Fest der Unbefleckten Empfängnis
„Die Schlangenzermalmerin“
Geliebte Gottes!
Gerade am vergangenen Sonntag haben wir uns vor Augen geführt, wie Gott den Erlöser der Welt durch die Propheten des Alten Testamentes vorherverkünden ließ. Dürfen wir da nicht annehmen, daß dabei nicht auch die Mutter eben dieses Erlösers durch prophetische Weissagungen vorhergesagt und vorherbeschrieben wurde? Genau das dürfen wir.
Der Sündenfall und Gottes Erbarmen
Die erste Weissagung, die von der Mutter des Erlösers spricht, reicht weit zurück. Sie stammt aus der Zeit des Paradieses und wurde uns von den Stammeltern Adam und Eva überliefert. Ewiges Glück hatte Gott den Stammeltern zugedacht. Durch eigene Schuld hatten sie es sich jedoch verscherzt. – Sie hörten auf die Schlange, glaubten der Lüge, sie würden sein wie Gott, wenn sie dessen Gebot überträten und von der verbotenen Frucht essen würden. Sie willigten in die erste Sünde ein und aßen. Damit haben sie sich von Gott, dem Quell des Lebens, losgerissen.
Die Folge war der Tod. Mit einem Schlag erstarb der wunderbare übernatürliche Organismus, den Gott in den Seelen der Stammeltern angelegt hatte. Es starb das göttliche Leben der heiligmachenden Gnade, die göttliche Liebe, die eingegossenen Tugenden, die sieben Gaben des Heiligen Geistes und ihre herrlichen Früchte. – Auch die natürlichen Kräfte ihrer Seele wurden schwer getroffen; der Verstand wurde verfinstert, der Wille so geschwächt, daß er fortan den aufbegehrenden Leidenschaften nur schwer standhalten konnte. Ja, die Wirkung der Todsünde dehnte sich von der Seele der Stammeltern sogar auch auf ihren Leib aus. Ihr Körper wurde leidensfähig, krankheitsanfällig, sterblich. Zu Feinden Gottes geworden, wurden sie aus dem Paradies vertrieben. Ein Cherub mit feurigem Schwert verwerte ihnen die Rückkehr in den Garten. Mit der Vergangenheit mußten sie für immer abschließen. Es blieb ihnen für diese nur die Reue.
Aber die erste Sünde im Paradies hatte Folgen nicht nur für Adam und Eva. Ihr tödliches Gift pflanzte sich seither fort auf alle ihre Nachkommen. Welche Vorwürfe machen sich nicht Eltern, die durch ihre Schuld nicht nur sich selbst um Ehre und Vermögen gebracht, sondern damit auch ihre Kinder in Armut und Verachtung gestürzt haben? Die Stammeltern wußten, daß all ihre Nachfahren des Paradieses beraubt sein würden.
Doch Gottes Erbarmen kannte keine Grenzen. Mitten in die Nacht des Unglücks; inmitten der Finsternis der Sünde, da ließ Gott einen Hoffnungsstern aufgehen. Kaum hatte Er den Stammeltern die Strafe angekündigt, da hörten sie, wie Er der höllischen Schlange, deren Verführungskünste sie zum Opfer gefallen waren, das Urteil sprechen: „Feindschaft will Ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Sie wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihrer Ferse nachstellen“ (Gen. 3, 15). Ein Hoffnungsschimmer in dunkler Nacht. Der Satan hat Gottes Werk nicht für immer zerstört.
