Vom Sinn und Zweck der Bußwerke

Geliebte Gottes!

Am Aschermittwoch sind wir in die hl. Fastenzeit eingetreten. Dem Beispiel unseres Herrn und der Unterweisung der hl. Väter folgend, erlegen wir Katholiken uns während der hl. vierzig Tage vor Ostern Bußwerke auf, insbesondere das Fasten. Der hl. Papst Leo der Große sagt: „Was ist wirksamer als das Fasten? Wenn wir dieses üben, nähern wir uns Gott, widerstehen dem Teufel und besiegen alle Lockungen der Sünde. Stets war das Fasten eine Nahrung für die Tugend. Aus der Enthaltsamkeit entsprießen reine Gedanken, vernünftige Willensentschlüsse, heilsame Ratschläge; durch freiwillige Abtötungen stirbt das Fleisch den bösen Lüsten ab und der Geist erhält neue Kraft zur Übung der Tugend“ (Serm. 13; PL 54, 172 f.). Weil die Abtötungen jedoch bitter sind, Überwindung kosten und uns über die Dauer von vierzig Tagen eine gewisse Ausdauer abverlangen, so ist es zweifelsohne hilfreich, wenn wir uns zu Beginn der Fastenzeit wieder die Vernunftgründe zur Abtötung vergegenwärtigen, damit wir, nicht nur motiviert durch die Pflicht gegen das Kirchengebot, sondern aus klarem Verstehen heraus, allen Mißmut und alle Saumseligkeit beseitigen und nicht nur „Früchte der Buße“, sondern „würdige Früchte der Buße“ bringen.

Die moderne Kultur

Viele Menschen haben heute offensichtlich kein Verständnis mehr dafür, warum wir uns freiwillig Bußwerke auferlegen sollten. Das ist an sich nichts Neues. Wir wissen schon aus dem Leben der Heiligen früherer Zeiten, daß sie für ihre asketische Lebensweise verlacht, verspottet bzw. sogar getadelt wurden. Sie würden mit ihrer Bußstrenge über das rechte Maß hinaus gehen und übertreiben. Diese Heiligen seien „kranke Fanatiker“ gewesen. Wenn diese Kritiker jedoch das Evangelium aufschlagen und aufmerksam lesen würden, so könnten sie das Gegenteil erkennen; nämlich, daß die Heiligen tatsächlich die „Gesunden“ waren, daß sie das Evangelium und den Sinn dieses zeitlichen Lebens richtig verstanden haben, daß sie „das einzig Notwendige“ klar vor Augen hatten: nämlich das Heil ihrer unsterblichen Seele.

Bußwerke sind bitter und schmerzhaft für den Leib, weil sie den sinnlichen Neigungen unserer Natur widerstreiten. Ein weltlich denkender Mensch wird da sofort einwenden: Gott hat die menschliche Natur dann offensichtlich auch nicht zum Leiden geschaffen. Daher flieht der Mensch nun einmal das Leiden instinktiv. Warum sollten wir uns also selber Leiden zufügen, wenn uns doch Gott nicht zum Leiden geschaffen hat? Das wäre doch wider die Natur und gegen Gottes Willen.

Auf dieser Logik gründet die gesamte moderne Kultur, die dem Gedanken der Buße gänzlich entgegengesetzt ist. Deshalb verlangt der moderne Mensch scheinbar nach nichts anderem als nach Spaß und Genuß in allen Lebensbereichen. Der Genuß des Lebens ist gleichsam sein höchstes Gut. In der Folge hat auch die menschliche Gesellschaft keinen anderen Zweck, als den Lebensgenuß möglichst für alle Menschen zu ermöglichen und sicher zu stellen. D.h. alle Bequemlichkeit und jeden Genuß zu eröffnen und vor allem alles Ungemach abzuwenden und jede Entbehrung zu fliehen.

