Sonntag Sexagesima
Der Hauptfehler
Geliebte Gottes!
Am vergangenen Sonntag hat uns der Herr in den Weinberg unserer Seele gerufen. Er will, daß wir in der bevorstehenden Fastenzeit, wieder voll Eifer die Ärmel hochkrempeln und an uns arbeiten. Dafür hat Er uns einen fürstlichen Lohn versprochen: den Denar des ewigen Lebens.
Und heute werden wir auch schon auf den Acker geführt, um in die bevorstehende Arbeit eingewiesen zu werden. Dabei geht es noch gar nicht darum in die Hände zu spucken und voll Tatendrang loszulegen. Nein, wenn wir das tun würden, liefen wir Gefahr „ins Ungewisse zu laufen“ und lediglich unwirksame „Luftschläge“ auszuführen (vgl. 1. Kor. 9, 26 f.), also womöglich unsere Kräfte sinnlos zu vergeuden.
Notwendigkeit der Prüfung
Deshalb führt uns der Herr im Gleichnis vom Sämann vor Augen, daß wir zuerst für eine gute Aufnahmebereitschaft auf dem Ackergrund unserer Seele sorgen müssen, bevor in der Fastenzeit der Same des Gotteswortes und der Gnade reichlich ausgebracht werden kann. Die Seele muß geöffnet werden, um den Samen des Evangeliums und die Saat der übernatürlichen Gnade empfangen und tief in sich aufnehmen zu können; damit daraus im Laufe des Jahres der dreißig-, sechzig-, ja hundertfache Ertrag im Tugendwachstum und an Guten Werken erzielt werden kann.
Wie der Bauer, ehe er im Frühjahr sein Feld bestellt, den Acker begutachtet, um zu sehen, an welchen Stellen der Boden derart verdichtet ist, daß er nichts aufnehmen kann; wo in kargen Bereichen tiefer gepflügt und besser gedüngt werden müßte, um Steine zu entfernen und die Bodenqualität zu heben; an welchen Stellen das Unkraut in Schach gehalten werden muß, so müssen auch wir dieser Tage Gewissenserforschung halten und prüfen, in welchen Bereichen unseres Lebens wir Verhärtungen in unserem Herzen feststellen, wo es uns an geistlichem Tiefgang und an Glaubensfestigkeit fehlt, welche Sorgen, Reichtümer und Genüsse der Welt in uns, gleich dem Unkraut, die göttliche Saat zu ersticken drohen.
Erst wenn wir das Feld unseres Herzens begutachtet haben, können wir uns, wie der Bauer, in einem zweiten Schritt, die passenden Arbeitswerkzeuge auswählen, um die Bodenqualität zu verbessern. Die Werkzeuge, das sind die Vorsätze, die es jetzt während der Septuagesima zu fassen und dann in der Fastenzeit konsequent in die Tat umzusetzen gilt.
Die Wahl der Werkzeuge
Dabei ist zu beachten, daß man sich nicht zu viele Dinge auf einmal vornehmen sollte. Sie finden in der Gottesdienstordnung zwar einen ganzen „Rucksack“ voll zur Anregung. Jedoch ist mit Bedacht eine Auswahl zu treffen! Vielleicht ist es ratsam, sich nur drei Dinge für die Fastenzeit vorzunehmen, um unsere Kräfte weder zu überfordern, noch zu verzetteln.
Dabei sollte sich der erste Vorsatz auf das Gebetsleben beziehen. Etwa, daß man sich vornimmt eingeschlafene Gebetsübungen, wie den täglichen Rosenkranz oder die Betrachtung am Morgen, wieder zu beleben; oder für die Dauer der Fastenzeit, zu den gewöhnlichen Gebetsübungen noch eine passende Andacht oder Litanei zusätzlich hinzu zu nehmen; oder – wo ein „mehr beten als sonst“ nicht möglich ist – daß man sich vornimmt, besser und andächtiger zu beten, d.h. daß man sich wieder mehr Zeit dafür nimmt, etc.
