Aufgefahren über alle Himmel

Geliebte Gottes!

Der sowjetische Major Juri Gagarin war der erste Mensch, der am 12. April 1961 in einer Raumkapsel die Erde umrundete. Nach seiner Rückkehr wurde bekanntgegeben, daß er im Weltraum „keine Spur von Gott, den Engeln oder dem Himmel entdeckt“ habe. Ähnliches hatte er schon während seines Fluges an die Bodenstation gefunkt. Mit dieser Meldung verband man in der atheistisch ausgerichteten Sowjetunion voller Genugtuung die empirische und damit vermeintlich endgültige Überwindung der Religion. Was die Kommunisten natürlich immer schon zu wissen meinten – daß nämlich „Religion Opium fürs Volk“ sei – das sei nun endlich auch wissenschaftlich bewiesen, und damit selbstverständlich unumstößlich wahr: Das mit dem Himmel sei lediglich eine fromme Einbildung einfältiger Geister, oder ein Schwindel, ein Betrug der Kirchen, um das unterdrückte Proletariat dumm zu halten und aufs Jenseits zu vertrösten.

Der Unglaube bestreitet die Existenz Gottes, die Existenz des Himmels und dann natürlich auch die Tatsache der Himmelfahrt Christi. Es wird behauptet, der Glaube an die Himmelfahrt sei aus der Jüdischen Religion entlehnt. Dabei weist man auf die Entrückung Henochs und die Himmelfahrt des Elias hin, wie sie im Alten Testament überliefert sind. – Andere behaupten, der Glaube an die Himmelfahrt sei aus der heidnischen Mythologie entnommen. Dabei denken sie an den babylonischen Etana-Mythos. Ferner verweisen sie auf die angebliche Himmelfahrt des Herakles oder des Mithras aus den römisch-hellenistischen Göttersagen.

Auf diese Behauptungen ist zu antworten: Eine Entlehnung aus dem Judentum scheidet aus, weil die Entrückung des Henoch bzw. die Auffahrt des Elias ganz anderer Natur waren als die Himmelfahrt unseres göttlichen Erlösers, wie der hl. Papst Gregor d. Gr. erklärt: „Zu beachten ist auch, daß von Elias berichtet wird, er sei auf einem Wagen aufgefahren; so sollte offenbar gezeigt werden, daß ein bloßer Mensch die Hilfe anderer braucht. Diese wurde ihm von Engeln geleistet und zwar in sichtbarer Weise. Er konnte sich also aus eigener Kraft nicht einmal in den Luftraum erheben, da seine schwache Natur ihn zur Erde zog. Von unserem Erlöser hingegen wird nicht berichtet, daß er von einem Wagen oder durch Engelhand emporgetragen wurde; vielmehr schwang Er, der alle erschaffen hatte, sich durch eigene Kraft über alles empor. […]Gleichwie Joseph, der von seinen Brüdern [nach Ägypten] verkauft wurde, den Verkauf unseres Erlösers [durch Judas Iskarioth] vorbildete, so haben auch Henoch, der an einen anderen Ort entrückt wurde, und Elias, der in den Luftraum emporgetragen wurde, die Himmelfahrt des Herrn vorgebildet. … Von Henoch heißt es, er sei entrückt worden, von Elias, er sei zum Himmel emporgefahren; zuletzt kam dann Derjenige, der weder entrückt, noch emporgetragen wurde, sondern der aus eigner Kraft in den höchsten Himmel einging.“

Und auch die Entlehnung aus der Mythologie scheidet allein schon deswegen aus, weil Mythen, auch nach dem Verständnis ihrer Anhänger, Produkte der Phantasie sind. Sie beanspruchen nicht, wirklich geschehen zu sein, während die Himmelfahrt Christi eine geschichtliche Tatsache ist.

