Von den Umständen der Geburt Christi in der Zeit und in der Seele

Geliebte Gottes!

„Seht, alles ist erfüllt, was durch den Engel von der Jungfrau Maria verkündet worden ist.“ (Ant. ad Ben. 23. Dez.). Die Fülle der Zeiten ist gekommen. Der, welcher die Erwartung der Völker war, ist erschienen in der Gestalt eines Kindes, das in ärmliche Windeln gewickelt, auf hartes Stroh gebettet im Stalle zu Bethlehem weint. Draußen auf den Feldern vor der Stadt ist das himmlische Heer der Engel niedergestiegen, um den einfachen Hirten in stiller, einsamer Nacht die frohe Botschaft zu bringen, um ihnen jubelnd und frohlockend die große Freude bekannt zu machen, daß der Erlöser geboren worden ist.

Gottes Heilstaten sollen nicht bloß einmal in der Weltgeschichte geschehen sein. Wie die Geburt des Sohnes aus dem göttlichen Vater von Ewigkeit bis in alle Ewigkeit dauert, so soll sich auch Seine Geburt in der Zeit in jeder einzelnen Seele immer wieder erneuern. Der Heiland ist zwar bloß einmal als Kind zur Welt gekommen, doch will Er fortwährend in der Seele eines jeden von uns Seine Wohnung aufschlagen.

Die Umstände, unter denen Er damals zu Bethlehem geboren werden wollte, belehren uns, wie Er auch am heutigen Weihnachtstag zu uns kommen will. Betrachten wir die Umstände der Geburt des Heilandes im Einzelnen und bringen wir sie auf uns zur Anwendung.

Die Friedenszeit

Da sind zuallererst die Umstände der Zeit zu nennen, zu der Christus geboren wurde. Der göttliche Erlöser wurde geboren zu einer Zeit, da allgemeiner Frieden in der damaligen Welt herrschte. So war es von Propheten vorhergesagt worden. Im Psalm 71 heißt es: „In Seinen Tagen wird aufgehen die Gerechtigkeit und die Fülle des Friedens.“ (Ps. 71,7). Und tatsächlich herrschten zur Zeit Seiner Geburt Frieden und Stabilität im römischen Imperium. Die Tore des Janustempels in Rom waren geschlossen, was immer nur dann der Fall war, wenn sich Rom nicht im Krieg befand; solange an allen Grenzen des Reiches Frieden herrschte. Je größer das Reich wurde, umso seltener war das der Fall. Irgendwo war immer Krieg. Aber zur Zeit der Herrschaft des Kaisers Augustus war das anders. Deshalb ging diese friedliche Epoche, die lange über die Regentschaft des Augustus hinaus dauerte, nach ihm benannt, als „Pax Augusta“ (d.h. „Frieden des Augustus“) in die römische Geschichtsschreibung ein.

So war es angemessen, daß der verheißene Erlöser, der vom Propheten Isaias mit dem Titel „Friedensfürst“ (Is. 9,6) angekündigt wurde und der später selber die Friedfertigen seligpreisen würde, in einer Epoche des inneren Friedens und der politischen Stabilität auftrat. Denn Christus war vorrangig gekommen, um der Welt den Frieden mit Gott, den Frieden zwischen den Menschen und den Frieden im Innern der Menschenseele zu bringen.

Die sich daraus ergebende Forderung an uns ist klar: Der Heiland kann nur in einer Seele Einzug halten, die, soweit es an ihr liegt, mit jedermann im Frieden lebt. Nur die Friedfertigen haben Anteil am Gotteskind. „Selig die Friedfertigen, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ (Mt. 5,9). Gerne kommt Jesus in eine Gemeinschaft, in ein Haus, in eine Familie, in ein Menschenherz, wo Frieden herrscht; hingegen nie, wo Zwietracht, Groll und Streit beheimatet sind. Deshalb muß der Frieden mit Gott durch die Beichte gefunden werden; genauso der Frieden mit den Mitmenschen – wenigstens soweit es in unserer Hand liegt – durch Versöhnung, durch gegenseitiges Verzeihen, durch Milde und Geduld im Umgang miteinander.