Warum ist das so? Weil der Glaube an den Himmel, die Idee eines Lebens nach dem Tod und einer übernatürlichen Ordnung gänzlich abhanden gekommen ist. Die Menschen der Moderne sind zum größten Teil wieder in finsterster Unwissenheit versunken, sodaß sie nichts mehr von dem übernatürlichen Leben wissen, welches wir in diesem zeitlichen Leben erringen müssen. Sie kennen nur die materielle, stoffliche, fleischliche Welt. Die unsichtbare Welt der göttlichen Gnade, in der ihr Herz einzig Ruhe und Frieden finden könnte, ist ihnen unbekannt. Deshalb sind sie der festen Überzeugung, es gäbe nichts Vernünftigeres, als möglichst jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, ja jede Sekunde ihres Lebens im Genuß auszukosten und folgerichtig alles Beschwerliche zu fliehen. Jeder Tag der von Leiden und Verzicht gezeichnet ist erscheint in dieser Logik als vergeudete Lebenszeit. Das ist die Beschreibung des Naturalismus.

Und in der Tat wäre es doch reine Dummheit, sich selbst Buße aufzuerlegen, wenn es wirklich kein Leben nach dem Tod gäbe, keinen Himmel, keine Hölle, kein übernatürliches Leben. Warum sollten wir uns selber das Leben schwer machen? Warum sollten wir nicht dieses Leben zu unserem Himmel machen und konsequent alles vermeiden, was den Genuß desselben irgendwie einschränkt?

Die Botschaft des Evangeliums

Wir Katholiken wissen hingegen aus der Heiligen Schrift, daß der Aufruf zur Buße, ein wesentlicher Teil der göttlichen Offenbarung ist. Nachdem der Herr selber in der Wüste gefastet und die Versuchungen des Teufels zurückgeschlagen hatte, zog Er predigend durch die Städte und Dörfer Palästinas, wobei die Synoptiker einmütig den Inhalt Seiner Predigt in dem einen Gedanken zusammengefaßt haben: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt. 4, 17; vgl. Mk. 1, 15). Das ist die Essenz der Verkündigung des Evangeliums unseres göttlichen Erlösers, die bereits in der langen Reihe der alttestamentlichen Patriarchen und Propheten seine Vorverkünder hatte. „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe.“

Christus ist nicht Fleisch geworden, um aus reiner Menschenfreundlichkeit ein diesseitiges Glück zu verkünden. Er hat sich nicht primär dafür eingesetzt, um die Lebensbedingungen der geringverdienenden Klasse zu verbessern, die jährliche Wirtschaftsleistung zu steigern, die Güter gerecht zu verteilen und den Weltfrieden herzustellen, obwohl diese Dinge zweifelsohne begrüßenswert wären, wenn sie nur im Dienste des ewigen Seelenheiles stünden. – Aber nein, Christus ist zuallererst gekommen, um den Menschen durch Wort und Beispiel zu unterweisen, wie er dieser Welt absterben muß, um das Leben seiner Seele zu retten, sagte Er doch: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht“ (Joh. 12, 24). Und an anderer Stelle stellt Er die Frage: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden leidet an seiner Seele. Welchen Lösepreis zahlt der Mensch für seine Seele?“ (Mt. 16, 26). Um zum übernatürlichen Leben zu gelangen, ist es hier auf Erden notwendige Voraussetzung, der Sünde abzusterben. Die Frohbotschaft unseres Herrn ruft dazu auf, nach dem kommenden Leben Ausschau zu halten und nicht auf dieses zu bauen. Deshalb müssen wir dieses zeitliche Leben hinopfern. Wir müssen alle Bedrängnisse, Leiden und Entsagungen auf uns nehmen, um auf diese Weise die Erlangung des ewigen Lebens sicherzustellen. Unser göttlicher Heiland geht sogar soweit, daß er all jenen die Zugehörigkeit zu Seinen Jüngern abspricht, die sich weigern Buße zu tun. Er fordert: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach“ (Mt. 16, 24). „Wer nicht sein Kreuz trägt und Mir nachfolgt, der kann nicht Mein Jünger sein“ (Lk. 14, 27). „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und Mir nachfolgt, ist Meiner nicht wert. Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren. Wer hingegen sein Leben verliert um Meinetwillen, der wird es finden“ (Mt.10, 38 f.).