Das Protoevangelium
„Feindschaft will Ich setzen zwischen dir und dem Weibe.“ Mußte sich da in den zerknirschten Herzen der Stammeltern nicht die leise Hoffnung regen: Feindschaft soll sein zwischen dem Teufel und Eva; also ausgerechnet derjenigen, die sich von den Einflüsterungen der Schlange hatte betören lassen. Feindschaft soll sein zwischen dem Teufel und Adam, aus dessen Seite Eva genommen war. Die Stammeltern sollen in Zukunft seinen Lockungen widerstehen. Freilich, ein Leben voll Kummer und Sorgen stand ihnen bevor, aber Gott würde nicht ewig zürnen. Das gab Anlaß zur Hoffnung. Gott wollte ferner, daß Feindschaft herrsche auch zwischen der Nachkommenschaft des Weibes – der Eva – also allen Menschen, und der Nachkommenschaft der Schlange, d.h. den Versuchungen wie auch den bösen Menschen, die, wie ihr geistiger Vater, der Teufel, die Guten zur Sünde verführen wollen. Der Kampf, der fortan entbrannte, war hart. Dabei wurde der Nachkommenschaft des Weibes in Aussicht gestellt, daß sie der Schlange „den Kopf zertreten“ wird“. Wer den Kampf entschlossen aufnimmt, der wird mit der Hilfe Gottes die Versuchung überwinden. War das nicht ein Trost, den Gott den gefallenen Stammeltern und ihren Nachkommen mit auf den Weg gab?
Doch kein Kampf ohne Wunden; kein Sieg ohne Schmerz. Die Schlange beißt der Nachkommenschaft in die Ferse. D.h. der Teufel schädigt den Menschen, der in der Tugend verharren will und versucht ihn an seiner schwächsten Stelle tödlich zu treffen. Soviel er kann, sucht ihn der böse Geist um sein ewiges Heil, um Gut und Ehre zu bringen und ihm selbst – wenn Gott es zuließe – das Leben zu rauben. Eine unversöhnliche Feindschaft besteht da, zwischen den gottesfürchtigen Seelen und den Kindern Satans, ein unerbittlicher Kampf wird hier auf Erden ausgetragen.
In diesem Sinne mußten die Stammeltern und die unerlöste Menschheit die Worte Gottes an die Schlange verstehen. Sie sind nach der Katastrophe des Sündenfalles tatsächlich das „Proto-Evangelium“, d.h. die „erste Frohe Botschaft“ Gottes an die Menschen. Die Verheißung von Kampf und Sieg über die höllische Schlange ist am Anfang der Menschheitsgeschichte gesprochen worden. Sie sollte ihre Bedeutung haben für das ganze Menschengeschlecht, also bis ans Ende der Zeiten.
Die Erfüllung des Protoevangeliums
Aber kann es tatsächlich sein, daß mit dieser Erklärung schon der ganze Sinn jener Worte voll ausgeschöpft ist? „Feindschaft will Ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Sie wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihrer Ferse nachstellen.“
Wie oft passiert es und ist es nicht schon passiert, daß zwar die Schlange der Ferse von Evas Kindern, also der Schwachen Seite eines jeden Menschen, nachstellt und es gerade eben nicht gelingt, die Schlange zu überwinden und ihr den Kopf zu zertreten? Wie viele haben sich nicht vom Teufel besiegen lassen, indem sie von Gott abfielen? Der größte Teil der Menschheit! Ja, selbst im auserwählten Volk des Alten Bundes war es nur ein „kleiner Rest“, der den Mahnungen der Propheten Gehör schenkte und im Kampf und in der Treue zu Gott ausharrte.
Doch brauchen wir ja eigentlich nur auf uns selbst zu schauen. Wie oft blieb nicht schon der Satan siegreich? Wie oft hat er uns nicht schon mit seinen Versuchungen betört, mit seiner gespaltenen Zunge getäuscht, mit seinem Gift gelähmt das Gute zu tun? Wie oft sind wir nicht schon gestolpert, gestrauchelt, in Sünde gefallen? Auch wir müssen mit dem hl. Paulus bekennen: „Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet und mich zum Sklaven des Gesetzes der Sünde macht, das in meinen Gliedern ist“ (Röm. 7, 23).
