Die Früchte der Drangsale

Geliebte Gottes!

„Gott ist die Liebe“ (1. Joh. 4,16). Wenn dieses Wort wahr ist, so muß Gott bei allem was Er tut oder geschehen läßt, die besten Absichten haben. Selbst, wenn Er Leiden und Trübsale über uns kommen läßt! – Im heutigen Evangelium war die Familie eines königlichen Beamten, genauer dessen Sohn, vom Leiden getroffen. „Herr, gehe hinab, ehe mein Sohn stirbt!“, so der gequälte Anruf des Vaters, der in seiner Verzweiflung Zuflucht zu unserem Herrn Jesus Christus nahm. Doch damit hatte die Trübsal des Vaters noch kein Ende. Christus wollte nämlich entgegen seiner Hoffnung nicht mit dem Bittsteller kommen, sondern dessen Glauben prüfen und auf eine höhere Ebene heben. Allein mit der Versicherung, daß sein Sohn lebe, schickte Jesus den Vater nach Hause. Auch wenn der Vater dem Wort unseres Herrn gehorchte, so können wir uns kaum ausmalen, welch bange Seelenqualen dieser Mann auszustehen hatte, bis ihn die Nachricht vom Nachlassen des Fiebers erreichte.

Alles in allem brachte die Krankheit des Kindes und die sorgenvolle Angst der Eltern, großen Segen für die gesamte Familie, ja sogar dem ganzen Haushalt, heißt es doch am Ende: „Nun erkannte der Vater, daß es zur selben Stunde war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte: ‚Dein Sohn lebt!‘ Und er glaubte mit seinem ganzen Hause.“

Menschen, die mit den unmittelbaren Folgen von schweren Unglücksfällen oder Katastrophen konfrontiert sind – insbesondere, wenn unschuldige Kinder unter den Opfern sind – zweifeln an der Güte und Liebe Gottes, indem sie den Vorwurf erheben: „Wenn es einen Gott gibt, der die Liebe ist, der für alles sorgt und der alles lenkt und leitet, wie kann Er dann zulassen, daß es soviel Leid und Tod auf Erden gibt?“

Die Antwort lautet: Zur Erreichung Seiner heiligen Zwecke läßt Gott in ähnlicher Weise wie über die Familie des königlichen Beamten, über jeden Menschen Leiden und Drangsale kommen. Sie sollen in der Seele eines jeden, heilsame Früchte im Hinblick auf das ewige Heil tragen. Dabei bedient sich Gott der Trübsale:

  1. Um die Menschen zu reinigen.
  2. Um die Menschen zu erleuchten.
  3. Um die Menschen zu vervollkommnen.

Die Reinigung

Der vielleicht naheliegendste Sinn der Leiden ist die Reinigung der Seele. Wovon? Vom Unrat der Sünde, der Sinnenlust, dem Gewühl von Leidenschaften und bösen Begierden, welche die Seele des Menschen beherrschen, oft ohne daß er sich dessen bewußt ist.

a) von der Sünde

Die Widerwärtigkeiten, die Gott über uns kommen läßt führen uns zur Erkenntnis dessen, was wir sind: Wir sind Sünder vor Gott!

Zu dieser Einsicht gelangt der Mensch meist nicht in unbeschwertem Glück, sondern wenn Leiden ihn niederdrücken. – Wann war es, als Adam seine Sünde bereute? Erst als er, aus dem Paradies vertrieben, im Schweiße seines Angesichtes die Erde bebaute. – Wann war es, als der Pharao die Israeliten aus der ungerechten Sklaverei ziehen ließ? Erst als er, getroffen von den schrecklichen Plagen, wenigstens die strafende Hand Gottes fürchtete. – Wann bereute David seinen Stolz? Als die Pest sein Volk verheerte. – Wann begab sich der stolze Feldherr Naaman zu dem bescheidenen Propheten Gottes? Als der schreckliche Aussatz ihn bedeckte. – Wann kehrte das Volk Israel reumütig zum Dienste des wahren Gottes zurück? Als es besiegt, gefangen und zerstreut in der babylonischen Gefangenschaft klagte. Wann erkannte der Prophet Jonas seinen Ungehorsam gegen den Befehl Gottes, dem er zu entfliehen suchte? Im finsteren Schlund des Walfisches, der ihn verschlungen hatte.

