Sonntag Septuagesima
Die verdienstlichen Werke
Geliebte Gottes!
Schon in den Stürmen der Völkerwanderung hat die bedrängte Christenheit gebetet, wie wir es soeben in der Meßoration getan haben: „Wir bitten Dich, Herr, erhöre in Güte die Bitte Deines Volkes. Um unserer Sünden willen werden wir mit Recht gezüchtigt; aber befreie uns barmherzig um der Ehre Deines Namens willen.“ Wenn wir dieses Gebet zur Beginn der Septuagesima wieder aufnehmen, so müssen wir zu einer grundsätzlichen Einsicht gelangt sein, denn wir geben mit dem heutigen Kirchengebet zu, daß wir mit Recht gezüchtigt werden.
Demütiger Bußgeist
Die Sünder aller Zeiten ballen die Faust zum Himmel und fragen: „Wie habe ich das verdient?“ Durchschnittsbürger weisen bei allgemeinen Heimsuchungen mit gut getarnter Spitze gegen Gott bedauernd auf das Leid der vielen Unschuldigen hin, vor allem der Kinder. „Wie konnte Gott so etwas zulassen? So viele unschuldige Opfer!“ Heilige schlagen sich an die Brust und sagen: „Ich bin schuld durch meine Sünden.“ – Man muß also mindestens auf dem Weg zur Heiligkeit sein, wenn man von Herzen mitbeten will: „Um unserer Sünden willen werden wir mit Recht gezüchtigt.“
Wenn aber eine Selbsterkenntnis heilsam sein soll, dann darf sie wieder nicht zu einer neuen Form der Überheblichkeit werden, und darf uns nicht selbstbewußt denken lassen: „Ich will die Folgen meiner Sünde tragen.“ – Als ob wir das überhaupt könnten. Wir würden von der Last erdrückt. So bleibt uns denn nur übrig, in Geduld hinzunehmen, was wir zu tragen haben, und zugleich mit der Kirche die Barmherzigkeit Gottes anzurufen, daß sie uns schone und unserer Schwäche Rechnung trage. „Aber befreie uns barmherzig um der Ehre Deines Namens willen.“ Erst mit diesem Zusatz wird unser selbstbewußter Stolz gebrochen. Indem wir eingestehen: Wir brauchen Barmherzigkeit.
Verdienst aus Barmherzigkeit
Erst wenn feststeht, daß wir Züchtigung und Buße verdienen und dabei doch auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind, können wir weitergehen und uns fragen, wo wir beides finden. – Der Zugang zur Buße und auch zur Barmherzigkeit Gottes erschließt sich uns in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Gott ruft uns zur Arbeit. Darin besteht die Buße des Menschen seit dem Sündenfall. Gott sprach zu Adam: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis du zum Ackerboden zurückkehrst, von dem du genommen bist“ (Gen. 3, 19). Unsere Buße besteht also in der Arbeit, zu der uns Gott in Seinen Weinberg ruft. – Und wo erfahren wir die Barmherzigkeit Gottes? Sie besteht darin, daß Gott der Herr, uns nicht in Frondienst zwingt, wie es Sein gutes Recht wäre, sowohl als Schöpfer, als auch als durch unsere Sünden Beleidigter. Nein, nicht als Sklaven, sondern als Lohnarbeiter ruft Er uns zur Arbeit. In Seiner schonenden Barmherzigkeit sieht Er um des Opfers Christi willen nicht nur von einer vollen Schadensersatzforderung – der wir gar nicht entsprechen könnten – ab, sondern gibt uns sogar die Möglichkeit, durch unsere Arbeit Verdienste zu sammeln. Das geht aus dem Gleichnis hervor.