Eine als geschichtlich bezeugte Tatsache

Historisch ist das Ereignis der Himmelfahrt Christi nämlich klar bezeugt und eingeordnet. Der hl. Evangelist Lukas spricht in seiner Apostelgeschichte davon, daß zwischen Auferstehung und Himmelfahrt genau 40 Tage (vgl. Apg. 1,3) gelegen haben. Was in den 40 Tagen geschah, hatte zuallererst eine Bedeutung für die Jünger. Es war die für sie bemessene Zeit, um sich an die Tatsache zu gewöhnen, daß der Herr vom Tode auferstanden ist und fortan in einer verklärten, unsterblichen Leiblichkeit lebt. Das Evangelium der 40 Tage ist eine Glaubensschule für die Apostel und Jünger:

Erstens: In diesen Tagen bewies ihnen der Herr die Wirklichkeit Seiner leibhaftigen Auferstehung, und zwar so eindringlich und nachdrücklich, daß sie nie mehr ein Zweifel daran überfallen konnte. Er ließ seine Wunden von Thomas untersuchen. Er aß und trank mit den Jüngern. Auch der Tadel ihres anfänglichen Unglaubens und ihrer Herzenshärte, von dem wir im heutigen Festtagsevangelium gehört haben, diente zu diesem Zweck. Der hl. Gregor sagt: „Was sollen wir hierbei anders denken, als daß der Herr deswegen die Jünger tadelte, bevor Er dem Leibe nach von ihnen schied, damit die Worte, die Er beim Abschied sprach, um so fester in den Herzen der Zuhörer eingeprägt blieben.“ – Zweitens: In diesen Tagen unterrichtete der Herr die Jünger endgültig und autoritativ über das Reich Gottes, d.h. über die katholische Kirche; über die streitende Kirche auf Erden, die glorreiche Kirche im Himmel und die leidende Kirche im Fegfeuer. Dabei wies Er ein für allemal jeden Gedanken an ein irdisches Königreich, vergleichbar den Weltreichen der Geschichte zurück. Das Reich Gottes ist eine katholische, d.h. allumfassende, aber wesentlich übernatürliche Größe. – Drittens: In diesen Tagen gab Jesus den Jüngern ihre bleibende Aufgabe. Er befahl ihnen, die gesamte Bevölkerung der Erde zu Seinen Schülern zu machen. „Geht hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium allen Geschöpfen.“ Dazu erklärt wiederum der hl. Gregor: „Mit diesem Ausdruck ‚alle Geschöpfe‘ ist der Mensch gemeint. Der Mensch hat mit jedem Geschöpf etwas gemeinsam. Er hat das Sein mit den Steinen, das Leben mit den Pflanzen, das Empfinden mit den Tieren und das Denken mit den Engeln gemeinsam. Wenn also der Mensch mit jedem Geschöpf etwas gemeinsam hat, so ist der Mensch in gewissem Sinne ‚ein jedes Geschöpf‘.“ Die Apostel sollten die Völker also im Namen Christi lehren; sie in Seinem Namen heiligen; und sie in Seiner Autorität lenken und leiten, damit sie gerettet würden.

Die 40 Tage zwischen Auferstehung und Himmelfahrt waren sodann auch Tage der übernatürlichen Ausrüstung der Apostel: Erstens: In diesen Tagen kündete ihnen Christus Seinen Beistand bei ihrer missionarischen Tätigkeit an, die bis zur Wundertätigkeit reichen sollte. Er versicherte ihnen durch den Tröstergeist bei ihnen zu bleiben: „Seht Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ Die Apostel sollten nicht auf sich selbst, nicht auf ihre Kräfte und Fähigkeiten bauen, sondern sich von Christus als Seine Werkzeuge gebrauchen lassen. – Zweitens: In diesen Tagen schon gab Er den Jüngern Seinen Heiligen Geist mit der Kraft des Sündennachlasses: „Empfanget den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen, welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ – Drittens: In diesen Tagen übertrug Er dem hl. Apostel Petrus den verheißenen Primat, also das oberste Hirtenamt über die gesamte Apostel- und Jüngerschaft Jesu, über die gesamte Kirche: „Weide Meine Schafe, weide Meine Lämmer.“

