16. Sonntag nach Pfingsten
Der Aufstieg zur Weisheit – 2. Teil
Geliebte Gottes!
Wir haben vor kurzem damit begonnen, unter der Führung des hl. Augustinus, den Aufstieg zur Weisheit zu wagen. Dabei versetzte uns der hl. Kirchenvater als Ausgangspunkt in das irdische Tal der Tränen und des Jammers, der Sünde und des Todes, um uns als Ziel den Gipfel der Weisheit anzuweisen, bei dem es sich um nichts anderes handelt, als die Weisheit der vollkommenen Gottesfreundschaft. Als Stufen führen uns die sieben Gaben des Heiligen Geistes empor, wie sie der Prophet Isaias (11, 2) im Alten Testament benannt hat. Die Stufenfolge führt demnach von der Gabe der Gottesfurcht, über die Frömmigkeit, die Wissenschaft, die Stärke, über Rat und Verstand bis hinauf zur Weisheit. Wir folgen dieser Wegbeschreibung zum einen, um uns einen klareren Begriff von den einzelnen Gaben des Heiligen Geistes zu machen; zum andern aber auch, um bereits einen kleinen Eindruck von der Entfaltung und Entwicklung des übernatürlichen Lebens in unserer Seele zu erhalten und somit auch die Bedeutung der sieben Gaben für uns kennenzulernen. Denn, obgleich die begnadete Seele bereits vom ersten Augenblick der Rechtfertigung an im Besitz aller sieben Gaben ist, so entfalten sich doch ihre vorzüglichen Wirkungen erst im Laufe des Voranschreitens der Seele auf dem Pfad der Vollkommenheit.
Zuletzt haben wir bereits auf der untersten Stufe die „Gabe der Gottesfurcht“ kennengelernt, als den übernatürlichen Antrieb des Heiligen Geistes zur Loslösung von der Sünde und von den Gelegenheiten zur Sünde, aufgrund der liebevollen Ehrfurcht vor Gottes Größe und Majestät. Der Heilige Geist vervollkommnet durch diese Gaben die Bemühungen der Tugend der Mäßigkeit. Denn die Gottesfurcht läßt uns maßhalten, damit wir nicht sündigen und Gott nicht beleidigen. Bei voller Entfaltung läßt uns die Gabe der Furcht zu jenen „Armen im Geiste“ werden, die jeder ungeordneten Anhänglichkeit an diese Welt aus Liebe zu Gott entsagen und daher vom Herrn in Seiner Bergpredigt seliggepriesen werden: „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“ (Mt. 5, 3). Die Gabe der Gottesfurcht verhilft uns dazu, uns aus der geistigen Umklammerung, mit der uns die irdischen Güter an sich binden, loszulösen und in der Weise geistig arm zu werden, wie es der hl. Paulus den Korinthern erklärt: „Fortan sollen auch jene, die eine Frau haben, sich so verhalten, als hätten sie keine, und die weinen, als weinten sie nicht, und die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und die kaufen, als besäßen sie nichts, und die, welche diese Welt genießen, als genössen sie dieselbe nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1. Kor. 7, 29-31). Die Gabe der Gottesfurcht läßt uns unsere Habe so gebrauchen, daß wir nicht von ihr besessen werden. So verhilft sie uns den ersten Schritt heraus zu tun aus dem Jammertal der Sünde und des Todes hinauf zu den unvergänglichen Gütern des Himmelreichs.
Als zweites haben wir die „Gabe der Frömmigkeit“ kennengelernt, als den übernatürlichen Antrieb des Heiligen Geistes zur liebevollen Verehrung Gottes und all dessen, was mit Gott in Beziehung steht. Dadurch wird die Seele angetrieben jedem das seine zu geben; Gott, was Gottes ist, und dem Nächsten, was dem Nächsten zukommt. Durch die Gabe der Frömmigkeit vervollkommnet der Heilige Geist die Bemühungen der Tugend der Gerechtigkeit, die jedem das gibt, was ihm zukommt. Die Frömmigkeit läßt uns in Gott unseren ewigen Erbteil erkennen. Sie treibt die Seele dazu an, durch die Frömmigkeitsübungen – durch das Gebet, das Fasten, das Almosengeben – schon in diesem irdischen Leben in der Gnadenwelt des Himmelreichs gleichsam heimisch und seßhaft zu werden. Je mehr sich die Seele in dem geistigen Land beheimatet weiß, um so weniger wird sie von den Drangsalen des Zeitlichen geängstigt, belastet und bedrückt. Die irdischen Widrigkeiten werden ihr durch die Gabe der Frömmigkeit erträglicher und sie gelangt zu jener Sanftmut, die der zweiten Seligkeit entspricht: „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben“ (Mt. 5, 4).
