Die Würde des Leibes

Geliebte Gottes!

Gleichsam unter dem Jubel aller Engel und Heiligen des Himmels, sowie der streitenden Kirche auf Erden verkündete Papst Pius XII. am 1. November 1950 das feierliche Dogma, daß Maria, „nach Vollendung ihrer irdischen Lebensbahn mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde.“ Wohlgemerkt! Nicht nur der Seele nach, sondern auch dem Leibe nach, ist die Gottesmutter in den Himmel aufgenommen worden und so in der Fülle ihrer Vollendung, in der Herrlichkeit des Himmels gekrönt worden.

Über 70 Jahre sind inzwischen vergangen und doch hat die Wahrheit der leiblichen Himmelfahrt Mariens nichts an Tagesaktualität eingebüßt. Der Körper hat ja gerade für den modernen, materialistisch eingestellten Menschen eine große Bedeutung. – Daß Mariens Seele in den Himmel einging, wurde ja noch von niemandem ernsthaft bestritten. Darin unterscheidet sie sich nicht von den vielen anderen Heiligen, die von der Kirche verehrt werden. Daß aber ihr Leib, derselbe Leib aus Fleisch und Blut, mit dem sie in der Zeit auf Erden wandelte, verklärt und verherrlicht in den Himmel aufgenommen wurde, das ist der eigentliche Gegenstand dieses Glaubenssatzes. Der materielle Leib ist für den Himmel bestimmt. Er ist für den Himmel geschaffen. Nicht nur der Leib Mariens, sondern der Leib eines jeden Menschen! Auch unser Leib!

Zeitgeist und Körperkult

Durch das Fest Mariä Himmelfahrt wird der Leib auch für uns Katholiken wieder ins richtige Licht gestellt. Gerade in einer Zeit, in der die Welt dem menschlichen Körper eine derart große Aufmerksamkeit schenkt. Der Körperkult in Form von übertriebener Leibesertüchtigung durch Sport und Fitneß ist ein eigener weitverzweigter Bereich. Waschbrettbauch und Wespentaille werden als ultimativ erstrebenswerte Schönheitsideale vor allem von der jungen Generation angesehen. Ältere Semester pflegen eher viel Aufhebens um ihre Gesundheit und der dazu notwendigen Ernährung zu machen, wobei sie durch dieses oder jenes „Wundermittel“, wie etwa durch diese Tropfen und jene Kapsel, das perpetuierte Wohlbefinden ihres Leibes garantiert wissen wollen.

Dann ist da die Modewelt, die durch körperbetonte Schnitte und Formen mehr vom Leib eines Menschen zeigen will; ihn mehr den neugierigen und lüsternen Blicken ausliefern will, als ihn vor denselben zu verhüllen. Statt den Menschen gesundheitlich und moralisch zu schützen, wird die Bekleidung auf diese Weise zur Ursache körperlicher Erkrankungen und sittlicher Verfehlungen.

Schließlich sei noch Schönheitspflege und Wellness erwähnt, die wohl in keiner anderen Zeit zuvor ein solches Ausmaß angenommen haben, wie in der unseren. Sie hat in der westlichen Welt einen eigenen Industriezweig hervorgerufen, der jährlich Milliarden umsetzt.

Alles in allem macht das Zeitalter der Moderne einen wahren Kult um den Leib. Doch der Körperkult von heute ist Götzendienst! Er reduziert ihn auf die bloße Materie, auf seine rein innerweltlichen Anlagen: auf Kraft zur Arbeit und auf Leistungsfähigkeit, auf das Wohlfühlen und natürlich auf verlockende, verführerische Schönheit, um auf andere attraktiv und anziehend zu wirken.

Angesichts dessen war es mehr als zeitgemäß, daß Papst Pius XII. dem ganzen Erdkreis die wahre, übernatürliche Bestimmung des Leibes durch die Verkündigung der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel, wieder klar vor Augen gestellt hat.