Wie viele Beispiele von Sündern könnte nicht jeder Seelsorger, ja beinahe jeder Christ aus eigener Erfahrung aufzählen, die erst in der Armut, im Gefängnis, im Unglück, in der Krankheit, in Schmerzen, im Angesicht des Todes in sich gingen, ihre Sünden bereuten und zu Gott zurückkehrten. Sünden, welche sie in den guten Tagen, den Tagen des Reichtums, der Freiheit, des Glückes, der Gesundheit begangen hatten.

Sogar der Sünder, welcher vom Heiland zum mustergültigen Beispiel all jener Sünder aufgestellt wurde, die Buße tun – der „verlorene Sohn“ – fing seine Bekehrung erst da an, wo er in das tiefste Elend geraten war. So sind die Leiden für die Sünder als Strafen, und zwar als wohlverdiente Strafen, in Wirklichkeit aber als Gnadenerweise und wirksame Heilmittel zu betrachten. Krankheiten, Demütigungen und sonstige Drangsale, zwingen noch immer so manchen Verirrten zum selbstkritischen In-sich-gehen, zum ehrlichen Eingestehen eigener Schuld und zum reumütigen Bekenntnis im Bußgericht vor dem Priester.

Auf diese Weise ziehen die Trübsale und Leiden, gleich einem Fischernetz in der Hand Gottes, die Seelen aus dem Sündenschlamm heraus, in den sie durch unreflektiertes Dahinleben im Alltäglichen eingesunken sind, wie der Prophet Habakuk sagt: „Er [Gott] behandelt die Menschen wie die Fische im Meer, … Mit der Angel holt Er sie alle herauf, er schleppt sie weg in Seinem Netz und rafft sie fort in Seinem Fischgarn. Er freut sich darüber und jubelt.“ (Hab. 1,14 f.). Die Seele ist wie ein Fisch und alle der Sünde entstammenden Leiden sind das Netz, womit Gott sie an Sich zieht.

Krankheiten und Trübsale können ein wahrer Segen für den Sünder sein: Sie halten ihn vom Sündigen ab. Sie zwingen ihn zum Innehalten und zum Nachdenken. Schon für viele war das Krankenbett der Ort einer aufrichtigen Gewissenserforschung, einer ehrlichen Reue und der Beginn der Umkehr. Sogar große Heilige wie der hl. Franz von Assisi oder der hl. Ignatius von Loyola wurden durch die Fesseln eines langen, schmerzhaften Siechtums auf den Empfang der göttlichen Gnade vorbereitet.

Das gilt sowohl im Allgemeinen, als auch im Einzelnen; sowohl im Hinblick auf die Völker, als auch auf den Einzelmenschen. Dasselbe bekennt auch der hl. Prophet Jeremias, wenn er von sich erzählt: „Aus der Höhe sandte Er Feuer in meine Gebeine und züchtigte mich; Er breitete ein Netz aus vor meinen Füßen und kehrte mich rücklings.“ (Klgl. 1,13). Durch die Leiden wurde der Prophet zur Umkehr gebracht.

b) von der Strafe

Trübsale, Schmerzen und Krankheiten reinigen den Menschen nicht nur von der Anhänglichkeit an die Sünde, sondern sie reinigen die Seele auch von den Strafen jener Sünden, die zwar im hl. Bußsakrament nachgelassen wurden, aber noch nicht zur Gänze abgebüßt worden sind.

Die wenigen Vaterunser und Ave Maria, eine Litanei oder ein Rosenkranz, die wir vom Beichtvater als Buße auferlegt bekommen, sind ja nur eine kleine Anzahlung, mit denen die ganze Strafe für unsere gebeichteten Sünden bei weitem noch nicht abgegolten ist. In den ersten christlichen Jahrhunderten herrschte ja bekanntlich eine viel strengere Bußpraxis, die jedoch zusehends abgemildert wurde. Das geschah natürlich nicht aus dem Grund, weil die Menschen weniger oder weniger schwer gesündigt hatten, sondern nur aus Rücksicht der Kirche auf die zunehmende Gebrechlichkeit der Menschen, die angesichts der schweren Kirchenbuße mutlos, und deshalb womöglich gar nicht mehr zur Beichte gehen würden.

