Die Dornen der Sorgen, Reichtümer und Genüsse der Welt

Geliebte Gottes!

Der Same, den der Sämann ausbringt, ist das Wort Gottes, die Lehre des Evangeliums. Wie jeder Keim, so enthält auch der Same des Gotteswortes eine wesentliche Essenz in sich. Den Wesenskern des Evangeliums können wir in der Forderung erblicken: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben … aus allen deinen Kräften“ (Mk. 12 ,30). Durch die ihm innewohnenden übernatürlichen Gnadenkräfte soll die dornige Erde der Menschenseele wieder zu einem Paradiesesgarten erblühen. Denn in ihm sind alle Kräfte der göttlichen Gnade enthalten, welche bei seinem Aufkeimen im Herzen des Menschen die Werke der übernatürlichen Gottes- und Nächstenliebe, die Werke der Gerechtigkeit und jede verdienstliche Tugend hervorsprossen lassen.

Begrenzende Faktoren der Fruchtbarkeit

Dieser Same kommt von oben. Er kommt vom göttlichen Sämann – unmittelbar, durch dessen Stellvertreter, die Priester, Eltern, oder durch Predigten, gute Lektüre usw. Freilich, wird nicht jedem Menschen das gleiche Maß zuteil. Wie der Sämann in Palästina über den Acker schreitend, mit voller Hand das Saatgut ausbringt und dabei ungleichmäßig über das Feld verteilt, so ist es auch bei den Menschenherzen. Nicht jedes Menschenherz ist zu der gleichen übernatürlichen Fruchtbarkeit bestimmt, weshalb Christus von dem guten Erdreich bei Matthäus und Markus unterscheidend bemerkt, daß das eine dreißig-, ein anderes sechzig- ja ein drittes sogar hundertfältige Frucht bringt (vgl. Mt. 13, 8; Mk. 4, 8). Je nach der Gnadenwahl Gottes. Die Gnadenwahl Gottes ist also der eine begrenzende Faktor für die übernatürliche Fruchtbarkeit des Menschenherzens, denn Gott teilt einem jeden zu, wie Er will. Dem einen mehr dem anderen weniger. Daran kann der Mensch nichts ändern. Und das ist für ihn auch nicht weiter problematisch, denn Gott erwartet auch nicht von jedem Menschen den gleichen Ertrag, sondern nur entsprechend dem Maß an Gnade, welches ihm zuteilgeworden ist. – Das restliche Gleichnis befaßt sich aber mit einer ganzen Reihe anderer „begrenzender Faktoren“, die gänzlich verhindern, daß eben dieses uns zugemessene, übernatürliche Saatgut, die von Gott erwarteten Erträge bringen kann. Es handelt sich dabei um jene Hindernisse in der Seele des Menschen, welche in ihr die Aufnahme und Entfaltung, sowie das Wachstum und die Fruchtbarkeit des Gotteswortes vereiteln.

Weg & Felsengrund

Da ist einmal die Verdichtung des Erdreiches; der Weg. Damit sind solche Herzen gemeint, die aufgrund einer andauernden äußeren Betriebsamkeit, Hektik und Beschäftigung – deshalb der Vergleich mit dem hochfrequentierten Weg – längst den Sinn für das Übernatürliche verloren haben, ganz im Irdischen aufgegangen und in der Sünde verhärtet sind. Sie sind so beschäftigt, daß sie kaum an Gott denken und so leben, als gäbe es keinen Gott. Deshalb sind sie ganz und gar außerstande das Gotteswort überhaupt gläubig in sich aufzunehmen. Hinzu kommt außerdem, daß über ihnen der Teufel mit Argusaugen wacht, damit da nichts, aber wirklich gar nichts von dem an sie ergangenen Samen des Gotteswortes im Denken und Sinnen ihres Herzens zurückbleibt, geschweige denn dort irgendwie einwurzeln könnte. Ferner spricht der Herr vom steinigen Grund. Das sind jene Menschenherzen in denen das Gotteswort zwar bereitwilligen Eingang fand, jedoch ist die feuchtigkeitsspendende Humusschicht zu dünn. D.h. die Tugend der Demut, die „humilitas“, – das Wort leitet sich vom Humus her – sowie die Tugenden der Selbstverleugnung und Opferbereitschaft sind zu wenig ausgeprägt. Sobald die sengende Sonne des Lebenstages in Form von Anfechtungen durch Schwierigkeiten und Versuchungen aufsteigt, blockiert der Felsengrund der ungeordneten Eigenliebe die übernatürliche „Feuchtigkeitszufuhr“ in Form der notwendigen Selbstüberwindung. Die guten Vorsätze im Herzen eines solchen Menschen keimen anfänglich hoffnungsvoll auf, verkümmern und verdorren aber jämmerlich, aufgrund der eigenen Selbstsucht und Bequemlichkeit, aufgrund der Schonung und Opferscheu.