Ebenbild Gottes und Spiegel der Seele

Lassen Sie uns den Gedanken vertiefen und in der göttlichen Offenbarung nachspüren, welche letzte, tiefe Bestimmung unserem Leib zukommt. Die Offenbarung der Heiligen Schrift läßt uns wissen, daß Gott als allmächtiger und allweiser Schöpfer zu Beginn sprach: „Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis.“ (Gen. 1,26). Hierauf formte Er aus dem Stoff der Erde den Leib des Mannes. Diesem Leib hauchte Gott die Seele als Odem des Lebens ein. „Und Gott schuf den Menschen nach Seinem Bild; nach dem Bilde Gottes schuf Er ihn.“ (Gen. 1,27). Gerade in der Geistseele des Menschen besteht seine natürliche Ebenbildlichkeit zu Gott. Wie Gott, so ist die Seele ein Geist. Wie Gott, so besitzt die Seele einen erkennenden Verstand und einen freien Willen. Und der Leib ist Gefäß, Wohnort und Werkzeug eben dieses göttlichen Abglanzes. „Als Mann und Frau erschuf Er sie.“ (ebd.) Den Leib der ersten Frau entnahm Gott der Seite des ersten Mannes und machte die Frau dem Mann auf diese Weise – wenngleich in Unterordnung – wesentlich ebenbürtig und gleichwertig. Beide Geschlechter sind Ebenbilder Gottes aufgrund der Geistseele.

Dieses Geschehen wiederholt sich mit der vollen Souveränität Gottes jedes Mal, wenn ein Mensch im Schoß seiner Mutter ins Dasein tritt. Der leiblichen Zeugung folgt die Erschaffung und Eingießung der Seele durch einen göttlichen Schöpfungsakt. Auch die Entscheidung, ob ein Mann oder eine Frau entstehen soll, fällt der souveräne göttliche Schöpfer allein, wie es schon im Anfang war. Der Mensch hat nicht das Recht, in diesen souveränen Schöpfungsakt Gottes irgendwie einzugreifen – weder durch Abtreibung oder genetische Manipulationen, noch durch spätere Geschlechtsumwandlung.

Das Gebilde aus Körperzellen im Mutterschoß wird neun Monate hindurch mehr und mehr von dieser Seele geformt und vervollkommnet. Nicht der werdende Leib bildet die Seele, wie es das falsche „Dogma“ des dialektischen Materialismus sagt, sondern umgekehrt, durch die Geistseele formt Gott den Leib jedes Menschen, eines jeden Einzelnen von uns. Damit ist offensichtlich, daß der Leib ein Spiegel der Seele ist, ein stoffliches In-Erscheinung-treten der unsichtbaren, unmittelbar von Gott geschaffenen Seele. Wird das Kind geboren, ist sein Körper also bereits eine sichtbare Offenbarung der ihm einwohnenden und der ihn beherrschenden Seele, ein Wunderwerk des Schöpfergottes. Das wird immer deutlicher, wenn die Eltern nun die Entfaltung der Seele in dem Kinde von Jahr zu Jahr verfolgen können.

Einheit in Unterordnung

So herrscht von Anfang an zwischen Leib und Seele eine innige gottgewollte Gemeinschaft und Harmonie. Schon von dieser Sicht her wäre eine Verachtung oder Geringschätzung des Leibes, wie man es der katholischen Askese zu unrecht immer wieder unterstellt, widergöttlich. Nein, der Leib ist etwas Heiliges! So lehrt die Offenbarung, besonders in den Briefen des hl. Paulus. Dem Leib und seinen Gliedern ist Ehrfurcht entgegenzubringen.

Warum aber dann Askese, warum den Leib in Zucht halten, durch Verzicht, Fasten, Arbeit und Opfer? – Weil die harmonische Einheit von Leib und Seele seit der ersten Sünde der Stammeltern beständig gefährdet ist: Diese Harmonie, die wesentlich in einer Unterordnung des Leibes unter das Gut der Seele besteht, gerät durch die Begierlichkeit immer wieder in Gefahr zerstört zu werden. Nicht der Geist ist Sklave des Leibes, sondern das göttliche Ebenbild der Seele muß herrschen über die Materie des Körpers. Nur so gelangt der Leib zu seiner Bestimmung. Er muß der Seele dienen. Die Erbsünde hat in der Folge die Begierden des Leibes entfesselt, welche beständig gegen den Geist aufbegehren. Deshalb legt uns dieselbe Offenbarung, die dem Leib eine so erhabene Würde zuschreibt, auch die Zucht des Leibes auf, damit er der Seele dienstbar bleibt. Sonst würden sich beide zugrunde richten.

Werkzeug der Seele

Der Leib ist das Werkzeug der Seele, mit dem wir die Welt nach Gottes Willen gestalten sollen. Er ist für die Arbeit geschaffen, und Faulenzer können sich nicht auf Gott berufen, der dem Menschen ja sogar schon vor dem Sündenfall auftrug, den Paradiesesgarten zu bestellen; und der dem sündigen Menschen nach seiner Vertreibung aus demselben, die Arbeit sowohl zum Broterwerb, als auch als Buße aufgetragen hat. Wir sollen mit unserem Leibe wirken, Güter schaffen, anderen dienen und helfen, die Erde bebauen und auf diese Weise Gottes Ehre vermehren.

