Es wäre wohl ein noch größeres Wunder gewesen, wenn die Menschen es vermocht hätten, seine Bedeutung gleich auf Anhieb selber richtig zu verstehen. Christus wollte den Beteiligten damals das Reich Gottes auf Erden vor Augen führen. Er liefert einen skizzenhaften Entwurf von dem ab, was er bis zu seiner Himmelfahrt gründen, an Pfingsten beleben und was in der Folge katholische Kirche genannt werden wird.

Das Werden des Gottesreiches

Schon am Tag der Brotvermehrung wurde sichtbar, daß Christus das Haupt dieser Kirche ist. Alle versammeln sich um Ihn. Alle schauen und hören auf Ihn. Alles geschieht auf Seinen Befehl. Er ist das Haupt. Sie sind die Glieder. Er übt Sein Lehramt aus. Drei Tage lehrte Er das Volk. Ein Teil der Kirche, wird später die „lehrende Kirche“ genannt werden. Nämlich der Teil, welcher künftig in Seinem Namen lehren wird; der Teil, von dem Er sagte: „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk. 10, 16). Dann gibt es auch einen Teil, der zuhört. Die Menschen strömen zusammen. Tausende! Viertausend an jenem Tag. Drei Tage hörten sie Seine Lehre an und nahmen Sein Evangelium vom Himmelreich im Glauben an. Drei Tage. In der Kirche Christi gibt es also auch einen Teil, den man später die „hörende Kirche“ nennen wird. Neben der wunderbaren Lehre von der göttlichen Wahrheit, welche die Menschen in Bann schlägt, gibt es außerdem ein Wunderbrot. Die Gesten und Handlungen Christi bei der Brotvermehrung sind identisch mit den Riten, unter denen Er später, beim Letzten Abendmahl, die hl. Messe, den zentralen Kultakt Seiner Kirche, einsetzen wird. „Er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie Seinen Jüngern zum Austeilen“ (Mk. 8, 6). Das Wunderbrot, das sich in der Hand der Apostel vermehrte, bis alle gesättigt waren, und von dem sieben Körbe übrig bleiben, ist selbstredend ein skizzenhafter Entwurf für die „heil‘ge Seelenspeise auf dieser Pilgerreise“, für den Leib und das Blut Jesu Christi selbst. Dieses übernatürliche Manna, dieses Himmelsbrot würde die Menschen gänzlich sättigen, würde die Seelen mit Gottes Gnade, ja mit Gott selbst erfüllen. Der Überfluß davon würde aufgespeichert werden in sieben Gefäßen, den sieben hl. Sakramenten. Angedeutet durch die sieben Körbe.

Schon am Tag der Brotvermehrung wurde erkennbar, daß nicht alle gleich sind in der Kirche Christi. Der Herr selbst hatte in den Jüngern Männer berufen, die in Seinem Namen die Menschen sättigen sollen. Die Apostel sollten hierfür durch Anteilnahme am Priestertum des einzigen Hohepriesters des Neuen Bundes, als verlängerter Arm Christi, als Diener und Werkzeuge in der Hand des Erlösers dienen. Soviel hatte Christus den Menschen an diesem Tag von Seinem skizzenhaften Entwurf über das irdische Reich Gottes, über die katholische Kirche, schon zeigen wollen. Das Reich Gottes nahm Gestalt an. Ja, mehr noch. Der Herr sagt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk. 17, 21). Doch war das für den irdisch gesinnten Menschen zu hoch und zu viel.

Die Brotfrage

So ist es nicht verwunderlich, daß es zu Mißverständnissen kommen mußte. Zu Mißverständnissen beim Volk – und auch bei den Aposteln. Die Volksmenge damals wie heute beschäftigt sich vor allem mit einer Frage: Wie werden wir satt? Die Brotfrage ist so alt wie das Menschengeschlecht und wird bis zum Ende der Welt ein relevantes Thema bleiben. Kein Wunder also, daß sie Jesus falsch verstanden und wähnten, mit Ihm sei diese fundamentale Frage nun endgültig gelöst. Brot für alle! Genug Brot für alle! Mehr als genug Brot! – Diesem Mißverständnis begegnete unser Herr mit dem Ruf: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird euch hinzugegeben werden“ (Mt. 6, 33). Nicht das Brot! Nicht die Sättigung! Nicht der volle Bauch haben die oberste Priorität für den Menschen. Dieses wird zwar, soweit es dem Menschen dienlich ist, hinzugegeben werden. Aber die erste und oberste Sorge muß der Mensch dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit einräumen.