Nach langem Warten

Die Friedenszeit, zu der unser göttlicher Erlöser geboren wurde, ließ lange auf sich warten. Auch das hat eine tiefere Bewandtnis. Der erste Advent dauerte Jahrtausende, denn der Mensch braucht oft lange, lange Zeit, um sich seine Sündhaftigkeit einzugestehen, das daraus erwachsende Elend zu erkennen und Gott im Bewußtsein der eigenen Hilflosigkeit um Erlösung anzuflehen. 4000 Jahre sehnte sich die Welt nach Ihm und rief zum Himmel: „Tauet, Himmel, den Gerechten!“ Und erst als die Menschen ihre Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit tief erkannt und heiß um Rettung gefleht hatten, waren sie bereit, den verheißenen Heiland zu empfangen. – So verhält es sich bei jeder Ankunft Jesu: Es bedarf der Vorbereitung, des Geistes innerer Sammlung, der zerknirschten Selbsterkenntnis, des demütigen Eingeständnisses der eigenen Hilfsbedürftigkeit. Es bedarf des beharrlichen Gebetes und der glühenden Sehnsucht nach Gnade und göttlicher Liebesgemeinschaft.

Inmitten der Nacht

Auch die Stunde Seiner Geburt, inmitten der Nacht, hat eine tiefe Bedeutung. Denn Christus selbst ist der ewige Tag. Denn im 95. Psalm liest der hl. Augustinus scharfsinnig: „Singt dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn alle Lande. Singt dem Herrn und preist Seinen Namen, verkündet den Tag vom Tag [bene nuntiate diem de die].“ (Ps. 95, 1-2). Wer ist dieser „Tag vom Tage“, außer der Sohn vom Vater? Das „Licht vom Licht“? Jener Tag, der den Tag gezeugt hat, hat keinen Anfang und kein Ende. Dieser Tag ist Gott der Vater. Denn Jesus wäre nicht „Tag vom Tage, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“, wenn nicht der Vater der ewige Tag wäre. – Was aber ist Tag außer Licht? Deshalb wurde der vom Tag gezeugte Tag vom hl. Johannes in seinem Evangelium mit den Worten eingeführt: „In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen.“ (Joh. 1,4-5).

In der Nacht wurde Christus geboren, weil die Menschheit bis zu Seiner Ankunft in Finsternis und Todesschatten wandelte; in der Nacht des Aberglaubens, der Abgötterei und des Götzendienstes; in der Umnachtung religiöser Unwissenheit und sittlicher Entartung. Deshalb heißt es beim Propheten: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht; den Bewohnern des Landes der Todesschatten strahlt ein Licht auf.“ (Is. 9,2). Der Heiland, der göttliche „Tag vom Tage“, wird von der Jungfrau empfangen, in Fleisch eingekleidet und von der Jungfrau geboren, sichtbar und mit Händen greifbar. Deshalb sprach Christus von sich: „Ich bin das Licht der Welt. Wer Mir nachfolgt, der wandelt nicht in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh. 8,12). Denn der fleischgewordene Sohn Gottes, der selber von Ewigkeit im Schoß des Vaters ruht, Er hat uns als ein zuverlässiger Zeuge zweifelsfreie Kunde von Gott gebracht. Seine Lehre zerstreut die Nacht der Unwissenheit, des Irrtums und der Sünde. Er erleuchtet unseren Verstand und teilt mit uns das „Licht des Lebens“, indem Er uns durch die heiligmachende Gnade Anteil an Seiner göttlichen Natur schenkt.

Deshalb müssen wir Ihm Glauben schenken und Ihn flehentlich darum bitten, unseren Geist zu erleuchten, indem wir so ähnlich wie der hl. Thomas von Aquin beten: Herr, „laß gnädig leuchten Deiner Klarheit Strahl in die Finsternis meines Verstandes, um aufzuhellen die zweifache Nacht der Sünde und der Unwissenheit, in der ich geboren bin.“  In Seinem göttlichen Licht werden wir im Glauben zunehmen und der Forderung des Apostels in der Tat entsprechen: „Laßt uns die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichtes anziehen! Wie am Tage laßt uns ehrbar wandeln.“ (Röm. 13,12 f.). Sehr anschaulich beschreibt der hl. Augustinus diesen Vorgang in Anlehnung an die Geburt Christi aus Maria: „Sein Erbarmen komme also in unsere Herzen. Die Mutter trug Ihn in ihrem Schoß. Wir wollen Ihn in unserem Herzen tragen. – Die Jungfrau wurde schwanger durch die Menschwerdung Christi. Unsere Herzen sollen schwanger werden mit dem Glauben Christi. – Sie gebar den Heiland. Wir wollen Lob gebären. – Laßt uns nicht unfruchtbar sein. Unsere Seelen seien fruchtbar für Gott.“ (serm. 189,3).