Unser Herr spricht sodann sehr deutlich von der Notwendigkeit der Abtötung unserer Sinne und Begierden. Er sagt: „Wenn dir deine Hand oder dein Fuß zum Ärgernis wird, so haue sie ab und wirf sie von dir. … Und wenn dir dein Auge zum Ärgernis wird, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist besser für dich, daß du mit [einer Hand, mit einem Fuß, mit] einem Auge in das Leben eingehst, als daß du mit zwei [Händen, Füßen oder] Augen in das höllische Feuer geworfen werdest“ (vgl. Mt. 18, 8-9). Man kann wohl in keiner anschaulicheren Weise die Notwendigkeit der Abtötung unserer niederen Triebe und unserer ungeordneten Leidenschaften zum Ausdruck bringen, wie es unser Herr mit diesen drastischen Worten getan hat.

Zur Abtötung der Sinne muß jedoch unbedingt auch die der ungeordneten Eigenliebe hinzukommen. Die Eigenliebe insistiert: „Aug um Aug, Zahn um Zahn!“ Wie du mir, so ich dir. Christus aber predigt Selbstverleugnung: „Wenn einer dich auf die eine Wange schlägt, dem halte auch die andere hin. Und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. Jedem, der dich bittet, gib. Selbst wenn einer von dem Deinigen nimmt, fordere es nicht zurück“ (Lk. 6, 29 f.). Die Eigenliebe hält ehrgeizig Ausschau nach den ersten Plätzen und strebt nach Geltung und Ansehen bei den Menschen. Der Herr verheißt hingegen: „Jeder der sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk. 14, 11; Lk.18, 14).

Alle Apostel haben sich die Botschaft des Evangeliums verinnerlicht. Und so ist es nicht verwunderlich, daß wir gerade in den Briefen des hl. Paulus so oft von der Notwendigkeit freiwilliger Buße hören. Die Verkündigung des Völkerapostels gibt uns verschiedene Gründe an, warum es notwendig ist Bußübungen auf uns zu nehmen. Nämlich:

  1. um die Auswirkungen der Erbsünde zu hemmen,
  2. zur Wiedergutmachung unserer persönlichen Sünden, und
  3. um Christus nachzuahmen, und zwar Christus, den Gekreuzigten.

Erstes Motiv: Zurückdrängung des Einflusses der Erbsünde

Der erste Grund, den der hl. Paulus anführt, ist die Notwendigkeit, die schädlichen Auswirkungen der Erbsünde zu hemmen. Der Völkerapostel spricht aus unser aller Erfahrung, wenn er schreibt: „Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Geistes widerstreitet und mich zum Sklaven des Gesetzes der Sünde macht, das in meinen Gliedern ist“ (Röm. 7, 23). Wir wissen, daß durch die hl. Taufe zwar die von den Stammeltern ererbte Schuld von der Seele des Täuflings abgewaschen wird. Jedoch bleiben die Wirkungen der Erbsünde erhalten, also jene Neigung zur Sünde, jenen „Zündstoff“, der uns geneigt macht das Gesetz Gottes zu übertreten. Die Wirkungen der Erbsünde müssen zurückgedrängt werden. Das ist nur möglich durch die Abtötung, wie uns das Vorbild des Völkerapostels zeigt: „Ich züchtige meinen Leib und bringe ihn in Dienstbarkeit, damit ich nicht selbst verworfen werde, nachdem ich anderen gepredigt habe“ (1. Kor. 9, 27).

Eltern machen bisweilen Fehler in der Kindererziehung, weil sie die Lehre von der Erbsünde unzureichend verstanden haben. Eine Hauptaufgabe der Erziehung besteht darin, die Wirkungen der Erbsünde in der Seele der Kinder klein zu halten. Viele Eltern entschuldigen die Fehler und Unarten ihrer Kinder zu schnell, indem sie sagen: „Es sind doch noch Kinder. Da regt sich nur die Persönlichkeit des Kindes.“ – Aber nein! Die richtige Antwort lautet: Es sind die Wirkungen der Erbsünde, die sich da regen. Auch ihre Persönlichkeit ist, wie bei allen von uns, mit dem Zündstoff der Sünde behaftet.

