Gott ist Mensch geworden

Geliebte Gottes!

Gott ist Mensch geworden. So einfach lautet die Botschaft von Weihnachten. – Gott ist Mensch geworden. So unbegreiflich ist das Geheimnis der Weihnachtsbotschaft, daß ein Buch, eine Bibliothek, die Bibliotheken der Welt nicht hinreichen würden, es erschöpfend zu erklären.

„Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“, so verkündet es das Festtagsevangelium. „Das Wort“, das ist der Sohn Gottes, die zweite Person des dreifaltig Einen. Das Wort ist „Fleisch geworden“. Das heißt der ewige Sohn Gottes ist in der Zeit Mensch geworden. Er hat eine menschliche Natur angenommen, ist auf Erden gewandelt, mitten unter den Menschen. „Und hat unter uns gewohnt.“ Wörtlich: „Und hat unter uns gezeltet.“ Im Alten Bund war der Wohnort Gottes das Bundeszelt, auf das sich die Wolkensäule niederließ, um mit Moses und Aaron zu sprechen. Später wurde dieses Zelt zum steinernen Tempel in Jerusalem. In der heiligen Weihnacht hat Gott im Fleische Seinen Wohnort aufgeschlagen, um unmittelbar zu den Menschen zu sprechen.

Was heißt: Gott ist Mensch geworden?

Gott ist Mensch geworden. – Was heißt das? Das heißt: Die zweite göttliche Person hat zu ihrer göttlichen Natur und Wesenheit, die Sie von Ewigkeit her – gezeugt aus dem Vater – besitzt noch eine menschliche Natur hinzugenommen. Er ist sichtbar auf Erden erschienen; geboren aus Maria der Jungfrau.

Gott ist Mensch geworden, das heißt: Das „Wort Gottes“ fing an zu sein, was Es vorher nicht war – nämlich wahrer Mensch. Und doch fuhr Es fort zu sein, was Es von Ewigkeit ist – nämlich wahrer Gott.

Gott ist Mensch geworden, das heißt: In der einen göttlichen Person des Gottessohnes – und nur in der einen Person des Sohnes – sind zwei Naturen vereinigt – die göttliche und die menschliche Natur; die Gottheit und die Menschheit Christi.

Gott ist Mensch geworden, heißt ferner: In der einen göttlichen Person des Gottessohnes sind zwei Willen vereinigt – der göttliche Wille Christi und der menschliche Wille Christi.

Gott ist Mensch geworden, das heißt schließlich auch: Jesus Christus ist zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch. Er ist der Gottmensch.

Können wir das verstehen? Nein, wie niemand das Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit verstehen kann, so kann auch niemand das Geheimnis der Menschwerdung Gottes begreifen. Es handelt sich um die größten Geheimnisse unseres Glaubens. – Freilich haben sich Heilige und gelehrte Theologen zu allen Zeiten darüber Gedanken gemacht, haben anhand der Widerlegung auftretender Irrlehren tiefere Erkenntnisse gewonnen und dieselben nach Kräften zu vermehren gesucht, aber sie konnten dieses Geheimnis nicht ergründen.

Veranschaulichung des Geheimnisses der Menschwerdung Gottes

Doch immerhin ist es möglich durch einige Vergleiche dieses unfaßbare Mysterium uns etwas näher zu bringen:

a) Der Vergleich mit der Einheit von Leib und Seele in der menschlichen Person

Die Kirchenväter, wie etwa der hl. Athanasius oder der hl. Hilarius, gebrauchten zur Veranschaulichung des Geheimnisses der sog. „hypostatischen Union“, also des Geheimnisses der Einheit von Gottheit und Menschheit unter der einen Person des ewigen Gottessohnes, gerne den Vergleich mit der Verbindung von Leib und Seele im Menschen. Der Leib besteht aus stofflicher Materie. Er ist ein Körper. Die Seele ist rein geistiger Natur. Wie also der stoffliche Leib und die geistige Natur in der einen menschlichen Person verbunden sind, so sind in der einen göttlichen Person Jesu Christi die göttliche und die menschliche Natur aufs engste miteinander vereinigt. So bekennt der hl. Athanasius in seinem bekannten Symbolum: „Wie die vernünftige Seele und das Fleisch ein Mensch ist, so ist Gott und Mensch ein Christus.“

b) Der Vergleich mit der Einheit von Sonne und Sonnenstrahl

Ferner wird das Geheimnis der Menschwerdung Gottes gut angedeutet in dem Vergleich mit dem Strahl der Sonne.

