Vom Rückfall in die Sünde

Geliebte Gottes!

Im heutigen Evangelium ist unter anderem die Rede von der Verschlimmerung des Zustandes einer Seele, die nach erfolgter Bekehrung in ihre alten Sünden zurückfällt und so erneut ein Haus des Teufels und der Sünde wird. Der Rückfällige hat sich nicht ernstlich und beharrlich zu Gott bekehrt. Er bleibt mit seinem Denken und Streben nicht lange „daheim“ bei Gott, der nach der Beichte in seiner Seele wieder Wohnung nahm. Sein Sinnen fliegt bald wieder hinaus in die leichtfertige Welt, hin zu den alten Gelegenheiten seiner früheren Sünden, von denen er immer noch angezogen wird wie die Fliegen vom Kothaufen. So ist es für den bösen Feind ein leichtes, die unbewachte, leer- und offenstehende Menschenseele im Handstreich zurückzuerobern und durch eine einzige Todsünde auch gleich wieder die sieben Hauptsünden – Stolz, Zorn, Neid, Geiz, Trägheit, Unkeuschheit und Völlerei – darin zu kultivieren. „Dann geht er hin und nimmt sieben andere Geister mit, schlimmer als er selbst“ (Lk. 11, 25). Jeder Rückfall in die Sünde stellt nicht nur die Oberherrschaft der Sünde in der Seele wieder her, sondern schwächt darüber hinaus auch die Widerstandskraft des Menschen. Deshalb fügt Christus warnend hinzu: „Und sie [die unreinen Sündengeister] ziehen ein und wohnen daselbst; und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten“ (Lk. 11, 26). Um uns vor jeder Leichtfertigkeit im Umgang mit der Sünde zu bewahren, scheint es nützlich zu sein, wenn wir uns die Gefahren, die aus dem Rückfall in die alten Sünden erwachsen, genauer vor Augen führen.

Die Sünde

Zunächst wollen wir uns jedoch einen groben Überblick über das Phänomen der Sünde verschaffen, sowie die verschiedenen Grade ihrer Schuldbarkeit und ihren unterschiedlichen Einfluß auf die übernatürliche Gottesliebe in der Seele betrachten. – Die Sünde ganz allgemein wird definiert als eine freiwillige Übertretung eines göttlichen Gebotes. Das macht einen menschlichen Akt ganz allgemein zur Sünde. Der Sünder weiß um den Willen Gottes, der sich im Gebot widerspiegelt, übertritt das Gebot jedoch trotzdem; sei es nun in Gedanken, Worten, Werken oder Unterlassungen.

Die Sünden werden vor allem in zwei Arten eingeteilt, nämlich in „Todsünden“ und „läßliche Sünden“. Der spezifische Unterschied zwischen den beiden Arten besteht in der Wichtigkeit und Bedeutung der jeweiligen Angelegenheit, in der gesündigt wird. Es ist ein wesentlicher Unterschied einen Meineid zu schwören, oder eine Notlüge zu gebrauchen; einen Porsche zu stehlen, oder ein Zuckerstück.

Die Todsünde

Wo Gottes Ehre schwer geschädigt, oder dem Nächsten ein großer zeitlicher oder ewiger Schaden zugefügt wird, liegt eine „Todsünde“ vor. Die Todsünde ist also charakterisiert durch die Wichtigkeit der Angelegenheit in der gesündigt wird bzw. durch die schwerwiegenden Folgen, die aus der Sünde hervorgehen: Eine Sünde durch welche dem Nächsten großer Schaden an seinen materiellen oder geistigen Güter – etwa seinem guten Ruf – entsteht, sind genauso Todsünden, wie eine schwerwiegende Schädigung der Ehre Gottes. Es ist beispielsweise Todsünde an Sonn- und gebotenen Feiertagen die hl. Messe aus eigener Schuld und ohne einen Entschuldigungsgrund (etwa die weite Distanz, berufliche Verpflichtungen oder Krankheit) zu versäumen. Das Halten des Abstinenzgebotes, der gottgewollte Gebrauch der Ehe, der Gnadenstand zum würdigen Kommunionempfang, etc. – all das sind wichtige Angelegenheiten, wobei man durch freiwilliges Zuwiderhandeln schwer sündigt. – Wie der Name schon sagt, tötet die Todsünde in der Seele das übernatürliche Leben der Gnade und zerstört die Gottesliebe. Der Tempel des Heiligen Geistes wird geschändet und entweiht. Das ewige Licht der heiligmachenden Gnade wird ausgelöscht. Es tritt das ein, was der Herr im heutigen Evangelium andeutet. Wenn auch der Teufel nicht sofort persönlich durch die Besessenheit Besitz von dem Menschen ergreift, so begibt sich der Sünder doch freiwillig in die Sklaverei der Sünde und des Teufels.

