Maria, Patronin der christlichen Erziehung

Geliebte Gottes!

Am vergangenen Sonntag haben wir einen Blick auf die Mutterschaft Mariens geworfen. Sie ist die Muttergottes, die „Mutter der Gnade“, die „Mutter der Schönen Liebe“, die „Mutter der Barmherzigkeit“. Und wir haben von dem Ideal Mariens jene Tugenden abgeleitet, die eine Mutter charakterisieren, die eine Mutter erlangen muß. Dabei haben wir jedoch eines ausgelassen. Und dem wollen wir uns heute zuwenden: Dem Thema der religiösen Erziehung.

Die heilige Schrift breitet ja über den Großteil der Kindheit unseres Herrn Jesus Christus den Mantel des Schweigens. Nichtsdestotrotz können wir aus dem Wenigen, was uns davon geoffenbart wurde sagen, daß Gott wollte, daß Sein ewiger Sohn, Seiner menschlichen Natur nach erzogen werden sollte. Im Evangelium lesen wir: „Jesus aber nahm zu an Weisheit und Alter und Wohlgefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk. 2, 52). Seiner Gottheit gemäß konnte Jesus freilich nicht wachsen und lernen. Aber Sein menschlicher Leib ist gewachsen. Weil Joseph ihn ernährt und Maria ihn fürsorglich umhegt und gepflegt hat. Die menschliche Seele Christi hat nach und nach ihre Fähigkeiten entfaltet. Ihr menschlicher Verstand und ihr menschlicher Wille ist gereift. Jesus wollte von Maria sprechen lernen. Er wollte auf dem Schoß seiner Mutter die Psalmen beten lernen. So nahm Er als Mensch zu an Weisheit und Alter und Schönheit. Maria und Joseph führten Ihn in die religiöse Praxis ein – in die Pflichten des jüdischen Gesetzes – und bereiteten Ihn auf die Teilnahme am jüdischen Opferkult im Tempel von Jerusalem vor, an dem Er als Zwölfjähriger erstmals teilnahm. Welch große und edle Aufgabe war es für das heilige Paar den Heiland der Welt als Mensch auf Seine Sendung vorzubereiten. – Allein daran ist schon zu erahnen, welch große Aufgabe es ist, die Kinder zu einem christlichen Leben zu erziehen.

Obwohl die Mütter den größeren Einfluß auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder haben, müssen sich auch die Väter zu dieser hohen Aufgabe berufen wissen. Denn zweifelsohne sind es beide Elternteile, welche bei der religiösen Erziehung eines Kindes zusammenwirken, im Guten wie im Schlechten.

Denn jedes Kind ist zunächst wie ein leeres Tonband. Alles was um es herum geschieht nimmt es auf, und gibt es in ähnlicher Situation wieder. Alles Gute, was die Eltern über längere Zeit auf das Kind einwirken lassen, wird einen bleibenden Eindruck bei dem Kind hinterlassen. Ebenso wie ein mehrmonatiger Fehler negative Spuren zurückläßt. Es ist zwar in die Freiheit der Eltern gelegt, welche Spuren sie in der Seele ihres Kindes hinterlassen; nicht aber daß sie bleibende Prägungen verursachen. Noch einmal, es ist wie bei einer Audio- oder Video-Aufnahme: Die Aufnahme läuft, das ist nicht zu ändern; die Frage ist nur, welche Töne und Bilder einfließen.

Ziel der religiösen Erziehung:

Die Familie wurde von Gott als ein geeigneter Ort geschaffen, um darin Kinder großzuziehen. Wenn einem Ehepaar ein Kind geschenkt wird muß es sich folgende Grundsätze klar machen:

