3. Fastensonntag
Tempelreinigung
Geliebte Gottes!
Die Liturgie greift heute erneut, wie schon am ersten Fastensonntag, die Auseinandersetzung Christi mit dem Satan auf. Der Kampf zwischen dem Erlöser und dem Teufel ist derselbe, nur der Schauplatz ist ein anderer – nicht mehr die Wüste, sondern die Seele jedes einzelnen Menschen. Im Zentrum der Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern, von der uns das heutige Evangelium berichtet, steht ein Besessener, den Jesus von einem unreinen Geist befreite.
Was genau ist das – ein Besessener? Ein Besessener ist ein Mensch, der unter der tyrannischen Herrschaft des Teufels steht. Der Teufel konnte in den Leib des Menschen einfahren und die äußere Kontrolle über ihn an sich reißen, weil der Mensch entweder verflucht worden ist, oder aber sich aus eigener Schuld, etwa durch abergläubische und spiritistische Praktiken, oder durch ein schlechtes, lasterhaftes Leben dem Satan quasi freiwillig ausgeliefert hat. Durch die Sünde macht sich ja der Mensch freiwillig zum Diener – oder besser: zum Sklaven des Teufels. „Wer die Sünde tut ist Sklave“ (Joh. 8,34), sagt unser Herr Jesus Christus. Und der heilige Johannes schreibt in seinem ersten Brief: „Wer die Sünde tut ist vom Teufel“ (1. Joh. 3,8).
Der Teufel hat einen Besitzanspruch auf den Todsünder. Die Besessenheit läßt diesen Aspekt der schweren Sünde ganz besonders deutlich hervortreten. Für den Menschen im Stande der Todsünde gilt nicht nur das Prädikat „für Gott gestorben“, sondern auch das andere: „dem Teufel gehörig“. Jede Todsünde ist gewissermaßen eine Einladung an den Satan Besitz zu ergreifen, ist ein Schritt Richtung Besessenheit. Die Besessenheit wiederum ist nur ein kleiner Vorgeschmack des Ausgeliefertseins an den Teufel, welches den Menschen in der Hölle erwartet, wohin ihn die Todsünde unausweichlich führt, sofern der Mensch unbußfertig stirbt. Der böse Geist quält die Seele des Besessenen und beherrscht dessen Leib vollkommen. Die Seele ist nicht mehr Herr über den eigenen Leib, ist nicht mehr Herr im eigenen Haus, wie am Beispiel des Besessenen im heutigen Evangelium verdeutlicht wird. Er war deshalb stumm, weil der Dämon dem Besessenen das Reden unmöglich machte. Seine Seele war versklavt und eingekerkert im eigenen Leib.
Genau an diesen Sachverhalt knüpft unser Herr Jesus Christus Seine Gleichnisrede vom „Starken“ an, der bewaffnet sein Haus bewacht. Der Starke ist der Teufel. Das Haus, ist der Leib des Besessenen, den der Starke mit Gewalt an sich gerissen hat, und den er nicht gewillt ist freiwillig zu verlassen.
Tempel des Heiligen Geistes
Schon für sich betrachtet handelt es sich bei der Besessenheit um einen Zustand, wie er elender kaum sein könnte. Erst recht wenn man bedenkt, was der Mensch doch eigentlich sein sollte. Nicht ein besetztes Haus des Teufels, sondern ein Tempel Gottes. Paulus ruft es uns im 1. Korintherbrief ins Gedächtnis: „Wißt ihr denn nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ (1. Kor. 3,16). – In der heiligen Taufe sind wir zu einem Tempel Gottes konsekriert worden. Gott selbst hat durch die heiligmachende Gnade in unserer Seele Wohnung genommen. Der Heilige Geist wohnt in der Seele des Getauften. Und der hl. Paulus zieht die Schlußfolgerung, daß wir uns deshalb rein und untadelig bewahren müssen; rein von aller Sünde und untadelig in einem tugendhaften Lebenswandel. Die Auffassung der Seele als Tempel und Wohnort Gottes läßt den entarteten Zustand eines Sünders, selbst wenn der Teufel noch nicht in ihn eingefahren ist, erst so richtig offenbar werden.
Der Sünder ist ein geschändeter Tempel, ein entweihtes Heiligtum. Gott ist daraus vertrieben, das ewige Licht der Gnade ist erloschen, das übernatürliche Leben der gnadenhaften Gotteskindschaft erstorben und der böse Feind kann dort sein Hausrecht geltend machen. Die Seele ist an sich „sein Haus“. Ein geistiger Verwesungsgeruch durchweht die mit dem Unrat der Sünde angefüllte Seele. Welch ein Greul in den Augen Gottes!