Die Gabe der Wissenschaft
Inzwischen sind wir auf der dritten Stufe angelangt. Dort begegnen wir der „Gabe der Wissenschaft“. Bei diesem Namen denken wir automatisch an Gelehrte und Studierte, an Bibliotheken und Laboratorien, an Universitäten und Bildungseinrichtungen, wo hohe Wissenschaft getrieben wird. Dabei ist die Gabe der Wissenschaft jedoch etwas anderes als die Wissenschaft der Hochschulen. Diese ist die Wissenschaft der Intellektuellen, jene die der Kinder Gottes. Die eine lernt man vorwiegend aus Büchern und unter Anleitung von Lehrern, die andere durch die unmittelbare Einwirkung des Heiligen Geistes. An beiden Orten gibt es Analphabeten, Unwissende und Ungebildete. Die meisten Menschen haben heute keine Ahnung von dem, was die Gabe der Wissenschaft ist; mögen sie auch noch so hochgebildet sein oder gar über akademische Grade verfügen. Sie kennen kaum das ABC des Heiligen Geistes.
Das Wesen der Gabe der Wissenschaft
Das natürliche Denken sucht, forscht, gräbt, durchdringt in mühsamem Studium, um den Dingen auf den Grund zu gehen und hinter den Sinn einer Sache zu kommen. Die natürliche Wissenschaft an den Schulen und Universitäten ist anstrengende Pionierarbeit. Die Gabe der Wissenschaft ist ein einfacher Blick.
Gottes Wissenschaft ist nicht diskursiv, d.h. Gott erkennt nicht durch fortschreitende Vernunftschlüsse, sondern Er erkennt absolut und einfach. Ähnlich verhält es sich mit der Gabe der Wissenschaft. Sie läßt uns nach der Art Gottes erkennen; d.h. durch einfaches Schauen, ohne Untersuchung und Schlußfolgerung des Verstandes. Die Gabe der Wissenschaft stellt auf unserem Aufstieg also gleichsam ein erstes Höhenplateau, einen ersten Aussichtspunkt dar, der uns einen Aufblick zum Ziel, zum Gipfel gewährt; einen Aufblick zu Gott. Die Wissenschaft lenkt dabei den Blick der Seele jedoch noch nicht auf Gott selbst und Seine Geheimnisse – das wird erst die Gabe des Verstandes tun –, sondern Gegenstand der Wissenschaft sind die Geschöpfe, insofern sie von Gottes Hand gebildet, Seine Vollkommenheiten widerspiegeln und uns zu dem Zweck zur Verfügung gestellt sind, um Ihn, das ewige Ziel, zu erreichen.
Ohne die Gabe der Wissenschaft würde die natürliche Vernunft nicht hinreichen, um den Menschen auf dem Weg zum übernatürlichen Ziel zu leiten. Schon allein die Erkenntnis, daß im ewigen Besitz Gottes der letzte Sinn und Zweck des menschlichen Daseins besteht, ist für den menschlichen Verstand aus eigener Kraft nicht möglich. Um so weniger ist er in der Lage zielsicher zu beurteilen, wie die geschaffenen Dinge zu gebrauchen sind, damit sie auf dem Weg zum letzten Ziel dienlich und nicht hinderlich sind. Die Wirkung der Gabe der Wissenschaft besteht eben gerade darin, daß sie uns befähigt die Geschöpfe zielsicher einschätzen und beurteilen zu können, ob und inwiefern uns ihr Gebrauch tatsächlich hilft, das Ziel der ewigen Seligkeit Gottes zu erreichen. Auch zeigt sie uns klar, inwiefern wir sie meiden müssen, damit sie uns nicht zum Fallstrick werden. Die Wissenschaft ist also eine Gabe der Unterscheidung im Hinblick auf die geschaffenen Dinge.