Nach alledem, genau vierzig Tage nach Ostern, ist Christus vor den Augen Seiner Jünger in den Himmel aufgefahren. Die Apostelgeschichte berichtet davon: „Er wurde emporgehoben, und die Wolke nahm Ihn vor ihren Augen weg.“ Vor ihren Augen! Die Jünger haben es gesehen. Sie sind Zeugen einer geschichtlichen Tatsache gewesen. Im Lukasevangelium, das ja derselbe Verfasser geschrieben hat wie die Apostelgeschichte, heißt es: „Hierauf führte Er sie hinaus, Bethanien zu. Er hob Seine Hände und segnete sie, und es geschah, während Er sie segnete, schied Er von ihnen und fuhr in den Himmel hinauf.“

Aufgefahren …

Aufgrund dieses Zeugnisses gehört die Himmelfahrt Christi als historische Tatsache zum Urbestand des christlichen Glaubensbekenntnisses. Im apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es: „Am dritten Tage wiederauferstanden von den Toten. Aufgefahren in den Himmel. Er sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.“ Im Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa wird bekannt: „Er ist am dritten Tage auferstanden und aufgestiegen zu den Himmeln.“ Im nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis wird wiederholt: „Er ist auferstanden am dritten Tage, gemäß der Schrift; Er ist aufgefahren in den Himmel und sitzet zur Rechten des Vaters.“ Das Fest, das wir heute begehen, hat also einen präzisen Inhalt, der durch Zeugen verbürgt an einem bestimmten Tag stattgefunden hat.

… mit Leib und Seele

Das Dogma lautet: Christus stieg mit Leib und Seele, aus eigener Kraft in den Himmel hinauf. – Die Himmelfahrt ereignete sich an Seiner menschlichen Natur. Christi Himmelfahrt geschah nicht Seiner göttlichen, sondern nur Seiner menschlichen Natur nach. Der göttlichen Natur nach hat der Sohn Gottes, der als Gott Himmel und Erde erfüllt, den Himmel nie verlassen. Seiner Menschheit nach, die ja nicht allgegenwärtig ist, war Er vor der Auffahrt nicht im Himmel. Seiner menschlichen Natur nach – also mit Leib und Seele – hat Er die Erde verlassen, und sich an den Ort der gemeinsamen Seligkeit der Engel und Menschen begeben, wo genau auch immer das sein mag.

… aus eigener Kraft

Die Himmelfahrt Christi geschah auch nicht aus fremder, sondern aus eigener Kraft. Sie war ähnlich wie die Auferstehung ein eigenmächtiges, aktives Emporsteigen. Dadurch unterscheidet sie sich grundlegend von dem passiven Hinauf- oder Weggetragenwerden durch Gottes Kraft, wie es bei den Propheten Elias und Habakuk im Alten Testament (vgl. 4. Kg. 2, 11; Dan. 14, 35) oder wie es bei dem hl. Diakon Philippus (vgl. Apg. 8, 39) und auch wie es bei der Himmelfahrt unserer Lieben Frau im Neuen Bund der Fall war.

Der Herr fuhr zum Himmel auf, mit eigener Kraft! Sowohl mit der göttlichen Macht, als auch mit der Seiner menschlichen Seele eigenen menschlichen Macht über den verklärten Leib, stieg Christus auf in den Himmel. Die Himmelfahrt war, ähnlich wie die Auferstehung, ein eigenmächtiges, aktives Emporsteigen.

Jesus hat die Auffahrt durch eigene Kraft bewirkt. Und zwar hauptsächlich, insofern Er Gott war. Aber auch als Mensch vollzog Er sie. – Die Verklärung, deren Er bei Seiner Auferstehung teilhaft wurde, verlieh Seiner Seele die Kraft, den Leib frei überallhin zu bewegen, und sie gab dem Körper die Fähigkeit, dem bloßen Willen der Seele unmittelbar zu folgen. So war der nunmehr verklärte Leib zu einem dermaßen willigen Werkzeug der Seele Christi geworden, daß sie ihn ungehindert auch an den für die Leiber der Verklärten bestimmten Ort, nämlich in den Himmel, versetzen konnte.