Weil nun aber die Strafen für unsere Sünden nun einmal abgebüßt werden müssen und uns Gott in Seiner Barmherzigkeit die ungemein schwerere Strafe des Fegfeuers nach dem Tode nach Möglichkeit ersparen möchte, schickt Er uns in diesem Leben Prüfungen und Drangsale, um die Seele im Gnadenstand von den noch ausstehenden zeitlichen Strafen zu reinigen. – Auch hierfür finden sich in der Heiligen Schrift und bei den Vätern schöne Bilder, die uns die Reinigungsarbeit Gottes vor Augen stellen.

Der Prophet Isaias vergleicht die Trübsale dieses Lebens mit dem Dreschflegel Gottes, mit denen Er den guten Weizen auf der Tenne reinigt. Der Prophet redet die Auserwählten Gottes an mit den Worten: „O meine Zerdroschenen, ihr Kinder meiner Tenne.“ (Is. 21,10). Wie der Dreschflegel das Korn von der Spelzhülse befreit, so befreien die Schläge der Drangsale die Seelen von den noch ausstehenden zeitlichen Strafen und machen sie so rein, daß sie der ewigen Kornspeicher des Himmelreiches würdig sind.

Der hl. Augustinus vergleicht die Trübsale mit dem Feuer, das uns hier reinigt, damit wir jenseits Schonung finden. Er sagt das Gold liebe das Feuer, weil es darin geläutert werde. Das Getreide stelle sich tapfer der Dresche, weil es nur so von der Hülse, die es gefangenhält, befreit werde. Das Öl trete erst in seiner ganzen Reinheit hervor, wenn die Olivenfrucht zermalmt sei. „Wenn du Gold bist, was fürchtest du das Feuer? Wenn du Getreide bist, was fürchtest du den Dreschflegel? Wenn du Öl bist, was fürchtest du den Druck der Kelter?“ Und an anderer Stelle betet derselbe hl. Kirchenvater: „O Herr, hier schneide, hier säge, hier brenne; nur schone meiner in der Ewigkeit!“

c) von der Begierlichkeit zur Sünde

Durch Krankheiten und Trübsale reinigt Gott unsere Seele vom Schmutz der Sünde und von ihren Folgen, den Strafen. Doch ihr Wirken geht noch tiefer. Die Widrigkeiten des Lebens dämpfen auch unsere schlechten Leidenschaften, die, wenngleich wir sie auch unterdrücken, leicht wieder in uns erwachen, und die Seele zum Rückfall in vermeintlich längst abgelegte Fehler drängen können.

Unsere Natur ist und bleibt zeitlebens durch die Erbsünde verletzt und deshalb gefährdet von den ungeordneten Leidenschaften, wie von einem zügellosen Pferd, ins Verderben gerissen zu werden. Müßiger Zeitvertreib, sorgloser Wohlstand und ausgelassene Vergnügungen lassen die verhängnisvollen Folgen der früheren Sünde, von denen sich der Mensch bekehrt hat, vergessen. Vorwitzig, wie ein junges Fohlen, ist der Mensch geneigt mit der Versuchung zu kokettieren. So warnt der Prophet Jeremias: „Niemand redet, was gut ist, keiner tut Buße über seine Sünde, daß er spräche: ‚Was habe ich getan?‘ Alle sind in ihrem Laufe begriffen wie ein Roß, das ungestüm in den Streit stürzt.“ (Jer. 8,6). Vorwitz und Stolz vermehren die Wut der Leidenschaften. Selbstverleugnung und Gebet wären die wahren Zügel. Doch wenn der Mensch darauf vergißt, sie in dem notwendigen Maße anzuwenden, dann greift Gott ein, um die Wildheit der Völlerei, der Überheblichkeit und der Sinnlichkeit, durch Schmerzen, Krankheiten oder durch andere Drangsale zu bändigen; damit sie auf diese Weise gedämpft und wieder gefügig gemacht würden.

Die Erleuchtung

Doch Gott bedient sich der Trübsale dieses Lebens nicht nur, um uns von Sünden, Strafen und ungeordneten Begierden zu reinigen. Er setzt sie auch ein, um unser Herz zu erleuchten.