Nein, wir, die Kinder Evas sind es nicht, die den Fluch der Sünde mit ihren Folgen von uns hinweg nehmen können. Die Menschen können sich nicht aus eigener Kraft erlösen. Unser aller Blut bleibt vom Gift der Erbsünde angesteckt. Unsere Natur ist und bleibt zu schwach, um alle Versuchungen zurückzuschlagen. Die Tatsachen beweisen es.
Aufgrund späterer Weissagungen und vor allem aufgrund dessen, was in der Fülle der Zeiten zur Wirklichkeit wurde, wissen wir jedoch, daß den Worten des Protoevangeliums eine noch tiefere Bedeutung zukommt. Sie verkünden nicht nur, daß der Mensch durch Widerstand die Nachstellungen des Teufels im geistlichen Kampf zunichte machen soll. Sie verkünden auch geheimnisvoll und dunkel, auf welche Weise die Erlösung erfolgen sollte.
Im Originaltext der Heiligen Schrift fällt auf, daß die Nachkommenschaft, welche der Schlange den Kopf zertritt in der Einzahl gehalten ist. Einer (!) aus der Nachkommenschaft ist es, der im Namen aller, den Kopf der Schlange zermalmen wird! Ein Nachkomme des Weibes, der Eva, wird der Erlöser aller sein – der Messias. Er wird mit der Schlange kämpfen und genau in jenem Augenblick, während die Schlange nach seiner Ferse schnappt, wird er ihr den Kopf zertreten.
Und ist das nicht an dem Gottmenschen Jesus Christus wahr geworden? Mußte Er nicht kommen, um uns zu erlösen und die Macht Satans zu brechen? Und wurde Er nicht von der Schlange angefeindet? Wir wissen es, daß es keinen Menschen gibt, der den Haß des Teufels mehr erfuhr als Er. In Seiner Gottheit konnte Ihn der Angriff Satans nicht treffen. Aber an Seiner schwachen Stelle, an Seiner Ferse, d.h. in Seiner leidensfähigen Menschheit, da ließ Gott den tödlichen Biß zu. Insbesondere der Prophet Isaias und der Psalm 21 schildern den Erlöser im Bild des Leidensknechts und als „Mann der Schmerzen“, wie es sich im Gekreuzigten verwirklicht hat. Gerade aber in diesem Augenblick, als es der Schlange gelungen war, den Erlöser tödlich zu verwunden und damit scheinbar zu besiegen, wurde ihr Kopf zermalmt. D.h. der Herrschaft Satans über die Menschheit wurde durch den Tod Jesu am Kreuz ein Ende gesetzt. Dabei wurde das Reich Satans auf Erden derart erschüttert, so daß es unwiderruflich einstürzen muß. Als Christus am Kreuz starb, wurde der Fluch, der auf der Menschheit lastete, hinweg genommen. Der bis dahin verschlossene Himmel wurde geöffnet, die Völker, die in Finsternis und Todesschatten waren, schauten ein großes Licht. In dem Opfer Seines kostbaren Blutes wurde den Menschen Macht gegeben, durch Glaube und gehorsame Liebe, Kinder Gottes zu werden. Und in der übernatürlichen Kraft der „Söhne Gottes“ sollten sie nicht nur gegen die Schlange kämpfen, sondern fortan in der Kraft Seines Blutes auch siegen.
Die unbefleckte Empfängnis
Der Sohn Gottes mußte Mensch werden, um uns zu erlösen. Und Er wurde Mensch. Er wurde einer von uns. Doch konnte es tatsächlich sein, daß der Sohn des allheiligen Gottes lediglich ein Nachkomme Evas sei, die sich von der höllischen Schlange hatte besiegen lassen?
