Der Berg der Verklärung

Geliebte Gottes!

Am letzten Sonntag wurden wir zusammen mit unserem Herrn Jesus Christus vom Satan auf „einen sehr hohen Berg“ (Mt.4, 8) geführt. Es war ein Berg, der sich herausfordernd und stolz bis zum Himmel emporreckte. Jener Berg, von dem aus man im Truglicht der Hölle alle Reiche der Welt sehen konnte. Er bot eine Aussicht auf die betörenden Genüsse, die begehrten Ehrenstellungen und die unermeßlichen Reichtümer der geschaffenen Welt. Ganz anders als die vielen Menschen, die, von derlei Blendwerk getäuscht, das Knie vor dem dämonischen Fürsten dieser Welt beugen, durchschaute unser Herr die Versuchung und schmetterte dem Satan jenes Wort entgegen, das uns seither als Schlachtruf und geistige Waffe dienen sollte: „Weiche Satan! Den Herrn, deinen Gott sollst du anbeten und Ihm allein dienen.“ So bemühen wir uns in der hl. Fastenzeit den Lockungen der geschaffenen Dinge und der sinnlichen Befriedigung zu entsagen, indem wir uns in körperlichen und geistigen Werken der Abtötung üben, und dadurch – dem Beispiel unseres göttlichen Erlösers folgend – dem Teufel eine Abfuhr erteilen.

Der Berg der Gotteserkenntnis

Heute werden wir abermals auf einen „hohen Berg“ (Mt. 17, 1) geführt. Dieses Mal nicht vom Versucher, sondern von Christus selbst, in Begleitung seiner drei auserwählten Apostel. Der Berg der Verklärung ist gleichsam das Gegenstück zum Berg der Versuchung. Der erste Berg lehrte uns Nüchternheit, Wachsamkeit und Entsagung, um nicht in die Fallstricke des Bösen zu geraten. Der Berg Tabor lehrt uns, daß das Fasten nicht nur Kräfte gegen die Versuchung freisetzt. Nein, es befähigt uns auch unsere Seele aufzuschwingen zu Gott. Gott ist Geist nicht Stoff. Durch die dem Abbruch innewohnende Abkehr vom Materiellen wird der Mensch empfänglicher für das Geistige. Das Fasten macht ihn würdig in die übernatürlichen Geheimnisse Jesu Christi und damit in das Mysterium Gottes selbst hineinzuschauen. Es macht uns würdig von der göttlichen Gnade ergriffen, erhoben und erfüllt zu werden. Es läßt uns Christus erkennen als denjenigen, der Er ist, und unser ganzes Dasein in ehrfürchtiger Anbetung Ihm zu Füßen legen. Der Tabor ist der Berg der Gotteserkenntnis. Und das Fasten ist uns Hilfsmittel ihn zu erklimmen.

Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Beide Naturen sind in Seiner göttlichen Person geeint. Das ist ein gewaltiges Geheimnis. Die Apostel verstehen Jesus sehr oft nicht, ja können ihn gar nicht verstehen. Und das ist eigentlich auch gar kein Wunder. Ist es doch schon schwierig einen Menschen zu verstehen. Denken wir nur daran, wie oft wir uns selbst ein Rätsel sind; wie schwierig es ist, uns selbst zu erkennen; insbesondere unsere Fehler. Wenn wir also mit dem Verständnis des wahren Menschseins schon solche Mühe haben, wie sollte es dann möglich sein den Gottmenschen zu verstehen? Seine Gottheit ist viel zu groß für unser menschliches Begreifen. Deshalb müssen wir uns, wie die Apostel, von der übernatürlichen Gnade Gottes den Berg der Gotteserkenntnis emporführen lassen.

Der mühevolle, doch lohnende Aufstieg

Es war damals gewiß ein herrlicher Morgen, als Petrus, Jakobus und Johannes sich aufmachten, um in der Nachfolge des Herrn den Tabor zu besteigen. Es sind die drei bevorzugten Jünger, die auch schon dabei waren, als Jesus das Töchterchen des Synagogenvorstehers Jairus vom Tode auferweckt hat (vgl. Mk. 5, 37). Es sind dieselben drei, welche dann später auch dabei sein werden, wenn der Heiland auf dem Ölberg zu zittern und zu zagen anfangen wird (vgl. Mk. 14, 33). – Der Berg Tabor ist 588 Meter hoch und damit für die galiläische Ebene ein recht ansehnlicher Berg. Er hat keine Spitze, sondern ein Plateau; also eine große, ausgedehnte Fläche, die 1.200 Meter lang und 400 Meter breit ist.