Ein zweiter Vorsatz sollte eine gewisse Abtötung beinhalten; einen Verzicht auf etwas, das man gerne hat, oder eine Sache, die Überwindung kostet. Etwa, daß irgendeine lästige Beschäftigung, die wir sonst gerne vor uns herschieben oder nur schlampig erledigen, fortan, aus Liebe zu Gott, pünktlich und mit Gewissenhaftigkeit in Angriff genommen wird. Ferner wäre der Verzicht auf bestimmte Genußmittel denkbar; etwa auf Tabak, auf Süßigkeiten oder auf Alkohol. Sehr zu empfehlen ist für die Abtötung der Gaumenlust das sog. „Jesuitische Fasten“, bei dem man sich mehr an jenen Speisen sättigt, die dem Geschmacksinn weniger zusagen. Bekanntlich wird man auch von dem, was nicht so gut schmeckt, genauso satt.
Der dritte Vorsatz schließlich ist vielleicht der wichtigste und gleichzeitig auch der am schwierigsten auszuwählende. Der dritte Vorsatz sollte nämlich unseren Hauptfehler bekämpfen. Da stellt sich natürlich zuerst einmal die Frage: Was ist überhaupt der Hauptfehler?
Was heißt Hauptfehler?
Der hl. Ignatius von Loyola erklärt in seinem Exerzitienbüchlein: „Er [der Teufel] verfährt mit uns wie ein Feldherr, der eine Festung erobern will. Dieser sucht vor allem jene Stelle auszukundschaften, an der die Mauer am schwächsten ist. Dagegen läßt er seine Geschütze richten und seine Mannschaft anstürmen. So hofft er, am leichtesten in die Stadt eindringen zu können. Genau so macht es der böse Feind: er sucht bei uns die schwächste Stelle, um uns da anzugreifen, weil er hofft, uns hier am leichtesten besiegen zu können“ (Nr. 327). Unsere Seele gleicht einer Burg, die durch die verschiedenen Tugenden befestigt und verteidigt ist. Der Hauptfehler ist der schwächste Punkt in uns, der nicht hinreichend durch eine Tugend geschützt ist. An dieser Stelle ist man leicht verwundbar, und der Teufel findet sie mit Leichtigkeit. Hier dringt er immer wieder ein, um möglichst großen Schaden anzurichten. Der Hauptfehler ist also sehr gefährlich für das Heil unserer Seele. Er ist wie ein Riß in einer Mauer, wie eine unbemerkte, aber tiefgehende Spalte in einer schönen Hausfassade, die ein starker Stoß zum Einsturz bringen kann. Wenn man ihn nicht energisch bekämpft, wird er sich entwickeln, und so vermag er das Werk der Gnade in einer Seele völlig zu ruinieren und einen Menschen ins Verderben zu reißen.
So kann z. B. eine Antipathie, eine gefühlsmäßige Abneigung gegen einen bestimmten Menschen, die man nicht mit Hilfe der rechten Vernunft, durch den Geist des Glaubens und der übernatürlichen Liebe mit Wachsamkeit korrigiert, unheilvolle Wirkungen in einer Seele anrichten und sie zu schweren Ungerechtigkeiten im Urteilen, Reden und Tun führen. Dadurch fügt sie sich selbst noch mehr Böses zu als dem Nächsten; denn es ist viel schädlicher, Unrecht zu tun, als es zu leiden. Es ist darum äußerst wichtig, unsere schwächste Stelle zu erforschen und ausfindig zu machen, um sie leichter bewachen und durch geeignete Gegenmaßnahmen besser schützen zu können.