Die Dornen

Den Hindernissen im dritten Erdreich wollen wir heute unsere besondere Aufmerksamkeit widmen. Von dem Saatgut heißt es: „Wieder anderes fiel unter die Dornen, und die Dornen, die mit aufwuchsen, erstickten es“ (Mt. 13, 7). Und der Heiland fügte später den Aposteln gegenüber die Auslegung hinzu: „Was unter die Dornen fiel, das sind jene, die es zwar hören, dann aber hingehen und es in den Sorgen und Reichtümern und Genüssen des Lebens ersticken und so keine Frucht bringen“ (Mt. 13, 22).

Unser göttlicher Erlöser gebraucht die Dornen als ein Sinnbild für die Sorgen, Reichtümer und Lüste dieser Welt. Das mutet zunächst einmal sonderbar an, da man doch wenigstens bei den letzteren beiden – den Reichtümern und Lüsten – an Angenehmes, an Freuden und Glück denken würde, statt an Dornen. Doch ist dieser Vergleich sehr zutreffend gewählt, denn Dornenbüsche stechen, kratzen und verletzen. Jeder der schon einmal einen Rosenstrauch zurückgeschnitten, oder nähere Bekanntschaft mit einem Kaktus gemacht hat, weiß das. Und genau dasselbe machen die Sorgen, Reichtümer und Lüste dieser Welt mit dem Herzen des Menschen. Sie stechen, reißen Wunden und bereiten große Schmerzen.

Die Menschen in deren Herzen Dornen wachsen, haben den Samen des Gotteswortes „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben … aus allen deinen Kräften“ sehr wohl gehört, also in sich aufgenommen; sie haben ihn verstanden und haben angefangen übernatürliche Werke der Gottes- und Nächstenliebe hervorzubringen. Aber sie gelangen nicht zur Vollendung.

Die Dornen der Sorgen

Was sie abhält, sind zuerst die weltlichen Sorgen. Gott lieben, Ihm dienen, das ist „das einzig Notwendige“ (vgl. Lk. 10, 41). Auf dieses übernatürliche Ziel sollen alle Anstrengungen der Seele mittels der „guten Meinung“ ausgerichtet werden. Dieser Absicht sollen alle anderen Interessen untergeordnet werden, im Vertrauen darauf, daß Gott für alles Übrige sorgen wird, gemäß der Verheißung unseres Herrn: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird euch hinzugegeben werden“ (Mt. 6, 33). Das haben von Sorgen beschwerte Menschen zwar gehört und verstanden, aber ihre Seele ist zu sehr ins Zeitliche verstrickt und hat ein zu natürliches Urteil, weshalb ihnen der Aufschwung zu einer übernatürlichen Sicht auf ihr Leben, wodurch die Kreuze und Prüfungen in einem anderen Licht erscheinen würden, nur schwer gelingt; oder wenn er gelingt, dann ist dieser Aufschwung meist nicht von langer Dauer. Sie beten wohl, aber ihre Gedanken sind dabei mehr bei den Sorgen der Familie, bei den Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und bei der ungewissen Zukunft: „Wie wird es weitergehen?“

Wo liegt der Fehler? Kurz: Sie verlangen nach dem Reich Gottes, kehren aber die Reihenfolge um! Die Erde wird Hauptsache und der Himmel soll als Zugabe hinzukommen. So verdrängen allmählich die Fragen „Was werden wir essen, oder was werden wir trinken, oder womit werden wir uns kleiden?“ (Mt. 6, 31) die eigentliche Hauptfrage: Wie werden wir Gott am besten dienen? Wie können wir Ihm allein wohlgefallen?