Den Weg, den der Strahl von der Sonne aus nimmt, können wir mit bloßem Auge nicht verfolgen. Zu sehr blendet der Glanz der Sonne unser Auge. Ja, seine Sehkraft würde sogar zerstört werden, wollte man durch einen lange anhaltenden, forschenden Blick einen Sonnenstrahl zu seinen Ursprung zurückverfolgen. In eben derselben Weise ist es uns unmöglich, in das Geheimnis der ewigen Zeugung des Sohnes aus dem Vater im Lichte der Gottheit einzudringen. Wie der hl. Paulus an Timotheus schreibt: Ehre und Macht sei Dem, „der allein Unsterblichkeit besitzt und in unzugänglichem Lichte wohnt; den kein Mensch gesehen hat, noch auch zu sehen vermag.“ (1. Tim. 6,16).

Der Sonnenstrahl ist so alt wie die Sonne, die ihn hervorbringt, denn die Sonne ist nie ohne ihr eigenes Leuchten. Ähnlich ist das Verhältnis des Sohnes Gottes zu Seinem himmlischen Vater. Der Vater ist so alt wie der Sohn; und der Sohn ist so alt wie der Vater. „Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Im Anfang war es bei Gott.“ Eben diesen Glauben bekennen die Worte des Credo: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott. Gezeugt, nicht geschaffen. Eines Wesens mit dem Vater.“

Die Sonne gießt Licht und Wärme aus über alle Dinge. Sie spendet Leben, Fruchtbarkeit und Schönheit. Wodurch? Durch ihren leuchtenden Strahl. In vergleichbarer Weise überschüttet der Vater im Himmel die Welt mit all Seinen Gaben durch den eingeborenen Sohn Gottes. Durch Ihn gibt Er allem das Dasein, das natürliche und das übernatürliche Leben, wie der hl. Johannes im Prolog von dem aus dem göttlichen Lichte gezeugten Gottessohn sagt: „Durch das Wort ist alles geworden. Und nichts, was geworden ist, wurde ohne das Wort. In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Himmel und Erde, Wasser und Land, Pflanzen und Tiere, Menschen und Engel; die ganze Schöpfung wurde vom Vater, der Quelle des göttlichen Lichtes, durch den Lichtstrahl des Gottessohnes ins Dasein gerufen und wird von Ihm beständig im Dasein erhalten.

Die Sonne, hoch am Himmel, sendet ihren Lichtstrahl aus, ohne selbst dadurch zu verblassen. Der ausgehende Strahl vermehrt geradezu die eigentliche Schönheit und Vollkommenheit der Sonne. In gleicher Weise ist der Gottessohn ein und derselbe Gott mit dem Vater. Er tut der Größe des Vaters keinen Eintrag. Nein, Er ist Seines Vaters Herrlichkeit. So sagt König Salomon von Ihm: „Denn Er ist der Abglanz des ewigen Lichtes, und der makellose Spiegel der Majestät Gottes, und das Abbild Seiner Güte.“ (Weis. 7,26). Genauso der hl. Paulus in der heutigen Epistel: „Er ist der Abglanz Seiner Herrlichkeit und das Ebenbild Seines Wesens und trägt das Weltall durch das Wort Seiner Allmacht.“ (Heb. 1,3).

Dringt der Sonnenstrahl auch durch die Weiten des Weltraumes; reicht er herab bis zur Erde, so bleibt er doch immer verbunden mit der Sonne. Niemals trennt er sich von ihr. Auch nicht den Bruchteil eines Augenblicks. Ganz so verhält es sich beim Sohn Gottes. Ausgehend vom Vater, der Ihn in die Welt gesandt hat, bleibt Er trotzdem in Ihm als der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ruht. So konnte Er auch von sich sagen: „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh. 10,30). Welch großes Geheimnis! Vom Vater in die Welt gesandt, bleibt der Sohn doch gleichzeitig im Vater.

Soweit beleuchtet der Vergleich der Sonne und dem Lichtstrahl den geheimnisvollen Hervorgang der zweiten göttlichen Person aus der ersten Person; gewissermaßen die ewige Geburt des Sohnes aus dem Vater. Im Folgenden veranschaulicht der Vergleich besonders das Geheimnis der Menschwerdung.