Räuberhöhle und Markthalle
Ein anschauliches Bild für einen derart heruntergekommener Seelentempel erblickten die Kirchenväter in den Zuständen im Jerusalemer Tempel zur Zeit Jesu, so wie sie uns im Johannesevangelium dargestellt werden. – Der hl. Evangelist berichtet uns was Jesus im Heiligtum Gottes zu Jerusalem vorfand: „Er fand im Tempel die Händler, welche Ochsen, Schafe und Tauben verkauften und die Geldwechsler, die dort saßen“ (Joh. 2, 14).
Der hl. Priester Beda, der Ehrwürdige, macht die Anwendung auf unseren Seelentempel. Er sieht in den Tauben ein Bild für den Heiligen Geist, dessen unermeßlich kostbare Gnadengaben von uns oft um eines kurzen weltlichen Genusses oder Nutzens willen, leichtfertig verschleudert und verschachert werden. Der Heilige Geist ist längst durch die zahlreichen freiwilligen läßlichen Sünden wie eine Taube in ihren Käfig eingesperrt und kann in der Seele nicht mehr viel wirken.
Ein anderer Ausleger sieht in den Tauben ein Symbol für die Sünden unserer Flatterhaftigkeit, Launenhaftigkeit, Unzuverlässigkeit und Unbeständigkeit.
Genauso tummeln sich in der Seele des Sünders auch die blökenden und plärrenden Schafe. Nämlich unsere lieblosen, argwöhnischen, neidischen Gedanken und Reden, unsere Prahlerei, Ohrenbläserei und Angeberei. Auch unsere Unmäßigkeit im Essen und Trinken, die uns das Fasten und den Abbruch der Fastenzeit aufweichen läßt, aber auch unsere Faulheit in den guten Werken und in der Pflichterfüllung findet seine animalische Entsprechung in Gestalt der gefräßigen und behäbigen Ochsen.
Die aggressiven Widder unseres unnachgiebigen Starrsinnes, unserer Streitsucht und stolzen Rechthaberei, sind genauso zugegen, wie die Böcke der Wollust und der ungeordneten Triebhaftigkeit.
An den Tischen der Geldwechsler finden wir unsere Habsucht sitzen, welche sich neugierig und unersättlich nach den Gütern der Welt ausstreckt; nach dem Neusten, dem Schönsten, dem Besten, nach dem, was die anderen auch alle haben; oder noch besser, das, was die anderen noch nicht haben! – Und schließlich finden wir auch die Verkäufer, nämlich die lügnerischen und betrügerischen Gedanken; die Betrügerei, welche, wie der hl. Beda Venerabilis sagt, „ein den Händlern eigener Fehler zu sein scheint.“ (PL 94, 363 f.).
Ein neuzeitlicher Autor möchte in den Händlern Menschen mit einer entarteten Religiosität dargestellt sehen. Menschen, die mit Gott Handel treiben wollen. Darunter sind jene zu verstehen, welche die Frömmigkeit in den Dienst des Eigennutzens stellen. Ihr Pochen auf Gerechtigkeit Gott gegenüber hat etwas Geschäftliches, Händlermäßiges, Rechnerisches an sich: „Do, ut des.“ – „Ich gebe, damit du gibst.“ Ich gebe Gebet, Almosen, Opfer und Verzicht; ich zünde Kerzen an, mache Wallfahrten und lasse Messen lesen. Und dafür gibst Du mir und meinen Lieben allseitig Schutz und Wohlbehagen, sowie die Erfüllung meiner Wünsche.
Alles in allem ein buntes Treiben! Vielleicht auch im Heiligtum unserer Seele? Ein Greul an heiliger Stätte, mit all den götzendienerischen Werken, welche der hl. Paulus in der heutigen Epistel aufgezählt hat: Unzucht, Unreinigkeit, Geiz, Schamlosigkeit, törichtes Gerede und Possen, die sich nicht schicken. Statt der Stille innerer Sammlung herrscht in unserem Herzen fast ununterbrochen der Höllenlärm der Welt und des Irdischen.
Und über allem thront nicht der dreifaltige Gott sondern der Dämon unserer Eigenliebe mit seinen drei Köpfen: Ich, Ich und nochmals – Ich. Ja, ist es nicht so, daß unsere Seele eher einer Markthalle gleicht, als einem Heiligtum? Muß der Herr angesichts dieses Greuels an heiliger Stätte nicht genauso wie damals im Jerusalemer Tempel voll zornigem Abscheu rufen: „Mein Haus“ – deine Seele – „soll ein Bethaus sein; ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht“ (Lk. 19,46)? Ja, ihr stellt sie dem Seelenräuber anheim!