Wie der Kot der Schwalbe, welcher dem greisen Tobias das Augenlicht raubte, ein Bild der eitlen Ehren und irdischen Güter ist, die den Geist blind machen, so versinnbildet die Galle des Fisches, welchen der junge Tobias auf Befehl des hl. Erzengels Raphael fing, jenes kostbare Heilmittel – nämlich die irdischen Drangsale – welche uns wieder sehend machen. So sagt der hl. Papst Gregor der Große: „Die Augen, welche die Schuld schließt, öffnet die Strafe.“

Die Widerwärtigkeiten des Lebens lassen uns sehen, was über uns ist; was unter uns ist; was um uns ist und was in uns ist.

a) Was über uns ist.

Das Leid, das uns widerfährt, zeigt uns zuerst, wer über uns ist. Daß nämlich Gott allein der Helfer in allen Nöten ist. – In Freuden verläßt man Gott, in Trübsalen eilt man zu Ihm. Wie oft berichtet uns nicht das Alte Testament, wie das auserwählte Volk der Israeliten durch die glorreichen Siege über übermächtige Feinde, zu denen Gott ihm verholfen hatte, überheblich wurde, von Ihm abfiel und einzig durch die göttlichen Strafgerichte zu Gott zurückfinden konnte.

Die Krankheit seines Sohnes führte den königlichen Beamten im heutigen Evangelium zu Christus; und, wie wir am Ende erfahren, zum Glauben. Ohne die lebensbedrohliche Krankheit des Sohnes, hätte er den weiten Weg zu unserem Herrn wohl kaum auf sich genommen; wobei die geistige Wegstrecke für ihn vielleicht weiter gewesen ist, als die für seine Füße. Dann wäre er selber nicht zum Glauben gekommen; dann würde sein ganzer Haushalt in der Finsternis des Unglaubens verblieben sein.

Der Kirchenschriftsteller Lactantius sagt: „Wenn schwere Zeiten hereinbrechen; Kriege sich entzünden, Krankheiten herrschen, die Feldfrüchte verderben, Ungewitter und Hagel Verheerungen anrichten, dann erst nimmt man die Zuflucht zu Gott.“ So verhelfen uns die Leiden und Trübsale des Lebens dazu, unser Heil wirklich dort zu suchen, wo es zu finden ist – bei Gott, dem Allerhöchsten, der über uns herrscht.

b) Was unter uns ist.

Die Drangsale des Lebens lassen uns aber auch erkennen, was unter uns ist. Ja, die zeitlichen Widerwärtigkeiten, die wir erleiden öffnen die Augen des Menschen für das Fegfeuer und für die Hölle. Sind doch die härtesten Leiden in diesem zeitlichen Leben nur ein schattenhaftes Vorbild der jenseitigen Qualen. So sagt die „Nachfolge Christi“: „Dort wird eine Stunde Qual härter sein, als hundert Jahre der strengsten Buße hier. Dort gibt es keine Ruhe, keinen Trost für die Verdammten; hier jedoch ruht man wenigstens zuweilen von den Mühen aus und genießt den Trost der Freunde. … Wenn du jetzt so wenig aushalten kannst, wie willst du dann die ewigen Qualen ertragen? Wenn du jetzt wegen einer kleinen Widerwärtigkeit ungeduldig wirst, was wird dann in der Hölle geschehen? Siehe, du kannst nicht zwei Freuden haben; hier die Freuden der Welt genießen und dort mit Christus herrschen.“ (I,24). Wenn uns also die Liebe zu Gott nicht von der Sünde zurückhält, so mag uns wenigstens die Furcht vor der Hölle und der Gedanke an das Fegfeuer zügeln, deren stürmische Qualen im Vergleich mit den Schmerzen und Bedrängnissen, dem Haß und dem Neid, den Verleumdungen und Ehrabschneidungen, die uns in diesem Leben begegnen, nur ein sanftes Lüftchen sind. So deuten uns die Leiden an was unter uns ist.

c) Was um uns ist.