Die irdischen Sorgen, welche sich stets um die eigenen Probleme drehen, sind wie Dornen. Sie bohren sich in die Seele, machen sie innerlich rast- und ruhelos. Traurigkeit und Schmerz rauben ihr den Herzensfrieden. Die Sorgen vermögen es den Menschen dazu aufzustacheln, das mahnende Gewissen beiseite zu schieben, allein nach den Maßstäben der Welt zu urteilen und seine Ziele unter Einsatz der Ellbogen, oder anderer unlauterer Mittel und Methoden, zu erreichen. Gebetsleben und Glaubenspraxis ersticken zu einem leeren Mechanismus, und werden meist auch nur in der Absicht gepflegt, das zeitliche Wohlergehen absichern zu wollen. – Auf diese Weise betrüben die Dornenranken der Sorgen das Menschenherz und schnüren es ein. Von Traurigkeit überschattet beginnt der Mensch notwendigerweise damit, sich irgendwoher Trost zu verschaffen. Wo aber sucht er den Trost? Und welchen Trost sucht er? – Weil sein Sinnen primär auf Irdisches gerichtet ist, sucht er den Trost nicht bei Gott durch den Gebrauch übernatürlicher Mittel, sondern bei irdischen Gütern. Entweder bei den Dingen die man um Geld erwerben kann. Oder er sucht den Trost in sinnlichen Genüssen; in alledem, was dem Fleisch Freude und Befriedigung verschafft. – So verflechten sich die Dornenranken der Sorgen mit denen der Reichtümer und Lüste dieser Welt und ersticken unter sich das, was Gott gesät hat. Aber anstatt in den Reichtümern und Genüssen dieser Welt den ersehnten Herzensfrieden zu finden, reißt sich der Mensch an ihnen nur noch tiefere Wunden.