Der hl. Thomas von Aquin sagt: „Heiligkeit kommt jenen Dingen zu, welche sich auf Gott beziehen“ (S.th. I, q. 36, a.1). Der hl. Ort etwa, der durch seine Weihe auf Gott hingeordnet ist, muß heiliggehalten werden. Ebenso die Gewänder, Gegenstände und Personen, die durch den Kult der Gottesverehrung in nähere Beziehung zu Gott treten. – Mußte das nicht auch von derjenigen gelten, die zu Gott in die Beziehung der Mutterschaft treten sollte? Mußte nicht auch diejenige, welche den Heiligen der Heiligen empfangen und gebären sollte, nicht ebenso von unangetasteter, makelloser Heiligkeit Sein, wie der göttliche Erlöser selbst, um Ihm wahrhaft eine würdige Wohnstatt zu sein? König David sprach, als er den Plan zum Tempelbau von Jerusalem in einer Pracht entwarf, wie sie Gott gebührte: „Nicht einem Menschen wird eine Wohnung bereitet, sondern Gott“ (1. Chr. 29, 1). Um wieviel mehr müßte das dann nicht von Maria gelten, dem lebendigen Tempel, in dem der Sohn Gottes für neun Monate Seinen Thron aufschlagen wollte; in dem der Heiland in Seine makellosen Opfergewänder aus Fleisch und Blut eingekleidet und durch die Salbung des Heiligen Geistes zum ewigen Hohenpriester geweiht werden wollte!
Zwar wurden auch der Prophet Jeremias und der hl. Johannes der Täufer von Gott schon im Mutterschoß von der Erbsünde erlöst und geheiligt, doch wurden sie zuvor im Augenblick ihrer Empfängnis sehr wohl von der Sünde Adams angesteckt. – Hätte es Gott nun zulassen können, daß die Mutter Gottes; die Mutter des Siegers über die Schlange auch nur einen einzigen Augenblick der Macht des Teufels unterworfen war? Sollte sich der Satan rühmen dürfen, auch über diejenige triumphiert zu haben – und sei es nur für einen Augenblick – die Gott zur Mutter Seines Sohnes auserkoren hatte? Unmöglich!
Um eine makellose Wohnstatt des Siegers über die höllische Schlange sein zu können, mußte Maria ihr Haupt über das allgemeine Verderben der ererbten Sünde erheben. Und zwar nicht etwa in dem Sinn, daß sie wie Jeremias und Johannes der Täufer vor ihrer Geburt von der Erbsünde befreit worden wäre, sondern in dem Sinne, daß sie sich die Erbsünde überhaupt nicht erst zugezogen hat. Maria mußte die einzige Ausnahme von dem Gesetz sein, das sonst jeden Menschen, der in diese Welt eintritt, mit eisernen Krallen umklammert. Jeremias und Johannes der Täufer sind im Mutterschoß geheiligt und ohne Sünde geboren worden. Schon das ist ein großes Wunder der göttlichen Gnade. Aber Maria ist selbst darüber noch hinausgehoben worden. Denn Maria ist ohne Erbsünde empfangen! Maria wurde durch die unendliche Liebe und Barmherzigkeit Gottes mit Rücksicht auf ihre erhabene Bestimmung vor der Erbsünde bewahrt. Sie allein ist die Unbefleckte Empfängnis. Deshalb die Anrede des hl. Erzengels Gabriel: „Ave, gratia plena!“ – „Sei gegrüßt, du Gnadenvolle“ (Lk. 1, 28). Tatsächlich könnte von einer Gnadenfülle in Maria nicht die Rede sein, wenn sie auch nur für einen Augenblick gänzlich ohne Gnade gewesen wäre. Das ist die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens. So einfach ist diese Lehre, wie diejenige selbst, der dieses erhabene Privileg zuteil wurde. So einfach, wie Derjenige, der ihr dieses Privileg verliehen hatte.
Mußte Maria etwa nicht durch Christus erlöst werden?
Wie kommt es nun aber, daß diese so einfache Lehre gerade von großen Heiligen, die dazu auch noch zu den größten Theologen und zu den glühendsten Marienverehrern zählen, lange Zeit nicht gekannt wurde, während sich das einfache Volk der Gläubigen viel weniger schwer getan hat, Maria als die unbefleckt Empfangene zu verehren?