Die Rede vom Reich und seiner Gerechtigkeit führte jedoch nun zu Mißverständnissen bei den Aposteln. Sie hatten immer, wenn unser Herr vom Gottesreich sprach, ein politisches Reich vor Augen. Sie dachten, Jesus würde das jüdische Königreich wiedererstehen lassen, das Reich Davids. Ein irdisches Reich, das die römische Besatzungsmacht aus dem Land vertreibt. Ein Reich, in dem allein Juden herrschen würden. In diesem Reich, so meinten sie, gäbe es auch Posten zu verteilen. Posten, die über Recht und Gesetz wachen würden, die für die Gerechtigkeit im Gottesreich sorgen würden. – Die Mutter der beiden Zebedäus-Söhne wollte, daß der eine ihrer Söhne zur Rechten und der andere zur Linken des Messias-Königs sitzen werde. Oft stritten die Jünger, wer der Größte sei. Es gibt eine Rangordnung, eine Ordnung der Gerechtigkeit. Das wußten sie. In der Einhaltung der Rangordnung erblickten sie offenbar die Gerechtigkeit, die es zu suchen galt. Wer der Größte sei in diesem Reich, wer der Erste, wer der Bedeutendste, wer die Gerechtigkeit bei den anderen einfordern dürfe. – Unser Herr hatte es wirklich nicht leicht. Wir Menschen sind einfach zu irdisch gesinnt. Doch Er erbarmte sich nicht nur des Volkes sondern auch Seiner Apostel. Und in ihnen erbarmte er sich auch unser. Denn auch wir hätten gewiß nicht anders gedacht als das Volk oder die Apostel. – Er rief ein Kind herbei. Ein Kind! Er stellte es in ihre Mitte und sagte: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie Kinder, werdet ihr in das Reich Gottes nicht eingehen. Wer klein wird wie dieses Kind, der ist tauglich für das Reich Gottes“ (Mt. 18, 3). Der Herr erklärt: Bevor man Posten im Himmelreich beanspruchen kann, muß man erst einmal hineinkommen! Wie? Durch die Gerechtigkeit, die man selber übt! – Welche Gerechtigkeit? – Die Gerechtigkeit des Kindes! – Der Suche nach der Gerechtigkeit der Kinder Gottes steht nicht selten ein großes Hindernis entgegen – der Ehrgeiz.

Der Ehrgeiz

Was ist Ehrgeiz? Ehrgeiz ist das ungeordnete Streben nach Ansehen, Macht, nach Einfluß unter Vernachlässigung der sachlichen Ordnung und des Willens Gottes. Ungeordnetes Streben nach Macht und Einfluß unter Außerachtlassung des Gemeinwohles, der ja alle Macht dienen soll. Der Ehrgeiz ist eine schlimme Verirrung und eine große Gefahr für die Kirche, für das Reich Gottes. Aber auch für Familie, Staat und Gesellschaft. Der Ehrgeiz strebt zuallererst danach, die eigene Vorzüglichkeit zur Geltung zu bringen. Er verleitet dazu, das Ansehen und die damit verbundene Macht um ihrer selbst willen zu erstreben, nicht um sie für den Nutzen der anderen einzusetzen und einzubringen. Denn der Ehrgeiz arbeitet für sich und nicht für die Sache. Und darin liegt eine totale Verkehrung. Der Diener Christi muß ganz hinter der Sache seines Herrn stehen! Damit muß er notwendigerweise aber auch hinter der Sache zurücktreten, muß hinter der Sache gleichsam verschwinden. Der Ehrgeiz sucht sein kleines Ego im Rampenlicht zu sonnen. Der Gerechte nutzt das Spotlight, um die Sache Gottes ins rechte Licht zu stellen.