Die fortwährenden Wirkungen der Erbsünde zeigen sich zunächst vor allem im Ungehorsam. Aus ihm keimt später der Drang zur Sinnlichkeit und Unkeuschheit hervor; und wiederum später wächst er sich aus, in Habsucht, Überheblichkeit und Ehrgeiz. – Viele Eltern sind sich nicht über den Ernst des Ungehorsams im klaren. Sie übersehen, daß sich derlei kleine Fehler, wenn sie nicht korrigiert werden, verfestigen und sich im Laufe der Zeit zu großen Fehlern, ja zu wahren Lastern entwickeln, mit denen das Kind vielleicht ein Leben lang zu kämpfen haben wird. Das Ziel der Erziehungsarbeit, welches erreicht werden muß bevor ein Kind das Erwachsenenalter erreicht, besteht darin, dafür zu sorgen, daß es die Grundtugenden des Gehorsams und der Wahrhaftigkeit erworben hat und damit wenigstens grundsätzlich „sittlich in Ordnung“ ist. – Wenn wir uns umschauen, ist jedoch zumeist das Gegenteil der Fall. Nicht selten finden wir bei Jugendlichen, daß sie Lügen gebrauchen und daß sie nicht gehorchen. Zwei kleine Fehler, könnte man meinen. Aber diese kleinen Fehler, die von der Erbsünde herrühren, wachsen sich aus und bestimmen später das Verhalten des jungen Erwachsenen gegenüber seinen Vorgesetzten; gegenüber der menschlichen und letztlich auch gegenüber der göttlichen Autorität.

Folglich muß die Neigung zur Sünde, der Zündstoff zur Sünde, bekämpft werden – durch die Abtötung. Gerade die Einforderung des Gehorsams und der Wahrhaftigkeit sind heilsame Abtötungen des überbordenden Eigenwillens und der Eigenliebe. – Es ist also keine Härte, sondern fürsorgliche Barmherzigkeit, wenn die Eltern all das Unkraut der Erbsünde im Kinde durch ihre Erziehung möglichst unschädlich machen, damit es später, in den Reifejahren, frei ist, und möglichst ungehindert in der Tugend wachsen kann. Damit es ihm erspart bleibt – aufgrund einer zu großen Nachsicht der Eltern – derart an seine schlechten Gewohnheiten gekettet zu sein, sodaß es, statt ungehindert in der Tugend wachsen zu können, zuvor erst einmal in einem langwierigen, zähen Ringen seine eingewurzelten Laster überwinden muß.

Es verhält sich dabei wie mit einem Menschen der durch eine schwere Verletzung oder Krankheit stark geschwächt ist. Um die Krankheit in Schach zu halten, muß er sich oft über Monate und Jahre hinweg einer strengen Disziplin oder Diät unterziehen. Auf manche Genußmittel muß er vollständig verzichten, muß seine Ernährungs- und Lebensgewohnheiten komplett umstellen. Derlei Übungen müssen sodann verinnerlicht und zur Routine werden, um die frühere Stärke wieder zurückzuerlangen. Dasselbe gilt von unserer geschwächten Seele. Wenn wir nicht durch die Medizin der Abtötungen ernsthaft an uns arbeiten, werden wir uns nie von der Verwundung durch die Erbsünde erholen, sondern stets schwächlich und kränklich bleiben. In der Folge werden wir uns auch sehr schwer tun das übernatürliche Leben der heiligmachenden Gnade in uns zu bewahren, geschweige denn es zur Entfaltung zu bringen. Wie im Gartenbau, von jenen Pflänzchen, die durch Pilzbefall geschwächt wurden, keine schönen, großen Früchte erwartet werden dürfen, so auch kein bemerkenswertes Tugendwachstum von einer Seele, die von den Auswirkungen der Erbsünde beherrscht wird.

Hinzu kommt ferner noch, daß die Erbsünde die Seele ja nicht nur im Guten schwächt, sondern sie auch noch geneigt macht, sich andere Sünden anzugewöhnen. Genauso wie ein Mensch mit geschwächtem Immunsystem dazu geneigt ist, nicht nur eine bestimmte Krankheit, sondern alle möglichen Krankheitserreger aufzufangen und permanent schlapp, erkältet und kränklich zu sein. Die freiwillige Abtötung der Buße ist eine Stärkung unseres geistlichen Immunsystems.

Wie die wirksamsten Heilmittel anfänglich zumeist bitter und widerwärtig schmecken, so auch dieses. Doch mit der Zeit, je mehr der Mensch den Nutzen und den persönlichen Gewinn daraus einsieht, wird er die Bußübungen hochschätzen und dieselben, ungeachtet ihrer Bitterkeit, gerne zur Anwendung bringen. Gerne nicht wegen der damit verbundenen Schwierigkeit, sondern wegen ihrer heilsamen Wirkungen.