Insofern der Auferstehungsleib unseres Herrn Seine Verklärung von der Seele Christi, diese aber wiederum ihre Seligkeit von der Gottheit empfing, so ist die Gottheit selbstverständlich die letzte und hauptsächliche Ursache der Himmelfahrt unseres Herrn.

An dieser Stelle sei kurz auf den Sprachgebrauch der Heiligen Schrift eingegangen. In der Heiligen Schrift wird von der Himmelfahrt Christi bald in der aktiven Form (hinaufsteigen), bald in der passiven Form (aufgenommen werden, emporgehoben werden) gesprochen. So sagt Jesus: „Wenn ihr nun den Menschensohn dahin hinaufsteigen seht, wo Er vordem war?“ (Joh. 6, 62). Hinaufsteigen ist aktiv. Sodann schreibt der hl. Paulus an die Epheser: „Der herabstieg, ist derselbe, der auch hinaufstieg über alle Himmel [aktiv!], damit Er alles erfülle“ (Eph. 4, 10). Und der hl. Petrus lehrt in seinem ersten Brief, daß Christus, „welcher zur Rechten Gottes ist, nachdem Er den Tod verschlungen, damit wir Erben des ewigen Lebens würden, in den Himmel gegangen ist [aktiv!], wo Ihm Engel, Gewalten und Kräfte Untertan wurden“ (1. Petr. 3, 22).

An mehreren anderen Stellen wird im Neuen Testament, statt des eigenmächtigen Hinaufsteigens, auch die Passivform, des Empor-gehoben-werdens verwendet, des In-den-Himmel-aufgenommen-werdens. Etwa heißt es im heutigen Festtagsevangelium, beim hl. Markus: „Und nachdem der Herr Jesus zu ihnen gesprochen hatte, wurde Er in den Himmel aufgenommen“ (Mk. 16, 19). Ebenso beschreibt der hl. Lukas an den bereits genannten Stellen die Himmelfahrt als passiven Vorgang (vgl. Lk. 24, 51; Apg. 1, 9. 11). Und auch der hl. Paulus schreibt an Timotheus, daß Christus passiv „erhoben wurde in Herrlichkeit“ (1. Tim. 3, 16). – Dabei handelt es sich nicht um einen Widerspruch. Die passivische Ausdrucksweise hat genauso ihre Berechtigung, weil die Gottheit Christi die aktive und hauptsächliche Wirkursache, die Menschheit Christi hingegen nur die passive und werkzeugliche Ursache des Wunders der Himmelfahrt ist. Wie zwar der Hammer den Nagel in die Wand schlägt, dabei aber passiv in der Hand des Handwerkers liegt und in seiner Ursächlichkeit gänzlich von der Aktivität der Hand abhängig ist, so stieg die Menschheit Christi in der Kraft der Gottheit in den Himmel empor. – Wenn die Heilige Schrift also die aktive Form gebraucht, dann beschreibt sie das Geschehen hinsichtlich der Gottheit Jesu, mit der passiven hingegen aus der Perspektive der Menschheit Christi.

… in den Himmel

Die sichtbare Himmelfahrt Christi vollzog sich sodann nach oben, Richtung Wolkenhimmel. Da erhebt sich die Frage, warum der Heiland überhaupt nach „oben“ aufgefahren ist? Warum ist Er nicht in die Erde versunken? Er hätte ja auch in die Erde eintauchen und darin verschwinden können. Er ist nach oben aufgefahren, weil die Richtung nach oben von tiefer Symbolik ist. Wir Menschen verbinden mit „oben“, wo die Sonne ist, das Helle, das Lichte, das Freie, und mit dem Begriff „unten“ verbinden wir das Dunkle, das Finstere, das Gebundene, das Begrabene, Unfreie.