Kraft ihrer vermögen wir die Beziehung der geschaffenen Dinge zu Gott zu erkennen und zu beurteilen. Die Gabe der Wissenschaft läßt vor der Seele drei Dinge aufscheinen: 1. daß die Geschöpfe nicht Gott sind. 2. wie die Geschöpfe zu Gott hinführen. 3. wie die Geschöpfe der Seele zum Hindernis werden. Im Lichte dieser dritten Geistesgabe betrachtete etwa der hl. Franz von Assisi die geschaffene Welt. Er erkannte alle Geschöpfe in ihrer Beziehung zu dem einen Vater aller. Jedes war ihm wie ein Bruder in der großen Familie der Schöpfung. Die Sonne, der Mond, die Sterne, das fließende Wasser, die Blumen und die Vögel. Die Gabe der Wissenschaft ließ ihn klar erkennen, daß keines von ihnen Gott selbst oder gottgleich ist. Aber sie alle waren ihm wie unzählige Spiegel in denen die göttliche Vollkommenheit aufscheint: Fühlte er etwa die unerschütterliche Festigkeit und die Gewalt der Felsen unter seinen nackten Füßen, so empfand und erkannte er zugleich, wie stark und unveränderlich Gott ist und welch verläßliche Stütze Er uns sein will. Der Anblick einer im Morgentau glänzenden Blume oder der kleinen geöffneten Schnäbel, die in unbefangenem Vertrauen aus einem Vogelnest herausragten – einfach alles – offenbarte dem Poverello die Reinheit, die liebenswürdige Fürsorge und die Schönheit Gottes, ebenso wie die unendliche Liebe des göttlichen Schöpfers, aus der Er alles hervorgebracht hat. So lenkte die Wissenschaft den Blick der Seele des hl. Franziskus von den Geschöpfen hinauf bis zum Schöpfergott selbst.
Die Gabe der Wissenschaft ist aber nicht nur ein übernatürlicher Erkenntnissinn, sondern auch ein übernatürliches Wertungsvermögen. Sie ist die Waage der Heiligen. Alle Dinge werden durch sie nach ihrem ewigen Nutzen gewogen. Sie fördert den Wert der Güter dieser Erde und den Wert der Güter des Himmels zutage. Ihre Gewichte befinden alles Materielle als zu leicht und haben den hl. Paulus zu den Worten veranlaßt: „Doch was mir als Gewinn galt, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte auch wirklich alles für Unwert angesichts der alles übertreffenden Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessenwillen ich dieses allen verlustig gegangen bin, und es für Kot erachte, damit ich Christus gewinne“ (Phil. 3, 7 f.). Schon im Alten Testament bewegte die Gabe der Wissenschaft den weisen König Salomon über sämtliche Dinge, die sich unter der Sonne finden, zu dem Urteil: „O Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist Eitelkeit!“ (Pred. 1, 2). Und auch den hl. Franz von Assisi ließ die Wissenschaft erkennen, daß alle Geschöpfe zwar ein Abglanz Gottes, für sich betrachtet aber lediglich Staub sind. Sie sich anzueignen, sie in Besitz zu nehmen, das hieße das Herz an Asche und Staub zu verlieren. Nach ihrem Besitz zu streben, erschien ihm gleichsam die Schöpfungsordnung auf den Kopf zu stellen, das Mittel zum Zweck zu machen und sich vorwiegend zu ihrer Erlangung, Erhaltung und Sicherung, um Gott zu sorgen. Um sich davor zu bewahren; um sein Herz frei zu halten und nicht von den Geschöpfen in Ketten legen zu lassen, entschloß er sich zur vollkommenen Armut. Die franziskanische Armut ist also eine Frucht der Gabe der Wissenschaft, durch welche die geschaffenen Dinge zu Sprossen einer Leiter werden, auf denen die Seele leicht zu Gott emporsteigt, ohne dabei von ihnen beschwert und nach unten gezogen zu werden.