Jesus sagte zu den Aposteln, Er wolle auf den Berg um zu beten (Lk. 9, 28), um mit Seinem Vater zu sprechen. – Am Anfang des geistlichen Lebens steht immer die morgendliche Frische. D.h. die Freude über die Auserwählung in die Nachfolge Christi berufen zu sein. Das Ziel ist die Begegnung mit Gott, die Vereinigung mit Gott, die Heiligkeit.

Nachdem die Apostel die ersten Höhenmeter bewältigt hatten, wurden sie auch schon mit einem grandiosen Ausblick quer über die fruchtbare Jesreel- Ebene, aus welcher der kegelförmige Tabor emporwächst, bis hinüber zum Mittelmeer, belohnt. Der Blick in die Welt weitet sich zusehends, je mehr man sich über sie erhebt; je weiter man sie unter sich zurückläßt. – Dem, der Jesus treu nachfolgt erschließt sich die übernatürliche Welt, das Reich der Gnade immer weiter und gleichzeitig lernt er die weltlichen Dinge aus der alle überblickenden Perspektive Gottes richtig einzuschätzen. Die Apostel vertrauen Jesus. Auch wenn sie nicht gleich alles was Er sie lehrt verstehen, so folgen sie Ihm in aufgeschlossener, einfacher Gesinnung nach.

Der Tabor ist ein kahler Berg. Den Augen wird nicht viel Abwechslung geboten. – Wer den Berg der Gotteserkenntnis ersteigen will, der muß die Monotonie der immer gleichen Frömmigkeitsübungen ertragen lernen. Ferner bot sich den Aposteln in der heraufsteigenden Hitze des Tages kaum Schatten. Es kostete die Apostel so manches Opfer, um nicht schlapp zu machen. Auch mußten sie gewiß so manche Versuchung bekämpfen: Etwa solche Gedanken, daß es jetzt nicht mehr ginge; daß der Meister da zu viel verlange; daß der Ausblick bis hierher doch auch schon genüge und man den Gipfel den Anderen, den Stärkeren, den Vollkommeneren überlassen könne. Der Aufstieg ist nicht nur Erhebung und Erbauung, er ist auch Kampf! Er ist Reinigung. Er macht den Menschen nüchtern, stark und entschlossen. Er läßt den Menschen die Welt verlassen. Er läßt ihn verstehen, daß die Befriedigung unserer Bedürfnisse zweitrangig ist und zweitrangig sein muß, wenn Gott ruft. Also bietet er die Kräfte seines Willens auf, um alles träge und weichliche in sich mannhaft zu überwinden.

Es war schon Abend geworden, als die Apostel ermattet den Gipfel erreicht hatten. Im Abendrot genießen sie den herrlichen Ausblick. Die Welt liegt ihnen zu Füßen. Aber in der rechten Weise! Nicht wie vom Gipfel des Berges der Versuchung aus. – Die Seele, die den Reinigungsweg hinter sich gebracht hat, steht über allem Weltlichen, weil sie zuvor Herr über sich selbst geworden ist. Die Seele hat mit der Gnadenhilfe Gottes durch den Verzicht in sich das Laster, die Lockungen zur Sünde niedergetreten. Wie es in der Fastenpräfation so anschaulich heißt: „Durch das körperliche Fasten unterdrückst Du die Laster“ – „vitia comprimis“. Sie werden komprimiert, zusammengedrückt, zertreten. Und weiter heißt es: „mentem elevas“ – „Du erhebst den Geist, spendest Tugendkraft und Lohn.“ Denn durch Gottes Einfluß hat sich die Seele über die Anziehungskraft der Geschöpfe, über das Verlangen der Natur, über die eigene Selbstsucht erhoben, sich geistig-seelisch aufgeschwungen und den Tugendpfad mit sicherem Tritt beschritten. Dafür erhält sie Gottes Lohn.