Das Oberhaupt unserer Fehler
Wie unterscheidet sich nun der Hauptfehler von allen anderen Fehlern und Schwächen, die wir an uns feststellen? Unser Hauptfehler ist jener, der alle übrigen Fehler in seinen Dienst zu stellen sucht und damit unsere Art, zu fühlen, zu urteilen, Sympathie zu empfinden, zu wollen und zu handeln, beherrscht. So kann die Genußsucht in einem Menschen bewirken, daß das ganze Denken, Wollen und Fühlen ausgerichtet ist auf Bequemlichkeit und Genuß. Je mehr man den Hauptfehler gewähren läßt, um so mehr will er herrschen. Es ist wie bei einem Acker, wo sich das Unkraut eingenistet hat. Wenn man ihm nicht zu Leibe rückt und es unbarmherzig ausrottet, breitet es sich immer weiter aus und überwuchert die ganze Fläche, so daß die anderen Pflanzen verkümmern und völlig verdrängt werden.
Der Hauptfehler will, wie sein Name sagt, das Oberhaupt sein. Er zieht den Menschen in die verkehrte Richtung ab und beherrscht ihn. Auf sein Betreiben hin ist die Seele nicht in der Weise auf Gott, auf die Tugenden und die übernatürlichen Güter ausgerichtet, wie es zum geistlichen Wachstum erforderlich wäre, sondern auf die Neigung des jeweiligen Hauptfehlers hin.
Es ist offensichtlich, daß der Teufel ein großes Interesse daran hat, sowohl den Hauptfehler in uns zu hegen und zu pflegen, um Gottes Einfluß auf die Seele zu behindern und wenn möglich ganz zu unterbinden, als auch, uns daran zu hindern den Hauptfehler zu erkennen, daß wir es unterlassen, ihn zu bekämpfen.
Was charakterisiert den Hauptfehler?
Der Hauptfehler steht in der Regel in einer tiefen, inneren Beziehung zu unserem persönlichen Temperament. Jeder Mensch hat Licht- und Schattenseiten, Vorzüge und Schwächen, die den vier Temperamenten zugeordnet werden können. Es gibt Temperamente, die zur Trägheit, zur Gleichgültigkeit, zur Weichlichkeit, zur Genußsucht, zur Sinnlichkeit führen. Andere führen besonders zur Empfindlichkeit, zum Ehrgeiz, zum Zorn, zum Neid und zum Stolz.
Erstaunlicherweise ist der Hauptfehler nun gerade dort zu finden, wo unser Hauptvorzug, also unsere starke Seite ist. Er geht Hand in Hand mit unserer natürlichen Hauptqualität. Dies mag sonderbar klingen, ist aber bei genauerer Betrachtung einleuchtend, wie folgende Beispiele zeigen sollen:
Leicht aufbrausende, cholerisch veranlagte Menschen haben ein energisches und starkes Temperament, das sie befähigt Schwierigkeiten zu überwinden und große Werke in die Tat umzusetzen. Solange aber der natürliche Vorzug ihrer kraftvollen Bestimmtheit noch nicht durch die Tugend beherrscht und vervollkommnet ist, neigen sie zu Exzessen, nämlich zu unkontrolliertem Zorn, zum Eigensinn und zum Stolz. Und darin besteht der Hauptfehler. Der Hauptfehler ist also eine Entartung des Hauptvorzuges.
Die gutmütig veranlagten Phlegmatiker sind aufgrund ihres Naturells zur Sanftmut und Geduld geneigt. Sie laufen jedoch leicht Gefahr, daß diese glückliche Neigung zur Weichlichkeit, Schwäche, Nachgiebigkeit, Trägheit und Genußsucht ausartet.
Die leutseligen Sanguiniker haben viele Qualitäten: sie sind der Sonnenschein einer Gemeinschaft; sind gesellig, hilfsbereit, sozial gesinnt, umgänglich und sympathisch. Diese Neigung ihres Temperaments kann sie aber zur Veräußerlichung, Neugier, Geschwätzigkeit und Gefallsucht, sowie zu einem Mangel an Disziplin und an Grundsätzen verleiten.