Die Dornen der Reichtümer

Werfen wir also einen genaueren Blick auf die Reichtümer. Auch sie stechen. Sie stacheln uns nämlich dazu an, unseren irdischen Besitz immer weiter zu vergrößern – weit über das Notwendige hinaus. Sobald das Herz an den materiellen Gütern Geschmack gefunden hat, wird es zu einem „Faß ohne Boden“. Es wird nie zufrieden sein und sagen: „Jetzt ist genug“. Beim Geben melden sich sofort Bedenken. Beim Teilen wird höchste Vorsicht an den Tag gelegt, um nicht übervorteilt zu werden. Ferner wird viel Zeit aufgewendet, um mehr Geld zu verdienen und Besitz aufzuhäufen. Dieser Besitz muß dann natürlich vor Diebstahl gesichert oder investiert werden, damit ihn die Inflation nicht auffrißt. Das bereitet wiederum neue Sorgen. – Der reiche Mensch ist sodann nicht selten beseelt von dem Verlangen anderen Menschen zu zeigen, wieviel Geld er hat, welch kostspieligen Lebensstil er sich leisten kann. Der Markenkult hat hier seinen Ursprung. Es geht beim Kauf teurer Markenartikel kaum um deren praktischen Mehrwert, der ihren bisweilen beträchtlich höheren Preis rechtfertigen würde, sondern – ob nun bewußt oder unbewußt – darum, der Umwelt zu signalisieren: „Schaut, das kann ich mir (auch) leisten.“ Der Stachel der Reichtümer macht, entgegen aller Hoffnungen, nicht glücklich und zufrieden. Die Glückseligkeit wird definiert als ein Ausruhen in dem Gut, das man besitzt. Von Ruhe und dauerhaftem Glück kann aber gar keine Rede sein. Mit dem Maß an Besitz steigt gleichzeitig die Angst vor Verlust und die Gier nach „mehr“. Zeitliche Güter sind aufgrund ihrer Stofflichkeit und Vergänglichkeit ganz und gar außerstande die Seele über längere Zeit glücklich zu machen. Die Seele ist geistig, nicht stofflich. Sie ist unsterblich, nicht vergänglich. Die Seele verlangt aufgrund ihrer geistigen Natur nach geistigen Gütern. Sie findet Freude und Frieden in der Erkenntnis der Wahrheit, insbesondere der ewigen Wahrheiten, und in einem guten Gewissen. Sie will einsehen was wahr ist und sie verlangt danach tugendhaft, d.h. sittlich gut, zu sein. Das gibt der Seele inneren Frieden und anhaltende Freude. – Die Güter dieser Welt sind jedoch arm an Wahrheit und sittlicher Güte. Sie haben nicht viel zu geben. Freilich, sie sind vielleicht schön und angenehm, aber sie haben nicht viel für die Seele zu geben, weil diese eben Geist ist. Deshalb lebt der Habsüchtige, trotz all seines Besitzes, in großer geistiger Armut. Deshalb trägt er das unstillbare Verlangen in sich, noch mehr und immer noch mehr besitzen zu wollen; ein Verlangen, das er nie befriedigen kann. – Zum Vergleich: Wenn man minderwertige Nahrung zu sich nimmt, hat man sofort wieder Hunger; also das Verlangen immer noch mehr in sich hineinzustopfen.

Ferner bringt die Anhänglichkeit an materielle Güter unter Umständen sogar großes Unglück über den Menschen, wenn ihm diese Güter auf einmal entzogen werden. Etwa wenn er plötzlich vor dem finanziellen Ruin steht. Eine von ihrem Besitz besessene Person gerät völlig außer sich, wenn sie über Nacht alles verliert, wie es etwa vor 100 Jahren bei der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre sehr häufig geschehen ist. Die Menschen stürzten sich aus dem Fenster in den Tod, oder begingen auf sonstige Weise Selbstmord. Warum haben sie das getan? Weil sie wie Millionäre lebten und mit einem Mal nichts mehr besaßen. Sie sahen sich ihres Lebensinhaltes beraubt. Denn dafür haben sie vor allem gelebt. Mit ihrem Reichtum haben sie sich identifiziert. Seinen Verlust konnten und wollten sie nicht ertragen. Also bereiteten sie ihrem irdischen Dasein ein Ende.

Dornen sind in der Natur stets Orte, wo allerlei Ungeziefer ungestört nisten kann. So verhält es sich auch mit den Dornen der Habsucht. Ihr folgen Schwärme von andern Sünden. Der hl. Basilius der Große sagt: „Die Habsucht füllt die Wälder mit Räubern; die Häuser mit Dieben, die Familien mit Unzufriedenheit; die Geschäfte mit Betrügern; die Gerichte mit Meineidigen; die Herzen der Unschuldigen mit Elend und Armut; die Augen der Waisen mit Tränen; die Herzen der Witwen mit Bitterkeit; die Gefängnisse mit Verbrechern und die Hölle mit verdammten Seelen.“ – Dornen haben darüber hinaus die Eigenschaft alles, was sich in sie verfängt festzuhalten. Nicht umsonst spricht man von der Habsucht; also von einer Sucht zu haben. Süchte halten den Menschen gefangen, machen ihn unfrei und versklaven ihn. Diese Sucht läßt das Herz erkalten und hart werden gegen die Not der Bedürftigen oder gegen die Rechte der Mitmenschen, so daß der Habsüchtige selbst vor Gewaltakten nicht zurückschreckt, wenn es darum geht den aufgehäuften Besitz zu mehren oder zu erhalten. Die ausufernde Korruption in Politik, Wirtschaft und im Journalismus, die wir heute erleben, ist genau dadurch zu erklären.