Liegt eine Sünde in weniger wichtigen Dingen vor, oder entsteht nur ein vergleichsweise geringer Schaden, so spricht man von einer „läßlichen Sünde“. Unter den läßlichen Sünden müssen wir wiederum zwei Arten voneinander unterscheiden. Die eine Art wird „überlegte läßliche Sünde“ genannt, die andere Art besteht aus, jenen läßlichen Sünden, die „aus Schwäche“ geschehen.

Die überlegte läßliche Sünde

Eine „überlegte läßliche Sünde“ ist eine läßliche Sünde, die man aus boshafter Überlegung, ohne Unachtsamkeit und ohne Trübung vorhergehender Leidenschaften, also mit Absicht begeht. Das soll nicht heißen, man wolle das Böse um des Bösen willen. Der Wille des Menschen strebt immer nach dem Guten. Jedoch strebt der böse Wille nicht nach dem wahren Gut, das sich ja in der Erfüllung des göttlichen Willens befindet, sondern nach einem Scheingut, das die Eigenliebe befriedigt, ungeachtet des Willens Gottes. Die Bosheit liegt also darin, daß die Seele das verbotene, scheinbare Gut, der Liebe zu Gott vorzieht. Die „überlegte läßliche Sünde“ rührt von der ungeordneten Eigenliebe her, von Stolz, Eitelkeit, Trägheit, Ungerechtigkeit usw. und zwar mit bewußter Überlegung. Man weiß darum. Man ist sich dessen vor der Tat bewußt, daß es sich um etwas Falsches, Verbotenes, Sündhaftes handelt, aber man tut es trotzdem. – Zungensünden gehören typischerweise in diese Kategorie. Man weiß, daß man besser schweigen sollte, und doch macht man die lieblose Bemerkung, bewahrt das anvertraute Geheimnis nicht für sich, erzählt Fehler und Schwächen des Nächsten weiter. „Überlegte läßliche Sünden“ töten zwar nicht das Gnadenleben stellen aber ein großes Hindernis für das Wachstum der übernatürlichen Gottesliebe in der Seele dar. Weil die Seele in vollem Bewußtsein jenes scheinbare Gut, das ihr gerade zur Nase steht – etwa die Freude einen Dritten über die Fehler des Nächsten in Kenntnis zu setzen –, dem Willen Gottes vorzieht. Durch die „überlegte läßliche Sünde“ zeigt die Seele, daß sie sich selbst mehr liebt als Gott, wodurch der innere Fortschritt, das Wachstum der übernatürlichen Gottesliebe blockiert wird. – Das ist oft eine Ursache, warum auch fromme, praktizierende Katholiken, die ein intensives Gebetsleben pflegen, regelmäßig beichten und häufig kommunizieren, über Jahre hinweg kaum bis gar keine Fortschritte machen. Infolge einer fortdauernden oder gar wachsenden Anhänglichkeit an eine bestimmte läßliche Sünde, an ein bestimmtes Scheingut, stagniert das Wachstum der übernatürlichen Liebe. Wir sehen also, daß auch der Rückfall bzw. die häufige Wiederholung der „überlegten läßlichen Sünde“ nicht ganz unproblematisch ist, wenngleich dadurch der Gnadenstand nicht zerstört wird. – Nach dem hl. Thomas von Aquin sind ja die drei Stufen der Liebe, wie sie den Anfangenden auf dem Reinigungsweg, den Fortgeschrittenen auf dem Erleuchtungsweg und den Vollkommenen auf dem Einigungsweg entsprechen, drei Stufen der Intensität einundderselben Gottesliebe, die mehr und mehr die überlegte läßliche Sünde ausschließt und uns von den irdischen Dingen frei macht, um stärker Gott anzuhangen. Wenn sich die Seele hingegen weigert oder es vernachlässigt mit den „überlegten läßlichen Sünden“ zu brechen, kann sie zu keiner intensiveren Gottesliebe gelangen und keinen der höheren Wege der Liebe (Erleuchtungsweg, Einigungsweg) beschreiten, sondern bleibt in einem unterentwickelten Stadium zurück – mag sie auch noch soviel beten, noch so oft beichten und täglich kommunizieren. – Halten wir also besonders fest: Überlegte, freiwillige läßliche Sünden die zu einer Gewohnheit geworden sind, blockieren den Einfluß der Gnade auf die Seele dauerhaft und verhindern das Wachstum in der Gottesliebe. Anstatt stärker zu werden, wird die übernatürliche Liebe zu Gott immer schwächer. So, wie die Bewegung eines senkrecht in die Luft geworfenen Steines sich gleichmäßig verlangsamt, bis der Stein wieder herabfällt. Und darin besteht die größte Gefahr der „überlegten läßlichen Sünde“. Sie bereitet den Weg für den Fall in die Todsünde. Gott möge uns davor bewahren!