Die empfindsame Natur des Melancholikers ist feinfühlig und einfühlsam, oft auch künstlerisch begabt. Genauigkeit, Effizienz und Perfektion sind seine Maßstäbe, weshalb er leicht zu Traurigkeit und Schwermut, Ängstlichkeit und zum Pessimismus neigt. Menschen, die sehr empfindsam, gewissenhaft und genau sind, können leicht der Empfindlichkeit und dem Argwohn, sowie einer rechthaberischen Kleinlichkeit verfallen, welche für die Mitmenschen recht unangenehm sein kann.
Je nach der persönlichen Veranlagung sind die Hauptschwächen also verschieden. So ist auch der sittliche Kampf und das Ringen um Vollkommenheit für jeden unterschiedlich. „Wir steigen nicht alle den gleichen Hang hinauf zum Gipfel der Vollkommenheit“, sagt ein geistlicher Lehrer. Jeder hat einen anderen Hauptfehler zu bekämpfen. – Wer ein zur Weichlichkeit neigendes Temperament hat, muß mit Hilfe des Gebetes, der Gnade und der Tugendübung stark und charakterfest werden. Jene hingegen, die von Natur stark sind und leicht zur Härte und Unnachgiebigkeit neigen, müssen durch die Arbeit an sich selbst und mit Hilfe der Gnade mild werden.
Aus dem Hauptfehler erwachsende Gefahren
Der Hauptfehler gefährdet also vor allem unseren Hauptvorzug, indem er diesen von der Bestimmung Gott zu verherrlichen abzieht und ihn stattdessen zu selbstsüchtigen Zwecken mißbraucht. Man muß also besonders darauf achthaben, daß der vorherrschende Fehler unsern natürlichen Hauptvorzug und den besonderen Zug der göttlichen Gnade in uns nicht erstickt. Stattdessen muß unser Temperament durch die dem Hauptfehler entgegengesetzte Tugend und unter dem Einfluß der Gnade umgeformt und vervollkommnet werden. Der Choleriker könnte nämlich eine große Führungspersönlichkeit werden, wenn er an seiner Selbstbeherrschung beharrlich arbeitet und mit der Gnadenhilfe Gottes mitwirkt. Wenn er sich aber seinem zornmütigen Temperament überläßt, entartet seine Kraft zu unvernünftiger Heftigkeit. Statt mit einer starken Persönlichkeit, haben wir es dann mit einem unausstehlichen Tyrannen oder einem schwierigen Einzelkämpfer zu tun.
Der Feind benützt den Hauptfehler außerdem, um die Menschen untereinander zu entzweien und gegeneinander aufzubringen. Er versteht es, die Fehler des Nächsten in unseren Augen zu vergrößern und aus dem Sandkorn einer Kleinigkeit den Berg eines „prinzipiellen Problems“ zu machen, indem er gleichsam vor unsere Phantasie eine Lupe hält. So werden wir gegen unsere Brüder aufgebracht, anstatt mit ihnen einmütig für das Reich Gottes zu arbeiten. Daraus erkennt man, wieviel Böses bei einem jeden von uns wegen unseres Hauptfehlers entstehen kann, wenn wir ihn nicht sorgfältig und ausdauernd bekämpfen.
Wie erkennen wir unseren vorherrschenden Fehler?
Zunächst müssen wir den Hauptfehler ehrlich suchen und dürfen uns keiner Selbsttäuschung hingeben. Da man sich seiner Schwäche meistens naturgemäß schämt, ist es leicht sie auszublenden und unbewußt zu verdrängen. Niemand gibt sich ja gerne eine Blöße. Zudem besteht der Hauptfehler oft in einer ungeordneten Neigung, an der man hängt und die man nicht gerne aufgibt. „Liebe macht blind“, sagt man. So macht uns erst recht die ungeordnete Eigenliebe blind für eine wahre Selbsterkenntnis. Darüber hinaus unternimmt auch der Teufel – wie wir schon sagten – alles, um die Entdeckung des Hauptfehlers zu verhindern.