Der Hausvater des Gleichnisses stellt den Arbeitern für die Mühen eines einzigen Tages den stolzen Lohn eines Golddenars in Aussicht. Ein Denar war damals soviel, wie ein ganzer Jahreslohn, wenn nicht mehr. Ein Umstand, der das undankbare Murren eines Teiles der Arbeiter am Ende des Tages in noch schlechterem Licht erscheinen läßt, sind sie doch für ihre Mühen wahrhaft fürstlich entlohnt worden. – Wie der Hausvater, so handelt Gott an uns. Da unsere Gottesliebe so schwach ist, daß sie allein uns nicht zu bewegen vermag, stellt uns der Herr einen Lohn in Aussicht, von dem der gefallene Mensch niemals hätte zu träumen wagen dürfen. Zu Abraham sprach Er: „Wandle vor mir und sei vollkommen“ (Gen. 17, 1), und an anderer Stelle: „Ich bin – dein sehr großer Lohn“ (Gen. 15, 1). Gott selbst ist der Golddenar, durch dessen Besitz sich der Mensch für ewig zur Ruhe setzen kann. Das ist das in Aussicht gestellte Verdienst. Ein Verdienst, das in keinem Verhältnis steht zu der zu erbringenden Leistung. Der Besitz Gottes! Ein unendlicher Lohn also, weil Gottes Barmherzigkeit, die stets mehr gibt als sie müßte, unendlich ist.
Gott verlangt Werke
Obwohl der ewige Lohn in keinem Verhältnis zum Wert der guten Werke steht, durch die er erlangt werden kann, so muß er doch verdient werden. Gott verlangt Werke! Das sagt Er uns in der Geheimen Offenbarung: „Siehe, ich komme bald, und ein Lohn ist mit Mir, um einem jeden zu vergelten nach seinen Werken“ (Offb. 22, 12). Auch die Apostel ermahnen uns dazu. So etwa der hl. Petrus: „Seid darauf bedacht, eure Berufung und Auserwählung durch gute Werke sicherzustellen“ (2. Petr. 1, 10). Der hl. Apostel Jakobus sagt es ganz scharf: „So ist der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat. Glaube ohne Werke ist tot“ (Jak. 2, 14. 26). Der Glaube allein, ohne Werke, nützt nichts. Und der hl. Apostel Paulus ermuntert uns mit seinem Zuruf: „Laßt uns nicht müde werden, Gutes zu tun, denn wenn wir nicht ermatten, werden wir zur rechten Zeit ernten“ (Gal. 6, 9). Das sind die Gesandten Gottes, die Er gleichsam auf den Markplatz der Weltgeschichte entsandt hat, um Arbeiter für Seinen Weinberg zu dingen. – Der Weinberg ist das Reich Gottes, wie Christus selbst sagt. Und zwar das Reich Gottes in seiner inneren und äußeren Dimension, d.h. einerseits im Inneren; in der Seele des Menschen, und äußerlich in der Kirche, in der Welt. In beiden Bereichen gibt es jede Menge zu tun. – Wie müssen nun aber unsere Werke beschaffen sein, damit sie „gut“ und verdienstlich sind? – Sie müssen gewisse Erfordernisse erfüllen, die an sich selbstverständlich sind, aber doch vielfach mißachtet werden.
Das Licht des Tages
Verdienstlich sind nur jene Werke, die während der Zeit der irdischen Pilgerschaft, d.h. im Laufe unseres Lebens hier auf Erden gewirkt werden. Christus selbst sagt von sich: „Ich muß wirken, solange es Tag ist. Es kommt die Nacht, wo niemand mehr wirken kann“ (Joh. 9, 4). Mit diesem Wort gibt der göttliche Erlöser selbst die Auslegung des Arbeitstages im Weinberg. Die Stunden vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang stellen den Tag eines Lebens dar. Solange er dauert, konnten die Arbeiter in den Weinberg eintreten und wurden am Ende entlohnt. Auch diejenigen, die nur eine Stunde gearbeitet hatten. Als aber die Nacht hereinbrach, wurde niemand mehr angenommen. Nur die geschehene Arbeit des Tages wurde bezahlt. – Die Heiligen wirken im Himmel ohne Zweifel gute Werke. Bis in alle Ewigkeit tun sie Gutes. Das Lob Gottes ohne Unterlaß. Ihr Gebet in unseren Anliegen. Die Flammen der Liebe, die aus diesen Seelen zu Gott emporsteigen. Das sind alles sehr gute Werke. Aber die Heiligen verdienen damit nichts mehr. – Auch die Seelen im Fegfeuer erwecken fortwährend die heiligsten Begierden. Ihre Hoffnung ist so fest und lebendig, ihre Liebe groß, ihr Leiden geduldig. Auch das sind sehr schöne Tugenden, die sie üben, also gute Werke. Aber auch sie verdienen nichts mehr damit, weil ihr Tag vorüber und die Nacht angebrochen ist. – Wir müssen also das Tageslicht dieses Lebens nutzen.