Die Gabe der Wissenschaft läßt uns ferner auch das, was zu glauben ist, von dem unterscheiden, was nicht zu glauben ist. Es gibt ja beide Phänomene: die Ungläubigkeit und die Leichtgläubigkeit. Der Unglaube glaubt zu wenig, die Leichtgläubigkeit glaubt zu viel. Sowohl der Unglaube als auch die Leichtgläubigkeit rühren nicht selten daher, daß die Beziehung der Geschöpfe zum Schöpfergott gar nicht oder falsch gesehen werden. Der Gottesleugner etwa übersieht, daß die Existenz der Schöpfung selbst der deutlichste Gottesbeweis ist. Ohne Gott wäre eine derart geniale Ordnung und Komplexität wie sie sich im gesamten Schöpfungsgefüge findet, undenkbar. – Der Leichtgläubige, der jedem angeblichen Seher, jeder vermeintlichen Erscheinung und Privatoffenbarung hinterherläuft, übersieht hingegen, daß Gott nicht Ursache permanenter, sinnloser Wunder und inhaltsleerer Botschaften sein kann. – Die Gabe der Wissenschaft verleiht uns die Fähigkeit, zwischen dem zu unterscheiden, was zu glauben ist, und dem, was nicht zu glauben ist. Damit umfaßt sie das, was oft „sensus catholicus“, oder der „katholische Glaubensinstinkt“ genannt wird, der den Katholiken instinktiv falsche Lehren durchschauen und ihn von gefährlichen Gelegenheiten Abstand nehmen läßt. Und dieser katholische Instinkt ist, eben weil er etwas Geistgegebenes ist, unabhängig vom Studium. Kinder, Frauen, Ungebildete und Einfältige können den übernatürlichen Glaubensinstinkt der Wissenschaft ebensogut besitzen, wie die größten Theologen.
Weil die Gabe der Wissenschaft eine Unterscheidungsgabe ist, schaut sie die Wahrheit nicht nur, sie liebt sie auch leidenschaftlich und kann darum niemals das ihr Entgegengesetzte, also den Irrtum und das sittlich Minderwertige, gleichermaßen anerkennen und lieben. Die Gabe der Wissenschaft ist antiliberal! Allein schon daran, daß diese Gabe die „Liebe zur Wahrheit“ befördert, sehen wir, wie wenig Seelen heute noch, aufgrund ihrer liberalen Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit, dafür disponiert sind, um die Wirkkraft dieser Gabe in sich aufnehmen zu können. Nur wenige Seelen haben heute, sofern sie sich überhaupt im Gnadenstand befinden, das Segel der Wissenschaft gesetzt, weshalb ihr Seelenschiff, allein von den Strömungen ihrer Leidenschaften getrieben, auf das Riff des Verderbens zuhält. Weil die Liebe zur Wahrheit mangelt, deshalb die allgegenwärtige Herrschaft des Irrtums und der moralischen Zersetzung, der Verblendung und der gesellschaftlichen Auflösung.
Schließlich muß noch gesagt werden, daß die Gabe der Wissenschaft nicht nur die einzelnen Geschöpfe betrachtet und beurteilt. Sie vereint ihre ganze Mannigfaltigkeit in einer Synthese, d.h. in einer Zusammenschau. Sie läßt die Vielzahl der einzelnen Geschöpfe in ihrer Beziehung zu dem einen Gott als eine harmonische Einheit und Ganzheit erscheinen, die dazu da ist, uns zur Vereinigung mit Gott zu verhelfen. Auf diese Weise unterstützt die Gabe der Wissenschaft die Tugend der Hoffnung, indem sie uns zielsicher, die geschaffenen Dinge im Lichte der Offenbarung so einschätzen und gebrauchen läßt, daß wir uns berechtigte Hoffnung auf den Empfang des ewigen Lohnes machen dürfen.