Der Leib ist auch geschaffen, um die Schönheit Gottes widerzuspiegeln. Warum soll der Leib nicht ein Abbild der Schönheit Gottes sein? Im Sport, im recht betriebenen Sport, kommt die Schönheit des Leibes zum Tragen. Es ist nichts gegen Sport einzuwenden, nur muß er in der rechten Gesinnung durchgeführt werden! Nämlich zu dem Zweck, daß durch die sportliche Leistung, die Kräfte des Leibes gesund erhalten bleiben, damit dieselben zur fortgesetzten Pflichterfüllung weiterhin zur Verfügung stehen. Sport, der auf den Erhalt der leiblichen Gesundheit nicht um ihrer selbst willen abzielt, sondern auf die Erfüllung des göttlichen Willens, ist auf diese Weise eine indirekte Verherrlichung Desjenigen, der den Leib so schön und wunderbar geschaffen und ihn dem Menschen anvertraut hat.

Der Leib ist auch das Werkzeug für die Vermehrung der Menschheit. – Eine heilige Aufgabe hat Gott dem Menschen zugedacht. Durch den Leib soll der Mensch dafür sorgen, daß die Menschheit nicht ausstirbt. Und so hat er dem Menschen die Kräfte zur Fortpflanzung eingeschaffen, ein hohes Gut, ein großer Wert, aber freilich wie alle Werte von großer Gefährdung. Je höher ein Wert ist, um so gefährdeter ist er; um so mehr muß er geschützt werden. Dazu hat Gott die Ehe zwischen Mann und Frau zu einem unauflöslichen Bund, ja, zu einem heiligen Sakrament erhoben, damit das Heiligtum der Weitergabe des Lebens geschützt sei. Wir wissen, welcher Mißbrauch gerade auf diesem Gebiete tobt, daß der Mensch seinen Leib entweiht und daß er die Heiligkeit der Ehe, in der die Leiber sich in geordneter Weise begegnen sollen, durch vor- bzw. außereheliche Unzucht schändet. „Verherrlicht Gott mit eurem Leibe“ (1. Kor. 6,20), so mahnt uns der hl. Apostel Paulus. Verherrlicht Ihn auch in eurer Geschlechtlichkeit, indem ihr diese Kräfte gemäß der göttlichen Ordnung und zu ihren heiligen Zwecken gebraucht!

Tempel des Heiligen Geistes

Ja, der Leib ist nicht nur Wohnung und Werkzeug der Seele, das gemäß dem Willen Gottes, wie er sich in den Geboten widerspiegelt, gebraucht werden soll. Der Leib nimmt an noch Größerem teil! Der Leib ist nicht nur Spiegel unserer Seele, sondern auch Wohnort Gottes, Tempel des Heiligen Geistes. So greifen die heiligen Sakramente der Kirche tatsächlich mit in das Leibesleben hinein. Ihre Zeichen: Das Wasser bei der Taufe, die Salbung bei der Firmung, bei der Letzten Ölung und bei der Priesterweihe, werden am Leib vollzogen und das Allerheiligste Sakrament hat als Zeichen die Brotsgestalt, welche im leiblichen Prozeß des Essens empfangen wird. Im Ehesakrament wird der göttliche Beistand dem Dienste des Leibes der Eltern für die Erweckung neuen Lebens gegeben. Ja, die Kirche erweist selbst noch dem entseelten Leib des Verstorbenen Ehre, weil eben dieser Leib in der Auferweckung der Toten wieder am Leben der Seele teilhaftig wird und seiner Seele in der Herrlichkeit einmal als verklärter Leib gegeben wird.

Das Vorbild Mariens

Die Aufnahme Mariens in den Himmel zeigt uns nicht nur die Würde der Seele, sondern auch die Würde des Leibes. Der Leib mit allem, was dazugehört, hat seine Würde von Gott. Gott hat den Leib geschaffen, und Er hat ihn uns geliehen, damit wir in ihm unser Heil wirken, und Er will diesen Leib verherrlichen. Diese Erkenntnis ist uns als Verheißung gegeben, aber in Maria ist diese Verheißung bereits erfüllt. Sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Mit einem verklärten Leib, denn „dieses Verwesliche muß Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche die Unsterblichkeit.“ (1. Kor. 15,53).