Viele gelehrte und heilige Männer des Mittelalters glaubten, die Unbefleckte Empfängnis Mariens zurückweisen zu müssen, weil es ihnen schien, daß sonst Christus nicht der Erlöser aller (!) Menschen sei. Nun ist es aber ein unumstößliches Dogma, daß wer auch immer von der Sünde – vor allem von der Erbsünde – gerettet werden will, sich an Christus wenden muß. Über Christus sagt der hl. Petrus, vom Heiligen Geist erfüllt, wie es ausdrücklich in der Apostelgeschichte heißt: „Und es ist in keinem anderen Namen Heil; denn kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, durch den wir selig werden sollten“ (Apg. 4, 12). Da sich die Erlösungsbedürftigkeit ausnahmslos aller Menschen, vor allem auf die Erbsünde und ihre Folgen gründet, so erschien es, als würde man mit der Lehre, daß die allerseligste Jungfrau ohne den Makel der Erbsünde empfangen sei, behaupten, sie hätte der Erlösung durch Christus nicht bedurft. Das aber wäre Häresie. Doch verhält es sich nur scheinbar so!
Denn gerade dadurch, daß der Heiland die allerseligste Jungfrau vor der Erbsünde bewahrt hat, ist Er in viel hervorragenderer Weise zum Erlöser Mariens geworden, als Er der Erlöser der übrigen Menschen gewesen ist. Denn auch Maria ist ihre einzigartige Gnadenauszeichnung nur im Hinblick auf die Verdienste Christi zuteil geworden. – Wenn also jemand aus vollem Herzen das tröstliche Psalmwort in den Mund nehmen kann: „Beim Herrn ist Barmherzigkeit und reiche Erlösung“ (Ps. 129, 7), dann ist es vor allem die allerseligste Jungfrau Maria selbst. Mit ihr hatte Christus, ganz abgesehen von der Gnadenfülle, mit der Er sie ausgestattet hat, ein Meisterwerk der Erlösung geschaffen. Insofern Er Maria nämlich vor dem Fluch der Sünde gänzlich bewahrt hat, ist sie gar nicht erst in den Abgrund der Sünde hinabgestürzt, während Er alle andern Menschen, nachdem sie in denselben Abgrund gestürzt waren, erst daraus befreien mußte. Auch Maria mußte also erlöst werden! Aber sie wurde auf andere Weise erlöst als wir. Sie wurde im Hinblick auf die Verdienste des Gekreuzigten von vorneherein vor jeder Schuld bewahrt, während wir erst im nachhinein durch das Opfer Christi davon befreit werden können. Jesus ist also auch der Erlöser Mariens, aber in einem viel reicheren und ergiebigeren Maße, als bei allen anderen Menschen. Mit dieser Begründung ist die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis in völligem Einklang mit dem Dogma von dem einen Erlöser, außer dem niemand das ewige Heil erlangen kann.
Während dieser Zusammenhang den größten Geistern und glühendsten Marienverehren des Mittelalters nicht leicht einleuchten wollte, so geht es uns heute, wie bei so vielen anderen Glaubenssätzen: Nachdem wir sie einmal im Licht des Glaubens erkannt und angenommen haben, dann kommen sie uns so selbstverständlich und natürlich vor, daß wir uns kaum etwas anderes denken können. Daher vielleicht auch die Tatsache, daß die Unbefleckte Empfängnis gerade dem instinktiv gesunden Glaubenssinn des einfachen Volkes keine Schwierigkeiten bereitete und von ihm immer geglaubt wurde.