Die Beschauung der Glaubensgeheimnisse

Jesus beginnt Nachtwache zu halten. Er versenkt sich ins Gebet. Und wie später im Garten Getsemani, wird Er gewiß auch schon hier die Apostel aufgefordert haben, mit Ihm zu wachen und zu beten. Das Lukasevangelium berichtet uns, daß die drei Jünger, wie später im Ölgarten, so auch schon hier auf dem Berg Tabor während des Gebetes, vom Schlaf übermannt wurden. Der Geist war gewiß auch hier willig, aber das Fleisch war schwach. Das gilt für jeden Menschen. Mag er auch noch so heilig sein und die Höhenpfade der Vollkommenheit beschreiten: Das Fleisch ist und bleibt schwach, solange wir in diesem Leben wandeln.

Als aber die Apostel erwachen, da ist auf einmal alles ganz anders. Die Nacht ist wie der hellichte Tag. – Ja, der Übergang vom Reinigungs- in den Erleuchtungsweg ist wie ein Erwachen der Seele, ein Erwachen in die lichte Wirklichkeit des Glaubens hinein, welcher sich die Seele so, bislang noch gar nicht bewußt gewesen ist. – Die drei Apostel sehen Jesus verklärt: „Sein Antlitz leuchtete wie die Sonne“ (Mt. 17, 2). So wunderbar hell strahlend, daß selbst Seine Kleider weiß wurden „wie Schnee“; so „überaus glitzerndweiß, wie kein Walker auf Erden sie so weiß machen kann“ (Mk. 9,3). – Es ist eine andere Welt, die den Jüngern bisher verborgen war und die sich jetzt vor ihnen auftut. Schon bei den Wunderzeichen Jesu konnten die Apostel diese Wirklichkeit immer wieder für einen kurzen Augenblick aufblitzen sehen, mußten dabei jedoch selbst mit ihrem Verstand die Schlußfolgerung ziehen. Nun aber dürfen sie diese übernatürliche Wirklichkeit einsehen.

Um uns eine rechte Vorstellung von der geheimnisvollen Einsicht zu machen, die den Dreien da zuteil wurde, ist es notwendig zu erklären, was man unter „Verklärung“ versteht. Was bedeutet das? – Es bedeutet, daß die Gestalt unseres Herrn ganz „klar“ wurde. Jesus wandelt sein Aussehen. Die unter der Hülle Seiner menschlichen Natur verborgene Wahrheit Seiner Gottheit tritt hervor. Es leuchtet auf, daß Jesus kein bloßer Mensch ist, wie die Apostel. Die Verklärung läßt das Geheimnis der Gottheit Jesu Christi aufleuchten. Und „aufleuchten“ ist hierfür genau das richtige Wort. Denn Gott „wohnt im unzugänglichen Licht“ (1. Tim. 6, 16). „Gott ist Licht“ (1. Joh. 1, 5). Darum kann sich uns das Geheimnis der Gottheit im Geheimnis des Lichtes erschließen. Das Antlitz Jesu wird heller als die Sonne. Es ist ein sanftes Licht, das die Augen nicht angreift, nicht schmerzt, sondern eine viel klarere Einsicht in die Wahrheit gibt, die wir im Credo bekennen: Dieser ist „Licht vom Licht. Wahrer Gott vom wahren Gott“.

Im Lichtglanz der Verklärung Jesu werden den Aposteln auf einmal zwei andere Gestalten sichtbar. Es erscheinen Moses, der Repräsentant des alttestamentlichen Gesetzes, der Tora, und Elias, der Repräsentant der mündlichen Überlieferung des Alten Bundes, der größte der Propheten. – Dabei wird alles für die Apostel wieder vertrauter. Ja, noch klarer und einsichtiger. Moses und Elias sind ihnen bekannt. Durch das kristallklare Licht der „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal. 3, 20), wird den Jüngern das Gesetz und die Propheten, mit einem Wort, der gesamte Alte Bund erschlossen. Das „Licht der Welt“ (Joh. 8, 12) ist so stark, daß es den Schleier, der auf den Schriften des Alten Bundes liegt, (vgl. 2. Kor. 3, 15) durchdringt und den Aposteln Einblick in das rechte Verständnis der alttestamentlichen Offenbarung schenkt.

Die Apostel durften hören, was Moses und Elias mit Jesus redeten, was im Alten Testament über Christus gesagt und verheißen worden war. Wie wir wiederum aus dem Bericht des Lukasevangeliums erfahren, war ein besonderer Gegenstand dieser Unterhaltung „der Ausgang, den Jesus in Jerusalem nehmen sollte“ (Lk. 9, 31). D.h. sie unterhielten sich über Sein Erlöserleiden am Kreuz.