Bei den Anfangenden mag es noch ziemlich leicht sein, den Hauptfehler auszumachen. Aber später ist der vorherrschende Fehler weniger auffällig; denn er sucht sich unter dem Anschein der Tugend zu verbergen. Die stolze Geltungssucht gibt sich etwa nach außen schön als Hochherzigkeit. Der Kleinmut sucht sich unter dem Gewand der Demut zu verstecken. Der Jähzornige wird sich einreden: „Meine Heftigkeit ist heiliger Eifer für die Gerechtigkeit und die Ehre Gottes!“ Der Träge glaubt, seine Nichtstuerei sei ruhige Besonnenheit und kluge Schonung seiner Kräfte. Unsere Blindheit geht bisweilen so weit, daß wir dem Nächsten, der auf unseren Hauptfehler hinweist, entgegnen: „Ich habe ja sehr viel Verkehrtes an mir, aber diesen Fehler habe ich wirklich nicht!“ Gleichwohl muß man den vorherrschenden Fehler herausfinden; wenn man ihn nämlich nicht erkennt, kann man ihn nicht bekämpfen, und ohne Kampf gegen ihn ist kein wahres inneres Leben möglich. Welche Mittel und Wege gibt es den Hauptfehler zu enttarnen?
Um ihn herauszufinden, muß man zuerst Gott um das Licht einer rechten Selbsterkenntnis bitten: „Herr, laß mich die Hindernisse erkennen, die ich bewußt oder unbewußt dem Wirken der Gnade in mir entgegenstelle! Gib mir auch die Kraft, sie zu entfernen, und wenn ich es versäume, entferne Du selbst sie, und müßte ich auch noch so viel dafür leiden!“
Wenn man auf diese Weise mit aller Aufrichtigkeit um Erleuchtung gebetet hat, muß man sich sodann ernsthaft prüfen. Man frage sich: „Worauf zielen für gewöhnlich meine Hauptsorgen? Worauf zielen meine Gedanken wenn ich morgens erwache oder wenn ich allein bin? Wohin eilen meine spontanen Wünsche?“
Um den Hauptfehler herauszufinden, kann es ferner helfen sich zu fragen: „Was ist im allgemeinen die Ursache oder Quelle meiner Traurigkeit und meiner Freude? Was ist das allgemeine Motiv, also der Beweggrund meiner Handlungen?“ Ist beispielsweise jemand oft bewegt von der Sorge um seine Ruhe und Behaglichkeit, wird er unschwer in der Trägheit den vorherrschenden Fehler finden.
Sodann: „Was ist der gewöhnliche Ursprung meiner Sünden?“ Etwa: Warum habe ich gelogen? Aus Angeberei; aus Rechthaberei? Dann hätte die Lüge Geltungssucht und Stolz als Ursache. Oder geschah es aus feiger Ängstlichkeit? Dann läge der Sünde ein Mangel an Tapferkeit zugrunde. Eine Lüge kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Die Einzelsünde ist nur das Symptom. Der Hauptfehler ist die sich dahinter verbergende Ursache. Diese gilt es auszuforschen. – „Was ist der Grund dafür, daß ich immer wieder in eine bestimmte Sünde falle, derer ich mich bei fast jeder Beichte anklagen muß?“ Die Antworten auf derlei Fragen können uns helfen, herauszufinden, welche schlechte Neigung unser Denken, Urteilen, Wünschen, Reden, Tun und Lassen dominiert.
Hilfreich kann es u.U. sein, den Beichtvater nach unserem Hauptfehler zu fragen. Niemand urteilt ja richtig in eigener Sache, weil durch die Eigenliebe befangen sind. Als Außenstehender hat der Beichtvater oft ein besseres Urteil, insbesondere wenn er uns zuvor in zahlreichen, aufrichtigen Beichten kennenlernen konnte. Im Kampf gegen den Hauptfehler zahlt sich also die aufrichtige und schonungslose Selbstanklage im Bußgericht aus. Oft hat unser Beichtvater diesen Fehler in uns längst entdeckt, bevor wir auf ihn aufmerksam werden.