Ferner offenbaren die Widerwärtigkeiten des Lebens auch, was um uns ist. – Etwa, wer unsere wahren Freunde sind. Die Not offenbart wahre und falsche Freunde zuverlässig. So mahnt der weise Jesus Sirach: „Willst du einen Freund gewinnen, so erwirb ihn durch Erprobung, schenk ihm nicht zu schnell dein Vertrauen. Denn mancher ist nur so lange Freund, so lange ihm die Zeit günstig scheint; aber am Tage der Drangsal bleibt er es nicht. Mancher Freund verwandelt sich auch in einen Feind; und mancher Freund macht Haß, Gezänk und Beschimpfungen offenkundig. Mancher Freud ist nur ein Tischgenosse; aber am Tage der Not harrt er nicht aus. Über deine Güter gebietet er wie du selbst, und gegen deine Hausgenossen nimmt er sich Freiheiten heraus. Geht dir’s aber übel, so ist er wider dich, und sucht sich vor deinem Anblicke zu verbergen. Von deinen Feinden halte dich fern; vor deinen Freunden sei auf der Hut! Ein treuer Freund ist wie ein starker Schutz; wer einen solchen findet, hat einen Schatz gefunden. Mit einem treuen Freunde ist nichts zu vergleichen; und wertlos ist gegen die Vortrefflichkeit seiner Treue Gold und Silber. Ein treuer Freund ist ein Heilmittel für Leben und Unsterblichkeit; und die den Herrn fürchten, finden einen solchen. Wer Gott fürchtet, wird auch gute Freundschaft haben. Wie er selbst, so wird auch sein Freund sein.“ (Sir. 6,7-17). Meist fördert erst die Prüfung durch Trübsale zutage, wer wirklich unsere Freunde sind, bzw. ob wir selber ein treuer Freund sind. Die Drangsale des Lebens offenbaren also, wer die Menschen um uns herum wirklich sind.

Aber nicht nur die Menschen, auch die Dinge in unserem Leben erscheinen, angestrahlt durch die Leiden dieser Zeit, im wahren Licht. Im Glück schätzt man für gewöhnlich nur die irdischen Güter und oft diese ohne vernünftige Auswahl. Im Leiden erkennt man, daß Ehren, Geld und Genüsse kein tragfähiger Grund sind und die wahren Güter dieses Lebens nicht aufzuwiegen vermögen. Was sind Genüsse gegen ein reines Gewissen? Was ist Karriere, Geld und Einfluß gegen ein friedvolles Herz? Kann man mit Häusern, Autos, Markenkleidung oder luxuriösen Reisen den heilsnotwendigen Glauben und die Tugenden, also die Grundsäulen des ewigen Glücks, erwerben?

d) Was in uns ist.

Noch ein viertes Licht zünden Leiden und Trübsale der Seele des Menschen an. Sie offenbaren, was in uns ist. Oft vergißt der Mensch ja selbst die gröbsten Sünden. Aber Leiden können ihn zu Einsicht und Reue bringen.

Hatten nicht die zehn älteren Söhne Jakobs, nachdem sie ihren Bruder Joseph als Sklaven nach Ägypten verkauft hatten, jahrelang friedlich im Hause ihres Vaters dahingelebt und ganz auf das Verbrechen, das sie aus Neid begangen hatten vergessen? Erst als sie durch die Hungersnot nach Ägypten getrieben, dort der Spionage bezichtigt wurden, da erst erinnerten sie sich und sagten zueinander: „Wir sind an unserem Bruder schuldig geworden. Wir haben zugesehen, wie er sich um sein Leben ängstigte. Als er uns um Erbarmen anflehte, haben wir nicht auf ihn gehört. Darum ist nun diese Bedrängnis über uns gekommen.“ (Gen. 42,21). Später bekannten sie sogar offen: „Gott hat die Schuld deiner Knechte ans Licht gebracht.“ (Gen. 44,16). Die Bedrängnis hat die Gewissen der Brüder Josephs von der früheren Blindheit geheilt. Sie erkannten die verdrängte Schuld. So brachte die Angst um ihr Leben ans Licht, was in ihnen war. Sie bereuten, demütigten sich und ihr verschollener Bruder gab sich ihnen zu erkennen, um sich mit seinen Brüdern zu versöhnen.