In Maria war der Leib wirklich eine klare, schöne Wohnung der Seele, der elfenbeinerne Turm, das vollkommene, geistliche Gefäß, das goldene Haus, die Arche des Neuen Bundes. All diese allegorischen Bilder gebraucht die Lauretanische Litanei, um die Würde, die Schönheit, ja die Vollkommenheit des Leibes der Gottesmutter irgendwie in Worte fassen zu können. In der Unbefleckt Empfangenen herrschte stets vollkommene Harmonie zwischen Leib und Seele. Sie ist das strahlende Vorbild und Urbild des Menschen, so wie ihn das Auge des Schöpfers von Ewigkeit vor Augen hatte. – Nur so konnte sie auch die würdige Gußform für den Menschensohn Jesus Christus sein. Der Leib der unbefleckt empfangenen Jungfrau war so rein, so von der Gnade Gottes durchdrungen, daß der Sohn Gottes aus der Substanz dieses makellosen Leibes in Fleisch und Blut eingekleidet und so ein wahrer Mensch werden wollte. Was Wunder, daß dieser derart privilegierte und makellose Leib beim Heimgang der Gottesmutter, über alles Geschaffene erhöht, mit in den Himmel aufgenommen wurde. Jesus Christus belohnt mit der Aufnahme Mariens in den Himmel gleichsam die Gastfreundschaft, welche sie Ihm auf Erden gewährte. Es ist so, als wollte Er sagen: „Wie du einst Mich in deinen jungfräulichen Schoße aufgenommen hast, um Mich darin zu beherbergen und Mir aus deinem makellosen Fleisch und Blut einen menschlichen Körper zu bereiten, so nehme Ich dich heute, o liebste Mutter, mit deiner unbefleckten Seele und mit eben diesem Leibe auf, in die verklärte Wohnung des Himmelreiches, welche Ich dir bereitet habe.“

Körperliche Anteilnahme am Erlösungsopfer Christi

Maria ist in die Herrlichkeit des Himmels erhoben worden nach einem schweren Leben. Sie hat zwar kein körperliches Martyrium erlitten wie andere Märtyrer, und doch sagt der hl. Bernhard von Clairvaux von ihr: „Sie ist die Königin der Märtyrer.“ – Ja, warum denn? Weil Maria den Kreuzweg ihres Sohnes begleitet hat und weil sie unter dem Kreuz ausgeharrt hat – und zwar ihr ganzes Leben lang. Sie hat ja nichts anderes getan, als einen Gekreuzigten zu gebären, großzuziehen – eben zu dieser Seiner Bestimmung als Opferlamm Gottes – und als dessen leibliche Mutter an Seiner Passion in ganz einzigartiger Weise mitzuleiden, wie es allein eine Mutter tun kann. Das hat sie zur Königin der Märtyrer gemacht.

An das Vorbild Mariens angelehnt, beschreibt der hl. Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper die Gesinnung eines Jüngers Christi, wie er selber einer ist: „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden. Und Ihm möchte ich im Tode ähnlich werden, um so zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.“ (Phil. 3,10). Das heißt, der Jünger Christi wird auch auf Erden seinen Anteil am Leiden Christi tragen müssen. Der Blick auf die Schmerzensmutter unter dem Kreuz ist der Beweis, daß dieses Leiden selbst im Leben der unbefleckten Gottesmutter nicht gefehlt hat. „Auch dein Herz wird von einem Schwert durchbohrt werden.“ (Lk. 2,35). Es wird niemandem das Leiden an seinem Leib erspart bleiben. Der Mensch muß seinen Anteil am erlösenden Leiden Christi tragen, damit er auch Anteil nehmen kann an den Früchten der Erlösung. Und das geschieht entweder freiwillig, wie der Völkerapostel sagt: „Ich züchtige meinen Leib und mache ihn dienstbar, damit ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verworfen werde“ (1. Kor. 9,27), oder aber unfreiwillig, indem Gott schmerzhafte Widrigkeiten über unseren Leib kommen läßt wie schwere Krankheiten, Unfälle, Siechtum und Schmerzen. Wir müssen in unserem Leibe Anteil gewinnen an der Passion Christi.

Ein reines Leben

Die Schönheit der Gottesmutter soll in uns, ihren treuen Kindern, widerstrahlen. – Doch ist dem so? Wie sehr offenbart unser Leib und sein Äußeres – wie etwa sein Benehmen, seine Kleidung und sein Schmuck – inwieweit die Ordnung des Dienstes, der Ehrfurcht und seine Bestimmung zur Mitverherrlichung mit der Seele erreicht ist? – Alle Schönheitspflege und alle Raffinessen der Kosmetik können niemals jene widerstrahlende Schönheit ersetzen, welche von einem durchgeistigten, lauteren Leben im Stande der heiligmachenden Gnade ausgeht!