Die Stadt Bethlehem

Neben den zeitlichen Umständen der Geburt des Erlösers haben auch die örtlichen Umstände ihre Bewandtnis für die Ankunft des Heilandes in unserer Seele.

Christus wählte Bethlehem zum Ort Seiner Geburt. Das geschah aus drei Gründen: Einmal aufgrund der Treue gegenüber der im Alten Testament gegebenen Verheißung. Gott sprach zu David, daß der Messias von seinem Geschlecht abstammen werde (vgl. Ps. 88). Deshalb sollte auch Seine Geburtsstätte die Davidsstadt Bethlehem sein, „weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war.“ (Lk. 2,4). Der Sitz des Hauses David war Bethlehem. Christus wurde also in Bethlehem geboren aufgrund der Wahrhaftigkeit und Treue Gottes, der stets hält, was Er in Seinen Verheißungen verspricht, und der stets ausführt, was Er ankündigt oder androht. – Jede Art von Wankelmut, Launenhaftigkeit und Unaufrichtigkeit macht den Menschen unähnlich zu Gott, der ja immer derselbe und ganz und gar unveränderlich ist. Deshalb muß sich die Seele, welche den Sohn Gottes bei sich aufnehmen will, um die Tugenden der Wahrhaftigkeit, der Treue und der ausdauernden Beständigkeit bemühen.

Den zweiten Grund, warum der Sohn Gottes in Bethlehem geboren werden wollte, finden wir in der Demut. Denn das Haus Davids war damals verödet. Der Thron Israels wurde in der Person des Königs Herodes von einem Nichtjuden besetzt. Erstmals herrschte kein Nachfahre Davids über das auserwählte Volk. Und auch Bethlehem war zu einem Provinznest herabgesunken; klein in Bezug auf Umfang, Einwohnerzahl und Ansehen. Bei Seinem Eintritt in die Welt sollte das Grundprinzip der göttlichen Erlösung offenbar werden, das der Völkerapostel später in die Worte gefaßt hat: „Denn Gott hat das Unangesehene vor der Welt und das Verachtete und das, was nichts ist, auserwählt, um das, was etwas ist zunichte zu machen.“ (1. Kor. 1,28). Deshalb hat sich der Erlöser mit der Niedrigkeit unserer gefallenen menschlichen Natur von der reinsten Jungfrau einkleiden lassen, um durch Seine Demut und Niedrigkeit die stolzen Grundsätze der Welt zu beschämen und in ihr Gegenteil zu verkehren. – Daraus folgt: Nur eine demütige Seele ist der Ort, an welchem der göttliche Erlöser Aufnahme finden kann. Dieser Umstand wird schon überaus deutlich von Seiner jungfräulichen Mutter hervorgehoben; war es doch vor allem die Reinheit und die Demut der „Magd des Herrn“ (Lk. 1,38), welche den Allerhöchsten vom Himmel auf die Erde herabzog, wie ein Magnet das Eisen. Und auch in ihrem Magnifikat hebt die Gottesmutter die Bedeutung der Demut hervor, wenn sie singt: „Er zerstreut, die stolzen Herzens sind. Die Mächtigen stürzt Er vom Thron. Die Niedrigen erhöht Er. Die Hungernden erfüllt Er mit Gütern. Die Reichen läßt Er leer ausgehen.“ (Lk. 1,51-53).