Wenn nämlich das Sonnenlicht auf eine Glasscheibe trifft, so durchdringt es das Glas, ohne es weder beim Eintritt noch beim Austritt zu zerbrechen. In ähnlicher Weise müssen wir uns vorstellen, wie Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, in den Schoß der allerseligsten Jungfrau Maria eintrat. Es geschah durch das Wirken des Heiligen Geistes, ganz ohne Zutun eines Mannes, so daß der Schoß der immerwährenden Jungfrau gänzlich unversehrt blieb. In gleicher Weise trat Er bei Seiner Geburt in der Heiligen Nacht wiederum daraus hervor, ohne dabei das Siegel der jungfräulichen Reinheit zu verletzen. In diesem Bilde besingt auch David in prophetischer Vorausschau das Wunder der Jungfrauengeburt: „Der Sonne [d.h. dem Sohn Gottes] hat Er ein Zelt erbaut [den Schoß der Jungfrau]; Er schreitet wie ein Bräutigam aus dem Brautgemach hervor.“ (Ps. 18, 6). Im Brautgemach des jungfräulichen Schoßes Seiner Mutter hat Er sich im Fleische vereinigt mit der Menschennatur, wie der Bräutigam mit seiner Braut bei der Hochzeit.

Denn wie der klare weiße Sonnenstrahl, wenn er eine farbige Glasscheibe durchdringt, dessen Farbe annimmt, ohne dabei seinen Lichtglanz einzubüßen, so hat der Gottessohn durch Seine Geburt aus Maria, einer menschlichen Jungfrau, die menschliche Natur angenommen. Wie das Sonnenlicht durch eine Rubinglasscheibe die rote Farbe annimmt, so tritt der Gottessohn aus Seinem Brautgemach hervor, angetan mit dem Gewande der Menschheit. Jetzt nicht mehr nur Gottessohn, sondern gleichzeitig auch wahrer Menschensohn. Bevor der Sonnenstrahl durch das Rubinglas fiel, war es ein wirklicher Sonnenstrahl, doch ohne Farbe. Jetzt, mit der Farbe des roten Glases, bleibt er, was er war – ein Lichtstreifen der Sonne – aber er nimmt zugleich die rote Farbe des Glases an. So war der Gottessohn vor Seiner Menschwerdung Gott, jedoch nicht Mensch. Jetzt aber, nach der Menschwerdung, ist Er immerfort zur selben Zeit Gott und Mensch.

Der Sonnenstrahl selbst ist dabei der Träger der roten Farbe. Auf ebendieselbe Weise trägt in Christus die Person des göttlichen Wortes Seine menschliche Natur. Es ist in Christus also nur eine und zwar die göttliche Person. Das ist sehr wichtig! In Christus ist keine menschliche Person! Kein menschliches Ich! Sondern allein die göttliche Person. Wohl aber trägt die eine göttliche Person zwei Naturen: die göttliche und die menschliche.

Schließlich breitet sich das Licht der Sonne aus über die ganze Welt. In der roten Farbe hingegen erglänzt es nur dort, wo es durch das Rubinglas fällt. So ist Christus als Gott überall. Als Mensch jedoch ist Er nur im Himmel und im Allerheiligsten Altarsakrament.

Das reine Licht der Sonne, wie es hervorströmt aus seiner Quelle, können wir nicht schauen. Sein gewaltiger Glanz würde unseren Augen schaden. Kommt es aber gefärbt zu uns, durch ein getöntes Glas hindurch, so ist es wohltuend, schadet uns nicht. Als Gott ist Christus unsichtbar, unaussprechlich, unbegreiflich. Durch Seine hl. Menschwerdung kommt Er uns näher als Kind. Er ist liebenswürdig anzuschauen und lockt uns zur Gegenliebe.