Als vor etlichen Jahren eine weitverbreitete deutsche Illustrierte ihre Leserschaft befragte: „Wie bleibe ich am längsten jung und schön?“, da kam unter Tausenden von Wortmeldungen, welche die Anwendung von Kosmetikartikeln, von Übungen zur Leibesertüchtigung und von Diäten empfahlen, eine schlichte Antwort, ausgerechnet von einer Schauspielerin: „Durch ein reines Leben.“

Das ist eine Weisheit, die auch schon dem großen Michelangelo bekannt war. Denn einige der damaligen Zeitgenossen des großen Renaissance-Meisters meinten ihn für seine Darstellung der Schmerzensmutter, der weltberühmten Pieta, wie sie bis heute im Petersdom hochverehrt wird, kritisieren zu müssen. Die Kritik lautete: Das Antlitz der Gottesmutter sei unrealistisch, weil viel zu jung. Maria müsse am Karfreitag etwa um die fünfzig Jahre alt gewesen sein. Michelangelo aber habe Maria als junge, zwanzigjährige Mutter dargestellt. Hierauf meinte der begnadete Künstler: Seiner Erfahrung nach erhielte jungfräuliche Keuschheit die Schönheit der Jugend, weshalb die Jungfrau der Jungfrauen gewiß auch in vorgerücktem Alter, fortwährend den Glanz jugendlicher Schönheit an sich trug. Darum ist die allerseligste Jungfrau Maria auch leiblich ganz schön und kein Makel ist an ihr. So seine Rechtfertigung.

Der Leib kann Gefängnis werden

Wie Wohnungen der Menschen zu Gefängnissen gebaut werden können, so kann auch der Mensch so weit kommen, daß der Leib für seine Seele zum Gefängnis wird. Drei Wege führen dazu, vor denen wir uns hüten müssen: Der erste ist die materialistische Weltanschauung. Für Materialisten ist der Geist nur verfeinerte Materie. Das Leben nach dieser Auffassung macht dem Menschen alles Geistige verächtlich; läßt alles Immaterielle und Übernatürliche als unnütz und als Zeitverschwendung erscheinen. Der Materialist wird mehr und mehr zum Sklaven des Leibes. Wo diese Haltung herrscht – und wir haben in der Gegenwart Anschauung genug – zeigt sich bald die furchtbare Gefangenschaft der Seele in Depressionen und vielen psychischen Erkrankungen.

Der zweite ist der Verlust der Ehrfurcht, vor allem der Ehrfurcht vor dem Leib. Unmerklich, aber stetig, verliert das Verhältnis zum Leib so die wahre Ordnung. Der eigene Leib aber – auch der Leib des anderen – wird nur noch als Lustobjekt betrachtet, als Gegenstand zur Ergötzung. Der Gedanke, daß das Gegenüber, der Mitmensch, ein Heiligtum Gottes ist, welches nicht geschändet werden darf – weder in Gedanken, noch mit den Augen oder in der Tat – wird vergessen.

Der dritte ist die Vernachlässigung der Zucht. Es lauern im Verhältnis zwischen Seele und Leib Trieb und Begierden. Wohltätig können sie wirken, werden sie beherrscht, bezähmt und bewacht. Aber wehe, wenn sie entfesselt werden! Dann wachsen sie zu Tyrannen, die alles Geistige durchkreuzen und stören, ja schließlich zerstören. Wie viele Sklaven, wie viele Abhängige und Süchtige hat die moderne Zügellosigkeit geschaffen: Alkohol, Drogen, Sex, Eßsucht, Spielsucht, Internetsucht! Menschen, die einer Sucht verfallen sind, sind ärmer dran als die Sklaven der einstigen Kolonialvölker und des „Islamischen Staates“ heute. Sie sind Sklaven im eigenen Hause, im Gefängnis ihrer Seele, in ihrem eigenen Leibe.

Dies gilt es zu verhindern. Und dazu ist uns das heutige Fest gegeben. Die Himmelfahrt Mariens läßt uns den Blick zu unserem Bestimmungsort erheben; zum übernatürlichen Bestimmungsort unserer Seele und unseres Leibes. Denn der Leib soll einst am ewigen Los der Seele teilnehmen, weil er ein Abglanz des Ebenbildes Gottes ist, ein kunstvolles Werkzeug der Seele und ein Heiligtum, in dem der dreifaltige Gott Seine gnadenhafte Wohnung aufgeschlagen hat. So wollen wir dem Vorbild Mariens nacheifern und auch das Heiligtum unseres Leibes rein und ehrfürchtig erhalten, bis der Allmächtige einst zu uns sprechen wird: „Du guter und getreuer Knecht, weil du über weniges getreu gewesen bist, will ich dich über vieles setzen. Tritt ein in die Herrlichkeit deines Herrn.“ (Mt. 25, 23). Amen.

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