Die Speisung der Hungernden führt uns zum dritten Grund für die Erwählung Bethlehems zum Geburtsort des Heilandes. Er findet sich in der Bedeutung des Namens. „Bethlehem“ bedeutet nämlich in unserer Sprache: „Haus des Brotes“. Deshalb wollte Christus, der das „lebendige Brot, welches vom Himmel herabgestiegen“ ist, an diesem Ort geboren werden. – Der Zuname, den der hl. Prophet Michäas der Stadt beilegt, „Bethlehem Ephrata“ (vgl. Mich. 5,1), um die Davidstadt von einem anderen Bethlehem im Stamme Zabulon zu unterscheiden, bedeutet: „fruchtbar“. „Bethlehem Epharatha“ heißt also übersetzt: „fruchtbares Brothaus“. – Ein fruchtbares Haus des Brotes soll auch unsere Seele sein. Fruchtbar und lebendig durch den Stand der heiligmachenden Gnade, der unsere Seele zu einem würdigen Wohnort des Erlösers werden läßt. Fruchtbar wird das Bethlehem unserer Seele, wenn sie in der hl. Kommunion die Speise der Engel, die Nahrung der Auserwählten, das Brot des ewigen Lebens aufnimmt. Wer es genießt, dessen Werke werden übernatürlich belebt und fruchtbar für den Himmel. Die göttlichen und sittlichen Tugend werden darin wachsen, gleich veredelter Gartenbäume, und die Früchte des Heiligen Geistes werden darin sprießen. In diesem innerlichen Bethlehem wird dann auch die „Quelle des lebendigen Wassers“ entspringen, nach welchem schon David dürstete, als er ausrief: „O daß mir jemand einen Trunk Wasser aus der Zisterne reichte, welche zu Bethlehem am Tore ist!“ (2. Sam. 23,15). – Wir müssen also sehnsuchtsvollen Hunger und Durst nach dem Heiland in uns erwecken, wenn wir Ihn heute in uns aufnehmen wollen.

Der Stall

Ferner wollte unser göttlicher Erlöser nicht in einem Wohnhaus geboren werden, sondern in einem herrenlosen Stall. Denn wir sind nur Pilger in diesem Leben und sollen uns nicht in dieser Welt fest einrichten.

Der Stall war nach dem hl. Hieronymus eine in Felsen gehauene Höhle, die den Hirten als Zufluchtsort für sich und ihre Herde, für Arme und Wanderer diente. Wir sind in diesem Leben nur auf der Durchreise und sollen jede Anhänglichkeit an die irdischen Güter meiden, indem wir alle geschaffenen Dinge, welche uns am Wegrand unseres Lebenslaufes begegnen, nur so weit gebrauchen, als sie uns zur Erlangung unseres ewigen Zieles dienlich sind. Deshalb die Forderung des hl. Petrus: „Geliebte! Ich ermahne euch, die ihr Fremdlinge und Pilger seid, enthaltet euch der fleischlichen Lüste, die gegen die Seele streiten. Führt einen ehrbaren Wandel unter den Heiden.“ (1. Petr. 2,11).

Gottes Sohn bevorzugte die Abgeschiedenheit des Stalles vor dem Stadttor. Hingegen „war kein Platz“ für Jesus im Stadtgetümmel, im Treiben der Wirtshäuser, im Lärm der Geschäftigkeit. Das wäre auch nicht der richtige Platz für Ihn. Denn Gott macht sich nicht gemein mit der Welt. Zerstreuungen, Aufregung und weltliche Betriebsamkeit halten Ihn außen vor. – Zurückgezogenheit und Losschälung von den Geschöpfen bieten Ihm hingegen Raum zur Einkehr. Der Heiland wird deshalb nur in den Herzen der „Armen im Geiste“ (Mt. 5,3) Zuflucht nehmen. Sie sind es ja, die Ihm nachfolgen auf dem Kreuzweg, die Seine Wegbegleiter in diesem Tränental sind, die mit Ihm den steilen Berg der Selbstentäußerung in Angriff nehmen, um den Gipfel der Vollkommenheit zu erreichen. Sie sind es, die ihr Fleisch in Zucht und Botmäßigkeit gebracht haben, die nicht nach sinnlichen Genüssen Ausschau halten, sondern nach den geistigen Gütern verlangen, die nur Christus schenken kann.

Die Krippe

In dem Stall befand sich nichts, wohin die jungfräuliche Gottesgebärerin das in Windeln gewickelte Gotteskind hätte legen können, als eine Krippe. Diese Krippe wird heute noch in der römischen Basilika „S. Maria Maggiore“ aufbewahrt. Die Kirchenväter erblicken in der hölzernen Krippe bereits das Holz des hl. Kreuzes vorgebildet; in dem stechenden Stroh erkannten sie die Geißeln und Dornen; in der Kälte des Stalles, den Haß der Juden.