Mit all dem Gesagten können wir die dritte Gabe des Heiligen Geistes gemäß dem Katechismus des hl. Pius X. wie folgt definieren: „Die Wissenschaft ist eine Gabe, durch die wir die geschaffenen Dinge richtig beurteilen und erkennen, wie wir sie gut gebrauchen und auf das letzte Ziel, nämlich auf Gott ausrichten sollen“ (Nr. 923).
Der Unterschied zwischen den Gaben der Wissenschaft und der Gottesfurcht Wie schon die Gabe der Gottesfurcht, so löst auch die Gabe der Wissenschaft unser Herz von der Anhänglichkeit an die geschaffenen Güter los, indem sie deren Nichtigkeit und Unfähigkeit aufzeigt, uns ewig glückselig zu machen. Auch legt sie deren Gefährlichkeit offen. Die Geschöpfe ziehen uns ja an sich und richten uns zugrunde, wenn wir sie nicht richtig zu gebrauchen lernen. Genau das lehrt uns die Wissenschaft. Während die Gabe der Gottesfurcht vor der Sünde als dem größten Übel zurückschaudert, und sich deshalb im Gebrauch der Geschöpfe mäßigt, so werden sie von der Gabe der Wissenschaft aktiv, gleichsam als Sprungbrett, gebraucht. Nicht der Abscheu vor der Sünde, sondern die Kenntnis ihres „Nicht-Gott-Seins“ veranlassen den Menschen unter Einwirkung der Gabe der Wissenschaft die Geschöpfe gering zu achten, sie gleichsam mit Füßen zu treten, um sich durch die Schwungkraft des ihnen innewohnenden göttlichen Abglanzes, zum Schöpfer empor katapultieren zu lassen. Die ganze Schöpfung wird so zum Sprungbrett, oder zu einem Flügelpaar der Seele, wie es im Psalm heißt: „Ach hätte ich doch Taubenflügel, daß ich auffliegen und eine Ruhestätte finden könnte! Weit fort würde ich fliegen und in der Einsamkeit verweilen“ (vgl. Ps. 54, 7).
Die Pflege der Gabe der Wissenschaft
Wie wir bereits öfters gesagt haben, so sind die Gaben des Heiligen Geistes nicht unserem Willen unterworfen. Wir verhalten uns ihnen gegenüber nur passiv. Wir können uns nur bereithalten, damit der Heilige Geist, wenn Er sich würdigt, auf uns einwirken kann. Was können wir dazu tun? Wie können wir uns empfänglich machen, für die Einwirkung des Heiligen Geistes mittels der Gabe der Wissenschaft?
Da ist zum einen das Hauptmittel. Es besteht in der Betrachtung der Geschöpfe im Licht des Glaubens. D.h. daß wir nicht bei ihrer äußeren Erscheinung, nicht bei ihrem zeitlichen Nutzen oder ihrem angenehmen Liebreiz verweilen, sondern versuchen in jedem und allem eine Gabe aus der Hand Gottes zu sehen und dabei zu ergründen suchen, was der Schöpfer mit dieser Person oder mit jener Sache beabsichtigt hat, daß Er sie uns zur Seite gestellt bzw. gegeben hat. Wir müssen die mannigfaltigen Dinge betrachten und uns dabei fragen: „Was nützt mir das für die Ewigkeit? Wie muß ich mit dieser Person umgehen; wie muß ich dieses oder jenes Gut gebrauchen, daß es mir im Hinblick auf das ewige Leben nützlich wird und mir nicht schadet?“ In dieser Schau werden wir alles Gefährliche meiden, alles Überflüssige zu entbehren wissen – sogar manches Nützliche – um es Gott zum Opfer zu bringen, wie z.B. einen neugierigen, unvorsichtigen oder gar vorwitzigen Blick, eine Lektüre, eine Speise, einen Umgang, eine Beschäftigung usw. So lösen wir uns nach und nach von ihrer vereinnahmenden Anziehungskraft los und sehen in ihnen nur noch das, was sie sind, Mittel zum Zweck; Mittel, die uns zu ihrem unerschaffenen Urheber führen sollen.