Dabei ist bei der Himmelfahrt Christi zunächst auch tatsächlich an die räumliche Höhe des Lufthimmels zu denken, wie aus dem Wortsinn der Apostelgeschichte eindeutig hervorgeht: „Er wurde emporgehoben, und die Wolke nahm Ihn vor ihren Augen weg.“ – Doch wäre es natürlich lächerlich zu glauben, wie es uns die Ungläubigen, die Materialisten und Kommunisten und alle, die von unserem katholischen Glauben nichts verstehen, unterstellen, als würde Christus deswegen nun in den Wolken leben und man könne Ihn dort mit einem Flugzeug besuchen. Oder Er würde weit draußen im Weltall thronen, daß man Ihn mit einem Raumschiff erreichen können müßte.

Tatsächlich ist Christus von einer Wolke aufgenommen worden. „Er wurde emporgehoben, und die Wolke entzog Ihn ihren Blicken.“ Und das geschah aus einem sehr viel tieferen Grund. In der ganzen Offenbarungsgeschichte ist die Wolke ein Anzeichen für die Gegenwart Gottes. Gott führte das auserwählte Volk der Hebräer vierzig Jahre durch die Wüste in einer Wolkensäule. Wenn Gott zu Moses und Aaron sprach, sank die Wolke zu ihnen auf das Bundeszelt herab. Dasselbe geschah bei der Weihe des Salomonischen Tempels. Eine Wolke erfüllte den Tempel, um anzuzeigen: Das ist der Wohnort Gottes. Hier wohnt Gott. Und auch bei der Verklärung auf dem Tabor wurde Christus plötzlich von einer lichten Wolke überschattet, um anzuzeigen, daß Jesus „der geliebte Sohn“ des göttlichen Vaters sei, daß also die Gottheit in Ihm wohnt. – Daß Christus durch den Aufstieg in eine Wolke von dieser Welt entrückt wurde, heißt somit nicht, daß Er seitdem „oben“ über den Wolken thront, sondern daß Er mit Leib und Seele in den Wohnort Gottes eingegangen ist. Das Emporsteigen Christi ist also keine Parallele zur Raumfahrt der Astronauten. Sie ist eine übernatürliche Wirklichkeit, die sich jeder Empirie entzieht.

Ja, aber warum sagen wir dann Christus sei „aufgefahren in den Himmel“? Warum gebrauchen wir, um diesen Vorgang zu beschreiben eine räumliche Vorstellung? Weil wir anders überhaupt nicht von geistigen Wirklichkeiten sprechen können. Wir können geistige Wirklichkeiten nicht anders ausdrücken als mit materiellen Vorstellungen. Es ist ein Zeichen der Unzulänglichkeit und Begrenztheit menschlichen Redens, sich nicht anders ausdrücken zu können. Daß man für die Gottheit – bei allen Völkern – die Ansiedelung „in der Höhe“ gewählt hat, ist naheliegend, denn die Höhe bedeutet Größe, Überblick, Macht, Herrschaft, Sieg. – Und umgekehrt: Die Position „unten“ ist Niederlage, Unterlegenheit, Scheitern. – Wir wenden ja dieselbe Redensart im täglichen Leben fortwährend an, um geistige Dinge zu beschreiben. Wir sagen etwa, es hat jemand eine „hohe Stellung“ bekommen. Damit ist natürlich nicht eine örtliche Bezeichnung im Firmengebäude ausgesagt, sondern daß er eben über andere gestellt worden ist; und zwar in seiner Befugnis. Ferner sagen wir: „Es will einer hoch hinaus“. Das bedeutet wiederum nicht räumlich gesehen, daß er einen Berg erklimmen will, sondern er will eben vor den anderen Geltung gewinnen. Und schließlich sagen wir auch, daß jemand „sich emporarbeitet“. Auch das hat keine räumliche Bedeutung, sondern besagt, daß jemand sich aus einer niederen Position zu einer höheren, angeseheneren, einflußreicheren, einträglicheren, hinaufarbeiten will. – Und umgekehrt sagen wir, jemand ist „heruntergekommen“, wenn er eben von seinem bisherigen Stand abgesunken ist. Oder, es ist jemand „tief gesunken“, weil er sich durch Laster in sittliche Niederungen hat hinabziehen lassen. Das ist eine urmenschliche Ausdrucksweise. Und anders können wir überhaupt nicht reden, wenn wir reden wollen. Vermutlich stammt diese Redensart aus dem Ringkampf. Derjenige im Ringkampf, der zum Schluß „oben“ ist, ist der Sieger, und derjenige, der „unten“ liegt, ist buchstäblich „der Unterlegene“. Er hat verloren. Er muß eine „Nieder-Lage“ hinnehmen. – Wir müssen also die Ausdrucksweise des Wortsinnes und die damit tatsächlich beschriebene geistige Wirklichkeit unterscheiden. Sie sind nicht immer absolut deckungsgleich. Die strenge Wortbedeutung sagt etwas aus über die Wirklichkeit, aber die beschriebene Wirklichkeit ist oft weit davon verschieden.