Die Dornen der Unkeuschheit

Schließlich sucht der sorgenbeladene und weltlich gesinnte Mensch exzessiven Trost in den Genüssen des Fleisches: In den Genüssen von Speis und Trank, sowie in der Wollust. Gerade die aus der Unkeuschheit stammenden „Freuden“ sind in Wirklichkeit stechende Dornen. Die ganze Welt tut so als wäre die Erfüllung des geschlechtlichen Verlangens der einzige Sinn des Lebens. Man möchte meinen, wenn das nicht mehr möglich wäre, gäbe es gar keinen Grund mehr weiterzuleben. – Die Unkeuschheit würdigt den Menschen in Wirklichkeit herab auf die Stufe des Tieres. Der hl. Bernhard sagt: „Wenn der Mensch sündigt durch stolzen Ehrgeiz, dann sündigt er. Aber er sündigt wie ein Engel. Wenn der Mensch sündigt durch Habsucht, dann sündigt er. Aber er sündigt wie ein Mensch. Wenn er hingegen durch unkeusche Begierden sündigt, dann sündigt er. Aber er sündigt wie ein Tier.“ Aus diesem Grund errötet der Mensch und schämt sich, nachdem er sich gegen die Keuschheit verfehlt hat. Er fühlt, daß er sich selbst erniedrigt hat, weil er gesündigt hat wie ein Tier. Aufgrund dieser Scham ist es vergleichsweise leicht diese Sünden zu bereuen.

Auf der Skala der Todsünden zählen die Sünden gegen die Keuschheit zu den vergleichsweise weniger schwerwiegenden. Wohlgemerkt alle Sünden gegen die Keuschheit – seien es Gedanken, Blicke, Taten oder Zulassungen – sind, sofern sie freiwillig(!) sind, Todsünden! Auch freiwillige unkeusche Gedanken und Begierden sind Todsünde! Und es genügt in einer einzigen von ihnen zu sterben, um ewig verdammt zu werden. Aber auf der ganzen Skala der Todsünden zählen die Sünden der Unkeuschheit im Vergleich zu den Todsünden etwa des Stolzes, zu den weniger schwerwiegenden. Nicht alle Sünden des Stolzes sind Todsünden. Aber eine Todsünde des Stolzes wiegt viel schwerer, als eine Todsünde gegen die Keuschheit. Die Sünden gegen die Keuschheit geschehen nämlich zumeist aus Schwäche, weniger aus Bosheit. Hingegen verhält es sich beim Stolz genau anders herum. Todsünden aus Stolz unterlaufen nicht aus Schwäche, nicht aufgrund des Drängens eines starken Triebes im Menschen, sondern aus überlegter Bosheit des Geistes. Und deshalb wiegen diese Sünden vor Gott schwerer als die Sünden aus Schwäche. – Doch noch einmal: Damit ist nicht gesagt, daß Verfehlungen gegen die Keuschheit deswegen keine schweren Sünden wären. Wir werden wegen einer einzigen Todsünde aus Schwäche genauso verdammt, wie aufgrund einer einzigen Todsünde, die allein von der Bosheit herrührt. Einzig der Grad der Höllenstrafe wird unterschiedlich sein. – Warum aber empfindet der Mensch sofort Reue, wenn er in die Unkeuschheit gefallen ist, hingegen zuckt er nicht einmal mit der Wimper, wenn er durch Stolz schwer gefehlt hat? – Weil er im Gegensatz zum Stolz bei Verfehlungen gegen die geschlechtliche Sittlichkeit die Selbsterniedrigung, wie ein Tier gehandelt zu haben, sofort spürt. Es ist die schmerzhafte, demütigende Selbsterkenntnis, die sofort und schonungslos Anklage erhebt: „Du hast dich verhalten wie ein Tier!“ Und dieser Stachel des Gewissens sticht und reißt. Im Gegensatz zu den Sünden des Stolzes braucht uns niemand darauf hinzuweisen. Diese beschämenden Stiche stammen von den Dornen der Unkeuschheit.