Dazu war Christus in die Welt gekommen, um sich mit dem Kreuz zu vermählen. Und wie ein Bräutigam seine Braut stets in seiner Nähe wissen will, so finden wir das Kreuz schon im ersten Augenblick Seines irdischen Lebens bei Ihm. – Wenn wir den Stall und die Krippe und das Kreuz sehen, wie deutlich wird uns dadurch die Notwendigkeit vor Augen gestellt, unsere Empfindlichkeit zu überwinden; statt in Unzufriedenheit über diesen oder jenen mißlichen Umstand in unserem Leben zu zürnen, nachzutragen oder zu lamentieren, vielmehr unser Los in opferbereiter Ergebenheit anzunehmen und darin – wie es die Heiligen getan haben – einen besonderen Gunsterweis Gottes zu erblicken. Ganz gemäß der Weisung, welche die Oberin eines Nonnenklosters ihren Schwestern gab, indem sie ihnen die Losung an die Hand gab: „Ertragen! Nicht klagen! Gott Dank sagen!“ Ertragen! Nicht klagen! Gott Dank sagen!

Um sich zu opfern, ist der Messias in die Welt gekommen. Und durch Sein Opfer sollte Er Versöhnung stiften. Als ewiger Hohepriester war Er fähig, zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln. Als wahrer Gott und wahrer Mensch war Er geeignet, um die unvereinbaren Extreme zu versöhnen, um aus zweien wieder eins zu machen. Deswegen finden sich an Seiner Krippe die beiden Tiere, von denen schon der Prophet Isaias geweissagt hatte: „Es kennt der Ochs seinen Eigentümer und der Esel die Krippe Seines Herrn“ (Is. 1,3). Und der Prophet Habakuk sagt: „Inmitten zweier Tiere wird man Dich erkennen.“ (Hab. 3,2). Beides sind Weissagungen, an welche die Kirchenväter so gern mit ihrem Lobpreis des göttlichen Erlösungswerkes anknüpfen. So versteht der hl. Papst Gregor d. Gr. unter dem Ochsen das Volk der Juden unter dem Joch des Gesetzes, unter dem Esel die Heiden voll Torheit, Starrsinn und Abgötterei. Christus ist der Erlöser beider Völker. Ochs und Esel vertragen sich eigentlich nicht. Er aber macht aus beiden ein einziges, neues Volk der „Kinder Gottes“.

Die vereinigende Mittlertätigkeit Christi scheint sehr häufig im Evangelium auf. Bei Seiner Geburt nicht nur zwischen Ochs und Esel. Er erscheint ja auch inmitten der allerseligsten Jungfrau und des hl. Joseph, denn Christus hat sowohl den Stand des jungfräulichen Lebens als Ideal geadelt als auch die Ehe zu einem Sakrament erhoben und geheiligt. Im Tempel erscheint Er zwischen dem greisen Simeon und der hl. Prophetin Anna, denn beide Geschlechter – Männer und Frauen – sollten Ihm auf ihre Weise bis ins hohe Alter dienen. Später sehen wir Jesus zwischen Martha und Maria, das tätige wie das beschauliche Leben in Harmonie bringen. Auf dem Tabor steht Er zwischen Moses und Elias, denn sowohl das Gesetz als auch die Propheten sind zur Gänze erfüllt in Ihm. Am Kreuz wird Er sterben, zwischen zwei Mördern, denn als Erlöser ist Er zum Richter über Gute und Böse, über Reumütige und Unbußfertige aufgestellt. Genauso wird Er am Jüngsten Tag zwischen den Auserwählten und den Verworfenen sitzen, um ihnen nach Gerechtigkeit Lohn und Strafe zuzuteilen.

Die Mittlerschaft Christi, die an der Krippe beginnt und die sich durch Sein ganzes Leben hindurchzieht, ist grundgelegt in den beiden Naturen – der göttlichen Natur und der menschlichen Natur –, die Er unter Seiner göttlichen Person vereinigt. Er ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Aufgrund Seiner Gottheit ist Seine Würde und der Wert Seiner Verdienste unendlich. Aufgrund Seiner makellosen und doch leidensfähigen Menschheit ist Er eine wahre und würdige Opfergabe, zur Sühne für die auf uns lastende Sündenschuld. Deshalb sprach Er zum himmlischen Vater bei Seinem Eintritt in die Welt: „Brandopfer und Sündopfer hast Du nicht gewollt. Aber einen Leib hast Du Mir bereitet. Da sprach Ich: Siehe, Ich komme, Deinen Willen zu tun, o Gott.“ (Ps. 39,7 f.). In der Krippe opfert Er schon Seine Tränen für uns, bereit, in der Folge die Ströme Seines Blutes für uns zu vergießen.