Wenn wir also sagen: Gott wohnt im Himmel, dann wollen wir damit nicht ausdrücken, Gott habe einen abgeschlossenen Raum, einen Palast oder ein Wohnhaus. Nein. Wenn wir sagen: Gott wohnt im Himmel, dann soll damit ausgesagt werden: Gott lebt in einer Wirklichkeit, die über alles Geschaffene unendlich erhaben ist. Gott übersteigt nicht bloß die Erde, Er übersteigt nicht bloß das Weltall, Er übersteigt auch den Himmel. „Gott wohnt in unzugänglichem Licht.“ Er ist unermeßlich und deshalb absolut raumlos. Er erfüllt jeden Raum, denn Er ist in jedem Raum gegenwärtig, aber Er wird von keinem Raum umschlossen. Die Unermeßlichkeit oder Raumlosigkeit Gottes besagt, daß jede räumliche Vorstellung von Ihm ferngehalten werden muß. Die Heilige Schrift bezeugt die Erhabenheit Gottes über alle räumlichen Maße. Das Weltall reicht nicht aus, Ihn zu fassen. Als König Salomon den herrlichen Tempel in Jerusalem gebaut hatte, da betete er: „Herr, siehe, der Himmel und die Himmel können Dich nicht fassen, um wie viel weniger dieses Haus, das ich erbaut habe.“

Daß Jesus sich „nach oben“ bewegt hat und in einer Wolke den menschlichen Augen entschwand, besagt also, daß Er bei Gott ist, daß Er Sieger ist, daß Er auf immer Leben, Macht und Herrlichkeit besitzt, all das was wir mit der „gehobenen Stellung“ in Verbindung bringen. Ja, es besagt, daß Er in eine überweltliche Dimension eingetreten ist.

… über alle Himmel

Paulus schreibt das sogar ausdrücklich an die Gemeinde in Ephesus: „Christus ist über [!] alle Himmel emporgestiegen.“ Er deutet damit an, daß es eine Wohnung jenseits aller Orte, die der Erfahrung zugänglich sind, gibt, und daß dort von Jesus Wohnung bezogen worden ist.

Daß die menschliche Natur Christi tatsächlich an irgendeinen bestimmten Ort versetzt wurde, das ergibt sich aus dem stofflichen Charakter des Leibes Christi. Der Leib unseres Herrn ist nach wie vor ein Körper. Ein Körper hat notwendigerweise Ausdehnung und folglich auch einen bestimmten Ort. Er kann nicht überall sein. Wenn die verklärte Natur an Raum und Zeit gebunden bleibt, muß sie auch tatsächlich irgendwo existieren. Freilich, wo genau die menschliche Natur Christi sich befindet, das können wir in keiner Weise bestimmen. Über alle Himmel! Weit über den physikalischen Kategorien!