Der Ruf Gottes
Doch in diesem Zusammenhang begegnet uns eine Merkwürdigkeit des Gleichnisses. Es fällt auf, daß sich die Arbeiter trotz der fürstlichen Bezahlung nicht nach der Arbeit drängen. Sie sind dort, wo damals das Arbeitsamt war, nämlich auf dem Marktplatz. Dort stehen sie herum. Aber sie drängen sich nicht in den Weinberg, obwohl dort der Lohn eines Golddenars auf sie wartet. Sie warten, bis sie gerufen werden. Und das scheint ein Hinweis darauf zu sein, daß alle, die im Reiche Gottes sind, warten, ja warten müssen, bis der Ruf an sie ergeht. Die Theologie und dann auch das kirchliche Lehramt haben das so ausgedrückt, daß man sich die erste Gnade, also die Gnade der Berufung, nicht verdienen kann. Sie wird dem Menschen ungeschuldet geschenkt. Der Mensch muß auf den Ruf warten, und erst dann kann er den Eintritt ins Gottesreich vollziehen. Das ist der Grund, warum einige schon von den frühen Morgenstunden der Kindheit zur Arbeit im Weinberg gerufen sind. Andere erst um die dritte Stunde ihrer Jugend, wieder andere um die mittägliche sechste Stunde, wenn die Lebenssonne im Zenit steht. Einige finden den Weg zum Glück des katholischen Glaubens erst nach einem irrenden, nach einem verirrten Leben in der neunten Lebensstunde, wenn sich die Sonne im Alter bereits langsam zum Untergang neigt. Ja und dann gibt es noch die Dismas-Seelen, an die noch im letzten Tageslicht der elften Stunde – also auf dem Sterbelager – der Ruf des Hausvaters ergeht: „Gehe auch du in meinen Weinberg“ (Mt. 20, 7), damit auch du den ewigen Lohn empfängst. – Freilich ist dabei jeder Einzelne dafür verantwortlich, ob er dem Rufe dann auch tatsächlich folgt oder ob er weiter müßig bleibt. – Es ist also ein merkwürdiges Faktum: Man muß auf die Gnade warten, man muß sich für die Gnade bereithalten, aber man ist verantwortlich dafür, daß die Gnade in unserem Leben wirksam wird, sobald der Ruf ergeht. – Wie bedauerlich wäre es für uns, an die der Ruf ja längst ergangen ist, wenn wir müßig wären in guten Werken. Wir würden wertvolle Gnadenstunden vergeuden. Bedenken wir also den Wert der Lebenszeit. Es sind unwiederbringliche, gnadenhafte Augenblicke. Um so mehr, je weiter der Sonnenlauf unseres Lebens bereits fortgeschritten ist. Wie trostlos wäre doch unsere Reue einst auf dem Sterbebett, wenn wir, obwohl der Ruf so früh an uns erging, auf ein verdienstloses Leben zurückblicken müßten. – Wären die Heiligen des Neides fähig, wie würden sie uns um eine Stunde des Verdienstes beneiden, denn mit aller Liebe können die Heiligen keine höhere Stufe der Vollkommenheit mehr erklimmen. Wir schon! – Für die Seelen im Fegfeuer gibt es nur noch die Möglichkeit zu büßen, „bis der letzte Heller bezahlt ist“ (Mt. 18, 34), aber ihre Leiden sind nicht verdienstlich. Unsere geduldig ertragenen Leiden sind es durchaus noch. Wie gerne würden sie sich wünschen noch eine einzige Stunde geschenkt zu bekommen. Aber ihre Lebenssonne ist untergegangen. Im Tod kam „die Nacht, wo niemand mehr wirken kann“.