Zwar hatte der hl. Petrus erst vor kurzem bei Cäsarea Philippi im Namen aller Apostel Jesus als den Messias und Gottessohn bekannt: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt. 16, 16). Aber ihr Glaube und ihre Vorstellung davon blieb immer noch befangen in den Grenzen der damaligen Erklärungen; nämlich von der Idee eines nationalistischen Messias, der das Volk groß und herrlich machen wird. Sie hatten noch nicht begriffen, daß der Messias auch der Gottesknecht ist, der mißhandelt am Boden liegt, der an der Geißelsäule steht und der das Kreuz auf den Kalvarienhügel tragen muß. Das wird ihnen jetzt durch das Gespräch klar. Jetzt begreifen sie, daß Moses und Elias, daß Gesetz und Propheten, den leidenden Gottesknecht verkünden. Folglich wird der Messias nicht von einem marmornen Throne aus herrschen. Er wird nicht in einem barocken Schloß tafeln. Der Messias wird sich als der Dornengekrönte vor der Welt entäußern. Sein Thron wird das Kreuz sein; Sein Königsmantel, der Purpur Seines Blutes. Die beiden Gestalten bestätigen, was Jesus den Aposteln zuvor in seinen Leidensankündigungen wiederholt gesagt hatte, aber in ihren schwerfälligen Geist keinen Eingang fand (vgl. Lk. 18, 31 ff.), nämlich: Der Messias muß leiden und so das Volk erlösen. Damit wurde den Aposteln die gesamte geheimnisvolle Sendung Jesu Christi offengelegt. Welch nüchterne und doch tiefe Geheimnisse werden der Seele im Licht der Beschauung doch mitgeteilt: Der tiefste Wesenskern der Gottsohnschaft Christi und Seine blutig-leidvolle Sendung als Welterlöser.

Das Glück der Beschauung

Die Gottheit ist die höchste, unvorstellbare Klarheit des Seins überhaupt. Wenn wir das in seiner ganzen Tiefe begreifen könnten, würde unser Herz vor Freude und Glück zerspringen. Ein kleinwenig wurde das damals am hl. Petrus ersichtlich. Sein Herz beginnt vor Glück förmlich zu zerspringen. Deshalb auch seine seltsamen Worte. Das Herz geht ihm einfach über. Und eigentlich hat Petrus doch auch recht: „Herr hier ist gut sein“ (Mt. 17, 4). Es ist wirklich gut, auf dem Berg der Beschauung zu sein und die Herrlichkeit Gottes zu sehen. Dazu sind wir doch geschaffen! Die Herrlichkeit Gottes schauen! Für immer und ewig!

Petrus ist ein praktisch denkender Mensch. Deshalb fügt er hinzu: „Wir wollen hier drei Hütten bauen. Dir eine, dem Moses eine und dem Elias eine“ (Mk. 9, 5). Laß uns diesen Augenblick für immer festhalten, ihn gleichsam durch Pfahlhütten hier im Erdboden fest verankern. Laß uns dieses Glück in etwas Bleibendes verwandeln. – Hier sehen wir wieder den schwachen Menschen aufscheinen, der das Mittel mit dem Zweck verwechselt, der sich nicht der Übernatürlichkeit des Augenblicks bewußt ist. Er will aus eigener Initiative und mit natürlicher Kraft festhalten, was übernatürliche Gnade ist; ein ungeschuldetes Geschenk von Gott, das sich der Verfügungsgewalt des Menschen entzieht. Die Taborstunden sind nur Mittel, nicht Zweck. Sie sind erst ein schwacher Vorgeschmack auf die beseligende Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht. Hier stehenbleiben hieße auf halbem Wege stehenbleiben. Nein, der Sinn der Taborstunden ist ein anderer. Deshalb wurde dem hl. Petrus auch sofort das Wort abgeschnitten.