Der Himmel ist jeder irdisch-menschlichen Erfahrung entzogen. Er besagt nicht etwa unermeßlich weite räumliche Ferne, sondern er besagt eine unfaßbare neue Qualität. Und doch ist diese Qualität nicht weniger wirklich als das Firmament, an dem die Wolken ziehen. Nicht in den Wolkenhimmel und auch nicht in den Sternenhimmel, sondern jenseits dieser erfahrbaren Wirklichkeit. Dorthin ist Jesus am Tag Seiner Himmelfahrt eingegangen.

… sitzend zur Rechten Gottes, des Vaters

Schließlich ist selbstverständlich auch „das Sitzen zur Rechten Gottes“ im Himmel nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Denn Gott ist, wie gesagt, körperlos. Er ist der unendlich vollkommene Geist. Er ist reiner Geist. D.h. Er hat keinen Körper. Folglich gibt es an Ihm kein links und kein rechts. Das Sitzen „zur Rechten Gottes“ ist nicht äußerlich wahrnehmbar. – Was ist dann damit gemeint? Es ist dies eine bildlich-geistige Redensart. Sie bezeichnet einerseits den vorrangigen Ehrenplatz (rechts), den Christus vor allen Engeln und Heiligen eingenommen hat. Es bedeutet die Teilhabe der menschlichen Natur Christi an Gottes Allmacht und Herrlichkeit, an dessen ewiger Seligkeit, an dessen Herrscher- und Richtergewalt über die ganze Schöpfung. Ein solch überlegener Besitz, eine solche Gleichrangigkeit mit Gott, kommt sonst keinem anderen Geschöpf zu, nur der verklärten Menschheit Christi.

Und daß Jesus zur Rechten Gottes nicht steht, sondern daß Er „sitzt“, das soll natürlich nicht auf eine geruhsame Tatenlosigkeit oder Passivität des Gottessohnes hindeuten. Denn der in den Himmel aufgefahrene Christus ist dort fortan in der Ihm gemäßen Form als Lenker der göttlichen Vorsehung und als Regent über die ganze Schöpfung einbezogen und unaufhörlich tätig. Der an Gottes Herrschermacht teilnehmende Sohn tritt beim Vater für uns ein (Röm. 8, 34) und rettet uns vor dem Zorngericht Gottes (Röm. 5, 9 f.). Das Sitzen zur Rechten Gottes besagt also, daß Jesus Christus einen dauernden, unruhefreien, unverlierbaren Besitz dieser einzigartigen Macht- und Vorrangstellung als Gottmensch angetreten hat.

Zusammenfassend können wir sagen: Die Himmelfahrt Christi ist die eigenmächtige, örtliche Versetzung Seines verklärten menschlichen Leibes und Seiner Seele an einen ihrem verklärten und seligen Zustand entsprechenden Ort innerhalb der Schöpfung, aber jenseits der natürlichen Ordnung.

Bedeutung für uns?

Hat dieses Fest auch uns etwas zu sagen? Oder geht es nur Jesus an? Die Aufnahme Jesu in den Himmel ist auch für uns von größter Bedeutung! Christus ist das Haupt, wir sind die Glieder. Wo das Haupt ist, dahin gehören auch die Glieder. Christus ist bereits in den Himmel aufgefahren, um uns dort eine Wohnung zu bereiten. Dorthin werden wir Ihm folgen. Er ist unser Quartiermeister. Er bereitet uns eine bleibende Stätte. Er wartet auf uns. Er holt uns zu Sich, damit wir dort sind, wo Er ist. Wir werden zu Ihm kommen; nach dem Tode zunächst mit unserer Seele. Schon das ist etwas Gewaltiges, Unbegreifliches, Herrliches. Aber wenn Er einst auf den Wolken des Himmels wiederkommen wird, um auch die toten Leiber wiederaufzuerwecken und die Welt zu richten. Dann werden auch wir mit einem verklärten Leib in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen werden. Noch ist unser Auge gehalten, noch ist unser Leben in Christus verborgen. Aber wenn Christus, unser Leben, erscheint, dann werden wir in Herrlichkeit mit Ihm zum Vater gelangen.