Schließlich kann man den vorherrschenden Fehler aus jenen Versuchungen erkennen, die unser Feind am häufigsten in uns verursacht; denn er greift uns – wie der Feldherr – vor allem am schwächsten Punkt unserer Verteidigung an.
Endlich zielen auch in den Augenblicken wahren Eifers die Einsprechungen des Hl. Geistes gerade darauf ab, auf dem Gebiet des Hauptfehlers Opfer von uns zu verlangen.
Wenn wir aufrichtig diese verschiedenen Mittel der Unterscheidung gebrauchen, so kann es uns nicht allzu schwerfallen, den „inneren Feind“ zu erkennen, den wir in uns tragen und der uns zu seinem Sklaven macht, wie Christus sagt: „Wer sich der Sünde hingibt, ist Knecht der Sünde“ (Joh. 8, 34). Deshalb müssen wir ein glühendes Verlangen haben, insbesondere in dieser Fastenzeit, aus seiner Sklaverei auszubrechen.
Wie bekämpft man den vorherrschenden Fehler?
Hat man seinen Hauptfehler entdeckt, muß man ihn natürlich bekämpfen: aufrichtig, energisch und beharrlich. Solange er nicht ernsthaft bekämpft wird, bleiben alle anderen Frömmigkeitsübungen, Abtötungen und Vorsätze ihrer Durchschlagskraft beraubt und es kann keinen wahren Fortschritt geben. Man muß also wirklich dort anpacken, wo es notwendig ist, sonst bleibt die Gnade behindert. Unsere sonstigen Bemühungen blieben fruchtlos und wären bloße Scheingefechte auf Nebenschauplätzen. Wie müssen wir also gegen den Hauptfehler vorgehen?
In diesem geistlichen Kampf muß man vier Mittel anwenden: das Gebet; die Übung der dem Hauptfehler entgegengesetzten Tugend; die Selbstprüfung und schließlich eine selbstauferlegte Buße.
- Das aufrichtige Gebet: Wir dürfen nicht auf unsere eigenen Kräfte bauen, sondern müssen zu Gott unsere Zuflucht nehmen und Ihn einladen, unseren Kampf anzuführen: „Herr, zeige mir das Haupthindernis meiner Heiligung, – das, was mich an der Ausnützung der Gnade und der äußeren Schwierigkeiten hindert, die zum Besten meiner Seele ausschlagen würden, wenn ich darin besser bei Dir Hilfe zu suchen wüßte.“ Die Heiligen gingen soweit, nach Art eines hl. Ludwig Bertrand zu sagen: „Hier [in diesem Leben] brenne, säge, schneide, Herr; nur schone meiner in der Ewigkeit!“ Der hl. Bruder Klaus von Flüe pflegte einfach zu beten: „Herr, nimm alles mir, was mich hindert zu Dir! Gib alles mir, was mich fördert zu Dir! Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir!“
- Sodann müssen wir vor allem die dem Hauptfehler entgegengesetzte Tugend üben. Der zu Ungeduld und Zorn Neigende, muß die Sanftmut unseres Heilandes betrachten und lernen, Ihm zuliebe sich zu überwinden. Der Stolze muß sich bescheiden, sich gerne unterordnen und Erfolge allein Gott zuschreiben. Der Weichliche muß sich eine konsequente Disziplin, der Sinnliche eine ernsthafte Abtötung auferlegen. Der Ängstliche muß sich um ein großes kindliches Gottvertrauen bemühen. Die konkrete Übung dieser – unserem Hauptfehler entgegengesetzten – Tugend muß der dritte Vorsatz für die Fastenzeit sein!