  1. Das Kind gehört Gott und nicht ihnen. Es ist geschaffen, um die Ehre Gottes zu vermehren.
  2. Sie sind Stellvertreter Gottes und sollen den unsichtbaren Gott für das Kind sichtbar machen – Seine Liebe, Seine Fürsorge, Seinen Schutz. Folglich müssen sie sich darum bemühen, das Kind auch nach dem Willen Gottes zu erziehen.
  3. Gott liebt das Kind weit mehr, als die Eltern es tun. Er wünscht und tut dem Kind mehr Gutes, als sie es können.
  4. Der Teufel haßt das Kind. Er führt gegen das Kind einen Stellvertreterkrieg, bei dem er an Gott Rache zu nehmen sucht. Der primäre Haß des Teufels richtet sich auf Gott. Weil er Gott aber nicht erreichen kann, deshalb versucht er die Ehre Gottes zu zerstören, indem er die Seelen, die zur Ehre Gottes geschaffen sind, verdirbt. Gott zieht das Kind zum Himmel empor, der Teufel versucht es in die Hölle hinabzureißen. Es wirken also schon zwei gewaltige Kräfte auf das friedlich schlummernde Baby ein.
  5. Welches ewige Schicksal dem Kind eines Tages zuteil wird – Himmel oder Hölle – das hängt zu einem guten Teil davon ab, welches religiöse Rüstzeug die Eltern dem Kinde ins Leben mitgeben. Zu einem guten Teil!
  6. Die Eltern sind für ihre Erziehung vor Gott verantwortlich.
  7. Das Elternhaus wird mit Abstand der wichtigste Ort sein, wo das Kind den Glauben kennen- und die Tugenden erlernen wird. Jeder andere spätere Einfluß: jede Predigt oder Katechese, der Besuch der Sonntagsmesse, der Einfluß des Priesters usw. ist nur eine Unterstützung, eine Vervollkommnung, eine Vollendung dessen, was innerhalb des Familienkreises von den Eltern grundgelegt wurde.

Das sind wichtige Grundsätze, welche uns sofort die große Verantwortung der Elternschaft vor Augen rufen; denn den Eltern ist ein „Kind Gottes“ anvertraut. Das Kind gehört Gott und ist von Ihm für den Himmel geschaffen. Das Ziel für das Kind ist der Himmel. Dorthin muß es von den Eltern geführt werden.

Gott kennen, Gott lieben, Gott dienen lernen

Auf welchen Wegen wir den Himmel erreichen, das lehrt uns der Katechismus in seiner allerersten Frage. Um in den Himmel zu gelangen ist es notwendig: Gott zu erkennen, Gott zu lieben und ihm zu dienen. Dazu muß die religiöse Erziehung dem Kind verhelfen: daß es Gott kennenlernt, daß es Gott von Herzen liebt und diese Liebe beweist indem es Gott dient, d.h. indem es die Gebote Gottes gehorsam befolgt. Diese drei Dinge muß die „christliche Erziehung“ leisten, damit sie diesen Namen verdient. Sie muß dem Kind die Kenntnis Gottes vermitteln, die Liebe zu Gott im Kinde wecken und den Gehorsam gegen Gottes Willen einprägen.

Das Kind durchläuft in seiner Entwicklung verschiedene Phasen. Der erste Zeitabschnitt – die frühe Kindheit – ist dadurch gekennzeichnet, daß der Säugling, das Kleinkind, das Vorschulkind noch nicht über den Vernunftgebrauch verfügt. Mit dem Erwachen des Vernunftgebrauches beginnt die zweite Phase der Kindheit. Diese beiden Abschnitte sind wichtig auseinander zu halten, weil die religiöse Erziehung in beiden Phasen jeweils anders agieren muß, um ihr Ziel zu erreichen.

Weil der Verstand des Kleinkindes noch unterentwickelt ist, so ist der Glaube für das Kind zunächst natürlich keine intellektuelle Angelegenheit. Eine Lehrunterweisung, die den Verstand des Kleinkindes ansprechen wollte, also ein Unterricht, wäre verfrüht und liefe ins Leere. Das bedeutet jedoch nicht, daß das Kleinkind gänzlich unempfänglich für den Glauben ist. Das Kind kann zwar in diesem Alter noch keine Ideen aufnehmen, sehr wohl aber die Atmosphäre um es herum. Deshalb ist es schon in der ersten Phase der Kindheit – von der Wiege bis zum erwachen der Vernunft – wichtig, daß in der Familie eine religiöse Atmosphäre herrscht.

a) Die religiöse Familien-Atmosphäre

Die Rolle der Mutter läßt sich in diesem Stadium nicht ersetzen. Wenn man will, daß der Glaube, die Gottesliebe und der Gehorsam in einem Kind Wurzeln faßt und zum Lebensinhalt wird, muß man um das Kind eine religiöse Atmosphäre schaffen, die all diese Dinge begünstigt. Worauf ist zu achten?