„Wenn ihr nicht werdet ...“

Das Ideal, welches Christus Seinen Dienern vorsetzt, ist der demütige Mensch; der innerlich demütige Mensch; der seine Stellung, seinen Einfluß, seine Macht, die ihm in Familie, Kirche, Staat und Gesellschaft übertragen sind, als Dienst auffaßt; als Dienst für Gott an den Seelen. – Wer anders denkt, arbeitet nicht am Aufbau des Reiches Gottes und ist in der engeren Gefolgschaft Christi völlig fehl am Platze. Jeder Diener Christi muß täglich beten: „Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre“ (Ps. 113, 9). Das Vorbild der Demut ist das Kind. Wir müssen also untersuchen, wieso das Kind ein Vorbild für uns sein kann. „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie Kinder, werdet ihr in das Reich Gottes nicht eingehen“ (Mt. 18, 3). Freilich hat diese Forderung nichts mit Albernheit und kindischem Benehmen zu tun. Christus verlangt, daß wir wie die Kinder, nicht, daß wir kindisch werden sollen! Statt dessen verlangt Er von uns eine Wiedergeburt. Wir sollen neue Menschen werden. Diese Wiedergeburt ist mit der Taufe allein noch nicht abgeschlossen. Seit der Taufe heißen wir zwar Kinder Gottes, und solange wir die heiligmachende Gnade bewahren, sind wir es auch tatsächlich. Doch muß die Gnade nicht nur der Seele anhaften, sondern die ganze Menschennatur erfassen, heilen und übernatürlich erheben. Von Natur aus sind wir triebhaft, egoistisch, eigensinnig, machtgierig, und wir sollen anders werden. Das muß sich wandeln.

Kann sich der Mensch wandeln? – Ja, er kann! Wenn er will! Schon das Schicksal, das uns trifft, wandelt uns in gewisser Hinsicht. Die Schläge, die wir erhalten, das Leid, das uns trifft, die Krankheiten die uns überfallen, arbeiten an unserer Seele, daß wir uns wandeln, daß wir von der naturhaften Triebhaftigkeit zur göttlichen Heiligkeit gelangen. Gott gewährt vielen Menschen einen langen Lebensweg, damit sie Zeit haben, sich zu wandeln. Er stellt ihnen hinreichende Gnaden zur Verfügungen, damit ihr guter Wille es vermag. Dies geschieht vor allem durch die hll. Sakramente und durch das Gebet. Wir müssen die uns geschenkte Zeit benutzen. Sie ist begrenzt! Der Countdown läuft, in der unser „Kind-werden“ verwirklicht sein muß.

„... wie die Kinder“

Das Kind macht nichts aus sich. Wenn wir eine Familie besuchen, die mit vielen Kindern gesegnet ist, werden wir beobachten können, daß da nicht so viel Aufhebens um das einzelne Kind gemacht wird. Je weniger Kinder, um so mehr Aufsehen wird gemacht um das einzelne Kind. In einer Familie mit vielen Kindern, da müssen sich alle einordnen und unterordnen. Da hat das Kind nicht Seltenheitswert, es dient nicht der Spielerei, sondern es hat seine Aufgabe. Welche? – Es muß sich gehorsam führen lassen – vom Vater, von der Mutter.

Was können wir vom Kind lernen? Es fehlt ihm die Angeberei, das Prunken mit eigenen Gaben und Leistungen, das Sich-selbst-Rühmen, das Prahlen, das Aufschneiden, das Großtun, die Wichtigtuerei, die Überheblichkeit, das Sich-Vergleichen und Sich-Brüsten. Das alles fehlt dem Kind. Und so sollen wir werden.

Ein Kind ist arglos. Es kennt das Böse noch nicht und weiß nichts von bösen Menschen. Es nimmt von den anderen an, daß sie gut sind und es in allem gut meinen. Deshalb schenkt es Vertrauen. Wir müssen also unseren Argwohn, unser Mißtrauen gegen die Menschen, mit dem wir immer das Schlechte annehmen und niedere Absichten unterstellen, fallen lassen. Wir müssen den Menschen einen Vorschuß an Vertrauen einräumen, nicht sie von vornherein unter Verdacht stellen. Lieber das Risiko eingehen, enttäuscht zu werden, als sich überhaupt nicht mit den Menschen einzulassen. Das ist die Gerechtigkeit des Kindes. Und damit die Gerechtigkeit des Reiches Gottes.