Der Stand der heiligmachenden Gnade
Die guten Werke müssen nicht nur bei Tag, also während dieser Lebzeit, nicht nur auf den Ruf des Hausvaters, also auf eine vorausgehende Gnade hin, sondern ferner auch im Weinberg, d.h. im Stande der heiligmachenden Gnade, getan werden, damit sie für den ewigen Lohn verdienstlich sind. Ja, es ist für die Verdienstlichkeit der guten Werke eine unbedingte Grundvoraussetzung, daß der Mensch im Stand der heiligmachenden Gnade sein muß. Er muß im Blute Christi gerechtfertigt sein. – Kann also ein Mensch, solange er im Stande der Todsünde ist, nichts verdienen? Nein, er kann nichts verdienen. – Warum? Kann er etwa keine guten Werke tun? Gewiß, das schon. Es geschieht ja oft, daß Menschen im Stande der Sünde Werke der Barmherzigkeit üben; daß sie beten, daß sie ihre Standespflichten erfüllen, daß sie den Gottesdienst besuchen. Das leugnet niemand. Aber diese guten Werke sind keine Verdienste, d.h. sie geben keinen Anspruch auf den ewigen Lohn von seiten Gottes. – Warum nicht? Zunächst, weil Gott für solche Werke keinen Lohn versprochen hat. – Ferner, wer nicht im Stand der Gnade ist, der ist im Stand der Todsünde und damit der ewigen Strafe schuldig. Ist es wohl anzunehmen, daß jemand, der der ewigen Höllenstrafe schuldig ist, zugleich vor Gott Anspruch haben könnte auf den Lohn des Himmels? Gewiß nicht. Dabei handelt es sich um den offensichtlichsten Widerspruch.
Es bleibt also unumstößlich wahr: Der Mensch im Stand der Sünde kann keine verdienstlichen Werke üben. – Aber ist es dann für den Todsünder gänzlich überflüssig, gute Werke zu verrichten? Durchaus nicht! Denn wenn die guten Werke des Sünders auch keinen Anspruch auf ewigen Lohn haben, so läßt Gott dennoch nichts Gutes ohne Vergeltung. – Die Apostelgeschichte berichtet uns im 10. Kapitel von einem römischen Hauptmann namens Cornelius. Er war ein Heide und man muß annehmen, daß er nicht im Stande der heiligmachenden Gnade war. Aber er betete. Er gab Almosen. Er übte also Werke der Gottes- und Nächstenliebe. Was geschah? Sogar auf übernatürlichem Wege wurde Cornelius von Gott ermahnt, den hl. Petrus rufen zu lassen, und auch der Apostelfürst wurde durch ein Gesicht aufgefordert dem Rufe des Heiden zu folgen. Cornelius hatte die Gnade, die Predigt des hl. Petrus zu hören, ihr zu glauben, von seiner Hand getauft, gerechtfertigt und mit den Gaben des Heiligen Geistes geschmückt zu werden. Das alles hatte er nicht verdient, aber ohne Zweifel mit Rücksicht auf seine zahlreichen guten Werke hat ihm Gott die Gnade gegeben, daß er sich bekehre, daß er der erste getaufte Heide geworden ist.