Da ist zuallererst die Ordnung des Gebetslebens der Familie zu nennen. Es soll gemeinsam gebetet werden, so daß schon das kleine Kind, auch wenn es noch gar nicht daran teilnehmen kann, das Gebet als eine Selbstverständlichkeit im Alltag erlebt. Dabei soll es möglichst feste Gebetszeiten geben; das Morgengebet, das Segensgebet vor, und das Dankgebet nach dem Essen; das Abendgebet, am besten mit dem vorausgehenden gemeinsamen Rosenkranz. Nach und nach wird man das Kind seinem Alter gemäß das Kreuzzeichen lehren, man läßt es das Kreuz, die Statue der Gottesmutter küssen, oder hilft ihm, die Namen Jesus und Maria auszusprechen. Man lehrt es die ersten Gebete und wird es zunehmend ins Familiengebet mit einbeziehen. Wenn die Eltern andächtig das Tischgebet verrichten, dann läßt die weihevolle Atmosphäre selbst das kleine Kind schon etwas von der übernatürlichen Wirklichkeit des Glaubens erahnen. – Wenn das Kind hingegen seine Eltern nie auf den Knien beten gesehen hat und wenn diese ihren Glauben nicht vor den Augen des Kindes praktizieren und vorleben, dann kann man sich eigentlich gar nicht darüber verwundern, wenn das Kind so heranwächst, als ob Gott für es gar nicht existierte.

Eine wichtige Hilfe für die Pflege einer religiösen Atmosphäre im Familienleben ist natürlich der lebendige Mitvollzug der verschiedenen Zeiten des Kirchenjahres. Das Anzünden des Adventskranzes, das Gebet vor der Krippe, die Häusersegnung an Dreikönig, der Familienkreuzweg in der Fastenzeit, das Schmücken des Marienbildes oder das Errichten eines kleinen Mai-Altärchens im Marienmonat, das Vorlesen aus der Kinderbibel oder aus dem Leben der Heiligen, das Halten von Hausandachten und das Singen von frommen Liedern, passend zur jeweiligen Zeit des Jahres, usw.; all das sind Mittel, aus denen die Eltern auswählen können und sollen, um eine religiöse Atmosphäre in der Familie zu erzeugen.

Zweitens ist darauf zu achten, daß sich die Glaubenspraxis des Kindes nicht in dem Aufsagen der Gebetsformeln oder in äußeren Betätigungen erschöpft. Das Kind soll lernen Gott zu lieben. Das religiöse Leben verhält sich wie Leib und Seele. Die äußeren religiösen Übungen bilden gleichsam den Körper der Religion, doch es braucht auch eine Seele, ein Innenleben, welches das äußere Tun belebt. Das äußere Tun muß vom Kind innerlich mehr und mehr auch mitvollzogen werden. Sonst wäre es reine Funktionalität, nur eine fromme Dressur. – Ein Kind kann dem Heiland wohl Küsse senden, ohne Ihn wirklich zu lieben, ohne darauf bedacht zu sein, Ihm Freude zu bereiten, indem es seine kleinen Launen bekämpft. Das Kind kann seine Gebetlein herunterrattern, ohne sein Herz hineinzulegen, als ob es bloß etwas auswendig Gelerntes aufsagen wollte. Die lebendige Religion spielt sich im Innern ab. Das darf nicht übersehen werden. Sie erfordert den altersgemäßen Kampf gegen alles, was Gott mißfällt, sowie das geduldige Ertragen der kleinen Widerwärtigkeiten des täglichen Lebens. In dem Maß, wie die Eltern ihren Glauben als einen „innerlich lebendigen Glauben“ selber vorzuleben imstande sind, in dem Maße färbt er auch meist auf ihre Kinder ab. Ihr lebendiges Beispiel wird mehr bewirken, als noch so viele Erklärungen.