Das Kind kann staunen. Es läßt sich bei der Entdeckung seiner Umwelt ganz von den Dingen in Beschlag nehmen. Es vergißt dabei die Zeit und alles um sich herum. Unser Herr Jesus Christus war zweifelsohne ein begnadeter Redner. Doch die in der Einöde versammelte Menschenmenge muß wahrhaft aus kindlichen Seelen bestanden haben, daß sie drei Tage bei ihm ausharren konnten, sich ganz von den Geheimnissen des Gottesreiches, die ihnen Jesus eröffnete, in Bann schlagen ließen. Übertragen auf uns: Ihnen war keine Predigt zu lang, keine Katechese zu langweilig, kein religiöses Buch zu dick, die Freizeit dafür nicht zu schade.

Ein Kind hat nicht viele Sorgen um das Morgen. Es lebt im jetzt und hat volles Vertrauen auf die Fürsorge seiner Eltern. Es empfängt Nahrung und Kleidung und weiß sich geliebt. Es fragt nicht, ob es das auch morgen, übermorgen in einem Jahr noch haben wird. Es ruht geborgen im Schoß der Familie. Solches Vertrauen müssen auch wir Gott gegenüber lernen.

Einem Kind fehlt die Berechnung. Wir Erwachsenen neigen dazu, in allem, was wir tun, etwas für uns haben zu wollen. Wir fragen immer: Was habe ich davon? Wir wollen immer einen Gewinn für uns selbst haben, und das sogar in der Religion. Ein solches Denken ist dem Kind fern. Das Kind ist zweckfrei. Das Kind ist von der Sache gefesselt und nicht vom eigenen Ehrgeiz.

Wir sollen jene Züge des Kindes annehmen, die auch dem Erwachsenen gut zu Gesichte stehen. Zum Beispiel das rasche Abklingen der inneren Regungen. Beim Kind geht das sehr schnell. Lachen und Weinen liegen nahe beieinander. Auch die schnelle Bereitschaft zur Versöhnung können wir vom Kind lernen. Nicht nachtragen, nicht immer wieder darauf zurückkommen, nicht immer wieder dieselben Vorhaltungen von dem machen, was der andere angeblich oder wirklich getan hat. Wir können vom Kind lernen, daß man nicht nach Rang und Würden hascht, sondern daß man mit dem letzten Platz zufrieden ist. Wenn wir so ein Kind betrachten, und wir sollten es oft tun, dann erkennen wir, welchen Liebreiz es an sich trägt, wieviel Güte und Menschlichkeit an ihm offenbar wird. So sollen wir werden! So müssen wir werden! Nicht im Broterwerb, sondern darin muß unsere erste Sorge bestehen – in der Gerechtigkeit der Kinder Gottes.

Es gibt begnadete Menschen, die ein kindliches Herz haben. Sie haben keine Hintergedanken, sie sind arglos und von Herzen gut. Einen dieser Menschen kennen wir alle. Es ist die heilige Theresia von Lisieux, die sogenannte kleine heilige Theresia. Von ihr stammt das Wort: „Das einzige Mittel, auf dem Weg der Liebe voranzuschreiten, ist dieses: Immer recht klein bleiben. Um sich Jesus nähern zu können, muß man klein sein. Klein sein heißt sein Nichts erkennen, alles vom lieben Gott erwarten, sich über seine Fehler nicht allzu sehr betrüben. Klein sein heißt die Tugenden die man übt, niemals sich selbst zuschreiben, sondern erkennen, daß sie ein Schatz sind, den Gott in die Hand eines Kindes legt.“ Darin besteht die Gerechtigkeit des Reiches Gottes. Alles andere ist nachrangig und wird sich nach den Worten Christi schon geben. „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit. Alles andere wird euch hinzugegeben werden“ (Mt. 6, 33). Amen.

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