Zweites Motiv: Die Wiedergutmachung unserer persönlichen Sünden

Zweitens müssen wir uns abtöten, zur Wiedergutmachung unserer persönlichen Sünden. Christus hat zwar durch Sein Leiden und Sterben am Kreuz vollkommene Genugtuung für die Sünden der ganzen Menschheit geleistet, doch lehrt uns der Völkerapostel, daß jeder von uns einen gewissen Anteil der Wiedergutmachung selber – mit und in Christus – zu leisten hat. Er sagt: „Ich will das in meinem Fleische ergänzen, was an den Leiden Christi noch aussteht“ (Kol. 1, 24). Zwar nicht zur Tilgung der Sündenschuld, aber doch zur Wiedergutmachung und Milderung der Sündenstrafen, ist unsere „Ergänzung“ mit aufgerufen.

Jedesmal wenn wir sündigen, fügen wir unserer Seele Schaden zu. Wie wir sagten ist die Seele bereits geschwächt durch die fortwährende Wirkung der Erbsünde. Aber durch jede aktuelle Sünde vergrößern wir die Schwäche, die uns noch mehr geneigt macht zu sündigen.

Aus der Heiligen Schrift wissen wir, daß der Gerechte siebenmal am Tag in Sünde fällt (vgl. Spr. 24, 16). Nehmen wir an, jeder von uns sei „gerecht“– d.h. frei von der Verstrickung in die Todsünde – dann würden wir aufgrund unserer erbsündlichen Schwäche, doch immerhin siebenmal am Tag läßlich sündigen. In einem Jahr würde der Gerechte somit auf 2.555 begangene Sünden kommen. Und im Laufe eines gerechten Lebens, sagen wir bei einem siebzigjährigen Gerechten, hätte sich die Sündenstrafe für 178.850 begangene läßliche Sünden aufgehäuft. – Um uns das zu veranschaulichen, erinnern wir uns an einen Vergleich aus dem Katechismusunterricht, wo die läßliche Sünde mit einer Delle im Auto verglichen wird. Die Todsünde wäre ein Totalschaden. Jede läßliche Sünde ist im Vergleich dazu eine Delle im schönen neuen Wagen. In einer Woche hätten wir schon 49 Dellen; in einem Monat kämen wir auf mehr als 200! Und stellen wir uns vor, wie das neue Auto am Ende eines einzigen Jahres aussehen würde. Denken wir schließlich an den Schaden, den eine Seele im Laufe eines ganzen Menschenlebens nimmt – immer unter der Voraussetzung, daß es sich um einen „Gerechten“ handelt, der keine Todsünde begangen hat!

Mit den Abtötungen, welche wir freiwillig auf uns nehmen, reparieren wir den Schaden, den wir unserer Seele aufgrund unserer Bosheit und Schwäche zugefügt haben. Die Buße stellt die ursprüngliche Schönheit der Seele wieder her. In der Fastenzeit geben wir also unseren Wagen gleichsam in die Werkstatt. Die sakramentale Beichte repariert sogar den Totalschaden der Todsünde, stellt also die grundlegenden Funktionen wieder her. Die Bußwerke – Gebet, Fasten und Almosen – reparieren den Blech- und Lackschaden.

Freilich müssen dabei Umfang und Maß der Bußwerke dem entstandenen Schaden entsprechen. Wer mehr gesündigt hat, muß auch mehr Buße tun, als jener der weniger gesündigt hat. So erklärt es der hl. Papst Gregor d. Gr. im Anschluß an die Forderung des hl. Johannes des Täufers „würdige Früchte der Buße“ (vgl. Lk. 3, 8) zu bringen: „Weil wir aber gesündigt haben, weil wir durch häufige Übung des Bösen schon in schlimme Gewohnheiten verstrickt sind, so soll er [der Täufer] uns sagen, was wir tun müssen, um dem zukünftigen Zorn zu entfliehen. Er sagt: ‚Bringet also würdige Früchte der Buße!‘ Hier ist wohl zu beachten, daß der ‚Freund des Bräutigams‘ uns ermahnt, nicht nur Früchte, sondern würdige Früchte der Buße zu bringen. Denn es ist ein großer Unterschied, Früchte der Buße oder würdige Früchte der Buße zu bringen. […] Wenn (aber) jemand in die Sünde […] gefallen ist, der muß auch in erlaubten Dingen so viel Abbruch tun, als er zuvor Unerlaubtes getan hat. Denn die Früchte guter Werke dürfen nicht gleich sein bei dem, der wenig, und bei dem, der viel gesündigt hat; oder bei dem, der in gar keine, und bei dem, der nur in einige, und bei dem, der in zahlreiche Sünden gefallen ist. Durch die Mahnung: ‚Bringet würdige Früchte der Buße‘, wird jeder im Gewissen verpflichtet, sich durch die Buße um so reichere Schätze an guten Werken zu erwerben, je größeren Schaden er sich durch die Sünde zugefügt hat“ (hom. in Ev. 20; PL 76, 1163 f.).