Die aus Schwäche begangene läßliche Sünde

Bei der zweiten Art läßlicher Sünden handelt es sich um solche, die „aus Schwachheit“ geschehen. Es sind jene, die aus einer starken Leidenschaft hervorgehen, welche den Willen des Menschen hinreißen, seine Zustimmung zu geben; etwa der sich plötzlich bahnbrechende Zorn, der ohne große Überlegung dazu veranlaßt, häßliche Dinge zu sagen oder zu tun. „Schwachheitssünden“ sind weniger freiwillig. Sie geschehen, aufgrund der Überrumpelung unseres Willens durch eine vorhergehende, heftige oder plötzliche Regung der Leidenschaft ohne rechte Überlegung. Nichts desto trotz handelt es sich dabei um Sünden. Und zwar 1. weil wir, zwar von den Leidenschaften mitgerissen, dennoch unsere Einwilligung, beispielsweise in den Zorn, in das voreilige Urteil, etc. gegeben haben; und 2. weil die betreffenden Leidenschaften den Willen deshalb so leicht übertölpeln konnten, weil wir sie zu wenig abgetötet haben. Sünden aus Schwäche sind durchaus sündhaft! – Die vorhergehende Leidenschaft mindert jedoch die Schuldbarkeit in dem Maße als die überlegte Willenszustimmung gehemmt wird. Sie mindert die Freiheit des Urteils und der freien Wahl. Läßliche Sünden, die aus Schwäche geschehen erkennt man sehr leicht daran, daß wir sie an uns hassen; daß wir sie leicht bereuen; daß wir uns ihrer schämen; daß wir sogar unter ihnen leiden; daß wir uns für sie entschuldigen; und – daß wir sie, trotz ernsthafter Bemühungen, auch nicht alle vollständig ablegen können. Dem erbsündlich geschwächten Menschen ist es auch nach der Taufe ohne eine besondere Gnade Gottes unmöglich alle Schwächen abzulegen. Einzig die allerseligste Jungfrau Maria war aufgrund ihrer Unbefleckten Empfängnis gänzlich frei von ihnen. Hingegen finden sich gewisse Schwächen und Schwachheitssünden selbst an großen Heiligen. Gott beläßt sie an ihnen, um die Heiligen in der Demut zu bewahren und sie vor eitler Selbstüberschätzung zu schützen. Vom hl. Hieronymus heißt es, daß er auch am Ende seines Lebens immer wieder in unbeherrschten Zorn ausbrechen konnte. Wenn ihn diese Schwäche übermannt hatte, demütigte sich der Heilige jedoch sofort, indem er seinen Fehler eingestand und zerknirscht um Verzeihung bat. Die Tatsache, daß sich Schwächen auch bei großen Heiligen finden zeigt, daß die läßlichen Sünden, welche aus Schwäche geschehen, im Gegensatz zu den „überlegten läßlichen Sünden“, in der Seele das Wachstum der heiligmachenden Gnade und der übernatürlichen Gottesliebe nicht nennenswert stören, vorausgesetzt sie regen die Seele tatsächlich zur Reue und zur Demut an.