Drittens ist bereits von Kindesbeinen darauf zu achten, das Kind für den Gehorsam empfänglich zu machen. Nur wenn das Kind den Eltern gehorcht, wird es auch Gott gehorchen. Gehorsam ist die Unterordnung, besser eigentlich, die Angleichung des eigenen Willens an den Willen des Befehlenden. Empfänglich für die gehorsame Unterordnung wird das Kind, wenn man ihm beibringt, daß es folgen muß; daß es nicht immer im Mittelpunkt stehen kann; daß es nicht immer die Aufmerksamkeit der Erwachsenen für sich in Anspruch nehmen darf. – Freilich ist es sinnlos dem Kleinkind mit Argumenten klar zu machen, warum es jetzt leise sein soll. Mit Worten und Argumenten, die es noch nicht versteht, kann man das Kleinkind noch nicht erreichen. Aber man kann es ihm auf sinnfällige Weise begreiflich machen, etwa indem man ihm sanft den Finger oder die Hand auf den Mund legt. – Es ist wichtig das Kind zu lehren, daß es geliebt wird, daß es umsorgt ist, aber auch, daß es nicht der alleinige Mittelpunkt der Familie sein kann, sondern sich den Eltern und Erwachsenen unterordnen, sich ins Ganze der Familie einordnen und deshalb zurückhaltend und bescheiden sein muß, insbesondere wenn Ruhe und Stille von ihm gefordert sind.

Die religiöse Atmosphäre in der Familie ist der erste Religionsunterricht für das Kind. Sie vermittelt ihm eine Ahnung von Gott, der verehrt und geliebt werden will. Sie erleichtert es dem Kind sich unterzuordnen und zu folgen. Bei alledem ist unbedingt darauf zu achten, das Kind altersgemäß und seiner Fassungskraft entsprechend, an die Kenntnis und Liebe Gottes, an die religiöse Praxis und an den Gehorsam heranzuführen. Unbedingt muß es vermieden werden etwas zu verlangen, was das Kind noch nicht leisten kann. Die Eltern, die ihr Kind auf religiösem Gebiet überfordern, die zu schnell, zu viel wollen, reißen das, was sie mühsam mit der einen Hand aufbauen, mit der anderen wieder nieder, weil die Überforderung immer eine Abwehrreaktion hervorruft.

Nicht minder gefährlich ist es freilich, die religiöse Erziehung des Kindes zu vernachlässigen. Der Glaubensverlust bei Jugendlichen kommt nicht selten daher, daß sie zu Hause nicht in einer religiösen Atmosphäre aufgewachsen sind, und vielleicht erst mit dem Schulalter in ein Glaubensleben eingeführt wurden. Ihr Glaube ist deshalb nicht im Alltag verwurzelt. Die Religion spielt sich außerhalb des täglichen Lebens ab, ist vielleicht nur auf den „lästigen Meßbesuch“ am Sonntag beschränkt – wir werden noch darauf kommen. Und so wird der Tag nicht mehr fern sein, an dem eine Versuchung oder eine schlechte Freundschaft die ganze aufgesetzte religiöse Fassade zum Einsturz bringt.

b) Die religiöse Unterweisung

Mit dem Erwachen der Vernunft wird sich die religiöse Erziehung immer mehr darauf konzentrieren, den Glauben des Kindes gezielt zu entfalten. Zur gezielten Entfaltung des Glaubens gehören mehrere Elemente: die Unterweisung, die Frömmigkeit, die Werke.

Die systematische „Unterweisung“ sollte ab dem Schulalter ein bis zweimal in der Woche in Form einer Katechismus-Lektion erfolgen. Altersgemäßes Unterrichtsmaterial für den Hausunterricht ist erhältlich. Unterstützend empfiehlt es sich, auch außerhalb der Unterweisung über den Glauben zu sprechen; etwa indem man das sonntägliche Tischgespräch auf religiöse Themen lenkt; oder indem man sich der verschiedenen alltäglichen Ereignisse, die das Kind erlebt hat, bedient, um daran anzuknüpfen. Bei einer Taufe kann man etwa von der Erbsünde und von der Gnade erzählen. Bei einer Beerdigung oder beim Besuch auf dem Friedhof über Gericht, Himmel, Hölle und Fegfeuer; bei einer Anstrengung, über den Opfergeist und das Vorbild des kreuztragenden Heilandes; anläßlich eines Erfolges oder eines freudigen Ereignisses über die Liebe Gottes und Seine Vorsehung, die alles zum Guten lenkt und dem wir deshalb auch unseren Dank schulden.

Die „Frömmigkeit“ nährt sich vor allem vom Gebet, vom gemeinsamen Gebet; aber auch vom ständigen Wandel in der Gegenwart Gottes; d.h. von dem beständigen Bewußtsein, daß Gott auf mich schaut. Dieser Gedanke soll auch schon im Kinde immer wieder erweckt werden. Das Kind soll lernen, seinen täglichen Gebeten die Treue zu halten, und so Lustlosigkeit und Launenhaftigkeit überwinden.