Die ehrfürchtige Anbetung

„Während er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke“ (Mt. 17, 5). Wer denkt dabei nicht an jene Wolke, welche das auserwählte Volk vierzig Jahre durch die Wüste führte und des Nachts zur Feuersäule, also zu einer Lichtsäule wurde. Die Wolke ist eine Erscheinungsform Gottes. Sie offenbart die Gottheit und verhüllt sie zugleich. Jedes Mal, wenn Gott zu Seinem Volk redete, da ließ sich die Wolke über dem Bundeszelt nieder (vgl. Lev. 16, 2). Später, als das auserwählte Volk im Gelobten Land seßhaft geworden war, da wurde das Bundeszelt zu Stein. König Salomon ließ in Jerusalem den Tempel bauen. Zur Bezeugung, daß fortan der prächtige Tempel Salomons Haus Gottes und Zelt des Allerhöchsten sei, erschien bei dessen Weihe wiederum eine Wolke, ließ sich über dem Prachtbau nieder und erfüllte das Haus des Herrn (vgl. 3. Kön. 8, 10). – Jetzt auf dem Tabor läßt sich die lichte Wolke über der verklärten Menschheit Jesu nieder. Die Aussage ist dieselbe: Die Menschheit Jesu ist Wohnung Gottes; ist das vollkommene Bundeszelt. So hat es sich dem hl. Evangelisten Johannes auf dem Gipfel des Tabor eingeprägt; lauten doch die Worte des Johannesprologs, welche wir dreimal am Tag im „Engel des Herrn“ und in der Regel am Ende der hl. Messe im Schlußevangelium beten, in ihrer wortwörtlichen Übersetzung nicht nur: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“, sondern geprägt vom Kontext des Taborgeschehens viel genauer: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet“ (Joh. 1, 14). – Dadurch wurde den Aposteln nochmals angezeigt, daß die Menschheit Jesu das neue Bundeszelt, der Tempel des Neuen Bundes ist; jener wunderbare Wohnort der Gottheit, von dem Er gesagt hat: „Reißt diesen Tempel nieder und Ich will ihn in drei Tagen wieder aufbauen“ (Joh. 2, 19). Und schon hier ergänzte der Lieblingsjünger: „Er aber redete vom Tempel Seines Leibes“ (Joh. 2, 21).

Aus der lichten Wolke, die sich nun auf dem Tabor über Jesus niederließ, erschallt eine Stimme. Es ist die Stimme des himmlischen Vaters. Der Vater legt Zeugnis ab, damit die Apostel verstehen, wer Derjenige ist, der da vor ihnen steht: „Dieser ist Mein geliebter Sohn an dem Ich Mein Wohlgefallen habe. Ihn sollt ihr hören“ (Mt. 17, 5) – Hören sollen die Apostel. Also Empfangen, nicht eigenmächtig ergreifen und festhalten. Man muß sich Ihm überlassen, sich Ihm hingeben. Denn dieser ist Mein geliebter Sohn.

Sogleich fallen die Jünger auf ihr Angesicht und werden von großer Furcht ergriffen. – Die menschliche Reaktion auf eine Gotteserscheinung ist natürlicherweise die Furcht. Die Gewalt der Herrlichkeit Gottes, die Macht Seines Glanzes erzeugen in den Menschen – insbesondere in den erbsündlich belasteten Menschen, die als „Feinde Gottes“ (Röm. 5, 10) und als „Kinder des Zornes“ (Eph. 2, 3) geboren werden – stets Furcht. Sie überwältigen den Menschen. Wir wissen aus dem Alten Testament, daß sich der in Sünde gefallene Adam vor Gott zu verbergen trachtete, als er Seiner Gegenwart gewahrte (vgl. Gen. 3, 8). Und als Moses unter Blitz und Donner am Sinai die Gesetzestafeln der Zehn Gebote empfing, da bekam das Volk Furcht. Die Israeliten erzitterten und standen in der Ferne. Sie sagten zu Moses: „Rede du mit uns, dann wollen wir gehorchen. Aber Gott soll nicht mit uns reden, sonst müßten wir sterben“ (Ex. 20, 19) Furcht, heilige Furcht, Ehrfurcht; das ist die erste und instinktive Reaktion auf die Erscheinung Gottes.

Wohlgemerkt! Die Apostel haben nicht Angst – aber Furcht. Viele Menschen hatten und haben Angst vor Gott. Angst haben wir vor jemandem, der beabsichtigt uns Böses anzutun. Furcht haben wir vor jemandem, den wir als gut erkannt haben; der es uns gut meint; den wir ob seiner Güte bewundern und deshalb fürchten ihm zu mißfallen. – Wer Angst hat vor Gott, weiß nicht wer Gott ist. – Die unmittelbare Erfahrung der Majestät und Heiligkeit Gottes macht den drei Aposteln mit einem Mal ihre eigene Unwürdigkeit, Kleinheit und Nichtigkeit bewußt. Deshalb „fielen sie auf ihr Angesicht nieder“ (Mt. 17, 6) und warfen sich in den Staub. – Vor der Majestät Gottes, vor Seiner unendlichen Güte und Schönheit, Seiner Heiligkeit und Unantastbarkeit, Seiner Gerechtigkeit und Allmacht sollen wir in Ehrfurcht zu Boden fallen. Die Seele soll durch die übernatürlichen Einsichten der Taborstunden zur Anbetung geführt werden.