Und gerade in diesen Dornen verfängt sich der Mensch am nachhaltigsten. Wer in die Unkeuschheit gefallen ist, kommt nicht so leicht wieder davon los. Viele, wenn nicht die meisten Menschen, die ihr einmal verfallen sind, tun sich sehr, sehr schwer von diesem Laster wieder loszukommen. Die Unkeuschheit ist wie eine Schlingpflanze und ihre Dornen haben Widerhaken. Wenn es der Mensch lediglich schafft sich von Zeit zu Zeit durch Reue und Beichte loszureißen, es aber versäumt auch gleichzeitig der Reichweite ihrer Tentakel zu entfliehen – konkret also die unkeuschen Gelegenheiten nicht konsequent und mit aller Vorsicht meidet – der wird sich leicht und schnell wieder in den Dornenschlingen der Wollust gefangen finden. So stark ist der Trieb in uns. Und so schwach ist der Mensch. Das ganze Gebiet der geschlechtlichen Sittlichkeit ist die Achillesferse des Menschen und muß deshalb besonders bewacht und geschützt werden. Weil das aber bei weitem nicht alle tun, gibt es selbst hochbetagte Menschen, die in den Fängen dieses Lasters gefangen sind und nicht davon loskommen. Es geht nicht von selbst weg. Man muß sich losreißen, für immer damit brechen wollen und alle dazu notwendigen Mittel gebrauchen. – Obwohl also die Sünden der Unkeuschheit im Vergleich zu anderen Todsünden nicht die schwerwiegendsten sind, so sind es doch die am weitest verbreiteten Todsünden. Der hl. Alphons von Liguori sagt sinngemäß, daß von zehn Verdammten neun wegen ihrer Unkeuschheit verdammt werden. Und zwar nur wegen Sünden der Unkeuschheit! Nur deswegen! Denn ansonsten sind sie ja meist gute und anständige Leute. Aber auch anständige Leute fahren zur Hölle, wenn sie Sklaven ihrer Wollust sind! – Was sollte Gott auch anderes mit einer Seele tun, die fünfzig, sechzig, siebzig Jahre lang aufgrund ihrer Nachlässigkeit immer wieder rückfällig wurde und leichtfertig eine Sünde der Unkeuschheit nach der anderen beging, ohne sich ernsthaft davon loszureißen? Darf man in so einem Fall darauf vertrauen auf dem Sterbebett ja noch alles bereuen zu können? Vorausgesetzt man hat überhaupt ein Sterbebett und wird nicht durch einen Unfall aus dem Leben gerissen! Und wird die auf dem Sterbebett erweckte Reue dann wohl ernsthaft sein? – Der hl. Alphons sagt, daß viele Wollüstige auf dem Sterbebett bereuen. Sie beichten, empfangen die Letzte Ölung und die hl. Wegzehrung. Und nach dem Tod fahren sie direkt zur Hölle. Warum? Weil ihre Reue nicht ernsthaft war. Weil sie auf dem Sterbebett bereut haben, wie sie es ihr ganzes Leben lang gemacht haben und wenn sie doch noch einmal gesund geworden wären; wenn ihnen Gott noch ein, zwei Jahre geschenkt hätte, dann wären sie von ihrem Krankenlager aufgestanden und zu ihren alten Lastern zurückgekehrt; zurück zu ihrer alten Unkeuschheit. – Darf man ernsthaft damit rechnen, daß jemand, der ein Leben der Unzucht und Unkeuschheit geführt hat, ausgerechnet am Ende dieses Lebens, für die Gnade Gottes empfänglicher sein wird, um wirklich ernsthaft bereuen zu können, obwohl er diese Gnaden ein Leben lang immer und immer wieder erstickt hat?