- Damit das Beten und die Tugendübung wirksam werden können, ist die Wachsamkeit unerläßlich. Neben der allgemeinen Gewissenserforschung am Abend, sollen wir uns täglich besonders auch auf den Hauptfehler hin prüfen. Unerläßlich ist es für den Geschäftsmann jeden Tag genau nachzurechnen, wieviel er eingenommen und wieviel er ausgegeben hat. Wenn uns die Notwendigkeit der täglichen Kassenprüfung im finanziellen Bereich einleuchtet, wie sollte es uns dann übertrieben scheinen, uns täglich auch auf den Punkt hin zu prüfen, der im Hinblick auf den Gewinn oder Verlust der ewigen Güter entscheidend ist?
- Es ist schließlich sehr angebracht, sich eine Genugtuung, eine kleine Buße aufzuerlegen, sooft man in den Hauptfehler fällt. Als Buße dafür kämen in Frage: ein kurzes Stoßgebet, ein kurzer Akt der Reue und der Demütigung vor Gott, eine innere oder äußere Abtötung. Darin liegt eine kleine Wiedergutmachung des Fehlers und eine Genugtuung als ihm gebührende Strafe. Zugleich gewinnt man auf diese Weise mehr Sensibilität und Wachsamkeit, um zukünftig besser auf der Hut zu sein, bzw. sich nicht so leicht vom Hauptfehler überrumpeln zu lassen. So haben sich manche etwa von der Gewohnheit des Fluchens freigemacht, indem sie sich verpflichteten, jedes Mal zur Sühne ein kleines Almosen zu geben. Die kleinen Nadelstiche der Buße halten den Geist wach.
David gegen Goliath
Mit der Gnadenhilfe Gottes gelang es dem jungen Hirtenjungen David, den riesigen Krieger Goliath und dadurch die ganze Streitmacht der Philister zu besiegen. Der Riese Goliath versinnbildet den größten und gefährlichsten Feind in uns: den Hauptfehler. Er kann den Menschen zu seinem Sklaven erniedrigen, ja zugrunde richten, falls es nicht gelingt, ihn zu besiegen. Wenn jemand aber den Hauptfehler überwindet, dann hat er den Anführer all seiner sündhaften Neigungen und Unvollkommenheiten empfindlich getroffen und mit ihm alle anderen feindlichen Kräfte in der Seele. Wie die Tugenden, so sind nämlich auch die Laster miteinander verbunden. Fördern wir die eine, so erstarken auch die anderen. Treffen wir das Oberhaupt, so weicht auch das Gefolge zurück.
Im Vertrauen auf Gott gelang es David den übermächtigen Gegner mit seiner Schleuder zu fällen und mit seinem eigenen Schwert zu enthaupten, woraufhin das feindliche Heer die Flucht ergriff. Im Vertrauen auf die Gnadenhilfe Gottes werden auch wir in unserem Kampf gegen den Hauptfehler triumphieren können; wie das Konzil von Trient (6. Sitzung, 11. Kapitel) mit dem hl. Augustinus sagt: „Gott befiehlt nie Unmögliches, sondern befiehlt uns, daß wir tun, was wir können, und daß wir die Gnade erbitten, das zu ersetzen, was wir nicht können.“
Die drei Fastenvorsätze
Versuchen wir uns also als gewissenhafte Arbeiter im Weinberg in dieser Woche ein zutreffendes Bild vom Zustand unserer Seele zu machen und wählen wir dementsprechend die Vorsätze für diese Fastenzeit aus: 1. im Hinblick auf unser Gebetsleben; 2. im Hinblick auf eine Abtötung, einen Verzicht, eine Überwindung; 3. die Übung der dem Hauptfehler entgegengesetzten Tugend. Das sind die drei Werkzeuge, die wir mit Gottes Hilfe zur Anwendung bringen wollen, damit unsere Seelen jenes „gute Erdreich“ werde, von dem es im Evangelium heißt, es sind jene, die „das Wort hören, es in gutem, in sehr gutem Herzen bewahren und Frucht bringen in Geduld“. Amen.