Soweit unser grober Überblick über die „Todsünde“, die „überlegte läßliche Sünde“ und die „läßliche Sünde aus Schwachheit“. Wenden wir uns nun der Frage zu, welche Folgen der wiederholte Rückfall in die Sünde hat. Vor allem ist hier die „Todsünde“ gemeint, wobei auch der Rückfall in die „überlegte läßliche Sünde“ in abgeschwächter aber dennoch tatsächlicher Form derlei Folgen zeitigt. Wenn wir aber im Folgenden vom Rückfall sprechen, dann meinen wir v.a. den Rückfall in die Todsünde. Was sind also die gefährlichen Folgen eines solchen Rückfalls? Vier Folgen sind zu nennen: 1. Der Verlust der Gottesfurcht 2. Die Kultivierung eines Lasters 3. Die Unbußfertigkeit 4. Die Verhärtung des Herzens

Verlust der Gottesfurcht

Die erste Folge besteht im Verlust der Gottesfurcht. – Die Gottesfurcht ist die erste und grundlegendste unter den Sieben Gaben des Heiligen Geistes. Sie ist der Beginn der Weisheit: „Der Anfang aller Weisheit ist die Gottesfurcht“ (Ps. 110, 9). Sie ist der erste Antrieb auf dem Weg empor zu Gott und besteht in einer großen Hochachtung, einem tiefen Respekt vor der Majestät und Größe Gottes. Die Gottesfurcht ist eine „kindliche Furcht“, so wie ein Kind fürchtet seine Eltern zu beleidigen. Sie darf nicht mit der „knechtlichen Furcht“ verwechselt werden. Die „knechtliche Furcht“ ist die Angst eines Hundes, der fürchtet, von seinem Herrn geschlagen oder getreten zu werden. Die Gottesfurcht ist eine „kindliche Furcht“, die davor zurückschreckt, Gott zu beleidigen, weil Er gütig und heilig ist und es verdient, daß man Ihm gehorcht. – Die Gottesfurcht ist der erste Antrieb, der den Sünder dazu bewegt sich zu Gott zu bekehren. Sie ist die Quelle, aus der die Reue und die Buße entspringen. Und wir verlieren sie, wenn wir immer wieder in die Sünde zurückfallen. Wenn der Mensch schwer sündigt, so kostet es ihn eine gewisse Überwindung. Er weiß, daß er etwas Schlechtes getan hat und bereut schnell; zweifelsohne auch aus Furcht vor dem göttlichen Gericht. Aber! Wenn er diese Todsünde immer und immer wieder begeht, dann verflüchtigt sich diese Furcht. Der hl. Augustinus sagt: „Selbst die abscheulichsten Sünden werden, sobald sie erst zur Gewohnheit geworden sind, so betrachtet, als wären sie überhaupt keine Sünden.“ Das geht soweit, daß man sie nicht einmal mehr zu verbergen sucht und stolz darauf ist, als wären es Tugenden. – Das ist wahr! Heute halten Menschen Paraden ab zu Ehren ihrer Sünden. Sie schwenken Fahnen aus Stolz auf ihre Sünden; himmelschreiende Sünden! – Täuschen wir uns nicht! Das kann nach und nach auch mit uns geschehen, wenn wir immer wieder in die Todsünde zurückfallen. Auch wir erstarren in der Sünde und verlieren die liebende Furcht Gottes.

Die Kultivierung eines Lasters

Die zweite Folge des wiederholten Rückfalls ist der Erwerb eines Lasters. – Jede Handlung die wir häufig wiederholen wird im Laufe der Zeit eine Gewohnheit. Wenn jemand den ganzen Tag am Klavier übt – Tag ein Tag aus, Jahr ein Jahr aus – dann wird er ein guter Pianist werden. Es entwickelt sich eine Gewohnheit, oder wie man sagt, ein Habitus. – Jeder der zwei Hände und ein Gehirn hat, kann Klavierspielen lernen. Aber man muß diese Fertigkeit ausbilden. Wie geschieht das? Durch wiederholte Übung. So bildet sich der Habitus, so daß die Finger leicht über die Klaviatur gleiten und dem Instrument herrliche Harmonien entlocken. Ein Mensch der den Habitus des Klavierspielens besitzt, braucht gar nicht mehr zu überlegen. Er braucht keine Noten, sondern setzt sich an das Instrument und spielt, so als wäre nichts dabei. Ein Zeichen dafür, daß jemand einen Habitus, also eine erworbene Gewohnheit besitzt, besteht darin, daß ihm eine Tätigkeit leicht fällt. Solange etwas schwierig ist, besitzt man noch keinen Habitus. Wer das erste Mal am Klavier sitzt, der hat eine anstrengende, mühevolle Zeit vor sich, bis er eine Melodie spielen kann. Ein geübter Pianist setzt sich hin und spielt ohne dabei an irgendeine bestimmte Bewegung seiner Finger zu denken. Er spielt ganz einfach. Halten wir fest: Eine erworbene Gewohnheit – macht bestimmte Handlungen leicht.

Und das gilt ganz besonders für die Sünde. Denn was noch hinzukommt: Aufgrund der Erbsünde haben wir eine besondere Hinneigung zur Sünde. So wie manche Menschen für das Klavierspielen eine angeborene Begabung haben. Andere haben dieses Talent nicht. Die Begabung aber macht es einfach für sie, das Notenlesen zu lernen, das Gelesene schnell über die Finger umzusetzen und so das Klavierspiel schneller und müheloser zu meistern als andere, denen diese Begabung fehlt. Minderbegabte haben stattdessen eine mühevolle, harte Zeit vor sich. Sie werden es unter Umständen genauso erlernen können, aber nur mit viel Fleiß, einer vergleichsweise großen Anstrengung und wahrscheinlich, ohne es trotz aller Mühen zur vollendeten Meisterschaft zu bringen. – Wir verfügen nun aufgrund der Erbsünde über eine angeborene Begabung zu sündigen. Eine der in uns fortlebenden Wirkungen der Erbsünde besteht in der Hinneigung zum Bösen. Dabei handelt es sich um ein Geheimnis. Denn so geheimnisvoll die Erbsünde an sich schon ist, umso unerklärlicher wäre das Verhalten des Menschen ohne diese angeborene innere Neigung zum Bösen. Warum handelt der Mensch böse? Warum fällt es ihm so leicht? Warum empfindet er es hingegen als schwierig, das wahrhaft Gute zu tun? Nicht nur ein Mensch, sondern alle? Wie wäre all das Böse in der Menschheitsgeschichte zu erklären ohne eine innerliche Disposition zur Sünde? – Diese Neigung hat ihren Ursprung in der Erbsünde und verfestigt sich im Menschen durch den wiederholten Rückfall.

Eine Todsünde zu begehen, könnte man vergleichen mit einem Absturz in eine Felsspalte, in eine Schlucht, in einen tiefen Graben. Wenn ein Bergsteiger in eine Felsspalte stürzt, besteht für ihn die einzige Möglichkeit, wieder heraus zu kommen, indem ihm durch einen anderen ein Seil von oben zugeworfen wird, an dem er wieder hochgezogen werden kann. Anders kann man eine glatte Felswand nicht erklimmen. Es bedarf eines Seiles. Das Seil, das Gott dem Todsünder zuwirft, ist die helfende Gnade, die ihn zur Reue und zur Beichte veranlaßt. Er muß dieses Seil ergreifen; also tatsächlich seine Sünden bereuen, sich derselben im Bußgericht vor dem Priester anklagen und Buße tun. – Der Rückfall in die Todsünde ist nichts anderes, als sich freiwillig wieder in die Felsspalte hinabzustürzen. Der Rückfällige läßt sich abermals herausziehen. Und dann? Springt er wieder hinein. Immer und immer wieder. Jedes Mal mit der Erwartung, Gott werde das Seil schon wieder herabwerfen. Wie ein Bergsteiger der immer wieder ungeachtet des Verbotsschildes und der Absperrung einen lebensgefährlichen Höhenpfad betritt, infolgedessen natürlich abstürzt und in seiner ausweglosen Lage stets darauf hofft, die Bergwacht werde ihn mit dem Rettungshubschrauber schon wieder herausholen. – Niemand kann nach einer begangenen Todsünde zu Gott zurückkehren, ohne daß ihn Seine Gnade zieht. Wir würden in der Sünde sterben, wir würden nicht mehr bereuen wollen, beichten wollen und Buße tun wollen, wenn wir nicht von Seiner Gnade gezogen werden würden. – Es ist also ein gefährliches Spiel mit der Barmherzigkeit Gottes, wenn wir uns darin üben wieder und wieder in die Todsünde einzuwilligen und dabei zu denken: „Ich kann es ja wieder beichten.“ Jeder erkennt den Wahnsinn. Es ist Wahnsinn sich immer wieder freiwillig in eine ausweglose Situation zu bringen, aus der man sich nicht alleine befreien kann. – Und irgendwann wird Gott sagen: „Ich gebe es auf. Dieser Mensch will in die Hölle. Denn dieser Mensch liebt diese Sünde.“ Der hl. Alphons sagt, daß Gott bei jedem Menschen nur eine bestimmte Zahl an Sünden bereit ist zu tolerieren, ehe er sich endgültig von ihm zurückzieht. Wohlgemerkt, nicht aufgrund eines Mangels an Barmherzigkeit auf Seiten Gottes, sondern aufgrund der erworbenen Meisterschaft des Menschen in der Todsünde. Wenn wir nämlich ein Laster unser ganzes Leben lang kultivieren, dann wird es ein Teil von uns – und zwar zu unserem verderben! Denn wir werden sein Sklave. – Der hl. Petrus sagt: „Von wem einer beherrscht wird, dem ist er versklavt. Wenn sie [die Rückfälligen] nämlich, den Befleckungen der Welt durch die Erkenntnis des Herrn und Heilandes Jesus Christus entronnen, sich wieder von diesen umgarnen und überwältigen lassen, so sind für sie die letzten Dinge ärger geworden als die ersten. Denn besser wäre es für sie, sie hätten den Weg der Gerechtigkeit nicht kennengelernt als nach dem Erkennen sich wieder abzuwenden von dem heiligen Auftrag, der ihnen anvertraut wurde. Auf sie trifft in Wahrheit das Sprichwort zu: ‚Der Hund kehrt zu seinem Auswurf zurück‘ und ‚Das Schwein wälzt sich nach der Schwemme wieder im Schlamm‘“ (2. Petr. 2, 20 ff.).

Die Jahre der Jugend haben diesbezüglich eine sehr große Bedeutung. Insbesondere der Jugendliche muß über seine Sittenreinheit wachen. Im Buch Job heißt es: „Sein Gebein wird von den Lastern seiner Jugend erfüllt sein. Und sie sollen im Schmutz mit ihm schlafen“ (Job 20, 11). D.h. die Laster, in die sich ein Mensch in seiner Jugend verstrickt, werden ihn u. U. ein Leben lang bis in den Tod begleiten, wenn er nicht sehr große Anstrengungen aufwendet, sie zu überwinden und abzulegen. – Der hl. Johannes Chrysostomus sagt: „Groß ist die Tyrannei der Gewohnheit. In der Tat ist sie so groß, daß sie uns so sehr nötigt wie unsere Natur.“ Deswegen spricht man ja auch von Gewohnheiten, die gleichsam zur „zweiten Natur“ werden. Deshalb warnt der hl. Bernhard von Clairvaux: „Die häufige Wiederholung der Sünde erzeugt die Gewohnheit. Die Gewohnheit erzeugt die Notwendigkeit [zu sündigen]. Die Notwendigkeit erzeugt das Unvermögen [zu widerstehen]. Das Unvermögen erzeugt Verzweiflung. Und die Verzweiflung erzeugt die Verdammnis.“