Wie später das Kreuz, so ist jetzt schon die Krippe Sein königlicher Thron und Sein erster Lehrstuhl, um uns durch Sein Beispiel zu belehren. Obwohl das Jesuskind noch nicht sprechen kann, lehrt Es uns die Selbstverleugnung aus Liebe zu Gott, die Versöhnung und die brüderliche Eintracht unter den verschiedenen Menschen und Ständen, die Verachtung der Welt, den Haß gegen die Sünde, die Notwendigkeit der Buße. Es zeigt uns die Barmherzigkeit, Güte und Liebenswürdigkeit Gottes, genauso wie den Schmuck der Armut. Wie hätte uns Gott mehr Sein Wohlwollen und Seine Zuneigung beweisen sollen? Als wehrloses Kind wirbt Er um unser Herz, um unser Mitgefühl, um unsere Dankbarkeit, um unsere Liebe. Alles zu dem Zweck, damit wir Ihn in unser Herz schließen, wo Er sich heute betten will, wie damals in der Krippe.

In welcher Seele findet Jesus Aufnahme?

Wer sind nun diejenigen, in denen Jesus heute erneut geboren wird, und diejenigen, zu denen Er nicht kommt? Er kommt nicht zu Herodes. Dieser König verkörpert den Menschentyp voll Ehrgeiz, Gerissenheit und Grausamkeit, der ohne Glauben und ohne Gottesfurcht nur für seine eigenen Interessen und zu rein irdischen Zwecken lebt. – Er kommt nicht zu den Scheinfrommen, nicht zu den Pharisäern und Hohepriestern; zu denen also, die zwar Vieles über den Glauben zu wissen meinen und die gesetzlichen Anordnungen nach ihrem persönlichen Dafürhalten feinsäuberlich ausführen, aber sich leicht über andere erheben und urteilen und dabei die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe außer Acht lassen, obwohl doch der Herr sagt, daß an diesen beiden Geboten die gesamte katholische Religion hängt (vgl. Mt. 22,34-46). Er kommt nicht zu den Spöttern, deren Gott der Bauch, deren Ruhm in ihrer Schande besteht und deren Sinnen nur auf Irdisches gerichtet ist (vgl. Phil. 3,19). Deshalb mied der Heiland die Häuser der Bethlehemiten, die so angefüllt waren mit weltlichen Dingen und mit Gästen, sodaß dort für Jesus kein Platz mehr war. Er kommt nicht zu jenen, die kein Erbarmen üben und unversöhnlich Groll in ihrem Herzen hegen.

Hingegen kommt Jesus zu den Seelen – damals wie heute –, die eine Ähnlichkeit aufweisen mit Maria, der reinsten Jungfrau, der demütigen Magd des Herrn, der Gnadenvollen. Wer ihrem Beispiel folgt, kommt gewiß zu Jesus! Wer ihre Fürbitte anruft und Jesus bei Maria und durch Maria sucht, der findet Ihn mit Sicherheit. – Ebenso, wer die Gesinnungen in sich trägt, wie sie der hl. Joseph, der greise Simeon und die Prophetin Anna gehabt haben, „die auf die Erlösung und den Trost Israels“ (Lk. 2,25.38) sehnsüchtig harrten. Wer wie die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland dem göttlichen Anruf Gehör schenkt und sich ernstlich aufmacht, Gott auf dem Pfad der Vollkommenheit zu finden, von dem wird sich Christus finden lassen; sagt Er doch: „Wer suchet, der findet. Wer anklopft, dem wird aufgetan.“ Es gibt Gnadenmomente im menschlichen Leben, in welchen der Herr nachdrücklicher als sonst zu unserem Herzen spricht und Einlaß begehrt. Lassen wir sie nicht verstreichen! Wohl uns, wenn wir, wie die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland, diesem Gottesruf nachkommen! Denn, wie der Dichter Angelus Silesius sagt: „Wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in Dir. Du bliebst in Ewigkeit verloren.“

Wir wollen das göttliche Kind in uns aufnehmen in friedfertiger Gesinnung, durch unseren erleuchteten Glauben, durch unseren demütigen Gehorsam, durch unsere opferbereite Liebe. Dann wird der Sohn Gottes auch in unserer Seele geboren und gleichsam ein zweites Mal Fleisch annehmen. Dann wird sich auch an uns verwirklichen, was das Evangelium verheißt: „Allen aber, die Ihn aufnahmen, gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ (Joh. 1,12). Amen.

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