Trifft den Menschen ein Leid, dann stellt er die Frage: „Warum ich?“ Und das getroffene Gewissen nennt den Grund: „Deine Schuld! Deine uneingestandene, verdrängte Schuld!“

Die Trübsale des Lebens vermögen uns aber nicht nur längst vergessene Sünden in Erinnerung zu rufen, sie offenbaren vor allem unsere Schwäche. In Glück und Frieden überschätzt man leicht seine Kräfte und fühlt sich jeder Herausforderung gewachsen und ist geneigt, sich über andere zu erheben, die offensichtlich in Sünde gefallen sind. Tritt dann aber die Versuchung ein, wie leicht klagt man und sinken die vermeintlichen Kräfte dahin. Mit gutem Willen macht man sich Vorsätze, aber die Mühe der Erfüllung bricht sie wieder. So zeigt die Versuchung was wirklich in uns ist. In der „Nachfolge Christi“ heißt es dazu: „Wir wissen oft nicht was wir vermögen, aber die Versuchung macht offenbar was wir sind. … Es ist nichts Großes wenn der Mensch fromm und eifrig ist, solange er keine Beschwernis empfindet. Aber wenn wir in der Zeit der Not geduldig ausharren, dürfen wir hoffen, daß wir im Inneren bedeutend gewachsen sind. Einige erleben keine großen Versuchungen, dafür werden sie oft in alltäglichen Dingen besiegt, damit sie, auf diese Weise gedemütigt, in großen Dingen niemals auf sich selbst vertrauen, da sie schon in kleinen Dingen versagen.“ (I, 13).

Die Vervollkommnung

Die dritte Wirkung von Leiden und Trübsal besteht schließlich in der Vervollkommnung des Menschen. Die Drangsale bewirken in ihm die Tugend. Sie treiben ihn an, in der Tugend Fortschritte zu machen. Sie helfen ihm die Tugend und die Gnade Gottes zu bewahren.

a) Sie bewirken die Tugend

Insbesondere eine Tugend kann ohne Leiden und Trübsale gar nicht erworben werden: die Tugend der Geduld. So lehrt der hl. Paulus im Römerbrief: „Wir rühmen uns auch der Trübsale, weil wir wissen, daß Trübsal Geduld bewirkt.“ (Röm. 5,3). Die erworbene Geduld ist wie ein Acker, der nur durch die schneidenden Schaufeln der Trübsale gepflügt, gute Früchte trägt.

Der selige Antiochus von Sulci (†127) sagt: „Wie das Wachs nur erweicht den Druck des Siegels gerne in sich aufnimmt, so nimmt auch nur der durch Arbeit und Leiden geprüfte Mensch das Siegel der göttlichen Gnade an.“ Und der hl. Petrus Chrysologus erklärt: „Den armen Lazarus brachte die Armut zur Weisheit, der Schmerz zur Tugend, die Verachtung zur Geduld.“ Gerade die Tugend der Geduld ist aber dem Christen unerläßlich, weil nur durch sie der Jünger dem gekreuzigten Meister am vollkommensten gleichgestaltet wird.

Wenn die Leiden und Widerwärtigkeiten des Lebens gleichsam der Ausgangspunkt für die Tugend der Geduld sind, so zielen sie alle auf eine einzige Tugend gleichsam als ihren Zielpunkt ab: Sie erziehen zum Gehorsam! Das lehrt uns der hl. Paulus sogar von der Seele Christi. Im Hebräerbrief schreibt er: „Obgleich Er Gottes Sohn war, hat Er aus Seinen Leiden Gehorsam gelernt; und nach Seiner Vollendung wurde Er für alle, die Ihm Gehorsam leisten, der Urheber des ewigen Heiles.“ (Heb. 5,8 f.). Und an die Philipper schrieb der Völkerapostel: „Er hat sich selbst erniedrigt und ist gehorsam geworden bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuze.“ (Phil. 2,8). Wie wir Menschen den Vogel im Käfig, das Pferd durch den Zügel, den Löwen mit der Peitsche zähmen, so zähmt uns Gott durch Trübsale. Wie oft ist es nicht schon geschehen, daß der Mächtige und Reiche, im Glück Gott verachtend, Gott gehorsam wird, wenn er sich ins Elend gestürzt sieht.

b) Sie treiben zum Tugendfortschritt an

Doch die Leiden und Widerwärtigkeiten wecken nicht nur die Tugend in der Seele, sie treiben den Menschen auch dazu an immer schnellere und größere Fortschritte darin zu machen.