Von diesem göttlichen Sonnenlicht, das aus dem Brautgemach der Jungfrau hervortritt, singt David im 18. Psalm weiter: „Gleich einem Helden jauchzt Er auf, Seine Bahn zu durchlaufen. Vom äußersten Himmel geht Er aus und Sein Lauf geht hin bis zu Seiner Grenze, und niemand ist, der sich vor Seiner Glut verbergen könnte.“ (7) Wie die Sonne unverdrossen ihre Bahn vom Aufgang bis zum Untergang läuft, so durchläuft der aus der Jungfrau geborene Menschensohn die vorgezeichnete Bahn Seines irdischen Lebens als Erlöser. Er wurde geboren, wuchs, lehrte, litt, starb, stand wieder auf, und stieg empor. Wie die Sonne läuft und nie stillsteht auf ihrem Weg, so unaufhaltsam durchschritt unser göttlicher Erlöser Seinen irdischen Lebenslauf, bis Er ihn vollendet hatte.

Mag nun der Vergleich der Menschwerdung des Gottessohnes mit dem Sonnenstrahl auch noch so anschaulich sein. Jeder Vergleich hinkt! Deshalb ist es notwendig die im Vergleichsbild enthaltene Lehre anhand der Glaubenssätze, die von der Kirche aufgestellt worden sind, kurz durchzugehen, damit wir nicht etwa Falsches über dieses unfaßbare Geheimnis der Menschwerdung Gottes glauben.

Wahrer Mensch

Entgegen der Häresie des Doketismus, die behaupteten, der Sohn Gottes habe nur einen Scheinleib angenommen müssen wir im Glauben annehmen, daß der Sohn Gottes wahrhaftig Mensch geworden ist. D.h. daß Er sowohl einen wahren menschlichen Leib aus Fleisch und Blut angenommen hat, als auch eine menschliche Seele.

a) Wahrhaftig Mensch geworden

Die Annahme einer wahren Menschennatur geht nicht nur aus den Worten des Johannesprologs – „Und das Wort ist Fleisch geworden“ – hervor, sondern sehr eindrucksvoll auch aus den Worten des hl. Paulus, wo er im Philipperbrief von der Selbsterniedrigung Christi spricht: „So sollt ihr gesinnt sein, wie auch Christus Jesus gesinnt war, welcher, da Er Gott gleich war, nicht wie an einer geraubten Beute daran festhielt, Gott gleich zu sein; sondern er entäußerte sich selbst, indem Er Knechtsgestalt annahm; den Menschen gleich geworden und im Äußeren als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst, indem Er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil. 2,5-8).

Darum hat Er tatsächlich einen menschlichen Leib aus Fleisch und Blut angenommen, wie aus der Botschaft des Erzengels an Maria erhellt: „Siehe, du wirst empfangen in deinem Leibe und einen Sohn gebären.“ (Lk. 1,31). „Gebildet aus einem Weibe.“ (Gal. 4,4). Die allerseligste Jungfrau bestand zweifelsohne aus Fleisch und Blut. Eben daraus wurde der Leib des Heilandes gebildet. Gebildet aus einem Weibe. Darum war sein Leib ein menschlicher Leib mit allen Gliedern und Eigenschaften desselben. Deshalb konnte Christus auch nach Seiner Auferstehung von den Toten zu den Aposteln sagen: „Ein Geist hat nicht Fleisch noch Gebein, wie ihr seht, daß Ich habe.“ (Lk. 24,39).

Ferner hat der Sohn Gottes auch eine geschaffene, menschliche Seele angenommen. Nicht die Gottheit, wie manche irrtümlich geglaubt haben, hat bei Ihm die Seele vertreten, sondern Seine Seele war eine wahrhaft menschliche. So, wie unsere. Eine Seele mit allen Eigenschaften, die der menschlichen Seele zukommen: Verstand, freier Wille und auch die sinnlichen Leidenschaften, das Gefühlsleben.

b) Als wahrer Mensch gelebt

Ferner bezeugt das ganze Leben unseres Herrn Jesus Christus in deutlichster Weise, daß Er wahrhaft Mensch ist. An Ihm finden wir alles, was an einem Menschen vorkommt.

An Seinem Leib finden wir das Wachstum, heißt es doch von Ihm: „Er nahm zu an Weisheit, und an Alter und an Gnade.“ (Lk. 2,52). Er nahm zu an Alter! Er begegnet uns als neugeborenes Kind in der Krippe, als Knabe im Tempel, als Jugendlicher in der Zimmermannswerkstatt, als Mann bei Seiner öffentlichen Tätigkeit und bei Seinem Leiden am Kreuz.

Ferner finden wir an Jesus auch die Bedürfnisse des Leibes: Er aß und trank bei den Gastmählern, zu denen Er geladen war. Er schlief auf dem Schifflein während der Seesturm tobte.