Auch wenn die guten Werke des Sünders keinen unmittelbaren Wert für die Ewigkeit haben, also keinen ewigen Lohn erhalten werden, so werden sie von Gott doch vergolten; entweder durch zeitliche Güter oder durch Nachlaß zeitlicher Strafe. Denn Gott ist gerecht. Und weil Er den Sündern, aufgrund ihrer Weigerung sich zu bekehren, nach dem Tod ihre guten Werke nicht mit ewigem Lohn wird vergelten können, deshalb vergilt Er ihnen dieselben mit zeitlichen Wohltaten und irdischem Glück. Das ist der Grund, warum es vielen Sündern trotz ihrer Sünde und ihrer Gottlosigkeit so gut geht. Ihre guten Werke sind rein natürlich, nicht übernatürlich. Deshalb erhalten sie keinen übernatürlichen ewigen, sondern lediglich einen natürlichen zeitlichen Lohn. Oder aber, Gott führt die Sünder, die sich Ihm nicht widersetzen, wie den Hauptmann Cornelius durch die Erteilung helfender Gnaden zur Bekehrung. – Es ist sehr wichtig das gut zu verstehen! Lassen wir einen Todsünder und einen Menschen im Gnadenstand nebeneinander genau dieselben guten Werke tun, mit genau derselben Absicht; ja, nehmen wir an der Todsünder wäre sogar eifriger, sorgfältiger, aufopferungsvoller gesinnt. Es brächte ihm nichts, weil seine guten Werke ohne die Gnade zwar gut aber nicht übernatürlich sind. Gott belohnt aber in der Ewigkeit nur die übernatürlich guten Werke. – Daraus erhellt, wie dumm es ist, wenn der Todsünder seine Bekehrung und den Empfang der hl. Beichte vor sich herschiebt. Wie dumm ist es tage-, monate- oder gar jahrelang zu arbeiten, gute Werke zu tun, geduldig zu leiden, aber den Gnadenstand nicht zu suchen und so die Frucht all seiner guten Werke gleichsam „in einen durchlöcherten Sack“ (Agg. 1, 6) zu werfen. – Die Seelen hingegen, die im Stande der heiligmachenden Gnade sind, verdienen den von Gott bestimmten und verheißenen Lohn. Durch die heiligmachende Gnade sind sie Kinder Gottes. Sie sind Brüder Christi. Sie sind Rebzweige an dem Weinstock, der Christus ist. Sie sind Glieder Seines Leibes. Ihre Werke sind sozusagen Christi Werke; übernatürlich, fruchtbar, kostbar, verdienstlich, gerechtfertigt durch das Blut Jesu Christi.
Die Mitwirkung des Menschen mit der helfenden Gnade
Die Notwendigkeit der Gnade führt uns zu einem weiteren, sehr geheimnisvollen und doch sehr wichtigen Punkt. Nämlich dazu, wie im Reiche Gottes gearbeitet wird. Der Mensch arbeitet nicht allein, sondern er muß mit Gott zusammenarbeiten. Die guten Werke, die wir tun dürfen, sind ein Zusammenwirken der menschlichen Freiheit mit der göttlichen Gnade. Das ist ein unumstößlicher Satz der katholischen Gnadenlehre. Der hl. Augustinus sagt: „Wenn Gott unsere Verdienste krönt, krönt Er Seine Gaben.“ Denn Seine helfende Gnade kommt unseren guten Werken zuvor, steht ihnen zur Seite, folgt ihnen nach und bringt sie zur Vollendung. Ohne die helfende Gnade vermögen wir nichts Übernatürliches zu tun. So sagt es der hl. Paulus: Wir sind nicht tüchtig, „durch uns selbst etwas zu denken, wie aus eigener Kraft; sondern unsere Tüchtigkeit ist aus Gott“ (2. Kor. 3, 5). Schon der Gottessohn Jesus Christus selbst sagt ganz deutlich: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh. 15, 5). Wir sind ganz von der Gnadenhilfe Gottes abhängig. Das gilt selbst von unseren Gebeten. Der hl. Paulus sagt: „Um was wir beten sollen, wie es sein muß, wissen wir nicht, aber der Geist selbst bittet für uns mit unaussprechlichen Seufzern“ (Röm. 8, 26). Und der hl. Augustinus erklärt hierzu: „Was heißt ‚der Geist selbst bittet‘ anders als: Er bewirkt, daß wir bitten? Es ist ja das sicherste Anzeichen der Hilfsbedürftigkeit, mit Seufzern zu bitten. Doch müssen wir glauben, daß der Heilige Geist nichts bedarf. Aber es heißt, ‚Er bittet für uns‘, weil Er bewirkt, daß wir bitten, und uns die Neigung zum Bitten und Seufzen einflößt, nach dem Wort des Evangeliums: ‚Nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist eures Vaters ist es, der in euch redet.‘ (Mt. 10,20). Auch vollzieht sich diese Einwirkung nicht so an uns, als ob wir dabei nichts tun würden. Daß uns der Heilige Geist beisteht, ist nur so ausgedrückt, daß es heißt, Er tue selbst, was Er doch nur in uns wirkt“ (epist. ad Sixt. 14-18). Ohne Gottes Kraft, ohne Gottes Gnade sind unsere Werke nicht verdienstlich. Aber mit der Gnade sind sie es. „Alles vermag ich in dem, der mich stärkt“ (Phil. 4, 13), sagt der Völkerapostel. – Ja, es sind unsere verdienstlichen Werke; aber sie sind es durch die Gnade Gottes, die bewirkt, daß wir sie tun.