Das Licht der Beschauung das von Gott kommt führt immer zur Anbetung. Davon unterscheidet es sich vom trügerischen Licht, das der böse Engel imitiert, um fromme Seelen zu täuschen und in die Irre zu führen. – Die Apostel fallen nieder, verhüllten ihr Gesicht. Sie beten an und erinnern uns dabei an Moses am brennenden Dornbusch. Und an anderer Stelle sprach Gott zu Moses: „Kein Mensch kann Mich schauen und am Leben bleiben“ (Ex. 33, 20). Ja, die Majestät Gottes ist so überwältigend, daß wir Seinen Anblick einfach nicht fassen könnten und vor Glück sterben müßten.

Der Tabor und das hl. Meßopfer

Wer noch nie von der Ehrfurcht vor Gott ergriffen wurde, der hat noch nicht viel von Gott verstanden. Er hat immer noch eine rein menschliche Vorstellung von Gott. – Wie sieht es da bei uns aus? Werden wir von heiliger Furcht erfaßt, wenn bei der hl. Wandlung – unsichtbar aber doch real – dasselbe passiert, wie auf dem Berge Tabor? Der Hochaltar ist nicht nur Kalvaria. Die Altarstufen sind auch ein Bild für Tabor. Die lichte Wolke der Gottheit läßt sich auf dem Altar genauso in der menschlichen Natur Jesu Christi nieder, wie die Wolke über dem Bundeszelt, dem „tabernaculum Altissimi“, dem „Zelt des Allerhöchsten“.

Erfaßt uns heilige Furcht, wenn unter der Gestalt des Brotes und des Weines „der Ausgang Jesu in Jerusalem“, also das Erlösungsopfer des Gottessohnes wirklich gegenwärtig wird? – Oft geht es uns vielleicht wie den Israeliten in der Wüste. Da ist die Wolkensäule, die in der Nacht zur Feuersäule wird. Das ist der tägliche Mannaregen. An sich sind das alles eindrucksvolle und ehrfurchtgebietende Wunderzeichen Gottes. Doch weil sie immer da waren, setzte beim Volk Gewöhnung ein. Es ist nichts Besonderes mehr. Und die Israeliten fingen an die Ehrfurcht zu verlieren, an Gott zu zweifeln, mit Ihm zu hadern.

Dieselbe Gefahr besteht auch für uns! Anfänglich wird die hl. Messe vielleicht als großer Schatz entdeckt, erkannt und hochgeschätzt. Doch dann wird sie alltäglich, ist nichts besonders mehr. Man wägt ab, ob es denn der Mühe wert sei, den weiten Weg und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen; die Zeit zu opfern. – Das sind Anzeichen des Verlustes der Ehrfurcht. Man hat sich zu sehr daran gewöhnt. D.h. das Licht des übernatürlichen Glaubens, das Licht von Tabor, das in der Seele leuchtet ist schwach geworden. Auch wir müßten eigentlich jedesmal das leise Echo der Stimme des Vaters im Innern unserer Seele hören können, wie Er während der Erhebung der hl. Hostie bei der Wandlung spricht: „Dieser ist Mein geliebter Sohn an dem Ich Mein Wohlgefallen habe. Ihn sollt ihr hören.“ Auch wir stehen dann auf Tabor. Auch wir haben dieselbe Herrlichkeit Gottes vor uns, wie die Apostel. Doch wir sind nicht ergriffen, weil unser Glaube zu schwach ist.

Die Fastenzeit will dem abhelfen. Für jeden Tag wird uns im Meßbuch eine eigene Lesung und ein eigenes Evangelium vorgelegt. Moses und Elias eröffnen uns gleichsam Tag für Tag, Schritt für Schritt, das Geheimnis unseres Erlösers und Seines Leidens. – Auch wenn wir nicht täglich zur hl. Messe gehen können, so könnten wir doch täglich eine Taborstunde zu Hause mit dem Tagesvangelium halten und die Geheimnisse unseres Herrn und unseres Heiles betrachten. Vergessen wir dabei aber nicht, daß Betrachtung, wenigstens am Ende stets auf die Anbetung hinauslaufen muß, sonst bleibt sie unfruchtbar und letztlich müßig.