Die „Werke“ des Kindes sollten täglich durch eine gemeinsame kurze Gewissenserforschung beim Abendgebet geprüft werden. Sie ist ein gutes Mittel, um das Gewissen des Kindes zu bilden. Auch wird dadurch der Gedanke an die Verantwortung für unser Denken und Reden, für unser Tun und Lassen eingeprägt und wach gehalten. Jedoch ist unbedingt darauf zu achten, nicht zum Moralisten zu werden. Das Kind soll zur liebenden Furcht Gottes erzogen werden, nicht zu einer skrupulösen Ängstlichkeit, die in jeder Unvollkommenheit schon eine schwere Sünde begangen zu haben glaubt und in Panik vor der Hölle lebt!

Die Hinführung zur Heiligen Messe

Schließlich wollen wir noch gesondert auf eine Frage eingehen, deren Handhabung sich oftmals, aufgrund von Mißverständnissen, schädlich auf die religiöse Entwicklung des Kindes auswirken kann. Es handelt sich um die Frage, wie das Kind am besten an den Meßbesuch heranzuführen und zu gewöhnen ist.

Wir wissen, daß das Opfer der hl. Messe die vorzüglichste Ausübung der Gottesverehrung ist. Das hl. Meßopfer ist das Herz der katholischen Religion. Außerdem wissen wir, daß man als Katholik die Sonntagspflicht zu erfüllen hat – es sei denn es lägen Entschuldigungsgründe vor. Die Folgerung läge nun nahe, daß das Kind scheinbar „von der Wiege auf“, an die Erfüllung dieser Pflicht gewöhnt werden muß, gemäß der Heilandsworte: „Laßt die Kleinen zu mir kommen und wehret es ihnen nicht.“

Versuchen wir die Frage so objektiv wie möglich zu klären. – Die Kirche verpflichtet die Kinder aus einem guten Grund erst zum Besuch der Sonntagsmesse, wenn sie den Vernunftgebrauch erlangt haben. Wann ein Kind zum Vernunftgebrauch gelangt, kann sehr verschieden sein. Beim einen früher, beim anderen später. Daher setzt das Kirchenrecht fest, daß die Kirchengebote überhaupt erst ab Vollendung des siebten Lebensjahres verpflichtend sind (vgl. CIC can. 12). – Warum erst so spät? Weil ein Gebot nur mit Verstand und freiem Willen erfüllt werden kann. Und namentlich der Besuch der hl. Messe verlangt nicht nur die körperliche Anwesenheit, sondern insbesondere eine geistige Teilnahme. Vergessen wir das nicht! Am Opfer der hl. Messe nimmt nur teil, wer sich auch geistig mit Christus verbindet und sich „durch Ihn und mit Ihm und in Ihm“ dem himmlischen Vater schenkt. Ab Vollendung des 7. Lebensjahres sollte das jedem möglich sein, wenn er nicht durch Krankheit oder sonstige Störungen am Vernunftgebrauch überhaupt gehindert ist.

Es besteht also keine Pflicht, Kinder unter sieben Jahren mit in die hl. Messe zu nehmen. Man kann es natürlich tun und soll es auch tun; denn die Kinder sollen ja an den Meßbesuch gewöhnt und eingeführt werden, damit sie die Verpflichtung dann auch gut erfüllen können, wenn es so weit ist.

Eben weil es sich aber ab dem 7. Geburtstag auch um eine schwere Pflicht für das Kind handelt, ist besondere Klugheit zu gebrauchen, um in dem Kinderherzen tatsächlich eine Liebe zur hl. Messe zu wecken und nicht etwa Abneigung. Es ist also mit Klugheit vorzugehen, und zwar unter Berücksichtigung aller zu beachtenden Umstände und Gegebenheiten, die wir hier noch kurz versuchen wollen zu umreißen:

a) Ehrfurcht vor dem hl. Ort und vor dem hl. Geschehen

An erster Stelle muß die Heiligkeit des Kirchenraumes und der hl. Opferhandlung genannt und festgehalten werden. „Wie furchtbar ist dieser Ort!“, rief einst in Ergriffenheit der Patriarch Jakob aus, „Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und die Pforte des Himmels“ (Gen. 28, 17). Ja, wie furchtbar ist dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und die Pforte des Himmels!