Wenn Gott uns also die Fähigkeit gegeben hat, für Ihn zu arbeiten, so gebührt Ihm auch der Ruhm. Es gibt für uns folglich keinen Grund uns zu überheben und uns darauf etwas einzubilden. Selbstgefälligkeit und Stolz würden unsere guten Werke entwerten; sie zerstören. Der Verwalter würde bei Sonnenuntergang von solchen sagen: „Sie haben ihren Lohn schon erhalten“ (Mt. 6, 16). Sie haben sich mit eitler Selbstgefälligkeit bereits selbst entlohnt. Hingegen mahnt der hl. Apostel Paulus: „Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen hättest?“ (1. Kor. 4, 7). Halten wir also fest: Wenn Gott unsere Verdienste krönt, die wir ja haben, das sei nicht geleugnet, dann belohnt Er Seine Gaben. – Das geheimnisvolle Zusammenwirken von Verdienst und Gnade ist freilich schwer aufzuhellen. Es wird uns im Himmel einmal klar werden. Aber es besteht ein solcher Zusammenhang. Der Apostel Paulus wußte, daß er ein tüchtiger Arbeiter im Reiche Gottes ist. „Ich habe mehr gearbeitet als alle anderen“ (1. Kor. 15, 10). Gleich nachher aber sagt er: „Doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir“ (ebd.). Das muß auch unsere Haltung sein! Ich habe mehr gearbeitet als alle anderen, aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir. – Wie der Ruf zum Eintritt in das Gottesreich, so ist auch das Leben- und das Arbeitendürfen im Gottesreich unverdiente Gnade. Der eine wird früh gerufen, der andere später. Der eine darf Großes leisten für das Reich Gottes; der andere nur Unscheinbares. Der eine wird ein großer, unvergeßlicher Heiliger, durch Gottes Wundermacht verherrlicht; der andere gerät in Vergessenheit.
Beten, Fasten, Almosengeben
Bleibt schließlich noch die Frage, welche guten Werke wir tun sollen. In der Heiligen Schrift werden uns besonders empfohlen: Beten, Fasten und Almosengeben; darunter sind alle Werke der Andacht, der Abtötung und der Nächstenliebe eingeschlossen. Schon im Buch Tobias heißt es: „Das Gebet mit Fasten und Almosen ist besser als Schätze von Gold aufhäufen“ (Tob. 12, 8). In diesem Wort des frommen Tobias sind alle drei Arten der guten Werke genannt und empfohlen. Wenn darüber hinaus noch Beispiele nötig sein sollten, so blicken wir nur auf die Worte und das Vorbild des göttlichen Erlösers selbst. – Betete Christus nicht? Ganze Nächte! – Fastete Er nicht? Vierzig Tage ohne Unterbrechung! – Übte Er nicht die Werke der Nächstenliebe? Sein Leben, Sein Leiden und Sein Sterben waren der Nächstenliebe geweiht. – Mit dem Gebet sind uns alle Werke der Andacht empfohlen; also auch Betrachtung, geistliche Lesung, das Anhören der Predigt, der Besuch der hl. Messe, überhaupt alle Werke der Religion. Mit dem Fasten alle Werke der Abtötung, also nicht bloß die Enthaltung von Speisen, sondern auch von Spiel, Schlaf, Vergnügen, überhaupt von allem, was den Sinnen schmeichelt. Mit dem Almosen alle Werke der Nächstenliebe, also alle Werke der leiblichen und geistlichen Barmherzigkeit: z.B. Kranke besuchen, Fremde beherbergen, Hungrige speisen, Durstige tränken, Unwissende belehren, Verzagte ermutigen, Zweifelnden raten, Betrübte trösten, Lästige geduldig ertragen und ihnen gerne vergeben, für Lebende und Verstorbene beten. Welch eine große Auswahl der guten Werke liegt also vor uns! Keiner kann sagen, er habe keine Gelegenheit gute Werke zu verrichten.