Wie schon in den Dornenranken der Habsucht, so nisten sich auch in den Dornen der Unkeuschheit andere Sünden und Laster wie Ungeziefer ein. Die Unkeuschheit führt zur Verblendung. Der hl. Thomas von Aquin sagt, daß den Menschen nichts so sehr an der Erkenntnis der ewigen Wahrheiten und der geistigen Dinge hindert, wie die Unkeuschheit. Der Geist stumpft ab und erblindet. Wenn man mit Personen, die sich in die Unkeuschheit verstrickten haben, über Geistiges spricht, dann ist es so, als würde man Blinden einen Film vorführen. – Die allgegenwärtige Unkeuschheit in unserer Gesellschaft ist eine Hauptursache für den geistigen Niedergang, allein schon im natürlichen Bereich der Bildung und dann natürlich um so mehr auf dem religiösen Gebiet. Deshalb gibt es heute nur noch eine verschwindend geringe Zahl von Menschen, die offen sind für den katholischen Glauben, die ein Leben nach diesem Glauben führen wollen und es auch tatsächlich tun. Der Mensch wird durch die Wollust geblendet. Er verliert die Liebe zur Wahrheit und findet alles was nicht mit den fünf Sinnen faßbar ist langweilig. – Aus dieser geistigen Stumpfheit erwachsen sodann Überdruß, Unglaube und Häresie. Gespräche über religiöse Themen werden lästig, weil man dadurch natürlich ständig erinnert wird, daß man im Widerspruch zur Religion lebt. – Einige deutsche Fürsten des 16. Jahrhunderts waren deshalb der Lehre Luthers so zugeneigt, weil dessen Doktrin ihrem Lasterleben entgegenkam. „Sündige tapfer. Glaube noch fester.“ Das war die Devise Luthers. Du kannst also problemlos hundertmal am Tag gegen die Keuschheit sündigen. „Sündige tapfer. Doch Glaube noch fester. Wenn du nur fest an Christus glaubst, dann bist du gerettet.“ – Solche Reden werden natürlich gerne von jemandem, der dem Laster der Unkeuschheit verfallen ist, gehört und aufgegriffen. – Dazu gehörte auch Luthers Häresie, daß die Ehe ein „rein weltlich Ding“ sei; daß man sich also jederzeit scheiden lassen und erneut heiraten könne. Auch das wurde von den damaligen Herrschern gerne gehört. Wenn es Schwierigkeiten in der Ehe gab, dann löste man das Problem dadurch, indem man seine Frau kurzerhand durch eine neue, jüngere, schönere, reichere, gefügigere ersetzte. – Es ist auffällig, daß immer eine gewisse Verbindung zwischen der Häresie und der Unkeuschheit besteht. Das entlarvt auch die Konzilskirche mit Bergoglios neuer Barmherzigkeit gegen widernatürliche Handlungen und eheliche Untreue als häretische Sekte. Fast jede Häresie hat auf dem Gebiet der geschlechtlichen Sittlichkeit irgendwo einen Persilschein ausgestellt, um sich ihrer Anhängerschaft anzudienen.

Die Unkeuschheit macht ebenfalls hartherzig und grausam. Wie grausam ist doch die Scheidung! Ein Elternteil verläßt seine Kinder und reißt dabei deren Herzen förmlich entzwei. Aus welchem Grund? Um mit einer anderen Frau oder mit einem anderen Mann „glücklich“ zu werden. Es ist ein grausamer, hartherziger Egoismus den Ehegatten nach Jahren einfach zu verlassen. Grausam gegen die Kinder, gegen die eigenen Eltern und die Schwiegereltern. Dem Ehebruch folgen auf dem Fuß zahlreiche andere Sünden. Es komm zu Streit, zu Haß, zum Ehebruch des anderen Teiles, zu Lügen, Verstellung, Vertuschung, Scheidung, Betrug, Diebstahl, und zu einem Leben nahezu ununterbrochener unreiner Gedanken und Begierden.