„Der in den Himmeln thront, Er lacht und spottet ihrer.“

Nicht nur Kommunisten und Atheisten haben sich im 20. Jahrhundert an der Raumfahrt versucht. Im Februar 1962 schickten die Amerikaner ihren ersten Astronauten in den Weltraum, John Glenn. Als John Glenn zurückkam, erklärte er, der Gott, an den er glaube, sei größer als das, was man durch die winzige Luke eines Raumschiffes sehen könne. Er fügte hinzu: „Von hier auf die Schöpfung zu schauen und nicht an Gott zu glauben, ist für mich unmöglich.“

Und auch der aus Mönchengladbach stammende deutsche Physiker und Astronaut Reinhold Ewald blieb im Jahr 1997 zwanzig Tage lang im Weltraum, an Bord der russischen Raumstation Mir. Nach seiner Rückkehr hielt er in seiner rheinischen Heimat einen Vortrag, bei dem er wörtlich erklärte: „Der Himmel, in den ich als Raumfahrer fliege, nimmt mir nicht den Himmel des Kommunionunterrichts, in den, unserem Glauben nach, alle Menschen eine Chance haben, nach dem Tode zu gelangen.“ Ein schönes Bekenntnis. Wir sehen, der Glaube Ewalds wurde durch die Raumfahrt nicht erschüttert. Aber er war nicht nur gläubig; er besaß auch das richtige Verständnis von der raumlosen Natur Gottes. Er fügte nämlich hinzu: „Für Gott bliebe allemal genug Raum, wenn Er denn überhaupt welchen bräuchte.“ Für Gott bliebe allemal genug Raum – wenn Er denn überhaupt welchen bräuchte!

Wenn Gott im Weltraum anzutreffen wäre, dann wäre Er von derselben Art wie die geschaffenen Dinge, dann wäre Er nicht Gott. Gott ist der ganz andere, der Allesübersteigende, der Transzendente. Er ist anders als alles, was uns in der Erfahrung begegnet. Er ist anders als alles in der Welt. Er ist übernatürlich, ja, überweltlich. Deswegen tritt die Raumfahrt dem Glauben an Gott nicht zu nahe, und Gott wird durch die Raumschiffe nicht gestört. Der Himmel bleibt eine Wirklichkeit, auch wenn die gottlose Naturwissenschaft der Moderne das nicht gelten lassen will; auch wenn Astronauten diese übernatürliche Wirklichkeit nicht durch Raketen- und Turbinenkraft erreichen können. Gott allein verfügt über den Eintritt in Sein himmlisches Reich. Und dieses Reich steht, dank des Leidens, Sterbens und der glorreichen Auferstehung unseres göttlichen Erlösers, seit dem Ereignis Seiner Himmelfahrt jedem Menschen, der glaubt und sich taufen läßt offen.

Wer hingegen aus Engstirnigkeit, einzig auf die empirischen Wissenschaften vertrauend, falsche Folgerungen über den Himmel und über Gott zieht, an dem wird wahr, was schon im 2. Psalm geschrieben steht: „Was toben die Heiden? Und was sinnen die Völker eitle Pläne? Die Herrscher der Erde rotten sich zusammen, es halten Rat die Mächtigen wider den Herrn, und wider Seinen Gesalbten. ‚Auf, laßt uns Ihre Bande sprengen und von uns werfen Ihre Fesseln.‘“ Und was antwortet Gott auf diese Rebellion? „Der in den Himmeln thront, Er lacht. Der Herr, Er spottet über sie.“ Amen.

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