Die erhabene Heiligkeit der Kapelle ist objektiv zu respektieren und muß auch subjektiv dem Kind vermittelt werden. D.h. das Kind muß von Anfang an lernen, daß man sich in der Kirche und in der hl. Messe ruhig und ehrfürchtig verhält; daß man nicht herumläuft, herumtrampelt oder herumturnt; daß man nicht laut redet oder gar schreit; nicht spielt, ißt oder trinkt. Dem Kind diese Ehrfurcht vor dem heiligen Ort beizubringen, ohne ihm dabei den Meßbesuch zur lästigen Übung werden zu lassen, ist die wahre pädagogische Kunst, zu der vor allem eines die Grundvoraussetzung ist: nämlich Geduld. Man muß Geduld haben mit dem Kind, es nicht überfordern, sondern sich gegebenenfalls eingestehen, daß das Kind einfach noch nicht für den Meßbesuch reif ist.

Woran erkennt man aber, daß das Kind in seiner Entwicklung dafür weit genug fortgeschritten ist? Beim Familiengebet zu Hause! Wenn das Kind gewohnt ist, zu gehorchen, sich respektvoll benimmt und die Ruhe beim gemeinsamen Familiengebet achtet, auch wenn es selber nicht die ganze Zeit daran teilnehmen kann, dann wird es auch bei der hl. Messe brav sein. Wenn das Kind dabei hingegen lärmt oder dauernd zurechtgewiesen werden muß, soll man es lieber noch zu Hause lassen, damit die Messe ihm nicht wie ein notwendiges Übel erscheint. Stattdessen könnte man werktags, in einer nahegelegenen Kirche oder Waldkapelle, das Verhalten im Gotteshaus wiederholt einüben. – Das Kind muß also zuallererst allmählich und seiner Auffassungsgabe entsprechen zu dem Verständnis herangeführt werden, daß die Kapelle kein Ort wie jeder andere ist, sondern ein Ort des Schweigens und der Anbetung. Das gelingt aber nur, wie die Erfahrung zeigt, wenn man das Kind nicht überfordert und es nicht zu früh zur hl. Messe bringt.

Ein Familienvater, der mit dieser Methode gute Erfahrungen gesammelt hat, schrieb schon vor einigen Jahren folgendes: Meine Frau und ich sind uns „einig, daß man von Kleinkindern (unter 3 Jahren) nicht erwarten kann, daß diese längere Zeit stillhalten und sich auf eine Sache konzentrieren, die über weite Strecken aus Sicht des Kindes nichts Interessantes bietet. […] Erst wenn unsere Kinder einige Gesätzchen vom Rosenkranz in angemessener Weise beten können und wenn sie wenigstens verstanden haben, daß es in der hl. Messe um etwas Großes und Heiliges geht (ich schätze, daß das im Alter von 4-5 Jahren sein wird), erst dann wollen wir sie mit in die hl. Messe nehmen. Dann aber sollen sie sich von Anfang an so in der hl. Messe verhalten, wie man das im Grunde auch von Erwachsenen erwartet. Das heißt insbesondere, daß sie während der hl. Messe nicht mehrfach die Kirche verlassen dürfen, daß sie keine andere als zur Sache gehörige Lektüre bekommen, daß sie knien, stehen und sitzen müssen, wie es die Situation erfordert, und daß sie nicht nach hinten schauen dürfen. […] Meiner Überzeugung nach müssen die Kinder vom ersten Betreten einer Kirche an immer zu diesem Verhalten angehalten werden, um von Anfang an in den Herzen der Kinder das Bewußtsein für die Heiligkeit des Ortes heranzubilden.“

Wir alle kennen das Sprichwort: „Was nichts kostet, das ist nichts wert.“ Was man zum Nulltarif aufgezwungen bekommt, das wird lästig; das achtet man gering. So verhält es sich auch mit dem Meßbesuch bei Kindern. Was man muß, das macht man nicht gern. – Wenn sich hingegen die Eltern eines pädagogischen Kunstgriffes bedienen und zu ihrem kleinen Kind sagen: „Dafür bist du noch zu klein, wenn du einmal groß bist, darfst du mitkommen“, dann wird dem Kind damit vermittelt, daß die hl. Messe etwas großes und heiliges ist; daß es kein in die Sonntagsmesse „Müssen“, sondern ein „Dürfen“ ist; und daß man dann schon zu „den Großen“ gehört, wenn man mitgenommen wird. Und welches Kind will nicht zu „den Großen“ gehören? – Diese Herangehensweise vermag die Neugier und ein gewisses Verlangen im Kind wachzurufen. Es wird dazu angespornt werden, sich der Heiligkeit des Raumes und der hl. Handlung entsprechend zu benehmen. Wann das Ziel dann tatsächlich erreicht ist, kann selbstverständlich von Kind zu Kind verschieden sein. Aber bis zum 7. Geburtstag ist ja auch hinreichend Zeit. Also Geduld.