Zeit der Tempelreinigung
Und weiter berichtet Johannes: „Da flocht Er aus Stricken eine Geißel und trieb alle aus dem Tempel hinaus: die Schafe und die Ochsen; den Wechslern schüttete Er das Geld aus und warf ihre Tische um, und zu den Taubenhändlern sagte Er: ‚Schafft das weg.‘“ (Joh. 2,15 f.).
Es ist die einzige Begebenheit im Evangelium, bei der wir unseren göttlichen Erlöser tätlich werden sehen. Wenn es um die Ehre des Heiligtums Gottes geht, hat Seine Güte, Langmut und Milde Grenzen. Da gibt es kein Pardon, keine Halten, kein Dulden mehr. Mit flammendem Eifer reinigt Christus das Heiligtum des Tempels, so daß Seine Jünger staunend danebenstehen, und sie sich angesichts des Zornes ihres Meisters des Prophetenwortes entsinnen: „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“
Ja, müßten wir uns nicht ein Beispiel an unserem göttlichen Heiland nehmen? „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ Müßten nicht auch wir, insbesondere in dieser hl. Fastenzeit, mit flammendem Eifer die Unordnung im Tempel unserer Seele beseitigen, den Unrat der Sünde, mit welchem der Teufel unser Heiligtum zugeramscht hat, um es für sich in Beschlag zu nehmen, mit aller Entschiedenheit hinausschaffen und fürderhin darauf achten, die nächsten Gelegenheiten zur Sünde konsequent zu meiden? Müßten wir nicht den Dämon unserer Eigenliebe und Selbstsucht vom Sockel stürzen und den vornehmsten Platz in unserem Herzen wieder demjenigen zurückschenken, der allein Anspruch darauf hat? – Ja, wir müßten es!
Die Fastenzeit ist die Zeit der Tempelreinigung. Aus der Seele müssen die Rinder und Schafe unserer niederen Gesinnungen, der Geldgötze der Habsucht und die Tauben der Flatterhaftigkeit hinausgeworfen werden. „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich“, so muß unser Motto lauten. Mit liebeglühendem Eifer für Gott sollen und wollen wir den Satan und seine Sklavenherrschaft in uns und über uns überwinden.
Der „große Exorzismus“
Doch wie soll das geschehen? Welches exorzierende Mittel böte sich da an? – Der „große Exorzismus“ zur Tempelreinigung unserer Seele, liebe Gläubige, ist das Bußsakrament. Die Osterbeichte ist Tempelreinigung, so, wie sie der Heiland im Evangelium an dem Besessenen vorgenommen hat.
Bereits bei einer guten Gewissenserforschung rührt Christus „mit dem Finger Gottes“, dem Heiligen Geist, das Herz des Sünders an, sprengt die Verhärtung und macht es zerknirscht über seine Sünden.
Aus dem zerknirschten Herzen sprudeln die Tränen der Reue hervor und wirken wie ein reinigendes Bad, das all den eingetrockneten Unrat und Gestank der Sünde vom Herzensgrund loslöst.
Vorher war der Sünder, wie der Besessene im Evangelium, stumm. Er wollte und konnte seine Lippen nicht zum Sündenbekenntnis öffnen, weil ihn der „Dämon“ der Eigenliebe und des Stolzes gefangenhielt. Jetzt aber, vom Heiligen Geist zur Reue angetrieben, öffnen sich im Beichtstuhl seine Lippen. Da redet der Stumme. Und er redet recht! Denn er klagt sich seiner Sünden an.
Indem er aber im Bekenntnis seine Sünden ausspricht, scheidet er sie aus seiner Seele auch aus. Und wenn dann Christus durch die Lippen des Priesters die Worte der Lossprechung spricht: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“ – dann erfüllt sich das großartige, das Jesus die Pharisäer lehrt. „Der Stärkere“ – der göttliche Erlöser Jesus Christus selbst – fällt über „den Starken“ – also über die Sünde und den Teufel – her und vertreibt ihn mit heiligem Zorn, unter Geißelhieben aus der Seele. Die Sünde wird vollständig ausgetilgt. Das Heiligtum der Seele strahlt wieder rein, im Schmuck der heiligmachenden Gnade, der übernatürlichen Tugenden und der Sieben Gaben des Hl. Geistes und Gott nimmt darin wieder Wohnung. Das ist die exorzistische Wirkung einer gut vorbereiteten heiligen Beichte.