Hier ein besonders deutliches Beispiel der weitreichenden Auswirkungen dieses Lasters: Aufgrund seiner Wollust ermordete König Heinrich VIII. von England zwei Königinnen, zwei Kardinäle, 21 Bischöfe, zwölf Äbte, 500 Priester, mehr als 100 Kanoniker an Kathedral- und Stiftskirchen, 42 Herzöge, Staatsbeamte und hochrangige Adlige, 300 aus dem niederen Adel, darunter mehr als 100 hochgeborene Damen und unzählige einfache Leute aus dem Volk. Aus welchem Grund? Weil sie alle die Unkeuschheit des Königs und das daraus entstandene Schisma mit der katholischen Kirche nicht gutgeheißen haben. Das alles, weil der verheiratete König ein Auge auf Anne Boleyn geworfen hatte; eine Hofdame von zweifelhaftem Ruf, welcher der König dann auch nach drei Jahren „Zweitehe“ schon wieder überdrüssig wurde und ihr den Kopf abschlagen ließ. Sie war die zweite von insgesamt sechs Frauen, die dieser König im Brautgemach bettete. Die Auswirkungen seiner Wollust und Unkeuschheit sind bis heute spürbar! Die Anglikanische Kirche in England, sowie die weite Verbreitung des Protestantismus über die ganze Welt, gefördert insbesondere durch das Britische Empire, sind die Früchte der Wollust dieses Mannes.

Alles in allem müssen wir festhalten: Die Dornen der Unkeuschheit ziehen viele andere Übel nach sich. Sie zerstören die Unschuld, die Selbstachtung und den Herzensfrieden. Sie zerstören den guten Ruf, zeitliche Güter und die Familien. Sie verursachen Haß und Eifersucht; Gewissensbisse, Selbstekel bis hin zur Selbstverachtung, denn sie lassen keinen Zweifel an ihrem sittlichen Schmutz. Sie machen den Menschen hartherzig und kalt, was man bisweilen jungen Menschen sogar im Gesicht ansieht. Das sind die Dornen der Unkeuschheit. Sie ersticken das geistliche Leben, behindern das Gebet, höhlen die Tugenden aus, töten das Leben der heiligmachenden Gnade und stürzen in die Hölle.

Notwendige Unkrautbekämpfung

Wir sehen also insgesamt, welch gefährliche Wunden die Dornen der irdischen Sorgen, der Reichtümer und der sinnlichen Genüsse schlagen. Sie wachsen schnell und kräftig, die Saat des Gotteswortes leicht überflügelnd. Sie treiben strauchartig immer neue Ranken aus, wachsen durcheinander und verflechten sich so sehr, daß kein anderes Gewächs zwischen ihnen hochkommen kann. So verkümmert das Gute im Menschen inmitten des wuchernden Bösen. So schwer wie es ist einer dichten Dornenstaude beizukommen, mindestens genauso schwer ist es, diese einmal eingewurzelten Laster wieder auszurotten. Doch nichtsdestotrotz ist es um so notwendiger.

Beten wir zu Gott, daß wir die Gaben dieser Welt, den Besitz und die Kräfte des Leibes, nur als Mittel zur Erlangung des ewigen Zieles betrachten und sie deshalb auf eine Weise gebrauchen, die dem göttlichen Willen entspricht. Bringen wir unseren Leib in Dienstbarkeit, indem wir bisweilen im Erlaubten Abbruch tun, um dem Fleisch die Zügel nicht ins Unerlaubte schießen zu lassen. Seien wir wachsam und stets darauf bedacht das rechte Maß zu halten, sowie ohne zu zögern und mit voller Konsequenz gegen alle Auswüchse vorzugehen. Nur dann kann der Same des Gottes Wortes „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben … aus allen deinen Kräften“ in uns Wurzeln schlagen, aufwachsen, zahlreiche übernatürliche Früchte ansetzen und letztlich bei der ewigen Ernte dreißig-, sechzig- oder gar hundertfachen Ertrag bringen. Amen.

Kategorie:

Veröffentlicht: