Sonntag Quinquagesima
Christliche Abtötung
Geliebte Gottes!
Auch wenn die kirchliche Mißbilligung der ausschweifenden Feier des Karnevals nicht gerade den Anschein erweckt, so ist es trotzdem wahr, daß der Sonntag Quinquagesima einen prägenden Einfluß auf die sog. „fünfte Jahreszeit“ genommen hat. Also nicht nur deshalb, weil wir heute das Allerheiligste ausgesetzt haben, um Sühne zu leisten für die Sünden der närrischen Tage. Nein, das Karnevalsbrauchtum, wie es in den katholischen Gegenden auf unschuldige Weise gepflegt und von den Jesuiten vielerorts gefördert wurde, ist eng mit der heutigen Liturgie verknüpft.
Weltstaat und Gottesstaat
Da ist im heutigen Evangelium die Rede von zwei Städten: Jericho und Jerusalem. – Jericho war zur Zeit unseres Herrn eine alte und sehr reiche Stadt, die durch Rosen- und Balsampflanzungen lieblich angelegt war und die ihren beträchtlichen Wohlstand insbesondere dem Handel mit dem kostbaren Balsamharz und dem die Stadt umgebenden fruchtbaren Ackerboden zu verdanken hatte. Mit dem Wohlleben und dem heidnischen Hellenismus hielt jedoch auch große Sittenverderbnis Einzug in das ungefähr 250 Meter unter dem Meeresspiegel, tief im Jordangraben gelegene Jericho. – Die andere Stadt, die heute im Evangelium Erwähnung findet, bildet gleichsam den Gegensatz hierzu. Jerusalem, die Gottesstadt, befindet sich hoch im Bergland von Judäa und ragt auf dem Sionsberg empor. Jerusalem ist der Wohnort Gottes inmitten Seines erwählten Volkes Israel; die Stadt des Tempels, des Opfers und der wahren Gottesverehrung. Jerusalem ist das Ziel aller jüdischen Pilger- und Wallfahrtszüge, welche sich vom tiefgelegenen Jericho aus, auf einem steilen Weg durch die gefährliche judäische Wüste über die 1300 Meter Höhenunterschied zur Gottesstadt emporarbeiten mußten.
Schon die Väter erkannten in den beiden Städten Sinnbilder für die beiden Staaten, welche der hl. Augustinus in seinem monumentalen Werk „vom Gottesstaat“ beschrieben hat. Der hl. Papst Gregor der Große sagt: „Jericho bedeutet soviel wie Mond. In der Sprache der Heiligen Schrift ist der Mond ein Sinnbild für die Vergänglichkeit des Fleisches.“ Der tief-, ja fast unterirdisch gelegene Sündenpfuhl Jericho, nach dem Mond – also nach dem unbeständigsten Gestirn am Firmament – benannt, ist Bild für den der Vergänglichkeit unterworfenen „Weltstaat“ Satans, die „civitas diaboli“. Das erhabene, hehre Jerusalem ist natürlich Sinnbild für den „Gottesstaat“, die „civitas Dei“; ein Typus für das himmlische Jerusalem, welches das Ziel eines jeden Menschen auf seiner irdischen Pilgerschaft ist. Der hl. Augustinus sagt: „Daher kommt es, daß es trotz der großen Zahl der Völker auf Erden und ihrer Vielgestaltigkeit in Sprache, Kriegswesen, Trachten, doch nur zwei Gemeinschaften gibt, die wir nach unseren Schriften recht wohl als zwei Staaten bezeichnen können. Der eine besteht aus den Menschen, die nach dem Fleische, der andere aus denen, die nach dem Geiste leben wollen, jeder in dem seiner Art zukommenden Frieden, in welchem sie auch wirklich leben, wenn sie das Ziel ihres Strebens erreichen“ (de civ. Dei XIV, 1). Beide Staaten suchen Frieden, aber in gegensätzlichen Dingen. Während die Bürger des Gottesstaates nach dem Geist des Evangeliums leben und dazu ihr Fleisch kreuzigen, suchen die Bürger des Weltstaates ihre Befriedigung, indem sie den Genüssen des Fleisches frönen. Diese beiden einander entgegengesetzten Strebungen beruhen nach dem hl. Augustinus auf zwei entgegengesetzten Formen der Liebe, welche die beiden Staaten jeweils begründen. Er sagt: „Zweierlei Liebe also hat die beiden Staaten gegründet, und zwar den Weltstaat die bis zur Verachtung Gottes gesteigerte Selbstliebe; den himmlischen Staat die bis zur Verachtung seiner selbst gehende Gottesliebe. Kurz gesagt: Der eine sucht Ruhm bei den Menschen, für den anderen ist der höchste Ruhm Gott, der Zeuge des Gewissens. Der eine hebt sein Haupt empor in eigenem Ruhm, der andere spricht zu seinem Gott: ‚Du bist mein Ruhm und hebst mein Haupt empor‘ (Ps. 3, 4). Jenen beherrscht in seinen Fürsten oder in den von ihm unterjochten Völkern die Herrschsucht; in diesem sind sich gegenseitig in Liebe dienstbar die Vorgesetzten durch Fürsorge, die Untergebenen durch Gehorsam. Jener liebt in seinen Mächtigen seine eigene Stärke; dieser spricht zu Gott: ‚Ich will Dich lieben, Herr, meine Stärke‘ (Ps. 17, 2)“ (de civ. Dei XIV, 28). Die Selbstliebe, die sich bis zur Gottesverachtung steigert, bildet also die Verfassung, das Grundgesetz, des Weltstaates. Die Gottesliebe, die sich bis zur Selbstverachtung erhebt, ist das Prinzip, welches den Gottesstaat durchherrscht.
Der Weltstaat im Karneval
Faschingsprinz und Prinzengarde, Narrenkappen, Schellen, Masken, ausgelassene Feiern und Karnevalsumzüge, auf deren Wagenbühnen die Sieben Hauptsünden und bestimmte Verfehlungen der Menschen – oft der herrschenden Klasse – dargestellt werden, dienten in katholischeren Zeiten dazu, um den Weltstaat in seiner von exzessiver Selbstliebe beherrschten Lasterhaftigkeit schauspielerisch darzustellen. Sein Oberhaupt, der „Fürst dieser Welt“ (Joh. 12, 31), der es im Rahmen seines Gefolges glänzend versteht, als „Engel des Lichts“ (2. Kor. 11, 14) oder galanter Prinz in Erscheinung zu treten, verspricht in den Vergnügungen einen nimmer endenden Freudentaumel. Doch trotz der farbenfrohen Kostümierung und trotz des gekünstelten Lachens seiner Maske, welches im wahrsten Sinne des Wortes aufgesetzt ist, kann der Narr als Bürger des Weltstaates nicht über die Hohlheit seiner Freude, die ja von einem Mangel an wahrer Gottesliebe herrührt, hinwegtäuschen; denn mit jedem Schritt den er macht klingt die Schelle an seiner Kappe und erinnert so an die Worte des hl. Paulus: „Wenn ich die Sprache der Menschen und der Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle“ (1. Kor. 13,1).
Ebensowenig kann die feuchtfröhliche Geselligkeit, das gemeinsame Sich-gütlich-tun an all den Leckereien, oder das großzügige Verteilen von Süßigkeiten und sonstiger Leckerbissen, die Eitelkeit und Leere ausfüllen, die der sich selbst feiernden Menschenfreundlichkeit eigen ist. Denn: „Wenn ich meine ganze Habe zur Speisung der Armen austeilte, … hätte aber die Liebe nicht, so nützte es mir nichts“ (13, 3). Und so ist das jähe Ende des Weltstaates jährlich im Anbruch des Aschermittwochs vorweggenommen. Der Festtaumel der Sünde endet, wie die närrischen Verbrennungs- und Begräbniszeremonien am Fastnachtsdienstag zeigen sollen, im Feuer, im Tod, in Schall und Rauch. – Wie die Tage von Sodom gezählt waren, so sind es auch die Tage des Weltstaates und seiner Bürger.
„Wir ziehen hinauf nach Jerusalem“
Wie Gott dem Lot vor der Vernichtung Sodoms Engel sandte, um ihn dazu zu bewegen, die dem Untergang geweihte Stadt zu verlassen, ehe es zu spät wäre, so sandte uns Gott Seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus als wegbreitenden Boten (vgl. Mal. 3, 1). Dieser sagt von sich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14, 6). Wenn wir diesem Weg folgen, können wir dem Schicksal Sodoms und des Weltstaates entgehen. Und „der Weg“ spricht: „Seht, wir ziehen hinauf nach Jerusalem: dort wird alles in Erfüllung gehen, was die Propheten über den Menschensohn geschrieben haben. Er wird den Heiden ausgeliefert, verspottet, mißhandelt und angespien werden; man wird Ihn geißeln und töten, aber am dritten Tage wird Er wieder auferstehen“ (Lk. 18, 31 ff.) Das ist die Aufforderung Christi nicht nur an Seine Jünger damals, Ihm auf Seinem Kreuzweg nachzufolgen. Auch wir sollen uns dem Opferzug unseres göttlichen Erlösers anschließen, den dem Untergang geweihten Weltstaat, dessen Bürger wir vielleicht bislang immer noch gewesen oder aufgrund unserer Nachlässigkeit wieder geworden sind, endgültig hinter uns lassen und mit Christus von Jericho aus durch die öde Wüste der Fastenzeit emporsteigen nach Jerusalem, hinauf zum Gottesstaat des Himmelreiches. Doch handelt es sich bei diesem Aufstieg natürlich nicht um eine Bergtour, die man mit kräftigen Beinen bestreiten könnte, sondern um die Bekehrung unserer Liebe. Wir müssen aufhören klingendes Erz und tönende Schelle zu sein; wir müssen beginnen nach dem Geist des Evangeliums zu leben nicht mehr nach dem Fleisch.
Der Weg der Abtötung
Um unsere Liebe auf dem von Christus vorgezeichneten Weg zu läutern, bleibt uns gemäß dem Vorbild des Meisters der Weg der Abtötung nicht erspart. Der hl. Augustinus sagt: „Dadurch, daß Christus die Knechtsgestalt annahm, wurde Er der Weg. Er hungerte, dürstete, wurde müde, schlief beim Sturm, wurde gefangengenommen, geschlagen, gekreuzigt, getötet: Das ist der Weg. Schreite auch du auf diesem Wege in Demut voran, damit du zur ewigen Erhöhung gelangest.“ Die Abtötungen, die wir in den kommenden Wochen üben, werden uns dem Erlöser gleichförmig machen und der Erlösung näherbringen. Diese Werke werden beweisen, daß wir Gott mehr lieben als uns selbst, wenn wir uns um Seinetwillen nicht schonen. Denn das Opfer ist die selbstloseste und uneigennützigste Gabe, die der Mensch zu geben vermag und damit der deutlichste Beweis der Liebe zu Gott. „Die Liebe ist geduldig, ist gütig; die Liebe beneidet nicht, handelt nicht prahlerisch, bläht sich nicht auf sie ist nicht ehrgeizig, nicht selbstsüchtig, sie läßt sich nicht erbittern, sie denkt nichts Arges; sie freut sich nicht am Unrecht, sondern hat Freude an der Wahrheit; sie erträgt alles glaubt alles, hofft alles, duldet alles. Die Liebe hört niemals auf“ (1. Kor. 13, 4-8). Diese Worte des hl. Paulus sind eine Beschreibung des Gekreuzigten, also der gekreuzigten Liebe. Und eine solche Liebe hat nur derjenige, der dem Aufruf des Heilandes folgt und das Fleisch, d.h. die schlechten Leidenschaften und Begierden, mittels der Werke gottgefälliger Abtötung kreuzigt.
Die Notwendigkeit der Abtötung
Die Heilige Schrift spricht an vielen Stellen und in vielfältiger Weise von der Notwendigkeit der Abtötung. Daß sie zur Erlangung des ewigen Heiles absolut notwendig ist, streicht Christus auf besonders drastische Weise hervor, wenn Er sagt: „Wenn dir dein Auge zum Ärgernis wird, so reiß es aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich einäugig ins Leben einzugehen, als mit zwei Augen in das höllische Feuer geworfen zu werden“ (Mt. 18, 9). Auch hören wir den Herrn sagen: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als Mich, ist meiner nicht wert. Desgleichen wer Sohn oder Tochter mehr liebt als Mich, ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und Mir nachfolgt, ist meiner nicht wert. Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren. Wer hingegen sein Leben verliert um Meinetwillen, der wird es finden“ (Mt. 10, 37 ff.). Und an anderer Stelle sagt der Heiland: „Wenn einer Mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge Mir nach“ (Lk. 9, 23). In der Kreuzesnachfolge durch die Abtötung besteht das Merkmal des Christseins, wie der Völkerapostel sagt: „Jene, die Jesus Christus angehören, haben das Fleisch gekreuzigt, samt den Leidenschaften und Begierden“ (Gal. 5, 24). Durch ihre Gleichförmigkeit mit dem gekreuzigten Christus wird der liebenden Seele das übernatürliche Leben geschenkt und vermehrt: „Wenn ihr aber durch den Geist das Tun des Fleisches zum Sterben bringt, werdet ihr leben“ (Röm. 8, 13). Deshalb beschreibt der hl. Paulus zusammenfassend den Weg der Abtötung wie folgt: „Ablegen sollt ihr im Hinblick auf den früheren Lebenswandel den alten Menschen, der den Weg des Verderbens geht in seinen trügerischen Leidenschaften, und neu sollt ihr werden in Geist und Gesinnung, um den neuen Menschen anzuziehen, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph. 4, 22 ff.).
Bedeutung der Abtötung
Was versteht man also unter Abtötung? Das Wort Abtötung bezeichnet den Kampf gegen unsere schlechten Begierden und Neigungen, zu dem Zweck dieselben dem Willen zu unterwerfen.
Sie hat das Ziel, die bösen Einflüsse unwirksam zu machen, welche die Erbsünde trotz der Taufe in unserer Seele zurückgelassen hat. Die Taufe hat bekanntlich die Erbschuld abgewaschen und der Seele den Keimling des ewigen Lebens in Form der heiligmachenden Gnade eingepflanzt. Jedoch sind die Reste der Sünde, nämlich die dreifache Begehrlichkeit des Geistes, der Augen und des Fleisches, sowie der Zündstoff zur Sünde in Form der Hinneigung zum Bösen, in der Seele des Getauften zurückgeblieben. Deshalb geschieht es, daß die Leidenschaften immer wieder gegen den Willen des Menschen aufbegehren.
Der Mensch ist eine zusammengesetzte Einheit aus Leib und Seele, wobei die Kräfte des Leibes dem Willen der Seele unterworfen sind und ihr dienen sollen. Der Wille ist der Reiter. Die Leidenschaften sind das Pferd. Das Pferd folgt genau der Lenkung des Reiters und der Reiter hält sich an den vorgegebenen Wegverlauf. So war die Ordnung im Menschen vor dem Sündenfall. Alle Regungen der Leidenschaften waren unter der vollkommenen Herrschaft des Willens. Und der Wille war durch die Gnade Gottes auf das Gute hingeordnet, so daß jede Überrumpelung und jedes Aufbegehren der Leidenschaften völlig ausgeschlossen war. – Mit der Auflehnung des Menschen gegen Gott in der Ersten Sünde, wurde auch die Ordnung im Menschen verkehrt. Mit einem Mal erheben sich die Leidenschaften wie ein durchgehendes Pferd und rebellieren gegen den Willen und reißen ihn kurzerhand mit sich in abwegige Richtung. – Das ist die Erfahrung, die wir schon so häufig gemacht haben, daß wir die Sünde tun, obwohl wir uns ja vorgenommen hatten sie zu meiden. Aber die Kraft der Leidenschaften ist so stark, daß unser schwacher Wille einfach von ihr auf die Abwege der Sünde mitgerissen wird. – Um das bockige Pferd wieder in Botmäßigkeit zu bringen bzw. darin zu erhalten, muß es notwendigerweise diszipliniert werden. Das geschieht übertragen auf den Menschen durch die Abtötung. Die Abtötungen sind also eine Art Dressur, eine notwendige Bezähmung der Leidenschaften, um sie gefügig zu halten. Deshalb sagt der hl. Paulus: „Ich züchtige meinen Leib und bringe ihn in Dienstbarkeit“ (1. Kor. 9, 27).
Die Abtötung steht dabei im Gegensatz zur Befriedigung. Die Befriedigung eines leidenschaftlichen Verlangens ist im Grunde nichts Schlechtes; etwa das Verlangen nach Nahrung, welches durch die Stillung des Hungers bzw. Durstes mittels der Speise befriedigt wird. – Gott hat sogar unsere Leidenschaften ganz gezielt mit bestimmten Handlungen verknüpft, damit der Mensch diese notwendigen Akte auch tatsächlich setzt – etwa zur Erhaltung seines eigenen Lebens durch das erwähnte Verlangen nach Speise und Trank; oder das Begehren zur Erhaltung des Menschengeschlechtes mittels der Fortpflanzung. Aber das Verlangen der Leidenschaften wird schlecht und sündhaft, sobald es eine Befriedigung außerhalb des göttlichen Willens, also gegen das Gebot Gottes sucht. Um gegen das Aufbegehren der Leidenschaften einzuschreiten und sie in der Unterwerfung unter den Willen des Menschen zu halten ist die Abtötung notwendig.
Die Abtötung besteht also nun darin, nicht nur die unerlaubten Freuden aufzugeben, sondern darüber hinaus auch im Bereich der erlaubten Befriedigung Abbruch zu tun, um dadurch die Herrschaft des Willens zu stärken. Die Einschränkung im Erlaubten schwächt nämlich die Leidenschaften und kräftigt den Willen, damit er sich gegenüber den Leidenschaften leichter behaupten und deren Ausbruch ins Sündhafte verhindern kann. Um nun einen festeren und beständigeren Willen zu erlangen, ist ein gewisser Schmerz erforderlich, wie er etwa durch das Fasten erzeugt wird. Indem wir nicht essen, obwohl die Leidenschaften danach verlangen, wird der Wille gestählt und gekräftigt, damit er auch im Falle eines anderen unbotmäßigen oder gar sündhaften Aufbegehrens der Leidenschaften entschieden zu widerstehen, energisch „Nein“ zu sagen, und, was noch viel wichtiger ist, in diesem Entschluß auch standzuhalten vermag, mögen die Leidenschaften auch noch so heftig dagegen anstürmen.
Man unterscheidet „innere Abtötungen“ und „äußere Abtötungen“. Die inneren Abtötungen sind die wichtigeren, weil sie sich auf das erstrecken, was im Inneren der Seele vor sich geht. Die innere Abtötung besteht in der Beherrschung und Bewachung unseres Verstandes, unseres Willens, unserer Leidenschaften und der Welt unserer Vorstellungen, was einen unmittelbaren Einfluß auf die sittliche Güte oder Schlechtigkeit des Menschen hat. Aber auch die äußeren Abtötungen des Leibes dürfen aufgrund ihres mittelbaren Einflusses nicht vernachlässigt oder geringeschätzt werden. Ihnen kommt es nämlich zu die ungestüme Kraft der ungeordneten Leidenschaften zu schwächen und zu bezähmen und dadurch die Beherrschung des inneren Bereiches zu erleichtern. Äußere Abtötungen bestehen in der Enthaltung erlaubter Genüsse durch das Fasten und sonstigen Verzichtleistungen. Dazu zählen auch Nachtwachen und alle anderen Werke, die wir an den Heiligen beobachten können.
Die äußere Abtötung
Ein Minimum äußerer Abtötungen ist durch das kirchliche Fasten- und Abstinenzgebot vorgeschrieben. Das ist das Minimum! Die vierzig Tage Fastenzeit, die vierteljährlichen Quatembertage und einige Vigilien. Auf das ganze Jahr gesehen, sind das nicht mehr viele Tage. Im Vergleich zu dem, wie in der frühen Kirche oder im Mittelalter gefastet wurde, und wie übrigens heute noch in der orientalischen Kirche gefastet wird, ist nämlich die Fastendisziplin für die lateinische Kirche im Laufe der Zeit von den Päpsten schweren Herzens immer mehr gemildert worden. Der Grund dafür findet sich im zunehmenden Erkalten der Liebe bei vielen Menschen, wie es in der Heiligen Schrift heißt (vgl. Mt. 24, 12). Weil die übernatürliche Liebe zu Gott in den Menschen immer mehr abnimmt, deshalb sind sie immer weniger dazu in der Lage aus Liebe zu Christus etwas auf sich zu nehmen.
Konkret empfiehlt der bekannte Kardinal Désiré Mercier (1851-1926) neben dem Abbruch in der Speise noch folgende Übungen zur Abtötung des Leibes: „Bringen Sie eine feste Ordnung in Ihren Schlaf, indem Sie dabei Schlaffheit und Verweichlichung vermeiden, besonders am Morgen. Setzen Sie sich, wenn Sie können, eine feste Stunde für das Zubettgehen und für das Aufstehen, und halten Sie sich ganz energisch daran.“ – „Gönnen Sie sich im allgemeinen nur so viel Ruhe, als Sie nach Maßgabe des Notwendigen brauchen.“ – „Geben Sie sich großherzig der Arbeit hin und ersparen Sie sich keine Mühe. Hüten Sie sich davor, Ihren Körper zu entkräften, aber achten Sie auch darauf, ihm nicht zu schmeicheln.“ – „Gewähren Sie der Trägheit keinen Augenblick. Sorgen sie dafür, daß Sie vom Morgen bis zum Abend beschäftigt sind.“ – „Wenn Sie irgendein leichtes Unwohlsein verspüren, dann vermeiden Sie es, den anderen durch Ihre schlechte Laune zur Last zu fallen. Überlassen Sie es den anderen sich zu beklagen. Sie selbst aber sollen stumm und geduldig sein, wie das Lamm Gottes, das wahrhaft alle unsere Schwachheiten getragen hat.“ – „Hüten Sie sich davor, aus dem kleinsten Unbehagen einen Grund zur Entschuldigung zu machen.“ Ja, selbst aus der Krankheit läßt sich ein Gewinn für die Seele schlagen: „Nehmen Sie willig jene mühsame Abtötung an, die man Krankheit nennt, und ertragen Sie sie demütig, geduldig und ausdauernd.“
Zur äußeren Abtötung gehört außerdem die Beherrschung der fünf Sinne, sowie die Bescheidenheit in Kleidung und äußerem Benehmen. Zur Abtötung der Augenlust und der Neugier empfiehlt der Kardinal: „Schließen Sie vor allem und immer Ihre Augen vor jedem gefährlichen Anblick und sogar vor jedem Eitlen und unnützen Anblick. Sehen Sie ohne zu betrachten. Sehen Sie niemandem ins Gesicht um darin Schönheit oder Häßlichkeit zu unterscheiden.“ Christus sagt zur Beherrschung der Augen im Evangelium: „Jeder der eine Frau mit begehrlicher Absicht anblickt, hat schon im Herzen die Ehe mit ihr gebrochen“ (Mt. 5, 28). Das zeigt wie tief die christliche Sittlichkeit geht. Sie geht bis in die Tiefe der Seele und beschränkt sich nicht lediglich in der Beobachtung rein äußerlicher Verhaltensweisen. Auch der Gehörsinn muß abgetötet werden: „Halten Sie Ihre Ohren geschlossen anläßlich von Schmeicheleien, Lob, Verführungen, schlechten Ratschlägen, übler Nachrede, Spötteleien, Indiskretionen, bei böswilliger Kritik, bei Verdächtigungen, die Ihnen mitgeteilt werden.“
Wir bedürfen auch dringend der Abtötung des Geschmacksinnes. Wir müssen uns loslösen, sowohl im Hinblick auf die Quantität der Speisen, als auch was ihre Qualität betrifft; d.h. hinsichtlich ihrer aufwendigen Zubereitung oder bezüglich ihres bevorzugten Geschmacks. Durch das Fasten wird das Ziel im Hinblick auf die Quantität erreicht. Die Abtötung der Gaumenlust zielt auf die Qualität der Speise. Man kann nämlich dünn wie eine Bohnenstange, und doch gleichzeitig dem Laster der Völlerei hingegeben sein. Natürlich nicht aufgrund der Menge, sondern aufgrund des wählerischen Geschmacks, der nur erlesene speisen zu sich nehmen will. Der Schleckige frönt genauso der Völlerei wie der Gefräßige. Zur Bekämpfung der Gaumenlust sei besonders das sog. „Jesuitische Fasten“ angeraten. D.h. man sättigt sich gezielt weniger mit den Speisen, die dem persönlichen Geschmack zusagen, und wählt stattdessen ganz bewußt mehr solche Speisen, die man nicht gerne ißt. Kardinal Mercier sagt außerdem: „Eßt, was man euch vorsetzt. Eßt, was gut ist, ohne daran Gefallen zu finden, und das, was schlecht ist, ohne eure Abneigung zu bekunden; man erzeige sich sowohl beim einen als auch beim anderen ebenso gleichmütig.“ – „Legen sie sich bei Tisch eine kleine Entbehrung auf; versagen Sie sich zum Beispiel ein Körnchen Salz, ein Glas Wein, eine Süßigkeit, etc. Ihre Tischgenossen werden das gar nicht bemerken, aber Gott wird es Ihnen anrechnen.“ Dabei hat natürlich auch der Genuß wohlschmeckender Speisen seine Berechtigung. Aber man muß dabei auch „richtig“ genießen: „Tun Sie dies mit reiner Absicht und indem Sie Gott preisen.“ – „Wenn das, was man Ihnen vorsetzt Ihre Eßlust lebhaft anstachelt, dann denken Sie an die Galle und den Essig, mit denen unser Herr am Kreuz getränkt wurde: das kann Sie zwar nicht vom Genießen abhalten, aber es wird der Lust als Gegengewicht dienen.“
Schließlich muß auch die Zunge dringend abgetötet und bewacht werden. Wir müssen uns unnütze und erst recht lieblose Reden und Kommentare verwehren. Dazu gehören auch Klatsch und Tratsch, freche Antworten, Diffamierungen oder die Verwendung obszöner Ausdrücke. Der hl. Paulus sagt: „Schlechte Reden verderben gute Sitten“ (1. Kor. 15, 33).