Außerdem finden wir, daß Sein Leib leidensfähig gewesen ist. „Christus hat für uns gelitten“, sagt der hl. Petrus kurz und bündig (1. Petr. 2,21). Im Ölgarten hat Er Blut geschwitzt. Er wurde geschlagen, gegeißelt, mit Dornen, gekrönt, gekreuzigt. Schließlich sehen wir auch das tatsächliche Sterben dieses Leibes und wie Sein Herz von einer Lanze durchbohrt wurde. „Als sie zu Jesus kamen und sahen, daß Er bereits gestorben war, zerschlugen sie Ihm die Gebeine nicht, sondern einer von den Soldaten stieß Ihm seine Lanze in die Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus..“ (Joh. 19,33 f.).

Aber nicht nur Sein Leib gibt Zeugnis von Seinem wahren Menschsein, sondern auch Seine Seele. Wie an Seinem Körper, so sehen wir auch die Entwicklung Seiner Seele. „Er nahm zu an Weisheit“, haben wir soeben gehört. Als Kind konnte Er kein Wort sprechen. Er lernte von Maria beten, von Joseph die Gesetze und das Geschick seines Handwerks. – Wir sehen an Ihm menschliche Emotionen; die Betrübnis Seiner Seele. Am Grab Seines geliebten Freundes Lazarus stehend heißt es von Ihm: „Und Jesus weinte.“ (Joh. 11,35), so daß die dabeistehenden Juden zueinander sagten: „Seht, wie lieb Er ihn hatte.“ – Der Sohn Gottes weinte bei Seinem Einzug in Jerusalem am Palmsonntag. Er weinte über das bevorstehende Schicksal der Heiligen Stadt. Und im Ölgarten rief Er aus: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.“ (Mt. 26,38). – Schließlich erfahren wir auch vom Scheiden Seiner Seele vom Leibe: „Dann rief Jesus mit lauter Stimme und sprach: Vater, in Deine Hände befehle Ich Meinen Geist.“ (Lk. 23,46). „Jesus schrie mit lauter Stimme und gab den Geist auf.“ (Mk. 15,37).

Die Evangelien lassen also keinen Zweifel. Gott ist Mensch geworden. Es geschah in dem Augenblick, als die Jungfrau Maria zum hl. Erzengel Gabriel sprach: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“ (Lk. 1,38). Da hat gleichzeitig im Himmel, wie ein Echo Seiner Mutter, der ewige Sohn zum Vater gesprochen: „Opfer und Gaben hast Du nicht gewollt; aber einen Leib hast du mir bereitet. An Brand- und Speiseopfern hast Du kein Wohlgefallen. Da sprach ich: Siehe ich komme, Deinen Willen zu tun, o Gott.“ (Heb. 7,10). Heute sehen wir Ihn als Kind in der Krippe liegen, und beten Ihn an, als den menschgewordenen Gott.

Die Lehre vom Gottmensch

Gott ist Mensch geworden. Drei Dinge müssen wir also besonders festhalten, damit wir im richtigen Sinne an die Menschwerdung Gottes glauben: 1. In Jesus Christus sind zwei Naturen. 2. In Jesus Christus sind zwei Willen. 3. Aber nur eine Person.

a) Zwei Naturen

In Jesus Christus befindet sich Gottheit und Menschheit. Die göttliche Natur besitzt Er von Ewigkeit. Vermöge Seiner Gottheit ist Er dem himmlischen Vater in allem gleich und hat darum alle göttlichen Eigenschaften Gottes. Er ist allmächtig, allwissend, allgütig, unsterblich, wie der Vater und der Heilige Geist. Wenn Er die ganze Welt erhält und regiert; wenn Er die Schicksale der Völker und der einzelnen Menschen lenkt; wenn Er den Himmel und die Erde mit Seiner Gegenwart erfüllt, so tut Er es vermöge Seiner göttlichen Natur.

Als Mensch hingegen ist Er in der Zeit geworden. Wie Er die göttliche Natur vom himmlischen Vater hat, so hat Er die menschliche Natur von der menschlichen Mutter, die Ihn durch Überschattung des Heiligen Geistes empfangen und in der heiligen Weihnacht in Bethlehem geboren hat. – Kraft Seiner Menschheit ist Er dem himmlischen Vater und dem Heiligen Geist nicht gleich, sondern steht als Geschöpf unendlich tiefer. Auch besitzt Er als Mensch keine einzige göttliche Eigenschaft; ist also weder ewig, noch allmächtig, noch allgegenwärtig. Wenn Er ißt und trinkt und schläft und weint und leidet und stirbt, dann tut Er dies vermöge Seiner menschlichen Natur.

Entgegen der häretischen Behauptung des Monophysiten Eutyches, ist es sodann wichtig festzuhalten, daß in Christus beide Naturen – die göttliche und die menschliche – „ohne Vermischung, ohne Verwandlung, ohne Trennung und ohne Absonderung“ sind, wie das Konzil von Chalcedon definiert hat. Christus ist kein vergotteter Mensch. Kein in Gott verwandelter Mensch. – Auch ist Christus kein Mischwesen. Er ist kein Halbgott, wie Herkules, Heros und Perseus aus der griechischen Mythologie. Und auch kein halber Mensch. Er ist vollkommen göttlich und vollkommen menschlich. Er ist wahrer Gott und wahrer Mensch.

b) Zwei Willen

In Jesus Christus sind sodann zwei Willen: der göttliche und der menschliche. Das ist leicht begreiflich. Weil das Kind in der Krippe wahrer Gott ist, deshalb hat Es notwendigerweise einen göttlichen Willen. Diesen göttlichen Willen hat der Sohn, wie die göttliche Natur, mit dem Vater und dem Heiligen Geist gemeinsam. Alle drei Personen haben ein und denselben Willen, von dem geschrieben steht: „Unser Gott ist im Himmel und tut, was Er will.“ (Ps. 113,11).

Aber Christus verfügt auch über einen menschlichen Willen. Im Evangelium sind öfters Aussagen aus dem Munde unseres Herrn zu lesen, wie: „Ich suche nicht Meinen Willen, sondern den Willen dessen, der Mich gesandt hat.“ (Joh. 5,3). Oder: „Vater, nicht wie Ich will, sondern wie Du willst.“ (Mt. 26,39). In diesen Worten ist deutlich ausgesprochen, daß Jesus einen Willen hat, der von dem Willen des himmlischen Vaters verschieden ist. Denn Sein göttlicher Wille ist mit dem Willen des Vaters absolut identisch. – Mit dem menschlichen Willen hat er menschliche Handlungen vollbracht, wie Beten, Schlafen, Essen, Trinken, Arbeiten, Predigen.

Jedoch dürfen wir nicht übersehen, daß der menschlichen Natur des Herrn aufgrund der Vereinigung mit Seiner göttlichen Person ein einzigartiger, alles überragender Adel und eine über alles erhabene Vollkommenheit zukommen.

Die Handlungen, die etwa ein König vollbringt, sind an und für sich nur menschliche Handlungen, wie die seiner Untertanen. Jedoch wegen der Würde seiner Person, weil er der König ist, sind es zugleich königliche Handlungen. Ebenso sind die Handlungen unseres göttlichen Erlösers in Seiner menschlichen Natur an und für sich nur menschlichen Handlungen, wie die unseren. Weil in Seiner Person Gottheit und Menschheit miteinander vereint sind und weil sich Seine göttliche Person der menschlichen Kräfte zur Vollbringung jener Handlungen als eines Werkzeuges bedient hat, so müssen all Seine menschlichen Handlungen auch als göttliche Handlungen angesehen werden.

Aus diesem Grund kommt der menschlichen Natur des Herrn die Gabe der Weissagung und der Wunder zu. Zwar war davon die Gottheit die erste und hauptsächliche Ursache, aber auch die Menschheit, die der Gottheit als Werkzeug diente, hat daran im wahren und eigentlichen Sinne Anteil gehabt.

Daraus folgt, daß alle Handlungen, welche Christus als Mensch vollbracht hat, einen unendlichen Wert haben, worauf die Gewißheit unserer Erlösung beruht. Denn Sein Leiden und Sterben, das Er als Mensch auf sich genommen und vollbracht hat, hat Kraft Seiner Gottheit unendlichen Wert und damit die ungeheuerliche Sündenschuld, die auf der Welt lastete, über die Maßen gesühnt. „Ihr seid erkauft um einen teuren Preis“, mahnt deshalb der Völkerapostel (1. Kor. 6,20). Der Lösepreis ist das göttliche Blut. „Das Blut Christi reinigt uns von allen Sünden“, schreibt der Lieblingsjünger (1. Joh. 1,7). Und der hl. Augustinus folgert daraus: „Wir müssen zweifellos glauben, daß unser Herr die ganze Welt erlöst hat, da Er mehr gegeben hat, als die Welt wert war.“ (serm. 41).