Drittes Motiv: Die Gleichgestaltung mit dem Gekreuzigten Christus

Schließlich gibt uns der hl. Paulus noch ein drittes Motiv, um uns zu freiwilliger Buße zu bewegen, nämlich die Notwendigkeit, daß wir Christus ähnlich werden müssen, und zwar Christus, dem Gekreuzigten! Wie wir bereits gehört haben, fordert der Herr selbst von Seinen Jüngern Opferbereitschaft und Kreuzesnachfolge. Und der hl. Paulus sagt: „Ich halte dafür, daß die Leiden dieser Zeit nichts bedeuten im Hinblick auf die künftige Herrlichkeit, die an uns offenbar werden wird“ (Röm. 8, 18). Wir dürfen nicht meinen, daß es für unsere Erlösung hinreichend sein könnte, daß wir Christus lediglich als unseren Gott und Erlöser annehmen müßten. Das wäre Protestantismus. Als Katholiken müssen wir auch jeden Tag, zusammen mit Christus, das Kreuz besteigen. Wenn wir nicht zusammen mit Christus am Kreuz sterben, dann können wir auch nicht mit Ihm zusammen wiederauferstehen zur ewigen Herrlichkeit. Wie Christus, müssen auch wir täglich Gott unser Opfer darbringen. Wir bezeichnen ja deshalb unser Leben als „christliches Leben“, weil dieses unser Leben, dem Leben Christi ähnlich sein muß. Weil wir „Christen“ heißen, deshalb müssen wir Christus nachahmen. Und weil sich Christus an jedem Tag Seines Erdenwandels dem himmlischen Vater im Hinblick auf Sein Kreuzesopfer dargebracht hat, deshalb müssen auch wir dasselbe tun. Die Teilnahme am hl. Meßopfer, welche uns das Kirchengebot wenigstens einmal in der Woche auferlegt, soll diesen Gedanken in uns lebendig halten. Wir müssen eine Opfergabe für Gott sein. Damit unser Opfer aber Gott wohlgefällig ist, muß es dem Opfer Christi gleichen.

Gerade der letzte Gedanke hat in der Vergangenheit so viele Seelen angetrieben, sich im Ordensstand gänzlich zu einer Opfergabe, zu einem täglichen Brand- und Ganzopfer zu machen. Jeden Tag erklimmen die Ordensleute durch ihre Gelübde den Kalvarienberg und bringen sich zusammen mit Christus Gott zum Opfer dar, indem sie die dreifache Begierlichkeit in sich kreuzigen. Sie kreuzigen die Fleischeslust durch das Gelübde der Keuschheit. Sie kreuzigen die Augenlust bzw. Habsucht durch das Gelübde der Armut. Und sie kreuzigen den Stolz und die Selbst-Herrlichkeit – d.h. das Streben nach selbstbestimmter Unabhängigkeit – durch das Gelübde des Gehorsams. Mit dem hl. Paulus können sie sagen: „Mit Christus bin ich ans Kreuz geheftet. Die aber Christus Jesus angehören, haben ihr Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Begierlichkeiten“ (Gal. 2, 19b; 5, 24). „Allezeit tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Körper mit herum, damit auch das Leben Jesu an unserem Körper offenkundig werde“ (2. Kor. 4, 10).