Die innere Abtötung
Wenden wir uns sodann dem Gebiet der inneren Abtötungen zu. Etwa der Beherrschung der Vorstellungskraft, der Phantasie. Wir müssen uns unbedingt vor schlechten Phantasien und Träumereien hüten. Denn sie sind der Ausgangspunkt aller unkeuschen Begierden und Handlungen. Es beginnt immer mit unreinen Gedanken. Deshalb muß der Kampf hier ansetzen. Wenn der Kampf auf der Ebene der Gedanken verloren ist, indem man den Widerstand gegen derlei Vorstellungen aufgibt, dann wird man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Begierde auch zustimmen und die Sünde der Unkeuschheit begehen. Wir müssen also schon auf der Ebene unserer Vorstellungskraft gegen die Unkeuschheit kämpfen. Und: Wir müssen diesen Kampf gewinnen! Wir werden diesen Kampf auch tatsächlich gewinnen, wenn wir in der Versuchung beten; und zwar insbesondere zur Allerseligsten Jungfrau Maria. Aber man bedarf dabei auch einer inneren Willensstärke, welche unkeusche Gedanken und Vorstellungen, sobald man sich ihrer bewußt wird, sofort und energisch verwirft und verabscheut. Man muß sich also darin üben, die eigenen Gedanken zu bewachen und sofort gegen alles Ungebührliche einschreiten, indem man Mißfallen und Abscheu in sich erregt. Je schneller und heftiger, umso besser. Wie sich nämlich der Soldat beständig im Umgang mit der Waffe üben muß, damit er die Fertigkeit behält sein Schwert oder sein Sturmgewehr gewandt, schnell und zielsicher einzusetzen, so muß auch der Streiter Christi durch andauernde innere Abtötung die Stärke und Schnelligkeit bewahren, um den schlechten Gedanken sofort die Stirn bieten zu können. Dieses energische und rigorose Einschreiten auf dem Gebiet der eigenen Vorstellungen ist übrigens von Christus gemeint, wenn Er das so drastisch klingende Ausreißen des ärgernisgebenden Auges, das Abschlagen der Hand oder des Fußes, fordert (Mt. 18, 7-9). – So viele Todsünden, Sünden und Fehler geschehen, weil die Vorstellungskraft vieler Menschen zu wenig abgetötet ist! Um das zu erreichen, gilt es neben dem Gebet und der konsequenten Übung natürlich auch dafür Sorge zu tragen, die Phantasie nicht ständig mit schlechten, schamlosen oder unkeuschen Bildern zu füttern. Man kann einen Sumpf nur austrocknen, wenn man ihm das Wasser entzieht, hingegen nicht, wenn man Wasser in ihn hineinpumpt. Man kann nur auf dauerhaftes Wohlbefinden hoffen, wenn man sich von Giftstoffen fern hält, nicht, indem man sich ihnen aussetzt. – Ein weiteres Mittel, um unkeusche Gedanken zu überwinden besteht darin, sich zu beschäftigen. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“, sagt der Volksmund. Das trifft vor allem auf die Jugend zu. Oft langweilen sich junge Menschen, weil sie sich nicht beschäftigen können oder wollen. Also suchen sie nach Zerstreuungen. Und nicht selten geschieht es dabei, daß sie auf der Suche nach Zerstreuungen an schlechte Bilder und Filme geraten, die sie zu sündhaften Vorstellungen und gefährlichen Träumereien anregen. Deshalb sagt Kardinal Mercier: „Wenn Sie in sich das Bedürfnis vor sich hin zu träumen verspüren, dann töten Sie es erbarmungslos ab.“ Aber wie? Indem man sich mit etwas sinnvollem beschäftigt. – Die geistliche Lesung ist dabei ein großes Hilfsmittel in der Abtötung schlechter Gedanken. Denn durch die geistliche Lesung nährt der Mensch seinen Verstand und seine Vorstellungskraft mit guten Gegenständen, die gerade verhindern, daß er anderweitig schlechte Zerstreuungen sucht. Das Lesen geistlicher Texte hält den Geist rein. Im Übrigen nicht nur von unkeuschen Gedanken. Jede Sünde beginnt mit einem schlechten Gedanken. Jede Sünde! Neid, Haß, Schadenfreude, Verachtung, Selbstgefälligkeit usw. All diese Gedanken müssen bekämpft und möglichst schon im Keim erstickt werden. Wir halten fest: Alle Vermögen des Menschen – Verstand, Wille, Vorstellungskraft, die Sinne und die Leidenschaften – sind von Gott und für Gott erschaffen. Der primäre Sinn in ihrem Gebrauch besteht darin, Gott zu erkennen und Gott zu lieben. Das müssen wir unbedingt verstehen, wenn wir Bürger des Gottesstaates sein wollen. Wir sind nicht hier auf Erden, um uns zu kultivieren; nicht zum essen, trinken und schlafen oder um uns mit allerlei Zerstreuungen die Zeit zu vertreiben. Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen und Ihn zu lieben. Alles was uns gegeben wird, ist uns zu diesem Zweck gegeben. Und insoweit irgendwelche Dinge diesem Zweck entgegengesetzt sind, müssen sie bekämpft und aus dem Weg geräumt werden. Das ist der Weg der Abtötungen, auf den uns Christus heute ruft.
Sie verstanden nichts davon
Im heutigen Evangelium heißt es nun aber von den Jüngern: „Sie verstanden nichts davon, – seine Worte waren für sie dunkel, – sie begriffen nicht, was er damit meinte“ (Lk. 18, 34). Dreimal ist in diesem einen Satz vom hl. Evangelisten Lukas das völlige Unverständnis der Jünger betont. Die Rede vom Kreuz, vom Leiden und von der Abtötung findet nur schwer Eingang in das Verständnis des Menschen. Wie den Jüngern ist vielleicht auch uns die Torheit des Kreuzes nur Torheit (vgl. 1. Kor. 1, 18). Womöglich sind auch wir, wie die Apostel damals blind für den Sinn des Kreuzes. Geblendet durch die Erwartungen, welche wir von diesem vergänglichen Leben auf Erden haben; die Notwendigkeit der Buße, Selbstverleugnung und Abtötung nicht erkennend.
Wir kennen die Worte: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung“ (Gal. 3, 13). Aber meist nur in der Theorie. Wir hören die Worte des hl. Paulus: „Wir aber müssen uns rühmen im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus“ (Gal. 6, 14). Doch es sind für die meisten leere, unverstandene Worte geblieben, die dann auch das Herz nicht bewegen. Wir feiern im heiligen Meßopfer die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers und empfangen an der Kommunionbank, verborgen unter der Gestalt des Brotes, den „Christus passus“ – den geopferten Christus; den Christus, der aus Liebe gelitten hat. Mit Ihm werden wir eins. Doch leider nur oberflächlich. Unsere Kommunionen sind nicht selten keine wirklichen Kommunionen, weil wir nicht im Wesentlichen mit Christus eins werden – in der Liebe, wie sie der hl. Paulus in seinem „Hohenlied der Liebe“ beschreibt, d.h. in der gekreuzigten Liebe! Christus will uns mit seinem Opfergeist, mit seiner Kreuzesliebe erfüllen. Wir aber fliehen das Kreuz im Alltag wo auch immer und sooft es an uns herantritt. – Ja, auch für uns gelten wohl die Worte: „Sie verstanden nichts davon, seine Worte waren für sie dunkel, sie begriffen nicht, was er damit meinte.“
„Herr, daß ich sehend werde!“
Wir gleichen dem Blinden am Wegrand. Und deshalb muß unser Gebet heute dasselbe sein, wie jenes des Blinden von Jericho: „Herr, daß ich doch sehend werde“ (Lk. 18, 41). So müssen wir flehen. „Gib, daß ich sehend werde.“ Daß ich das Geheimnis des Kreuzes, den Sinn des Fastens und der Abtötungen verstehe. Daß ich die Worte erfasse: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.“ Und daß das umgekehrt auch bedeutet: Ohne Kreuz kein Heil! Ohne Verzicht, ohne Buße, ohne Selbstverleugnung und ohne Abtötung keine Ähnlichkeit mit dem gekreuzigten Christus; also keine wahre Gottesliebe und kein Leben nach dem Geist des Evangeliums; und schließlich auch kein Bürgerrecht im Staate Gottes.
„Herr, daß ich doch sehend werde.“ Nimm weg alle närrischen Illusionen, die ich mir vom Leben mache; weg alles täuschende Blendwerk des „Fürsten dieser Welt“, alle bequeme Opferscheu meiner ungeordneten Selbstliebe. Weg damit! „Herr, daß ich sehe!“ Auf daß ich im Lichte des Glaubens das Heil im Kreuz erblicke. Und durch Deine Gnade sehendgeworden, Gott preisend Dir nachfolge, wenn Du hinaufziehst nach Jerusalem (vgl. Lk. 18, 43). Amen.