Die „Schlangenzermalmerin“
Unter Mitberücksichtigung der Unbefleckten Empfängnis Mariens vervollständigt sich für uns sodann auch das volle Verständnis des Protoevangeliums: „Feindschaft will Ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Sie wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihrer Ferse nachstellen.“ Die Feindschaft, welche hier zwischen dem Teufel und dem Weib, ausgesagt ist, wird erst dann eine radikale, ganz uneingeschränkte, wenn man nicht Eva, sondern Maria, in diesem Weib erblickt. Die Feinschaft, welche zwischen dem Satan und seinem Samen und Christus besteht, wird auch von Maria ausgesagt. Wie die Feindschaft, zwischen dem Teufel und Christus in jeder Beziehung eine absolute und uneingeschränkte ist, so ist es auch die Feindschaft zwischen dem Teufel und Maria. Eben weil sie niemals, auch nur einen Augenblick, unter seiner Botmäßigkeit stand, ist Maria die Feindin des Satans. – Ja, mehr noch! Maria ist nicht nur in allumfassender Feindschaft mit dem Satan. Sie ist auch im vollen Sinne zur „Schlangenzertreterin“ geworden. Maria hat der Schlange den Kopf zertreten als sie sprach: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk. 1, 38). Indem sie der Welt den „Schlangenzertreter“ gebar, hat Maria durch Ihn und mit Ihm und in Ihm der höllischen Schlange den Kopf zermalmt.
Auch sie mußte dabei den Biß der Schlange hinnehmen, einen siebenfachen Biß, den wir in den Sieben Schmerzen Mariens verehren: die Verfolgung des Herodes; das Wissen um die Verwerfung des Erlösers durch Sein eigenes Volk; der dreitägige Verlust des Jesusknaben; Sein entstellter Anblick auf dem Kreuzweg – gegeißelt, dornengekrönt, bespien und mit dem Kreuz beladen; die dreistündigen Todesqualen des Gekreuzigten, während sie unter dem Kreuz von einer Welle voll Hohn und Spott umtost war; bis das Schwert des Schmerzes ihr unbeflecktes Herz durchbohrte, während der kalte Speer des Soldaten die Seite Jesu öffnete. Maria hat ihren göttlichen Sohn zum Heil der Welt geopfert, betrauert und begraben. Damit ist das Kreuzesopfer in einzigartiger Weise auch das Opfer Mariens, mit dem sie die Macht des Teufels gebrochen hat. So finden wir in der Prophetie von der „Schlangenzertreterin“ die Mutter des Erlösers und ihre einzigartige Unbefleckte Empfängnis vorherverkündet und vorherbeschrieben.
„Evas Namen wende!“
Am Anfang der Welt wurde in Eva das weibliche Geschlecht von der Schlange besiegt. Am Beginn der Erlösung wurde die Schlange von einem Weib zermalmt. Der hl. Hieronymus sagt: „Der Tod ist durch Eva, das Leben durch Maria der Welt zuteil geworden“ (epist. 22 ad Eust.). Jene hat durch ihren Ungehorsam das Menschengeschlecht in Unglück gestürzt, diese hat durch ihren Gehorsam, die Welt aus dem Abgrund gerettet.
In dem bekannten Hymnus „Ave maris stella“ ruft die Kirche in einer Verszeile Maria zu: „Uns den Frieden spende. – Evas Namen wende!“ Und in der Tat wurde in ihrer Unbefleckten Empfängnis der Schaden der ersten Frau wieder rückgängig gemacht in dem nämlich „Eva“ zu dem beglückenden „Ave“ im Mund des hl. Erzengels umgekehrt wurde.
Wir haben also die Wahl zwischen Eva und Maria. Wenn wir im Frieden mit Gott leben wollen, so müssen wir der allerseligsten Jungfrau nachfolgen und vollumfänglich in die Feindschaft mit Satan eintreten, indem wir rücksichtslos in uns alles Sündhafte bekämpfen. Dabei werden wir auch gewiß den Sieg davon tragen, wenn wir inmitten des Kampfes, stets voll Vertrauen die Unbefleckte Empfängnis um ihren Gnadenbeistand anrufen: „O Maria, ohne Makel der Erbsünde empfangen, bitte für uns, die wir zu dir unsere Zuflucht nehmen.“ Amen.