Umgekehrt ist die Praxis, die Kinder „von der Wiege auf“ mit zur hl. Messe zu bringen erfahrungsgemäß meist nicht von langfristigem Erfolg gekrönt. Auch wir können aus eigener Erfahrung die Wahrnehmung des erwähnten Familienvaters bestätigen, „daß bei vielen Kindern über 6 Jahren das Bewußtsein für die Heiligkeit des Kirchenraumes fast völlig fehlt“, und daß Kinder selbst nach der Erstkommunion „immer wieder völlig uninteressiert an der hl. Messe und am Gebet im allgemeinen“ sind, mit derselben „Andacht“ die hl. Kommunion empfangen, als nähmen sie das Weihwasser. Auch sind uns nicht wenige Fälle von Kindern bekannt, die „sich im Alter von 14 Jahren oder danach, von den Sakramenten gänzlich abgewendet haben“. Unwillkürlich drängen sich da Fragen auf, wie diese: „Kann es sein, daß man diesen Kindern vielleicht von klein auf das Gebet und die hl. Messe verleidet hat? Haben diese Kinder vielleicht von klein auf eine Abneigung gegen all das bekommen, weil sie immer wieder zu früh gezwungen wurden, stillzuhalten und auszuhalten, was für ihr damaliges Alter unkindgemäß war? Haben diese Kinder vielleicht das in frühen Jahren notgedrungene ‚Über-sich-ergehen-lassen‘ der hl. Messe später nie mehr ablegen können?“

Es bedarf also eines an Weisheit grenzenden klugen und geduldigen Vorgehens bei der Heranführung an den Meßbesuch, um nicht die Liebe zur hl. Messe auszulöschen, wo wir sie doch entfachen wollen.

b) Rücksichtnahme auf die Pflichten anderer

Sodann müssen die Eltern auch folgendes bedenken: Das Kirchengebot verpflichtet zwar nicht die Kinder unter sieben Jahren, sehr wohl aber alle anderen Gläubigen – einschließlich der Eltern. – Wozu genau verpflichtet das Kirchengebot? Es verlangt sonn- und feiertags „eine hl. Messe mit Andacht zu hören“. Mit Andacht! Wie aber soll man die hl. Messe „mit Andacht hören“, wenn Ruhe und Sammlung gestört werden?

Ja, wäre es nicht eigentlich auch wünschenswert für die Eltern, wenn, solange die Kinder noch klein sind, im wöchentlichen Wechsel, der eine Elternteil zur Beaufsichtigung der Kleinen zu Hause bliebe, während der andere Teil zur hl. Messe gehen und dort ungestört und andächtig seinen religiösen Pflichten nachkommen könnte? Jenem hl. Opfer, welches das Herz unserer Religion ist und zu dessen fruchtbarer Teilnahme eben gerade diese Andacht erfordert ist?

Wenn jemand in ein Philharmoniekonzert kleine Kinder mitnehmen würde, die immer wieder schreien oder anders stören würden, dann würden die Leute sich beschweren und sagen, daß Kinder dort nichts verloren haben, und jeder würde diesen Leuten Recht geben. In der hl. Messe aber, die an Erhabenheit und Heiligkeit weit über dem Philharmoniekonzert steht, sollen unnötige Störungen legitim sein?