Wenn wir den Gipfel des Kalvarienberges ersteigen, wem werden wir dort begegnen? Gewiß unserer lieben Frau, der Jungfrau und Gottesmutter Maria. Sie ist die „Mutter der Schmerzen“. Aber nicht nur ihr, sondern allen Seelen, die Christus am nächsten standen. Es sind die mitgekreuzigten, abgetöteten Seelen der Heiligen. Für jede dieser Seelen ist es ein Privileg das Kreuz zu tragen. Es ist eine Auszeichnung für sie, sich täglich mit Christus in irgendeinem persönlichen Opfer zu verbinden. Sie sehen es als ein Privileg, in irgendetwas für Jesus zu leiden. Das ist ihnen sogar eine Quelle des Trostes, wie wir es den Worten des hl. Paulus entnehmen: „Denn wie die Leiden Christi auf uns überströmen, so strömt durch Christus auch unser Trost über“ (2. Kor. 1, 5). „Ich bin voll des Trostes, überreich an Freude bei all unserer Bedrängnis“ (2. Kor. 7, 4b). – Diese Seelen sehen sodann auch auf ihr Leben aus einem gänzlich anderen Blickwinkel, als die Weltmenschen es tun. Dieses Leben ist kurz. Es geht vorbei. Es ist der Kaufpreis des ewigen Lebens. Deshalb muß es eingesetzt werden. Ja, es müssen alle Kräfte aufgeboten werden, um das ewige Leben in größtmöglicher Fülle zu erlangen. Wir dürfen also nicht dem Naturalismus unserer Tage verfallen, als bestünde unsere Hauptaufgabe darin, uns das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Nein, jeder Tag soll uns Gott näher bringen. Das Bild des Gekreuzigten soll uns stets daran erinnern. – Warum steht in der Mitte des Altares das Kreuz? Warum bringen wir das Kreuz in unseren Häusern und Wohnräumen an? Warum tragen wir ein Kreuz mit uns, oft an einer Halskette über dem Herzen? Warum, wenn nicht, um beständig das Ideal des christlichen Lebens vor Augen zu haben; um beständig daran erinnert zu werden, daß wir dem Gekreuzigten ähnlich werden müssen; daß wir der Sünde sterben müssen; daß wir uns selbst absterben müssen; daß wir all den geschaffenen Personen und Dingen absterben müssen, die uns nicht zu Gott führen. Sogar im Erlaubten müssen wir eine Zeitlang Abbruch tun, um nicht von den erlaubten Dingen zu unerlaubtem Tun verleitet zu werden. – Im Abendmahlsaal sprach Jesus zu den Aposteln nach der Fußwaschung: „Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, damit auch ihr so tut, wie Ich getan habe.“ Dieses Wort läßt sich auf das gesamte Leben Jesu anwenden, auf Sein 40-tägiges Fasten und insbesondere auf Sein Kreuzesopfer. „Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, damit auch ihr so tut.“

Mitsterben – Mitauferstehen

Möge somit diese hl. Fastenzeit für uns alle ein Frühling für die Seele werden. Möge unser Herz von der Liebe Christi erfaßt werden, damit wir nicht widerwillig und mißmutig, sondern voll Eifer die Abtötungen und Opfer dieser hl. Gnadenzeit auf uns nehmen.

Um uns dazu anzuspornen, haben wir heute drei Beweggründe kennengelernt, welche uns den Sinn und Zweck der Bußwerke verständlich machen: 1. Die Abtötungen bekämpfen den Zündstoff zur Sünde; jene schädlichen Neigungen in uns, welche die Erbsünde zurückgelassen hat. 2. Die Bußwerke machen den Schaden, den wir unserer Seele durch persönliche Sünden zugefügt haben, wieder gut. Und 3. verähnlichen uns die Werke der Abtötung mit Christus, dem Gekreuzigten. Entsprechend dem Maße unseres Anteils am Kreuz Christi, werden wir auch einst an der Herrlichkeit Seiner Auferstehung teilhaben: „Oder wißt ihr nicht“, fragt der hl. Paulus, „daß wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, in Seinen Tod hineingetauft wurden? Wir wurden also durch die Taufe in den Tod hinein mitbegraben mit Ihm, damit, wie Christus auferweckt wurde von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir den Weg des neuen Lebens gehen. Sind wir nämlich miteinbezogen worden in die Gestalt Seines Todes, werden wir gewiß auch einbezogen sein in die Gestalt der Auferstehung“ (Röm. 6, 3-5). Amen.

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