Abschließend muß noch bemerkt werden, daß zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Willen nie ein Widerstreit gewesen ist. Der menschliche Wille Christi hat sich stets vollkommen dem göttlichen unterworfen, wie das Werkzeug stets gehorsam der Hand des Handwerkers folgt. So konnte das 3. Konzil von Konstantinopel feierlich verkünden: „In Christus sind zwei Willen – der göttliche und der menschliche – und diese beiden Willen sind einander nicht entgegen, sondern der menschliche Wille ist dem göttlichen und allmächtigen unterworfen.“

c) Eine Person

Wenngleich sich nun in Christus zwei Naturen und zwei Willen finden, so ist in Jesus Christus doch nur eine einzige Person, und zwar eine göttliche. Er ist Gott von Ewigkeit, hat aber in der Zeit zur göttlichen auch die menschliche Natur angenommen. Dadurch ist Er aber keine andere Person geworden, sondern auch nach der Annahme ein und dieselbe göttliche Person geblieben.

Es gibt also nicht zwei Christus; den Gott Christus und den Mensch Christus, sondern es gibt nur einen Christus. Denn die beiden Naturen in Christus, die göttliche und die menschliche, sind in einer einzigen Person, und zwar in der göttlichen Person des ewigen Wortes, unzertrennlich verbunden.

Der hl. Athanasius faßt die dargelegte Lehre kurz und bündig zusammen: „Es ist also der richtige Glaube, daß wir annehmen und bekennen: Unser Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist Gott und Mensch. Gott ist Er, aus der Wesenheit des Vaters vor aller Zeit gezeugt, und Mensch ist Er, aus der Wesenheit der Mutter in der Zeit geboren. Ganz Gott, ganz Mensch, aus einer vernünftigen Seele und einem menschlichen Leibe bestehend. Er ist dem Vater gleich wegen der Gottheit, kleiner als der Vater wegen der Menschheit. Er ist aber, obwohl Er Gott und Mensch ist, dennoch nicht zwei, sondern ein Christus. Einer, aber nicht durch Umwandlung der Gottheit in den Leib, sondern durch Aufnahme der Menschennatur in Gott. Einer im vollsten Sinn, nicht durch Vermischung der Wesenheit, sondern aufgrund der Einheit in der Person.“ (Symb. Athan.).

„Ehre sei Gott in der Höhe!“

Das sind tiefe Geheimnisse unseres Glaubens und doch gleichzeitig ein großer Trost. Oder kann es etwas Tröstlicheres geben, als die unfehlbare Glaubensgewißheit, daß Gott tatsächlich für uns Mensch geworden ist? Er ist wirklich unser Emmanuel, unser „Gott mit uns“! Eben weil Christus Mensch geworden ist, so haben wir an Ihm einen Bruder und in Gott wahrhaftig unseren Vater. Weil Christus Mensch geworden ist, haben wir einen Erlöser und einen Retter vor dem ewigen Untergang. Weil Christus Mensch geworden ist, haben wir durch Ihn Anteil am göttlichen Leben, Aussicht auf ein glückliches Sterben und auf die unendlichen Freuden des Himmels.

Wenn in wenigen Augenblicken die Wandlungsglocken läuten, dann fallen wir nieder und beten an: „Das Wort ist Fleisch geworden. Gott hat unter uns gewohnt.“ – Bei der hl. Kommunion bieten wir Ihm unser Herz als Wohnung an. Denn Er kommt in Sein Eigentum. Und wenn Ihn die Seinigen in Betlehem damals nicht aufgenommen haben, so soll Er wenigstens in der Krippe unseres Herzens Aufnahme finden.

Wenn wir schließlich an diesem hohen Festtag aus dem Gottesdienst nach Hause gehen, dann klinge es fort den ganzen Tag, die ganze Weihnachtszeit, unser ganzes Leben: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Ja, Ehre sei Gott; und Preis und Ruhm! Denn „das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Amen.

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