Wohlgemerkt: gut vorbereitet muß sie sein! Nicht oberflächlich, nach dem Motto: „Ich habe keinen umgebracht. Die Ehe habe ich auch nicht gebrochen. Vielleicht ein bißchen gestritten und unandächtig gebetet. – Mein Jesus Barmherzigkeit.“ Mittels einer derart schlampigen Beichte, ohne tiefe Reue, werden wir den „Dämon“ unserer Eigenliebe nicht austreiben können. Eine wirksame Tempelreinigung muß mit gebührendem Ernst, mit der erforderlichen Zeit und mit dem Gewissensspiegel, gründlich und gewissenhaft vorbereitet werden.
Warnung vor dem Rückfall
Doch wir müssen die Gleichnisrede des Heilandes noch zu Ende lesen. Denn unheimlich liest sich, die abschließende Mahnung des Herrn, in welcher Er das Schicksal so manch einer Menschenseele nach einer guten Beichte schildert: Ist der Satan ausgetrieben, dann sucht er Ruhe. „Weil er sie nicht findet, spricht er: Ich will in mein Haus zurückkehren, von wo ich ausgefahren bin. Wenn er nun kommt, findet er es mit Besen gereinigt und geschmückt.“
Der böse Geist gibt nicht auf! Er wird die verlorengegangene Herrschaft zurückzuerlangen suchen. Und siehe da: Er findet den Tempel der Seele gereinigt und geschmückt vor! Schön! – Aber! Und das ist das Verhängnisvolle! – Er findet ihn leer und verlassen vor. Der Herr warnt uns vor der Gefahr des Rückfalls in die alten Sünden. Und Er benennt die Ursache für den Rückfall: Wir verlassen allzuschnell wieder das Heiligtum der Seele, vergessen auf die Gegenwart Gottes darin, sind zu wenig dankbar dafür und wenden uns allzuschnell nach der hl. Beichte wieder den weltlichen Dingen zu, die uns wieder in das alte Fahrwasser schlechter Gewohnheiten zurückführen. Bei einem unbewachten, leeren Haus ist nicht viel Gegenwehr zu erwarten. Eine verlassene Burg kann im Handstreich zurückerobert werden. Ein leichter Sieg für den Feind ist vorprogrammiert! – Achten wir also darauf, in dieser Fastenzeit, nicht nur eine gründliche und konsequente Tempelreinigung durch unsere Bußübungen und durch eine gründlich vorbereitete Osterbeichte vorzunehmen, sondern auch treu in unseren Vorsätzen zu verharren, die Gelegenheiten zur Sünde, insbesondere die nächste Gelegenheit, zu meiden. Und all das auch über die Fastenzeit hinaus! Die Sünde ist zu meiden nicht nur bis Ostern – sondern für immer! – Wir dürfen nicht mehr nachlassen, damit der erzielte Fortschritt, den wir machen durften, nicht in Wirklichkeit zu einem Rückschritt wird. Denn so sagt der Herr über den rückfälligen Sünder: „Dann geht der böse Geist hin, nimmt noch sieben andere Geister mit sich, die ärger sind als er … und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten.“ – Der Rückfällige kommt immer mehr in die Gewalt des Teufels, weil er sich mehr und mehr der Gnadenhilfe Gottes unwürdig macht. Hüten wir uns deshalb vor dem Rückfall in alte Sünden. Bewachen wir das Heiligtum unserer Seele, indem wir uns öfters am Tag innerlich sammeln, im Heiligtum unseres Herzens Gott anbeten, und aller Lockungen zur Sünde entschieden und unnachgiebig entsagen. – Bitten wir schließlich den Herrn heute bei der heiligen Kommunion, gerade dann also, wenn er in unseren Seelentempel einzieht, Er möge uns alles zeigen, was Ihm darin mißfällt. Und sollten wir zu nachlässig sein, selbst alles hinauszuschaffen, was dort nicht hingehört, dann möge Er selbst Hand anlegen, wie damals im Tempel von Jerusalem. Er möge alles umstoßen und hinauswerfen, was in unserer Seele nichts zu suchen hat und sollten wir unter Seinen Geißelhieben auch noch so viel zu leiden haben. Sprechen wir zu Ihm wie der heilige Augustinus es getan hat: „Herr! Hier in diesem Leben brenne, hier schneide, wie Du willst; doch schone meiner in der Ewigkeit.“ Denn ansonsten müßte ich fürchten, daß meine letzten Dinge ärger sein werden, als die ersten. Amen.