Da dies ein langwieriger Prozeß ist, kann man von den zwölf Früchten des Heiligen Geistes insbesondere die Akte der Langmut (vgl. Gal. 5, 22) dem Einfluß der Gabe der Wissenschaft zuschreiben. Die Langmut macht uns ausdauernd, beherrscht und nachsichtig in unserem Verhalten, und insbesondere im ruhigen, beherrschten Ertragen der Versuchungen, welche uns die Geschöpfe zeitlebens immer wieder bereiten werden.
Die Seligkeit der Wissenschaft
In ihrer vollen Entfaltung ruft die Gabe der Wissenschaft in der geistergriffenen Seele schließlich eine heilige und heilsame Traurigkeit hervor. Kenntnis und Wissen machen das Herz bisweilen schwer, weil wir um so klarer erkennen, wie häufig wir hinter dem zurückbleiben, was uns die göttliche Wissenschaft doch so klar einsehen läßt. Die Gabe der Wissenschaft bereitet einen gewissen Schmerz. Sie bereitet eine gewisse Traurigkeit darüber, daß die Gottes- und Nächstenliebe, obwohl wir es aus der göttlichen Offenbarung eigentlich besser wissen, aufgrund unserer fortwährenden Anhänglichkeit an die geschaffenen Güter trotzdem noch so unvollkommen ist. Der hl. Augustinus sagt von der Übung der Wissenschaft: „Ein jeder muß also in der Heiligen Schrift fürs erste finden, daß er in die Liebe zu dieser Welt, das heißt zu den zeitlichen Dingen, verstrickt und daher weit von jener Gottes- und Nächstenliebe entfernt ist, wie sie die Heilige Schrift vorschreibt. Die Gabe der Furcht denkt sodann an das Gericht Gottes, und die Frömmigkeit nötigt ihn, dem Ansehen der göttlichen Bücher zu glauben und sich ihm zu fügen. Und so drängen ihn die Kräfte beider Geistesgaben, sich selbst zu betrauern. Denn jene Wissenschaft der guten Hoffnung veranlaßt den Menschen nicht zum Übermut, sondern zum Reueschmerz; und dadurch erlangt er auf eifrige Bitten hin den Trost des göttlichen Beistandes und wird so davon bewahrt, in der Verzweiflung zusammenzubrechen“ (De. Doctr. Chr. II, 7, 10). „Deshalb steht geschrieben: ‚Wer die Wissenschaft aufgibt, der legt den Schmerz ab.‘ Im Gegensatz dazu heißt es: ‚Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet‘“ (Serm. 347). Und andernorts sagt derselbe hl. Kirchenvater: „Bis die Liebe zu den ewigen Dingen in ihnen [den nach Vollkommenheit strebenden Seelen] ist, werden sie durch ein gewisses Maß an Trauer verwundet. Deshalb werden sie durch den Heiligen Geist getröstet, der darum vor allem der Paraklet, d.h. der Tröster, genannt wird, damit sie zwar die zeitliche Freude verlieren, aber das Ewige in vollen Zügen genießen können“ (De serm. Dom. in mont. I, 2). – So findet also die Gabe der Wissenschaft ihre volle Entfaltung in der dritten Seligkeit: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden“ (Mt. 5, 5).
Gebet um die Gabe der Wissenschaft
Nachdem wir nun die dritte Gabe des Heiligen Geistes, die uns auf dem Weg zur vollkommenen Vereinigung mit Gott immer höher führt, näher kennengelernt haben, wollen wir den Heiligen Geist ganz besonders um diese Gabe anflehen. Dazu kann uns das schöne Gebet aus unserem Gesangbuch behilflich sein, das da lautet: „Komm, o Geist der Wissenschaft, bewahre uns vor allem gefährlichen Irrtum und vor der Blindheit des Geistes. Laß nicht zu, daß wir sehen und doch nicht sehen. Öffne die Augen unseres Herzens, daß wir aus allen Werken und Wundern dieser Welt die Herrlichkeit des lebendigen Gottes erschauen und darob Seinen Namen preisen. Lehre uns die Wissenschaft der Heiligen: zu erkennen den allein wahren Gott, und den Er gesandt hat, Jesus Christus.“ Amen.