In friedlichen Zeiten des Trostes und der Zufriedenheit sieht sich die Seele wenig zum Fortschritt angetrieben. Im Gegenteil! Verfallen doch die meisten früher oder später der Lauheit.

Wie ein Wanderer durch die Annehmlichkeit der Gegend, die Schönheit der Landschaft, die Gastfreundschaft der Bewohner sein Reisetempo drosselt, um all das ausgiebig zu genießen, so wird der Mensch durch die Annehmlichkeiten des Lebens oft vom geistlichen Fortschritt zurückgehalten.

Die durch Leiden geprüften Seelen eilen hingegen schneller auf ihren dornigen Pfaden zum Ziel, wo ihnen allein der Glaube jenen Frieden und jene Seligkeit verheißt, die ihnen in diesem Leben nicht vergönnt zu sein scheinen. Der hl. Papst Gregor sagt: „Der Herr macht Seinen Auserwählten, die zu Ihm eilen, den Weg durch die Welt rauh, damit sie nicht durch die Ruhe des gegenwärtigen Lebens aufgehalten werden.“

c) Sie bewahren Gnadenstand und Tugenden

Schließlich bewahren Leiden und Trübsale eine Seele vor Leichtsinn und helfen so den Stand der heiligmachenden Gnade und die erworbenen Tugenden leichter zu bewahren.

Die Sommerhitze führt bekanntlich dazu, daß man sich der Kleider gerne entledigt. Genauso geschieht es in Zeiten des Glücks, daß der Mensch Gnade und Tugend für gleichgültig erachtet und sie leichtfertig wegwirft. Der kalte Nordwind hingegen zwingt den Wanderer, sich fest in den Mantel einzuhüllen. So bringen Leiden den Christen dazu, Gnade und Tugenden zu bewachen und eng bei sich zu tragen.

„Durch viele Trübsale müssen wir eingehen in das Reich Gottes.“

Zusammenfassend müssen wir feststellen, daß es eine Vielzahl guter Früchte sind, die Gott dem Menschen aus Leid und Trübsal erwachsen läßt. Bekämpfen wir deshalb die Neigung in uns, angesichts von Leiden und Widerwärtigkeiten (An-)Klagen und Vorwürfen gegen Gott zu erheben oder gar mit den Anordnungen Seiner weisen Vorsehung zu hadern. Sein weiser Blick reicht in Seiner Allwissenheit weiter, als der unsere und Seine Güte meint es besser mit uns, als wir selber es tun. Bemühen wir uns aus der Perspektive des Glaubens auf die Leiden und Heimsuchungen zu blicken, und sie als Gnadenerweise zu unserem Fortschritt aus der gütigen und barmherzigen Hand Gottes entgegenzunehmen.

Fremde Leiden wollen wir benutzen als eine Gelegenheit zu den Werken der Barmherzigkeit und der tröstenden und tätigen Nächstenliebe. Die eigenen Leiden aber, wollen wir annehmen, als eine verdiente Strafe, als eine Mahnung zur Buße, als eine Gelegenheit zum Verdienst, als Gnadengeschenk Gottes. Wenn uns Widrigkeiten und Leiden treffen, wollen wir statt zu klagen, lieber Gott darum bitten, Er möge uns Gnade und Kraft geben, die Leiden, die Er uns gesandt hat, geduldig und mit vollkommener Ergebung in Seinen heiligen Willen anzunehmen.

An der Familie des königlichen Beamten dürfen wir heute den übernatürlichen Lohn von Leiden und Trübsalen sehen: „Er glaubte mit seinem ganzen Hause.“ An seinem Beispiel wollen wir auch unseren Glauben stärken und bekennen: „Gott ist die Liebe“, auch und gerade wenn Er züchtigt! Seiner weisen Vorsehung wollen wir uns überlassen und tapfer die Wahrheit der Kreuzesnachfolge bekennen: „Durch viele Trübsale müssen wir eingehen in das Reich Gottes.“ (Apg. 14,22). Amen.

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