Da mag sich der bereits erwähnte Einwand erheben, daß doch der Heiland gesagt hat: „Laßt die Kleinen zu Mir kommen und wehret es ihnen nicht.“ Das sei unbestritten. Genauso hat es der Heiland gesagt. Aber wann und wo hat Er es gesagt? Bei welcher Gelegenheit? An welchem Ort? Etwa im Tempel? Im Augenblick des Opfers? Nein, es war außerhalb des Gottesdienstes. Nicht am Heiligen Ort, den der Herr im Übrigen der Sitte der Juden gemäß Selber erst im Alter von zwölf Jahren erstmals betreten hat. Die Kirchenväter stimmen darin überein, daß es für den zwölfjährigen Jesusknaben der erste Tempelbesuch war, wo Ihn angesichts der geopferten Osterlämmer die Liebe zu Seinem himmlischen Vater dermaßen ergriffen hat, daß Er dort drei Tage und drei Nächte ausharrte, ehe Er sich von Maria und Joseph wiederfinden ließ. Als Zwölfjähriger!

Ja, die Eltern sollen die Kinder zum Heiland bringen, und es ihnen nicht verwehren! Dazu aber ist es notwendig, die Kinder zu Hause langsam an das Verständnis für die hl. Messe heranzuführen. Wer sie zu früh damit überfordert, der erreicht genau das Gegenteil, der „verwehrt“ den Kindern den wahren, geistigen Zugang zum eucharistischen Heiland.

Alles in allem steht natürlich fest, daß Kinder keine Roboter sind, und daß es auch die Aufgabe der Erwachsenen ist, die Schwäche der Kleinen mitzutragen. Die Eltern sollten sich aber auch Rechenschaft geben, ob sie dem kleinen Kinde, ihrer eigenen Seele und den Seelen der anderen Gläubigen wirklich einen Gefallen tun? Ob auf diese Weise Gott wirklich die größere Ehre erwiesen wird? Ob sie damit ihr Kind auf seinem Weg – Gott kennen, lieben und Ihm dienen zu lernen – tatsächlich fördern? Ob der eine Elternteil, der alleine zur Sonntagsmesse geht, nicht mehr Segen nach Hause brächte, wenn er dort, seiner Pflicht entsprechend, andächtig dem hl. Opfer beiwohnen könnte; als wenn zwar die ganze Familie gemeinsam bei der hl. Messe anwesend ist, dabei aber die Eltern beständig vom Geschehen auf dem Altar abgelenkt sind, weil sie wenigstens mit einem Auge auf die Kinder schauen und auf ihre Bedürfnisse reagieren müssen?

„Hosanna dem Sohne Davids!“

Papst Pius XII. sagte in einer Ansprache: „Inhalt und Ziel der Erziehung in der natürlichen Ordnung ist die Entwicklung des Kindes zum vollendeten Menschen; Inhalt und Ziel der christlichen Erziehung ist die Formung des neuen Menschen, der in der Taufe zum Christen wiedergeboren ist. Denkt daran, daß diese kleinen Kinder, die durch die Taufe Kinder Gottes geworden sind, zu den Lieblingen Christi gehören; ihre Engel schauen immerwährend das Antlitz des himmlischen Vaters. Wenn ihr sie erzieht, so sollt auch ihr zu Engeln werden, die sie umsorgen und über sie wachen, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden. Von der Wiege an kümmert ihr euch um ihre körperliche und geistige Erziehung.“

Nehmen wir deshalb unsere Zuflucht zur Muttergottes und bitten wir für die Eltern um die Gabe der Weisheit, um die Tugenden der Klugheit und der Geduld, damit sie ihre hohe Aufgabe mit Hilfe der ihnen aus dem Ehesakrament zufließenden Gnaden, zum Lobe Gottes vollbringen können. Empfehlen wir auch unsere Kinder dem Patronat der Gottesmutter, damit alle von ihnen in einer religiösen Atmosphäre aufwachsen dürfen; zu einer immer vollkommeneren Kenntnis unseres Glaubens gelangen, zu einer wahren innerlichen Frömmigkeit, zu einem aus Liebe ergebenen Gehorsam und zu einer großen Ehrfurcht vor dem hl. Ort und dem hl. Geschehen, das sich unter den Händen des Priesters auf dem Altar vollzieht. – Bitten wir die Gottesmutter, daß auch an unseren Kindern in Erfüllung gehe, was im 3. Psalm von Gott gesagt ist: „Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen hast Du Dir ein Lob bereitet“ (Ps. 3, 8). Wie damals am Palmsonntag die Kinder Jerusalems, so sollen auch die unseren dem Heiland mit einem erleuchteten Glauben und aus einem liebeglühendem Herzen singen: „Hosanna dem Sohne Davids!“ Amen.

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