Die „gute Meinung“
Bei all diesen Werken kommt es schließlich ganz besonders darauf an, daß sie in der sog. „guten Meinung“ geschehen. – Was ist das? – Wenn ein Jäger ein Reh, einen Hasen oder Geflügel erlegen will, so ist es zwangsläufig dazu notwendig, daß er ein Wild vor die Flinte bekommt. Es ist auch nötig, daß er schießt. Aber worauf kommt es beim Schießen an? Daß er gut zielt! Er muß den Lauf des Jagdgewehres genau auf das Wild richten, das er treffen will. Weder höher, noch tiefer, weder rechts noch links, sondern in gerader Richtung auf das Wild. – Was beim Schießen das Zielen ist, das ist bei den guten Werken die „gute Meinung“. Die guten Werke müssen eine Richtung und zwar die gerade Richtung auf Gott erhalten. Das geschieht, indem wir in allem Ernst und von Herzen denken und sagen: „O mein Gott, ich opfere Dir auf alle meine Gedanken, Worte und Werke.“ Oder wie wir eingangs gesungen haben: „Alles meinem Gott zu Ehren, in der Arbeit in der Ruh‘.“ Durch diese Meinung erhalten all unsere Werke – unsere Gedanken, Worte und Taten – die Richtung auf Gott. Sie geschehen für Gott, im Dienste Gottes und werden von der Freigebigkeit Gottes belohnt.
Wenn wir all das Gesagte bedenken, wie reich ist die Barmherzigkeit Gottes, welch reichen Lohn können wir verdienen, obwohl wir für unsere Sünden Züchtigung verdienen! Der eine wird geplagt von Ängsten, Zukunftsängsten, existentiellen Ängsten. Der andere wird schier erdrückt von Arbeit, Kummer, Sorgen. Der Kranke wälzt sich in Schmerzen und Todesangst auf seinem Lager. Wer von ihnen betet: „Gott zur Ehre!“, dem wird Leiden und Not ewigen Lohn bringen. Da ist einer der hart und schwer arbeitet; der Chef ist ungerecht; die Kollegen lassen ihn hängen; die Bezahlung ist schlecht. Ein „Gott zur Ehre!“ und Gott selbst ist der Arbeitgeber und wahrlich Er wird nicht schlecht bezahlen. So tun wir also Gutes, solange der Tag dieses Lebens dauert. Schieben wir eine vielleicht notwendige Beichte nicht unnötig auf, damit wir alles im Stande der heiligmachenden Gnade für die ewige Entlohnung tun können. Tun wir alles Gott zu Ehren. Erwecken wir diese Meinung wenigstens am Morgen, sei es in Verbindung mit dem Morgengebet, oder beim Gang zur Arbeit, oder wenn wir unser Werkzeug, das Bügeleisen, den Kochlöffel, den Laptop oder den Aktenordner zur Hand nehmen. „Alles o Herr, zu Deiner Ehre. Alles Dir zuliebe.“ Dann wird unser Tagewerk, dann wird unser Lebenswerk zum beständigen Gottesdienst im Weinberg des Herrn. Und wie groß wird unser Lohn sein, wenn unser Leben auf Erden sich im Dienste Gottes verzehrt hat. „Freut euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel“ (Mt. 5, 12). Amen.