Jedes Opfer, das wir in dieser Zeit Gott zuliebe bringen, wird unsere Betrachtung fruchtbarer machen. Denn jedes Opfer, jeder Verzicht, jede Selbstüberwindung erhebt die Seele und läßt sie in den Lichtkreis des Geheimnisses Jesu Christi, des Gekreuzigten, hineintreten. So können wir unser Leben verklären, das schwache Glaubenslicht in unserer Seele vermehren, in der Ehrfurcht wachsen und mit der Gnadenhilfe Gottes unser Leben immer mehr der Ewigkeit angleichen.

Der Abstieg vom Berg

Um die instinktive Furcht angesichts des Göttlichen zu mildern, findet sich schon im Alten Testament an die 50-mal der sanfte Zuspruch: „Fürchtet euch nicht!“ Wenn Gott erscheint, dann will Er den Menschen nicht zermalmen, sondern ihm die andere Seite seines Wesens offenbaren, nämlich den Lichtglanz Seiner Liebe und Seiner Milde. Fürchtet euch nicht! So auch jetzt auf dem Tabor. Jesus berührt die Schulter der Jünger und sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ (Mt. 17, 7).

„Als sie ihre Augen erhoben, sahen sie niemand mehr als Jesus allein“ (Mt. 17, 8). Die Begleiter sind nicht mehr da. So wandern sie den Berg hinab und reden den ganzen Nachmittag von diesem Ereignis, von diesem Thema, von dieser Offenbarung. Dann versinken sie in nachdenkliches Schweigen. Unten warten die übrigen Apostel und die Frauen auf sie. Der Herr aber sagt ihnen: „Schweigt von dieser Erscheinung, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist!“ (Mt. 17, 9). Er verschließt ihnen den Mund bis zu der Stunde, wo das Lebenswerk Jesu abgeschlossen vor ihnen steht, wo der wahre Charakter Seiner Gottheit und Seines Opfers erfüllt ist. Erst nach Kreuzigung und Auferstehung dürfen sie reden. – Solange sollte der Berg der Verklärung nur zur Stärkung des Glaubens jener drei bevorzugten Apostel dienen; damit diese selbst gerüstet seien und in der Lage wären, ihre Brüder in jener vor ihnen liegenden Nacht der Verwirrung zu stärken, welche sie auf einem dritten Berg umfangen wird – auf dem Ölberg. Die Taborstunden sollten ihnen im Hinblick auf die Passion Christi Mut machen. Sie sollten, wenn sie jetzt mit dem Herrn in das Leiden hineingehen, offenbar machen, daß Gott mit Seinem eingeborenen Sohn auch im Leiden ist. Damit sie nicht an Ihm irre würden, hat Er sich ihnen in dieser Weise zu erkennen gegeben.

Daraus ergibt sich für uns noch eine letzte Folgerung: Auch in unserem Leben kann es Taborstunden geben, Stunden der Erhebung, der Ergriffenheit; Stunden, wo uns die Religion Freude macht, wo wir dankbar sind, daß wir gerade heute im heiligen Glauben stehen. Aber diese Stunden können vergehen. Sie sind nicht von immerwährender Dauer. Es kann der Zweifel an uns nagen. Es können Leiden über uns kommen. Es besteht immer die Gefahr, daß wir irre werden am Menschlichen in der immer verrückter werdenden Welt um uns herum; daß wir irre werden an dem erbärmlichen Rest der papstlosen Kirche von heute. In solchen Stunden sollen wir uns erinnern, daß unser Herr und Heiland mit uns geht, ob auf den Berg Tabor oder auf den Ölberg. Selbst auf unserem Kalvarienhügel verläßt Er uns nicht, hält bei uns aus, bis zum letzten Atemzug.

Machen wir aus jedem Tag der Fastenzeit einen Schritt, dem ewigen Taborgipfel entgegen. Dort erwarten uns nicht Hütten, sondern Wohnungen. Wohnungen, die wir nicht erst bauen müssen, sondern die uns von Christus bereitet sind. Wohnungen, wo wir in Ewigkeit bleiben können und wo wir vor Glück und Seligkeit nicht mehr sterben können. Amen.

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