Die Unbußfertigkeit

Die dritte Wirkung des wiederholten Rückfalls in die Sünde ist die Unbußfertigkeit. Was bedeutet Unbußfertigkeit? – Unbußfertigkeit ist die Ermangelung an Reue über die begangenen Sünden, selbst angesichts des herannahenden Todes. Man wird sich freilich fragen: Wer bitteschön wäre so töricht und würde auf dem Sterbebett seine Sünden nicht bereuen wollen? Das wäre doch Wahnsinn! – Aber genau diesen Wahnsinn bewirkt der Rückfall in die Sünde. Der Rückfall macht unempfindlich. Er macht mit der Zeit den Verstand blind. – Stellen wir uns eine Person vor, die sowohl taub ist, als auch blind; eine Person, die außerdem den Tastsinn verloren hat, also keine Berührung mehr wahrnimmt und darüber hinaus auch noch dement ist. – Es ist unmöglich diese Person zu erreichen. Egal wie laut Sie schreien, wie fest sie an ihr herumzerren. Keine Reaktion. Keiner zu Hause. Denn alle Möglichkeiten der Wahrnehmung sind bei dieser Person abgebrochen. – Dasselbe geschieht im geistlichen Leben. Der Sünde wohnt etwas Heimtückisches inne. Je öfter wir sie nämlich begehen, umso mehr blendet sie unseren Verstand, umso mehr verbirgt sie ihre Bosheit vor unserer Selbstwahrnehmung. Am Ende eines langen Lebens kann es deshalb geschehen, daß Menschen, die ihr Leben lang gesündigt haben, die schwer an der Last zahlreicher Todsünden tragen, auf dem Sterbebett liegen und jeden Sinn für Reue verloren haben. Sie denken, daß sie „gute Menschen“ seien. Sie meinen, es gäbe da nichts zu bereuen und zu beichten. Ja, sie wüßten gar nicht was sie beichten sollten. – Viele Sterbende meinen das heute, obwohl sie viele Sünden auf dem Gewissen haben. Sie meinen, weil sie doch „gute Menschen“ seien, befänden sie sich auf dem Weg in den Himmel. – Wie wir jedoch schon öfters gesagt haben, genügt es nicht ein „guter Mensch“ zu sein, um in den Himmel zu kommen. Wir müssen „übernatürlich gute Menschen“ sein. Menschen, die Gott mehr lieben als alles andere; mehr als sich selbst! Und zwar aus ganzer Seele, aus ganzem Herzen und mit all unseren Kräften. – Halten wir fest: Der wiederholte Rückfall in die Sünde blendet das Gewissen. Der Mensch meint ein „guter Mensch“ zu sein, obwohl er einen Haufen schwerer Sünden auf sich geladen hat. Der wiederholte Rückfall raubt den Sinn für die Sünde, den Sinn für die Wahrnehmung unseres wirklichen Seelenzustandes. Der hl. Eusebius von Cäsarea sagt: „Je mehr man sündigt, um so weniger erkennt man, daß man sündigt.“

Die Verhärtung des Herzens

Der Rückfall in die Todsünde führt schließlich zu einer Verhärtung des Herzens. Damit ist nicht die Verkrampfung des Herzens als Organ gemeint, sondern das, was Christus andeutet, wenn Er sagt: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (Mt. 6, 21). Die Verhärtung des Herzens besteht in einem krampfhaften Anhängen des Willens an die Todsünde. Der Mensch will nicht mehr von der Todsünde lassen, weil sie ihm so lieb ist. Das Herz verhärtet sich zunehmend durch die Wiederholung der jeweiligen Todsünde. – Zunächst wird der Mensch dabei gleichgültig gegenüber der Tugend. Freilich bewundert er gewisse Menschen, die tugendhaft sind. Aber er sagt sich, das ist nichts für mich. Mit fortschreitender Verhärtung wird ihm die Tugend jedoch verhaßt werden, denn die Tugendübung wird gleichsam eine stumme Anklage gegen das eigene Laster. Die Tugend wird ihm verhaßt. Und schließlich werden ihm auch die Menschen verhaßt, welche die Tugend üben. – Im Buch Genesis (vgl. Gen. 19) lesen wir von den Sodomiten, den Bewohnern der Stadt Sodom, in der auch Abrahams Neffe Lot lebte. Die Sodomiten waren verdorben und ganz der widernatürlichen Unzucht verfallen, weshalb Gott beschlossen hatte, diese Stadt mit Schwefel und Feuer auszutilgen. Weil Lot gerecht lebte, hielt Gott das Feuer solange zurück. Er entsandte Engel, die den Lot, seine Frau und seine Töchter rechtzeitig aus Sodom herausführen sollten. Wie nun reagierten die Sodomiten auf den Gerechten in ihrer Mitte? Sie sagten zu Lot: „Du bist als ein einzelner Fremdling hierhergekommen und wirfst dich jetzt zum Richter auf!“ (Gen. 19, 9). Hatte sie Lot wirklich ihrer Laster angeklagt? Nein, nach einer Anklagerede sucht man vergeblich. Hingegen versuchte Lot, die Männer Sodoms zu beschwichtigen. Er hielt ihnen ihre Sünde also nicht mit erhobenem Zeigefinger vor. Was aber hatte Lot getan, daß die Sodomiten in ihm ihren Richter sahen? Das einzige, was Lot getan hatte, war, daß er seine Gäste in Schutz nahm und sich weigerte, den Sodomiten zu helfen, ihrem Laster ungehindert frönen zu können. Also nur, weil Lot keinen Anteil an ihrer Sünde haben wollte, war er ein lebendiger Vorwurf, eine stumme Anklage für sie. Der hl. Augustinus kommentiert diese Stelle: „So weit ist es durch dieses unsägliche Laster gekommen, daß die Sodomiten es als eine Tugend auffaßten. Wer das Laster zurückwies, wurde deshalb mehr getadelt als derjenige, der es beging.“ Ist es nicht genau dasselbe gesellschaftliche Klima, in dem wir heute leben? – Wenn heute jemand öffentlich gegen die Sünde Stellung bezieht, wird er da wohl nicht der Intoleranz und der Diskriminierung angeklagt werden? Wird er nicht bedroht, gesellschaftlich geächtet und ausgegrenzt werden? – Auf der anderen Seite stehen die „Tugendhaften“, jene, die das Laster loben. Ihnen steht heute gerade deswegen eine glänzende Karriere offen. – Sowohl die Sünder als auch unsere sündige Gesellschaft haben durch die ständige Wiederholung dieser Sünden bzw. deren gewohnheitsmäßige, wohlwollende Kenntnisnahme jeden Sinn für die Sündhaftigkeit verloren, die diesem Treiben innewohnt. Sie wollen (!), daß die Sünde gut und die Tugend böse sei. Das ist die Verhärtung des Herzens. Das kann durch den wiederholten Rückfall bezüglich jeder Todsünde geschehen. Bei den Sünden gegen die Natur ist es lediglich am augenscheinlichsten, weil widernatürliche Akte dem natürlichen Empfinden des Menschen widersprechen. Aber wie wir heute sehen, kann sich das Herz des Menschen selbst in solch offensichtlichen Dingen gegenüber der Wirklichkeit verhärten. Und so verhärtet ist unsere Gesellschaft, daß sie solch offensichtliche Sünden feiert und preist. – Und ohne die Gnade Gottes ist jeder von uns zu einer derartigen Verhärtung des Herzens fähig!

Das geht soweit, daß einen das gesamte Sittengesetz, ja überhaupt schon der Gedanke an den Himmel und das ewige Leben anödet; daß geistliche Dinge nicht nur langweilig, sondern abstoßend werden. – Und noch einmal: Ist das nicht die Welt, in der wir leben? – Warum ist unsere Welt so? Weil unsere Welt verhärtet ist im Laster. Wie konnte das geschehen? Durch den wiederholten Rückfall in die Sünde.

Nehmen wir deshalb die Mahnung des hl. Paulus gelehrig an. Er schreibt im Römerbrief: „Wir wissen aber, daß Gottes Gericht nach Wahrheit ergeht über alle, die solches treiben. Meinst du etwa, o Mensch, der du über jene richtest, die solches treiben, und selber es tust, du werdest dem Gericht Gottes entkommen? Oder mißachtest du den Reichtum Seiner Güte, Geduld und Langmut und merkst nicht, daß die Güte Gottes dich zur Umkehr lenken will? Bei deiner Verstocktheit aber und deinem unbekehrbaren Herzen häufst du dir Zorn an für den Tag des Zornes und der Offenbarung des Richterspruchs Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Werken“ (Röm. 2, 2-6). Hüten wir uns also vor dem Rückfall in die Sünde, damit die Worte Christi nicht auch von uns gelten: *„Die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten.“ Amen.

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